Als wirtschaftswissenschaftlicher Laie, aber geldtheoretisch interessierter Blogger („Canabbaia“) verfolge ich die Schweizer Debatte um die Vollgeld-Initiative mit einer gewissen Verwunderung. Ein wesentlicher Punkt in der Argumentation der Initiative sind die Geldschöpfungsgewinne („Seigniorage“) des Bankensystems (wobei zu unterscheiden ist zwischen den Geschäftsbanken und der Zentralbank). Diesen Aspekt behandele ich hier.
„Gewinne aus dem Nichts“: Ein „unfairer Vorteil“ für die
Geschäftsbanken?
„Banken machen mit Vollgeld das, was sie schon immer getan haben: Kredite vergeben, den Zahlungsverkehr abwickeln und Vermögen verwalten. Der Unterschied: sie dürfen kein elektronisches Buchgeld mehr herstellen. Somit können die Banken nur noch mit Geld arbeiten, das ihnen von Sparern, anderen Banken oder von der Nationalbank zufliesst oder das sie selber besitzen. Damit haben sie keinen unfairen Vorteil mehr, sondern werden allen anderen Marktteilnehmer[n] - die alle kein Geld herstellen können - gleichgestellt.“ (Ziff. 4 der „2-Minuten-Info“)
Aber unter Ziff. 6 erfährt man:„Von 2007 bis 2014 haben Schweizer Banken 34,8 Milliarden Franken verborgene Subventionen erhalten, weil sie selber elektronisches Geld herstellten ….. . Von diesen versteckten Subventionen profitierten vor allem die Grossbanken, kaum jedoch die Raiffeisen- und Regionalbanken. Aber seit einigen Jahren gibt es diesen finanziellen Vorteil nicht mehr, denn ob Banken kostenlos selbst Geld schaffen oder zu Null Prozent Zins von der Nationalbank leihen, macht für sie keinen Unterschied. Der Zeitpunkt für eine Umstellung auf Vollgeld ist also günstig. Die Banken verlieren nichts. Die Banken können auch mit Vollgeld rentabel arbeiten.“
Unabhängig davon, dass diese
angeblichen Subventionen auch nach Meinung der Initianten aktuell nicht
anfallen, sind diese „Geldschöpfungsgewinne“ nur für naive Betrachter eine
Subvention oder ein Skandalon. Unternehmen, die keine Gewinne machen,
verschwinden vom Markt (oder gehören dem Staat). Zu Recht weisen zahlreiche
Kommentatoren darauf hin, dass die Gewinnhöhe (auch) bei den Banken von der
Marktlage, insbesondere der Wettbewerbsintensität, abhängt. Beispielhaft ist
insoweit die Feststellung von Thomas Fuster („Schnell
reich werden? Nichts einfacher als das, meinen die Befürworter von Vollgeld“,
NZZ vom 23.05.2018): „… auf dem Schweizer Bankenmarkt herrscht ein harter
Wettbewerb. Besonders gross dürfte der Geldschöpfungsgewinn daher nicht sein.“
Damit räumt er immerhin auch ein, dass es einen solchen Gewinn
tatsächlich gibt.
Manche bestreiten das. Prof.
Philippe Bacchetta z. B. bezeichnet es in seinem Papier “The
sovereign money initiative in Switzerland: an economic assessment“ als
Falschbehauptung, dass durch die Kreditschöpfung Geld entstehe („Mistaken
claim 1: credit creates money“, S. 3). Bei näherem Hinsehen entpuppt sich
das allerdings als semantische Taschenspielerei, bei der u. a. das Geld mit der
Geldmenge M1 gleichgesetzt wird. (S. 4: "In other terms, there is no obvious link between credit and sight deposits even when considering a single loan.")
Dagegen gibt die SNB die Geldschöpfungsfähigkeit der Banken unumwunden zu: „Es trifft zu, dass Banken mit der Kreditvergabe (Bankenbuch-)Geld schaffen können“ heißt es in den „Häufig gestellten Fragen“.
Desgleichen ein vom Schweizer
Finanzministerium verfasstes „Gegenargumentarium“ (hier
verlinkt; Ziff. 5 „Geldschöpfungsgewinn“): „Es trifft zu, dass die
Banken durch die Kreditvergabe Buchgeld schaffen können und für die vergebenen
Kredite in der Regel einen höheren Zins verlangen als sie für die Sichteinlagen
vergüten.“Dagegen gibt die SNB die Geldschöpfungsfähigkeit der Banken unumwunden zu: „Es trifft zu, dass Banken mit der Kreditvergabe (Bankenbuch-)Geld schaffen können“ heißt es in den „Häufig gestellten Fragen“.
Die Debatte um die Geldschöpfung „ex nihilo“ (aus dem Nichts)
ist nicht aus Nichts entstanden und folglich nicht ohne ihren konkreten
Hintergrund zu verstehen. Der liegt in dem Unterschied zwischen Warengeld und
Fiatgeld. Warengeld (also z. B. Goldmünzen) hat unabhängig von seiner Funktion
als Kaufkraftsymbol einen Materialwert (der letztlich aus der dafür
aufgewendeten Arbeit stammt). Die Goldmünze werde ich selbst dann verkaufen
können, wenn der Staat sie als Zahlungsmittel für ungültig erklärt. Zwar steht
auch hinter dem kreditär geschöpften Fiatgeld einiges mehr als ein bloßes
„Abrakadabra“ des Kreditsachbearbeiters. Das Bankensystem ist hochkomplex und
zahlreichen Regeln unterworfen, und die Geschäftsbanken kommen nicht völlig
ohne Zentralbankgeld aus. Aber einen materiellen Wert haben Geldscheine nur als
Fidibusse zum Feueranzünden: Für eine Billion Reichsmark von anno 1923 bezahlt
heute allenfalls ein Sammler noch (ein wenig) „richtiges“ Geld. Und mit Buchgeld
kann man sich noch nicht einmal eine Zigarre anstecken. SO gesehen machen die
Banken heutzutage tatsächlich aus „Nichts“ Geld.
Der Wert des modernen, materiell tatsächlich wertlosen Geldes
liegt in seiner Kaufkraft, also darin, dass Marktanbieter dem Geldbesitzer
sauer erarbeitete Güter für seine „Fidibusse“ verkaufen. Aber ist der tiefere
Mechanismus dahinter wirklich nur „Vertrauen“, wie Christian Müller behauptet (Gastkommentar
„Geld
steht für Vertrauen“, NZZ 24.01.2017)?
Auch diese Behauptung ist nicht zu verstehen, wenn man nicht
weiß, wie der ökonomische Mainstream den Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft
und Güterwirtschaft begreift: Nämlich gar nicht. Mehr oder weniger
zusammenhanglos wird auf der einen Seite die Realwirtschaft gedacht, und auf
der anderen Seite existiert eine Geldmenge, die aus geheimnisvollen Gründen
irgendwie mehr oder weniger dazu passt. (Als Beispiel für die vielfältige Kritik
an dieser Sichtweise möge der Aufsatz „Die
Neutralitätstheorie des Geldes. Ein kritischer Überblick“ von Ulas
Sener dienen.)
Die dualistische Betrachtung ist ein primitiver Rückschritt
hinter jenen Wissensstand, den bereits der deutsche Notenbanker und
Wirtschaftswissenschaftler Otto Veit
in seinem Buch "Reale Theorie
des Geldes" (1966, S. 29) beschrieben hatte (meine Hervorhebungen):
"….. Kreditgeld ist volkswirtschaftlich nicht 'ungedeckt', wie manchmal
gesagt wird. Bankmäßig liegt die Deckung in dem Anspruch
gegen den Schuldner; volkswirtschaftlich liegt sie in der antizipierten
Güterleistung, die der Schuldner erbringen muss, um den Kredit einzulösen".
Leider hat er nicht erklärt, was man sich unter einer „antizipierten
Güterleistung“ vorzustellen hat. Die Wirtschaftswissenschaft hat es
vorgezogen, im intellektuellen Sandkasten mit mathematischen Förm(el)chen zu
hantieren, anstatt simple Zusammenhänge gründlich zu durchdenken. Und wie bei
jedem (faulen) Zauber geht es auch bei diesem Brimborium um Magier-Macht (der
Wissenschaftler) und um das Verdecken knallharter Interessen (der
Kapitalbesitzer).
Auf welche Weise die kreditäre Geldschöpfung (im Prinzip)
eine Güterdeckung bewirkt, kann man vielleicht am besten durch einen Vergleich
mit Falschgeld verstehen. „Am Anfang war der Schein“ (Buchgeld denken wir
stillschweigend mit), könnten wir unsere ganz spezielle „legenda aurea“
einleiten. Soll heißen: Banken wie Geldfälscher produzieren zu Beginn gleich
wertlose „Fidibusse“ und gehen damit einkaufen (Geldfälscher) oder „ermächtigen“
den Kreditnehmer zum Einkaufen. Versteht man den Markt als Tauschsystem, dann
hat der Verkäufer einen schlechten Tausch gemacht: Er hat (z. B.) ein Auto
abgegeben und sich als „Belohnung“ einen Packen Fidibusse eingehandelt. Beim
Geldfälscher endet hier die Story; beim Kreditgeld dagegen nicht.
In einem ersten, noch primitiven und rein provisorischen
Veranschaulichungsschritt können wir sagen: Der Kreditnehmer muss dem Verkäufer
ein nagelneues Auto zurückgeben. Und sogar noch ein paar Ersatzteile dazulegen
(„Zinsen“). Ein zweiter Schritt führt uns näher an die Wirklichkeit heran: Um
seinen Kredit zu tilgen, braucht der Kreditnehmer bei Fälligkeit erneut Geld.
Das kann er nicht (dauerhaft) bekommen, indem er sich wieder was pumpt.
Irgendwann muss er am Markt etwas verkaufen, um seine Geldschuld tilgen zu
können. Und eben dieser Verkauf ist seine eigene „Güterleistung“
gegenüber dem Markt (bzw., wenn man sich alle Zwischenstationen der wirklichen
Wirtschaft wegdenkt: seine reale Gegenleistung an den Verkäufer), welche
bei der Kreditvergabe und dem dadurch ermöglichten „Fidibuskauf“ sozusagen
vorweggenommen („antizipiert“) wurde.
Eine Zusammenschau beider „Schienen“, der Geld-Welt
und der Güter-Welt, entschleiert eine „doppelte“ Verschuldung des Kreditnehmers.
Unstreitig schuldet er seiner Bank Geld. Stets übersehen wird dagegen (weil
es nirgends geschrieben steht, sondern lediglich ein ökonomisches Faktum ist):
Auch „dem Markt“ schuldet der Kreditnehmer etwas, nämlich Güter. Also im
Beispiel jenes Auto, das er sozusagen „vorschussweise“ aus dem gesellschaftlich
gemeinsam produzierten „Güterpool“ entnehmen durfte.
Was sich juristisch und auf dem Papier lediglich als
Geldschuld darstellt, entpuppt sich aus ökonomischer Sicht als Doppelschuld. Genauer:
als eine Verschuldung in zwei Dimensionen.Mit der Kreditrückzahlung hat der Kreditnehmer beide Schulden getilgt:
·
Zunächst hat er (idealtypisch gedacht) ein selbst
produziertes Gut am Markt verkauft, das mehr wert ist als jenes, welches er
selber mit dem Kredit gekauft hatte.
·
Das so eingenommene Geld hat er, als Kredittilgung
plus Zinsen, seiner Bank zurückgezahlt (womit es wieder „vernichtet“ ist).
Mit diesem Kenntnisstand können wir uns nunmehr jenen
Fantastilliarden zuwenden, welche die Vollgeld-Fans (bildlich gesprochen)
jubelnd vom Helikopter unters Volk werfen wollen: Der Seigniorage, die bei der Zentralbank
anfällt bzw. bei jenen Glücklichen (Bürgern und/oder Staatsorganen) welche die
Zentralbank nach der Vorstellung der Initianten mit ihrer „schuldfreien
Geldschöpfung“ beschenken soll.
Die Schweizer Nationalbank glaubt offenbar auch, dass der
Geldwert nur aus Vertrauen resultiert; der mikroökonomische Mechanismus,
welcher (dem Grunde nach; in der Realität ist das natürlich komplexer) das
kreditär emittierte Geld mit einem Güterwert unterfüttert, ist ihr Hekuba: „Die
«schuldfreie» Ausgabe von Zentralbankgeld würde die Bilanz der SNB aushöhlen
und das Vertrauen in den Franken schwächen.“ („Die
Position der SNB in Kürze“).
In seinem „Gegenargumentarium zur Entkräftung der
Argumente des Initiativkomitees“ (zusammen mit anderen Dokumenten hier
verlinkt) schreibt das Eidgenössische Finanzdepartement (Ziff. 5, „Geldschöpfungsgewinn“):
"Im heutigen System erwirtschaftet die SNB im Rahmen ihrer
Geldschöpfung einen Geldschöpfungsgewinn (sog. Seigniorage): Wenn sie neues
Geld in Umlauf bringt, erwirbt sie im Gegenzug von den Banken Anlagewerte wie
Devisen oder Aktien oder gewährt ihnen Kredite. Diese Aktiven werfen Erträge in
Form von Zinsen oder Dividenden ab, die in den SNB-Gewinn fliessen und über
Gewinnausschüttungen an Bund und Kantone abgeführt werden und somit der
Allgemeinheit zugutekommen. Bei der von der Initiative vorgesehenen
schuldfreien Geldverteilung würde die SNB hingegen, im Gegensatz zu heute, für
das neugeschaffene Geld keine Aktiven mehr als Gegenleistung erhalten, sondern
das Geld quasi 'verschenken'. Diese Art der schuldfreien Verteilung bedeutet
jedoch für die Volkswirtschaft keinen Gewinn."Das ist schon präziser; aber auch hier bleibt die fehlende Güter-Gegenleistung – und damit deren notwendig inflationäre Folgen - ausgeklammert. Lediglich für ein über die Pläne der Initianten hinaus erweitertes Geldverschenkens prognostiziert das Gegenargumentarium inflationäre Folgen (Ziff. 6 „Finanzpolitik“). Auch diese werden freilich nicht ökonomisch begründet, sondern bestenfalls (wenn man den Hinweis auf die „Erfahrung“ überhaupt soweit ausdehnen will) historisch:
„… die Erfahrung [hat] gelehrt …, dass ohne strikte Trennung von Finanz-
und Geldpolitik die Zentralbank unter politischen Druck gerät, öffentliche
Ausgaben mittels Notenpresse zu finanzieren, was auf lange Sicht inflationär
wirkt.“
Einen versteckten Goldesel gibt es natürlich nur im Märchen;
was die Initianten auf der Finanzebene als Gewinn hervorzaubern, wäre auf der
güterwirtschaftlichen Ebene Falschgeld. Dasselbe gilt zwar auch für das
Münzgeld, dessen Seigniorage die Vollgeld-Initiative kurzerhand auf sämtliches
Geld vermeintlich gewinnbringend ausdehnen möchte: Doch wegen seiner relativ
geringen Menge wirken die daraus dem Staat leistungslos zugeflossenen Gewinne
nicht preistreibend. Bei jenen Milliardenbeträgen, welche die Initiative in den
Markt pumpen will, sähe das anders aus: Da dem verschenkten Geld jener
„Rückleistungsdruck“ fehlt, welcher dem Kreditgeld innewohnt, käme
„Nominalkaufkraft“ ohne jegliche (spätere) güterwirtschaftliche Gegenleistung
an den Markt. Die Beschenkten säßen gewissermaßen als parasitäre Mit-Esser an
der volkswirtschaftlichen Gütertafel.
Anders gesagt: Es würde eine enorme zusätzliche Nachfrage geschaffen.
Zumindest dann, wenn die volkswirtschaftlichen Kapazitäten ohnehin gut
ausgelastet sind, würde die Nachfrage das Angebot übersteigen und somit die
Preise in die Höhe treiben.
Die Initianten würden entgegnen, dass nach ihren
Vorstellungen das Geldverschenken der Notenbank nur in dem Umfang erfolgen
soll, wie die Preisstabilität gewahrt wird; im Übrigen solle Geld auch
zukünftig durch Kreditvergabe in Umlauf gebracht werden. Weil aber, wie oben
gezeigt, jedwede Geldschöpfung durch Verschenken („Willkürgeld“) in
größerem Stil inflationär wirken muss, würde dieser Weg insgesamt entfallen.
Und
damit verdampfen auch jene Fantastilliarden, welche die Vollgeld-Freaks den
Volks-Fritzchen fröhlich verheißen.
ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der
ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand
vom 28.05.2018
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