"DIE ZEIT" fährt mittlerweile eine regelrechte Hetzkampagne gegen jene Politiker, die (ausnahms- bzw. erstaunlicher Weise) sich einmal weigern, unsere Steuergelder sinnlos zum Fenster herauszuwerfen.
"Konjunkturprogramm. Schräge Argumente" kritisiert Marc Brost in der ZEIT ONLINE vom 7.11.2008 und lästert:
"Alle Welt fordert große staatliche Programme gegen die Krise. Nur einige deutsche Politiker leisten noch Widerstand." Denen droht er an: "Wir präsentieren ab sofort jeden Tag drei von ihnen."
Das mag schon sein, dass (fast) "alle Welt" nach solchen Programmen schreit: es hat ja auch mal "alle Welt" "Verbriefungen" schlechter Kreditrisiken gekauft.
Was sagt unser Bundesfinanzminister Bundesfinanzminister Peer Steinbrück dazu?
"Ablehnung bleibt. Steinbrück gegen weitere Konjunkturmaßnahme" titelt das Handelsblatt am 29.11.2008:
"Peer Steinbrück bleibt bei seinem Nein zu weiteren Konjunkturprogrammen. 'Ich halte es nicht für redlich, den Eindruck zu erzeugen, dass wir gegen diese Rezession mit Staatsknete anfinanzieren könnten', sagte der SPD-Politiker in einem 'Spiegel'-Interview laut Vorabbericht. ... Zu entsprechenden Forderungen sagte der Minister: 'Nur weil alle Lemminge denselben Weg gewählt haben, wird der nicht automatisch zum richtigen Weg'."
Mutig ist der Mann, der sich einer ganzen Lemminghorde aus Wirtschaftswissenschaftlern, Notenbankern [vgl.: "Konjunkturprogramm. Weber fordert schnelle Hilfen" - HB 26.11.08] und Zeitungsschreibern entgegen zu stellen wagt! [Hier das Handelsblatt-Interview von Marietta Kurm-Engels, Robert Landgraf und Oliver Stock mit Bundesbankpräsident Axel Weber vom 26.11.2008.]
Per 01.12.08 hat sich der Weltökonom Marc Brost Verstärkung geholt und polemisiert jetzt gemeinsam mit Christoph Seils: "Wir gegen alle. Nie wieder Konjunkturprogramm". Ironisch heißt es:
"Alle Welt fordert große staatliche Programme gegen die Krise. Nur einige deutsche Politiker und Experten leisten Widerstand. Das verdient Respekt und Unterstützung!
Mit Milliarden werfen Regierungen von Washington bis Peking zurzeit nur so um sich. Vom Weißen Haus bis in die Pekinger KP-Zentrale hat man Keynes wieder ausgegraben und beeilt sich, Not leidenden Unternehmen und Branchen und den armen Steuerzahlern unter die Arme zu greifen, damit sie nicht allesamt in der großen Depression versinken. Alle Regierungen und Politiker? Nein. Angela Merkel, Peer Steinbrück und andere Unentwegte halten ihre Fahne hoch und stellen sich den Staatsinterventionisten heldenhaft entgegen.
Wir sollten sie nicht allein lassen. ZEIT ONLINE präsentiert deshalb ab sofort jeden Tag die schönsten, die klügsten und vorausschauendsten Worte gegen das große Geldausgeben. Diskutieren Sie mit, stimmen Sie ab, küren Sie das Argument des Tages."
Die Leser-Kommentatoren mögen freilich nicht so recht mitspielen; viele von ihnen bleiben skeptisch. ZoiZ z.B. (Kommentar 3 zum 1. Artikel) blickt voll durch, was hier gespielt wird:
"Sie stellen an der Pranger. Die Medienöffentlichkeit ist anderer Meinung und nun wird zum persönlichen Angriff geblasen. Das ist widerlich und der Zeit nicht würdig."
Unter dem Titel "Zynische Arroganz pur - die vierte Gewalt" spricht "keox" (Kommentar 5 a. a. O.) von einer "Wiederbelebung des Prangers im Dienste der gerade herrschenden Meinung" usw. Andererseits gibt es auch Zustimmung, aber nach meinem Eindruck von einer Minderheit.
Die Redaktion der Zeit schießt indes aus allen Rohren:
"Jetzt braucht es Mut!" (damit meint Philip Faigle in der © ZEIT ONLINE vom 27.11.2008 den Mut, unser Geld möglichst schnell auszugeben: man kann nur staunen, dass unsere Regierung einem für Politiker an sich doch so verlockenden Zuruf der Zeitungsmenschen noch widersteht):
"Die Bundesregierung verweigert sich dem Ernst der Krise. Um das Schlimmste zu verhindern, muss sie mit Tabus brechen und ein großes Stützungsprogramm auflegen."
Der Zeit-Herausgeber Josef Joffe hat schon einen Paniktitel parat: "Finanzpolitik. Koste es, was es wolle" (27.11.2008). Die Notenpresse will er anwerfen; die Zentralbanken sollen dem Staat Feuerholz geben, um die Wirtschaft anzuheizen.
»Langfristig sind wir alle tot«, aber: "Das Monstrum [Deflation] bedrängt uns hier und jetzt".
"Dies ist der Moment, da das Laster zur Tugend wird" tönt der Sirenengesang und "Der Staat kann tun, was sonst tabu ist: Finanzierung durch Verschuldung."
Hat nicht schon einmal eine Lemmingherde die Verschuldung (der Immobilienbesitzer in den USA) gepredigt? Hat nicht schon Alan Greenspan die Wirtschaft mit Geld geflutet, bis die Vernunft den Bach runtergegangen ist? Auch hier sind die Leser-Kommentatoren mehrheitlich kritisch.
Ach nein, auch einige Journalisten, zumindest Journalistinnen, schwimmen noch gegen den Strom:
"CDU. Darf’s noch ’ne Milliarde mehr sein?" titelt skeptisch Elisabeth Niejahr in DIE ZEIT, 27.11.2008 und wundert sich:
"Ausgerechnet die liberalen Wirtschaftspolitiker der CDU rufen immer lauter nach einem Konjunkturprogramm."
(Der gleiche Sachverhalt wird beschrieben im Handelsblatt v. 1.12.08 von Sven Afhüppe, Peter Müller und Klaus Stratmann: "Finanzkrise. Wirtschaft rebelliert gegen Merkel".)
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble fordert in einem Handelsblatt-Interview vom 28.11.2008 mit Peter Müller und Andreas Rinke „In der Krise muss die CDU keynesianisch denken“.
Der Parteienforscher Franz Walter fordert keine Konjunktur-Programme, berichtet aber über entsprechenden Druck ihrer Parteifreunde auf die Kanzlerin Angela Merkel: "CDU-Parteitag in Stuttgart. Kanzlerin-Dämmerung" (ZEIT ONLINE 1.12.2008)
Aber auch die anderen Lemmings-Medien kreischen nach Konjunkturprogrammen. So z. B. im Handelsblatt:
" 'Politik der ruhigen Hand'. CDU flieht aus der Wirklichkeit" von Peter Müller (1.12.08)
Mehr referierender Natur sind Artikel wie:
"Bekämpfung der Wirtschaftskrise. SPD streitet über den Kurs aus der Krise" von Daniel Delhaes (HB 1.12.08)
Keine Frage, dass die Probleme gewaltig sind: "Konjunktur. Euro-Zone: Industrie blickt in den Abgrund" erfahren wir ebenfalls im Handelsblatt v. 1.12.08.
Nachrichten über die (angenehme) Kehrseite liest man seltener:
HB 28.11.2008 "Vor dem Opec-Treffen am Wochenende. Ölpreise sinken weiter". Von beinahe 150 Dollar im Juli sind wir nun auf gut 50 Dollar runter: Das würde bzw. wird sich rapide umkehren, wenn die Konjunktur erst mal wieder läuft. Sollen wir uns wirklich mit einem Konjunktprogramm die Ressourcenschlinge (die irgendwann ohnehin auf uns wartet) noch etwas schneller um den Hals zuziehen?
"Rohstoffe. Autokrise bremst Platinpreis" berichten Dieter Claassen und Regine Palm im HB vom 26.11.08: auch der ist, ganz grob gerechnet, auf ein Drittel gefallen.
Müssen wir den unbedingt so schnell es geht wieder hochjagen? Cui bono?
Oder: "Pfui, non bono?"
Lässt man den Umweltaspekt einmal beiseite und stellt ausschließlich auf die Konjunkturbelebung ab, gäbe es vielleicht einen anderen Weg, als den Steuerzahler auszuplündern (und den Kapitalbesitzern später eine bequeme Rendite aus Staatsanleihen zu garantieren):
Die Zentralbanken, speziell (oder offiziell) die Fed, anscheinend, versteckt im Dunkeln, auch die EZB, pumpen über alle möglichen Kanäle Geld in die Wirtschaft.
Mir scheint indes, dass diese Liquiditätsflutung allzu sehr durch einen Mangel an Kreativität behindert ist.
Wie wäre es z. B. mit Pensionsgeschäften für Verbraucherkredite (und evtl. auch Hypotheken) in folgender Form:
- Gesczhäftsbanken geben Kredite aus zu beispielsweise 5% Zinsen (der Zinssatz wäre jedenfalls konkret von der Notenbank vorzugeben).
- Notenbank nimmt diese Kredite in Pension, gegen z. B. 1% oder 2% Zinszahlungen durch die Geschäftsbanken. Dort blieben also 3 - 4% hängen; das dürfte ausreichen, um die Kosten und Risiken abzudecken. (Die Aktion wird selbstverständlich zeitlich befristet; falls erforderlich, könnte der Zeitraum verlängert werden.)
- Das volle Risiko muss natürlich die Geschäftsbank tragen; wir wollen ja keine Subprime-Kreditblase erzeugen, wie man das in den USA geschafft hat.
- Anders als beim Diskontsatz usw. bleibt der "Pensionszins" fest für die ganze Kreditlaufzeit (wobei allerdings die Geschäftsbanken den Kredit im gleichen Rhythmus abtragen müssen wie sie die Ratenzahlungen von den Kreditnehmern erhalten).
Ein solches Verfahren kostet keine Steuergelder und ist auch für die Notenbanken relativ risikofrei; Ausfälle müssten die Banken aus ihren Margen abdecken.
Spricht irgend etwas dagegen? (Außer dass einige Zeit-Autoren dann nicht mehr gegen Politiker hetzen können, die etwas sparsamer sind, und etwas weitsichtiger, als sonst üblich.)
Nachträge 03.12.08:
Obwohl die USA schon riesige Mittel flüssig gemacht haben, wird man auch dort panisch, weil die Konjunktur nicht in die Gänge kommt, und weil die Summen, so riesig wie sie dem Kleinen Mann erscheinen mögen, den Wirtschaftswissenschaftler bei weitem nicht ausreichen: Der New York Times "Op-Ed Columnist" Paul Krugman (diesjähriger Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften) beschreibt die aktuelle Situation in seinem Kommentar "The Lame-Duck Economy" vom 21.11.08 wie folgt:
"... the pace of deterioration seems to be accelerating.
... we’re in the midst of the worst stock market crash since the Great Depression: the Standard & Poor’s 500-stock index has now fallen more than 50 percent from its peak. Other indicators are arguably even more disturbing: unemployment claims are surging, manufacturing production is plunging, interest rates on corporate bonds — which reflect investor fears of default — are soaring, which will almost surely lead to a sharp fall in business spending. The prospects for the economy look much grimmer now than they did as little as a week or two ago." Und er kritisiert:
"... nothing is happening on the policy front that is remotely commensurate with the scale of the economic crisis".
In einem früheren Kommentar "Depression Economics Returns" (14.11.08) hatte Krugman bereits einen Betrag für das Konjunkturpaket genannt:
"My own back-of-the-envelope calculations say that the package should be huge, on the order of $600 billion." Ob die Welt den USA wohl solche Summen leihen wird? Oder soll sich die US-Regierung die von Krugman für erforderlich gehaltenen 600 Milliarden Dollars unbürokratisch und frisch aus der Druckmaschine beschaffen?
[Mehr über Krugman und meine Kritik an seiner Position in meinem Blott "Simbabwe schärfster Konkurrent für US-amerikanische Schlüsselindustrie".]
Nachtrag 04.12.2008:
Ein Blick zurück: Vor nur wenig mehr als 2 Monaten prophezeiten die Auguren noch: "IW Köln: Trotz Finanzmarktkrise keine Rezession" (Tagesspiegel vom 01.10.08). "Die weltweite Finanzkrise wird das Wachstum in Deutschland und Europa im kommenden Jahr dämpfen. Das meint zumindest das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Ein Abgleiten in die Rezession sei aber nicht zu befürchten."
Zur selben Zeit, am 29.09.2008, hatte ich in einem firmeninternen Forum geschrieben: "Der Frühling ist schon bald vorüber - der kurze Frühling auf dem Arbeitsmarkt. Nicht nur meteorologisch stehen wir vor dem Winter. Wenn man die Meldungen über die Finanzkrise, abstürzende Frachtraten (Welthandel!) usw. auswertet, kann man prognostizieren, dass es (auch) auf dem Arbeitsmarkt bald fürchterlich krachen und auch die Zahl der Firmenzusammenbrüche dramatisch ansteigen wird."
Aber die Auswertung solcher Meldungen überfordert offenbar die Wirtschaftswissenschaftler. Oder eine solche Erkenntnismethode ist nicht "zünftig". Wie die Pestärzte (bzw. die Mediziner damals überhaupt) im Mittelalter: lieber zünftig Unfug gemacht als unvoreingenommen beobachtet.
Nachträge 10.12.2008:
Florian Rötzer von "Telepolis" hält nichts von einer Mehrwertsteuersenkung ("Verpuffen die teuren Konjunkturprogramme?").
"Konjunkturspritze. EU-Parlament fordert 260 Mrd. Euro" berichtet Wolfgang Proissl aus Brüssel in der Financial Times Deutschland (FTD) vom 24.11.08 [es ist übrigens eine Unsitte, das Publikationsdatum ganz unten zu verstecken!]:
"Die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europaparlament fordert ein deutlich größeres Stimuluspaket als die Kommission bislang plant. Allein für 2009 seien 260 Mrd. Euro nötig."
Oswald Metzger, ehemaliger Abgeordneter der Grünen und mittlerweile CDU-Mitglied, hält noch gegen die Defizit-Spendierer. In seinem Focus-Blog "Einspruch) schreibt er unter der Überschrift "Die alimentierte Marktwirtschaft" (17.11.08):
"Die Politik setzt in diesen Tagen eine Kostenlawine in Gang, die unseren öffentlichen Budgets neue Rekordschulden aufhalst. Wer wird dafür den Kopf hinhalten? Wir Konsumenten und Produzenten, ob Arbeitnehmer oder Unternehmer, werden letztlich überall auf der Welt die Zeche zahlen – mit höheren Steuern und Abgaben. Die gewaltigen Defizite werden zum denkbar gefährlichsten Bumerang für eine gesunde wirtschaftliche Erholung. Wir treiben derzeit den Teufel Rezession mit dem Beelzebub einer gigantischen Staatsverschuldung aus."
Am 06.12.2008 legt Metzger im Beitrag "Die Rezession als Depressions-Orgie" noch einmal nach:
"In Deutschland, Europa und der Welt ist ein Überbietungs-Wettlauf in Gang gekommen. Das Motto scheint zu lauten: Viel hilft viel oder wer bietet, respektive fordert, mehr! Von Ludwig Erhard stammt der Spruch: „Wirtschaft ist zu 50% Psychologie!“ Wir erleben derzeit eine schizophrene Veranstaltung. Auf der einen Seite werden überall die Rezessionsängste geschürt, auf der anderen Seite Konjunkturpakete geschnürt, die uns Verbrauchern Lust auf das Geldausgeben machen sollen. Wer glaubt, dass diese Strategie aufgeht, sollte einen Psychiater aufsuchen. Zum Thema Psychologie und Wirtschaft noch ein kleiner Hinweis. Der Mensch glaubt subjektiv erst dann, dass er über mehr Geld verfügt, wenn sein Einkommen netto um mindestens 10% steigt. Die Wirtschaftspsychologie hat diesen Schwellenwert definiert. Der Auslösewert für echtes Konsumhandeln ist sogar erst dann erreicht, wenn man 15% Einkommenszuwachs erreicht hat. ..... Womöglich werden wir einfach zu akzeptieren haben, dass der kreditfinanzierte Konsum ("Mein Haus, mein Auto, mein Segelboot, meine Urlaubsreise!"), über den immer mehr Menschen ihren Selbstwert definiert haben, auf Dauer nicht allein trägt. Die gigantische Selbsttäuschung platzt und wir werden lernen müssen, uns zu bescheiden. Vielleicht müssen wir uns im Kapitalismus auf einen neuen Wertekanon einstellen: Weniger kann mehr sein!"
Hübsch gesagt, die Sache mit dem "weniger kann mehr sein", und eigentlich teile ich ja auch voll die Meinung von Hr. Metzger. Das Problem ist nur, dass schon ein relativ geringer prozentualer Rückgang Panik auslöst - und tatsächlich ja auch enorme Folgen für viele Menschen hat. Zwei oder drei Prozent weniger, oder auch nur stagnierende Wirtschaftsleistung sind für eine große Zahl von Menschen 100% Arbeitslosigkeit. Und vielleicht 5 oder 10% Steuerrückgang usw. Die Lastenverteilung ist das Problem. Das war es letztlich auch, was mich in der Umweltdebatte gegen das naive Gerede von "wenn wir nur alle etwas weniger ..." so auf die Palme bringt (vgl. etwa meinen Blott "Auf Zeit-Seite Eins rettet Iris Radisch die Erde. Doch leider so, dass ich bald kotzen werde"): Dass nicht bedacht wird, wie sehr uns schon scheinbar geringe Verwerfungen aus der Bahn werfen, insbesondere die weniger Begüterten treffen.
Letztendlich wird sich das zwar ohnehin nicht vermeiden lassen, aber man sollte sich dieser Problemdimension bewusst sein und sie offen ansprechen anstatt scheinbar harmlos nur von "weniger kann mehr sein", oder "wenn wir uns nur ein wenig einschränken würden" usw. herumzulabern.
Nachträge 14.12.2008
Um wie geringe Prozentzahlen es bei der "Weltwirtschaftskrise" möglicher Weise geht wird deutlich, wenn man den Bericht "Wachstumsprognose. Ifo: Wirtschaft schrumpft 2009 und 2010" im Handelsblatt vom 11.12.2008 liest:
"Bislang stammte die pessimistischste Wachstumsprognose aus Essen, doch nun legt das Münchner Ifo-Institut noch einen drauf: Im kommenden Jahr werde die Wirtschaftsleistung um 2,2 Prozent zurückgehen, teilte das Institut für Wirtschaftsforschung mit. Auch 2010 werde die Wirtschaft in Deutschland noch schrumpfen. ... Der deutschen Wirtschaft stehen nach Einschätzung des Münchner Ifo-Instituts zwei harte Jahre bevor."
Was sind schon 2,2% - absolut genommen? Und doch würde bereits ein solcher insgesamt quantitativ bescheidener Rückgang ungeheure soziale und ökonomische Verwerfungen auslösen (wobei ich selbst diese Vorhersage allerdings ohnehin noch für weitaus zu optimistisch halte). Irgendwie haben wir fundamentale Konstruktionsfehler in unserer Ökonomie, wenn wir nicht einmal derartig kleine Dellen managen können.
Was machen wir denn, wenn es irgendwann zu dramatischen Rohstoffverknappungen kommt?
Einen Zipfel des Problems - dass ein Minus von z. B. 2,2% eben nicht überall gleich wirkt - zeigt Jan Mölleken in "Rezession. Die Krise trifft nicht alle gleich" (ZEIT ONLINE vom 11.12.2008):
"2009 schrumpft die Wirtschaft um 2,2 Prozent, sagt das ifo-Institut voraus, und die Rezession soll bis 2010 dauern. Manche Branchen leiden besonders. Ein Überblick.
Einbrechende Exporte, sinkende Bauaufträge, schlechtere Kreditkonditionen, mehr Arbeitslose, höhere Staatsschulden: So lässt sich die Vorhersage der ifo-Forscher für die kommenden zwei Jahre zusammenfassen. Auch 2010 werde das Bruttoinlandsprodukt noch schrumpfen, sagen sie, aber nur um 0,2 Prozent. Im Verlauf von 2009 dürften sich 540.000 Menschen zusätzlich arbeitslos melden, erwarten die Ökonomen. Die durchschnittliche Quote liege dann bei 8,0 Prozent.
Nicht alle Sektoren sind gleichermaßen von der Krise betroffen. Eine Übersicht über ausgewählte zentrale Branchen ...".
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat mittlerweile die Briten für ihre konjunkturpolitischen Versuche kritisiert: "Konjunkturdebatte. Steinbrück verärgert Briten" erfahren wir z. B. in der ZEIT ONLINE vom 11.12.2008. Stein des Anstoßes war sein Interview mit Stefan Theil vom amerikanischen Nachrichtenmagazin "Newsweek" u. d. T. " ‘It Doesn’t Exist!’ Germany's outspoken finance minister on the hopeless search for 'the Great Rescue Plan.' " Es empfiehlt sich, das Interview selbst zu lesen, denn dort (in der deutschen Presse leider kaum)erfährt man, worum es hier geht und wieso sich Steinbrück derart auf die Hinterbeine stellt: Deutschland sollte wieder einmal für Europa bluten; das will er, völlig zu Recht, verhindern (meine Hervorhebungen):
"We have a bidding war where everyone in politics believes they have to top up every spending program that's been put to discussion. I say we should be honest to our citizens. Policies can take some of the sharpness out of it, but no matter how much any government does, the recession we are in now is unavoidable. When I look at the chaotic and volatile debate right now, both in Germany and around the world, my impression and concern is that the daily barrage of proposals and political statements is making markets and consumers even more nervous. Still, Brussels is pressing for a joint European approach. For a while the position in Brussels and a few other places has been 'We're now very much for setting up large-scale spending programs, but we're not really going to ask what the exact effects of those might be. And since the amounts are so high, well, let's get the Germans to pay because they can.' Ms. Merkel and I are trying to calm them down a bit just now, and understandably that's getting us criticized. ...
The speed at which proposals are put together under pressure that don't even pass an economic test is breathtaking and depressing. Our British friends are now cutting their value-added tax. We have no idea how much of that stores will pass on to customers. Are you really going to buy a DVD player because it now costs £39.10 instead of £39.90? All this will do is raise Britain's debt to a level that will take a whole generation to work off. The same people who would never touch deficit spending are now tossing around billions. The switch from decades of supply-side politics all the way to a crass Keynesianism is breathtaking. When I ask about the origins of the crisis, economists I respect tell me it is the credit-financed growth of recent years and decades. Isn't this the same mistake everyone is suddenly making again, under all the public pressure? .....
It's the yearning for the Great Rescue Plan. It doesn't exist. It doesn't exist! Dealing with an unprecedented crisis is a puzzle, a trial-and-error. Honestly, I don't know. I tend to be skeptical because it is human nature to see the crisis as even worse than it is. I don't want to downplay anything; 2009 looks like it will be a very difficult year. But we are not about to collapse. .....
Making political decisions means taking responsibility in an environment of uncertainty. When in doubt, I'd say the risk is greater of burning money without significant effects and in the end having a budget weighed down with even more debt. For me the only stimulus measures that make sense are those that create jobs and have a positive structural effect beyond the economic cycle. .....
America will continue to play a dominant role, but there will be others who also have a role, in Asia obviously. Europe will have to search for and find its future role. The financial summit in Washington was a symbol. Do you really think that you're going to get these debates from a G20 format back down to the G7? I'm rather skeptical. .....
Europe is difficult to coordinate, and our main deficit may not even lie in this area of finance and economics, but in foreign and security policy. We have a leadership problem because we are still 27 different members who have still not decided on how to work with each other based on what we used to call a European constitution. .....
I'm ambivalent about [German] leadership. That Germany makes its contribution, that our capabilities are neither underestimated nor overestimated, I can live with that.."
Das mit den Briten hätte er vielleicht etwas indirekter formulieren können: 'Eine Mehrwertsteuersenkung zum Zwecke der Konjunkturstimulierung halte ich nicht für sinnvoll, weil ...'. Im übrigen vertritt Steinbrück aber eine intelligente Position und verteidigt legitime deutsche Interessen mit wünschenswerter und lobenswerter Entschlossenheit.
Er hat (und wir haben!) es nicht verdient, dass z. B. Philip Faigle in der ZEIT ONLINE vom 11.12.2008 ihm in den Rücken fällt: "Streit um Finanzpolitik. Peer gegen den Rest der Welt".
Dass "Steinbrück gegen den Rest der Welt" argumentiert, meint zwar auch Thorsten Denkler in seinem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung vom 11.12.2008. Aber nach seiner Meinung ist Steinbrück hier "Der Bad Guy im Recht":
"Der Finanzminister teilt seinen Kollegen öffentlich mit, was er von ihren Konjunkturprogramm-Phantasien hält - und findet sich in einer Interview-Schlacht mit Premier Brown wieder. Einer muss es ja machen. .....
Es ist derzeit also nicht von Übel, einen Finanzminister zu haben, der ein wenig auf die Bremse tritt, wenn die anderen Vollgas geben wollen. Dass er dabei die diplomatischen Sitten verletzt und per Interview seine europäischen Kollegen anschwärzt, spricht eher für seine Kaltschnäuzigkeit als gegen seine Kompetenz."
Trotz allem tut sich auch in Deutschland anscheinend was in Sachen 2. Konjunkturprogramm: "Gegen die Krise. Steuersenkung im Januar?" berichtete die ZEIT ONLINE am 13.12.2008:
"Die Bundesregierung arbeitet angeblich an einem zweiten Konjunkturprogramm im Umfang von mindestens 30 Milliarden Euro. Dazu sollen auch Steuerentlastungen gehören. ... Kernpunkte des Programms seien die Beseitigung der sogenannten kalten Progression bei der Einkommensteuer. Sie führt dazu, dass Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen durch Inflation und Gehaltserhöhung überporportional belastet werden. ... Die kalte Progression soll allein von 2006 bis 2009 Steuermehrbelastungen von 18 Milliarden Euro verursacht haben. ... Weiter geplant ist ... eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge durch einen Zuschuss zum Gesundheitsfonds ... . Darüber hinaus solle es ein zweites Infrastrukturprogramm sowie Steuerschecks für sozial Schwache als Einmal-Zahlung zur Ankurbelung des privaten Konsums geben." [Mehr in der Wirtschaftswoche]
Mir soll's recht sein, wenn die 'kalte Progression' kaltgemacht wird: dann kann ich vielleicht mal was auf die hohe Kante legen. Verkonsumieren werde ich das Geld sicher nicht: ich bin ja nicht [mehr so] blöd [wie zu Zeiten der Technologiebase].
Hier eine deutsche Diskussion, die eher auf Seiten Steinbrücks steht.
Paul Krugman, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger, kritisiert das deutsche Zögern in einem kurzen Blog-Eintrag "The German Problem" und in einem längern Beitrag vom folgenden Tag (11.12.08) "The economic consequences of Herr Steinbrueck". In beiden Fällen habe ich den Eindruck, dass auch nicht-deutsche Leser überraschend viel Verständnis für die deutsche Interessenposition aufbringen. Aber im Hinblick darauf, dass ein 2. Konjunkturpaket in Deutschland zweifellos kommen wird (und, wenn das nicht hilft, mit Sicherheit auch noch ein 3. ... usw.), ist Krugmans Kritik, wenn sie überhaupt berechtigt wäre, ohnehin obsolet.
Sehr positiv für bzw. über Merkel und Steinbrück äußert sich Bernd Ulrich in seinem Artikel "Merkel und das Konjunkturprogramm. Mutwillig", DIE ZEIT, 04.12.2008:
"Mehr Schulden für eine bessere Konjunktur? Warum Angela Merkel sich gegen den Rest der Welt stellt."
Prof. Martin Klein von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat schon vorher gewusst, dass Deutschland mit einem 2. Konjunkturpaket ran muss: "Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt ... " meinte er schon am 24.11.08.
Ein für mich persönlich positiver "Fallout" der Steinbrück-Debatte ist meine Entdeckung des o. a. Blogs von Prof. Klein und eines weiteren deutschen (wenngleich im wesentlichen nicht deutschsprachigen) akademischen Blogs zum Thema Finanzmarkt / Finanzkrise / Finanzmarktkrise (in den USA dagegen hat man den Eindruck, das beinahe jeder Wirtschafts-Prof. auch Blogger ist): "Global Financial Markets (GFinM)" heißt er und wird wie folgt erläutert:
"This is the blog of the Ph.D. programme on global financial markets and international financial stability at the University Jena and the University Halle, Germany. Both Universities conduct a 5 years research and Ph.D. programme especially designed to study global financial markets, their functioning and their stability."
Zur amerikanischen Diskussion um das dortige Konjunkturförderprogramm des designierten Präsidenten Barack Obama vgl. "US-Konjunktur. Obamas großer Plan" auf ZEIT ONLINE v. 7.12.2008:
"Der kommende US-Präsident plant ein gigantisches Konjunkturprogramm. Doch es herrscht Skepsis, auch im eigenen Lager."
ZEIT-Herausgeber Josef Joffe, eigentlich ein Befürworter von Konjunkturprogrammen, ist gegen Konsumgutscheine skeptisch: Unter "Eine Handvoll Dollar" schreibt in DIE ZEIT, 04.12.2008: "Deutschland diskutiert über Sinn und Unsinn von Konsumgutscheinen. Die USA haben ihren Bürgern schon oft Geld geschenkt, doch es wirkt nur bedingt. Die Skepsis bleibt".
"Der Konsument ist nicht dumm" (ZEIT ONLINE 3.12.2008):
"Die Regierung wird es schwer haben, den Konsum anzukurbeln, sagt der Ökonom und Psychologe Detlef Fetchenhauer. Im Gespräch erklärt er, warum Steuersenkungen sinnlos und Käuferstreiks vernünftig sind."
Nachtrag 26.12.2008:
"DIE ZEIT" kann auch anders. Thomas Fischermann und Mark Schieritz wägen in ihrer Analyse "Konjunktur. Der Staat schafft an" v. 17.12.2008 pro und kontra auf der Grundlage historischer Erfahrungen und wirtschaftswissenschaftlicher Schulmeinungen sehr ausführlich ab. Zum Schluss läuft der Artikel allerdings ebenfalls auf die Forderung nach einem Konjunkturprogramm hinaus.
Nachträge 27.12.08:
Ein "Stimulus Spending Skeptic", also ein Konjunkturpaketwirkungszweifler, ist der bekannte US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Gregory (Greg) Mankiw. Hier Links zu einigen seiner entsprechenden Blog-Einträge:
- "Stimulus Spending Skeptics" vom 18.12.08. Auszug (meine Hervorhebungen):
"Skepticism, rather than unequivocal opposition, is the right word. When contacted, I said the same things I have been saying on this blog: that monetary policy is not out of ammunition, and that tax cuts are potentially more potent than spending increases. I could have added that a spending-based stimulus to address the current short-term crisis might lead to a long-term increase in the size of government, but I doubted that concern would sway Team Obama. In general, I think economists need a large dose of humility when evaluating alternative proposals to deal with the current downturn, as there is still a lot we do not understand.
I am sure I am not the only person in the economics profession skeptical of spending increases to stimulate the economy." Was freilich Steuersenkungen angeht, bin ich selbst - und zwar als Steuerzahler - gegenüber solchen verlockenden Stimulanzien weitaus skeptischer als gegenüber Konjunkturpaketen. Konjunkturpakete kosten vorübergehend (viel) Geld. Steuersenkungen dauerhaft. Bezahlen muss in jedem Falle der Steuerzahler; sogar 'doppelt' bezahlen, weil solche Maßnahmen in aller Regel über Kredite finanziert werden. Der Verheißung, dass Steuersenkungen die Wirtschaft dauerhaft ankurbeln (und dann zu höheren Steuereinnahmen führen) glaube ich nicht; das mag in bestimmten Situationen zutreffen; eine allgemeine Gültigkeit lässt sich aber schon im Gedankenexperiment leicht widerlegen, denn wenn die Steuern auf Null gesunken sind, kann kein Wirtschaftswachstum das Sprudeln der Steuerquellen fördern. Auch in diesem Zusammenhang gilt Mankiws seine eigene Meinung wonach "economists need a large dose of humility"!
- Unter "Another Stimulus Spending Skeptic" vom 20.12.2008 hat er eine Leserzuschrift von einem (wohl gehobenen) Mitarbeiter des DoD (Department of Defense, also des Verteidigungsministeriums) veröffentlicht. Der ist hauptsächlich deswegen skeptisch, weil er (aus seiner konkreten Erfahrung heraus) die bürokratischen Apparate bei einem plötzlichen Ausgabenzwang überfordert sieht:
"I work for the DoD and when the Department of Homeland Security was established,we helped them with many things, not the least of which was contracting. To make a long story short, you cannot juice up a government agency's budget by tens of billions (or in the case of the stimulus package, hundreds of billions) and expect them to be able to process the paperwork to contract it out, much less oversee the projects or even choose them with any kind of hope for success. ..... It was years before DHS got the situation under control and between the start and when they finally assembled a sufficiently capable team of lawyers, contracting officials, technical experts and resource managers, most of the money was totally wasted. Now take the DHS situation and multiply it by 20 and you've got the Obama stimulus package. Even if they hand the money to existing governmental agencies, the situation will be the same. Those existing agencies are working full time administering the budgets they have. They can't just add a zero at the end of each contract and be done with it."
Gegenüber dem deutschen Konjunkturpaket würde eine solche Kritik allerdings nicht gelten, weil es hier um sehr viel kleinere Größenordnungen geht; und selbst davon wird wohl bestenfalls ein geringer Anteil in öffentliche Investitionen fließen.
- "Backus on Spending Stimulus" vom 26.12.2008 ist die Veröffentlichung einer Zuschrift des ebenfalls skeptischen Volkswirtschafts-Professors David Backus an Mankiw. Seine Einwände:
Hard to do (wie vor) // Bad timing (wirkt stark verzögert bzw. zu spät) // Small multiplier (suboptimale Hebelwirkung) // It's the financial system, stupid ("If we don't fix it, no amount of fiscal stimulus will make much difference". Das ist keine unproblematische Aussage, weil sie in Richtung auf ein "weiter so" des Finanzsystems gedeutet werden könnte: was genau stellt Backus sich unter einer 'Reparatur' vor?) und schließlich Long-term budget issues (Hinweis auf zukünftige - demographisch bedingte - fiskalische Belastungen für Gesundheitsversorgung und Renten). Dieser letztere Einwand erscheint mir freilich als der schwächste von allen, weil a) eine Ankurbelung der Wirtschaft ja gerade eine Voraussetzung wäre, um die Belastungen für das Gesundheits- und Rentenwesen zukünftig überhaupt stemmen zu können und b) ein (vorübergehendes) kreditfinanziertes Konjunkturpaket die Steuerzahler immer noch billiger kommt als eine dauerhaft bzw. längerfristig kreditfinanzierte Steuersenkung.
Von besonderem Interesse erscheint mir allerdings Mankiws Eintrag vom 22.12.2008 unter der Überschrift [meine Hervorhebung] "How Not to Stimulate the Economy ". Hier spricht Mankiw das Problem der Messbarkeit des Nutzens von öffentlichen Ausgabenprogrammen an, bzw. im Grunde Fragwürdigkeiten der gängigen statistischen Erfassung von Wirtschaftsleistung überhaupt (wie sie in anderer Weise z. B. der Ökonom Herman Daley im Zusammenhang mit der Umweltfrage thematisiert hatte). Mankiw warnt:
"If the government spends a fiscal stimulus package on goods and services without much public value (as in Case C), it could well stimulate the economy as measured by macroeconomic aggregates but leave the participants in the economy worse off (compared with a feasible alternative, Case A). Avoiding this trap requires that the government spend taxpayers dollars only those items that pass a strict cost-benefit test. That is hard to do quickly. Willy-nilly spending is a good way to stimulate the economy only if the outcome is judged by the wrong metric." D. h. es besteht die Gefahr, dass die gemessenen Daten einen Scheinerfolg suggerieren. Allerdings glaube ich, dass Politik, Presse, Ökonomen und letztlich auch der "Mann auf der Straße" eine solche Diskrepanz schon merken würden.
Nachtrag 04.01.2009:
"Bundesregierung darf EU-Konjunkturpaket nicht blockieren" heißt es in einer Presseerklärung der Kommunistin (Marxistin) Sahra Wagenknecht auf ihrer Homepage vom 26.11.08. Wir werden hier wieder einmal Zeugen jenes Mechanismus, wo die einen fordern und die anderen die Forderungen bedienen - indem sie Staatsschulden machen. Das ist keineswegs die Absicht der Europaabgeordneten der Linken (die vielmehr eine Vermögenssteuer fordert). Aber es ist das übliche Ergebnis des politischen Billiardspiels.
Weitaus übler ist allerdings das populistische Steuersenkungsgeschrei der Seehofer-Truppe CSU in Bayern. Die Rechten fordern alles Mögliche, die Linken (SPD) halten verantwortungsbewusst dagegen. Die wahren vaterlandslosen Gesellen sitzen eben weniger links (Linksaußenparteien wie "Die Linke" ausgenommen), als vielmehr rechts!
Nachtrag 08.01.09
Substantielle Argumente (allerdings bezogen auf die Situation in den USA) gegen Konjunkturprogramme bringt Peter Schiff, Euro Pacific Capital president. Vgl. den Bericht von Joe Weisenthal: "Peter Schiff: Stimulus Spending Is A Weight-Loss Miracle Drug" vom 28.12.08.
Kritik auch hier in Mish's [Mike "Mish" Shedlock] Global Economic Trend Analysis v. 2.1.09: "How "Something For Nothing" Ideas Become Policy".
Im Grunde genommen war es nicht anders zu erwarten, als dass beim Schnüren des “Konjunkturpakets II” ethische und ökologische Überlegungen nicht nur hintangestellt, sondern samt und sonders über Bord geworfen werden. Als wesentlich anderes als einen ethischen wie ökologischen Skandal läßt sich nämlich die offenbar beschlossene Abwrackprämie für “Altautos” nicht bezeichnen.
Nachtrag 22.01.09:
Der (von mir aus Zeitmangel zwar nicht häufig gelesene, aber nach einigen Stichproben hoch geschätzte) Blog "weissgarnix" von Frank Lübberding und Thomas Strobl brachte am 13.1.09 u. d. T. "Konjunkturpolitische Dekadenz" eine scharfe Kritik am ökonomisch-ökologischen 'Weiterso' des 2. Konjunkturprogramms in Deutschland (die aber weitgehend wohl für alle Konjunkturprogramme weltweit gelten dürfte).
Nachtrag 24.01.09:
Die alles entscheidende Frage, die ich zwar schon häufig gestellt habe, aber nicht begrifflich auf den Punkt bringen konnte, formuliert Georg Erber bei Readers Edition u. d. T. "Konjunkturmogelpackung 2.0" (7.1.09): "Konjunktur- oder Strukturkrise?"
Nachträge 17.02.09
Ein hübsches Bonmot über den Nutzen (bzw. die Nutzlosigkeit) von Konjunkturprogrammen hat der Finanzwissenschaftler Prof. Stefan Homburg in einem Interview (Titel: "Politisch enthemmt") mit der Wirtschaftswoche (Bert Losse) vom 25.10.08 geprägt (meine Hervorhebung):
"WirtschaftsWoche: Professor Homburg, helfen Sie uns weiter. Was genau ist ein Konjunkturprogramm?
Homburg: Ich würde es so definieren: Ein Maßnahmenpaket, das die Staatsausgaben erhöht, die Einnahmen unverändert lässt – und nichts bringt außer höheren Schulden."
Einen außergewöhnlichen Krisenkommentar "Our Lost Decade?" hat Robert J. Samuelson in der Washington Post vom 16.12.2009 veröffentlicht. Bemerkenswert ist er deshalb, weil er
a) mit den in der Öffentlichkeit verbreiteten Mythen über die "Japan-Krise" der 90er Jahre aufräumt (meine Hervorhebungen):
"... We argue by analogy. The president says that Japan's history demonstrates the need for his "stimulus package." To the contrary, claim Hannity and other conservatives, Japan shows that stimulus plans don't work. Up to a point, they're both right. ...
What happened to Japan in the 1990s?
It did not, as some commentators say, suffer a "depression." Not even a "great recession," as others put it. Japan experienced a listless, boring prosperity. Its economy expanded in all but two years (1998 and 1999), although the average annual growth rate was a meager 1.5 percent. Unemployment rose to 5 percent in 2001 from 2.1 percent in 1990. Not good, but hardly a calamity. Japan remained a hugely wealthy society.
Its situation ... confounded conventional wisdom. From 1956 to 1973, Japan had grown 9 percent a year; in the 1980s, it was still growing at 4 percent. ... its semi-stagnation defied the notion that modern economics enabled government to ensure adequate growth.
Papers were written ... and the verdict rendered: The Japanese had botched it. After the "bubble economy" of the late 1980s burst, the Bank of Japan had eased credit too slowly. Burdened with bad loans, banks stopped lending; government didn't cleanse the banks quickly enough. Government stimulus packages were too little, too late. ... All plausible -- and wrong.
The standard analysis reassures, because it suggests that with better decisions Japan might have avoided its prolonged slowdown. The reality seems to be that Japan's economic reverses reflect deeply held social and political values. ...
Japan has ... "dual economy." On the one hand, export industries (autos, steel, electronics) are highly efficient. They face intense global competition. On the other, many domestic industries (food processing, construction, retailing) are inefficient and sheltered from local competition by regulations or custom.
This has suited most Japanese. Exports earned the foreign currency needed to buy food and fuel imports. Meanwhile, protected domestic industries provided the job security and social stability that most Japanese preferred to hyper-competition. While exports thrived, they -- and the supporting business investment -- were Japan's engine of economic growth.
... this system broke down in the mid-1980s. The rising yen made Japanese exports costlier on world markets. New competitors -- South Korea, Taiwan -- emerged. Japan lost its engine of growth and hasn't found a new one. That is Japan's central economic problem.
Government has tried. In the 1980s, the Bank of Japan sought to offset the effect of the higher yen with cheap credit. This backfired, resulting in the bubble economy. ... Since the bubble's collapse, there have been 13 stimulus plans, reckons economist Randall Jones of the Organization for Economic Cooperation and Development."
Am Schluss überlegt Samuelson, ob es nicht spezifisch amerikanische "deeply held social and political values" gibt, die analog zum "verlorenen Jahrzehnt" der japanischen Wirtschaft zu einer "lost decade" in den USA führen könnten:
"Since the early 1980s, American economic growth has depended on a steady rise in consumer spending supported by more debt and increasing asset prices (stocks, homes). Just as the mid-1980s signaled the end of Japan's export-led growth, the present U.S. slump signals the end of upbeat, consumption-led growth. But its legacy is an overbuilt and overemployed consumption sector, from car dealers to malls. The question is whether our system is adaptive enough to create new sources of growth to fill the void left by retreating shoppers." Gute Frage!
[Einen sehr konzentrierten und mit einer Fülle von Zahlen und Grafiken untermauerten bzw. gewürzten Vergleich der Japankrise mit der Weltwirtschaftskrise Nr. 2 hat Richard Koo, Chefvolkswirt Nomura Research Institute in Tokio, u. d. T. "The Age of Balance Sheet Recessions: What Post-2008 U.S., Europe and China Can Learn from Japan 1990-2005" erarbeitet (Oktober 2008).]
Nachtrag 22.02.09
Am Modell einer 'Inselwirtschaft' erläuterte ein gewisser Mike Adams am 9.2.09 seine Auffassung, wonach ein Konjunkturprogramm keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen kann: "xxxxxc". Ich konnte aus Zeitmangel nur flüchtig drüberschauen, und sicherlich enthält sein Modell eine Reihe von Denkfehlern. Trotzdem ist es als Ausgangspunkt immer stimulierend, sich ökonomische Wirkzusammenhänge in möglichst einfachen Modellen zu denken; genau das versuche ich ja auch zu tun.
Nachtrag 24.02.09
"Irgendwann ist Zahltag" mahnt ein Autorenkollektiv (8 Personen) in einem langen Artikel bei Spiegel Online vom 26.01.09:
"Die Rettungspakete für die Wirtschaft werden stetig teurer. Sie drohen viele Länder finanziell zu überfordern. Die Folgen treffen jeden Bürger: Eine schleichende Geldentwertung ist unausweichlich, Staatspleiten werden nicht mehr ausgeschlossen. Könnte selbst der Euro-Raum zerfallen?"
Ungefähr in der Mitte (S. 5 ff. in meinem Ausdruck) wird auch recht ausführlich die Frage der Kollektivhaftung bzw. Solidarhaftung der Mitglieder der Eurozone füreinander erörtert. Ein weiterer langer Abschnitt am Schluss (S. 8 - 10) befasst sich mit der Frage, ob sich der Staat seiner Schulden durch Inflation entledigen wird.
Textstand vom 24.02.2009. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.
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