Sonntag, 1. Februar 2009

Alle reden von der Konjunkturkrise. Wenige noch vom Klima. Fast niemand von der Ressourcenverknappung.

Einige sprechen noch davon (vgl. dazu meinen Blott "Konjunkturpolitik in 2. Weltwirtschaftskrise (WWK II): Ohne Konjunkturprogramme steuern wir in den Abgrund. Mit Ankurbeln steuern wir gegen die Wand"). Schon vor einigen Jahren hatte ich die Problematik in einem anderen Zusammenhang untersucht, nämlich hinsichtlich der Erwartung, durch eine geänderte Finanzierungsform die Renten langfristig sichern zu können. Meine damalige Kritik lässt sich, mutatis mutandis, unschwer auf die aktuellen Entwicklungen übertragen.
Hinter dem Vorschlag, das Umlageverfahren (Beiträge) in unserer Rentenversicherung durch ein Kapitaldeckungsverfahren zu ersetzen (jeder spart für sich selbst) stecken folgende ökonomische Annahmen: 1) dass wir auf diese Weise mehr Kapital ansammeln, 2) dass wir dieses Kapital investieren, und zwar zusätzlich zu dem, was ohnehin investiert wird bzw. worden wäre und
3) dass auf diese Weise die Wirtschaft auf Dauer stärker wächst als das ohne diese zusätzlichen Investitionen der Fall gewesen wäre.
So jedenfalls haben 33 führende Wirtschaftsprofessoren ihre Forderung nach einer teilweisen Umstellung der Rentenfinanzierung vom Kapitaldeckungsverfahren auf das Umlageverfahren begründet. (Vgl. das Gutachten "Grundlegende Reform der Gesetzlichen Rentenversicherung". Erstellt hat es der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) Anfang 1998 und publiziert wurde es im April 1998 als Nr. 99 der "Studienreihe des BMWi".
Mit diesem Gutachten, bzw. den explizit und implizit dahinter stehenden Annahmen, habe ich mich auf meiner Webseite "Rentenreich" umfänglich auseinandergesetzt.
Die Annahme 2) war schon damals obsolet. Es gab zahlreiche Anzeichen dafür, dass die Kapitalschöpfung die Kapitalabsorptionsfähigkeit der Industriegesellschaften überstieg. (Außerdem muss eine Steigerung des Investitionskapitals durch Zwangssparen der Rentner zu einer Verminderung des Konsumpotentials führen – und die schwächelnde Nachfrage ist ja gerade eine der Ursachen unserer derzeitigen Weltwirtschaftskrise.)
Hier geht es mir aber nicht um eine abstrakt ökonomische Problematik, sondern um die ökologische Seite.
Nicht als Beitrag zur Rentenfinanzierungsdebatte, sondern als Beitrag zum aktuellen Meinungsstreit über die Konjunkturpakete möchte ich einen Abschnitt reproduzieren, der sich mit den zu erwartenden ökologischen Auswirkungen beschäftigt. Man braucht an die Stelle des Kapitalsparens zwecks Rentenfinanzierung lediglich das Konjunkturprogramm zu denken, anstelle von Flugzeugen und Flughafen Automobile und Automobilfabriken, um weitgehende Parallelen zu erkennen.

In meinem Essay (aus dem Jahre 2004) findet sich dieser Abschnitt unter der Überschrift "Denkmodell Toll". Nachfolgend ein leicht geänderter Auszug:

Der US-Amerikaner Paul S. Hewitt kommt in seinem unbedingt lesenswerten Aufsatz "Depopulagion and Ageing in Europe and Japan: The Hazardous Transition to a Labor Shortage Economy" (Internet-Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft Online" Nr. 1/2002) ohne Umschweife zum Kernproblem (nicht nur) der zu erwartenden Rentenkrise: "Like it or not, our economic and social organization depends on continued economic expansion" heißt es dort. Deskriptiv hat er sicherlich recht. Normativ kann das aber kaum der Weisheit letzter Schluss sein. Dürfen, können, sollen wir uns wirklich damit abfinden, dass das 'nun mal so ist', oder wollen, sollen, müssen wir nicht auch die Umweltdimension in unsere Rechnung einbeziehen, weil wir sonst die Wachstumsprognosen ohne den Wirt machen? Versuchen wir also, unsere Umweltzukunft in einem handfesten Prognosemodell dingfest zu machen.
"Toll" kann man das zwar auch finden, aber hier soll die Buchstabenfolge nur als Abkürzung für "Take-off and later landing" dienen. Ein solches Flügellähmungsszenario könnte sich schon bald z. B. wie folgt materialisieren:
2010 – Die Flughafen Frankfurt AG ist voll in privaten Händen. Der weitere Ausbau des Flughafens wird von den Aktionären, darunter nicht zuletzt KDV-Fonds, finanziert.
2015 – Da der Konsum wegen der Kaufkraftabschöpfung durch die KDV-Beitragsleistungen nach wie vor lahmt, erlässt die Regierung einen Aufruf an alle: 'Sichert die Renten – fliegt öfter in Urlaub!'
2020 – Das Flugreisen-Plansoll wurde um 200% übererfüllt. Leider ist nun die Atmosphäre dermaßen zerstört, dass militante Umweltgruppen von der Regierung ein Eingreifen verlangen.
2025 – Flugreisen werden wegen Umweltgefährdung gänzlich untersagt. Die Anlagen werden renaturiert: Da auf diese Weise aber auch Arbeitsplätze wegfallen und die Renten durch ausbleibende Profite aus den KDV-(Fehl-)Investitionen gefährdet sind, beschließt das Parlament die Einführung einer Konsumersatzsteuer. Aus der Flughafen AG wird die Firma 'FlugFreiFrohFiskalFinanz AG (um die Aktien an der New York Stock Exchange listen zu können, ändert man später den Firmennamen in "Quintuple 'F' AG"). Die Arbeitnehmer des Flughafens und der Luftfahrtgesellschaften werden in diese aus der Konsumersatzsteuer finanzierte Beschäftigungsförderungsgesellschaft übernommen. Größtenteils leisten sie dort Kurzarbeit Null. Der Rest bekommt eine historische Aufgabe: Umbau des Flughafengeländes zu einem Feuchtbiotop. Die Libellenstartbahn West wird feierlich freigegeben. Im verwaisten Empfangsgebäude hängt ein Transparent mit der zukunftsfrohen Botschaft: "Wo einst der Kranich sich erhob, singt bald die Libelle ihr Gotteslob". Eigentümer der Gesellschaft bleiben natürlich die Rentenfonds und private Kapitalanleger. Durch entsprechend hohe Zuwendungen aus der Konsumersatzsteuer sorgt der Staat für eine angemessene Rendite. Damit hat er die Renten gesichert, und, wie das Schicksal so spielt, gleichzeitig auch die Renditen der anderen Kapitaleigentümer.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Gefahr von Fehlinvestitionen groß ist, wenn man 'rein ökonomisch denkt'. So würde man auf den ersten Blick wohl formulieren, was allerdings irreführend wäre. 'Ökonomisch denken' heißt ja bei genauerer Betrachtung, dass man sich Gedanken über die zweckmäßige Verwendung knapper Ressourcen macht. Dass die Umwelt zu Zeiten von Adam Smith noch keinen besonderen Platz im Denken der damaligen Wirtschaftswissenschaft einnehmen konnte, ist historisch verständlich. Probleme, auch gravierende, gab es zwar schon damals und ebenso in früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden. Doch das waren lokal begrenzte, nicht (potentiell) weltweite Umweltschäden und Rohstoffverknappungen. Wir Heutigen haben indes keinen Grund, einen derartigen Bewusstseins-Rückstand zu perpetuieren. Genau das würden wir aber tun, wollten wir akzeptieren, dass die Umweltfrage in einem 'rein ökonomischen Denken' ausgeklammert werden kann. Wollen wir das nicht hinnehmen müssten wir feststellen, dass die Gefahr von Fehlinvestitionen groß ist, wenn man einfach ökonomische Tendenzen der Vergangenheit fortzuschreiben versucht. Nichts anderes als eine Fortschreibung bisheriger Entwicklungslinien betreiben indes die Tonnageideologen des Realkapitals [bzw. aktuell: der Konjunkturprogramme], wenn sie eine Steigerung des Sozialprodukts durch das Kapitaldeckungsverfahren [Konjunkturprogramme] anstreben.
Mein Denkmodell "Toll" zeigt übrigens nur ein Stückchen aus der Problemtorte, welche wir auf uns mit der Idee eines fortwährenden Wirtschaftswachstums backen. Bei meiner 'Libellenstartbahn' ging es 'nur' um die Frage der Umweltverschmutzung. In gleicher Weise kontraproduktiv für die mit dem KDV angestrebte Sicherung bzw. Steigerung des Konsumniveaus im Alter wird der Umstand sein, dass ein gesteigerter Ressourcenverbrauch zu einer weltweiten Verknappung und zu entsprechend höheren Kosten für den Materialeinsatz führt, mithin im Ergebnis eine Stagnation oder sogar eine Reduktion des Konsumpotentials auslösen könnte. Die erste Ressource, die uns ausgeht, wird vielleicht das Erdöl sein. Das wird es den Ölförderländern vielleicht schon bald ermöglichen, ganz unabhängig von Kartellbildungen wie der OPEC Knappheitspreise zu verlangen. Und selbst wenn die USA diese Länder unter Einsatz entsprechender Mittel 'überzeugen', die Preise nicht künstlich hoch zu treiben, werden allein schon steigende Gewinnungskosten die Rohstoffe verteuern. Es wäre naiv zu glauben, dass unser technischer Fortschritt derartige Probleme auf Dauer neutralisieren kann. Die Rohölgewinnung aus Ölschiefer z. B., oder gar die Destillation aus Kohle, wird sicher auf Dauer sehr viel kostspieliger bleiben, als einfach die Lagerstätten im Wüstenboden leer zu pumpen. Allgemein gesprochen, gehe ich also davon aus, dass die Förderkosten durch die Notwendigkeit zur Erschließung von ungünstigeren Lagerstätten (z. B. geringerer Gehalt, Beimischung anderer Stoffe und schlechtere Erreichbarkeit – Stichwort 'Meeresboden' -) stark steigen werden, und dass Rationalisierungsgewinne durch technischen Fortschritt die Kostennachteile schlechterer Lagerstätten nicht mehr (voll) kompensieren werden. Je mehr wir die Wirtschaft beschleunigen, desto schneller erreichen wir dieses Stadium. Es könnte eine Situation eintreten, in welcher uns die Beschleunigung der Produktion zwecks Rentensicherung (die ja nicht nur gesteigerte Investitionen in Fabriken usw. zur Folge hätte, sondern schon deshalb in relativ kurzer Zeit auch zu Konsumsteigerungen führen müsste, weil sonst Investitionen für den Kapitalbesitzer nicht rentieren) aufgrund der relativ stärkeren Ressourcenerschöpfung ausgerechnet dann teuer zu stehen kommt, wenn wir die Rentenfrüchte von unseren Kapitalsparbäumen pflücken wollen. Verblüfft würden wir dann vielleicht feststellen müssen, dass das Wachstum unseres Wunderbaumes die Bodenmineralien so erschöpft hat, dass er nur noch kleine Äpfelchen produzieren kann. Quasi eine volkswirtschaftliche Variante zu den betriebswirtschaftlichen "diseconomies of scale".
Nicht auszuschließen ist zwar die Möglichkeit technologischer Quantensprünge, welche (auch) die Kosten für die Rohstoffgewinnung verringern oder aber den Ressourceneinsatz drastisch senken könnten (Nanotechnologie?). Dass dies eintreten wird, ist sicherlich die unausgesprochene Erwartung hinter vielen Zukunftsentwürfen. Allerdings könnte diese Hoffnung ebenso blasenhaftig sein wie die Erwartung, dass die "New Economy" die bisher bekannten ökonomischen Gesetze aushebeln kann. Quasi eine "New Ecology"-(Gedanken-)Blase. Beiläufig sei noch vermerkt, dass der gegenwärtige (März 2004) starke Anstieg der Rohstoffpreise von den Fachleuten auf das Wirtschaftswachstum in China zurück geführt wird.
Das Argument, mit dem die Tonnageideologen des Realkapitals [der Konjunkturprogramme] gegenhalten und die ökologische Flanke ihrer Investitionssteigerungsphantasien argumentativ absichern werden, liegt auf der Hand: selbstverständlich werden die Investitionen zukünftig weitaus umweltfreundlicher durchgeführt als bisher, und überhaupt müssen wir ja viel mehr investieren, um den Übergang in die Nachhaltigkeitswirtschaft zu schaffen. Der Markt wird schon dafür sorgen, dass wir zukünftig schonender als bisher mit der Natur umgehen. Ich habe auch gar keine Zweifel daran, dass die Entwicklung fortschreitet. 100 Millionen Chinesen in 3-Liter-Autos statt 10 Millionen in 10-Liter-Autos sind ein durchaus realistischer Fortschritt gegenüber hypothetischen 100 Millionen in 10-Liter-Autos, gelle? Ich denke also, dass wir relativ gute Chancen haben, uns zu Tode produzieren (und das, noch ehe wir uns zu Tode amüsieren).
Bei uns wurden einst diejenigen, welche einst die Benzinsteuer auf 5,- DM erhöhen wollten, vom Wähler bestraft. Von den Sprit-Saugern in Transteichanien wollen wir gar nicht erst reden (solange sie das in Limousinen und Sportwagen tun, die von uns geliefert werden, wollen wir es ihnen jedoch nachsehen: da profitieren wenigstens auch wir vom gesteigerten Ressourcenverbrauch!). "Nachhaltigkeit wird auf dem Markt erreicht oder gar nicht" schreibt zwar Prof. Friedrich Schmidt-Bleek in dem Text "Nachhaltigkeit keine Utopie" [der Text, einst auf der Webseite "editiononline" im Netz, ist jetzt leider offline]. Zugleich weist er – wie viele andere auch - aber darauf hin, dass der Markt so, wie er derzeit funktioniert, in mancher Hinsicht die Realität verzerrt, indem er z. B. den Verbrauch natürlicher Ressourcen nicht mit angemessenen Preisen belastet. Und es deutet nichts darauf hin, dass wir ein massives Umsteuern eingeleitet oder auch nur im Sinne haben. Das KDV als Investitionssteigerungsprogramm ist [die Konjunkturprogramme sind] darauf angelegt, den Konsum (der Rentner) [unmittelbar] zu steigern. Aufwendungen für Umweltschutz [ein kostspieliges und riskantes Umsteuern] wirken da nur störend und Rendite mindernd. Die Renten-Aktionäre werden es gar nicht goutieren, wenn der Staat "ihre" Firmen mit Mehraufwendungen für eine Umwelt belastet, die doch bisher noch alles ausgehalten hat.
 
Warum rege ich mich eigentlich auf? Die 20 Jahre, die mir vielleicht noch verbleiben, wird die Welt noch durchhalten (meint auch James Lovelock). Und ansonsten verheizen wir halt unser Kinner ihr klein Häuschen – von der ersten bis zur zehnten Hypothek. Ökonomisch durch Hyperinflation; ökologisch durch unsere Weiterwirtschaft.
Und wieso sage ich eigentlich unserer Kinder Häuschen? Stimmt doch gar nicht: es ist eurer Kinder Haus, eurer Kinder Welt, die wir gerade verheizen!


Textstand vom 01.02.2009. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm. Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

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