Samstag, 20. Mai 2006

MAGGIO DI MAGONZA oder VOR DEM DOM DAS PARADIES


Mai in Mainz: das ist nicht irgendein x-beliebiger Mai. Er ist, auf dem Mainzer Wochenmarkt am Dom jedenfalls, der schlechthinnige Mai an sich, das platonische Urbild des Wonnenmonats Mai.
Kohlköpfe, anderes Gemüse und Früchte formen arcimboldeske Figuren. Paradiesisch duften Erdbeeren. Hier funktioniert die Markt-Wirtschaft nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft (während man bei anderen Wochenmärkten gelegentlich eher den Eindruck einer Kartell-Wirtschaft hat). Spargel 4,- €, Spargel 3,- €, Spargel 2,50 €. Noch einen Stand weiter greifen wir dann zu: für 2,- € das Kilo! *

Kein Paradies ohne Schlange. Die Mainzer Markt-Versucherin säuselt flüssig, lockt mit der Verheißung eines süßen Zungenkusses und einzigartiger Aromen. Apfelsaft ist hier nicht jene urinfarbene Flüssigkeit, welche man in Gasthäusern vorgesetzt bekommt und in Lebensmittelläden kaufen kann. Milchig-gelb und trüb ist dieser hier, reich an frisch gepressten Wert- und Geschmacksstoffen. Als echte Paradiesschlange lohnt er mir den Verzehr denn auch prompt mit Erkenntnis. Gleich dem unverständlichen Murmeln der mythischen Seherin Pythia aus dem Schoße der Erde gurgelt er dumpf in meinen Eingeweiden. Verstehen kann ich nicht, was er sagt, doch macht er mit Nachdruck klar. „Das wirst du bereuen, dass du mich hier eingesperrt hast. Ich will hier raus, lass mich hier raus, rauslassen sollst du mich!“ Nun ja – mit einer Schlange werde ich dann doch noch fertig. Heiße schließlich nicht Adam! (Übrigens: meine Eva war klüger als die Ur-Eva. Hat ihren Adam sogar gewarnt ... . Nützt aber nichts: auch beim nächsten Mal werde ich, wie immer, wieder dieses himmlische Schlangengift schlucken!)

Szenenwechsel zu Brenninkmeyer. Meinen Cordstoff- oder Kordstoff-Bademänteln werde ich (ebenso wie meinen Margarine-Figürchen) wohl noch auf ewig nachtrauern müssen. Immerhin gibt es jetzt, natürlich ebenfalls bei C + A, dünne Sommer-Morgenmäntel aus Baumwollstoff. Dezentes Muster und Färbung, nicht dieser fürchterliche Frotteestoff. Und, wie es sich für ein geistliches Zentrum, Kardinalssitz gar, gehört, geschehen in Mainz wahre Wunder. Ich habe den Morgenmantel bezahlt und ihn dennoch umsonst bekommen. Wie beschreibt man das? Am besten mit einem Begriff, der mich immer schon fasziniert hat: coincidentia oppositorum. Mainz ist ja auch nicht gar so weit von Kues entfernt. Und wie funktioniert nun diese Aufhebung der Gegensätze im praktischen Leben?

Das lässt sich leider nur etwas weitschweifiger darstellen als in zwei Worten. Vor einigen Wochen hatte mein Microsoft Word 2000 den Geist aufgegeben. Unwillig, mein Geld in den Opferstock von Dagobert Buck G. zu werfen, lud ich die kostenfreie Software-Suite OpenOffice herunter, mit dem Textprogramm „Writer“. Dankbar bin ich jenen, welche es für die Allgemeinheit freigegeben haben, welche die Download-Seiten unterhalten und sich um die Weiterentwicklung bemühen, oder Foren betreiben oder dort anderen helfen.
Das Programm ist wirklich gut, aber diese oder jene Kleinigkeit – das Einsetzen von Seitenzahlen, oder das Verschieben einer einzelnen Zellenbegrenzung innerhalb einer Tabelle z. B. - verhalf mir immer wieder zu einem verzweifelten Laokoon-Feeling. Ich will doch bloß schreiben - und gelegentlich mit dem Geschriebenen kämpfen. Aber möglichst nicht beim Schreiben mit dem PC kämpfen. Das Ringen um Worte, Sätze und angemessene Textstrukturen reicht mir schon.

Es blieb mir also keine andere Wahl, als Dagoberts Tresore füllen zu helfen. Bis das Geld den Dagobert Buck G. Erreicht, haben aber noch einige andere was davon abgezwackt. Jedoch bei Saturn Hansa in Mainz zwacken die deutlich weniger als in Frankfurter Läden. So dass die Differenz beinahe den Preis des Morgenmantels abdeckte, welchen ich, so gesehen, (fast) geschenkt erhielt. Nun frage ich mich, ob Frankfurt vielleicht deshalb so teuer ist, weil der dortige Kaiserdom dem Heiligen Bartholomäus geweiht ist? Der hat seinen Heiligenschein mit dem Verlust seiner Haut erkauft. Die haben die Heiden ihm abgezogen. (Aber darüber habe ich mich bereits an anderer Stelle ausgelassen, in meinem Gedicht "Frankfurt stickt voller Merkwürdigkeiten").

Wie auch immer: trotz des verregneten Flohmarktes am Rheinufer hat es sich für mich gelohnt, wieder einmal den 50. Breitengrad zu überqueren.

*Der Mainzer Wochenmarkt ist also, nebenbei bemerkt, ein perfektes Modell für marktökonomische Studien. Es herrscht totale Konkurrenz, und die Nachfrager verhalten sich, wie in der Wirklichkeit, nicht alle rational. Sonst blieben ja die 4,- €-pro-Kilo-Spargelanbieter auf ihrer Ware sitzen. Aber auch dort wird gekauft. Das mag am subjektiven Mangel an Markttransparenz für den jweiligen Käufer (der vergleicht vielleicht nicht) liegen, oder an geheimen Zusatznutzen: wer 4,- € bezahlt, glaubt vielleicht, dass er besseren Spargel bekommt. (Bleibt ihr nur bei eurem Glauben!)

[Vgl. dazu auch den Eintrag "Eviva Magonza - ein Sommersamstag in Mainz" vom 18.06.05]


Nachtrag 13.01.2008:
Hier drei Aufnahmen vom Wochenmarkt am Samstag, 12.01.08

 
Reste der Weihnachtsdekoration im Vordergrund, karnevalistischem Flaggenschmuck im Hintergrund







Textstand vom 13.02.2008
Gesamtübersicht der Blog-Einträge auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm

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