In den letzten Jahrzehnten klaffen zunehmend große Löcher zwischen unserer Vorstellung davon, welche Funktionen ein Stadtzentrum erfüllen sollte, und der Wirklichkeit.
"Leben" soll es da geben, und damit meint man Ladengeschäfte - und natürlich deren Belebung durch zahlreiche Kunden.
Ein wenig suspekt ist mir dieses Festhalten an traditionellen (und einstmals natürlich auch funktionellen) Denkweisen schon; man könnte geradezu von einer Stadtmittenfunktionsideologie sprechen. Denn die Verhältnisse, die sind nun mal nicht so.
Kleine Läden bieten wenig Auswahl, ihre Preise sind in vielen (oder vermutlich den allermeisten) Branchen deutlich höher und nicht zuletzt ist es bei persönlicher Bedienung, womöglich gar Bekanntschaft mit einem Ladeninhaber, peinlich, ein Geschäft ohne Einkauf zu verlassen.
Ein weiteres Handikap sind die häufig fehlenden Parkplätze in den Stadtzentren. In bzw. am Rande der Wächtersbacher Altstadt scheint es zwar genug davon zu geben; das aber auch nur an der aktuellen Nutzung gemessen. Einen starken Kundenandrang wie z. B. beim Globus, bei Aldi oder Lidl usw. könnten die vorhandenen Parkplätze kaum bewältigen.
Entsprechend stark ist die Anzahl der Läden in der Altstadt von Wächtersbach geschrumpft. Ein Bettenladen, ein Schuhladen, eine Schlecker-Drogerie und soeben ein Sportgeschäft mussten sämtlich aufgeben.
Dass hier jedes Jahr im Mai eine recht große Verbrauchermesse veranstaltet wird, hilft den Kaufleuten in der Innenstadt natürlich auch nicht; ebensowenig des Märzwinds mächtiges Mühen um kulturelle Aktivitäten im Kulturkeller . Allenfalls Versicherungsbüros und Fahrschulen sprießen hier noch neu aus dem Boden, und der staatliche Branchenschutz für Apotheken ermöglicht noch immer dreien in bzw. am Rande der Altstadt ein Auskommen.
Die Stadtverwaltung bemüht sich um Gewerbeförderung und hat sogar eine Karte mit einem Verzeichnis der Betriebe ins Internet gestellt.
Andrea Euler und Stephan Siemon, die sehr rührigen Inhaber der Buchhandlung "Dichtung & Wahrheit", haben ein Portal "MeinWächtersbach" mit der gleichen Funktionalität ins Weltnetz eingestellt, allerdings auf die Wächtersbacher Innenstadt beschränkt. Da dieses Portal außer einem Terminverzeichnis keine weiteren Funktionalitäten bietet, wird es vermutlich kaum genutzt. [Ein Gegenbeispiel mit zahlreichen Artikeln über Ereignisse in der Stadt und Region sowie auch einer recht intensiver Forennutzung ist z. B. der "Eberbach-Channel" für die Stadt Eberbach am Neckar. Aber die ist halt auch wesentlich größer, und die Einwohner sind stärker im Zentrum konzentriert, als in Wächtersbach. Dort kann sich auch der Gewerbeverein eine gut gemachte Webseite leisten; inwieweit die genutzt wird, ist natürlich die Frage. Hier in der Gegend könnte ein Informations-Portal wohl allenfalls dann funktionieren, wenn man es für Bad Orb, Bad Soden-Salmünster und Wächtersbach gemeinsam konzipieren und betreiben würde.]
Aufgeben musste auch der kleinste Wochenmarkt der Welt, von dem nur noch die Imbissbude und somit per definitionem kein Markt mehr übrig geblieben ist.
Deuschland kapitulierte 1945 gleich mehrfach. Die in der Wächtersbacher Innenstadt noch verbliebenen Läden, organisiert im Verkehrs- und Gewerbeverein, geben dagegen nicht auf und haben in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung einen großen Wochenmarkt organisiert (bzw. organisieren lassen), der
erstmalig gestern stattfand und nunmehr jeden Freitag Nachmittag laufen soll.
Bei der Eröffnung waren eine ganze Menge Marktstände zu sehen,
Publikum dagegen (zumindest so gegen 17.00 h) trotz schönem Wetter eher weniger.
Noch immer locken Märkte Menschen an, obwohl sie ihre ursprüngliche Versorgungsfunktion verloren haben. Auch am Ostersonntag war der Markt in Bad Windsheim gut besucht. Aber was gab es da zu kaufen? Vorwiegend Schrott: Billig-Textilien in miserabler Qualität und Design waren besonders zahlreich. Die Marktstände füllten lange Straßenzüge: ein Alptraum.
Auf dem hiesigen Markt war das Angebot gestern zur Eröffnung ausgewogener. Trotzdem käme ich nicht auf die Idee, dort einzukaufen. Die o. a. Probleme der kleinen Läden gelten in ähnlicher Weise auch für die Marktstände. Überhaupt kenne ich nur einen Wochenmarkt, wo man wirklich günstig einkaufen kann und der einen starken Bezug zum lokalen Obst- und Gemüseanbau hat, nämlich den Mainzer Markt (s. a. hier).
Mag sein, dass in größeren Städten (z. B. in Hanau, Offenbach, auch in Frankfurt wird Samstags vormittags auf der Zeil und dem Platz der Konstablerwache ein Markt veranstaltet) durch die Vielzahl der Stände auch einige Spezialitäten zu bekommen sind, die man nicht in jedem Supermarkt (billiger) findet.
Gegen das Bemühen freilich, in Wächtersbach einen relativ großen Wochenmarkt zu etablieren, habe ich gewisse Vorbehalte: hier ist der Markt nicht zur Versorgung der Menschen gedacht, sondern der Mensch soll gewissermaßen als Staffagefigürchen den Markt und die Innenstadt beleben (und nicht zuletzt auch in den dortigen Läden einkaufen).
Trotz guten Wetters machten sich aber am Eröffnungstag die Konsumkomparsen nicht allzu zahlreich auf den Weg. Das wird sich nach meiner Einschätzung auch in Zukunft nicht ändern, zumal Wächtersbach mit gut 12.000 Einwohnern nur ein kleines Städtchen ist.
Auch ein Leierkastenmann brachte keine Massen in Bewegung. Immerhin konnte dieser hier im warmen Sonnenlicht spielen, und schwankte nicht etwa "barfuß auf dem Eise" hin und her.
Wie sich der neue Markt in Wächtersbach entwickelt, wird man sehen.
Ich vermute mal, dass er den gleichen Weg gehen wird, den der NEUE MARKT gegangen ist. Nur dass es hier in Wächtersbach keine Euphorie und keine Blase geben wird. [Und dass ich auf diesem Markt kein Geld verlieren werde ;-) .]
Bei meinem nur zufälligen Besuch (ich war von der Arbeit mit einem kleinen Umweg durch den Schlosspark heimgekommen) schnappte ich Fetzen des Gesprächs zweier Marktbeschicker auf: "So zwei drei mal, wenn es dann nicht besser wird ...".
Nachtrag 21.05.2009
Hier noch ein Foto von Marktwerbung auf dem Marktplatz, vor dem Alten Rathaus (heute Heimatmuseum). Die Ketten im Hintergrund fungierten übrigens einst als Pranger.
[Ob ich wegen der Nähe unserer Wohnung zum Pranger dazu neige, in diesem Blog so vieles anzuprangern? ;-) ]
Nachtrag 06.11.09
Nein, noch gibt er nicht auf, der Wächtersbacher Wochenmarkt. Obwohl der Kundenzuspruch zu wünschen übrig lässt. So las man jetzt im regionalen Werbeblatt "GT Extra":
"Nach der Eröffnung des Wächtersbacher Wochennmarkts im Sommer war es um diese neue Art des "Einkaufens von Mensch zu Mensch" in der Messestadt etwas still geworden, nach anfänglich gutem Start blieben zuerst die erhofften Kundenzahlen und danach auch so mancher Händler aus."
Nun ist der Wächtersbacher Wochenmarkt (seit vorletzten Freitag, also seit dem 30. Oktober) zum Lindenplatz umgezogen. Die Durchgangsstraße führt daran vorbei; so sind die Marktstände für alle Autofahrer sichtbar, welche eventuell das dringende Bedürfnis haben, irgendein Produkt auf einem Wochenmarkt zu erstehen.
Der Platz dort ist etwas knapp und das Arrangement der ca. 5 Stände sieht von außen ein wenig wie eine Wagenburg aus. Aber wenn es innen etwas drängelig wird, hat man vermutlich das Gefühl, dass "etwas los ist".
Textstand vom 06.11.2009. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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