Der Urlaub ist für mich häufig auch eine Zeit des intellektuellen Lotterlebens. Ich lese dann Bücher, die ich sonst - mangels hinreichendem spezifischen Interesse, wegen geringer Erwartungen an die Intensität oder aus anderen Gründen - nicht lese, oder die ich sonst gar nicht zu Gesicht bekommen hätte.
Lesend konsumiert wird dann nicht selten einfach das, was mir die Vorsehung günstig vor's Portemonnaie positioniert. Oder was vom Markt zu nehmen mir ein moralisches Anliegen ist.
Wären Sie etwa herzlos genug gewesen, beim Bücherflohmarkt der katholischen Pfarrbücherei der St. Nikolaus-Kirche in Bad Reichenhall das Büchlein "Fanny Hill. Memoiren [auch: Geschichte] eines Freudenmädchens" von John Cleland im Regalständer stehen zu lassen? Verharrend dort wie ein Raubtier in der Bereitschaft, arglose gläubige Seelen zu ruinieren?
Nein, da bin ich mir ganz sicher, Sie hätten genau so verantwortungsbewusst gehandelt wie ich: Beherzt in die Börse gelangt, 50 ct. rausgeholt und diese Schmutz- und Schundliteratur rasch entschlossen konfisziert!
Und wäre es gerecht, oder fair, ein solches - immerhin recht berühmtes - Werk dem Mülleimer zu überantworten, ohne sich zu überzeugen, ob denn der Inhalt wirklich so schlimm sei? Und zugleich sich der Gelegenheit zu berauben, kulturhistorisches und soziologisches Wissen über das Leben in London in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu extrahieren?