"Geld aus dem Nichts" (Amazon-Kundenrezensionen; Inhaltsverzeichnis auf der Verlags-Webseite) hat Mathias Binswanger (Homepage; Wikipedia), Schweizer Professor für Volkswirtschaftslehre, sein im Jahr 2015 erschienenes Buch betitelt. Dort erklärt er, wie das Geld geschöpft wird und welche (positiven und negativen) Folgen die Geldschöpfung für die Realwirtschaft hat. Außerdem behandelt er das Eigenleben des Geldsystems (Teil IV "Geldschöpfung und Finanzmärkte: Spekulative Blasen und Finanzkrisen") sowie Möglichkeiten für und Zweckmäßigkeit von Reformen des Finanzsystems.
Binswangers nüchterne und korrekte Darstellung hebt sich angenehm von jener "Wunderheiler"-Literatur über das Geldwesen* ab, deren Autoren den Lesern mit marktschreierischen Argumenten das Blaue vom Himmel versprechen, wenn die dumme Menschheit nur ihren genialen Geistesblitzen folgen würde. Aber viele dieser Weltverbesserer verstehen noch nicht einmal die Funktionsweise unseres gegenwärtigen Geldsystems, oder sie beschwindeln skrupellos ihre Leser.
Bei Binswanger dagegen signalisiert bereits der Untertitel: "Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen", dass hier kein geldtheoretischer Scharlatan seinen intellektuellen Sondermüll unters Volk zu bringen versucht (dem er dafür den Kaufpreis für sein Buch abknöpft), sondern ein Fachmann, der um die Ambivalenz des Geldsystems weiß: Geldschöpfung aus dem Nichts ist nötig, um die Wirtschaftstätigkeit ausweiten zu können. Aber je nach Fallgestaltung kann sie auch schwere Krisen verursachen.
* Weitere Analysen habe ich hier und dort publiziert (über die Geldtheorie von Thomas Mayer, ehem. Chefvolkswirt der Deutschen Bank), sowie über die Vollgeld-Theorie und zwei Texte zur "Modern Monetary Theory".
Ich werde hier keine Rezension im üblichen Sinne vorlegen; das haben andere bereits getan, und wahrscheinlich besser, als ich das könnte. Beispiele:
- Webseite "Bankingclub"
- "Ein kritischer Blick auf das Kreditwesen" von Thomas Fuster, Neue Zürcher Zeitung vom 2.9.2015
- "Rezension 'Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen. Geld aus dem Nichts' " von Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET, 24.06.2015
- Keine eigentliche Rezension ist der Beitrag "Das grosse Missverständnis ums Geld" von Markus Diem Meier vom 28.09.2015 in dem Schweizer Wirtschaftsblog "Never mind the markets", baut aber für seine Argumentation auf Binswanger auf.
- Ebenfalls keine Rezension, aber im Zusammenhang natürlich sehr interessant, ist das Interview "Die Geldschöpfung aus dem Nichts ist nicht neutral" auf der Webseite von Lars Schall vom 01.09.2015 und ein weiteres
- "Die Banken schaffen Geld aus dem Nichts" in der ZEIT vom 19.02.2016.
- Dass Binswangers Aufsatz "Die Magie der Geldschöpfung" aus der Weltwoche vom 15.10.2013 vorliegend interessant ist (insbesondere für diejenigen, die nicht das Buch lesen), versteht sich angesichts des Titels von selbst.
- Gar nichts mit dem Geldschöpfungsthema hat ein anderer Artikel von Mathias Binswanger zu tun: "Wie die Uni-Ökonomen versagen – die Theorie der Prostitution als Mahnmal" im Blog "Ökonomenstimme" vom 19.01.2012. Er ist freilich unbedingt lesenswert - und das nicht wegen des (scheinbar) pikanten Themas, sondern wegen der schneidenden Kritik, die Binswanger am gegenwärtigen Zustand der sogenannten Wirtschafts"wissenschaft" übt. (Es ist eine Art von lustigem Zusammentreffen, dass ich selber im gleichen Jahr einen Blogpost "Pestärzte der Volkswirtschaftslehre in der Target2-Debatte" verfasst hatte. Das zielte ebenso wie Binswangers Artikel auf den Formalismus, der bei den frühneuzeitlichen Pestärzten natürlich kein mathematischer war, sondern in der Kenntnis lateinischer Formeln antiker Ärzte bestand.)
Wohl aus diesen Gründen hat sich das Buch anscheinend schlecht verkauft; mein Exemplar erstand ich preisreduziert und mit dem Stempelaufdruck "Mängelexemplar" im Internet; offenbar wird die Restauflage also verramscht.
Das aber will nun ich tun; nicht irgendwie mit dem Thema, sondern spezifisch mit diesem Buch. Dazu habe ich mir eine Reihe von Notizen gemacht: Anmerkungen, Ergänzungen, Berichtigungen. Die ich vorliegend zu Nutz und Frommen der Welt publiziere.
Zwar bin ich kein Ökonom; aber ich denke mal, dass ich die grundlegenden Zusammenhänge der Geldschöpfung und ihrer Wirkung auf die Realwirtschaft (sozusagen den "Quellcode des Betriebssystems Geld") durchaus begriffen habe.
Kritische und Verständnis-Anmerkungen:
1) Zu S. 35-37 (Kreditwachstum ggf. höher als Geldmengenwachstum):
Hier wäre es vielleicht zweckmäßig gewesen, sachlich und begrifflich die Unterscheidung einzuführen zwischen (geldschöpfenden) "Primärkrediten" einerseits und Geld-abschöpfenden "Sekundärkrediten" andererseits (die Hedgefonds müssen die ABS-Papiere aus Geldmitteln angekauft haben, die bereits im Markt waren). (Entsprechend auch zu S. 229 unten / 230 oben.)
2) Zu S. 40
"Ein Zufluss von Giralgeld von anderen Banken bedeutet ... gleichzeitig einen Gratiszufluss von Reserven, für welche andernfalls Zins bezahlt werden müsste."
Diese Aussage kann ich nicht nachvollziehen. Derartige Transfers ergeben sich ja überhaupt erst durch eine Steigerung der Kundeneinlagen. Und die muss die Bank (im Normalfall; momentan sieht es anders aus) verzinsen.
3) Zu S. 69 unten / 70 oben:
Auf S. 68 ff. (vgl. das Inhaltsverzeichnis) beschreibt Prof. Binswanger das Papiergeldsystem, mit dem der Schotte John Law um 1720 in Frankreich eine wundersame Geldmengenmehrung herbeiführte. Er schreibt, dass heute Staaten ihre Schulden (indirekt) "monetisieren" können, was damals [wegen der Edelmetalldeckung des Geldes] nicht möglich gewesen sei: Der Staat verkauft seine Anleihen an Geschäftsbanken; diese verwenden sie, um sich von der Zentralbank (Basis-)Geld zu leihen. (Formal verkaufen sie der Zentralbank die Staatsanleihen; wirtschaftlich läuft es aber auf eine Leihe hinaus, weil sich die Banken i. d. R. verpflichten, die Anleihen zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzukaufen ("Repo-Geschäfte" oder engl. "Repurchase Agreements"). (Zur Schwierigkeit der Abgrenzung von Kauf und Leihe vgl. S. 46/47.)
[Anhänger der Modern Monetary Theory raffen offenbar nicht, dass Repo-Käufe von Staatsanleihen durch die Zentralbank wirtschaftlich lediglich eine - meist sogar sehr kurz befristete - GeldLEIHE darstellen.]
Ob in diesem Zusammenhang der Begriff "Monetisierung" [von engl. "Monetization"; deutsch meist "Monetarisierung"] glücklich ist, bezweifle ich. Aus meiner Sicht sollte er für Fälle einer DAUERHAFTEN Staatsschulden-Monetarisierung reserviert bleiben (entsprechend dem Sprachgebrauch z. B. in diesem Medienbericht).
Allerdings sind dauerhafte und vorübergehende Monetarisierungen jedenfalls heutzutage möglicher Weise gar nicht mehr von einander zu unterscheiden. Die Staatsschulden werden letztendlich fast immer "Ponzi-finanziert", d. h. die Altschulden und Zinsen werden "getilgt", indem immer höhere Neukredite aufgenommen werden.
Das aber nur am Rande; mir geht es um folgende Passage bei Binswanger:
- "Mehrausgaben des Staates erfordern in diesem Fall [wenn sie mit 'frisch gedrucktem' Geld der Zentralbank bezahlt werden] nicht, dass die Ausgaben in der Wirtschaft schrumpfen, indem dort entsprechend mehr gespart wird".
Richtig daran ist, dass in diesem Falle die Staatsausgaben mit (geldschöpfenden) "Primärkrediten" bezahlt werden und nicht mit (sozusagen "Geld-ABschöpfenden") "Sekundärkrediten" aus der bereits bei den Wirtschaftssubjekten vorhandenen Geldmenge (zu dieser Unterscheidung s. a. oben unter Ziff. 1).
In der Realität wird es bei den Staatsanleihen freilich immer auf eine Mischfinanzierung aus Primärkrediten - Anleihekäufe durch Banken - und Sekundärkrediten - insbesondere Anleihekäufe durch Versicherungen - hinauslaufen. Aber das weiß Prof. Binswanger zweifellos auch und ist hier nicht mein Kritikpunkt.
In doppelter Hinsicht problematisch ist jedoch seine Alternative, bei der die Ausgaben in der Wirtschaft vermeintlich schrumpfen müssten, wenn Geldbesitzer (mit ihrem bereits vorhandenen, also "gesparten" Geld) Staatsanleihen kaufen sollten. Schon seit Jahrzehnten steigt die Geldmenge weitaus stärker an als die realwirtschaftlichen Leistungen. Es muss also einen Geldmengenüberhang geben, der irgendwo "gebunkert" sein muss (denn auch die Preise sind insgesamt nicht in gleichem Maße angestiegen).
Wahrscheinlich vollziehen sich diese Hortvorgänge in der sog. "Bestandsgrößensphäre": Vgl. dazu den hochinteressanten Aufsatz "Geldhortung als Nachfrageausfall in der Stromgrößensphäre" von Christopher Mensching aus dem Jahr 2004.
Wenn das zutrifft können diese Geldhorte natürlich aufgelöst und Staatsanleihen gekauft werden, OHNE dass die Geldbesitzer ihre realwirtschaftliche Nachfrage reduzieren (müssen).
Auch das ist aber nur eine periphere und vielleicht etwas kleinliche Kritik.
Gravierender ist, dass Binswangers Formulierung den Eindruck erwecken muss, die Realwirtschaft könne in jedem Falle eine durch Geldschöpfung gesteigerte Staatsnachfrage problemlos verkraften. Dem ist natürlich nicht so.
Wenn die Kapazitäten voll ausgelastet sind und nicht (zeitgleich) ausgeweitet werden können, dann führt eine zusätzliche Nachfrage des Staates nicht zu höherer Wirtschaftsleistung, sondern zwangsläufig zu Preiserhöhungen (in Deutschland 1914 ff., kulminierend in der Hyperinflation 1923 und dann wieder 1939 ff. bis zur Währungsreform 1948). Und damit zu einer Besteuerung der Bürger durch Inflation ("Inflationssteuer"). Da findet zwar kein Sparen der Wirtschaftssubjekte statt; wohl aber werden sie entreichert, indem ihre Kaufkraft beschnitten wird. Die Bürger "sparen" also zwar nicht im individuellen Sinne (sie legen kein Geld zurück). Wohl aber im volkswirtschaftlichen Sinne: Sie reduzieren (gezwungener Maßen) ihren Konsum.
Auch das weiß Prof. Binswanger wahrscheinlich. Aber viele Geldsystemphantasten wollen es nicht wahrhaben.
Die Vollgeld-Freaks träumen, dass der Staat sich (bzw. letztlich uns) unter ihrem Geldregime ohne Risiken und Nebenwirkungen alle möglichen schönen Sachen leisten (bzw. kaufen) könne, für die ihm jetzt das Geld fehlt: Man muss es doch nur 'drucken'; dann bekäme der Staat das, was viele Einfaltspinsel für eine ganz normale "Seigniorage" halten, nämlich den vollen Gegenwert des geschöpften Geldes. (Ähnlich einfältig denken die - anscheinend vorwiegend amerikanischen - Anhänger der "Modern Monetary Theory".)
Gewiss: Diese "Denker" wollen ihr Willkürgeld nicht unbegrenzt schöpfen. Sondern "nur" so viel, dass die Geldmenge in einem (wie zu bestimmenden???) "richtigen" Verhältnis zur Gütermenge steht.
4) Zu S. 110 unten:
"Solange Banken ..... Kredite vergeben, die zu Investitionen in Realkapital führen und damit die Produktionskapazität erweitern, ist das Geld in Wirklichkeit 'real' durch die zukünftig mit diesem Geld finanzierte Produktion gedeckt. Dies ist die 'Deckung', auf die es in modernen Wirtschaften wirklich ankommt."
Der 1. Satz stimmt zwar, lässt sich aber nicht einfach umkehren. Deshalb ist der 2. Satz unzutreffend. Entscheidend ist vielmehr, dass der Mechanismus der kreditären Geldschöpfung selber auf der mikroökonomischen Ebene für einen Ausgleich von Geldangebot und Güternachfrage sorgt (im Prinzip; freilich kann das System auch aus dem Ruder laufen). (Vgl. unten "Zu S. 132 oben").
Wäre es anders, dann müsste jede stagnierende Wirtschaft zwangsläufig inflationär sein. Das ist jedoch nicht der Fall.
Allerdings: Wenn die Geldmenge ständig steigt, UND die volkswirtschaftlichen Elastizitäten ausgeschöpft sind UND das Geld nicht gehortet wird: Dann müsste in der Tat Inflation eintreten.
Anscheinend leitet sich Binswangers Sichtweise von den geldtheoretischen Überlegungen Joseph Schumpeters ab. Seine Schriften kenne ich nicht, jedoch lese ich momentan gerade ein Papier des FAZ-Redakteurs Gerald Braunberger über Schumpeter (in diesem Braunberger-Blott verlinkt und dort direkt zu erreichen). Darin referiert Braunberger die Meinung von Schumpeter, dass neu geschöpftes Geld für innovative Betriebe sich zwar zunächst inflationär auswirken müsse, dieser Effekt jedoch durch die gesteigerte Produktivität und die dadurch gesteigerte Güterproduktion später wieder neutralisiert werde.
Ich denke, diese Zusammenhänge muss man, heute jedenfalls, deutlich differenzierter sehen:
- Wirtschaften, besonders moderne, haben enorme Elastizitäten. Lagerbestände oder unausgeschöpfte Produktionskapazitäten dürften eine moderate und temporäre Geldmengensteigerung zunächst einmal so abfedern, dass eine Güterverknappung im Verhältnis zur gewachsenen Geldmenge und damit eine Inflation vermieden wird.
- Die Geldversorgung der Wirtschaft schwankt sicherlich; bleibt eine (moderate) Geldmengensteigerung vorübergehend (temporär), sind inflationäre Entwicklungen ebenfalls unwahrscheinlich.
- Dies gilt dann ganz besonders, wenn eine gesteigerte Geldversorgung (die nicht einmal nur vorübergehender Natur sein muss) Hortungsvorgänge kompensiert (oder, hypothetisch denkbar wenngleich praktisch schwer vorstellbar, von vornherein in die "Horte" abfließt).
- Solche Hortungsvorgänge erhöhen freilich tendenziell die Preise in jenen Wirtschaftssektoren, wo sich die Hortung abspielt (bzw. überhaupt nur abspielen kann). Das ist zum einen die Bestandsgrößensphäre (s. o.), zum anderen der "reine" (also weitestgehend von der Realwirtschaft abgekoppelte) Finanzmarkt. Als solchen schätze ich den Derivatemarkt ein (Credit Default Swaps -CDS- usw.).
- Ich vermute allerdings, dass es in dem Bereich, den ich tentativ als "reinen Finanzmarkt" bezeichne (für eine empirische Untersuchung müsste dieser Begriff natürlich erst präzise definiert werden) nicht einmal dann zur Inflation kommen muss, wenn in diesem Sektor eine steigende Geldmenge nachfragewirksam wird. Denn (auch wenn das irgendwie pervers klingt): Auch (und gerade!) in diesem Sektor, der eigentlich nichts als "heiße Luft" herstellt, kann die "Produktion" (sogar ohne Innovationen) beliebig ausgedehnt werden: Derivate kann man, wie Geld, aus dem Nichts schöpfen. [Vgl. auch S. 217 ff.; dort geht es allerdings um die Börse und Immobilien, also Sektoren, die beide einen Bezug zur Realwirtschaft haben. Bei "reinen" Finanzmärkten denke ich dagegen an Derivate wie z. B. Credit Default Swaps.]
Das zumindest sollten selbst diejenigen einräumen können, die meinen konkreten Überlegungen nicht folgen wollen. Die aber dann ihrerseits gefordert wären, Modelle zu entwickeln, welche den Finanzmarkt und die Bestandsgrößensphäre bzw. (zusammenfassend gesagt) die Hortungsmöglichkeiten und Hortungsvorgänge von Geld sehr viel schärfer fokussieren müssten, als das selbst in den aktuellen Theoriegebäuden der Fall zu sein scheint.
(Vgl. dazu auch unten die Einträge zu S. 132.)
5) Zu S. 129:
- "The study of money, above all other fields in economics, is the one in which complexity is used to disguise truth or to evade truth, not to reveal it."
6) Zu S. 132 oben (i. V. m. S. 131; meine Hervorhebungen):
"Da Geld über die Kreditvergabe bzw. durch den Kauf von Aktiven der Geschäftsbanken geschaffen wird, hängt die Auswirkung der Geldschöpfung in der Wirtschaft ganz entscheidend davon ab, was die Kunden der Bank mit dem neu geschaffenen Geld machen." (S. 131)
Und
"... die Finanzierung nicht erfolgreicher Investitionsprojekte führt zur Inflation, da den erhöhten Ausgaben keine Mehrproduktion gegenüber steht." (S. 132)
Diese Aussage halte ich für unzutreffend (s. a. oben zu S. 110 unten!).
Auch nach dem sonstigen Inhalt des Buches zu schließen ist Prof. Binswanger nicht klar, dass die kreditäre Geldschöpfung die Funktion hat, auf der mikroökonomischen Ebene für ein entsprechendes Güterangebot zu sorgen.
Dieser Zusammenhang gilt zwar nur im Prinzip; im Einzelfall kann er (z. B. durch Ponzi-Finanzierung) ausgehebelt werden (und wird durch die enormen Elastizitäten einer Wirtschaft weitgehend bzw. über lange Zeiträume verschleiert). Aber insgesamt ist dieser 'Gelddeckungsmechanismus' eben doch wirksam und es ist extrem wichtig, diese mikroökonomische Ratio der kreditären Geldschöpfung zu (er-)kennen.
Für eine detaillierte Behandlung verweise ich z. B. auf meinen Blott "Wider die monetären Jahrmarktschreier: Warum die Geldschöpfung aus dem Nichts KEIN Skandal und 'Kreditgeld' (im Prinzip) selbstverständlich gedeckt ist". Hier nur in Kurzfassung:
- Die kreditäre Geldschöpfung ermöglicht es dem "Erstgeldempfänger", dem Markt (den wir uns einfach als großen Topf vorstellen wollen) Güter quasi vorschussweise zu entnehmen. Geht man davon aus, dass zuvor Geld- und Gütermenge ausgeglichen waren (also die für Käufe verwendete Geldmenge dem Güterangebot entsprach), dann ist jetzt ein Geldüberhang am Markt.
- Um das Geld-Güter-Gleichgewicht wieder herzustellen, muss entweder dieses Geld dem Markt entzogen oder aber ein wertäquivalentes (und natürlich marktfähiges) Gut "wieder in den Topf hineingelegt" werden. (Zinsen lasse ich hier beiseite; an dem hier herauszuarbeitenden Kernzusammenhang ändern sie nichts.)
- Eben das wird durch die Rückzahlungspflicht der Kredite erzwungen: Der "Erstgeldempfänger" muss zu irgend einem späteren Zeitpunkt seinerseits Güter in den Markt einspeisen, um sie dort zu verkaufen. Dann wird das entnommene Gut (bzw. ein wertäquivalentes Gut) wieder "in den Topf" hineingelegt und "sein" "Geldschein" aus dem Markt herausgenommen (der Käufer bezahlt ihn damit). Bei dieser Fallgestaltung wurde als das Geld im Tausch gegen ein Gut zunächst dem Markt entzogen, und wird am Ende durch die Rückzahlung des Kredites an die Bank vernichtet.
- Bei Staatsschulden funktioniert das etwas anders: Der Staat (ggf. auch in Gestalt der von ihm bezahlten Bediensteten) geht vorschussweise "einkaufen". Um seinen Kredit tilgen zu können, muss er aber bei den Marktteilnehmern nichts eintauschen: Vielmehr schöpft er die überschüssige Kaufkraft durch Steuern wieder ab, also mittels seinere Staatsgewalt. (Auch dabei erhalten die Bürger einen Gegenwert in Gestalt der verschiedenen Dienstleistungen des Staats: Sicherheit, Bildung, Infrastruktur usw. Das jedoch als Kollektiv; nicht jeder Steuerzahler einzeln und nach Maßgabe seiner "Beiträge".) Jedenfalls ist auch hier am "Ende des Tages" das Geld-Güter-Gleichgewicht im Markt wiederhergestellt.
- Der Investor muss den Kredit tilgen. Dafür muss er Einnahmen verwenden, die er zwar nicht aus der Fehlinvestition erzielt hat, sondern anderweitig, mit denen er aber bei planmäßigem Verlauf hätte "einkaufen gehen" können. Heißt: Seine sonstige Kaufkraft wird nunmehr nicht nachfragewirksam, sondern bei der Bank "eingestampft".
- Geht er pleite, tragen die anderen Kreditnehmer den Verlust. Der Kreditzins enthält bekanntlich mehrere Komponenten: Geldbeschaffungskosten, Betriebskosten der Bank und Gewinn. Den größten Brocken jedoch (vermute ich zumindest) macht die "Versicherungsprämie" aus, welche die Bank auf den Kreditzins aufschlägt - und aufschlagen muss, um Kreditausfälle kompensieren zu können. Soweit die kalkulierten Kreditausfälle nicht eintreten, macht die Bank Zusatzgewinne. Die wird sie an ihre Aktionäre ausschütten oder anderweitig verbrauchen; auf jeden Fall erscheinen sie als Nachfrage am Markt. Fallen die Kredit aus, ist das Geld insoweit eben futsch und kann nicht mehr nachfragewirksam werden, weil es dem Kollektiv der Kreditnehmer via "Versicherungskomponente" im Zins entzogen wurde. (Im Grunde also ein ähnlicher Mechanismus wie bei der Staatsschuldentilgung durch Steuererhebung, die ebenfalls dem Markt jene Kaufkraft nachträglich wieder entzieht, die ihm vorher durch "Kauf auf Primärkredit" injiziert worden war.)
- Anders wäre es nur dann, wenn das für die Fehlinvestitionen verwendete, vom Bankensystem neu geschöpfte Geld nicht mehr vernichtet würde. Wenn also der Kreditnehmer seine Schulden nicht aus anderweitigen Einnahmen begleicht, sondern indem er neue Schulden aufnimmt. Das wird das Bankensystem aber typischer Weise nur dem Staat gestatten; bei privaten Kreditnehmern dürften schon die einschlägigen Vorschriften und das Risikomanagement einer solchen Verfahrensweise i. d. R. entgegenstehen. (Eine andere denkbare Fallgestaltung wäre die Rettung insolventer Geschäftsbanken durch die Zentralbank mit der Notenpresse.)
Führt man diese nämlich auf ihren Begründungskern zurück, dann lautet der: "Erhöhte Ausgaben, denen keine Mehrproduktion gegenüber steht, führen zu Inflation".
Das scheint eine Binsenweisheit zu sein; indes spricht die wirtschaftsgeschichtliche Erfahrung der letzten Jahrzehnte nach meinem Dafürhalten (ohne dass ich das datenmäßig exakt belegen könnte) eher dagegen, dass ein solcher Zusammenhang zwingend ist.
Denn die Geldmenge wächst schon seit Jahrzehnten weitaus stärker als die Realwirtschaft. Ohne dass wir in der "Stromgrößensphäre" (mit diesem Begriff beziehe ich mich erneut auf den Aufsatz von Christopher Mensching) eine proportionale Preissteigerung sehen würden. Und ich denke, selbst die Preissteigerungen in der Bestandsgrößensphäre bleiben (das mag freilich sektoral unterschiedlich sein) hinter der Geldmengenausweitung zurück. (Vermutlich deshalb, weil es ein "Ventil" in Gestalt eines - mehr oder weniger - "reinen" Finanzmarktes gibt - vgl. nachfolgend.) Man muss also wohl, wie ich bereits oben zu S. 110 ausgeführt hatte, ein sehr viel differenzierteres Denkmodell entwickeln, um die Auswirkung der Geldschöpfung auf den Gütermarkt einigermaßen zu verstehen.
7) Zu S. 132 unten:
"Wird neu geschaffenes Geld für den Kauf von bereits früher produzierten Gütern oder Dienstleistungen eingesetzt, dann erhöht sich die Geldmenge, ohne dass irgendetwas Zusätzliches hergestellt wird."
Bei "neu geschaffenem Geld" ist zu unterscheiden zwischen
- derjenigen Geldschöpfung, die lediglich die Geldvernichtung (= Rückzahlung von Krediten an Banken) ausgleicht und
- einer ggf. darüber hinausgehenden Geldproduktion, die dann tatsächlich die Geldmenge erhöht (= ZUSÄTZLICH geschaffenes Geld).
"In diesem Fall führt die Geldschöpfung zu Inflation, da sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht, aber das Angebot konstant bleibt."
Zunächst einmal würde eine eventuelle derartige Inflation auf den Bereich der "Bestandsgrößensphäre" beschränkt bleiben: Die Inflation würde jenen Marktsektor treffen, wo die zusätzliche Geldmenge nachfragewirksam wird. Vorliegend also den Bereich der bereits produzierten Güter. (Binswanger denkt hier vermutlich speziell an Immobilien.) Auf Dauer könnte sie zwar auf andere Bereiche durchschlagen (z. B. über höhere Mieten). Aber das wären komplizierte Mechanismen, die man ggf. separat benennen und erörtern müsste.
Zwingend ist eine solche Inflation ohnehin nicht, denn beispielsweise könnten aus früherer Produktion Güter an den Markt kommen, die bis dahin zwar vorhanden waren, aber nicht am Markt angeboten wurden (etwa alte Burgen. Oder, realistischer, Kunstwerke sowie Wohnimmobilien). Speziell im Immobilienbereich könnten anziehende Preise für Altobjekte die Neubautätigkeit stimulieren. In diesem Falle fände das Geld, das zunächst in die "Bestandsgrößensphäre" geflossen ist, rasch seinen Weg in die Realwirtschaft und würde sich also nicht mehr preistreibend in der Bestandsgrößensphäre herumtreiben.
Weiterhin vermute ich, dass es so etwas wie einen reinen Finanzmarkt gibt (wo z. B. Derivate gehandelt werden), in welchen die überschüssige Geldmenge sozusagen "ausweichen" kann (d. h. aus Sicht der entsprechenden Geldbesitzer: Wo sie das Geld horten können). Hierzu habe ich in einer Reihe von Blotts Überlegungen angestellt, aber noch keine endgültige Klarheit gewinnen können:
- "WAS SIND DERIVATE oder HAT ES BEI IHNEN GEKLINGELT?" vom Mai 2006
- "Kipper, Wipper, Notenbanken" vom Januar 2009 und
- "Neuartige Buchgeldschöpfung im Finanzsystem als Ursache der Finanzmarktkrise: Heureka oder Denkfehler?" vom Februar 2009.
- Die eigentumsbasierte Geldwirtschaft führt in ihrem aktuellen Stadium (kein Aufbaubedarf nach Krieg mehr, stagnierende oder schrumpfende Population) zu einer "Überakkumulation" von Geld bei den Besitzenden. Dieses Szenario hatte bereits John Maynard Keynes im 24. Kapitel seiner "General Theory" für spätere Zeiten prognostiziert. (In diesen Zusammenhang gehört auch das 23. Kapitel, wo er die "Unterkonsumtionstheorien" und die gegen "Unterkonsum" gerichteten Vorschläge, z. B. das Freigeld oder Schwundgeld nach Silvio Gesell, erörtert.) Über "Unterkonsum" habe auch ich schon eine ganze Reihe von Blotts verfasst. Dabei bevorzuge ich allerdings den Begriff "Überakkumulation". Denn Geldhorte müssen ja nicht zwangsläufig durch Konsum abgeschmolzen werden; auch die Verwendung für investive Ausgaben würden das Geld in die Realwirtschaft zurückspeisen.
- Die Reichen können (und wollen) so viel Geld gar nicht verkonsumieren. Sie können es aber auch nicht investieren: Denn weil sich das umlaufende Geld so stark bei ihnen konzentriert, fehlt es in der Realwirtschaft als Nachfrage; somit schrumpfen die (renditeträchtigen) Investitionsmöglichkeiten.
- Also horten die Geldbesitzer ihre Schätze - aber wie, bzw. wo? Das gute alte Kopfkissen ist heute als Geldspeicher mega-out. Christopher Mensching erwägt in seinem hier bereits mehrfach angeführten Aufsatz "Geldhortung als Nachfrageausfall in der Stromgrößensphäre" die Möglichkeit, dass Geld durch den Erwerb von Häusern (die schon früher gebaut wurden), Fabriken, Aktien, Antiquitäten, Kunstwerken usw. "gehortet" werden kann. Das gilt nach meinem Dafürhalten dann, wenn diese Gelder mehr oder weniger dauerhaft in der "Bestandsgrößensphäre" verbleiben. (Würde also dann nicht zutreffen, wenn z. B. der A. dem B. ein altes Haus abkauft, und sich der B. dafür ein neues baut.) Hinzu kommt aber noch (und ist vermutlich auch quantitativ wichtiger) die Existenz eines "reinen" Finanzmarktes, an dem lediglich Derivate usw. gehandelt werden, und der von der laufenden Produktion in der Realwirtschaft (der "Stromgrößensphäre") noch weiter abgekoppelt ist als der Markt für bestehende Güter ("Bestandsgrößensphäre").
- Weil die Besitzenden (die "Reichen"; ebenso freilich auch z. B. die Vorsorgesparer im Kapitaldeckungsverfahren zur vermeintlichen "Rentensicherung"!) das ihnen zufließende Geld insoweit gewissermaßen "veruntreuen", als sie es der Realwirtschaft vorenthalten, sind die Notenbanken ihrerseits gezwungen, Geld im Überschuss (im Vergleich zur realwirtschaftlichen Produktion und Kapazität) zu "drucken".
a) die Geldmenge schon seit Jahrzehnten stärker wächst als die Realwirtschaft und warum
b) trotzdem keine Inflation der Güterpreise erfolgt. (Und, vermute ich zumindest, auch keine proportionale Inflation in der Bestandsgrößen- und Finanzmarktsphäre.)
Bereits im Jahr 2010 hatte ich in meinem Blott "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein denke!" einige Fakten über Tendenzen im Schnittpunkt von Geld- und Realwirtschaft zusammengetragen, die m. E. erklärt werden oder bei Erklärungsversuchen berücksichtigt werden müssen (also in Denkmodelle widerspruchsfrei eingefügt werden bzw. einfügbar sein müssen). Der Idee nach sollte das ein "Forschungsprogramm" sein, und nach wie vor bin ich der Meinung, dass wir eine Sammlung der mutmaßlich relevanten Fakten über grundlegende Tendenzen in der Geld- und Realwirtschaft benötigen, daraus Hypothesen ableiten müssen. Diese müssten dann von einem organisierten Kollektiv von Wirtschafts- und Betriebswissenschaftlern aller Disziplinen in empirischer, historischer und modellierender Weise getestet werden.
Etwas ausgreifender gedacht kann man, je nach Perspektive
- die hortenden Geldbesitzer als Treiber der Geldmengenausweitung ansehen (die dann vom Bankensystem nur als Kompensation der Hortungsverluste betrieben würde).
- Andererseits kann man aber auch das geldmengenaufblähende Bankensystem als Treiber der Hortungsvorgänge in der Bestandsgrößensphäre und im reinen Finanzmarkt bewerten. In diesem Falle wären der reine Finanzmarkt und eine Inflation in der Bestandsgrößensphäre gewissermaßen Ventile die dafür sorgen, dass der "Geldüberdruck" nicht in die Realwirtschaft fließt und dort keinen (inflationären) Schaden anrichtet.
- Abstrakt ist natürlich auch eine Kombination beider Wirkfaktoren vorstellbar. Aber dafür, wie das im Detail ablaufen könnte, habe ich kein Modell.
Unabhängig davon, ob meine seinerzeitigen Überlegungen richtig und vollständig sind sollte es jedenfalls möglich sein, eine Reihe von empirisch beobachteten Fakten zu identifizieren, denen Erklärungsmodelle für das Zusammenspiel von Geld- und Realwirtschaft nicht widersprechen dürfen, wenn sie Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben wollen.
Man muss nicht unbedingt der Meinung von Nassim Nicholas Taleb zustimmen, wonach "economics and political science .... are more like pompous entertainment [denn Wissenschaft]". Aber ich denke, dass ALLE Wirtschaftswissenschaftler ihre intellektuelle Kapazität gewaltig überschätzen, wenn sie glauben, im Alleingang (oder in einem kleinen Autorenteam) die "Geldrätsel" unser Zeit knacken können. Dafür würden wir eine koordinierte Anstrengung zahlreicher Spezialisten (für Banken, Realwirtschaft, aber z. B. auch für Wirtschaftsgeschichte und Bilanzierung) benötigen, die VORURTEILSLOS Hypothesen ausarbeiten und verifizieren bzw. falsifizieren müssten. Und dann vielleicht ein Modell erstellen könnten, dass uns eine tiefere Einsicht in die Mechanismen einer eigentumsbasierten geldgesteuerten Wirtschaft ermöglichen würde, als wir sie jetzt haben und als sie auch die klügste Einzelperson im Alleingang schaffen kann. In diesem Sinne hatte ich bereits 2013 ein "Manhattan Project für die Wirtschaftswissenschaften!" gefordert.
Dessen Realisierung steht einerseits die Wissensillusion der Wissenschaftler entgegen; andererseits wäre aber auch von den Kapitalinteressen ein massiver Widerstand zu erwarten.
Denn nach meiner Einschätzung spielt die Volkswirtschaftslehre mit gezinkten Karten. (Binswanger sieht das vielleicht ähnlich; jedenfalls lehnt er die mehr oder weniger neoliberale Mainstream-Nationalökonomie ab, welche eine Neutralität des Geldes gegenüber der Realwirtschaft behauptet: S. 155 ff.) Die Interessen der Kapitalbesitzer haben sich derart tief in das "Betriebssystem" der VWL hineingefressen, dass sie den Akteuren nicht einmal bewusst sind. Beispiele sind
- das sog. "Say’sche Gesetz" (das im Ergebnis die Kapitalbesitzer von einer Verursacherschaft an eventuellen Krisen im Schnittpunkt von Geld- und Realwirtschaft bereits a priori freispricht) [Say wird auf S. 167 erwähnt; s. a. Anm. 12 S. 330.
- wahrscheinlich auch die Lehre von der (langfristigen) Neutralität des Geldes für die Realwirtschaft, die ebenfalls bewirkt, dass eine Diskussion über ein evtl. für die Realwirtschaft problematisches (Hortungs-)Verhalten der "Eigengeldbesitzer" ("Zweitgeldempfänger" usw. nach dem Kreditnehmer) gar nicht erst aufkommt.
- die Entschärfung (um nicht zu sagen: Kastration!?) der Lehren von Keynes nach seinem Tode (beschrieben etwa von Paul Davidson in seiner Arbeit "Post World War II politics and Keynes's aborted revolutionary economic theory")
- das Nicht-Wahrnehmen(-Wollen) der Aufwendungen der Eltern für ihre Kinder als "Humankapitalinvestition" (der aufgrund des insoweit unwirksamen Marktes eine "Humankapitalsparrendite" bzw. ein "Humankapitalsparrenditenachteilsausgleich" verweigert wird. (Vgl. dazu ausführlich meine "Studie" "Rentenreich" aus dem Jahr 2004.)
- Und schließlich stellt sich noch die Frage, ob nicht die Mathematisierung der Nationalökonomie auch dem Zweck dient, sie von einer kritischen Beschäftigung mit den Verteilungsverhältnissen abzuhalten. Mathematik täuscht (in der VWL) Wissenschaftlichkeit vor. Tatsächlich jedoch kann sie überhaupt nur insoweit zutreffende Ergebnisse bringen, wie ihre - nichtmathematisch formulierten - Prämissen zutreffen (so wohl auch Binswanger S. 168). Binswanger beschreibt auf S. 163, dass Leon Walras die Überlegenheit der freien Marktwirtschaft gegen sozialistische Vorstellungen mathematisch zu beweisen suchte und dafür die Neutralität des Geldes postulieren musste. Womit Walras zwangsläufig auch für die Kapitalinteressen eintrat. Mit dieser Aussage will ich Walras schon deshalb nicht eine besonders perfide Form der Verschleierung von Klasseninteressen vorwerfen, weil ich auch selber von der Überlegenheit einer Marktwirtschaft gegen sozialistische Wirtschaftsformen überzeugt bin. Trotzdem sind solche Zusammenhänge potentielle Einfallstore für Partialinteressen (hier: Klasseninteressen), die sich gewissermaßen wie die Trojaner im Computer im Betriebssystem der Volkswirtschaftslehre eingenistet haben könnten.
Diese Theorie mag im Feld der abstrakten Erkenntnis vielleicht schon seit etwa hundert Jahren überholt sein; dennoch spukt sie noch heute in den Köpfen selbst renommierter Fachwissenschaftler herum (z. B. Paul Krugman: vgl. im Buch S. 27 Mitte sowie den Blogpost "Banks and the Monetary Base – A Friendly Response to Paul Krugman" von Cullen Roche vom 21.08.2013 zusammen mit den dort verlinkten vorangegangenen Debattentexten). Binswanger beschreibt das ausführlich auf den Seiten 11 ff. und 19 ff.
Allerdings: Total abgekoppelt von den Kundeneinlagen - oder der Leihe bei der Notenbank - ist das Kreditpotential der Geschäftsbanken auch wieder nicht. Das wird stellenweise auch im Buch von Binswanger deutlich (z. B. S. 38 ff. "Hier müssen wir unterscheiden zwischen einer einzelnen Geschäftsbank und dem Bankensystem als Ganzes .....").
Ich selber habe diesen Sachverhalt in meinem - englischsprachigen - Blott "Banks do not lend reserves (or deposits). But banks need reserves (and deposits) to lend. Remarks on the BoE-paper 'Money creation in the modern economy'm " vom 05.04.2014 abgehandelt.
Als einen der Gründe, warum die Ökonomen sich nicht von der Vorstellung trennen mögen, dass die Banken lediglich das Geld ihrer Kunden weiterverleihen (also bloße "Finanzintermediäre" sind, wie - tatsächlich - die Versicherungen) nennt der Autor auf S. 26 Mitte: "Bei Ökonomen hängt dies [diese Sichtweise] vor allem damit zusammen, dass die Anerkennung der Rolle von Banken als Geldproduzenten die schöne Vorstellung einer rein realen, d. h. ohne Geld erklärbaren Theorie eines allgemeinen Gleichgewichts zerstört".
Während beispielsweise Ben Bernanke die US-Finanzwirtschaft als "deep" (i. s. von "tiefgestaffelt") bejubelt , sehe ich eine "tiefe" (also aufgeblähte!) Finanz"industrie" eher als ein System zum Wohle von Dieben.
Die Verteilungsdimension (die ich hier, wohlgemerkt, nicht in moralischer Hinsicht kritisiere, sondern allein wegen ihrer potentiell wirtschaftsstörend wirkenden Hortungsanreize!) blendet Prof. Binswanger praktisch komplett aus. Zwar halte ich ihn nicht für einen Apologeten der Kapitalinteressen sondern denke, dass er denen durchaus reserviert gegenübersteht.
Jedoch scheint er Verwerfungen zwischen Geldwirtschaft und Realwirtschaft als rein technisch bedingte zeitweilige Störungen zu begreifen, die sich grundsätzlich (mit der richtigen ökonomischen "Werkzeugkiste") beheben lassen.
Demgegenüber halte ich es für möglich (und eine solche Möglichkeit müsste in einer vorurteilsfreien Forschung zumindest offen - sowie gegenüber der eigenen Wissenschaft ideologiekritisch - erörtert werden), dass es weitaus fundamentalere innere Widersprüche zwischen Eigentum und Geldwirtschaft geben könnte*, als er sich das anscheinend vorzustellen vermag. (Für deren Behebung habe freilich auch ich kein Rezept; meine Vermutungen sind also nicht etwa ein Plädoyer für den Sozialismus.)
8) Noch zu 132 unten:
(Zitat von oben, hier nochmal zur Erinnerung: "In diesem Fall [Einsatz zusätzlichen Geldes für Käufe in der Bestandssphäre] führt die Geldschöpfung zu Inflation, da sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht, aber das Angebot konstant bleibt.")
Gleich im Anschluss fährt Binswanger fort:
"Eine solche unproduktive Verwendung ergibt sich am offensichtlichsten bei Konsumkrediten, wo nur zusätzliche Nachfrage finanziert wird."
Hier ist zunächst der Zusammenhang zu kritisieren, in den Binswanger Konsumkredite und Käufe in der Bestandssphäre stellt. Vielleicht hat er es nicht so gemeint; aber seiner grammatikalischen Struktur nach muss ein Satz "Eine solche ..... Verwendung ergibt sich am offensichtlichsten ...." als Bekräftigung und Begründung der unmittelbar vorangegangenen Ausführungen wirken.
Tatsächlich aber dienen Konsumkredite in aller Regel zu Käufen in der Stromgrößensphäre. Dort könnten sie in der Tat eine inflationierende Wirkung entfalten. Aber nur dann, wenn sie die Nachfrage über die Produktion bzw. Produktionskapazität hinaus steigern. Solange sie das nicht tun, wirken sie auch nicht inflationär.
Es gibt sogar eine mir durchaus plausibel erscheinende Mutmaßung, dass Konsumkredite heutzutage sogar unverzichtbar sind, um das System überhaupt am Laufen zu halten: Vgl. dazu den Aufsatz "Privatised Keynesianism: An Unacknowledged Policy Regime" von Colin Crouch aus dem Jahr 2009. 2008 hatte er bereits einen Vorläufer-Aufsatz verfasst: "What will follow the demise of privatised Keynesianism?". Der neue Aufsatz scheint lediglich eine geänderte und/oder erweiterte Fassung des Vorgängerpapiers zu sein, jedenfalls sind - nach flüchtiger Durchsicht - die Zusammenfassungen beider Arbeiten gleich:
"There have now been two successive policy regimes since the Second World War that have temporarily succeeded in reconciling the uncertainties and instabilities of a capitalist economy with democracy’s need for stability for people’s lives and capitalism’s own need for confident mass consumers. The first of these was the system of public demand management generally known as Keynesianism. The second was not, as has often been thought, a neo-liberal turn to pure markets, but a system of markets alongside extensive housing and other debt among low- and mediumincome people linked to unregulated derivatives markets. It was a form of privatised Keynesianism. This combination reconciled capitalism’s problem, but in a way that eventually proved unsustainable. After its collapse there is debate over what will succeed it. Most likely is an attempt to re-create it on a basis of corporate social responsibility."
Meine Überlegungen weichen insofern von Crouch etwas ab, als er der "privatisierten keynesianischen Wirtschaftspolitik" lediglich die Funktion zubilligt "[to reconcile] the uncertainties and instabilities of a capitalist economy with democracy’s need for stability for people’s lives and capitalism’s own need for confident mass consumers."
Also nach meinem Textverständnis das, wofür der Begriff "Keynesianismus" auch im allgemeinen Sprachgebrauch steht: mehr oder weniger eine bloße Konjunkturpolitik.
Dem gegenüber stellt sich für mich die Frage, ob dieses "system of markets alongside extensive housing and other debt among low- and mediumincome people linked to unregulated derivatives markets" nicht vielmehr die Aufgabe hat, den durch die Geldhortung der Kapitalbesitzer bedingten Nachfrageausfall in der Realwirtschaft zu kompensieren: Also letztlich einen "Systemfehler" zu korrigieren (oder ihn lediglich eine Zeit lang zu überbrücken?).
Jedenfalls ist in diesem Zusammenhang die Information von Prof. Binswanger (S. 195 oben) ÄUSSERST interessant (und ein Indiz für die Richtigkeit von Crouchs Analyse), dass "heute der größte Teil der Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken über die Vergaben von Hypothekenkrediten erfolgt".
Das war mir vorher unbekannt, und auch wenn ich natürlich weiß, dass es Konsumenten- und Hypothekenkredite gibt, war ich (mit den Vertretern der "Theory of the monetary circuit"*) bislang davon ausgegangen, dass die Unternehmen die größten Kreditnehmer seien. (Vielleicht neben dem Staat; aber jedenfalls hat es mich überrascht, dass in Wahrheit die Hypothekenkredite die führende Rolle bei der Geldschöpfung spielen.)
9) Noch zu 132 unten:
"Aber auch Kredite an Unternehmen und Geldschöpfung durch Aufkauf von Staatsschulden können zu unproduktiver Geldverwendung führen, wenn damit keine zusätzliche Produktion finanziert wird."
Nein: Entscheidend ist nicht, ob mit neuer Kaufkraft zusätzliche Produktion finanziert wird. Sondern ob die Kaufkraft später wieder abgeschöpft wird. Durch Verkäufe der Kreditnehmer am Markt, oder, beim Staat, im Wege der Besteuerung.
Natürlich darf man vermuten, dass ein plötzlicher Geldstoß, weit über Produktion und Produktionskapazität hinaus, unmittelbar inflationär wirken würde - ungeachtet einer evtl. späteren Abschöpfung dieser "Überschuss-Kaufkraft". Aber das sind theoretische Feinheiten, die man zweckmäßiger Weise anhand von Beispielfällen aus der Wirtschaftsgeschichte diskutieren sollte. Dort hat es im allgemeinen längere Zeit gedauert, bis sich ein (kaufkraftwirksamer) Geldüberhang in Inflation niedergeschlagen hat. Diese Verzögerung hat man als "Ketchup-Inflation" bezeichnet, weil es auch bei der Ketchup-Flasche vorkommt, dass man sie schüttelt und schüttelt, jedoch der Schwall erst nach einiger Zeit - plötzlich und unerwartet - herausspritzt.
Tendenziell gilt jedenfalls, dass es für inflationäre Wirkungen nicht darauf ankommt, ob neu geschaffenes Geld produktiv investiert wird oder nicht, sondern ob die Kaufkraft später abgeschöpft wird, oder dauerhaft (bzw. jedenfalls für längere Zeiträume) im Markt bleibt. (Und natürlich auch, ob es überhaupt nachfragewirksam wird, ober in Geldhorten versickert.)
Wie ich oben schon sagte, ist das Kreditgeldsystem im Prinzip ein (mikroökonomischer) Selbstregelmechanismus, bei dem die Rückzahlungspflicht des Kreditnehmers die Geldmenge "deckt" (d. h. mit einem entsprechenden Güterangebot unterlegt).
Aber, wie ich ebenfalls schon erwähnt hatte: Dieser Mechanismus wird u. U. dadurch ausgehebelt, dass Zinsen, alte Schulden und ggf. noch weitere neue Ausgaben "ponzi-finanziert" werden: Schmerzlos (für den Kreditnehmer) durch Aufnahme immer weiterer Schulden. (Aber mit der Folgewirkung einer sich ständig verschlechternden Bonität, also Tilgungsfähigkeit solcher Schuldner.)
Ich gehe davon aus, dass auch 1914 ff. und 1939 ff. die Reichsbank dem Staat das frisch gedruckte Geld nicht einfach geschenkt, sondern formal als Kredit vergeben hat. Aber REAL lief der Mechanismus - wegen der Ponzi-Finanzierung - dann eben doch auf ein "Geldverschenken" der Zentralbank (Deutsche Reichsbank) an den Staat hinaus.
Dasselbe Spiel betreiben der EZB-Präsident Mario Draghi und seine Kumpane in der Europäischen Währungsunion (EWU). Aber (zumindest) auch die japanische, amerikanische und britische Zentralbank.
Allerdings dürfte es in der EWU (vielleicht auch anderswo) zwei gegenläufig wirkende Strömungen geben:
- Die Geschäftsbanken haben die Kreditvergabe zurückgeschraubt. Die verstärkte Schöpfung von Zentralbankgeld ("Basisgeld") hat also möglicher Weise nicht (oder nicht im entsprechenden Ausmaß) zur Schöpfung von Bankengeld geführt. Die Geldschöpfung der EZB sagt nichts über die Geldmenge aus, weil die Wirtschaftssubjekte, vom Bargeld abgesehen, AUSSCHLIESSLICH mit Bankengeld arbeiten. Zentralbankgeld in Form von Buchgeld (also mit Ausnahme von Bargeld) können überhaupt nur die Banken selber halten (sowie Staaten mit Konten bei der Zentralbank).
- Die Geldbesitzer (die "Zweitgeldempfänger" usw., also diejenigen, die das Geld (im Gegensatz zum "Erstgeldemfänger") als "echtes" Eigentum, ohne Rückzahlungspflicht, besitzen) horten das ihnen gehörende Geld wahrscheinlich zu einem nicht geringen Teil. D. h. sie verwenden es nicht für Ausgaben in der Realwirtschaft oder zumindest nicht für Ankäufe aus der laufenden Produktion ("Stromgrößensphäre").
Wohl aus diesen Gründen ist es jedenfalls in der Stromgrößensphäre in der Europäischen Währungsunion (EWU) bislang noch nicht zu einer größeren Inflation gekommen. (An anderer Stelle - S. 134 Mitte - sagt Binswanger übrigens auch selber: "Geldschöpfung ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für Wirtschaftswachstum, für Inflation oder für spekulative Blasen.")
Allerdings möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal auf ein Problem hinweisen, welches die Fachdebatte möglicher Weise nicht hinreichend im Fokus hat. Sofern meine Annahme zutrifft, dass die Zentralbanken Geld "drucken", um einen Ersatz für das durch Hortungsvorgänge fehlende Geld in die Realwirtschaft "reinzupumpen", müsste das eine Bonitätsverschlechterung der Wirtschaftsteilnehmer zur Folge haben: Weil die Nachfrage dann zunehmend nicht mehr aus dem "Eigengeld" der "Zweitgeldempfänger" usw. resultieren würde, sondern von "Erstgeldempfängern" käme, die sich das Geld geliehen haben.
Grundsätzlich ist eine geldbasierte Wirtschaft ja als ein Geld-Güter-Kreislauf angelegt. Das emittierte Geld wird zur Güterproduktion verwendet (Bezahlung der Arbeitnehmer usw.), und dann zum Kauf dieser Güter.
Wird es diesem Kreislauf entzogen (durch Hortung oder durch mangelnden "Nachschub" aufgrund von Kreditrestriktionen des Bankensektors), stockt die Produktion: Es kommt zur Wirtschaftskrise (wie 1929 ff.).
Wollen die Zentralbanken (bzw. der Staat als Kreditnehmer) das verhindern und steuern sie für längere Zeiträume gegen, wird in der Summe (natürlich nicht in jedem Einzelfall) der mikroökonomische Selbstregelmechanismus ausgehebelt, bei dem die Kreditnehmer später selber Güter am Markt anbieten und so ihre Kredite zurückzahlen: Die "Zweitgeldempfänger" speisen das Geld nicht mehr als Nachfrage in die Realwirtschaft (oder zumindest nicht in die Stromgrößensphäre, wo u. a. die große Masse der Arbeitnehmer beschäftigt wird) zurück. Die dort fehlende Nachfrage wird durch immer neue Kredite (Ponzi-Finanzierung) ausgeglichen. Jedoch hat der Kreditnehmer (typischer Weise der Staat; in den letzten Jahrzehnten - in den USA vielleicht bereits seit den 20er Jahren - zunehmend auch Private) keine entsprechenden Einnahmen ("Eigengeld"), mit denen er die Schulden tilgen könnte.
Auch wenn man sich dieser Sichtweise nicht anschließen will sollte doch deutlich sein, dass es noch (allzu) vieles gibt, was wir an der Geldwirtschaft bzw. deren aktuellem Zustand nicht verstehen. Da gibt es erheblichen Forschungsbedarf; aber zu wesentlichen neuen Erkenntnissen wird man wohl nur kommen, wenn man neue Hypothesen aufstellt und diese rigoros testet: Auf innere Stringenz und auf Übereinstimmung mit den Fakten und Erklärungswert für diese. Dabei wird man großenteils auf Vergleiche mit entsprechenden Vorgängen aus der Wirtschaftsgeschichte angewiesen sein - was vielleicht auch die deutsche Historische Schule der Wirtschaftswissenschaften bis zu einem gewissen Grade rehabilitieren würde.
Jedenfalls: Dass wir mit der anglo-amerikanischen Mainstream-VWL nicht weiterkommen, die eine (zumindest längerfristige) Neutralität des Geldes für die Realwirtschaft postuliert, ist wohl auch die Meinung von Prof. Binswanger, der diese neoliberale Glaubensgewissheit heftig attackiert (Teil III, Kap. 4, S. 155 ff.).
Mit anderen Worten: Anders als Benes/Kumhof behaupten (haben die das Buch nicht komplett gelesen oder verschweigen die vorsätzlich Informationen, die ihren Vollgeld-Phantastereien entgegenstehen?) gesteht Hjalmar Schacht sehr wohl ein, dass die Reichsbank die Hyperinflation verursacht hatte!
11) Zu S. 136/137:
"Findet in einer Volkswirtschaft keine Geldschöpfung statt [gemeint ist offenkundig: keine ZUSÄTZLICHE G.], dann kann nur das Geld wieder ausgegeben werden, dass [recte: das] vorher eingenommen wurde. Wird deshalb mehr Geld für Investitionen ausgegeben, dann bedeutet dies zwangsläufig, dass weniger Geld für Konsum zur Verfügung steht." Das ist richtig. Nur muss man sich dessen bewusst bleiben, dass sich der Satz nicht einfach "umkehren" lässt; etwa zu der Aussage: 'Durch zusätzliche Geldschöpfung können Investitionen in BELIEBIGER Höhe finanziert werden, ohne dass der Konsum eingeschränkt werden müsste'. Die Summe der volkswirtschaftlichen, ggf. sogar der weltwirtschaftlichen Leistungskapazität setzt die Grenze für die Nachfrage. Ist die erreicht, und will man die Investitionen steigern, dann geht das zwangsläufig nur zu Lasten des Konsums - auch wenn man das Geld aus dem Nichts schöpft.
Die Situation, die sich aus einer solchen Umschichtung ergeben würde, schätzt Binswanger falsch ein, wenn er behauptet (S. 137 Mitte; meine Hervorhebung):"Wann immer den Haushalten weniger Geld für Konsum zur Verfügung steht, sinken ihre Konsumausgaben UND DADURCH WIEDERUM DIE EINNAHMEN DER UNTERNEHMEN".
In der realen Welt wäre es zweifellos problematisch, die Nachfrage PLÖTZLICH von Konsumsektor auf den Investitionssektor umzuschichten. Und schon in meiner Arbeit "Rentenreich" aus dem Jahr 2004 hatte ich (gegen Prof. Hans-Werner Sinn, der die auf den ersten Blick scheinbar geniale Idee ausgeheckt hatte, durch höhere Investitionen den Wachstumspfad der deutschen Wirtschaft zu steigern) darauf hingewiesen, dass Investitionssteigerungen zu Lasten des Konsums nicht unbedingt Sinn machen, und in einer Marktwirtschaft auch nicht einfach dadurch herbeigeführt werden können, dass man die Menschen zum Geldsparen (hier in Form von Vorsorgesparen) ermuntert oder gar zwingt. Denn Unternehmer investieren ja nur dann, wenn sie anschließend auch eine entsprechende Nachfrage erwarten. Die wird aber justament durch ein solches (freiwilliges oder erzwungenes) (Vorsorges-)Sparen eingeschränkt. Es kann also geradezu ein "self-defeating-device" sein wenn man versucht, durch mehr Sparen die Wirtschaft anzukurbeln.
ABER: Es ist mitnichten grundsätzlich unmöglich oder auch nur zwangsläufig negativ, den Konsum zu reduzieren und die Investitionen zu steigern. Vor allem sinken dadurch keineswegs die Gesamteinnahmen des Unternehmenssektors, denn es sind ja immer Unternehmen, die sowohl Konsumgüter als auch Investitionsgüter herstellen und verkaufen. Auf dem Papier ist eine solche sektorale Ausgabenverlagerung ein Nullsummenspiel: Die Umsätze der Konsumgüterproduzenten sinken; jene der Investitionsgüterhersteller steigen in gleichem Maße. Sofern diese Umstellung "sanft" über einen hinreichend langen Zeitraum verteilt wird, und falls die durch die Mehrinvestitionen gesteigerte Produktion später auch ihre Abnehmer findet, muss eine solche Verschiebung auch real nicht zu größeren Verwerfungen führen.
12) Zu S. 137/138:
"Für die Weltwirtschaft als Ganzes sind Auslandsfinanzierungen ein Nullsummenspiel, das netto keinen Zufluss an Finanzen ermöglicht." (S. 138 oben)
Das gilt nur dann, wenn man zugleich von einer insgesamt statischen Geldmenge ausgeht. Wird diese jedoch im Ausland ("Importland") erhöht und geht das Ausland damit im Inland ("Exportland") "einkaufen", dann wird im jeweiligen Inland die Exportindustrie angekurbelt (sofern sie die Kapazitäten ausweiten kann; sonst folgt Inflation).
Eine Produktionssteigerung der Exportindustrie führt allerdings nicht unbedingt zu einer REALEN Wohlstandsmehrung im Inland. Eigentlich sollte nämlich das Exportland parallel seine Importe steigern, um Ungleichgewichte zu vermeiden. Tatsächlich jedoch scheint es beispielsweise in Deutschland (wie aber auch in China und Japan) so zu sein, dass die Exportländer ihre Überschüsse auf Pump verkaufen. Das heißt sie steigern ihre Geldforderungen an die Importländer (indem sie deren Währungen in den Tresor legen oder deren Staatsanleihen kaufen oder den dortigen Banken Interbanken-Kredite geben - oder ABS-Wert- bzw. Schrottpapiere abkaufen). Aber nichts von diesem (Auslands-)Geld-Reichtum kommt in Form von Gütern bei den emsigen Export-Ameisen an. Und irgendwann werden die Devisen entwertet (Inflation im Importland) oder geht der ausländische Staatsschuldner pleite, und der Wert der gehorteten Forderungen gegen die ausländischen Schuldner geht ganz oder teilweise in Rauch auf. Die Alternative, den ausländischen Schuldner mit inländischen Steuergelder zu alimentieren (Griechenland!), ist noch dümmer.
Leistungsbilanzdefizite werden i. d. R. wohl (direkt oder indirekt) großenteils durch eine Geldschöpfung im Defizitland (USA, Griechenland usw.) "finanziert". Sonst würde das Geld in diesen Ländern ausgehen. Allerdings kann und wird es in einem weiteren Schritt von den Überschussländern wohl häufig als "Sekundärkredit" an die Defizitländer zurück verliehen (z. B. in den USA durch Ankäufe von Staatsanleihen oder gebündelten Privatkrediten - CDOs).Die Griechen finanzieren ihre Leistungsbilanzdefizite, indem sie gewissermaßen ihre eigenen "Griechen-Euro" schöpfen. Mehr dazu in dem Aufsatz "Zahlungsbilanzkrisen im Eurosystem: Griechenland in der Rolle des Reservewährungslandes?", den Prof. Wilhelm Kohler etwa Mitte 2011 im Rahmen der damaligen sog. "Target-Debatte" verfasst hatte. Diese drehte sich um die Natur und die Problematik der Kreditgewährung zwischen den Zentralbanken des EWU-Systems, welche technisch im sog. "Target2-System" abgewickelt wird. Man sollte meinen, dass die einschlägigen Zusammenhänge für jeden Wirtschaftswissenschaftler sonnenklar sind; tatsächlich tobte damals jedoch eine heftige Kontroverse, und vermutlich gibt es über viele Fragen bis heute keinen allgemeinen Konsens.
Vor allem dürfte vielen Debattenteilnehmern (und der breiten Öffentlichkeit sowieso) nicht klar sein, dass Staatsschulden etwas anderes sind als Schulden der Volkswirtschaft (= Forderungen des Auslands gegen Notenbanken von Defizitländern).Staaten können pleitegehen; Notenbanken (faktisch) nicht. Von daher ist auch nicht mit einem Totalausfall etwa der deutschen Target-Salden gegenüber Griechenland zu rechnen; wohl aber mit einer drastischen Abwertung. (Vgl. näher meinen Blott "Was ist Geld? Was sind folglich die Target2-Salden in der Eurozone?" vom Oktober 2012.)
Weitere Erörterungen zur Auslandsfinanzierung s. unten "Zu S. 229 unten / 230 oben".
13) Zu S. 146 Mitte:
"Eine Zunahme des Konsums setzt ..... eine vorherige Zunahme der Lohnzahlungen voraus." Auf Dauer ist das richtig; temporär kann der Konsum aber auch durch Konsumentenkredite angekurbelt werden (vgl. auch oben unter Ziff. 8 zu Colin Crouch und dem "privatised Keynesianism"). Die Frage wäre dann freilich, für welche Zeiträume ein solches System funktionsfähig ist. Ponzi-finanziert könnte das vielleicht sogar ewig funktionieren; OB es aber ponzi-finanziert werden kann und wird hängt von den Regulierungen und den Entscheidungen der Banken ab. Früher oder später würden die bei ständig steigenden Schulden ihrer Kunden wahrscheinlich doch nervös werden (genau wie bei Staatsschulden: Griechenland!).
14) Zu S. 148 oben:
"Erhöhung der gesamten Lohnsumme ist ..... notwendig, um einerseits die Produktion zu steigern und um andererseits die zusätzlich produzierten Güter auch abzusetzen." Auf dem Papier oder gewissermaßen auf Basis der ökonomischen "Grundrechenarten" ist das richtig. In der gegenwärtigen ökonomischen Realität scheint es allerdings so zu sein, dass Lohnerhöhungen durch Kredite an Staat und Konsumenten ersetzt werden. Was zwei Fragen aufwirft: Wo bleibt der Lohn(zuwachs), der den Arbeitnehmern gewissermaßen "vorenthalten" wird? und Wie lange kann ein solches System der Konjunkturstabilisierung durch Vergabe von Konsum- und Immobilienkrediten ("privatised Keynesianism") gutgehen?
15) Zu S. 157 unten:
"Nur bei nicht produktiver Verwendung von Geld (zum Beispiel Konsum) bewirkt ein Zufluss von Geld ausschließlich Preiserhöhungen. Der entscheidende Zusammenhang zwischen Geld und Realwirtschaft ergibt sich aber durch die Produktive Verwendung von neu zufließendem Geld, indem damit zusätzliche Investitionen finanziert werden." Diese Zusammenhänge gelten nach meiner Vermutung allenfalls insoweit, wie das Geldmengenniveau DAUERHAFT erhöht wird. Aber selbst dann scheint es Mechanismen zu geben, welche die Geldmengenerhöhung neutralisieren können - vgl. Ziff. 4.
16) Zu S. 160/161:
"Sobald zufließendes Geld produktiv in neues Realkapital investiert wird, verändert sich die Wirtschaft auf nachhaltige Weise" schreibt Binswanger (S. 161 Mitte), und zwar als Vorwurf gegen David Hume, der diesen Zusammenhang nicht berücksichtigt habe. Insoweit könnte ich mir allerdings vorstellen, dass für Hume das Realkapital noch keine große Rolle spielte, sondern sein Denken vorwiegend auf die Menge der eingesetzten Arbeit (der beschäftigten Arbeitnehmer) abstellte. Schließlich lebte und schrieb David Hume VOR der industriellen Revolution.
17) Zu S. 161 unten:
Hier zitiert Binswanger Joseph Schumpeter: "Dienen die Kredite zur Finanzierung von Innovationen, so erhöht sich mit der Geldmenge auch das reale Angebot." Das ist zweifellos richtig; auch hier darf man aber nicht stillschweigend den "Umkehrschluss" ziehen, dass eine erhöhte Geldmenge das reale Angebot ausschließlich dann (und dadurch) steigern könne, wenn (indem) sie Innovationen finanziert. Vielmehr muss sich der Möglichkeit bewusst bleiben, dass eine Geldmengensteigerung das reale Angebot in einer ganz bestimmten Fallkonstellation auch dann steigern kann, wenn sie nicht für Innovationen eingesetzt wird: Nämlich im Falle einer Unterauslastung der Realwirtschaft. Das ist ja gerade der Sinne der Geldpolitik der Zentralbanken, die Wirtschaft im Zustand einer optimalen (nicht unbedingt maximalen!) Auslastung zu halten bzw. sie dahin zurück zu bringen (etwa nach der Finanzkrise 2007/2008 ff.)
18) Zu S. 169 oben:
"Die Doktrin der Neutralität des Geldes führt letztlich zu der sogenannten Dichotomie ..... zwischen dem realen und monetären Sektor einer Volkswirtschaft." Ich denke, diese Dichotomie ist insofern durchaus real, als der monetäre Sektor ein gewisses Eigenleben entfaltet. (Genau das ist ja gerade das Problem: Wäre er bloß ein Schleier für realwirtschaftliche Tauschvorgänge, könnte es z. B. nicht zur Geldhortung kommen.) Der weitere Text deutet darauf hin, dass Binswanger hier keine reale Zweiteilung meint, sondern ein Auseinanderklaffen der Theorieebenen, durch die es nicht gelingt, Real- und Geldwirtschaft in einem einzigen konsistenten Modell zusammenzuführen.
19) Zu S. 171 Mitte:
"Gerade dies aber [die produktive Verwendung von neu geschaffenem Geld] ist aber der entscheidende Punkt der Nichtneutralität des Geldes, da sich das reale Wirtschaftsgeschehen auf diese Weise unwiderruflich ändert." Sicher macht es einen Unterschied für die Wirtschaft, ob Geld produktiv oder unproduktiv verwendet wird. Aber ebenso, ob es überhaupt realwirtschaftlich nachfragewirksam wird, oder in Horte (klassisch: "Kopfkissen" bzw. Tresor; heute vermutlich: "reine" Finanzmärkte) abwandert. Anders gesagt: Innovationen und damit eine Produktionssteigerung können an Geldmangel scheitern. Ebenso können aber die realwirtschaftlichen Transaktionen auch dadurch von ihrem bereits erreichten Niveau absinken, dass die Geldbesitzer ihr Geld teilweise nicht ausgeben.
20) Zu S. 172 - 174:
"Glaube und Wissen in der Wissenschaft - ein kleiner wissenschaftstheoretischer Exkurs" lautet die Überschrift dieses Kapitels.
Binswanger macht hier, wenn ich ihn - zusammenfassend - richtig verstehe, quasi technische Faktoren der Wissensvermittlung innerhalb des "Funktionssystems Wissenschaft" (wie Niklas Luhmann sagen würde) für den Mythos und hartnäckigen Fortbestand des Glaubens an die Neutralität des Geldes verantwortlich. Das ist auf den ersten Blick richtig; scheint mir aber zu kurz gegriffen. Zumindest sollte man die Arbeitshypothese zulassen, dass hier die Interessen der Geldbesitzer eine große Rolle spielen, ihre Rolle als potentielle Störfaktoren eines reibungslosen Wirtschaftsablaufs zu verschleiern. (Aber, wie gesagt, durch soziologisch zu erklärende Übertragungsmechanismen, nicht durch "Verschwörungen".)
21) Zu S. 229 unten / 230 oben:
"Die Verbriefung vieler Hypothekarkredite führe allerdings dazu, dass sich die Geldschöpfung durch Kreditvergabe nicht mehr direkt in den Geldmengenstatistiken erkennen ließ" (S. 229 unten; meine Hervorhebung).Und weiter:
"Zwar verursachte die Vergabe von Hypothekarkrediten weiterhin eine Zunahme der Geldmenge, indem die [durch die Banken] vergebenen Kredite den Konten der Kreditnehmer gutgeschrieben wurden. Durch die anschließende Verbriefung und den Verkauf der Kredite an Investoren wurden die entsprechenden Geldbeträge jedoch wieder von den Konten der Investoren abgebucht, was die ursprüngliche Geldschöpfung rückgängig machte." Hier wäre neuerlich (s. a. oben "Zu S. 35-37") der Begriff "Sekundärkredit" hilfreich gewesen, der eigentlich erst ein korrektes Verständnis derartiger Zusammenhänge ermöglicht. Denn der chronologisch-technische Ablauf, dass zunächst Banken (Immobilien-)Kredite vergeben, dadurch die Geldmenge erweitern und anschließend beim Verkauf der Kredite die Geldmenge wieder sinkt ist als solcher aus der Makro-Perspektive unerheblich. Die Zwischenstufe der Geldschöpfung (Geldmengenausweitung) kann man getrost ausblenden und muss das sogar tun, wenn man den Kern dieser Informationen verstehen will. Der besteht darin, dass die amerikanischen Immobilienkredite zu einem großen Teil als Sekundärkredite ausgereicht wurden, also aus bereits in der Wirtschaft vorhandenem Geld und somit (letztlich) ohne Geldmengenausweitung.(Einen analogen Fall der Vergabe von Aktienkrediten durch - echte - Finanzintermediäre, beschreibt Binswanger auf S. 224: "In solchen Zeiten wird bereits früher geschaffenes Geld neu zum Kauf von Aktien verwendet.")Die o. a Formulierung "Geldschöpfung durch Kreditvergabe" ist also zumindest irreführend, denn per saldo hat hier (soweit die Kredite an Nichtbanken weiterverkauft wurden) keine Geldschöpfung stattgefunden.
Wer kommt überhaupt als (Letzt-)Finanzier dieses Teils der Immobilienkredite in Betracht, nachdem Bankenkredite ja geldschöpfend sind, also (von der Zwischenphase abgesehen) als Finanzierungsquelle für Sekundärkredite ausscheiden?
Und welche systemischen Zusammenhänge können wir aus diesen empirischen Feststellungen herleiten bzw. welche Rückschlüsse auf bestimmte Mechanismen des (Nicht-)Zusammenspiels von Gelddimension und Realwirtschaft können wir daraus ziehen? Als Quelle für Sekundärkredite kommen in Betracht Versicherungen Pensionsfonds (speziell in den angelsächsischen Ländern; bei uns weniger) Unternehmen (die eigentlich einen anderen Geschäftszweck haben, aber Geldüberschüsse am Markt anlegen wollen), Ich vermute allerdings, dass Unternehmen, speziell im angelsächsischen Raum, nicht für das Geschäft benötigte Überschüsse eher an die Aktionäre auskehren würden als sie zu "bunkern". Privatpersonen (insbesondere die Wohlhabenden). Diese Kredite müssen nicht zwingend aus dem Inland kommen; die können auch mit ausländischen Geldern finanziert werden.
Meine erste Vermutung war, dass ein relativ hoher Anteil von Sekundärkrediten bei den Finanzierungen als Krisenanzeichen gewertet werden muss. Weil er bedeutet, dass die Geldbesitzer ihr Geld nicht ausgeben, sondern sparen (sonst könnte es nicht als Sekundärkredit verliehen werden).Allerdings haben wir oben unter "7) Zu S. 132 unten" gesehen, dass Banken die Kundeneinlagen (Ersparnisse) zwar nicht verleihen; dass diese aber sehr wohl ein limitierender Faktor für die Kreditvergabe der Banken sind (soweit sie sich das Basisgeld nicht direkt bei der Zentralbank leihen können). Von daher sollte es im Hinblick auf den Nachfrageausfall der "Eigengeldbesitzer" eigentlich keine Rolle spielen, ob diese ihr Geld auf Banken oder bei echten Kreditintermediären (also bei reinen "Weiterleitern" von gesparten Geldern) "bunkern". Das würde GEGEN meine Vermutung im vorigen Absatz sprechen.
Interessanter Weise leben sowohl ein wirtschaftlich eigentlich starkes Land wie die USA als auch ein Land mit schwacher Volkswirtschaft, wie Griechenland, teilweise vom Ausland, indem sie über längere Zeiträume hinweg Leistungsbilanzdefizite haben. Sie bekommen also vom Ausland (speziell von den Exportüberschussländern wie China, Deutschland und Japan) Kredite eingeräumt.
In Griechenland funktioniert das (bei Privatkrediten; Staatskredite bekommt das Land - vom ESM - momentan wohl nur noch zur Bezahlung alter Schulden) in der Form, dass z. B. in Griechenland ein Porsche gekauft und die Zahlung (am Anfang der Kette) über eine griechische Bank abgewickelt wird. Die griechische Bank transferiert den Betrag über die Zwischenstationen der griechischen Zentralbank und der deutschen Zentralbank (also der Bundesbank) an die Hausbank von Porsche, was sie im konkreten Einzelfall das aus ihrem Guthaben tun bei der griechischen ZB tun wird. Dieses Guthaben KANN von Einlagen griechischer Hoteliers herrühren, die das Geld ihrerseits (um den Zusammenhang ganz simpel zu modellieren) von deutschen Urlaubern erhalten haben. Dann würde es sich um einen relativ simplen (zeitverzögerten) Tausch zwischen der deutschen und der griechischen Volkswirtschaft handeln. Wenn man sich als Porsche-Käufer den Hotelier und als Urlauber Arbeitnehmer von Porsche vorstellt, wäre das sogar ein beinahe direkter Tausch, der nicht einmal Geldschöpfung erfordern würde: Der griechische Hotelier würde einfach sein Bankguthaben verwenden, um den Porsche zu kaufen. Den Großteil, vermutlich sogar den überwiegenden Teil des deutsch-griechischen Außenhandels darf man sich durchaus so vorstellen. Aber die Griechen möchten gerne mehr konsumieren, als sie selbst produzieren bzw. an Gegenwert ins Ausland liefern. Dadurch wird ein nicht geringer Teil des griechischen Leistungsbilanzdefizites von Deutschland kreditiert. Technisch läuft das über das Target2-System der Europäischen Zentralbank (EZB) ab. Aber faktisch handelt es sich um "Devisenreserven" der Bundesbank in "Griechen-Euro", letztlich nicht anders als bei Leistungsüberschüssen in US-Dollar, die sich in "echten" Devisenreserven niederschlagen. (Vgl. dazu den Aufsatz "Zahlungsbilanzkrisen im Eurosystem: Griechenland in der Rolle des Reservewährungslandes?" von Prof. Wilhelm Kohler.) In beiden Fällen (USA und Griechenland) waren bzw. sind die Schulden nicht nachhaltig. Großenteils sind das aber Schulden bei ausländischen Sparern, die vielleicht besser daran getan hätten (bzw. täten) ihr Geld zu verbrauchen. Ansonsten werden sie früher oder später feststellen, dass sie ihre vermeintlichen Erspanrisse via (erzwungenem) Schuldenerlass oder durch Inflation verloren haben. Die Tatsache, dass Deutschland, insgesamt gesehen, durch seine Exportüberschüsse ohnehin zu hohe Geld-Ersparnisse anhäuft spricht auch dagegen, die deutschen Arbeitnehmer bzw. Bürger zur Altersvorsorge im Kapitaldeckungsverfahren ("Riester-Rente") zu zwingen oder sie dorthin zu locken. Wir häufen, gesamthaft als Volkswirtschaft gesehen, auf diese Weise lediglich noch mehr Forderungen an, die sich letztlich als wertlos oder als unter-wertig erweisen werden. (Vgl. dazu auch oben "Zu S. 137/138".) (Zur hohen Kreditvergabe ausländischer Banken in den USA vgl. S. 252 unten / 253 oben.)
22) Zu S. 231 oben:
"Die massive Kreditvergabe an Subprime-Kreditnehmer bei gleichzeitiger Verbriefung dieser Kredite bedeutete somit letztlich eine Neuverwendung von bereits bestehendem Geld, indem dieses statt in der Realwirtschaft neu auf dem Immobilienmarkt verwendet wurde und dort für entsprechende Inflation sorgte."
Diese Schilderung führt in die Irre. Denn auch durch Wohnungsbau fließt das Geld ja in die Realwirtschaft. Das eigentliche Problem ist, dass es nicht DIREKT, also in Form von Nachfrage der Geldeigentümer selber in die Wirtschaft geflossen ist*, sondern verliehen wurde an Schuldner, die (in der Summe) rein strukturell gar nicht die Chance hatten, ihre Schulden zu tilgen.
Und zwar deshalb nicht, weil sie nicht an das dafür benötigte "Eigengeld" kommen konnten. Dieses können Wirtschaftssubjekte nur dadurch bekommen, dass die Geldeigentümer selber ihre Waren nachfragen. Horten die jedoch das Geld und verleihen es (auf welchem Wege auch immer) lediglich, dann fehlt es in der Wirtschaft insgesamt an "Eigengeld", d. h. an mit Eigengeld gespeister Nachfrage. Anders gesagt verschlechtert sich die Bonität der Kreditnehmer in der Volkswirtschaft. (Vgl. neben den o. a. Aufsätzen von Colin Crouch über den "Privatised Keynesianism" u. a. auch die Arbeiten von George H. Blackford (z. B. "Wealth Transfers and the Crash of 2008").* [In die Realwirtschaft fließt das Geld unmittelbar nur bei Neubauten, und auch dann lediglich hinsichtlich der Bauleistung, nicht des Grundstückskauf. Bei letzterem, sowie für den Kauf von bereits erstellten Immobilien (vgl. S. 233 zum britischen Immobilienboom in den 70ern, wo 2/3 der Kredite für den Ankauf bestehender Immobilien verwendet wurde) KANN das Geld letztlich auch in die Realwirtschaft fließen: WENN der Verkäufer es dort ausgibt. Muss er aber natürlich nicht, und wenn er es hortet, wird es bei solchen Transaktionen innerhalb der Bestandsgrößensphäre nicht realwirtschaftlich nachfragewirksam und damit natürlich auch nicht beschäftigungswirksam.]
23) Zu S. 238:
"Die Analyse des Zusammenhangs zwischen Geldschöpfung und Immobilienpreisen zu Beginn des neuen Jahrtausends zeigt ..., wie komplex die Zusammenhänge zwischen Kreditvergabe, Geldmengenänderungen und Preisänderungen in modernen Wirtschaften tatsächlich sind. Verschiedenste Arten von Krediten und verschiedene Nutzungen überlagern sich gegenseitig und die Änderung der Geldmenge wird bei einer starken Zunahme von Kreditverbriefungen auch durch Wertpapierkäufe der Geschäftsbanken beeinflusst."
Das ist von der Sache her richtig. Nur wäre es falsch, jetzt mit der Schulter zu zucken und zu schlussfolgern: "Nichts Genaues weiß man nicht". Es ist eben falsch (ohne dass ich das jetzt Binswanger zum Vorwurf machen wollte, der sich thematisch auf die Geldschöpfung fokussiert) nur auf Geldmengen und Kreditmengen zu schauen ohne zu hinterfragen, warum eine möglichst hohe Kapazitätsauslastung der Wirtschaft auf solchen wackeligen Kredittürmen errichtet werden muss, bzw. nur mit deren Hilfe erreicht wird. Bei einer solchen volkswirtschaftlichen Gesamtbetrachtung kommt man um kritische Fragen zu Einkommensverteilung und Einkommens-(Nicht-)Verwendung der großen Geldbesitzer nicht herum, wenn man an ERKENNTNISSEN interessiert ist. (Und nicht an einer Interessenverteidigung der Besitzenden. Was ich, wie gesagt, nicht Binswanger vorwerfe. Aber bei vielen anderen Debattenteilnehmern ist das Ziel einer Problemvernebelung sehr deutlich sichtbar.)
24) Zu S. 257 unten:
"Noch tiefer als auf null kann der Nominalzins für den Bezug [der Banken] von Reserven nicht gesenkt werden."
Doch, das kann er durchaus. Rein technisch ist das überhaupt kein Problem, weil die Zentralbanken Geld in jeder beliebigen Menge schöpfen können. Sie könnten also sehr wohl den Banken für die Aufnahme von Krediten noch Geld dazu geben. Die Frage wäre, welche ökonomischen Folgen das hätte.
Zunächst einmal hätte es eine ausgesprochen ungerechte Verteilungsfolge, weil die Banken Geld geschenkt bekämen. Das würde sicherlich politisch vom Volke nicht akzeptiert werden; wenn schon Geld verschenken, dann doch lieber an den Staat und/oder direkt an die Bürger. In beiden Fällen würde sich natürlich die umlaufende Geldmenge vermehren, und jedenfalls der zusätzlich zum Kredit verschenkte Zins (oder das verschenkte Disagio) wäre für die Zentralbank nicht mehr rückholbar. Tendenziell wäre diese Geldmengenvermehrung inflationär wirken; das allerdings erst dann, bzw. insoweit als, das zusätzliche Geld nicht auch wieder in Horten verschwindet. Sobald die aufgelöst werden, kracht es natürlich.
25) Zu S. 258 unten / 259 oben:
"... Kaufprogramme, die gleichzeitig der Entsorgung eines großen Teils der Mortgage Backed Securities (MBS) dienten. Auf diese Weise wurden in den Geschäftsbankenbilanzen riskante, teilweise von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Schulden durch erstklassige Schulden der Zentralbank (Reserven) ersetzt."
Nach dieser Darstellung von Binswanger müsste oder könnte man vermuten, dass die Zentralbank Verluste gemacht hat, die eigentlich bei den Banken hätten anfallen müssen. Ich kenne die Einzelheiten dieser Transaktionen nicht, bezweifle aber, dass sie in der Summe für die Fed ein Verlustgeschäft waren.
Es könnte sich um Repo-Geschäfte gehandelt haben, bei denen die Banken diese Kredite später wieder zurückkaufen mussten. Oder die Verluste wurden im Wege entsprechender Abschläge beim Kaufpreis berücksichtigt. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass die amerikanische Öffentlichkeit echte Verlustübernahmen von privaten Banken durch die Fed hingenommen hätte. Ich habe also meine Zweifel, ob die FED tatsächlich zum "Garbage Bag of Last Resort" (S. 262) gemacht wurde.
26) Zu S. 272 unten und S. 272/273:
"Die ganzen geldpolitischen Kapriolen der EZB seit dem Ausbruch der Krise hatten bisher keinen erkennbaren Einfluss auf die Kreditvergabe der Banken ..." Und "Das Wachstum des breit definierten Geldmengenaggregats M3 ist seit 2009 relativ gering und zeigt keine dramatische Änderung. Während die EZB stets mit neuen 'unkonventionellen Maßnahmen' herumexperimentiert, vergeben die Geschäftsbanken völlig unbeeindruckt davon weiterhin nur relativ wenig zusätzliche Kredite."
Ich glaube nicht, dass die behauptete Einflusslosigkeit zutrifft. Wahrscheinlich denkt Binswanger hier daran, dass die Geldpolitik der EZB die Kreditvergabe nicht gesteigert hat. Doch kann sich ein Einfluss der Geldpolitik auch in der Form äußern, dass ein SINKEN der Kreditvergabe verhindert wurde. Darum dürfte es der EZB (und den anderen Zentralbanken) gegangen sein, und das haben sie ja offenbar auch erreicht. Das Fazit (S. 272 oben) "... dass auch die EZB de facto die Kontrolle über die Geldschöpfungstätigkeit der Geschäftsbanken verloren hat" ist daher m. E. nicht berechtigt. Natürlich ist die Kontrolle keine absolute (das war sie auch nie); aber wirkungslos ist die Geldpolitik der Zentralbanken keineswegs.
27) Zu S. 277 unten bis 279:
Für Binswanger liegt die eigentliche Deckung von Basisgeld (Zentralbankgeld) im Glauben "... an ein längerfristig weiterhin stattfindendes Wirtschaftswachstum und damit an die produktive Verwendung eines Teils der von den Banken vergebenen Kredite." Bzw. schlussendlich dann doch nicht im Glauben an das (Wieder-)Eintreten dieses Zustandes, sondern an dessen (Wieder-)Verwirklichung: "Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Mehrheit der Schulden in einer Wirtschaft trotz zeitweiliger Wirtschaftskrisen langfristig doch zurückbezahlt werden können". Tatsächlich liegt die Deckung von Geld immer darin, dass man sich Güter damit kaufen kann. Insoweit spielt es natürlich auch eine Rolle, wie viel von dem geschöpften Geld überhaupt als Nachfrage in der Realwirtschaft WIRKSAM wird. Wollten sich alle Geldbesitzer reale Güter kaufen, hätten wir wahrscheinlich binnen Kurzem eine Hyperinflation. Die Zentralbanken sitzen gewissermaßen zwischen Skylla und Charybdis: Sie müssen (sehr viel) mehr Geld schöpfen, als die Realwirtschaft "eigentlich" absorbieren kann. Weil eben ein großer Teil dieses Geldes in den reinen Finanzmärkten kreiselt, und die Nachfrage nach realwirtschaftlichen Leistungen einbrechen würde, wenn dieser Geld"überschuss" nicht in Umlauf wäre. Andererseits haben Sie keine unmittelbare oder enge Kontrolle darüber, was die Geldbesitzer mit ihrem Vermögen treiben. WENN also die Geldhorte als Nachfrage in die Realwirtschaft zurück schwappen, kann es durchaus zu einer massiven Inflation kommen.I m Hintergrund dieser Zwickmühle steht nach meiner Einschätzung die gesellschaftliche Verteilungsproblematik: Die "Überakkumulation" des Geldes bei den Reichen (und bei den Vorsorgesparern in aller Welt). Die Geldbesitzer können ihr Geld großenteils weder verkonsumieren noch (sinnvoll) investieren. Und DIESER Problematik kann auf Dauer keine Geldpolitik der Welt beikommen. (Was natürlich nicht umgekehrt bedeutet, dass dies die einzige Dimension wäre, welche Zentralbanken bei ihrer Geldpolitik zu berücksichtigen hätten.)
28) Zu S. 299 unten / 300 oben:
Hier geht es um Vollgeld, und zwar an dieser Stelle spezifisch darum, auf welche Weise Vollgeld geschöpft werden soll.
Binswanger übersieht, dass der Vorschlag von Prof. Joseph Huber und die wohl darauf aufbauenden Vorstellungen der Schweizer Vollgeld-Initiative eine Geldschöpfung als "Willkürgeld" darstellen würden, und daher stark inflationär wirken würden ("Inflationssteuer"). Warum das so ist, habe ich in meinem Blott "Geldschöpfung der Schweizer Vollgeld-Initiative wäre Kreditschwindel" vom 02.01.2017 begründet (und ebenso unten - kürzer - erläutert). 29) Zu Kap. 4 "Wirksame Maßnahmen zur Wiederherstellung der Kontrolle" (S. 307 ff.)
Eine Schwäche von Binsheimers Ansatz sehe ich darin, dass er das Heil der Realwirtschaft allein von der Geldpolitik erwartet. Damit blendet er aus, dass auch die staatliche Fiskalpolitik eine wichtige Rolle spielt, und sieht nicht den 'Elefanten im Zimmer', die Verteilungsfrage. Wenn die Annahme (von mir und anderen) zutrifft, dass wegen des 'Über-Sparens' der Geldbesitzer eine befriedigende Kapazitätsauslastung der Realwirtschaft nur noch um den Preis einer massiven Kreditaufnahme durch die weniger Begüterten möglich ist, dann kann die Wirtschaft insgesamt nicht allein mit Geldpolitik bzw. Bankenregulierung auf dem Pfad der Stabilität gehalten werden.
Wissensspeicher:
Nachfolgend notiere ich einige weitere wichtige oder interessante Informationen aus dem Buch. Die Kriterien sind allerdings rein subjektiv; Vieles, worüber Binswanger informiert, war mir bereits bekannt und ist deshalb hier nicht aufgeführt. Diese Auswahl ersetzt also, wenn man mit den grundlegenden Funktionsweisen der kreditären Geldschöpfung bisher noch nicht wirklich vertraut ist, in keinster Weise eine Lektüre des Buches!
1) Zu S. 30:
Hier informiert Prof. Binswanger darüber, was "Sparen" im volkswirtschaftlichen bzw. statistischen Sinne eigentlich ist: Jedenfalls nicht das, was sich Otto Normalverbraucher darunter vorstellt (und was es für das sparende Wirtschaftssubjekt selber auch real ist).Mit dem Sparbegriff bzw. dem, was sich an ökonomischen dahinter verbirgt oder damit bezeichnet wird, habe auch ich mich schon mehrfach abgemüht: "Eine Geldhortung gibt es nicht " vom 01.02.2014; "Mit dem Rüssel auf dem Boden: Der Sparbegriff in der Volkswirtschaftslehre als Hirngeburt intellektueller Ameisenbären" vom 09.02.2014; "Geldschöpfung und Sparparadox: Analyse an einem "Schnittmodell" von Transaktions- und Dispositionsschritten" vom 04.07.2014 und "Geld sparen und Geld ausgeben (konsumieren oder investieren) sind inkommensurable Begriffe" vom 17.07.2014. [War offenbar mein "Spar-Jahr" 😄] Aber, um in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine Ausführungen oben zu S. 69 unten / 70 oben zurück zu kommen: Auch das volkswirtschaftliche Sparen ist nicht einfach ein abstrakter Vorgang, der sich irgendwo "im Off" abspielt und keine Auswirkungen auf der mikroökonomischen Ebene, also auf die einzelnen Wirtschaftssubjekte, hätte: Der Unternehmer, der 1 Mio. Euro hat, kann sich eine Yacht kaufen ("konsumieren") oder neue Maschinen ("investieren"). Mein (hypothetischer; ich bin Rentner) Arbeitgeber verdient sich die Million, indem er sie mir vom Lohn abzieht (mir weniger zahlt) oder auf den Preis für seine Güter draufschlägt. Das kann man sich aussuchen, wie man das modellieren möchte: Entscheidend ist in jedem Falle, dass ICH dieses Geld NICHT habe. Insoweit kann ich also weder konsumieren noch investieren. In beiden Fällen könnte der Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer natürlich einen Kredit aufnehmen: Der Unternehmer kann sich dann Maschinen UND Yacht kaufen; Der Arbeitnehmer den Kleinwagen, für den er ansonsten lange sparen müsste. Wesentlich für meine Argumentation sind dabei zwei Aspekte: Kreditnehmer müssen ihre Kredite tilgen, d. h. zu irgend einem späteren Zeitpunkt müssen sie insoweit ihren Konsum bzw. ihre Investitionen (bzw. ihre Geld-Spartätigkeit) einschränken. Die Grenze für Konsum und Investition zusammen wird von der jeweiligen Produktionskapazität der Volkswirtschaft (oder ggf. der Weltwirtschaft) bestimmt. Denken wir uns eine geschlossene Volkswirtschaft aus zwei Personen ("Wirtschaftssubjekte" - WSe), von denen der eine jährlich ein Auto und der andere eine Maschine produziert. Nimmt man weiterhin an, dass die Produktion substitutionselastisch ist (also problemlos vom Auto auf die Maschine und umgekehrt umgestellt werden kann), dann können beide WSe zusammen entweder 1 Auto + 1 Maschine kaufen, oder 2 Autos oder 2 Maschinen. Soweit der eine verzichtet (oder verzichten muss, weil er z. B. einen Kredit abbezahlt), kann der andere das Auto UND die Maschine, bzw. 2 Autos oder 2 Maschinen für sich selber kaufen. Was aber NICHT geht: Dass in der Summe mehr gekauft wird als diese beiden Objekte. Da hilft auch kein Gelddrucken; das würde (sofern die volkswirtschaftlichen Elastizitäten erschöpft sind, also insbesondere keine Produktionssteigerung möglich ist, was wir für unser Modell postulieren) lediglich dazu führen, dass die Anbieter die Preise erhöhen, also Inflation eintritt. Von daher schrumpft in der Realität tendenziell selbstverständlich die (sagen wir mal:) Kfz-Produktion und/oder die Bauwirtschaft, wenn der Staat seine Ausgaben überproportional zur evtl. Steigerung der Wirtschaftsleistung steigert und etwa mehr Lehrer und/oder Polizisten beschäftigt. (Die fehlen dann ja auch in anderen Wirtschaftssektoren als Arbeitnehmer). [Aus diesem Grund sehe ich die aktuelle Massenimmiggression von sog. "Flüchtlingen" in unser Deutschland, die ich aus Gründen der kulturellen Inkompatibilität ohnehin entschieden ablehne, auch unter dem "strukturökonomischen" Aspekt der Ausweitung des unproduktiven Staatssektors zu Lasten der Produktionskapazitäten extrem kritisch.]
2) Zu S. 45:
Wichtig speziell auch zum Verständnis der aktuellen Lage in der Euro-Zone ist Binswangers Hinweis, dass die Einflussnahme der Zentralbanken auf die Kreditvergabe nicht gleichmäßig in beide Richtung (Ausdehnung bzw. Kontraktion) wirkt: "Zentralbanken sind immer in der Lage, die Geldschöpfung zu verlangsamen [durch entsprechende Zinssteigerungen]. ..... Wünschen die Zentralbanken hingegen eine Ausdehnung der Geldschöpfungstätigkeit, dann ist ihre Einflussmöglichkeit wesentlich geringer. Zwar können sie die Zinsen für die Vergabe von Reserven bis auf null senken, doch ob dann tatsächlich mehr Kredite vergeben werden, ist eine andere Frage [vgl. dazu seine Erörterung S. 44].Rein technisch betrachtet können die Notenbanken sogar problemlos Minuszinsen für Kreditvergabe einführen, also den Geschäftsbanken noch Geld dazugeben, wenn diese einen Basisgeldkredit aufnehmen. Was man damit in der Wirtschaft anrichtet, ist freilich eine andere Frage.
3) Zu S. 151 unten / 152 oben:
"Zinsen für Bankkredite bedeuten für Unternehmen zunächst zusätzliche Ausgaben, aber sie führen schließlich auch zu mehr Konsum oder Investitionen, wenn sie von den Banken wieder ausgegeben werden, oder sie erhöhen deren Ersparnisse." Richtig. Deswegen muss, im Gegensatz zu einer unter Laien weit verbreiteten Vorstellung, auch keineswegs die Geldmenge steigen, um Zinsen (in einer statischen Wirtschaft) finanzieren zu können. Im Detail habe ich (am 21.01.2014) versucht, das in einem "EBaKeBa-Modell von Geldschöpfung, Zinsen und Realwirtschaft" durchzuspielen.
4) Zu S. 275 oben:
"... zunehmend werden die Devisen [die Devisenbestände der Schweizerischen Nationalbank] auch in Aktien angelegt".
Clever; das sollte unsere Bundesbank ebenfalls tun! Und ebenso die Target-Salden. DAS wäre eine Form von Sparen, die unseren zukünftigen Rentnern WIRKLICH helfen würde! Stattdessen empfiehlt uns die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft, NOCH MEHR zu sparen (unsere Exportüberschüsse bzw. genauer unsere Leistungsbilanzüberschüsse SIND ja bereits Ersparnisse!). Womit lediglich die Binnennachfrage noch mehr geschwächt wird und sich die BuBa weitere wertlose Forderungen (soweit sie eben keine realwirtschaftlichen Assets dafür ankauft) in den Tresor legen muss. (Beim Thema Altersvorsorge kommt es anscheinend bei den allermeisten Wirtschaftswissenschaftlern zu einer Regression in die infantile Spardosendenke von Klein Fritzchen.)Allerdings würde der Aufkauf fremder Volkswirtschaften durch die BuBa gewaltige politische Widerstände in den jeweiligen Ländern - einschließlich und sogar an erster Stelle der USA - auslösen. Da müsste ein wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland (oder China!) also sehr behutsam operieren.
5) Zu S. 280/281:
Wie ich in Diskussionen auf Facebook feststellen konnte, ist vielen die glauben, in Sachen Geldsystem mitreden zu können und zu müssen, die genaue Funktionsweise des Goldstandards, wie er etwa zur Kaiserzeit galt, ein Buch mit sieben Siegeln. Binswanger informiert uns, dass in Großbritannien die Banknoten zu 100% mit Gold gedeckt waren - aber eben auch NUR die Banknoten. Für Deutschland, Anfang 1900, habe ich mal den Wert von 40% gelesen, aber auch das hat anscheinend geschwankt.
Jedenfalls weist Binswanger zu Recht darauf hin, dass auch damals schon das BUCHGELD überhaupt nicht mit Gold hinterlegt war. Buchgeld dürfte auch damals schon (wenn auch nicht so eindeutig wie heute) der größere Teil der umlaufenden Geldmenge gewesen sein. (Vgl. auch seine Ausführungen S. 293 ff., wo es um die Bewertung von Vorschlägen geht, die eine Rückkehr zum Goldstandard fordern.)
6) Zu S. 285, 2. Abs.:
Im Unterschied zu monetären Jahrmarktschreiern beschränkt sich Binswanger nicht darauf, die Gefahren des Bankkredits aufzuzeigen. Sondern weist zugleich auf die absolute Unverzichtbarkeit der Banken und ihrer kreditären Geldschöpfung für unsere moderne Wirtschaft hin. Allgemeiner formuliert die Zweischneidigkeit sehr schön Arthur M. Okun in seinem Buch "Prices and Quantities. A Macroeconomic Analysis" (1981): "Money is a villain as well as a hero. It is the pipeline through which imbalances in aggregate demand can travel through the system." (S. 218)
7) Zu S. 285 ff.:
Hier erörtert Binswanger die Frage, ob es nicht vielleicht möglich wäre, zwischen realwirtschaftlich "guten" und "schlechten" (spekulativen) Krediten zu unterscheiden. Und dann die Geldschöpfung so zu steuern, dass möglichst nur noch "gute" Kredite vergeben werden. Auf der rein abstrakten Ebene und für ein Laienohr hört sich diese Idee faszinierend an; Binswanger weist allerdings detailliert nach, dass sich beide Kreditarten in der Praxis nicht wirklich sauber auseinanderhalten lassen.
8) Zum Kapitel 3 "Grundlegende Geldreformkonzepte, und was von ihnen zu halten ist" S. 292 ff.:
"Wie diese Reformen allerdings im Detail in einer modernen Wirtschaft funktionieren sollen, bleibt meist ein Rätsel [bei den Ausführungen der Geldsystemreformer]. Stattdessen wird gerne mit der ganz großen Kelle angerührt."
Das habe auch ich festgestellt, wann immer ich mich mit derartigen Vorschlägen beschäftigt habe. Und das gilt sogar für die relativ detaillierten Überlegungen, die Friedrich August von Hayek in seinem Buch "Denationalisation of Money. ..." anstellt. Für den oberflächlichen Betrachter mögen die überzeugend wirken; bei genauem Hinschauen sind sie dagegen ebenso unbrauchbar, wie alle anderen monetären Wunderheilerversprechen auch: Vgl. meinen Blott "Nobelpreis schützt vor Torheit nicht: Warum Friedrich August von Hayeks 'Denationalisation of Money' ein ‚Design for Disaster‘ ist" vom 03.02.2017. (Binswanger kritisiert die Idee eines Währungspluralismus auf S. 302 ff.)
Allgemeine Bemerkungen zum Thema Geldwesen/Realwirtschaft:
Nach meiner Einschätzung lässt sich kein halbwegs umfassendes Modell des Zusammenspiels von Geldwesen und Realwirtschaft erstellen, solange man die Verteilungsfrage ausklammert. Insofern wäre es aus meiner Sicht ein Fortschritt, wenn die Fachdebatte die Begriffe "Erstgeldempfänger", "Zweitgeldempfänger" (steht zugleich für alle nachfolgenden Geldempfänger in der weiteren Kette) und "Eigengeld" verwenden würde.
- Als Kreditgeld oder als
- Willkürgeld.
Am Beispiel des Arbeitnehmers B. zeige ich, wie der Geldempfänger in diesem wundersamen Geldsystem "doppelt" einkaufen kann:
Morgen hat er zusätzlich Geld von der ZB in der Tasche, sagen wir, in Höhe eines ganzen Monatslohns. Den gibt er fröhlich am Markt aus - aber mehr produziert hat er deswegen natürlich nicht. Und nicht einmal später muss er seine Käufe wegen dieses Zusatzkonsums reduzieren, wie das der Fall gewesen wäre, wenn er einen Kredit hätte aufnehmen müssen: Das Geld ist und bleibt ZUSÄTZLICH in der Wirtschaft - wo es zwangsläufig inflationierend wirken muss, weil es nicht die Güterproduktion steigert.
"Diese Grenzen [einer Geldschöpfung mit stabilem Geldwert] können im Wettbewerb mit anderen Geldemittenten gefunden werden. Denn der Wettbewerb diszipliniert die Geldemittenten, nicht zu viel Geld auszugeben. Sonst entwertet sich ihr Geld und die Bürger ersetzen es durch ein anderes."
Die Idee stammt von Friedrich August von Hayek. Der ist, als Nobelpreisträger, eigentlich ein reputierlicher Wirtschaftswissenschaftler. Aber seine Idee, wonach Währungskonkurrenz ein "besseres" (= wertstabileres) Geld zur Folge hätte, ist unbrauchbar.
Das ist großenteils durchaus richtig. Es gibt aber auch ein anderes Element in unserer Geldwirtschaft, das eher einem Tributsystem denn einem Tauschsystem vergleichbar ist.
In den Worten der Bibel: "Wer hat, dem wird gegeben werden".
Wer Eigentum an Grund und Boden, Immobilien oder Produktionsmitteln hat, ist heutzutage im Grunde genauso aufgestellt wie die Aristokraten der Feudalzeit: Er kann anderen Geld abnehmen, ohne selber eine wertadäquate Gegenleistung erbringen zu müssen.
Hier geht es nicht darum, den Besitzenden ihren höheren Lebensstandard zu missgönnen. Die Möglichkeit, aus Eigentum fortlaufend Geld zu schöpfen, macht in einer kapitalistischen Wirtschaftsweise ja durchaus Sinn: Zum einen ist sie der Lohn für die Mühen und das Risiko des Unternehmers (bei dessen Erben natürlich nicht mehr!). Sie motiviert ihn also.
Zum anderen ermöglichen es diese Einnahmen ihm, seinerseits wieder zu investieren, also, im Prinzip, die Wirtschaft voranzubringen. (Soziologisch könnte man auch sagen, dass unsere Gesellschaft in Gestalt des Eigentümers von Produktionsmitteln die Figur des Investors ausdifferenziert hat.)
Zum Problem gerät dieser grundsätzlich ökonomisch sinnvolle Mechanismus (und nur darum geht es mir in dieser Debatte, nicht um Gerechtigkeitsfragen) allerdings dann, wenn die Akkumulation von Geld zum Selbstzweck wird.
Das kann man sich psychologisch motivert vorstellen (Stichwort Dagobert Duck!); mir erscheint es (und so schon, prognostisch, John Maynard Keynes im Kap. 24 seiner "General Theory" - vgl. oben "Zu S. 132 unten") als Ausfluss eines Strukturproblems, sozusagen eines Baufehlers einer eigentumsbasierten Geldwirtschaft.
Die kann an einen Punkt gelangen, wo weitere Investitionen nicht mehr lukrativ sind: Wenn die Bevölkerung nicht mehr expandiert, die Leistungsbereitschaft erlahmt, keine neuen Technologien verfügbar sind usw. Die Gründe müssen hier nicht näher untersucht werden; als Beispiel für eine Analyse verweise ich auf die Thesen von Lawrence Summers über unser Zeitalter der "Secular Stagnation". Wesentlich für uns ist daran, dass die "Zweitgeldempfänger", die das Geld als "Eigengeld" halten (also ohne Tilgungspficht), es möglicher Weise nicht mehr in die Realwirtschaft rückspeisen.
Sie haben mehr, als sie konsumieren wollen oder können (mehr als eine Yacht und ein Privatflugzeug anzuschaffen wäre sinnlos).
Die folgende Aufnahme stammt von unserem Nikolausmarktbesuch in der Adventszeit 2016 in Rieden am Forggensee.
In den vorliegenden Beitrag stelle ich das Bild deswegen ein, weil es mir die Unzulänglichkeit unseres Erkenntnisstandes über das Geldwesen und die Zusammenhänge von Geld- und Realwirtschaft zu symbolisieren scheint: Unsere Einsichten in diese Mechanismen sind nur vereinzelte Lichtspuren in einem dunklen Raum des (Noch-?)Nicht-Wissens.
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