Sonntag, 6. Mai 2018

Seigniorage: Ob der Staat damit reich werden kann, hat Jens Reich untersucht


Der Wirtschaftswissenschaftler Jens Reich beschäftigt sich schon seit längerer Zeit (spätestens seit 2011 – s. u.) mit der „Seigniorage“ (historisch auf Deutsch u. a. auch „Schlagschatz“ genannt, weil dieser Gewinn dem Staat früher nur aus der Münzprägung erwuchs). Im Oktober 2017 ist sein Buch „Seigniorage: On the Revenue from the Creation of Money” erschienen. Dieses habe ich nicht gelesen, jedoch die beiden u. g. Vorgänger-Papiere von ihm. (Außerdem „A new theory of seigniorage and optimal inflation“, auf das ich hier nicht eingehe).
Auch wenn seine mathematischen Formeln mir als wirtschaftswissenschaftlichem Laien verschlossen bleiben, bietet der Textteil vor dem Hintergrund meiner bisherigen umfangreichen Überlegungen zum Geldsystem genügend Ansatzpunkte für eine kritische Analyse.

 
I. Seigniorage – where does it come from and who gets it? An institutional perspective on currency creation         (10/2011)

Gleich am Anfang dieses Arbeitspapiers liefert Reich eine Definition für den Begriff “Seigniorage”, die wir für die weiteren Betrachtungen nicht aus den Augen verlieren sollten (er selber tut das leider!):
·       Seigniorage is defined as the government's revenue from the creation of money (2. Seite der nicht paginierten pdf-Datei; meine Hervorhebung)
 
Zutreffend weist er darauf hin, dass
·       “….. all currency is money, but not all money is currency.”
Das heißt, er beschränkt seine Untersuchung auf das Basisgeld (Zentralbankgeld), das er „currency“ nennt (Synonyme lt. englischsprachigem Wikipedia-Eintrag zu “monetary base”: base money, money base, high-powered money, reserve money, outside money, central bank money or, in the UK, narrow money; lt. deutschsprachigem Artikel “monetäre Basis”: Geldbasis, Zentralbankgeldmenge, Basisgeld oder Geldmenge M0). Daneben gibt es das von den Geschäftsbanken geschöpfte Bankengeld, das hier nicht näher interessieren muss.
Und weil die Regierung (bzw. die ggf. organisatorisch selbständige Zentralbank, die aber natürlich faktisch ein Teil des Staatsapparates ist) nur diese Art von Geld produziert, verfeinert er die o. a. Definition von „Seigniorage“ zu der Feststellung:
·       “Seigniorage ….. [is] the revenue from the provision of the national currency.” (S. 2)

Nun sind die Erträge (ist also die „revenue“), welche die Regierung (im engeren Sinne, d. h. ohne die Zentralbank) aus dieser Brutto-Seigniorage („monetary Seigniorage“) erhält, nicht identisch mit den gesamten Einnahmen, die durch die Geldschöpfung entstehen. Vielmehr gehen noch die Kosten (und ggf. auch Rückstellungen) der Zentralbank (nachfolgend auch: ZB) ab. Für den Netto-Erlös, der an den Finanzminister geht, gibt es den Begriff „Fiscal Seigniorage“. Der ist lt. Reich
·       „….. defined as the revenue after allowances for different sorts of cost from the provision of the currency have been made.” (S. 2)

Wirtschafts- bzw. wissenschaftsgeschichtlich interessant:
·       “Seigniorage is one of the oldest economic questions addressed.” (S. 2)
Das ist allerdings nicht überraschend wenn man weiß, dass die Münzverschlechterung ein uraltes Thema ist. Sie soll beim Niedergang des antiken Rom eine wesentliche Rolle gespielt haben. Freigeld-Freaks bekommen dagegen leuchtende Augen, wenn sie von den „Verrufungen“ des Bischofs Wichmann von Magdeburg schwärmen, welcher sie dann – „irgendwie“ halt - gleich die gesamte europäische Wirtschaftsblüte im Hochmittelalter zuschreiben. (Bei diesen „Verrufungen“ wurden alte Münzen für ungültig erklärt und die Bürger zur Ablieferung verpflichtet; der jeweilige – münzberechtigte – Herrscher prägte dann aus der gleichen Menge Metall mehr – also minder-wertige – neue Münzen; vgl. auch den Wikipedia-Eintrag „Brakteat“.)
So ging das durch die Jahrhunderte weiter (für die Situation in Deutschland um 1500 vgl. beispielhaft hier); im 16. Jahrhundert kam die Währungsentwertung „von selbst“, nämlich durch die großen Silberfunde in den spanischen Kolonien Südamerikas. Eine sehr bekannte Epoche der Münzverschlechterung in Deutschland war die „Kipper- und Wipperzeit“ um 1600, die ihren Höhepunkt 1622/1623 in der staatlich geduldeten und geförderten Münzfälscherei des „Prager Münzkonsortiums“ fand. [Darüber hat Steffen Leins vor einigen Jahren ein viel besprochenes (meist gelobtes, gelegentlich auch kritisiertes) Buch verfasst (Amazon; hier eine neutral-informative Rezension; hier leicht kritisch), das ich selbst zwar nicht kenne, dessen Inhalt man aber aus den Rezensionen erschließen kann.]

Reich unterscheidet (zutreffend) neben dem Warengeld zwei weitere Geld(schöpfungs)formen. Die eine ist das uns allen wohlvertraute Kreditgeld (durch Kreditvergabe geschöpftes Geld):
·       A third monetary system which is treated in the literature is based on what we shall call an endogenous credit currency. A credit currency may be paper based or commodity based. However, the currency it is not issued through government spending, but by lending to the public. (S. 4)

Bei der anderen Geld(schöpfungs)form wird es terminologisch heikel (Fettung von mir; Hervorhebung von „fiat currency“ – in anderer Form - im Original):
·       Keynes assumes a[n] institutional framework which shall here be referred to as a fiat currency. Such a fiat currency can be printed by the government at its free will and which is issued through government spending. (S. 3). (Vgl. dazu auch S. 31: „For a fiat currency this income [Seigniorage] is gained from the possibility of paying goods and services by printing currency.”) (S. 3; meine Hervorhebung)

Der Begriff “fiat money“ (dt. Fiatgeld) wird nämlich (jeweils in der Wikipedia) definiert als „a currency without intrinsic value that has been established as money“ bzw. ein Objekt ohne inneren Wert, das als Tauschmittel dient.“ Es ist also im Englischen wie im Deutschen eindeutig als Gegenstück zum Warengeld (commodity money) festgelegt, was die entsprechenden Wikipedia-Einträge auch ausdrücklich formulieren: „It was introduced as an alternative to commodity money …..“ bzw. „Das Gegenteil von Fiatgeld ist Warengeld, ….. das neben dem äußeren Tauschwert auch einen inneren Wert hat“. („Innerer Wert“ bedeutet, dass das Warengeld einen Wert - auch - als Ware hat, nicht- nur - als Geldzeichen. Gold z. B. wird – aktuell sogar praktisch ausschließlich - auch dann gefördert und verkauft, wenn es nicht als Geld ausgemünzt wird.)
Es kann daher nur Verwirrung stiften, wenn man den Begriff „fiat money“ auf das verengt, was z. B. der Ausdruck „Helicopter Money“ meint. (Helikoptergeld, Hubschraubergeld: Weil es, in einem Denkmodell von Milton Friedman per Hubschrauberabwurf unters Volk gebracht, also verschenkt werden könnte).
Das Englische kennt für denjenigen Sachverhalt, den Reich meint, anscheinend nur den Ausdruck „helicopter money“. Willem Buiter setzte zwar in seinem Arbeitspapier u. d. T. „Helicopter Money. Irredeemable fiat money and the liquidity trap. Or: is money net wealth after all?” aus dem Jahr 2004 noch jegliches Fiatgeld mit “Helikoptergeld” gleich (S. 4/5: „ Sargent ….. and many other authors use the term ‘inconvertible currency’ or ‘unbacked paper currency’ to refer to a monetary asset that is essentially the same as the irredeemable fiat base money of this paper.”). In einem weiteren Papier aus dem Jahr 2014 beschränkt er nunmehr allerdings den Ausdruck Helicopter Money auf „a permanent/irreversible increase in the nominal stock of fiat base money rate“. Jedenfalls war seine ursprüngliche Gleichsetzung von Fiatgeld mit Helikoptergeld falsch. Denn Fiatgeld kann auf zwei unterschiedliche Arten geschöpft werden:
·       im Kreditwege und
·       durch „Drucken und Ausgeben“. („Drucken“ steht hier wie im Folgenden zugleich für das elektronische Einbuchen auf Konten.)

Die deutschsprachige Wikipedia erläutert den Begriff Helikoptergeld gut, aber m. E. zu streng: „Es wird häufig mit Konzepten wie Quantitativer Lockerung, Monetarisierung von Staatsschulden oder Quantitative Easing for the People verwechselt oder vermischt.“ Mit „Quantitativer Lockerung“ ist es in der Tat nicht zu verwechseln, weil diese immerhin noch eine (echt) KREDITÄRE Form der Geldschöpfung ist. Während das Entscheidende bei einem (breiter interpretierten) Begriff des Helikoptergeldes gerade die NICHTKREDITÄRE Geldschöpfung, als „print and spend“ ist. (Vgl. die ausgezeichnete Erklärung in dem Artikel „Helicopter Money: Why Some Economists Are Talking About Dropping Money From the Sky”, New York Times vom 28.07.2016 (meine Hervorhebung):
·       Think of it this way: Quantitative easing is akin to your rich uncle making you a loan under favorable terms, but making it clear you’ll have to make interest payments and then pay the money back one day. Helicopter money is what happens if your rich uncle makes you a “loan,” but says that you don’t have to pay any interest and never have to pay it back. For practical purposes it’s more gift than loan, whatever the bookkeeping technically says.”
Aber eine nichtkreditäre Geldschöpfung liegt im Prinzip natürlich auch bei der in der Wikipedia-Definition ausgeschlossenen „debt monetization“ (der Monetarisierung oder – m. E. besser – der „Monetisierung von Staatsschulden) vor.

Reich hat jedenfalls eine präzise (und korrekte) Vorstellung von dem, was er mit dem (unglücklich gewählten) Begriff „Fiat money“ erfassen will (meine Hervorhebung):
·       “The monetary concept pictures a[n] institutional setting wherein a government prints its notes to pay for wages, salaries and goods.(S. 6)   [Gegen eine Ausweitung dieser Definition auf das – bislang ohnehin nur hypothetische – Geldverschenken durch die Zentralbank an die Bürger, also das „Helikoptergeld“ im Friedmannschen Sinne, hätte Reich sicherlich nichts einzuwenden.]

Abweichend von Reich halte ich es zum Verständnis des Geldwesens und auch der Seigniorage für erforderlich, jeglicher Analyse eine glasklare Terminologie der Geldarten, und zwar nach Entstehung sortiert, zugrunde zu legen.
Wohl allgemein akzeptierte Begriffe für eine Aufgliederung des Geldes nach Entstehungsform sind (auf Deutsch ebenso wie entsprechend auf Englisch) „Warengeld“ und „Fiatgeld“.
Etwas weniger eindeutig wird es dann schon beim Kreditgeld. Zwar ist der Ausdruck „Kreditgeld“ ebenfalls recht verbreitet. Aber das Stichwort, unter dem ihn die deutschsprachige Wikipedia auflistet, lautet „Kredittheorie“. Auch wenn eine ausdrückliche Bezugnahme nicht erfolgt, scheint mir der Ausdruck Kreditgeld dort synonym für Fiatgeld zu sein: Als eine Erklärung, wie Fiatgeld entsteht.
Grundsätzlicher geht das englischsprachige Stichwort „Credit theory of money“ an die Sache heran. Dort werden Auffassungen erwähnt, die auch das Warengeld als Kreditgeld begreifen. 

Kreditgeld:
„Kreditgeld“ wäre demzufolge
  • Nach dem einen Begriffsverständnis mehr oder weniger identisch mit Fiatgeld
  • Nach einem anderen ein Oberbegriff für die beiden grundsätzlich möglichen Geldformen Warengeld und Fiatgeld.
Für mich dagegen ist Kreditgeld EINE UNTERGRUPPE DES FIATGELDES.
 
Willkürgeld:
Die andere Untergruppe (das, was Reich „fiat money“ nennt) bezeichne ich als Willkürgeld“.
Den Begriff „Willkürgeld“ hatte ich in einem Geld-Wiki gefunden und dort einen Ursprungshinweis auf die (auch online verfügbare) S. 105 in dem Buch „Geldfunktionen und Buchgeldschöpfung: ein Beitrag zur Geldtheorie“ von Rudolf Schilcher (EA 1958).
Schilcher unterscheidet, und zwar bewusst nach der Art der Geldschöpfung („Diese Unterscheidung der Geldarten soll ja gerade auf die unterschiedliche Art der Entstehung des Geldes verweisen“) zwischen 
  • Warengeld, Willkürgeld und Kreditgeld.

Sein Willkürgeld entspricht NICHT dem „Willkürgeld“ („fiat money“) in Keynes‘ „Treatise on Money“ und noch weniger dessen „reguliertem Geld“ („managed money“; mit diesem Begriff bzw. Sachverhalt kann Schilcher anscheinend genauso wenig anfangen wie ich – jedenfalls bei flüchtigem Hineinschauen in den Treatise). (Keynes versteht übrigens – S. 7 Bd. I des „Treatise …“- „fiat money“ und „managed money“ als Untergruppen des „representative money“. Auch mit dem Ausdruck kann ich wenig verbinden und die Verfasser des englischsprachigen Wikipedia-Eintrags mühen sich zwar redlich ab; können aber auch nur unterschiedliche Autoren mit unterschiedlichen Definitionen zitieren.)

Die Definition von Willkürgeld bei Schilcher lautet: „Willkürgeld wird zum Geld, indem es der Staat ohne Rücksicht auf ökonomische Erwägungen den Wirtschaftssubjekten aufdrängt. Auch Geldschöpfung durch Ausgabe von Münzen ….. hat diesen Charakter“.
Damit kann er (auch vor dem Hintergrund des Kreditgeldes als weiterer Kategorie) eigentlich nur meinen, dass „Willkürgeld“ entsteht, indem es der Staat „druckt“ und ausgibt.
[Nebenbei bemerkt: Ich persönlich würde Münzen lediglich in Höhe des „Schlagschatzes“ als Willkürgeld ansehen, also des Gewinns für den Staat, der die Produktionskosten übersteigt. Und in der restlichen Höhe als Warengeld.]

Es scheint mir nicht weiter begründungsbedürftig, dass sich hier eine Hierarchisierung anbietet, indem man Kreditgeld und Willkürgeld als Erscheinungsformen des Fiatgeldes versteht, denn beide haben keinen intrinsischen Wert (keinen Wert als Ware). (Dabei gehe ich stillschweigend davon aus, dass Warengeld kein Kreditgeld ist bzw. zumindest etwas anderes ist, als das, was hier unter Kreditgeld verstanden wird.)

Zur Klarstellung führe ich die 2/2 Geldarten (nach der Entstehung definiert) hier nochmal auf: 

1.     Warengeld (ein werthaltiges, mehr oder weniger vollwertiges Objekt als Geld, das für den Gebrauch in der Wirtschaft auch durch ein Zertifikat – eine Bank-Note – vertreten werden kann, dann jedoch mit real vorhandener Ware unterlegt sein muss).

2.     Fiatgeld; dieses wiederum mit den Subkategorien
a.     Kreditgeld* (kreditär geschöpft und also vom Kreditnehmer oder – in meiner Terminologie – vom „Erstgeldempfänger“ irgendwann wieder an den Kreditgeber zurück zu zahlen) und
b.     willkürgeld** (ohne Rückleistungspflicht an den Staat und/oder (hypothetisch) die Bürger emittiertes Geld). (Sehr bedingt muss man dieser Kategorie auch diejenige Geldschöpfung der Zentralbanken zuordnen, die sich aus dem Ankauf von Fremdwährungen sowie von Gold ergibt.)
 
* Anmerkung zum „Kreditgeld“:
Nicht jede Kreditgewährung schöpft Geld. Dies ist nur bei „Primärkrediten“ der Fall, die von Geschäftsbanken (nachfolgend: „Banken“) ausgegeben werden. [Auf diese Weise entsteht „Bankengeld“, das ebenfalls im Kreditwege geschöpft wird. Dessen Verwendbarkeit ist gegenüber dem Basisgeld eingeschränkt, was sich insbesondere im Geldverkehr der Banken untereinander auswirkt. Andererseits ist das Basisgeld den Wirtschaftssubjekten überhaupt nur durch die Vermittlung der Banken zugänglich, und nur in Form von Bargeld, nicht als Kontoguthaben. Für die Banken dagegen führt die ZB auch Konten mit Basisgeldguthaben.]
Bei Primärkrediten muss man deshalb eine Geldschöpfung konstatieren, weil ein Bankkredit NICHT den Verfügungsanspruch über das Geld vom Einleger auf den Kreditnehmer überträgt, sondern weil nach einer Kreditgewährung der Kreditnehmer einen völlig neu in die Welt gekommenen Verfügungsanspruch hat, während der Einleger trotzdem jederzeit über sein Geld verfügen kann (auf Sichtkonten).
Anders als bei Bankkrediten verhält es sich bei Kreditvergaben z. B. durch Versicherungen: Wer eine Versicherungsprämie einzahlt, kommt (im Prinzip) erst im Versicherungsfalle an das Geld (bzw. einen Teil davon). Wenn also die Versicherung Geld verleiht (indem sie z. B. Staatsanleihen damit kauft), dann ist dieser „Sekundärkredit“ tatsächlich eine echte (temporärer) Verfügungs-Übertragung (und damit auch ein Kaufkraft-Transfer) von der Versicherung (bzw. letztlich von dem Versicherten) an den Kreditnehmer. Bei diesem Kredit entsteht folglich KEIN neues Geld. 

** Anmerkung zum „Willkürgeld“:
Der Wikipedia-Artikel zu „Fiatgeld“ spricht zwar nicht von Willkürgeld. Indem er aber das Kreditgeld nur als Untergruppe des Fiatgeldes versteht, lässt er sozusagen eine Leerstelle für (mindestens) eine weitere Geldform (Hervorhebung von mir; auf diesen Teil komme ich später noch zurück):
Fiatgeld wird oft fälschlicherweise mit Kreditgeld gleichgesetzt, Kreditwährungen stellen allerdings nur eine Teilmenge von Fiatwährungen dar. Kreditgeld ist, der Kredittheorie nach, per Saldo mit der Geldschuld und diesbezüglichem „Rückleistungsdruck“ bzw. verpfändeten Sicherheiten gedeckt.“

Langer Rede kurzer Sinn: In meiner Terminologie ist das „Fiatgeld“ von Reich mit dem Ausdruck „Willkürgeld“ belegt. Wann immer ich also nachfolgend von Willkürgeld spreche meine ich dasselbe wie Reich mit „fiat money“.


In der Analyse von Reichs Seigniorage-Text waren wir stehengeblieben bei seiner Einführung des Begriff „fiat currency“ (S. 3). („Currency“ impliziert eine Einschränkung: Reich geht es ja um den Ertrag des Staates aus der Geldschöpfung. Folglich behandelt er lediglich das von einem Staatsorgan geschöpfte Basisgeld. Von daher muss ihn die Unterscheidung zwischen Kreditgeld und Willkürgeld auch nur insoweit interessieren, als es um eben dieses Basis- oder Zentralbankgeld (currency) geht.

Auf S. 4 spricht er kurz die Kreditwährungen an (s. o.) sowie die Herkunft der Seigniorage bei dieser Geldform, sowie das Fehlen von wirtschaftswissenschaftliche Literatur darüber:
  • “Seigniorage is earned in form of interest payments from commercial banks or in terms of acquiring interest bearing commercial bonds in exchange for non-interest bearing currency” sagt Reich (S. 4) und konstatiert (S. 5):
  • “To my knowledge no contemporary author analyzing Seigniorage mentions such a monetary system” und “….. there is no analytical framework or any reference to the creation of Seigniorage for a credit currency.“

Das ist freilich einigermaßen erschreckend und spricht nicht gerade für die Qualität des wirtschaftswissenschaftlichen Denkens, denn das bedeutet ja, dass die Wirtschaftswissenschaft (bzw. die Geldtheorie innerhalb dieser Disziplin) sich an einem (heutzutage) weitestgehend nur fiktiven „Willkürgeld“-System abgearbeitet hat.
So ganz stimmt das freilich nicht; denn beispielsweise untersucht Manfred Neumann in seiner Arbeit „Seigniorage in the United States: How Much Does the U. S. Government Make from Money Production?“ aus dem Jahr 1992 exakt das, was auch Reich als Regierungseinnahmen aus KREDITÄRER Geldschöpfung verstehen würde. Allerdings ist das eine Einzelfallstudie, kein theoretisches Grundlagenwerk; insoweit mag Reich Recht haben, dass es auf DIESER Ebene vor ihm noch keine saubere Trennung gab.
Außerdem ist es zumindest für mich einigermaßen dubios, welche Seigniorage Neumann neben den Zinseinnahmen anspricht, wenn er sagt (S. 31; Hervorhebungen von mir):
Unfortunately, the traditional concept of monetary seigniorage does not provide a complete account of the government’s revenue from base money provision. It abstracts from the actual process of base money creation and, therefore, neglects the fact that the total flow of revenue in addition depends on the asset structure of the central bank.
The total flow of seigniorage to the government consists of two components. The first is the real value of the non-monetary assets that the central bank receives from the public in exchange for an increase in the monetary base. This is measured by the traditional concept of monetary seigniorage as defined above. The second component is the interest earnings the central bank receives on its stocks of non-government debt.
Natürlich sind neben den Zinsen noch Handelsgewinne (insbesondere Währungsgewinne, und selbstverständlich auch evtl. Verluste) in die tatsächliche Seigniorage einzubeziehen. Aber die sind ja nicht identisch mit „non-monetary assets that the central bank receives from the public in exchange for an increase in the monetary base”. Tatsächlich kann ich auch nicht erkennen, dass diese in seinem Text eine Rolle spielen würden.

Doch zurück zu Reich und noch einmal zu dem bereits oben zitierten Text von S. 4 unten:
  • Seigniorage is earned in form of interest payments from commercial banks or in terms of acquiring interest bearing commercial bonds in exchange for non-interest bearing currency.”
Reich meint also, dass die Seigniorage sowohl durch die Zinszahlungen der Banken für Kredite der Zentralbank entsteht, als auch aus denjenigen Zinsen, welche ggf. vorhandene Anleihen im Portefeuille der Zentralbank abwerfen. Also ganz allgemein aus der Vergabe von Kredite, denn auch der Kauf von Anleihen ist nichts anderes als eine Kreditvergabe (bzw. bei Anleihekauf am Sekundärmarkt der Ankauf eines vom ursprünglichen Anleihezeichner vergebenen Kredits).

Zutreffend macht Reich darauf aufmerksam, dass die Klassifikation nach den verschiedenen Geld(schöpfungs)systemen eine idealtypische ist, wohingegen in der Realität eher Mischformen zu erwarten sind (meine Hervorhebung):
  • The monetary systems, which have been defined above, as “ideal types” in the sense of   Max Weber's Idealtypus. Thus the three distinguished systems are idealized and somehow extreme cases which are hardly found in reality. In reality monetary systems are usually a mixture of the three ideal types of monetary systems. In the Euro zone for example we have a paper based credit currency, supplied through central bank lending. However, governments still posses – though limited – the right of coinage. Most recently the European Central Bank started the purchase of government bonds (even though restricted to the secondary market). It seems that the modern monetary system combines elements of all three ideal types. However, it will be argued, that there is always a dominant system which rules the behavior of the whole system.” (S. 5)

Beim „Idealtypus“ muss man unbedingt im Hinterkopf behalten, dass das in DOPPELTER Hinsicht gilt.
Wenn man sich den oben von mir hervorgehobenen Satz anschaut sowie insbesondere das von Reich verwendete Beispiel, dann könnte man denken, dass es bei der Charakterisierung als „Idealtypus“ lediglich um die Ko-Existenz unterschiedlicher Geldschöpfungsformen gehe, die aber jeweils für sich exakt bestimmbar wären. Das wäre jedoch falsch. Die weitaus größere Schwierigkeit liegt (wie wir insbesondere bei dem unten behandelten 2. Aufsatz von Reich sehen werden) in der Bestimmung, welcher Geldschöpfungsform konkrete Vorgänge überhaupt zuzuordnen sind.
Schon die Münzprägung enthält noch (freilich sehr geringe) Elemente der Warengeldform.
Besonders aber ist die Schöpfung von Willkürgeld teilweise extrem schwierig vom Kreditgeld abzugrenzen, weil sie die kreditäre Geldschöpfung imitiert bzw. vortäuscht. Auf dem Papier wird es kaum jemals, vorkommen (bzw. vorgekommen sein), dass eine Zentralbank das Geld einfach „druckt“ und dem Staat schenkt. Vielmehr wird der Transfer immer als Kredit ausgewiesen werden (man könnte auch sagen: getarnt sein). Faktisch aber kann er, insbesondere durch eine revolvierende „Ponzi-Finanzierung“, jedoch zu einer Art von Geschenk (oder, auf dem Papier: zu einer Dauerleihgabe) an den Staat mutieren. Was dann eine mehr oder weniger heftige Inflation zur Folge haben kann.

Die vorstehend zitierte Passage ist jedoch auch in zwei anderen Hinsichten wichtig, weil Reich
a) das Münzgeld zutreffend als Willkürgeld darstellt (wobei man allenfalls darüber streiten kann, ob es nicht in Höhe der Produktionskosten Warengeld ist) und
b) auch den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB, der ja der Form nach eine kreditäre Form der Geldschöpfung ist, offenbar als Schöpfung von Willkürgeld ansieht (oder zumindest diese Deutung in Betracht zieht). Jedenfalls (das sagt er auch später noch ausdrücklich) kommt es letztlich nicht auf die äußere Form an, sondern auf den ökonomischen Gehalt, ob man eine Geldschöpfung als kreditär oder als Willkürgeld einordnen muss. Wobei aber, wie ich soeben gezeigt hatte, im konkreten Einzelfall eine korrekte Zuordnung äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sein kann.

Warum er zwei Einnahmequellen ausklammert (Anm. 4, S. 5 unten), erschließt sich mir zumindest bei der ersten nicht:
  • Gains and losses from trading foreign currencies and interest earnings from the government do not appear in the Seigniorage equation, as they sometime do in the literature.
Zinseinnahmen aus Regierungsanleihen sind natürlich “linke Tasche, rechte Tasche”, wenn man Zentralbank und Regierung (richtiger Weise) beide als Organe des Staatsapparates versteht. Immerhin machen oder machten diese aber z. B. in den USA ca. 80% der FED-Einnahmen aus (jedenfalls zur Zeit der o. a. Neumann-Studie und davor). Und für die Regierung sind sie echte Gewinne, weil sie sich im Ergebnis die Zinszahlungen erspart (bzw. ablaufmäßig konkret: Weil sie ihre Zinszahlungen an die ZB durch deren Gewinnausschüttung nach einiger Zeit wieder zurückerstattet bekommt).
Natürlich kann man diese Gewinne als „Willkürgeld“ ansehen; aber jedenfalls fallen sie real an.

Bei den Währungsgewinnen und Verlusten (egal, ob bereits aus Bewertungsunterschieden auf dem Papier generiert oder durch entsprechende Verkäufe tatsächlich realisiert) verstehe ich allerdings gar nicht, weshalb Reiche diese nicht zur Seigniorage rechnen will. Denn auch der Ankauf von Fremdwährungen durch eine Zentralbank ist eine Art von Kreditvergabe (genauer: ein Tausch von Krediten, und zwar von GÜTERkrediten; dazu unten) - und Geldschöpfung sowieso.
Die Wirtschaftswissenschaft tendiert leider dazu, das Geldwesen als quasi in sich geschlossenes System zu behandeln, das kaum einen Bezug zur Realwirtschaft hat. (Dazu ausführlich das online verfügbare Buch „Die Neutralitätstheorie des Geldes. Ein kritischer Überblick“ von Ulaş Şener.) Nach wohl herrschender Vorstellung vermittelt Geld zwar Transaktionen zwischen den Wirtschaftssubjekten; jedoch werden diese Transaktionen als vom Gelde lediglich vermittelte Tauschvorgänge und damit weitgehend unabhängig von eventuellen Eigengesetzlichkeiten in der Geld-Welt gedacht. Und das Geld dafür ist halt irgendwie da. Wenn zu wenig, muss es die Zentralbank (allenfalls auch die Regierung) irgendwie in den Wirtschaftskreislauf injizieren; wenn zu viel, muss es die Zentralbank (ggf. auch die Regierung) irgendwie wieder absaugen.
Dass aber die Art der Geldschöpfung ganz unmittelbar entscheidend für die Verfügbarkeit von Gütern ist, kommt der VWL nicht in den Sinn.
Die direkte kausale Verzahnung von kreditärer Geldschöpfung und Güterwirtschaft vollzieht sich auf der mikroökonomischen Ebene.

Im Fiatgeld-System ist jeder Geldschein (hier synonym auch für Guthaben) am Anfang seines „Lebens“ Willkürgeld: Ein bloßes Geldzeichen, ein „Gutschein“, den das Bankensystem „im Auftrag“ der Volkswirtschaft erstellt hat und der den Kreditnehmer als „Erstgeldempfänger“ berechtigt, am Markt einzukaufen. Zwar kann das Geld bereits in diesem Stadium eine Art von güterwirtschaftlicher Deckung haben. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Bank eine (werthaltige) Sicherheit hat geben lassen. Aber die eigentliche Deckung bekommt der Geldschein erst am „Ende seines Lebens“, wenn der Kreditnehmer den Kredit tilgen muss. (Nur wenn er das nicht kann, ersetzt die Verwertung einer eventuellen Sicherheit die „normale“ Deckung.)

Am Ausgangspunkt führt nämlich die Emission von Fiatgeld im Prinzip (d. h. im Denkmodell) zu einer Unterdeckung von Gütern am Markt, egal, ob der Kredit nun besichert wurde oder nicht. Der Kreditnehmer (bzw., wenn man die Sicht auf echtes Willkürgeld ausdehnen will: Der Erstgeldempfänger) darf mit diesem „Anrechtsschein“ dem Markt Güter entnehmen, ohne dass er selber irgendwelche Leistungen eingespeist hätte. Der Ausgleich erfolgt erst am Ende (und nur beim Kreditgeld), wo der Kreditnehmer selber ein Gut am Markt anbieten muss, um (ganz naiv gedacht) „seinen“ Geldschein zurückzubekommen. Zu diesem Zeitpunkt darf er, obwohl er ja eine Leistung erbracht hat, das Geld nicht noch einmal für eigene Einkäufe verwenden, sondern muss es an die Bank zurückzahlen, wo es erlischt. (Meist wird dieser Vorgang als „Vernichtung“ des Geldes bezeichnet. Jedoch suggeriert dieser Begriff, dass dafür eine Aktivität der Bank erforderlich wäre. Das ist jedoch nicht der Fall: Mit dem Eingang bei der Bank und der Tilgung des Kredits hat sich dieses Geld automatisch sozusagen „in Luft aufgelöst“. Es wurde „aus dem Nichts“ (ex nihilo) geschaffen und ist folgerichtig wieder zu „Nichts“ geworden. Aber in der Zwischenzeit hat es sich als nützlich erwiesen, um viele Geschäfte am Markt zu ermöglichen.)
[Diese Zusammenhänge habe ich mehrfach in einem Schritt-für-Schritt-Modell dargestellt, zuletzt im Blott „Funktionsweise, Funktionslogik und Funktionsfähigkeit der kreditären Geldschöpfung als Gesellschaftsspiel dargestellt“.]

Aus der o. a. Sicht der Dinge ergibt sich auch, dass der Kreditnehmer in ZWEI Dimensionen verschuldet ist (vgl. auch meinen Blott „Warum Fiatgeld notwendig ‚Schuldgeld‘ sein muss: Ein Kredit kommt niemals allein - sondern immer im Doppelpack!“:
1.     finanziell gegenüber seiner Bank und
2.     güterwirtschaftlich gegenüber dem Markt.
Diese güterwirtschaftliche Dimension des Kredits steht nirgends geschrieben; das muss sie aber auch nicht: Sie ergibt sich folgerichtig (wenn man die Zusammenhänge intensiv und in lückenlosen Einzelschritten durchdenkt) aus dem Kreditmechanismus. Dieser Zusammenhang dürfte auch in dem in der Wikipedia (s. o.) und anderswo auftauchenden Begriff „Rückleistungsdruck“ mitgedacht sein: Dass der finanzielle „Rückleistungsdruck“ einen Druck zur „Rückgabe“ der ursprünglich ohne reale Gegenleistung dem Markt entnommenen Ware beinhaltet (bzw. eines am Markt nachgefragten Äquivalentes dafür).

Weiterhin ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise die Einsicht, dass die Geldbesitzer nicht alle denselben Status im Geld-Güterkreislauf haben. Status meint hier nicht etwa reich oder arm (mit vielen Zwischenstufen), sondern ist eine binäre Unterscheidung zwischen „Erstgeldempfänger“ (der – bei kreditärer Geldschöpfung - unter Rückleistungsdruck steht) und demjenigen, der dem „Erstgeldempfänger“ etwas verkauft, und dafür einen bloßen „Fetzen Papier“ in der Hand hat: Dem „Zweitgeldempfänger“ (alle folgenden Glieder in der Kette inbegriffen, denn die kommen – im Prinzip - ja auch nur dadurch an das Geld, dass sie eine Gegenleistung erbringen).
Der „Zweitgeldempfänger“ (usw.) ist (ebenfalls eine Vorstellung, die der VWL fremd sein dürfte) KREDITGEBER. Und zwar in der güterwirtschaftlichen Dimension. Er hat eine reale Leistung hingegeben und einen „Fetzen Papier“ erhalten. Der eigentliche Sinn der Transaktion lag freilich auch für ihn darin, an Geld zu kommen, um damit etwas einkaufen zu können.
Aber solange er noch nicht eingekauft hat „schuldet“ jemand ihm etwas für sein Geld.
Dieser (GÜTERWIRTSCHAFTLICHE!) Schuldner ist NICHT der Kreditnehmer, sondern „der Markt“. Und diese Verschuldung ist keine juristische, sondern eine „nur“ faktische (aber faktisch wirksame!) Verpflichtung, dem (jeweiligen) Geldbesitzer etwas zu verkaufen. Denn jeder andere Marktteilnehmer braucht ja auch Geld, um seinerseits einkaufen zu können und wird daher die ungeschriebene „Verpflichtung“ des Marktes, diesen Geldschein in Güter umzutauschen, honorieren.

Mein Exkurs in die Zweidimensionalität der Kreditgewährung war erforderlich, um die kreditären Zusammenhänge bei Transaktionen mit anderen Währungszonen zu verstehen. (Wir knabbern also immer noch an der Anm. 4 auf S. 5 des Reich-Papiers herum.)
  • Wenn VW in den USA Automobile verkauft und dafür US-Dollar einnimmt, dann ist der Konzern Gläubiger der amerikanischen Volkswirtschaft: Er könnte damit in den USA einkaufen gehen.
  • Tauscht er die USD (natürlich vermittelt durch eine Bank) bei der EZB (bzw. der Bundesbank als EZB-Agentur) in Euro ein, d. h. kauft die EZB (wozu sie allerdings nicht verpflichtet ist) die Dollar an, dann geht die Forderung des privaten Gläubigers VW gegen die US-Volkswirtschaft auf die deutsche Volkswirtschaft über. Während VW nunmehr eine Forderung gegen die deutsche Volkswirtschaft (bzw. gegen diejenige der Eurozone insgesamt) hat.
  • Die EZB hat also Euro geschöpft, indem sie der US-Volkswirtschaft einen (zunächst zinslosen) Kredit gegeben hat. [In vergleichbarer Weise schöpft die Bundesbank in Deutschland Euro, wenn die Griechen auf Pump bei uns einkaufen gehen (Target-Salden!).]

Anders sieht es aus, wenn amerikanische Anleger ihre Dollars in die Schweiz bringen und die SNB diese Fremdwährung ankauft (wozu sie ebenfalls nicht verpflichtet ist, was sie aber z. B. deshalb tun wird, damit der Kurs des Schweizer Frankens nicht ins Unendliche steigt – und niemand im Ausland mehr Schweizer Produkte kaufen kann). Dann verkaufen die US-Anleger der Schweiz Forderungen gegen die US-Volkswirtschaft und kaufen – in Gestalt von sfrs - Forderungen gegen die Schweizer Volkswirtschaft. In diesem Falle findet also ein ForderungsTAUSCH statt - für den allerdings zugleich neue Forderungen (gegen die Schweizer Volkswirtschaft) geschaffen werden (müssen).
In beiden Fällen wird die Notenbank mit einem Großteil der erworbenen (eingetauschten) Dollar amerikanische Staatsanleihen aufkaufen, damit sie Zinsen auf ihre sog. „Währungsreserven“ erhält. Denn dieser Weg der Geldschöpfung (also der Eintausch von Devisen gegen sfrs) bringt ihr keinerlei Ertrag. (Eine Ausnahme sind evtl. Kursgewinne, denen aber das Risiko von Kursverlusten gegenübersteht).

Ab S. 6 stellt Reich die Seigniorage in den unterschiedlichen Geldschöpfungssystemen vor, beginnend mit dem, was er als „fiat currency“ bezeichnet, also nach meinem o. a. Begriffssystem „Willkürgeld“. (In den Zitaten habe ich die Abkürzungen, die er für seine Rechenformeln einführt, durchgängig weggelassen):
  • The monetary concept pictures a[n] institutional setting wherein a government prints its notes to pay for wages, salaries and goods. The Seigniorage in nominal terms is therefore given by the amount of freshly printed currency. The most able and lengthy treatment of such a policy can be found in Keynes (1923) [“A Tract on monetary reform”]. The printing press increases the stock of currency and may affect the level of prices. The Seigniorage is therefore usually not measured in nominal terms but corrected for the new level of prices. Therefore the Seigniorage is given by the flow of printed currency divided by the level of prices.
Und weiter auf S. 7:
  • Thus the government can acquire the more resources the more currency it prints. Even thou it is recognized empirically that during a hyperinflation the legal tender is not completely abolished ….. it is usually assumed that households are able to substitute the national currency by alternative means.” Daher gilt auch (S. 9): “…..the government faces a trade-off. By printing currency the government increases its revenue from Seigniorage while – at the same time – it reduces the demand for its currency by causing inflation.

Erschreckend ist, wie sich die “Wissenschaft” auch beim Willkürgeld ohne Rücksichten auf Realitäten durch die Gleichsetzung von Geldmenge und Basisgeldmenge ein bequemes Szenario zusammengebastelt hat (S. 6, Anm. 7):
  • All authors treating the revenue from the supply of legal tender assume in that specific chapter that the overall supply of money equals the supply of legal tender by the government. Thus it is assumed ….. that all money is legal tender, or in our words fiat currency.”

Nicht viel Sinn macht es aus meiner Sicht, wenn Reich beim Willkürgeld zwischen erwarteter und unerwarteter Inflation unterscheidet und dabei behauptet (S. 9/10)
  • Unanticipated inflation implies that the government announces a different inflation and currency growth then it actually pursues.
Schließlich geht es beim Willkürgeld nicht um traditionelle Stabilitäts-Geldpolitik mit einer allenfalls geringen Inflationsrate, sondern darum, so viel Geld zu drucken, dass die Regierung ihr Haushaltsdefizit finanzieren kann. Da wird sie (bzw. die Zentralbank) weder explizit noch implizit eine angestrebte Inflationsrate verkünden bzw. überhaupt festlegen können.

Auf S. 11 ff. geht es um die „Seigniorage from supplying a commodity based currency“. Deren Höhe berechnet sich wie folgt (S. 12):
  • For a commodity currency the Seigniorage is earned as a fee in the governments mints. If gold is brought into the mint a fraction of the minted coins is kept by the government.”
Mit anderen Worten und an einem fiktiven Beispiel dargestellt: Wenn 1 kg Gold bei der Münze eingeliefert wird, macht diese daraus 100 Goldmünzen. Das Bergbauunternehmen erhält 50 Goldmünzen; mit weiteren 5 Münzen werden Löhne und sonstige Kosten der Münzprägestätte bezahlt. Die verbleibenden 45 Münzen stellt die Regierung in ihren Haushalt ein und gibt sie aus.
  • Another way to collect the Seigniorage is to sell the monopoly to exploit a countries [recte: country’s] mines.” (S. 12)
Ob man diese Gewinne wirklich der Seigniorage zurechnen darf, möchte ich bezweifeln. Gold wird ja z. B. auch für Schmuckzwecke (heutzutage auch für technische Zwecke) verwendet; eventuelle Gewinne aus einer (faktischen) Besteuerung der Rohstoffpreise entstehen also keineswegs nur aus der Münzprägung.

Auf S. 15 folgt die „Seigniorage from supplying a credit currency“:
  • A credit based currency is usually supplied as credit by a government[‘]s monetary authorities, e.g. a central bank. Similar to the commodity currency the authorities determine the price of the currency and accommodate the public demand for this price. In this case Seigniorage stems from the interest payments of those demanding the credit from the monetary authorities.
Das stimmt im Prinzip wenn man davon absieht, dass Gewinne (und Verluste) der Zentralbank, und damit letztlich realisierte bzw. entgangene Einkünfte des Staates, auch aus Kursschwankungen der angekauften „Assets“ (Anleihen, Devisen) anfallen können sowie Zinseinnahmen aus Fremdwährung, die angekauft und dann investiert wurde (s. o.).
  • “….. if a credit currency is supplied by a monopolist, the monopolist will be able to acquire a return for providing the currency supply. Thus if currency is supplied by the monetary authorities they receive the gross revenue (monetary Seigniorage) and transfers the net revenue (fiscal Seigniorage), after allowance for cost to run the monetary system are made, to the government (the treasury).”
Das ist richtig.
  • If the government is allowed to borrow directly from the monetary authorities, without the commitment to repay the loans the system becomes a fiat currency system, in which the government uses the ‘printing press’.” (S. 15)
Hier sagt Reich also praktisch ausdrücklich, dass es nicht auf den Schein ankommt (unter dem sich die Regierung das Geld von der Zentralbank ggf. leihen muss, anstatt es geschenkt zu bekommen), sondern dass auch ein scheinbares Geldverleihen von der Zentralbank an die Regierung im Ergebnis auf ein „print and spend“ hinauslaufen kann. (Auch in der Hyperinflation der Weimarer Republik 1923 hatte die Reichsbank auf dem Papier der Reichsregierung das Geld nur „geliehen“. Die Realität war freilich eine andere, denn eine Rückzahlung aus dem Steueraufkommen war faktisch unmöglich.)
  • We shall therefore exclude direct loans to the government by the central bank.” (S. 15)
Methodisch ist das sicherlich richtig. Die andere Frage ist freilich, ob nicht auch INDIREKTE Kredite der Zentralbanken an die Regierung (durch einen Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt) eine Form der (teilweisen) Staatsfinanzierung mit der Notenpresse darstellen können. Diese Möglichkeit sieht aber Reich wohl auch (vgl. oben).
  • There is as well an analogy to the dishonest inflation we have found in the last two chapters. Instead of issuing additional paper (fiat currency), or to devalue the whole stock (commodity currency) [durch Münzverschlechterung], in a credit currency system the government has to default on its debt.” (S. 16)
Hier presst Reich m. E. um der Symmetrie willen ein [als solches zwar durchaus mögliches] Gewinnszenario für den Staat in sein Schema, das mit „Seigniorage“ rein gar nichts zu tun hat. Außer dass, wie Reich zutreffend feststellt, eine Staatsinsolvenz insoweit tatsächlich ein Nullsummenspiel wäre, als Staatsanleihen von der Zentralbank gehalten werden. Weil sich dann nämlich die Seigniorage entsprechend vermindern würde. Vor allem passt es auch nicht in jene Definition, die Reich auf S. 2 selber vorgelegt hatte: „“Seigniorage is ….. the government's revenue from the creation of money”. Eine Insolvenz mit darauf folgender Entschuldung hat rein gar nichts mit dem Geldsystem oder mit der Geldschöpfung zu tun. Diese Art von „Seigniorage“ kommt auch jedem privaten Schuldner zugute, der im Insolvenzverfahren entschuldet wird.

Als einen Faktor, der die Seigniorage vermindern kann, identifiziert der Autor die mögliche Insolvenz von Kreditnehmern bzw. Anleiheemittenten, die Verpflichtungen gegenüber der ZB haben (S. 18):
In a credit currency system there is the additional possibility, which has not been addressed so far, of a default on central bank loans by private lenders. This possibility will be examined with respect to the governments Seigniorage in chapters 6 and 7.

Das 4. Kapitel (S. 18 ff) widmet sich den “Mixed monetary systems”:
  • So far the analysis has been restricted to “ideal types” of monetary systems in the sense of Max Weber's Idealtypus. Three systems have been distinguished which are somehow extreme cases and hardly found in reality. In reality monetary systems are usually a mixture of the distinguished ideal types. The possible historical examples are manifold, paper based currency systems which are to some extend backed by gold, or credit currency systems in which the government is allowed to print currency.”

Insoweit ist er der Meinung, dass die Höhe der Seigniorage vom jeweils vorherrschenden Geld(schöpfungs)system abhängt:
  • However, different mixed systems, combining features from different ideal type monetary systems, will – in respect to the revenue from Seigniorage – be determined by the predominant type.

Diese Annahme exemplifiziert er anhand von zwei Beispielen (S. 19): 

1) Einem System mit kombiniertem Waren- und Willkürgeld:
  • Für den Fall, dass die Notenbank zum Eintauschen des Fiatgeldes in Warengeld verpflichtet ist, gewinnt der Staat gar nichts mit der Fiatgeld-Emission, weil dann die Goldreserven dahinschmelzen. (Deshalb wurde sofort zu Beginn des ersten Weltkrieges in Deutschland die Einlösepflicht von Banknoten in Gold aufgehoben.)
  • Hebt der Staat die Umtauschpflicht auf, mutiert das Ganze zu einem reinen Fiatgeldsystem. (So war es ja auch tatsächlich 1914 ff., und wohl auch schon in Großbritannien zur Zeit der napoleonischen Kriege.)

2) Einem Kreditgeldsystem mit Willkürgeld. Insoweit meint er
  • As long as the government issues less currency then is demanded the system behaves like a credit commodity system, even thou some part of future Seigniorage has already been capitalized.
Im Detail kann ich mir dafür keine modellhafte Vorstellung bilden und nicht einschätzen, ob das zutrifft. Allerdings wäre es eine mögliche Erklärung für das Phänomen, dass starke Inflationen „wie Ketchup aus der Flasche“ kommen: Eine Regierung kann durchaus eine geraume Zeit missbräuchlich Geld schöpfen, bevor die inflationären Folgeschäden eintreten. (So war es wohl auch historisch in Deutschland 1914 ff.)

Zusammenfassend sagt er dazu (S. 20):
  • “….. if monetary systems are mixed there is no fundamental change in the laws governing the Seigniorage. A mixed monetary system can be understood employing the insights of the independent ideal types.

Das 5. Kapitel beschäftigt sich mit “Government debt and Seigniorage” (S. 20 ff.) und untersucht, welche „Seigniorage“ ein Staat aus seiner Insolvenz ziehen kann. Abgesehen davon, dass dabei auch sehr viele psychologische Faktoren ins Spiel kommen würden, sind solche Gewinne für mich keine „Seigniorage“. Wie er diese Fallgestaltung gewaltsam in sein Schema zu integrieren versucht, zeigt die verquere Darstellung S. 24:
  • If the government defaults on some of its issued bonds the losses are primarily limited to the lenders. These lenders were paid with what has been called “wizard” currency, it disappeared some time after they received it.
Da hat sich kein emittiertes Geld in Nichts aufgelöst; die Anleihebesitzer haben einfach bei Fälligkeit ihr Geld nicht erhalten und basta. Der Staat dagegen hat bei der Anleiheemission Geld von den Anleihezeichnern bekommen und dieses ausgegeben. Hier ist der ursprünglich leihweise geplante Kaufkraft-Transfer von den Anleihekäufern an den Staat zu einem endgültigen Transfer geworden, in der Wirkung beim Staat wie bei den Geschädigten mit einer Besteuerung vergleichbar.

Im Kapitel 6Optimal Seigniorage“ (S. 24 ff.) referiert Reich die Literatur zu dieser Frage und kommt zu dem Schluss S. 28):
  • “….. as long as there is no consensus in these welfare-theoretical approaches on how currency should be seen (as final or intermediate good) and how it should be incorporated into the production and/or utility function the optimal level of Seigniorage cannot be finally determined.

Im 7. KapitelOptimal Seigniorage revisited” geht es darum, das bei den Kosten der kreditären Geldschöpfung seiner Meinung nach auch die Insolvenzrisiken der Kreditnehmer (von Basisgeld) eingepreist werden müssen:
  • “….. besides the fixed cost there is a risk of default connected to the creation of a credit currency.” (Vgl. auch oben zu S. 18.)
Ob das tatsächlich so ist und, wenn ja, mit welchem Satz diese Insolvenzwahrscheinlichkeit angesetzt werden müsste, kann ich nicht beurteilen. Für Deutschland jedenfalls dürfte sie sehr gering sein; außerdem stellt sich für mich die Frage, ob diese Risiken nicht (ausreichend) durch Rückstellungen der Notenbank abgedeckt sind. (Die dann im Ernstfalle natürlich wieder aufgefüllt werden müssten. Aber dafür ist nicht zwingend ein höherer Kreditzinssatz erforderlich; dieses Risiko könnte schließlich auch der Staat in Form entgangener Gewinnausschüttungen übernehmen.)

Aber selbst dann, wenn man die Aussage S. 29 akzeptiert, wonach
  • The default risk of borrowers has to be incorporated into the price of lending by means of taxation, thus Seigniorage
bleibt die Behauptung (ebenfalls S. 29) falsch, dass
  • “….. the cost covering Seigniorage for a credit currency has to be higher then for a fiat currency.”
Denn bei Willkürgeld (“fiat currency”), welches der Staat einfach „druckt und ausgibt“ kommt die Seigniorage nahe an den Nennwert heran: Lediglich die Emissionskosten sind abzuziehen, aber die sind verschwindend gering. Während bei Kreditgeld eine Seigniorage nur in Höhe der Zinsen aus der Kreditvergabe anfällt. Selbst wenn man die geringfügig erhöhen würde, um das Kreditausfallrisiko bei der ZB abzudecken, bleiben sie in normalen Zeiten weit unter der (fast) „100%-Seigniorage“ des Willkürgeldes.
  • “….. for a credit currency there will be no social optimum if the Seigniorage covers the private marginal cost of the currency supplying. Instead the Seigniorage has to be higher, depending on the risk of a default on currency lending, or in other words a bank failure as it is usually a banking system which borrows currency in a monetary system built upon credit. The government or the monetary authorities should therefore at all times put a higher burden on borrowers then it is suggested by the (fiat currency) Chicago-rule.
Auch wenn ich Reichs Rechenschritte nicht nachvollziehen kann, bezweifle ich, dass es sinnvoll ist, die Zinshöhe für ZB-Kredite an solchen Überlegungen festzumachen.
Das ist es auch ganz sicher NICHT, was die EZB mit ihrem 2%-Inflationsziel im Sinn hat. Wie immer man dazu steht: Die Begründung
  • The aim of the European central bank of positive rate of inflation could be justified, if the central bank authorities judge the default risk to be greater then the rate of growth.” (S. 31)
erscheint mir nicht tragfähig, zumal ich auch nicht weiß, welchen unmittelbaren Zusammenhang die Inflationsrate mit der (nominalen) Seigniorage haben sollte*. Jedenfalls sind Kreditausfallrisiken mit Sicherheit kein Element, das in die Überlegungen der EZB zur Höhe der optimalen Inflationsrate eingeht.
* [Vgl. dazu allerdings S. 31 unten die Meinung von Reich: „….. the higher the rate of interest in a credit system (in a long run perspective) the higher the growth of the level of prices.“] 
  • Besides this ‘honest’ source of Seigniorage there is a second way to increase the Seigniorage returns in all three monetary systems, the (temporal) dishonest Seigniorage. The commodity currency can be debased, the fiat currency can be inflated unanticipated, and the credit currency can be defaulted upon.” (S. 31)
Dazu:
1) Willkürgeld ist per se “dishonest”, nämlich ein Betrug am Geldnutzer und Bürger, weil es eine versteckte Besteuerung darstellt. Und bei einer Hyperinflation verselbständigen sich letztlich die inflationären Prozesse, egal, ob die Bürger vorher über die Menge des zu druckenden Willkürgeldes informiert werden oder nicht. Konkrete quantitative Informationen kann der Staat in einem solchen Falle gar nicht liefern; vielmehr ist allen Beteiligten klar, dass er so viel drucken wird, wie seinem Ausgabendefizit entspricht. Und dass er mit steigender Inflation entsprechend mehr drucken muss.
2) Eine Staatspleite und damit verbundene (vollständige oder teilweise) Schuldenbefreiung des Staates ist keine „Seigniorage“, auch nicht nach Reichs eigener Definition (s. o. zu S. 2).
  •  The gain from inflating the issued debt depend[s] on the maturity of the issued debt and may under certain circumstances be beneficial. However it seems more difficult in a fiat currency system.
Beim Willkürgeld entfällt das Weginflationieren der Staatsschulden per definitionem, weil der Staat dabei keine gar keine Schulden eingeht bzw. die Schöpfung von Willkürgeld nur auf dem Papier (pro forma) kreditär erfolgt. Das gilt jedenfalls für Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank. Rein theoretisch könnte er natürlich zusätzliche Anleihen aufnehmen. Aber warum sollte er das tun, und wer sollte die kaufen??? Und was die ALTEN Staatsschulden angeht, sind die bei einer Hyperinflation selbstverständlich weg: Die Kriegsanleihen des Kaiserreichs waren 1923 Klopapier.
  • The risk of a[n] accelerating inflation seems to be a peculiar feature of fiat currency systems. Historical observations suggest that there were no such accelerating inflationary pressures in commodity currency systems despite that ongoing debasements are documented by many authors.
  • The laws governing the return from Seigniorage produce no accelerating effect for a commodity currency system” (beide S. 33)
Seine Berechnungen sind mir, wie schon gesagt, mangels mathematischer Kenntnisse verschlossen. Was allerdings die wirtschaftsgeschichtlichen Fakten angeht so weiß ich, dass es auch durch Münzverschlechterungen zu heftigen Preissteigerungen gekommen ist. (Vgl. z. B. die oben verlinkten Rezensionen zu dem Buch von Stefan Leins über das Prager Münzkonsortium oder in diesem – auch sonst hochspannenden! – historischen Überblick die Information: „Inflationsrate 1623 über 460%“).
Allerdings sind die technischen Grenzen bei Münzverfälschungen enger als bei der Herstellung von Papiergeld, dem man jede beliebige Zahl aufdrucken kann. Aber für die Wirtschaftssubjekte wie für die Staaten selber in den damaligen eher statischen Volkswirtschaften dürfte auch die willkürliche Münzgeldvermehrung verheerende Folgen gehabt haben. Jedenfalls folgte dem Geldregime des Prager Münzkonsortiums bereits 1623 eine Münzreform.

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Hintergrund der Untersuchung von Reich sind die Staatsanleihenkäufe der EZB:
  • Contemporary asset purchasing programs contributed to a doubling of base money within only two years and historically low interest rates. Economic theory predicts such strong expansions to result in a rise in the level of prices. Yet, inflationary pressure in the magnitude of the expansionary policy is not observed.
Er kommt zu dem Schluss
  • In the range of another 500 billion € government bond purchases should not be expected to be inflationary.
Weil (und solange) die Basisgeldmenge nach wie vor wesentlich auch aus Kreditvergaben der EZB geschöpft werde, sei keine Inflation zu erwarten:
  • This [rising prices] is unlikely as long as central bank loans contribute substantial to base money.” (Alles aus der Zusammenfassung auf S. 1)

Spezifisch will er einen Widerspruch zwischen Realität und ökonomischer Theorie auflösen, der in der Tat klärungsbedürftig ist:
  • “….. a strong expansion of the monetary base is expected to result in a general rise in the level of prices. Even more so if the supply expands as drastically as it did recently. Such a relation is however at present not perceived. Hence, there is a contrast between economic theory and the empirical development which has to be explained. Economic theory predicts that low interest rates and monetary expansion cause rising prices. Such a correlation between prices and interest rates on the one hand and base money on the other cannot be observed.

Zunächst führt er die uns bereits aus dem früheren Papier bekannte Unterscheidung von “fiat currency” (bzw. bei mir: Willkürgeld) und „credit currency“ ein. Allerdings versteht er hier die Willkürgeld-Kategorie (im engeren Sinne) als Untergruppe einer Geldschöpfungsform, die man vielleicht als „Dauergeld“ bezeichnen könnte. Diese zerfällt in ungewollt und gewollt geschöpftes Dauergeld; nur die letzte Gruppe bezeichnet er als „fiat currency“. Diese Untergliederung erscheint vertretbar (von dem problematischen Begriff – s. o. - „fiat currency“ abgesehen). Allerdings sollte er dann auch konsequent sein und einen Ausdruck für diese Geld(schöpfungs)gruppe insgesamt bereitstellen, also z. B. „Dauergeld“.
Auf der anderen Seite könnte man sich allerdings mit „fiat currency“ (Willkürgeld) begnügen, denn die ungewollte Emission von Dauergeld ist ein hauptsächlich theoretischer Fall, der in der Praxis allenfalls selten vorkommen dürfte. Und der, wenn er mal eintreten sollte, aufgrund des eher geringen auf diese Weise „versehentlich“ (mehr oder weniger) dauerhaft emittierten Geldes kaum eine nennenswerte Inflationsgefahr darstellt. (Hervorhebungen von mir):
  • “….. the increased supply of currency can be permanent or temporary. In case the purchased (private) assets are not repaid and losses exceed seigniorage returns the supply currency has to be interpreted as permanently issued. Currency issued by means of producing (“printing”) and spending it on behalf of the ministry of finance is so called fiat currency. …..  It is  ….. sometimes labelled as “helicopter” money. ….. Once issued fiat currency circulates in the economy until it is returned to the government in the form of tax payments.” (S. 2)
Und zum Kreditgeld:
  • In case assets are repaid at maturity the supply of currency is temporary. Previously issued currency returns to the central bank at maturity and the quantity of base money shrinks. Currency which is issued by means of granting credit to the economy is so called credit currency. ….. Credit currency circulates in the economy until the respective credit comes due.” (S. 3)

Ich habe die beiden Absätze hier hintereinander stehen gelassen, obwohl ich (nur) zu dem ersten mehrere Anmerkungen bzw. Einwände habe: 

1) Seine Kategorie „purchased (private) assets are not repaid” bezieht sich auf Fälle, bei denen die Zentralbank Assets (z. B. Anleihen; theoretisch denkbar wäre auch Fremdwährung) angekauft hat, die wertlos (nicht zurückgezahlt) werden.
Hierzu gehören aber auch von der ZB ausgereichte Kredite, die ganz oder teilweise nicht zurückgezahlt werden (und bei denen die Verwertung der Sicherheiten nicht zur vollen Abdeckung ausreicht) und ebenso und ganz besonders (weil nämlich durchaus praxisrelevant) Währungsverluste. 

2) Derartige Verluste führen allerdings nicht wirklich dazu, dass das insoweit von der ZB emittierte Geld nunmehr ewig in der Wirtschaft zirkulieren würde. Dieses Resultat tritt jedenfalls dann nicht ein, wenn die ZB diese Verluste in ihrer Bilanz ausweist und mit späteren Gewinnen aufrechnet. Dadurch werden der Wirtschaft diese Beträge nämlich wieder entzogen. (Und das dürfte das übliche Vorgehen der Zentralbanken sein, wobei theoretisch die Verluste natürlich so hoch sein können, dass der Ausgleich sich über Jahre hinzieht. Was das für die Inflationsrate bedeuten könnte, ist eine andere Frage; hier geht es nur darum, ob bzw. wie „permanent“ das Geld in Umlauf bleibt.) 

3) Das sind allerdings, im Hinblick auf potentiell inflationäre Wirkungen, i. d. R. untergeordnete Sachverhalte.
Kritisch und eindeutig falsch ist dagegen Reichs Behauptung, dass Willkürgeld durch Steuern abgeschöpft werde ("fiat currency circulates in the economy until it is returned to the government in the form of tax payments“). Hintergrund ist bei ihm möglicher Weise die Modern Monetary Theory (MMT), die tatsächlich der Meinung ist, dass mit dem Eingang einer Steuerzahlung bei einer Zentralbank dieses Geld automatisch vernichtet worden sei und von der ZB erst wieder neu geschöpft werden müsse, damit der Staat es ausgeben könne. Dass und warum das sektiererischer Mumpitz ist, habe ich in zwei Blotts dargelegt:
Hier genügt es darauf hinzuweisen, dass der Staat die Steuerzahlungen wieder ausgibt. Das Willkürgeld dient ja gerade dazu, die aus Regierungssicht ungenügenden Steuereingänge zu ergänzen, um MEHR Geld ausgeben zu können. Eine Geldvernichtung wäre damit lediglich dann verbunden, wenn die Gelddruckerei der Zentralbank für die Regierung als Kredit verbucht worden wäre (was in der Tat der übliche Weg ist) und die Regierung diese Kredite tatsächlich mit den Steuereingängen tilgen würde: DANN wäre dieses Willkürgeld (genau wie bei „echtem“ Kreditgeld bei jedem geldschöpfenden oder Primär-Kredit!) tatsächlich vernichtet und würde nicht mehr umlaufen. Das dürfte allerdings kaum jemals in der Geldgeschichte der Weltgeschichte vorgekommen sein und überhaupt könnte man dann bereits die Klassifizierung der vorausgegangenen Geldschöpfung als „Willkürgeld“ infrage stellen. 

Was den Autor bei dem folgenden Absatz (S. 3) geritten hat, ist mir ein Rätsel. Sitzt er nunmehr doch jenen Phantasiegeschichten der Wirtschaftswissenschaft zum Thema „Seigniorage“ auf, die er in dem o. a. Aufsatz zu Recht gegeißelt hatte?
  • Purchases of government bonds by central banks constitute a supply of currency. If the ministry of finance repays its obligation at maturity it retrieves its payment in terms of seigniorage payments. Hence, the currency returns to the debtor. However, it changes it’s from [recte: form]. Repaying the debt and retrieving the repayment if [recte: in] form of seigniorage returns so to speak transforms the credit currency into fiat currency. The fraction of final bond purchases which result in fiat currency supply depend on the difference between the monetary seigniorage (return to the central bank) and the fiscal seigniorage (return to the ministry of finance). As a result, purchases of assets should be perceived as a supply of credit currency in general. Final purchases of government bonds constitute a supply of fiat currency – if held until maturity.
[Die letzten beiden Sätze verstehe ich als Gegensatz, i. S. v.: Grundsätzlich schöpfen Assetkäufe Kreditgeld; wenn aber Regierungsanleihen angekauft UND diese bis zur Fälligkeit gehalten werden, wurde dadurch Willkürgeld geschaffen.]
Richtig ist zunächst einmal, dass Ankäufe von Regierungsanleihen (genau wie von allen anderen Anleihen auch) Basisgeld in Umlauf bringen („supply of currency“). Dieses Ergebnis ist selbstverständlich davon unabhängig, ob die ZB die Anleihen am Sekundärmarkt ankauft oder direkt von der Regierung.
Krass falsch ist dagegen die Behauptung, dass mit einer Tilgung dieser Anleihe durch den Staat an die ZB der Tilgungsbetrag zur „Seigniorage“ für den Staat mutiere. Die Rückzahlung kann im geltenden Bilanzierungssystem bei der Zentralbank gar nicht als Gewinn gebucht werden. Der einzige Effekt der Tilgung ist (genau wie bei jedem anderen Primärkredit auch!) eine Bilanzverkürzung: Das verliehene Geld erlischt (wird „vernichtet“) mit der Tilgung.
Buchungsmäßig sieht das (mit fiktiven Beispielzahlen) so aus: 

1) ZB noch im Besitz der Anleihe:
Aktiva: 1 Mrd. € Forderung gegen den Staat.
Passiva: 1 Mrd. € „Schulden“ gegenüber (nicht näher spezifizierten) Geldbesitzern.
[Die Schulden sind natürlich nur buchhalterisch solche; real müsste und könnte die ZB den Geldbesitzern nichts anderes für ihr Geld liefern als – Geld. Praxisrelevant wird diese Verpflichtung lediglich beim Ersatz defekter Geldscheine und ganz besonders bei der Lieferung von Bargeld an Banken zu Lasten von deren Guthaben bei der ZB. Weil eine ZB nur Geld schuldet und sie dieses selber „drucken“ kann, kann sie übrigens auch nicht pleite gehen. Eine Ausnahme wäre allenfalls, dass sie einer anderen Zentralbank Fremdwährung schuldet und diese nicht bezahlen kann.] 

2) Nach Eingang der Tilgung: Verbuchung in der ZB-Bilanz:
Die Tilgung der Anleihe durch den Staat führt bei der ZB weder zu Gewinnen noch zu Verlusten, sondern lediglich zu dem, was man als „Bilanzverkürzung“ bezeichnet: Auf beiden Seiten der Bilanz wird der entsprechende Posten gestrichen.
Im konkreten Beispiel werden also aus den Aktiva die 1 Mrd. € Forderung gegen den Staat ausgebucht und aus den Passiva die 1 Mrd. € „Schulden“ gegenüber den Geldbesitzern.
Betrug die Bilanzsumme auf jeder Seite vorher z. B. 100 Mrd. €, dann vermindert sie sich durch die Anleiherückzahlung auf 99 Mrd. €. DAS IST ALLES! Damit ist diese Milliarde an Basisgeld aber auch dem Geldumlauf entzogen, was bedeutet, dass niemand mehr darauf zugreifen und darüber verfügen darf.
Wohl aber werden Zinsen, die der Staat ggf. in der Zeit zahlt, in der die ZB die Anleihe hält, bei der ZB als Gewinn verbucht (und ebenso ein eventuelles Agio, sofern die Zinsen indirekt dadurch gezahlt werden, dass der Kaufpreis geringer ist als der Tilgungsbetrag). Hier liegt in der Tat eine Art von „Selbstbedienung“ des Staates vor, bzw. eine Schöpfung von Willkürgeld. (Vgl. auch die oben erwähnte Neumann-Studie zur Situation in den USA.) Das sind hübsche Sümmchen für den Finanzminister; aber letztlich doch keine so gewaltigen Beträge, dass sie größere inflationäre Wirkungen entfalten würden. 

Weil dem so ist, ist es entgegen der Meinung von Jens Reich
  • Final purchases of government bonds constitute a supply of fiat currency – if held until maturity.” (S. 3; bereits oben zitiert)
auch herzlich gleichgültig, ob die Zentralbank die Staatsanleihen bis zur Fälligkeit hält, oder sie vorher wieder verkauft: So oder so sind sie KEIN Willkürgeld. Formal sowieso nicht, weil die Zentralbank dieses Geld ja nicht an die Regierung verschenkt. Aber auch nicht faktisch, weil der Kredit ein ECHTER ist: Anders als die deutsche Reichsregierung 1923 gegenüber der Reichsbank tilgt in unserem Denkmodell die Regierung den Kredit ja wirklich. Zwar kann man Fallgestaltungen konstruieren, bei denen die Anleihekäufe trotzdem inflationär wirken. Die Regierung könnte nämlich vorher einen neuen Kredit aufgenommen haben, und den alten – samt Zinsen - daraus tilgen („Ponzi-Finanzierung“). Das dürfte sogar die Regel sein; aber solange sie diesen Kredit nicht bei der ZB aufgenommen hat (wie die Reichsregierung 1923, die die Kredite auf diese Weise vielleicht auf dem Papier getilgt hat, aber nicht in der ökonomischen Realität!) dürfte das weniger gefährlich sein.
Vielleicht lassen sich zwar auch dafür Szenarien konstruieren, in denen sogar dieser auf den ersten Blick ungefährliche Weg zur Inflation führen kann oder muss. Aber das zu modellieren würde uns „vom Hölzchen aufs Stöckchen“ führen. Hier halten wir fest: Staatskredite, die getilgt werden, sind auch dann KEIN Willkürgeld, wenn sie bei der Tilgung von der Zentralbank gehalten werden.
Mit aller Vorsicht könnte man die Frage aufwerfen, ob man sie nicht doch wenigstens für diejenige Zeit als Willkürgeld einstufen könnte, in der sie von der ZB gehalten werden; ob sie also ein „temporäres Willkürgeld“ sein könnten. Das würde m. E. aber zur terminologischen Verwirrung führen und gibt uns bei der Bewertung der Inflationsfrage auch keinen sicheren Grund unter den Füßen.
Allerdings: Dass ich es für unzweckmäßig halte, bei diesem Sachverhalt von Willkürgeld zu sprechen bedeutet nicht, dass ich die Möglichkeit von Fallgestaltungen ausschließe, bei denen der Ankauf von Staatsanleihen durch die ZB selbst dann inflationär wirkt, wenn der Staat die Anleihe „echt“ tilgt. Nur dürfte es sehr kompliziert werden, die Fülle der insoweit vorstellbaren Sachverhalte sinnvoll in Modellen zu gruppieren.

  • The Bundesbank is committed to accepting the full amount coined, and to crediting the government's account. For this reason coins are an asset and not a liability in private banks' balance sheets.” (S. 4)
Diese Logik erschließt sich mir nicht. Es hat nichts mit den Geschäftsbanken zu tun, dass die Bundesbank der Bundesregierung die Münzen abnehmen und den Gegenwert dem Staatskonto gutschreiben muss. Für die Banken sind Münzen (ebenso wie Geldscheine) selbstverständlich BEIDES: Als Kassenbestand ein Guthaben UND von ihrer Herkunft her eine Verbindlichkeit. Sie können sie nur entweder durch Einlagen (von Kunden oder, als Eigenkapital, von den Eigentümern) bekommen haben, oder aber indem sie sich die Münzen als Bargeld zu Lasten ihres Guthabens bei der Zentralbank – das sie i. d. R. nur auf dem Kreditwege bekommen – haben auszahlen lassen. Und das sind Passivposten.
Wohl aber sind die Münzen Willkürgeld (zumindest insoweit, als ihr Nennwert die Produktionskosten übersteigt). Denn sie werden nicht im Kreditwege in Umlauf gebracht, sondern der Staat prägt sie und gibt sie einfach aus (mit dem Zwischenschritt der Gutschrift auf seinem ZB-Konto). Aber wegen der im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung geringen Menge ist das Münzgeld nicht inflationskritisch. 

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 Die Behauptung
  • Another source of fiat currency are purchases by the central bank; wage payments to its employees, purchases of gold, foreign currencies, or – and our focus here – final purchases of government bonds” (S. 4)
zwingt mich zu einer derart intensiven Auseinandersetzung, dass ich sie bei mir als Einschub verstehe und hier im Text optisch abgetrennt habe.
Auch diese Behauptung ist durchgängig falsch. Keine dieser Geldschöpfungsformen erfüllt seine eigene Definition, nach der Willkürgeld (“fiat currency”) in Umlauf gebracht wird “by means of producing (“printing”) and spending it on behalf of the ministry of finance. Und selbstverständlich ist auch keine dieser Geldformen „permanently issued“.
Im Detail: 

1) Die Betriebskosten und die Arbeitsentgelte der Zentralbank ...
... werden in aller Regel aus dem Gewinn bezahlt. Sie sind dann KEINE Geldschöpfung, sondern eine Verwendung von bereits früher emittiertem Geld. (Soweit im Einzelfall durch diese Zahlungen per Saldo Verluste anfallen oder bestehende Verluste steigen, handelt es sich zwar in der Tat um Willkürgeld. Aber auch das wird wegen der relativ geringen Menge kaum inflationstreibend wirken und außerdem später durch Gewinnverrechnung wieder vernichtet.)
Diesen Gewinn (wie übrigens auch die Steuereingänge für den Staat!) kann man in ZWEI Dimensionen analysieren, nämlich in der finanzwirtschaftlichen und in der realwirtschaftlichen: 

1 a) Finanzwirtschaftliche Dimension im Modell:
- ZB hat einer Geschäftsbank 1 Mrd. € geliehen. (Alle anderen Posten lassen wir hier weg.) Dann hat sie diesen Betrag in den Aktiva als Forderung gegen die Bank und in den Passiva als (formale) „Verbindlichkeit“ gegenüber unbekannten Geldbesitzern. (Die Bank ihrerseits wird ja zumindest einen Teil davon an Kunden ausgeliehen haben.)
- Geschäftsbank überweist davon (bei Zinsfälligkeit) 10 Mio. € Zinsen. Bei der ZB ändern sich weder die Aktiva noch die Passiva: Die Hauptforderung von 1 Mrd. gegen die Bank ist nach wie vor offen, und dem entsprechend hat die ZB aus ihrer Sicht nach wie vor 1 Mrd. Verbindlichkeit gegen (nicht spezifizierte) Geldbesitzer. Davon, dass sie jetzt selber 10 Mio. von dieser Milliarde hält, „weiß“ die ZB-Bilanz nichts. Die Forderung ist nicht (i. H. v. 10 Mio.) dadurch erloschen, dass das Geld zum Emittenten zurückgekehrt ist: Sie steht ja (zu Recht!) nach wie vor voll in den Büchern, und zwar sowohl bei der Zentralbank wie auch bei der Geschäftsbank:
ZB:  Aktiva = 1 Mrd. Ford. gegen Bank. Passiva = 1 Mrd. „Schulden“ bei Geldbesitzern.
Bank: Aktiva = 1 Mrd. Ford. gegen ZB [vereinfacht; real wird es im Zeitablauf komplizierter, weil sie das Geld ja mindestens teilweise an Kunden verleiht]; Passiva = 1 Mrd. Schulden bei ZB.
(Anders wäre es, wenn die Bank die 10 Mio. € nicht als Zins, sondern als Kredittilgungsrate gezahlt hätte!)

1 b) Realwirtschaftliche Dimension im Modell:
Die Bank hat den ZB-Kredit zumindest zu großen Teilen an Kunden weiterverliehen (und noch zusätzlich selbst geschöpftes „Bankengeld“, aber das erwähne ich hier lediglich pro memoriam). Die Kunden haben damit gearbeitet und Bank Zinsen gezahlt; AUS DIESEN ZINSEINGÄNGEN führt die Bank ihrerseits einen Teil an die Zentralbank ab.
Realwirtschaftlich ist damit folgendes passiert:
- Die Bankkunden haben der Bank in Höhe der Zinszahlungen KAUFKRAFT übertragen, die sie erarbeitet haben.
- Die Bank hat einen Teil dieser KAUFKRAFT an die ZB weitergeleitet.
Auch hier liegt es auf der Hand, dass diese Kaufkraft nicht erloschen sein kann, nur weil das Geld (als Gewinn) zum Emittenten „zurückkehrt“.

 Als Ergebnis dieser Analysen (in beiden Dimensionen) halten wir fest:
  • Geld erlischt NICHT schon dadurch, dass es zu seinem Emittenten zurückläuft.
  • Geld erlischt vielmehr erst dann (und nur insoweit als) der Geldschöpfungsakt sozusagen "rückabgewickelt" wird.
Es liegt auf der Hand (oder sollte zumindest für jeden offenkundig sein), dass die ZB diese Zinsen (und entsprechend der Staat die Steuereingänge) nicht nur wieder ausgeben KANN, sondern sie sogar wieder ausgeben MUSS: Denn nur so können die 10 Mio. € im Wirtschaftskreislauf wieder an die Bank zurücklaufen (die sonst ja nur noch 990 Mio. € hätte) und dort die 1 Mrd. € wieder auffüllen, damit die Bank die Hauptforderung vollständig an die ZB zurückzahlen kann.(Nebenbei bemerkt sieht man an diesem Beispiel auch, dass keineswegs – wie viele glauben – zusätzliches Geld geschöpft werden muss, damit die Wirtschaftssubjekte Zinsen bezahlen können: Diese Zinszahlungen laufen im Wirtschaftskreislauf wieder an die Kreditnehmer zurück und somit können die Kreditforderungen – im Prinzip – ohne zusätzliche Geldschöpfung beglichen werden.)

2) Goldkäufe:
Auch diese können schon nach Reichs eigener Definition („an institutional setting wherein a government prints its notes to pay for wages, salaries and goods“ – S. 6 voriger Aufsatz) kein Willkürgeld sein.
Zwar könnte man Goldkäufe mit entsprechender Spitzfindigkeit in dieses Szenario einordnen: Wenn man bei „government“ die ZB einschließt und wenn man Gold als ganz normale Ware ansieht. Dem steht freilich schon auf der eigenlogischen Ebene (also von der Realität ganz abgesehen) Reichs Definition auf S. 2 des vorliegenden Aufsatzes entgegen, wo er die Regierung im vorliegenden Zusammenhang (richtiger Weise) mit dem Finanzministerium gleichsetzt (was die ZB ausschließt): „Currency issued ….. and spending it on behalf of the ministry of finance is so called fiat currency.
Entscheidende Unterschiede zwischen Warenkäufen der Regierung (i. e. S.) und Goldkäufen der ZB sind:
  • ZB kauft Gold aus geldpolitischen Erwägungen, nicht für andere Zwecke.
  • ZB kann das Gold jederzeit wieder verkaufen (und dadurch der Wirtschaft das mit dem Goldkauf geschöpfte Geld wieder entziehen).
  • Goldkauf wirkt nicht per se inflationär auf das allgemeine Güterpreisniveau. (Und falls doch, kann und wird die ZB sofort gegensteuern.) Das Willkürgeld entfaltet seine inflationierende Wirkung unmittelbar, indem es sozusagen als „Schmutzkonkurrenz“ mit den anderen Güternachfragenden in der Realwirtschaft konkurriert. Tendenziell (in Ausnahmefällen kann es anders sein) fragt mehr Geld mehr Güter (zu alten Preisen) nach, als am Markt angeboten werden. Die preisinflationierende Wirkung ist also eine unmittelbare und praktisch unvermeidlich. Beim Goldkauf wird lediglich der Goldpreis (tendenziell) nach oben getrieben; wenn das eintritt, wird die ZB gegensteuern. Die Goldbesitzer werden i. d. R. Reiche sein und das eingenommene Geld sparen; dadurch entfällt eine unmittelbare Auswirkung auf das Güterpreisniveau. (Soweit frisch gefördertes Gold angekauft wird, könnte eine inflationäre Wirkung nur dann und dadurch eintreten, wenn dadurch die die Preise enorm steigen würden und die Förderung gewaltig angekurbelt würde. Aber die ZB würde längst vorher auf die Bremse treten.) Mittelbar könnten (massive) Goldankäufe durch eine ZB allerdings doch inflationäre Folgen haben. Weil sie die Basisgeldmenge vermehren und den Banken dadurch (zumindest theoretisch und auf den ersten Blick) eine Ausweitung der Kreditmenge ermöglichen würden. Ob das jedoch auch in der Praxis klappt, hängt von der Kreditnachfrage und der Bonität der Kreditnehmer (und damit letztlich auch von zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen) ab. Und, wie gesagt: Wenn die ZB keine Inflation will, dann kann und wird sie unmittelbar gegensteuern.

Welcher Kategorie ist die Schöpfung von Geld durch Goldankäufe also dann sinnvoll zuzuordnen?
Warengeldschöpfung ist sie definitiv NICHT. Zwar könnte man sich theoretisch vorstellen, dass eine ZB die Geldschöpfung ausschließlich durch die Ausgabe von Basisgeld für Goldankäufe betreibt. Dann wäre alles Basisgeld mit Goldvorräten bei der ZB unterlegt; von daher würde man auf „Warenwährung“ diagnostizieren.
Das Problem ist freilich, dass diese Warenwährung nicht durch den Eintausch von (etwas mehr) Gold gegen (etwas weniger) Münzen geschaffen worden wäre, also mit einer mehr oder weniger moderaten Seigniorage, sondern durch den Ankauf von Gold mit intrinsisch wertlosen Papierfetzen, also im güterwirtschaftlichen Sinne mit einer hundertprozentigen Seigniorage. (Wobei diese, paradoxer Weise, buchungsmäßig gar nicht aufscheinen, nämlich nicht zu Gewinnen bei der ZB führen würde: Insoweit käme es lediglich zu einer Bilanzverlängerung, weil das Gold in die Aktiva und die Geldemission in die Passiva eingebucht werden müsste.)
In gewisser Hinsicht schaffen Goldkäufe also tatsächlich Willkürgeld; trotzdem ist dieser Weg nicht mit dem „Geldverschenken“ an den Staat gleichzusetzen.
Richtiger Weise wird man die Geldschöpfung aus Goldkäufen wohl als eine Sonderform aus der Willkürgeldgruppe verstehen müssen. 

3) Währungskäufe:
Insoweit gelten die o. a. Feststellungen zu Goldankäufen weitgehend genauso. Entscheidende Unterschiede zwischen Warenkäufen der Regierung (i. e. S.) und Währungskäufen der ZB sind:
  • ZB kauft Devisen aus geldpolitischen Erwägungen, nicht für andere Zwecke.
  • ZB kann die Devisen jederzeit wieder verkaufen (und dadurch der Wirtschaft das mit dem Devisenkauf geschöpfte Geld wieder entziehen).
  • Devisenankäufe wirken nicht per se inflationär auf das allgemeine Güterpreisniveau. (Und falls doch, kann und wird die ZB sofort gegensteuern.) Das Willkürgeld entfaltet seine inflationierende Wirkung unmittelbar, indem mehr Geld mehr Güter (zu alten Preisen) nachfragt, als am Markt angeboten werden. Die preisinflationierende Wirkung ist also direkt und praktisch unvermeidlich. Beim Devisenkauf wird lediglich der Preis der Fremdwährung (tendenziell) nach oben getrieben, und derjenige der eigenen Währung nach unten. Genau das wird aber i. d. R. der Sinn solcher ZB-Operationen sein: Zu verhindern, dass der Kurs der eigenen Währung „durch die Decke geht“ und die Exporteure in Schwulitäten klommen. Wenn der Devisenankauf aus Exportüberschüssen erfolgt, dann werden diese Überschüsse im Inland als Ersparnisse erscheinen, also nicht (unmittelbar) inflationär wirken. Erfolgt der Ankauf bei ausländischen Anlegern im Inland, dann haben die ohnehin keine Absicht, das eingenommene Geld auszugeben: Die wollen ja lediglich ihre Ersparnisse (aus welchen guten oder schlechten Gründen auch immer) in ein anderes Land transferieren. Auch (und gerade) in diesen Fällen entfällt eine unmittelbare Auswirkung auf das Güterpreisniveau. Mittelbar könnten (massive) Fremdwährungskäufe durch eine ZB allerdings doch inflationäre Folgen haben. Weil sie die Basisgeldmenge vermehren und den Banken dadurch (zumindest theoretisch und auf den ersten Blick) eine Ausweitung der Kreditmenge ermöglichen würden. Ob das jedoch auch in der Praxis klappt, hängt von der Kreditnachfrage und der Bonität der Kreditnehmer (und damit letztlich auch von zahlreichen gesetzlichen Bestimmungen) ab. Und, wie gesagt: Wenn die ZB keine Inflation will, dann kann und wird sie unmittelbar gegensteuern. Allerdings kann sie hier durchaus in eine Zwickmühle geraten zwischen unterschiedlichen geldpolitischen Zielsetzungen (Geldwertstabilität im Inland vs. stabile Wechselkurse). Die Mechanismen, die dabei zur Wirkung kommen (insbesondere auch im Widerspruch zwischen der realwirtschaftlichen Ebene und rein finanziell motivierten Kapitalbewegungen) dürften aber derart vielfältig sein, dass man darüber wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben könnte.
Genau wie bei der Geldschöpfung durch Goldankäufe stellt sich auch bei Geldschöpfung aus Devisenkäufen die Frage, welcher Kategorie diese sinnvoll zuzuordnen sind?
Immerhin scheidet hier die Warengeldschöpfung von vornherein aus. Eine kreditäre Geldschöpfung liegt ebenfalls nicht vor: Die ZB hat ja den Devisenbesitzern keinen Kredit gewährt, sondern die Fremdwährung endgültig abgekauft.
In gewisser Hinsicht schaffen Fremdwährungskäufe also tatsächlich Willkürgeld; trotzdem ist dieser Weg nicht mit dem „Geldverschenken“ an den Staat gleichzusetzen, weil die ZB keine Güter nachfragt (und jedenfalls aus dem Umtausch selber auch keinen Gewinn erzielt, den sie dem Staat „schenken“ könnte) und weil auch die Devisen-Verkäufer keine Waren nachfragen werden (bzw. bei Exporteuren: weil die Exportüberschüsse im Inland zu entsprechenden Sparüberschüssen führen).
Und überhaupt bleibt, was potentielle indirekte Inflationswirkungen angeht (aus der Erweiterung der Basisgeldmenge) die ZB rechtlich und faktisch Herr ihrer Entschlüsse und grundsätzlich steuerungsfähig (auch wenn die Lage ökonomisch verzwickt werden kann).
Richtiger Weise wird man die Geldschöpfung aus Devisenankäufen wohl als eine Sonderform aus der Willkürgeldgruppe verstehen müssen. 

4) Ankäufe von Unternehmensanleihen oder Wechseln (von der Bundesbank zu DM-Zeiten praktiziert; von der EZB wohl nicht mehr)
Reich erwähnt diese Fallgestaltung nicht und ich nehme sie lediglich pro memoriam hier auf: Selbstverständlich wird auf diese Weise Kreditgeld geschöpft, kein Willkürgeld. 

4) Staatsanleihenkäufe (des eigenen Staates)
Reich macht sich die Sache definitiv zu einfach, wenn er Ankäufe eigener Staatsanleihen durch eine ZB – zu ergänzen ist sicherlich: am Sekundärmarkt – grundsätzlich als Kreditgeld einordnet, jedoch bei „final purchases of government bonds” also beim Halten der Anleihen bis zur Fälligkeit auf „Willkürgeld“ erkennt. Diese Frage hatte ich bereits oben bei der Behandlung seiner Behauptung “Final purchases of government bonds constitute a supply of fiat currency – if held until maturity” untersucht. Letztlich muss ich mir eingestehen, dass ich insoweit nicht zu einem Schluss komme. Vielleicht ist die ganze Fragestellung auch sinnlos. Denn im Grunde geht es ja lediglich darum, ob diese Geldschöpfung inflationär wirkt oder nicht.
Das dürfte von derart vielen Parametern abhängen, dass man vermutlich gar keine kurze Antwort darauf finden wird. Und auf gar keinen Fall eine ewige ökonomische Gesetzmäßigkeit wird entdecken können. Mit ein paar flinken Formeln kann man einer derart komplexen Realität nicht beikommen. 

[Ende meines Einschubs mit Erörterungen zur richtigen Einordnung verschiedener Problemfälle bei der Geldschöpfung.]
 
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 Aufgrund unserer o. a. Überlegungen nicht haltbar ist auch in Reichs Aussage:
  • The monetary system of the Eurozone is, therefore, based upon a credit currency, to which the assets purchases (except government bonds) contribute, and fiat currency, to which the supply of coin and final purchases of central banks (in particular of government bonds) add
die Meinung, dass man die Käufe der EZB von Staatsanleihen der Länder der Europäischen Währungsunion (EWU) dann kurzerhand dem Willkürgeld zurechnen könne und müsse, wenn sie bis zur Fälligkeit gehalten werden. (Und sie folglich umgekehrt ebenso selbstverständlich dem Kreditgeld zurechnen könne und müsse, wenn die EZB sie irgendwann vor Fälligkeit wieder verkauft.)
(Außerdem stellt sich für mich in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht auch das Aufpäppeln von überschuldeten Banken in den südeuropäischen Staaten eine – zumindest temporäre – Schöpfung von Willkürgeld darstellt!) 

Auf der abstrakten Ebene klingt Reichs Einschätzung plausibel, wonach
  • “Abstractly speaking, the system is dominated by fiat or credit currency, depending on the volume of fiat currency, currency demand, and the central bank’s policy. If the demand for currency exceeds the supply of fiat currency the central bank will be able to dominate the market and maintain its targeted interest rates. If the supply of fiat currency outgrows the demand for currency the demand for central bank credit becomes negative. The supply of fiat currency derails central bank policy and the currency regime may turn into one in which fiat currency dominates.”
Nur glaube ich nicht, dass die tatsächliche Geldpolitik der EZB eine Unterscheidung zwischen kreditärer und willkürlicher Geldschöpfung so einfach macht, wie Reich sich das vorstellt (und vermutlich für seine Berechnungen braucht).
  • Until the last unit of credit currency is removed from “circulation”, additional fiat currency will in principle simply continue to replace it. The reasons for this is that fiat currency is (in contrast to credit currency) interest free. Hence, if presented with a choice banks in the aggregate are expected to substitute the borrowed credit currency.
Der erste Satz ist sicherlich richtig. Aber eine Wahl haben die Banken gar nicht: Es sind die Einleger, die den Banken das willkürlich geschöpfte Basisgeld bringen. Und ihnen somit so viel Zentralbankgeld verschaffen, dass sie nicht mehr darauf angewiesen sind, bei der ZB Kredite aufzunehmen. Das wäre zumindest im Modell so zu erwarten.
Praktisch bin ich mir allerdings nicht sicher, ob dieses Modell mit der Realität übereinstimmt.
Im Deutschland der Hyperinflation von 1923 hat die Reichsbank anscheinend sehr wohl Kredite auch an Private gewährt, also zusätzlich zum Fiatgeld für den Staat noch „echtes“ Kreditgeld geschaffen. Das entnehme ich (auch wenn mir die Einzelheiten unklar sind) zum Beispiel aus folgender Passage in dem Arbeitspapier The Chicago Plan Revisited von Jaromir Benes und Michael Kumhof (Internationaler Währungsfonds 2012):
  • “… a brief word on a favorite example of advocates of private control over money issuance, the German hyperinflation of 1923, which was supposedly caused by excessive government money printing. The Reichsbank president at the time, Hjalmar Schacht, put the record straight on the real causes of that episode in Schacht (1967). Specifically, in May 1922 the Allies insisted on granting total private control over the Reichsbank. This private institution then allowed private banks to issue massive amounts of currency, until half the money in circulation was private bank money that the Reichsbank readily exchanged for Reichsmarks on demand. The private Reichsbank also enabled speculators to short-sell the currency, which was already under severe pressure due to the transfer problem of the reparations payments pointed out by Keynes (…). It did so by granting lavish Reichsmark loans to speculators on demand, which they could exchange for foreign currency when forward sales of Reichsmarks matured. When Schacht was appointed, in late 1923, he stopped converting private monies to Reichsmark on demand, he stopped granting Reichsmark loans on demand, and furthermore he made the new Rentenmark non-convertible against foreign currencies. The result was that speculators were crushed and the hyperinflation was stopped. Further support for the currency came from the Dawes plan that significantly reduced unrealistically high reparations payments. This episode can therefore clearly not be blamed on excessive money printing by a government-run central bank, but rather on a combination of excessive reparations claims and of massive money creation by private speculators, aided and abetted by a private central bank. It should be pointed out that many more recent hyperinflations in emerging markets also took place in the presence of large transfer problems and of intense private speculation against the currency.” (S. 16)
Abgesehen davon, dass ich die Passage in ihrer Gesamtheit für eine Märchenerzählung inflationsfanatischer IMF-Pseudowissenschaftler halte, dürfte aber die Information, dass damals trotz der Unmengen an Willkürgeld dennoch Kredite bei der Reichsbank aufgenommen wurden, zutreffen.
[Meine Kritik an der Darstellung von Benes und Kumhof in diesem Absatz (das Papier insgesamt habe ich mir gar nicht erst angetan) hatte ich schon früher (beiläufig) in diesem Blott formuliert, unter dem Punkt 10. Detlev S. Schlichter nennt This whole plan … nonsense on the greatest scale“ und „ill-conceived rubbish“.]
Tatsächlich finde ich auch in dem wohl grundlegenden Werk “The Economics of Inflation: A Study of Currency Depreciation in Post-War Germany” von Costantino Bresciani-Turroni (1937; italienische OA 1931) einen Hinweis auf (zusätzliche) Geldschöpfung der Reichsbank durch Kreditvergabe an Private (meine Hervorhebung):
  • When, in an advanced phase of the inflation, the Reichsbank became the only institution for the distribution of credit, the banks were transformed into simple intermediaries who transmitted to their clients the money received from the note-issuing institution …” (S. 213)

Leider weiß ich nicht, wie damals der Tilgungsbetrag für Kredite (und hier speziell ZB-Kredite) festgelegt wurde. Falls die Kreditnehmer lediglich den Nominalwert zurückzahlen mussten (und auch die Kreditzinsen die Realverluste durch Inflation nicht ausgeglichen haben), müsste man wohl sogar die „echte“ kreditäre Basisgeld-Schöpfung, also eine kreditäre Geldvergabe an die Wirtschaft (via Banken) als eine Form von willkürlicher Geldschöpfung ansehen.
Denn dann wäre die mikroökonomische Ratio der kreditären Geldschöpfung ausgehebelt gewesen, wonach der „Erstgeldempfänger“ im Zeitpunkt der Tilgung ein adäquates Gut in den „Topf“ zurücklegen muss, um seine anfänglich vorschussweise Güterentnahme zu kompensieren. Der Kreditnehmer hätte mit dem Kredit, sagen wir, ein Auto gekauft (zu dem am Tage X geltenden Preis) und müsste bei Fälligkeit (am Tage X + …….) wegen der Hyperinflation beispielsweise nur noch eine Schachtel Zündhölzer an den Markt bringen (und natürlich auch verkaufen), um die Kreditsumme tilgen zu können. (In der Zwischenzeit hätte er zusätzlich vielleicht noch den Gegenwert einiger Zigarettenschachteln als Zinsen bezahlt.) 

Ich bezweifele stark, dass
  • A supply driven inflation requires the complete extinction of credit currency.” (S. 8)
Bzw.: Abstrakt mag das zutreffen. Aber was die EWU angeht glaube ich, dass wir nur deshalb noch keine stärkere Inflation sehen, weil die von der EZB betriebene Geldschöpfung (weitgehend) aus Staatsanleihekäufen zwar durchaus dubios ist. Aber noch NICHT Willkürgeld in jener Form, wie es die Reichsbank im Deutschland 1914 ff emittiert hatte (kulminierend 1923 wegen der Ruhrkrise).

 Die Wirtschaftswissenschaft kann sich Inflation wohl nur in der Weise vorstellen, dass irgendwie zu viel Geld in der Wirtschaft ist und diese daraufhin so sehr „brummt“, dass es zu Preissteigerungen kommt – die dann auch von den Akteuren problemlos akzeptiert werden. Das könnte man vielleicht als „Konjunkturinflation“ bezeichnen; so etwas artet jedoch nicht zur Hyperinflation aus und läuft sich außerdem von selber tot.
Eine Inflation wie in Deutschland 1914-1923 (und erneut, diesmal jedoch dem äußeren Schein nach administrativ unter dem Deckel gehalten) 1945 – 1948 (beginnend wohl ebenfalls mit Kriegsbeginn, also 1939) ist jedoch eine ganz andere Sache.
Hier sitzt der Staat als unsichtbarer Mitesser am Tisch; die durchschnittlichen Wirtschaftssubjekte bekommen gar nicht mit, was Sache ist. Aber die Teuerung resultiert in diesen Fällen aus einer echten Güterverknappung, weil sich der Staat am Markt bedient, ohne dass er zuvor Kaufkraft (durch Besteuerung oder – echte – Anleihen) abgeschöpft hätte.
Eine einprägsame Bezeichnung dafür wäre vielleicht „Mitesserinflation“ (oder „Selbstbedienungsinflation“ oder auch „Falschgeldinflation“, weil dem Willkürgeld die Güterdeckung fehlt, welche dem kreditären Geldschöpfungsprozess normaler Weise innewohnt). Diese Mitesserinflation beschleunigt sich anscheinend selbst und ist wohl nur durch eine bewusste Reform zu beenden.

Ob und wann eine „unkonventionelle“ Geldpolitik der Zentralbanken (nicht nur der EZB, sondern mehr noch der japanischen Zentralbank) „kippen“ und zu einer Inflationslawine führen könnte, das weiß ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass man das a priori beantworten kann. Es ist wohl so, dass die Zentralbanken „dranbleiben“ und die Wirtschafts- und Preisentwicklung gewissermaßen abtasten müssen – und dann hoffentlich rechtzeitig reagieren, wenn die Preisentwicklung aus dem Ruder zu laufen droht. 


Nachtrag 08.05.2018

Eine mögliche Bezeichnung für Willkürgeld (im engen Sinne, also von Geld, das der Staat "druckt", um seine Ausgaben - teilweise - zu finanzieren) wäre vielleicht "Kuckucksgeld" oder "Mitessergeld".
Und auf Englisch: Cuckoo money oder freeloader money.




ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!

Textstand vom 25.05.2023

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