Teil 1: Einleitung
und allgemeine Bemerkungen zu den behandelten -3- Büchern
In den Trümmern
der Finanzkrise wuchert der Weizen der Monetär-Scharlatane.
Wäre der Denk- und
Leseeifer jener Autoren, die uns gegenwärtig ihre todsicheren Geldsysteme (in Wahrheit
ohnehin lediglich GeldSCHÖFPUNGSsysteme) präsentieren, ebenso groß wie ihr
Bekehrungsdrang, könnte man auf echte Einsichten in das Geldsystem hoffen.
Doch leider
mangelt es diesen monetären Wunderheilern an grundlegendem Wissen über die
tatsächlichen fundamentalen Funktionsweisen unseres Geldsystems sowie über den
systemischen Sinn und Zweck dieser Mechanismen.
Wie bei allen
Marktschreiern fehlt auch diesen Geld-Geistern der Wille, eigene Annahmen und
Behauptungen rigoros und kritisch zu durchdenken. Wozu noch mühsam nach einem
Gedankengebäude suchen, das innere Widerspruchsfreiheit mit präziser Realitätsmodellierung
verbindet, wenn man den Schlüssel zum Traumland der Sensationen doch längst in
der Tasche hat?
Nachfolgend
bespreche ich drei Bücher von Volkswirten, die sich der österreichischen Schule der Wirtschaftswissenschaften zurechnen.
Weil die heutzutage hauptsächlich in den USA verbreitet ist (freilich mehr
unter Bloggern als auf Lehrstühlen), sind sie bekannter unter ihrem englischen
Namen Austrians.
Diese Denkrichtung
hat durchaus respektable Gründungsväter mit anerkannten wissenschaftlichen
Leistungen; Friedrich von Hayek hat sogar den sog. Wirtschaftsnobelpreis
erhalten.* Nach meinem Eindruck ist aber heutzutage die ganze Richtung auf das
Niveau von "Vulgäraustrians"
abgesunken (den Begriff bilde ich in Analogie zu den "Vulgärkeynesianern";
s. a. hier; Keynes + Hayek im Vergleich s. dort; zu "Vulgär..." s. a. "Vulgärökonomie"), die nicht
mehr selbständig denken oder gar um Erkenntnis ringen, sondern lediglich noch
ihre (i. d. R. anarchistischen oder zumindest stark staatskritischen)
ideologischen Glaubensbekenntnisse herunterleiern. * Den Nobelpreis hat Hayek allerdings für seine "Lebensleistung" erhalten; NICHT für KONKRETE wissenschaftliche Erkenntnisse!
Nun habe ich
freilich oben geflunkert mit der Behauptung, dass ich hier "Bücher"
besprechen würde.
Vielmehr
analysiere ich nur die jeweils online gestellten Leseproben (und Inhaltsverzeichnisse)
folgender Autoren bzw. Werke:
1.
Thorsten Polleit
und Michael Prollius,
"Geldreform. Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld", 3.
Aufl. 2014 (Verlagsseite / Amazon; Erstauflage v. 2011 b. Amazon)
2.
Thomas Mayer, "Die neue Ordnung des Geldes. Warum wir eine
Geldreform brauchen", 1. Aufl. 2014
(Verlagsseite / Amazon)
3.
Philipp Bagus und
Andreas Marquart, "Warum andere auf Ihre
Kosten immer reicher werden ... und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld
dabei spielen", 1. Aufl. 2014 (Verlagsseite / Amazon)]
Eine derartige
(zweifellos ungewöhnliche) Beschränkung einer Rezension auf die Leseproben kann
man, mit durchaus guten Gründen, kritisieren: Wie kann jemand über ein Buch
reden, dass er gar nicht (ganz) kennt?
Dennoch halte ich
dieses Vorgehen für legitim. Schließlich werden Leseproben veröffentlicht,
damit Interessenten sich ein Bild machen können, ob das Buch "etwas
taugt", oder, neutraler gesagt, ob es das ist, was man gesucht hatte. Und
natürlich geht es mir nicht um sämtliche
Inhalte der Bücher, die durchaus auch zutreffende Feststellungen enthalten
mögen.
Rezeptbücher für
eine vermeintliche Verbesserung "des Geldsystem" müssen sich indes
daran messen lassen, ob überhaupt ihre Voraussetzungen und ihre Grundannahmen
zutreffen. Wenn sich anhand der Leseproben zeigen lässt, dass schon diese
Kernelemente in sich widersprüchlich und/oder sachlich falsch sind, ist eine
Urteilsbildung über Wert oder Unwert dieser Werke auf dieser Basis legitim.
Natürlich hätte
ich die Autoren oder den Verlag um ein Rezensionsexemplar bitten können (wie
ich das in einem anderen Falle vor längerer Zeit
auch getan hatte). Weil ich aber bereits im Vorhinein wusste, dass ich diese
Werke würde niedermachen müssen, wäre mir das unfair erschienen.
Die Beschränkung
auf einen nur relativ kleinen (allerdings wesentlichen) Teil des jeweiligen Textes
hat neben dem materiellen Nutzen der Kostenersparnis für den Buchkauf auch
einen sachlichen Vorteil.
Rezensionen eines
vollständigen Buches sind zwangsläufig etwas pauschalisierend. Der Rezensent
muss zusammenfassen, verallgemeinern, vergröbern. Das ist dann relativ
unproblematisch, wenn es dem Rezensenten und seinen Lesern nur um eine
Empfehlung bzw. Entscheidung geht, das Buch zu lesen oder nicht.
Mir jedoch geht es
um Erkenntnisgewinn. Gerade in der Auseinandersetzung mit Irrtümern habe ich
für meine zahlreichen Blotts zur Geldtheorie und Geldschöpfung sehr viel
gelernt.
Davon möchte ich
meinen Leserinnen und Lesern gerne etwas weitergeben. Das wird aber allenfalls
dann gelingen, wenn ich die Zusammenhänge schrittweise in allen Einzelheiten
darlege, und keine großen Sprünge mache, wie sie in echten Buchrezensionen
unvermeidlich sind.
Freilich stellt
diese Methode auch erhebliche Anforderungen an die Leser. Solche Texte wollen
anders gelesen werden als der Krimi auf der Couch mit dem Weinglas daneben.
Hier heißt es gedanklich mitgehen: Verstehe
ich, was der sagt? Stimmt es, was der behauptet? Hat er etwas weggelassen, gibt
es innere Widersprüche? Aber wenn Sie sich schon bis hierher durchgebissen
haben, dann bin ich zuversichtlich, dass Sie mit der angemessenen
aufmerksam-kritischen Haltung an meine Ausführungen herangehen werden.
Johann Gottfried
Seume (Verfasser des Buches "Spaziergang
nach Syrakus im Jahre 1802") schrieb einst:
"Ich bin der Meinung, dass alles besser gehen
würde, wenn man mehr ginge... So wie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich
einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt... Fahren zeigt
Ohnmacht, Gehen Kraft."
Diese Überlegung
kann man (egal, wie der Verfasser sie gemeint hat) nicht zuletzt auch auf die
Gelddebatte übertragen. Da wird allzu oft gesprungen, gefahren und geflogen:
Mit großmächtigen Begriffen hantiert ohne Rücksicht darauf, welche
tatsächlichen Sachverhalte sie konkret beinhalten sollen, ob sie im gegebenen
Zusammenhang etwas ganz anderes bedeuten, welche stillschweigenden Annahmen
hinter einer Aussage stecken usw.
Etwas mehr
"Fußläufigkeit" täte der Geldtheorie gut und not: Baustein für
Baustein geduldig aneinanderfügen, bis die Zusammenhänge wie ein Mosaik vor
einem liegen.
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Sie gehen ins
Reisebüro und sagen: "Ich will nach
Istanbul".
Wie schauen Sie
die Reisebüroexpedientin an wenn die fragt: "Möchten Sie mit Staatszeug reisen, oder mit Privatzeug?"
Wahrscheinlich gucken
Sie ziemlich konsterniert drein.
Stellen Sie jedoch
dieselbe sinnfreie Frage im Jahr 2011 als Autor eines Buches über das
Geldsystem, dann können Sie sich anno 2014 die Hände reiben: Ihr Werk hat
nämlich bereits die 3. Auflage erreicht.
Die Rede ist hier
von Thorsten Polleit und Michael
Prollius, "Geldreform. Vom
schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld".
"Staatsgeld" (im Buchtext auch als
"Zwangsgeld" bezeichnet)
und "Privatgeld" bezeichnen
ebenso wenig Arten von Geld, wie "Staatszeug" und
"Privatzeug" irgendetwas über die Art des Verkehrsmittels aussagen,
mit dem Sie nach Istanbul reisen können.
Wahrscheinlich
wollen Sie fliegen. Und wenn Sie die Wahl haben, geben Sie vielleicht einer privaten
Airline den Vorzug. Aber falls Istanbul vom gewünschten Abflugort aus lediglich
von einer staatlichen
Fluggesellschaft angeflogen wird, werden Sie sicherlich nicht mit einer ggf.
privaten Buslinie reisen, um dem
schrecklichen Staatsbetrieb zu entkommen.
In der ökonomisch
völlig aussagelosen Unterscheidung zwischen Staatsgeld und Privatgeld enthüllt
der Untertitel bei Polleit/Prollius einen Wesenszug aller nachfolgend behandelten Geldsystem-Bücher: Das
begriffsmagische Denken über Geld.
Nicht einer (eines)
der Autoren(teams) wandelt auf dem graden Pfade der Erkenntnis, welcher wäre:
Verschiedene
Geldarten zu beschreiben und die vermeintliche Überlegenheit für eine (oder
eine Kombination davon) zu begründen.
Mit "Geldart"
ist hier durchgängig die GeldSCHÖPFUNGSart
gemeint. Denn darum geht es letztlich bei allen hier behandelten Spekulationen
über das Geldwesen: Welche Form von Geldschöpfung die beste ist. Aus meiner
Sicht sollte sich "beste" auf die Realwirtschaft insgesamt beziehen.
Wahrscheinlich glauben auch die Autoren, dass ihr System für alle, oder doch
für die große Mehrheit der Menschen, das beste sei. Tatsächlich vertreten sie
nach meinem Eindruck die Interessen der Geldbesitzer, und auch die nur sehr
oberflächlich verstanden.
Ein jeglicher dieser
Geldsystem-Gurus schleppt seinen selbstgezimmerten Begriff (bzw. sein
selbstgestricktes Begriffspaar) an und sieht darin den Schlüssel zu einem
veritablen Monetär-Paradies:
1.
Bagus/Marquart haben das o. g. Gegensatzpaar von
Polleit/Prollius simplifiziert zu "schlechtes
Geld vs. gutes Geld". Allerdings meinen sie genau dasselbe: Staatsgeld
vs. Privatgeld.
2.
Thomas Mayer gaukelt seinen Lesern vor, dass die
Unterscheidung von "Aktivgeld und
Passivgeld" etwas mit der Funktionstüchtigkeit des Geldes zu tun habe
und
3.
Polleit/Prollius unterscheiden, wie wir oben
gesehen haben, "schlechtes
Staatsgeld" von "gutem
Marktgeld".
Aber egal, wie
viele terminologische Rumpelstilzchen Geldsystem-Geister sie vor unseren Augen
tanzen lassen und welche sachlichen oder agitatorischen Namen sie dafür
anschleppen: Tatsächlich gibt es lediglich DREI
Formen der Geldschöpfung:
1.
Warengeld. Polleit/Prollius
nennen es "Sachgeld*" (nach
der 1912 erschienenen "Theorie
des Geldes und der Umlaufsmittel" von Ludwig von Mises: s. d. S. 45:
"
Wir wollen jenes Geld, das zugleich eine
Ware im Sinne der Warenkunde ist, Sachgeld, jenes Geld hingegen, das aus
juristisch besonders qualifizierten Stücken hergestellt, keine technologischen
Besonderheiten aufweist, Zeichengeld nennen."). Heute ist jedoch
der Ausdruck Warengeld gebräuchlicher.
2.
Kreditgeld (durch
Kreditvergabe geschöpftes Geld, das aber als Ware praktisch wertlos ist)
3.
Willkürgeld. Hier wird das
(als Ware ebenfalls wertlose) Geld einfach "gedruckt"* und
ausgegeben; i. d. R. durch den Staat, in kleineren Mengen auch durch
Geldfälscher. (Grundsätzlich könnten auch Banken "Willkürgeld"
emittieren, aber momentan dürfte das bilanztechnisch und aufsichtsrechtlich
ausgeschlossen sein.) Denkbar wäre auch, dass Notenbanken überschuldeten
Geschäftsbanken Geld "schenken", oder sich an ihnen beteiligen. Dann
hätte die Zentralbank den Pfad der kreditären Geldschöpfung eindeutig verlassen
und würde Geld "drucken", um das Geschenk oder die Beteiligung zu
finanzieren. Da eine solche Erhöhung der Geldmenge durch nichts gedeckt wäre
(anders bei kreditärer Geldschöpfung!), würde es sich auch hier um "Willkürgeld" handeln.
* (Geld "drucken"
steht an dieser Stelle und nachfolgend sinnbildlich auch für die Schöpfung von
Buchgeld, das lediglich als Betrag in einer Buchhaltung eingetragen ist)
* Tatsächlich ist "Warengeld" als Begriff
aussagekräftiger als "Sachgeld". Eine "Sache" ist
schließlich auch jede Banknote; bei der fällt jedoch der Warencharakter nicht
ins Gewicht, weil sie als Ware praktisch wertlos ist. Die Austrians (Thomas Mayer bildet insoweit eine Ausnahme) sind i. d.
R. Gold-Freaks. Vielleicht vermeiden Polleit/Prollius auch deshalb die Bezeichnung
"Warengeld", weil diese
sehr unmittelbar einige potentiell unangenehme Konsequenzen der Zwitterstellung
dieser Geldform vor das geistige Auge ruft:
- Aus dem Warencharakter folgt,
dass auch Warengeld den für alle Waren gültigen Marktgesetzlichkeiten
unterliegt:
o
Warengeld hat einen Preis, dessen Untergrenze jedenfalls auf Dauer von
den Produktionskosten bestimmt wird. Nach oben dagegen ist die Preisbildung
eine Funktion von Angebot und Nachfrage, also im Prinzip offen.
o
Als Naturprodukt ist Gold noch knapper als andere Waren (beispielsweise
Banknoten) und lässt sich durch Hortung künstlich noch mehr verknappen - und
damit spekulativ verteuern.
·
Andererseits ist Warengeld eine mit Geldcharakter
ausgestattete Ware. Dieser spezielle Gebrauch wirkt seinerseits massiv auf den
Preis des Edelmetalls zurück, weil er den Bedarf weit über die rein warenmäßige
Verwendung (Schmuck, Industrie) hinaus steigert. Der Wissenschaftler und
Praktiker Otto Veit schrieb darüber 1966 in seinem Buch "Reale Theorie des Geldes" (S.
10/11): "Auch bei vollwertigem Geld
war und ist es nicht das Edelmetall, das dem Geld Wert verleiht. Sondern
umgekehrt: Das Geld [genauer: Die Geldfunktion] ist es, das das Metall wertvoll macht. ..... Zwar sind die
Geldeinheiten, die benutzt werden, historisch aus Werten von Gewichtseinheiten
Silber oder Gold entstanden; aber diese Werte waren stets beeinflusst von der
Nachfrage nach den Metallen für monetäre Zwecke. Gold und Silber hätten viel
niedriger im Wert gestanden ohne diese Nachfrage. Auch heute würde das Gold,
das nach wie vor als monetäres Standardgut dient, wesentlich an Wert verlieren,
wenn es durch irgendeine Konvention aus dem internationalen Zahlungsverkehr
ausschiede." Das gilt, wenn man genauer hinschaut, sogar noch in
unseren Tagen. Denn obwohl das Gold kein Zahlungsmittel mehr ist, und nicht
einmal mehr für die internationale Verrechnung oder den Differenzausgleich der
Leistungsbilanzen benutzt wird, kommt noch immer der wohl größte Teil der
Nachfrage von Menschen, die das Gold als Wertaufbewahrungsmittel - und damit
als Geldersatz - ansehen.
Die drei oben
abschließend aufgezählten Geldschöpfungsarten kann man allerdings vermischen,
bzw. sie können koexistieren. Während das Bankensystem Geld heute im Wege der
Kreditvergabe erschafft, sind etwa die vom Staat geprägten Münzen weitgehend
als "Willkürgeld"
anzusehen. (Beide zusammen, Kreditgeld und Willkürgeld, bilden die Kategorie
des künstlich geschöpften "Fiatgeldes".)
Sie können auch in
der Weise (gleitend) ineinander übergehen, dass sich unter der einen Form mehr
oder weniger der ökonomische Gehalt einer anderen Geldschöpfungsart verbirgt
oder (früher oder später) "durchschlägt":
-
Warengeld wird umso mehr zu Willkürgeld, als der
Warenwert unter dem Nennwert liegt (historisch etwa durch Beimischung unedler
Metalle zum Gold- und Silbergeld).
-
Wahrscheinlich kann aber auch Kreditgeld zu
Willkürgeld degenerieren. Dazu kann es wahrscheinlich durch eine großmaßstäbliche
"Ponzi-Finanzierung" (Hyman Minsky) kommen, d. h. wenn die Tilgung von Krediten und
Zinsen nicht aus echten Einnahmen erfolgt, sondern "revolvierend" durch erneute Verschuldung (und
darüber hinaus evtl. noch zusätzlich Kredite für neue Ausgaben aufgenommen werden).
Also: Vermischen
geht. Aber vermehren lassen sich die
DREI Grundkategorien der Geldschöpfung
nicht.
Die drei Geldschöpfungsarten lassen sich nach unterschiedlichen
Gesichtspunkten in zweimal zwei verschiedene Kategorien sinnvoll gruppieren:
1.
"natürliches" Geld (gängiger Begriff: Warengeld)
2.
"künstliches" Geld (Fachbegriff: Fiatgeld, Untergruppen: Kreditgeld und Willkürgeld).
oder anders:
1.
gedecktes Geld (vollwertiges Warengeld und generell auch Kreditgeld)
2.
ungedecktes Geld (Willkürgeld; in besonderen Fällen auch Kreditgeld)
Zum Fiatgeld hatten wir schon oben
ausgeführt (und kommen unten nochmal darauf zurück), dass diese Gruppe in zwei
Untergruppen unterteilt werden muss. Nach den Inhaltsverzeichnissen und den
online verfügbaren Leseproben zu urteilen, erschöpft sich die Kenntnis der 5
hier besprochenen Geld-Welt-Heiler jedoch mit der Unterteilung in Warengeld und Fiatgeld.
Entweder können
diese Monetär-Magier nicht bis drei zählen. Oder sie denken,
sie können sich eine genauere Analyse schenken, weil ihre Leser ohnehin keine
Ahnung haben. Die letzte alternative
Deutungsmöglichkeit wäre die Annahme, dass diese autoritativ auftretenden
Monetär-Missionare mit den Grundelementen einer seriösen Geldtheorie gar nicht
vertraut sind.
Jedes Fiatgeld
wird zwar "aus dem Nichts"
geschöpft. Anders als einige Autoren den Lesern suggerieren heißt das aber keineswegs, dass diese Form
der Geldschöpfung ungedeckt wäre.
Insoweit ist (wie
oben bereits erwähnt) beim "künstlichen" Geld (Fiatgeld), nämlich noch zwischen Kreditgeld (kreditär
geschöpftem Geld) und Willkürgeld (durch
"Drucken" geschöpftes Geld) zu unterscheiden.
Das ist deshalb
eminent wichtig, weil im Gegensatz zur Volksmeinung und zu den Behauptungen der
hier behandelten geldökonomischen Laienspielschar eine "Geldschöpfung aus dem Nichts"
keineswegs deckungsgleich ist mit einer "ungedeckten Geldschöpfung".
Tatsächlich völlig
ungedeckt ist lediglich das Willkürgeld. Das entsteht, wie oben bereits gesagt,
z. B. durch "Gelddrucken" des Staates. (Beispiele: Deutschland Anfang
der 1920er Jahre; Zimbabwe nach 2000.)
Sehr wohl gedeckt ist dagegen das Kreditgeld. (Jedenfalls im
Prinzip; eine "Ponzi-Finanzierung" - revolvierende Kredite mit
ständig höheren Beträgen, aus denen die Zinsen und ggf. noch weitere Ausgaben
finanziert werden - kann den Deckungsmechanismus aushebeln. Beispiel: Deutschland 1923.)
Gedeckt ist die
kreditäre Geldschöpfung sehr häufig sogar doppelt,
nämlich
-
Betriebswirtschaftlich (bankwirtschaftlich)
dadurch, dass der Kreditnehmer der Bank Sicherheiten stellt.
-
Volkswirtschaftlich (und das dürfte die
wichtigere Deckung sein) kommt es allerdings auf eine andere Deckungsform an,
die den Austrians zwar offensichtlich
Hekuba ist, die aber dafür gesorgt hat, dass das Geldsystem in der Zeit nach
dem 2. Weltkrieg bis Anfang des 3. Jahrtausends insgesamt doch ganz gut
funktioniert hat.
Die Gleichsetzung
von "aus dem Nichts geschöpft"
mit "ungedeckt" ist allzu
verlockend und scheinbar derart selbstverständlich, dass sich dieser Glaube
kaum ausrotten lässt. Ich werde dennoch versuchen, den volkswirtschaftlichen
Deckungsmechanismus Schritt für Schritt zu erklären.
1.
Im Fiatgeldsystem muss jemand (bei der heute üblichen kreditären Geldschöpfung;
anders beim Willkürgeld!) einen Kredit aufnehmen, damit Geld in die Welt kommt.
Auch im Warengeldsystem kann man einen
Kredit aufnehmen. (Vielleicht ist sogar das Warengeld ein verkapptes
Kreditgeldsystem, weil es im Modell ja mit der Förderung von Gold beginnt, wozu
aber der Minenbesitzer zunächst seine Arbeiter bezahlen muss. Dazu habe ich mir
noch keine abschließende Meinung gebildet; für die vorliegende Argumentation
ist das unerheblich.) Ein "Ersteinkäufer", der mit einem Kredit
einkaufen geht, hat zu diesem Zeitpunkt weder beim Kreditgeldsystem noch beim
Warengeldsystem eine Eigenleistung
(im realwirtschaftlichen Sinne) erbracht: Er hat also für die Kreditsumme
nichts verkauft oder vermietet, für das er eine eigene Einnahme erzielt hätte
(sonst bräuchte er ja keinen Kredit).
2.
Wenn ein Bank-Kreditnehmer (im Fiatgeldsystem
bezeichne ich ihn als "Erstgeldempfänger",
weil er ja frisch geschöpftes Geld erhält) mit dem Geld einkaufen geht, dann
hat der "Zweitgeldempfänger"
(usw.) natürlich eine Leistung (an den Erstgeldempfänger) erbracht. Aber damit
hat er keineswegs einen Anspruch auf Gegenleistung gegen den Erstgeldempfänger erworben, sondern lediglich eine
(Art von) "Forderung" gegen
den Markt. Der Ausdruck "Gegenleistung" ist damit potentiell
irreführend, weil er eine unmittelbare wechselseitige Beziehung suggeriert.
Deshalb bevorzuge ich die Definition, dass Geld ein Gutschein ist, den der
Inhaber in der gesamten Volkswirtschaft (bzw. sogar der Weltwirtschaft) einlösen
kann. (Natürlich nur für das, was auf "dem Markt" angeboten wird;
niemand MUSS etwas verkaufen, was er gar nicht verkaufen möchte, nur weil ihm
jemand einen Geldschein unter die Nase hält). Dieser "Gutschein" wird
von den Banken (Geschäfts- und Zentralbanken) "im Auftrag" der
gesamten Volkswirtschaft produziert und in Umlauf gebracht. So jedenfalls
können wir uns die tiefere ökonomische Ratio modellhaft veranschaulichen, die hinter dem Mechanismus der
kreditären Geldschöpfung steht; rechtlich festgeschrieben ist dieser
"Auftrag" natürlich nirgends. In diesem Zusammenhang sei daran
erinnert, dass das System jahrzehntelang ganz gut funktioniert hat. DAS gilt es
zunächst zu erklären, bevor man sich den derzeitigen Krisenerscheinungen
zuwendet, und mein Modell leistet diese Erklärung: Der Kreditgeldmechanismus
sorgt im Prinzip aus sich heraus dafür, dass der Geldschöpfung immer ein etwa
gleichwertiges Marktangebot gegenübersteht (s. u.). Wer die langen Zeiten eines
relativ reibungslosen Funktionierens unseres Geldsystems ausblendet, und
stattdessen den Eindruck erweckt, dass es von vornherein zum Untergang verdammt
sei, macht es sich verdammt zu einfach und klinkt sich als monetärer
Marktschreier aus jeglicher seriösen Krisendebatte von vornherein selber aus.
3.
Bei diesem Sachstand ("Erstgeldempfänger" fragt am Markt Güter nach) hat unser System
zunächst einmal ein Problem: Der Kreditnehmer geht mit intrinsisch wertlosem
Papier einkaufen. Das heißt, dass er dem Marktangebot VORSCHUSSWEISE Güter bzw.
Dienstleistungen entnimmt. Wie gewährleistet das System, dass "der Topf
wieder aufgefüllt wird", bzw. dass der "Vorschussnehmer" die
entnommenen, oder jedenfalls wertgleiche Güter wieder in den "gemeinsamen
Topf" zurückspeist?
4.
Das funktioniert dadurch, dass er seinen Kredit
(später, und mit Zinsen,) tilgen muss. Nun braucht er selber (erneut) Geld.
Einen neuen Kredit bekommt er nicht (solange die systemischen Mechanismen eine
Ponzi-Finanzierung abblocken). Also kann er sich das, sagen wir,
"Tilgungsgeld" nur dadurch verschaffen, dass er selber als Anbieter
etwas auf den Markt bringt (und verkauft). DAS ist die VOLKSWIRTSCHAFTLICHE DECKUNG von Kreditgeld. (Bankwirtschaftlich
kann es, wie oben bereits gesagt, außerdem durch Kreditsicherheiten gedeckt
sein.)
5.
Dieses an sich geniale System wird allerdings
vermutlich dann ausgehebelt, wenn Kredite und Zinsen nur noch aus neuen
Krediten und Zinsen "zurückgezahlt" werden und wenn der Kreditnehmer
zusätzlich vielleicht sogar noch frischen Kredit aufnimmt: "Ponzi-Finanzierung". Möglich, dass
wir in dieser Situation derzeit stehen, bzw. kurz davor stehen. Das ist eine
durchaus wichtige Frage, die aber nicht dem Kreditgeldsystem zwingend inhärent
ist. Richtig ist zwar, dass die Geldmenge in einem Warengeldsystem (typischer
Weise also Goldgeld) durch die physisch vorhandene Menge (und, wichtige
Einschränkung, die davon für Geldzwecke bestimmte Teilmenge!) beschränkt wird.
Eine "Ponzi-Finanzierung" wäre dort zwar immer noch möglich. Aber
lediglich auf der Ebene individueller Schuldner und nicht mehr im großen Stil. Denn Letzteres würde eine willkürliche Geldmengenausweitung erfordern, die es bei voller
Golddeckung nicht geben kann. Auch das Warengeldsystem (Goldgeld) schließt eine
steigende Geldmenge zwar nicht vollständig aus. Aber die Geologie und der
jeweilige technologische Stand des Bergbaus schränken die
Steigerungsmöglichkeiten stark ein. Durch anderweitige Verwendung des Goldes
(Schmuck, Industrie) kann die Menge des vorhandenen Gold-Geldes sogar absolut
zurückgehen, und wenn die Geldbesitzer das Gold horten, oder ggf. die
Depotbanken es nicht mehr verleihen, können sie dem Markt noch mehr (Gold-)Geld
entziehen.
Natürlich wird die
volkswirtschaftliche Gelddeckung auch dann ausgehebelt, wenn jemand (typischer
Weise der Staat) Geld einfach druckt und ausgibt. Diese Form der UNGEDECKTEN
Geldschöpfung setzen viele kurzerhand mit "Fiatgeld" gleich.
Tatsächlich
handelt es sich (um das hier noch einmal zu wiederholen) jedoch um eine
UNTERGRUPPE des Fiatgeldes, nämlich um "Willkürgeld". (Zur
Erinnerung: Die andere Untergruppe ist das soeben untersuchte kreditgeschöpfte
Geld.)
Beide Geldformen
werden zwar "aus dem Nichts"
geschöpft; dennoch ist Kreditgeld
gedeckt - s. o. . Dagegen muss Willkürgeld, weil es ungedeckt ist, früher
oder später zu Inflation führen (d. h. zu einer weitaus stärkeren Inflation,
als wir sie beim Kreditgeld sehen.)
(Übrigens, um das
hier vorwegzunehmen: Ausgerechnet dieses komplett ungedeckte Willkürgeld will
uns z. B. Thomas Mayer unter der phantasievollen Bezeichnung "Aktivgeld" als das ideale
Geldsystem andrehen!)
Kommen wir nunmehr
zu den einzelnen Ansätzen der drei (teilweise) zu untersuchenden Bücher.
Teil 2: Thorsten Polleit
und Michael Prollius, "Geldreform.
Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld", 3. Aufl. 2014
Von der Lektüre
des Inhaltsverzeichnisses her macht das Buch "Geldreform. Vom schlechten Staatsgeld zum guten Marktgeld" von
Thorsten Polleit und Michael Prollius auf mich den besten Eindruck.
Jedenfalls bei
einer oberflächlichen Betrachtung (im Detail sieht es dann doch etwas anders
aus) kann man als Laie den Eindruck gewinnen, dass sich hier zwei Experten
ernsthaft Gedanken über das Geldwesen gemacht haben, und dass sie das Thema
"in allen Facetten" gewissermaßen "erschöpfend" behandeln,
dass wir es hier also mit einer "runden" Arbeit zu tun haben.
Von daher
überrascht es auch nicht, dass das Werk jetzt im Jahr 2014 bereits die 3.
Auflage nach seiner Ersterscheinung im Jahr 2011 erreicht hat.
Tatsächlich
entpuppt sich freilich auch dieses Buch bei näherer Analyse als
Ideologie-Elaborat.
Auch wenn man das
Wort "erschöpfend" nicht auf die Goldwaage legt, sondern im
umgangssprachlichen Sinne dahin gehend versteht, dass die Autoren im Rahmen der
ihnen vorgegebenen Grenzen (Seitenzahl usw.) ihr Möglichstes gegeben haben, um
das Geldthema auszuloten, enttäuscht bereits beim zweiten Hinschauen eine
theoretische "Schlagseite", ein eingebautes Vor-Urteil.
Ganz groß
aufgebauscht wird nämlich, in gleich zwei Kapiteln, das Inflationsthema: "Inflation – immer und überall ein Übel"
auf S. 59 - 75 und "Hyperinflation"
194 - 204 (zusammen also 27 S.). Und man geht wohl nicht fehl in der Annahme,
dass die Geldentwertung auch im sonstigen Text immer wieder angesprochen wird.
Dagegen muss sich
die "Deflation" mit den
beiden Seiten 183/184 begnügen. Selbst wenn sich auch der Abschnitt "Staatspleite leicht(er) gemacht" damit
beschäftigen sollte (was mir unverständlich wäre, weil Staatspleiten
bekanntlich eher mit Inflationen einhergehen), käme die Behandlung der
Deflation auch nur auf 5 Seiten (183 - 187).
Spannend wäre eine
Lektüre des letzten Kapitels (vor dem "Abschluss"),
wo die Autoren unter der Überschrift "Rückkehr
zu gutem Geld" (S. 229 - 264) ihre eigenen Vorstellungen von einem
idealen (oder zumindest besseren) Geldsystem entwickeln.
Hier macht
insbesondere der Abschnittstitel "Schlechter
Goldstandard, guter Goldstandard" neugierig. Dass sehr viele,
vermutlich sogar die allermeisten Austrians
Goldgeld bevorzugen, ist bekannt. Insofern ist es nicht überraschend, dass auch
diese Autoren einen Goldstandard für gut halten. Interessant wäre dagegen, was
für die Verfasser ein "schlechter
Goldstandard" ist.
Diese Frage muss
hier offen bleiben; wir wenden uns der Leseprobe zu, die aus der Einleitung (S.
19 - 21) und dem 1. Kapitel "Was
Geld ist" (S. 23 - 33; ohne den letzten Kapitelabschnitt "Geld in der Wirtschaftlichkeitsrechnung")
besteht.
Gleich in der
Einleitung (S. 19) geht es los mit falschen, irreführenden oder schiefen
Behauptungen:
"Das Staatsgeldsystem ist ein Fremd- und
Störfaktor im Gefüge freier Märkte und verursacht zwangsläufig Finanz- und
Wirtschaftskrisen."
Daran ist
dreierlei falsch bzw. schief:
2.
ist "Staatsgeld"
keine spezifische Geldart. Zwar kann man (ob zu Recht oder nicht kann
dahingestellt bleiben) behaupten, dass der Staat als Geldschöpfer dazu tendiert,
Schindluder mit seinem Recht zu treiben. Es wäre aber dann nicht irgendein
"Staatsgeld" als solches, das zu Problemen führt, sondern z. B. die
staatliche Geldschöpfung als Willkürgeld. Oder vielleicht auch eine übermäßige
Ausweitung der kreditären Geldschöpfung, die (wie wir oben geschildert haben)
tendenziell Kreditgeld zu Willkürgeld mutieren lässt. Dasselbe kann natürlich
auch in einem Warengeldsystem geschehen, wenn der Materialwert im Verhältnis
zum Nennwert der Münzen immer geringer wird. Aber alles das kann ebenso gut bei
privater Geldschöpfung passieren. Das typische Gegenargument lautet, dass bei
konkurrierenden Währungen - wie Polleit und Prollius sie mit ihrem "Freien Marktgeld" offenbar
vorschlagen, niemand schlechtes Geld annehmen würde, wenn er dazu nicht - vom
Staat - gezwungen werde. Das setzt aber voraus, dass a) schlechtes Geld
überhaupt objektiv als solches bestimmbar ist und dass der normale
Wirtschaftsteilnehmer es b) auf Anhieb erkennen kann. Bei Edelmetallmünzen ist b)
in vielen Fällen sicherlich möglich (freilich evtl. umständlich:
Volumenmessung, Goldwaage ...). Aber wenn bzw. insoweit als auch das "freie Marktgeld" als Fiatgeld
geschöpft wird, sieht man es der einzelnen Banknote nicht an, ob sie einer
"richtigen" oder einer übergroßen Geldmengenschöpfung entstammt. Es
dauert immer eine Zeit lang, bis ein Geldüberhang zu Inflation führt, und vor
allem verschlechtert eine spätere
Geldflutung auch sämtliche bereits bestehenden Geldguthaben. (Bei
vollwertigem Edelmetallgeld wäre das zwar nicht der Fall. Aber wegen der
Knappheitsverhältnisse von Edelmetall zur Transaktionsmenge wäre Edelmetallgeld
exorbitant teuer. Damit wäre es zwar aus Sicht der Geldbesitzer "gutes
Geld". Aber aus Sicht der Geldnachfrager ein ausgesprochen schlechtes.) Darüber,
wie sich ein System mit "freiem Marktgeld" in der Realität entwickeln
würde, kann man trefflich spekulieren; hier genügt die Feststellung, dass rein
technisch die privaten Geldproduzenten ihr "Marktgeld" ebenso
verschlechtern können wie der Staat sein "Staatsgeld".
3.
Die DM hatte von 1948 bis 2001 Bestand. In dieser
Zeit gab es natürlich ein konjunkturelles Auf und Ab, und ebenso krisenhafte
Einflüsse von außen (Rohölkrise in den 70ern). Aber von einer "Finanz- und Wirtschaftskrise" sind
wir in diesen 50 Jahren verschont geblieben. Wenn das am Geldsystem liegt (wie
die Autoren ja glauben), dann kann das gar so schlecht nicht gewesen sein. Offenkundig
setzen die Autoren darauf, dass die aktuelle Krise die gesamte vorhergehende
Zeit im Bewusstsein ihrer Leser verdrängt. Überhaupt haben diese und andere Austrians die Finanzgeschichte eher nicht auf ihrer Seite; im 19.
Jahrhundert gab es nämlich jede Menge Krisen (eine Liste der Wirtschaftskrisen in der englischsprachigen Wikipedia hier) - und das in Zeiten des Warengeldes! Otto
Normalverbraucher wird die Propaganda schlucken, weil er die
Wirtschaftsgeschichte nicht kennt. Seriöse Autoren jedoch klären ihre Leser
auf, anstatt deren Wissenslücken für eine ideologische Gehirnwäsche
missbrauchen.
"Ob nun die Vereinigten Staaten von Amerika,
die Volkswirtschaften in Europa, Lateinamerika oder Afrika: Sie alle haben sich
einem staatlichen Zwangsgeldsystem
verschrieben, in dem Geld durch Bankkredite sprichwörtlich »aus dem Nichts«
produziert wird. Das Staatsgeldsystem
führt die Volkswirtschaften in eine Überschuldung und gibt politische Anreize,
das Geld letztlich durch Inflation zu entwerten." (S. 19, Meine
Hervorhebungen)
Hier führen die
Autoren ihre (i. d. R.: Laien-)Leser schamlos in die Irre. Sie erwecken nämlich
den unzutreffenden Eindruck, als ob
a) allein im
Staatsgeldsystem Geld durch Bankkredite und "aus dem Nichts"
geschaffen werden könne. Tatsächlich wurde in früheren Zeiten der
Wirtschaftsgeschichte die kreditäre Geldschöpfung gerade nicht vom Staat,
sondern von Privaten betrieben. Und auch schon damals, zumindest teilweise,
"aus dem Nichts".
b) das
Staatsgeldsystem Geld überhaupt nur als Fiatgeld schaffen könne. Was historisch
noch leichter zu widerlegen ist, denn das Ausmünzen von Edelmetall zu Geld war
in aller Regel ein Privileg des Staates. Das heißt, der Staat hat früher in der
Regel eher Warengeld geschaffen; Kreditgeld war eine private Erfindung und
wurde von Privaten geschöpft. (Vgl. dazu etwa die Diplomarbeit "Vom
Warengeld zum Kreditgeld" (2003) zum Kreditwesen der mittelalterlichen
Fernhändler oder das Arbeitspapier "How Modern Bank Originated: The
London Goldsmith-Bankers’ Institutionalization of Trust"
über eine teilgedeckte Banknotenausgabe durch Londoner Goldschmiede im 17. Jh.)
"Das freie Marktgeld ist ein denkbar
einfaches Arrangement: Es entsteht aus dem freien Angebot von und der freien
Nachfrage nach Geld, ohne Dazutun und Einflussnahme des Staates oder
irgendwelcher Sonderinteressengruppen." (S. 20)
Das ist natürlich
Mumpitz.
Zunächst einmal
wird dadurch faktenwidrig suggeriert, als ob es derzeit "freies Angebot und freie Nachfrage"
nach Geld nicht gäbe.
Tatsächlich
erfolgt die Geldschöpfung im Wesentlichen durch die Kreditvergabe der Geschäftsbanken,
und die setzt logischer Weise eine Kreditnachfrage
voraus. Und vor allem liegt diese (große Masse der) Geldschöpfung in privater
Hand. (Öffentliche Banken gibt es zwar auch; aber im Großen und Ganzen dürften
sich auch die Sparkassen am Markt wie Private verhalten.)
Einen Einfluss von
"Sonderinteressengruppen"
gäbe es selbstverständlich auch beim sogenannten "freien Marktgeld": Das wären nämlich die Geldschöpfer selber.
Deren Zahl mag theoretisch unendlich sein. Praktisch wäre sie u. a. dadurch
recht eng begrenzt, dass
-
Als Geld kann nur etwas fungieren kann was andere,
und insbesondere andere Banken, als Geld annehmen.
Damit ist Oligopolen Tor und Tür geöffnet: die kapitalkräftigeren Großbanken
(heute bestehende und/oder solche, die kapitalkräftige Unternehmen bei einer
Währungsfreigabe sicherlich gründen würden) würden eine gegenseitige Akzeptanz
ihre Währungen vereinbaren und diejenigen von kleineren Banken abweisen oder
nur mit Abschläge annehmen.
-
Die Geldnutzer Informationen nur für eine äußerst
begrenzte Menge verschiedener Währungen verarbeiten können. Die bekannten und kapitalkräftigen
Banken hätten damit einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, weil ihre
Währungen weiter verbreitet wären als die kleinen, und sie zudem eine
entsprechende Werbung und Meinungsbeeinflussung ("PR") betreiben
könnten, um die anderen vom Markt zu verdrängen.
Die Geldschöpfer
könnten also ihre Kunden wahrscheinlich weitaus mehr schröpfen als heute.
Murray Rothbard,
ein amerikanischer Österreicher (der
100%iges Goldgeld fordert), äußert sich in seiner Schrift "The Case for a 100 Percent Gold Dollar" (ursprünglich
erschienen 1962) mit einer überzeugenden Begründung kritisch gegenüber
Vorstellungen von einem freien Währungswettbewerb (meine Hervorhebungen):
"Logically,
the ultimate in freely fluctuating fiat moneys is a different money issued by
each and every individual. We have seen that this could not come about on the free market. But suppose that this
came about by momentum from the present system or through some other method.
What then? Then we would have a world
chaos indeed, with “Rothbards,” “Yeagers,” “Joneses,” and billions of other
individual currencies freely fluctuating on the market. I think it would be
instructive if some economist devoted himself to an intensive analysis of what
such a world would look like. I think it safe to say that the world would be back to an enormously complex and chaotic form of
barter and that trade would be reduced to a virtual standstill. For there
would no longer be any sort of monetary medium for exchanges. Each separate
exchange would require a different “money.” In fact, since money means a general
medium of exchanges, it is doubtful if the very concept of money would any longer apply.
Certainly the indispensable economic calculation provided by the money and
price system would have to cease, since there would no longer be a common unit
of account. This is a serious and not farfetched criticism of fiat-money
proposals, because all of them introduce some of this chaotic element into the
world economy. In short, fluctuating fiat moneys are disintegrative of the very
function of money itself. If every individual had his own money, the
disintegration of the very existence of money would be complete; but national—and
still more regional and local—fiat moneys already partially disintegrate the
money medium. They contradict
the essence of the monetary function
In der Realität
würde es natürlich nicht zum Chaos
kommen; es würden sich einfach die Stärksten durchsetzen. Die Geldversorgung
würde in den Händen eines Oligopols enden (vielleicht sogar eines Monopols), das
dann die Geldnutzer lustig abzocken könnte
Ob sich die
Autoren mit Rothbards Einwand (oder Überlegungen der von mir hier formulierten
Art) auseinandersetzen, weiß ich nicht; im Inhaltsverzeichnis erscheint zwar ein
Abschnitt über "Rothbards Reform":
S. 235 - 237, aber der ist eher kurz.
Sie könnten sich
darauf berufen, dass es bei Rothbard um "fiat money" geht. Die Frage wäre dann freilich, welchen Vorteil
ein "freies Marktgeld",
also ein im Wettbewerb geschöpftes
Geld bieten sollte, wenn es sich um Goldgeld handeln würde? Bzw. ob man
letzteres überhaupt als "freies
Marktgeld" bezeichnen könnte.
Denn Goldgeld
könnte ebenso gut auch der Staat ausprägen. Oder, falls man dem nicht traut,
könnte man die Aufgabe einem privaten Münzkonsortium übertragen. (Aber
möglichst nicht einem solchen, wie es das "böhmische
Münzkonsortium" um 1620 war.)
In jedem Falle wäre
ein Wettbewerb von Geldemittenten bei
hundertprozentiger Golddeckung sinnlos.
Soll dagegen der
Wettbewerb in der Schöpfung von Fiatgeld bestehen, hätten die Geldnutzer keine
Gewähr, dass die Geldemittenten nicht genauso viel, oder noch mehr, Fiatgeld
schöpfen wie jetzt. Denn waren es ja gerade die privaten Banken, die in den
USA, Spanien, Irland usw. unsichere und zu hohe Immobilienkredite vergeben
haben (und die deutschen Banken, welche diesen Kreditschrott angekauft haben).
Niemand hat sie dazu gezwungen.
Eine weitere
Alternative wäre, dass man sich wie beim Goldstandard um 1900 mit einer
prozentualen Deckung zufrieden gibt.
Dann stellt sich
freilich die Frage, welcher Prozentsatz "der richtige" ist: 40%? 10%?
Und ob man die Entscheidung über die Deckungshöhe den Banken (im Wettbewerb)
selber überlassen, oder doch lieber staatlich vorgeben soll.
Hier wären der
Unsicherheit und der Manipulation bereits wieder alle Schleusen geöffnet. Und
dem wollten doch, wenn ich die Leseprobe und das Inhaltsverzeichnis richtig
verstehe, die Autoren ein Ende setzen?
Zum Kapitel "Was Geld ist"
[Bibliographischer
Hinweis: Zwar habe ich selber den Text nicht gelesen; interessant erscheint mir
im vorliegenden Zusammenhang aber der Aufsatz "Das Ringen um den Geldbegriff. Begriffswandel und Metaphernkonstanz in
historischen und zeitgenössischen Geldtheorien" aus dem Sammelband "Semantische
Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften", Hrsg. Ekkehard
Felder. Berlin, New York: de Gruyter. 313-351". (Mehr zum Gesamtprojekt s.
hier.)]
Es ist etwas
beckmesserisch (denn der folgende Satz ist wohl ein Allgemeinplatz der
Geldliteratur, also nicht von diesen Autoren erfunden und nicht auf dieses Buch
beschränkt), aber bereits am ersten Satz
"Geld ist das allgemeine, universell
akzeptierte Tauschmittel"
kann man ein Haar
in der Suppe finden. Unter "Tauschmittel" kann man sich nämlich zwei
sehr verschiedene Dinge vorstellen:
-
Ein "Zwischentauschmittel"
(mit eigenem, "intrinsischem" Wert), in das bzw. mit dem man ein
(Geld-)Gut gegen andere Güter eintauscht (also ein Warengeld oder, wie
Polleit/Prollius - nach Ludwig von Mises - sagen, "Sachgeld") oder
-
ein Instrument, mit dem man (wie ich sagen würde)
einen "zeitverzögerten und
indirekten Tausch" bewerkstelligen kann. D. h. ein intrinsisch
wertloses Geld, bei dem der "Erstgeldempfänger" (Käufer) mit dem
"Zweitgeldempfänger) (Verkäufer) weder eine (Geld-)Ware liefert, noch auch
nur das Versprechen abgibt, dem Verkäufer seinerseits irgendwann in der Zukunft
eine Gegenleistung zu erbringen. Vielmehr wird hier ein gesellschaftlicher
(volkswirtschaftlicher) Tauschprozess "um tausend Ecken" initiiert,
bei dem das Geld lediglich noch eine Katalysatorfunktion hat. Dieser Vergleich
mit einem chemischen Katalysator erscheint für das Kreditgeld insofern
treffend, als es ebenfalls sozusagen "unverändert" aus dem Tauschprozess
hervorgeht; hier allerdings aus dem Nichts kommend ("ex nihilo"
geschaffen) und mit der Tilgung des "Geldschöpfungskredits" wieder im
Nichts verschwindend.
Der Begriff "indirekter Tausch" kommt bereits 1912
in der Geldtheorie von Ludwig von Mises vor - S. 4 ff. - und ist vermutlich
noch älter. Ich habe lediglich ein wenig in der online-Ausgabe geblättert,
glaube aber nicht, dass Mises auch schon die Idee eines
"zeitverzögerten" Tausches hatte.
Tatsächlich ist
die Zeitverzögerung von Tauschvorgängen - also jedenfalls beim Papiergeld die
Kreditgewährung - die zweite gewaltige Leistung des (modernen) Geldes. Der
Kredit scheint sogar sehr viel älter zu sein als das (Waren-)Geld (vgl. dazu
etwa die beiden Aufsätze "What is Money"
- 1913 - und "The
Credit Theory of Money" - 1914 - von Alfred Mitchell Innes).
Meine obige
Definitionsarbeit ist nicht als
Kritik an den Autoren gemeint. Sie will drauf hinweisen, dass man in der
Geld(system)debatte selbst die scheinbar unverrückbarsten Begriffe und
vermeintlichen Selbstverständlichkeiten immer wieder hinterfragen und einen
Erkenntnisgewinn daraus ziehen kann: Beim Warengeld findet ein echter und
unmittelbarer Warentausch zwischen den jeweiligen Handelspartnern statt, beim
Kreditgeld nicht (mehr).
Scherzhaft könnte
man sagen: Beim Geld ist nichts so, wie es zu sein scheint.
"Entgegen der weit verbreiteten Meinung macht
ein Ausweiten der Geldmenge eine Volkswirtschaft nicht reicher, sondern bewirkt
lediglich eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Auch muss die Geldmenge
nicht notwendigerweise im Zeitablauf zunehmen, damit die Volkswirtschaft
wachsen kann."
"Eine Vermehrung der Geldmenge kann den
Wohlstand der Bevölkerung ebenso wenig vermehren, wie ihn ihre Verringerung
vermindern kann." (S. 78)
Natürlich macht
eine Ausweitung der Geldmenge eine Volkswirtschaft nicht direkt reicher. Wohl aber kann sie helfen, oder sogar notwendig
sein, um die Produktionskapazitäten weitestgehend auszulasten.
Dazu muss es
genügend Nachfrage geben. Wenn nun beispielsweise ein großer Teil des
geschöpften Geldes gehortet* wird, dann fehlt es für die Nachfrage in der
Realwirtschaft. Entsprechend muss die Geldschöpfung ausgeweitet werden, um die
Nachfrage anzukurbeln.
Inwieweit eine
Geldmengenausweitung eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen bewirkt,
lasse ich hier dahingestellt. Die Autoren behandeln diesen Aspekt auf S. 61 -
64 und berufen sich offenbar auf den sog. "Cantillon-Effekt". Der wird bei Bagus/Marquart noch weitaus
mehr in den Vordergrund gerückt; aus diesem angeblichen Effekt leitet sich
sogar deren Buchtitel her ("Warum
andere auf Ihre Kosten immer reicher werden ...").
Man muss kein
Genie sein (allerdings darf man offenbar auch kein Österreicher sein) um sich hier die nahe liegende Frage zu stellen,
ob diese Vorgänge jeweils reversibel sind oder nicht (oder nur teilweise).
Denn wenn eine
Geldmengenausweitung die einen begünstigt und andere benachteiligt, sollte man
ja zunächst vermuten, dass das bei einer Geldmengenminderung
(Geldmengenkontraktion) umgekehrt genauso gelten müsste. Bzw., wenn man konkret
an Nutznießer und Benachteiligte denkt: Müssten dann nicht die von einer
Geldmengenausweitung Begünstigten den Nachteil haben, und die bei einer
Geldmengenausweitung Geschädigten den Vorteil?
Selbst wenn man
diese Frage (ganz oder teilweise) verneint, sollte man Gründe dafür angeben
können.
Teilnehmer an der
Gelddebatte, die sich diese Frage gar nicht erst stellen, sind aus meiner Sicht
nicht von Erkenntnisinteresse motiviert, sondern ideologiegetrieben.
"Die
Tauschmittelfunktion ist dabei die einzige Funktion, die Geld ausübt. Das ist
eine sehr wichtige Erkenntnis, vor allem deshalb, weil dem Geld üblicherweise
noch weitere Funktionen zugeschrieben werden: die Recheneinheits- und die
Wertaufbewahrungsfunktion. ..... Recheneinheits- und die
Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes nicht eigenständige Funktionen, sondern
lediglich Unterfunktionen der Tauschmittelfunktion des Geldes
Diese Feststellung
ist zutreffend. Genau so sieht das auch der Wissenschaftler und Praktiker Otto
Veit (Wikipedia) in seinem Werk "Reale Theorie des Geldes" (1966, S. 12):
"... der Nutzen des Geldes liegt überhaupt und
ausschließlich in der Tauschbereitschaft. Aufgabe des Geldes ist schlechthin,
seinen Besitzer tauschbereit (= liquide) zu machen. Andere konkrete
Geldfunktionen (Wertaufbewahrung) leiten sich davon ab. Während die meisten
Güter zur Befriedigung mehrerer Bedürfnisse taugen, gehört das Geld zu den
wenigen, die nur einem Bedürfnis
dienen."
Überhaupt scheint
diese Auffassung heute Allgemeingut zu sein; vgl. auch den Eintrag zum
Stichwort "Geld" im
Gabler-Wirtschaftslexikon (Verfasser Prof. Dr. Oliver Budzinski): "Konstitutiv für das Wesen des Geldes ist .....
allein die Eigenschaft bzw. Funktion als transaktionsdominierendes
Tauschmittel.
Nur würde man sich
wünschen, dass die Autoren die Tauschmittelfunktion als volkswirtschaftliche Funktion in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen
gestellt hätten (anstatt lediglich quasi mikroökonomisch auf die Akteure zu
schauen).
Das würde nämlich
bedeuten, dass sich die Beurteilung einer Geldform als gut oder schlecht nicht
danach richtet, ob sie ihre Wertaufbewahrungsfunktion für den Geldbesitzer besonders
gut erfüllt, sondern ob sie eine optimale Auslastung der Wirtschaftskapazitäten
ermöglicht.
Tatsächlich wird
in den Texten wohl aller Österreicher
die Güte des Geldes mehr oder weniger an einer weitgehenden Stabilität der
Geldmenge festgemacht. Natürlich behaupten die Autoren dann regelmäßig auch
(explizit oder implizit), dass eine Geldform umso besser sei, je rigider sie
(möglichst schon aus sich selbst heraus: Goldgeld!) eine Geldmengenbegrenzung
ermögliche.
Vorliegend
bereiten die Autoren diese Argumentation bereits im ersten Absatz vor mit der
Bemerkung:
"... muss die Geldmenge nicht notwendigerweise im
Zeitablauf zunehmen, damit die Volkswirtschaft wachsen kann."
Auf S. 28 wird der
Satz erweitert bzw. konkretisiert mit folgenden Behauptungen (Hervorhebungen im
Original):
"Die Höhe der verfügbaren Geldmenge ist nicht
entscheidend für die Fähigkeit des Geldes, als Tauschmittel zu dienen. Eine
Geldmenge in Höhe von zum Beispiel 10 000 Mrd. Euro wäre so gut und so schlecht
wie eine Geldmenge in Höhe von 1000 Mrd. Euro oder 500 Mrd. Euro. Grundsätzlich
gilt, dass jede gerade vorhandene Geldmenge ausreichend ist. Ob ein
Ansteigen der Geldmenge im Zeitablauf wünschenswert und akzeptabel ist oder
nicht, hängt allein davon ab, wie das Geld produziert wird – über diesen wichtigen Aspekt wird später noch genauer zu
sprechen sein. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: Das Ansteigen der
Geldmenge nützt dem Gemeinwesen nicht, macht es nicht um einen Deut reicher."
Dass die Höhe der
verfügbaren Geldmenge unbeachtlich für die reale Wirtschaft sei, ist falsch. An
einem Denkmodell lässt sich unschwer nachweisen, dass eben nicht jede beliebige Transaktionsmenge (Kaufakte usw.) mit "jede(r) gerade vorhandene(n) Geldmenge"
durchgeführt werden kann:
Wir stellen uns 2.000
Personen vor, die in einander in zwei Reihen gegenüberstehen. Die
"Wirtschaftssubjekte" (WSe) der einen Reihe haben jeweils einen Cent
in der Hand; diejenigen der anderen jeweils ein Bonbon.
Insgesamt haben
wir damit 1.000 Cent und 1.000 Bonbons in unserer "Volkswirtschaft".
Nun lassen wir
unsere gedachten Versuchspersonen Handel treiben, indem täglich alle jeweiligen
Geldbesitzer ihren Cent gegen das Bonbon des ihnen gegenüberstehenden
jeweiligen Warenbesitzers austauschen. Es ist klar, dass diese "Wirtschaft"
nur dann funktioniert, wenn wir sie tatsächlich mit einer Geldmenge von 1.000
Cent ausstatten.
Was passiert, wenn
wir die Geldmenge auf 1/10 kürzen, also nur noch 100 Cent im System haben?
Das Resultat hängt
davon ab, auf welche Weise die Geldmenge bei den Wirtschaftsteilnehmern
reduziert wird. Insofern sind zwei grundsätzliche Varianten denkbar:
1.
Ungleichmäßige Reduktion: 900 WSe stehen plötzlich
ohne Geld da. Dann scheiden die (ähnlich wie beim Monopoly) natürlich aus dem
"Spiel" aus. Auf jeden Fall wäre diese Geldmenge unzureichend, um die
Tauschvorgänge in der Gesamtwirtschaft auf dem vorigen Stand zu halten. In
einer realen Wirtschaft (wo es zunächst nicht um den Handel geht, sondern um
die Produktion) würde man jetzt konstatieren, dass die Kapazitätsauslastung auf
1/10 geschrumpft ist.
2.
Alternativ wäre aber auch eine gleichmäßige Geldmengenschrumpfung (bzw. etwas, was sich zunächst
oberflächlich wie eine solche ausnimmt) vorstellbar: Jedem Geldbesitzer werden
9/10 seines Geldes weggenommen, d. h. jeder würde nur noch 0,1 Cent besitzen.
In diesem Falle hätten wir, auch wenn es zunächst überraschend klingt,
keinerlei Probleme, den Wirtschaftsaustausch vollumfänglich fortzuführen.
Unsere WSe müssten sich lediglich darauf einigen, dass 1 Bonbon jetzt nur noch
0,1 Cent kostet. (In echt gesagt: ALLE Preise in der gesamten Volkswirtschaft
müssten durch 10 geteilt werden. Dass das in der Realität freilich nicht so
einfach ist wie im Modell - und in der Phantasie fast aller Austrians -, werden wir unten noch
sehen.)
Auf den ersten
Blick mag man meinen, dass meine Variante 2) die Behauptung der Autoren (und
vieler anderer Austrians) bestätigt,
wonach "jede gerade vorhandene
Geldmenge ausreichend ist" um jede beliebige Transaktionsmenge
abzuwickeln.
Das ist jedoch ein
Irrtum.
Wir haben hier
nämlich lediglich den Nominalwert
des umlaufenden Geldes abgesenkt. Den gleichen Vorgang kennen wir aus der
realen Welt. Unter dem Wikipedia-Stichwort "Franc" erfahren
wir beispielsweise für diese Währung:
"Da durch die Inflation die Preise
'unhandlich viele Nullen' bekommen hatten, wurde 1958 die Einführung des Nouveau Franc (NF) zum 1. Januar 1960
verfügt. Ein NF, seit 1963 offiziell nur noch Franc (F) genannt,
entsprach 100 alten Francs (anciens
francs). Die alten Franc-Münzen konnten als Centimes weiter verwendet
werden."
In unserem
Denkmodell haben wir die umgekehrte Operation vollzogen:
- Beim Franc wurde
die neue Basiseinheit (kleinste Einheit) durch Division durch 100 gebildet: 1
alter Franc entsprach wertmäßig einem neuen Centime.
- Wir haben
gewissermaßen mit 10 multipliziert: 1/10 "neuer Cent" entspricht
wertmäßig einem "alten Cent".
Dabei ist es
unschädlich, wenn wir (zunächst) mit einem Bruchteilswert (0,1) operieren. In
der Realität wären dann eben die 0,1 Cent die (neue) Basiseinheit. Die WSe
würden sicherlich rasch dazu übergehen, die 0,1 Cent als "1 neuer
Cent" anzusprechen, denn im alltäglichen Zahlungsverkehr rechnet niemand
gerne mit Bruchteilen.
Die 2. Variante
unseres Denkmodells widerlegt die behauptete Bedeutungslosigkeit der Geldmenge
für die Transaktionsmenge dadurch, dass wir die Anzahl der, ich sage mal:
"GeldmengenEINHEITEN"
unverändert lassen mussten, um eine unveränderte Transaktionsmenge zu bekommen.
Wir hatten vorher
1000 ("alte") Cent-Stücke im System, und haben jetzt noch immer 1.000
(neue) Geldstücke im System.
Ob wir auf das
einzelne Geldstück jedes "Spielteilnehmers" eine "1"
draufschreiben, oder "0,1" oder "100" ist in der Tat
bedeutungslos. (Genauso, wie sich an der Kaufkraft eines - alten - Francs
nichts geändert hat, nachdem dieser in 1 - neuen - Centime umbenannt worden
war). Entscheidend ist, dass wir die alte Transaktionsmenge nur dadurch
bewältigen konnten, dass wir (im Gegensatz zur Variante 1) eine unveränderte
Menge von GeldEINHEITEN im System gelassen haben.
Wie können wir die
Transaktionsmenge verdoppeln? Bei gleich bleibender Teilnehmerzahl (und
weiterhin gleichmäßiger Verteilung) haben wir zwei Möglichkeiten zur Auswahl:
1.
Steigerung der Transaktionsgeschwindigkeit (in
echt: Steigerung der "Umlaufgeschwindigkeit" des Geldes): Statt das
Geld täglich nur einmal gegen das
Bonbon auszutauschen, lassen wir unsere Versuchspersonen das jetzt zweimal tun.
2.
Wir können auch die Geldmenge verdoppeln, aber dann
müssen wir dasselbe mit der Gütermenge tun, also jedem Geldbesitzer zwei Cents geben und jedem
Warenbesitzer zwei Bonbons.
Verdoppeln wir
lediglich die Geldmenge, müssen sich in unserem Schlichtmodell (die Realität
ist natürlich auch hier komplexer!) die Preise verdoppeln: Jedes Bonbon kostet
dann zwei Cents.
Verdoppeln wir die
Warenmenge, ist umgekehrt ein Preisverfall die Folge: Für einen Cent gibt es
dann zwei Bonbons.
Schließlich können
wir auch die Teilnehmerzahl verdoppeln (in echt: Bevölkerungszunahme oder
Anschluss primitiver Gesellschaften an die Geldwirtschaft).
Um den Wohlstand
zu erhalten, müssen wir gleichzeitig die Transaktionsmenge verdoppeln. Bisher
haben wir diesen Handel nur als ein Hin- und Her-Schieben von Geld und Ware
betrachtet. Real kauft man aber Bonbons, um sie aufzuessen.*
Es reicht also
nicht aus, die Transaktionsmenge einfach durch steigende
"Umlaufgeschwindigkeit" des Geldes zu erhöhen (indem beispielsweise
das Bonbon zweimal statt einmal täglich den Besitzer wechselt).
Vielmehr müssen
wir die Warenmenge (und damit die Produktion) verdoppeln. Aber eben auch die
Geldmenge. Wir würden also im Modell unsere gedachte Personenreihe von 2 x
1.000 auf 2 x 2.000 Personen verlängern. Dabei müssten wir aber eben auch den
neu Hinzugekommenen jeweils ein Geldstück - die Basiseinheit - in die Hand
drücken, damit sie sich ein Bonbon kaufen können.
[* man kann unser
Modell realitätsnäher gestalten, indem man die einen pro Tag zwei Tagesrationen
Lebensmittel, die anderen pro Tag 2 Tagesrationen Wasser produzieren bzw.
schöpfen lässt. Jeweils eine Tagesproduktion verbrauchen sie selber, die andere
verkaufen sie an ihr Gegenüber, das die Waren unmittelbar verbraucht. Die
Transaktionen dürfen ebenfalls nicht im Tauschwege erfolgen, sondern nur
geldvermittelt durch Kauf/Verkauf. Wer also an meinem Bonbon-Beispiel als
unrealistisch Anstoß genommen hat, der möge oben die Bonbons durch Lebensmittel
und Wasser ersetzen. Auch in diesem Falle müssten jeweils nur die Hälfte der
"Spielteilnehmer" im Besitz von Geld sein. Die täglichen beiden
wechselseitigen Transaktionen würden dann nacheinander stattfinden: Wenn z. B.
nur der Wasserschöpfer am Tagesanfang Geld hat, kauft er zunächst Lebensmittel;
nun hat der Lebensmittelproduzent Geld und kann damit bei seinem Gegenüber
Wasser einkaufen.]
Noch ein weiteres
Gedankenexperiment zeigt, dass die Geld(einheiten)menge keineswegs beliebig ist
für die Funktionsfähigkeit der Realwirtschaft:
Fügen wir unsere 2
x 1.000 Personen noch 2 x 1 (also einen auf jeder Seite) hinzu. Die sollen
täglich ein Automobil (ver)kaufen, also heute der eine, morgen wieder der
andere. Das tun sie zum Herstellungspreis, und den setzen wir mit 1 Mio. Cents
an. Oder, in relativen "Arbeitswerten" gedacht, mit 1 Mio. Bonbons
(wenn auch die Bonbons zum Herstellungspreis umgeschlagen werden).
Es ist unmittelbar
einsichtig, dass unsere Einfach-Ökonomie in eine Krise geraten muss, wenn für
den Autoumschlag nur noch 500.000 Cents (bzw. Geldeinheiten oder, von der Seite
der Herstellungskosten gedacht, "Bonboneinheiten") zur Verfügung
stehen (weil z. B. einer von den beiden 500.000 Geldeinheiten sparen will und
dem anderen sagt: "Entweder bist du mit der Hälfte zufrieden, oder du behältst
dein Auto"). Der Autoverkäufer könnte dann nicht mehr kostendeckend
arbeiten und würde pleitegehen. Natürlich könnten die Arbeitnehmer auf die
Hälfte ihres Lohnes verzichten; dann hätten sie allerdings, zumindest
anfänglich (d. h. bis die Preissenkungen auf breiter Front stattfinden), nur
noch die halbe Kaufkraft.
Selbst wenn man
leugnen wollte, dass es absolute Grenzen für die Geldmengeneinheiten gibt, bei
deren Unterschreiten die Nachfrage in der Realwirtschaft automatisch absinken
muss, bürdet jedenfalls die nötige Anpassung (Preis- und Lohnsenkungen) den
Akteuren in der Realwirtschaft enorme Unsicherheiten (z. B. bei den
Arbeitnehmern die Frage, ob der Arbeitgeber nicht lediglich Kostendrückerei
versucht, um seine Gewinnspanne zu vergrößern) und Belastungen auf, und ist
damit kostentreibend. Sämtliche Verträge usw. binnen kurzer Zeit einer
geänderten Geldmenge anpassen zu müssen ist etwa so, als wenn der Schwanz mit
dem Hund wedelt. Da ist es schon verständlich (weil ökonomischer), wenn die
(nachfragewirksame!) Geldmenge an das gegebene Produktionsniveau zu gegebenen
Preisen angepasst wird. (Was freilich Schwierigkeiten anderer Art mit sich
bringt; insbesondere deshalb, weil keine
Art von Geldsystem die Relation von Ausgeben - Konsum + Investitionen - und
Sparen zielgenau steuern kann.
Die kreditäre
Geldschöpfung ist insoweit aber am flexibelsten, weil sie eine
"Kapitalüberakkumulation" bis zu einem gewissen Grade und für eine
gewisse Zeit durch eine erhöhte Geldproduktion kompensieren kann. Das ist bei
voller Golddeckung gar nicht und bei Teildeckung nur sehr beschränkt möglich.
Man kann (und
wird) mir entgegenhalten, dass die Realität weitaus vielschichtiger sei.
Selbstverständlich gibt es in einer Marktwirtschaft einen mehr oder weniger
großen "Elastizitätsraum". Aber irgendwo schlagen dann doch jene
Mechanismen durch, die ich in meinem Einfachmodell anschaulich herauspräpariert
habe
Wer mir also
Kontra geben will, der möge selber bessere Gegenmodelle aufbauen - wenn er dazu
in der Lage ist.
Allerdings ist unser
Modell selbst in der wirklichkeitsnäheren Variante (Lebensmittel + Wasser statt
Bonbons) eine Vereinfachung, welche einen wesentlichen (potentiellen)
Störfaktor im Funktionszusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Realwirtschaft
nicht abbildet: Die Möglichkeit, Geld eben NICHT auszugeben, sondern (für
welche Zeiträume auch immer) zu horten ("sparen"). (Die Ergänzung
durch das "Automobilumschlagmodell" deutet das Problem immerhin an.)
Durch das Sparens entfaltet das Geldsystem ein mehr oder weniger großes Maß an
Eigenleben (Stichwort heutzutage: "Finanzindustrie") gegenüber der
Realwirtschaft, die für den Beobachter eine theoretische Analyse der
Funktionszusammenhänge und Funktionsstörungen, bzw. für die Handelnden eine
zutreffende Prognose der Marktentwicklung erheblich erschwert.
Seriöse
Betrachtungen über die Zusammenhänge zwischen Geldwesen und Realwirtschaft
können daher nicht auf "die" Geldmenge abstellen, vielmehr müssen sie
berücksichtigen, welcher Teil der Geldmenge (in einer wie auch immer definierten
Zeitspanne) überhaupt nachfragewirksam wird.
Geldmenge an sich
und deren nachfragewirksamer ("umlaufender") Teil lassen sich auf der
begrifflichen Ebene wesentlich leichter trennen als in der Realität; dennoch
müssen wir wegen der unterschiedlichen Auswirkungen auf die Realwirtschaft
(mindestens) zwei (Unter-)Geldmengen
unterscheiden (John Maynard Keynes unterscheidet sogar bis zu 3 "Kassen" bei den einzelnen
Wirtschaftssubjekten: Transaktionskasse und Spekulationskasse sowie
Vorsichtskasse):
-
Den gesparten
Teil der Geldmenge und dem
-
aktuell nachfragewirksamen
Teil.
In echt verkompliziert
sich diese Trennung noch dadurch, dass beim einzelnen Wirtschaftssubjekt das
Geld jederzeit zwischen "Ausgabenkasse" und "Spar-Kasse"
verschoben werden kann. (Man kann Geld aufs Sparbuch legen oder auf dem
Girokonto stehen lassen, aber ebenso kann man es - mehr oder weniger -
jederzeit dort "abholen", um eine größere Anschaffung zu tätigen.)
Interessant ist
bei Polleit/Prollius, wie die Autoren diese Tatsache, und vor allem auch ihre
realwirtschaftliche Folge (jedenfalls indirekt über die Auswirkung auf die
Preise; direkt über die Nachfrage sagen sie hier nichts), an der einen Stelle
sehr wohl benennen, sie aber an anderen Stellen unterschlagen:
"Grundsätzlich gilt, dass früher oder später
die Preise steigen, wenn die Geldmenge stärker als die Güterproduktion (bereinigt um die Umlaufgeschwindigkeit des
Geldes) anwächst. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine
Geldmengenausweitung (sagen wir um zehn Prozent) nicht notwendigerweise die
Preise in gleicher Höhe ansteigen lässt. Es kann nämlich sein, dass die Geldmengenausweitung von einer Erhöhung
der Geldnachfrage begleitet wird" heißt es im Kasten S. 26 (über die
Quantitätsgleichung; Hervorhebungen von mir).
Eine Erhöhung der
Geldnachfrage im hier gemeinten Sinne (nämlich als - zunächst - nicht
nachfragewirksame Geldnachfrage) meint dasselbe wie eine Verringerung der
Geldumlaufgeschwindigkeit: Geld wird "gebunkert". Wie das im Detail
geschieht, kann dahingestellt bleiben; auf jeden Fall wird in diesem Szenario
ein Teil der Geldmengenausweitung nicht nachfragewirksam (in einem wie auch
immer definierten Beobachtungszeitraum).
(Vgl. dazu auch
die Darstellung unter dem Stichwort "Theorie
der Geldnachfrage" in der wirtschaftswissenschaftlichen Enzyklopädie
Economia 48; meine Hervorhebung:
"Jede
Änderung der Höhe der Geldmenge zwingt die Nichtbanken zu Anpassungsreaktionen, die sich in Form veränderter Nachfragen
und Angebote an Finanz- und Gütermärkten zeigen. ..... Es gibt verschiedene
Ansätze zur Erklärung der aggregierten Geldnachfrage. Jeder Ansatz ist zugleich als eine Theorie der Umlaufgeschwindigkeit
des Geldes darstellbar. So spiegelt eine Zunahme der Umlaufgeschwindigkeit,
dass die Nichtbanken bei unverändertem Nominaleinkommen weniger Kasse zu halten
wünschen als zuvor."
Deswegen ist es in
dieser allgemeinen Form schlicht falsch, wenn die Autoren auf S. 27 plötzlich
behaupten:
"Wenn die Geldmenge zunimmt, so hat das
lediglich zur Folge, dass der Tauschwert des Geldes abnimmt – verglichen mit einer
Situation, in der die Geldmenge unverändert geblieben wäre."
Das gilt nur unter
zwei Zusatzbedingungen, nämlich
1.
dass die nachfragewirksame
Geldmenge zunimmt (anders gesagt: Dass das zusätzlich geschöpfte Geld
ausgegeben wird) und
2.
dass die Realwirtschaft "am Anschlag"
arbeitet, also keine Kapazitätsreserven mehr hat.
Thorsten Polleit
behauptet in einem Zeitungsaufsatz implizit, dass eine relative Preiserhöhung auch bei Unterauslastung
der Kapazitäten eintritt. In seinem Artikel "Cantillons Erkenntnisse"
(ursprünglich in der FAZ vom 09.05.2011 erschienen) schreibt über den
Cantillon-Effekt (meine Hervorhebungen]:
"Steigt beispielsweise die Geldmenge in einer
Phase, in der sich die Wirtschaft in Vollbeschäftigung befindet, so werden
früher oder später die Preise steigen. Die Geldmengenzunahme zeigt hier
richtigerweise die Geldentwertung und die damit verbundene Umverteilung an. Steigt die Geldmenge jedoch in einer Phase
geringer Wirtschaftsaktivität, so kann das Ausweiten der Geldmenge auch ohne
Preisanstieg ablaufen. Allerdings erfolgt auch hier eine Umverteilung,
wenngleich sie nicht unmittelbar ersichtlich ist: Die höhere Geldmenge verhindert, dass die Preise auf das Niveau
absinken, das ohne Geldmengenvermehrung erreicht worden wäre. Es
profitieren Produzenten, deren Güterpreise hoch bleiben, während die Käufer
verlieren, weil die Geldmengenausweitung verhindert, dass die Güterpreise
sinken und so ihre Kaufkraft steigt."
Beim 2. Szenario
wird die Möglichkeit einer Ausweitung der Wirtschaftsaktivität durch Zufuhr von
zusätzlichem Geld ausgeblendet. Implizit unterstellt er eine Fortdauer der
Unterauslastung.
Das steht
allerdings im Widerspruch zur allgemein bei den Austrians üblichen Kritik an den Zentralbanken, dass sie die
Geldmenge ausweiten würden, um die Konjunktur anzufachen. Tatsächlich war der
US-Immobilienboom (wie wohl auch jeder andere) nur durch eine starke Ausweitung
der Kreditgewährungen und damit der Geldmenge möglich.
Dabei kann an
dieser Stelle offen bleiben, ob die Schuld bei der Fed lag, und ob es sich um
eine "gesunde Konjunktur" oder einen "ungesunden Boom"
handelte (oder wann das eine ins andere umgeschlagen ist). Hier geht es
lediglich um den empirischen Nachweis, dass die Immobilieninvestitionen nur durch
die Verfügbarkeit von entsprechend viel Kredit und somit durch eine Steigerung
der Geldmenge überhaupt möglich war; damit ist Polleits implizite Annahme
widerlegt, dass eine Geldmengensteigerung bei Unterauslastung nicht die
Wirtschaft angekurbelt wird.
Richtig ist
natürlich, dass der Immobilienboom mit Preissteigerungen verbunden war.
Um das im Detail
zu bewerten müsste man sich allerdings mehrere Faktoren anschauen: Den
Bodenpreis, zusätzliche "Komfortkosten" und die (wie auch immer zu
berechnenden) "reinen" Baukosten (also ohne eine heute gegenüber
früher vielleicht übliche gehobene Ausstattung - Stichwort
"Granitküchen").
Aber selbst (bzw.
gerade) dann, wenn man annimmt (oder an diesem Beispiel empirisch feststellen
könnte), dass die verbesserte Kapazitätsauslastung zu Preissteigerungen der
Produzenten (Boden ist ja nicht vermehrbar und somit eine Sache für sich)
geführt hat, wird es spannend: Soll man diesen "Nebeneffekt"
akzeptieren (weil eine Volkswirtschaft insgesamt ja nur durch Produktion reicher
wird, und natürlich auch um Vollbeschäftigung zu bekommen), oder soll man ihn
unterbinden?
Davon abgesehen
lässt Polleit hier die Möglichkeit einer erweiterten Kassenhaltung (also der
"Erhöhung der Geldnachfrage"
auf S. 26) außen vor, die eben gerade keine
preissteigernde Auswirkung auf die Realwirtschaft hätte (und tendenziell sogar zu Deflation führen könnte).
Leider zeichnen
sich die Austrians ganz allgemein
durch eine eher selektive Berücksichtigung der Fakten aus.
Mindestens seit
zwei oder drei Jahrzehnten wächst die Geldmenge stärker als die Realwirtschaft.
Natürlich hatten wir in dieser Zeit (wie auch schon vorher) eine Inflation,
aber lediglich eine "schleichende".* Wenn die Koppelung von
Geldmengenzuwachs und Preissteigerung tatsächlich derart simpel wäre, wie auf
S. 27 (in diametralem Gegensatz zu den Ausführungen S. 26!) dargestellt, dann
hätten wir in diesem Zeitraum schon längst eine "trabende" *
Inflation sehen müssen.
[*Ottmar Issing
unterscheidet in seiner "Einführung
in die Geldtheorie" (S. 202 der 15. Aufl. von 2011) zwischen
schleichender, trabender und galoppierender oder Hyper-Inflation (über 50% pro
Monat).]
Aber anstatt sich
um die Erklärung dieser auf den ersten Blick ja doch einigermaßen
überraschenden Tatsache zu bemühen, leiern die Austrians gebetsmühlenartig herunter, was die Altvorderen ihrer
Schule zu Papier gebracht haben. Wissen wird hier sozusagen unter eine
Käseglocke gestellt. Echter Forschungseifer sieht anders aus als das, was die österreichischen (wie freilich auch
andere) "Monetologen" dem gläubig gaffenden Kirmespublikum als ihre angeblichen
Erkenntnisse andrehen wollen.
Wer nicht
begründen kann, wieso unser Geldsystem ca. 60 Jahre lang doch einigermaßen gut
funktioniert hat, der macht sich lächerlich, wenn er die aktuelle Krise
damit "erklären" will, dass unser Geldsystem von vornherein nichts
taugt.
Eine Ausnahme bei
ihrer Ablehnung von Geldmengensteigerungen erwähnen Polleit/Prollius auf S. 28:
"Ob ein Ansteigen der Geldmenge im Zeitablauf
wünschenswert und akzeptabel ist oder nicht, hängt allein davon ab, wie das
Geld produziert wird – über diesen wichtigen Aspekt wird später noch genauer zu
sprechen sein. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: Das Ansteigen der
Geldmenge nützt dem Gemeinwesen nicht, macht es nicht um einen Deut reicher."
Falsch ist am
letzten Satz die Gleichsetzung von "nicht
nützen" und "nicht reicher machen". Das gilt nur
unmittelbar; mittelbar kann, wir oben bereits gezeigt hatten, eine Steigerung
der Geldmenge unter bestimmten weiteren Bedingungen die Wirtschaftsleistung
steigern und damit ein Gemeinwesen sehr wohl auch real bereichern.
Ebenso hatten wir
oben demonstriert, dass die Geld(einheiten)menge zumindest mit der
Transaktionsmenge Schritt halten (also ggf. entsprechend wachsen) muss, um die
Wirtschaftsleistung auf dem gleichen Niveau zu halten.
Soweit von dem in
der Volkswirtschaft vorhandenen Geld ein Teil für Sparzwecke
"abgezweigt" wird, muss zur Aufrechthaltung der jeweils vorherigen
Kapazitätsauslastung
- entweder die Umlaufgeschwindigkeit im direkten
Wortsinn gesteigert werden: Diejenigen, die dann noch ihr Geld ausgeben (also
nicht sparen), müssten das in schnellerer Folge tun.
-
Oder die Geldmenge müsste entsprechend gesteigert
werden (damit für Transaktionszwecke auch nach Abzug der gesparten Gelder eine
unveränderte Geldmenge verfügbar bleibt).
- Schließlich können, zumindest theoretisch, die
Preise und Löhne gesenkt, also eine Deflation herbeigeführt werden bzw.
aufgrund der Marktmechanismen "von selber" eintreten. In der Realität
ist das sowohl mühsamer als auch, von den Folgen her, problematischer. Obwohl
Märkte elastisch sind und daher gewisse Schwankungen auffangen können liegt z.
B. eine Schwierigkeit darin, dass eben nicht jede Transaktionsmenge mit jeder
beliebigen Geldeinheitenmenge abgewickelt werden kann - s. o.
Generell wollen Austrians mit ihren ständigen Hinweisen
auf die angebliche Neutralität der Geldmenge für das Niveau der
volkswirtschaftlichen Aktivitäten zwei Dinge beweisen (teils unterschiedlich je
nach Autor eins davon, teils - wie wohl hier - beide):
1.
Dass Deflation (der Begriff kann hier "österreichisch" als
Geldmengenminderung verstanden werden oder im üblichen Sinne als Preisverfall)
volkswirtschaftlich (weitgehend) unschädlich ist und
2.
Dass die Währung problemlos auf Golddeckung
umgestellt werden kann (d. h. dass die relativ geringe verfügbare Goldmenge im
Verhältnis zur derzeitigen Geldmenge oder zum gegenwärtigen Niveau der
Transaktionsmengen keine Probleme bereiten würde).
Nicht wenige Austrians neigen dazu, Deflation zu
verharmlosen. Allerdings soll es sich nach Philipp Bagus um eine Minderheit
handeln; dass die Mehrheit auch der Austrians
Deflation für schädlich hält beschreibt (und kritisiert) er in seinem Papier "DEFLATION:
WHEN AUSTRIANS BECOME INTERVENTIONISTS" (2003/2007).
(Auch Ludwig von Mises soll demnach in diesem Punkt ein "Interventionist" gewesen sein;
damit wird allerdings auch die Berufung von Polleit/Prollius auf Mises
fragwürdig.)
Nach den
Textproben und Inhaltsverzeichnissen zu urteilen, sehen von den vorliegend
behandelten Verfassern Bagus/Marquart und Polleit/Prollius in einer Deflation
eher kein Problem. Bei Thomas Mayer obsiegt dann doch wohl sein praktisches
Wissen als ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank über die
Theorie-Traumtänzerei der beiden anderen Autorengespanne; er überschreibt
immerhin einen Abschnitt (S. 95/96) mit "Fluch der Deflation".
Selber habe ich
mich in meinem Blott "Deflation
demystified oder: Eine Deflationsursache gibt es nicht!" ausführlich
insbesondere mit den möglichen unterschiedlichen Deflationsursachen, und den
entsprechend unterschiedlichen ökonomischen Folgen, auseinandergesetzt (und zu
zahlreichen Medienberichten und Fachaufsätzen verlinkt).
Zuletzt (17.11.2014) hatte ich mir den 2-teiligen Aufsatz
von Prof. Philipp Bagus vorgenommen, und diesen (insbesondere den 2.
Teil) ausführlich analysiert und kritisiert in meinem Blott "Deflation des Deflationswissens: Warum mir die
unterkomplexe Deflatiologie von Professor Philipp Bagus spanisch vorkommt." Auch darin komme ich zu dem Schluss, dass Deflation keineswegs
relativ harmlos ist, wie Prof. Bagus seinen Lesern (mit einigermaßen haarsträubenden
Argumenten) weismachen will. Von Wissenschaft ist die Bagus'sche
Deflationsdenke jedenfalls meilenweit entfernt. Jeder Blick in den Kaffeesatz
klärt mindestens genauso gut über reale
Deflationsvorgänge auf, und insbesondere über deren (je nach Konstellation) u.
U. gigantischen Gefahren für die Realwirtschaft, wie die Lektüre seiner o. a.
Deflatiologie.
Ein weiterer
Grund, warum viele Austrians das
Geldmengenproblem herunterspielen (müssen), ist deren Forderung nach Einführung
einer Goldwährung.
Gold ist im
Verhältnis zur heutigen Geldmenge (und zur heutigen Transaktionsmenge) extrem
knapp, d. h. bei der Umstellung vom derzeitigen Papiergeld auf Goldgeld würden
die Goldpreise durch die Decke gehen.
Da Goldgeld eine
Warenwährung ist, kann man das auch anders formulieren: Die Tauschrelationen
der Ware Gold zu anderen Waren würden sich dramatisch zu Gunsten der
Goldbesitzer und zu Lasten der Anbieter aller anderen Waren und
Dienstleistungen (nicht zuletzt natürlich der Arbeitnehmer als
Arbeitskraftanbieter) verschlechtern.
Noch anders
gesagt: Goldgeld wäre ein extrem teures Geld. (Weshalb ein total freier Markt
es mit ziemlicher Sicherheit NICHT als - alleiniges - Geld einführen würde.)
Selbst der Austrian Murray Rothbard hatte in seiner
Schrift "The
Case for a 100 Percent Gold Dollar" eingeräumt: "This [d. h. die Einführung von Gold als - alleinigem - Geld] of course would bring an enormous windfall
gain to the gold miners". Und das war im Jahr 1962; in der
Zwischenzeit hat die Goldmenge verhältnismäßig wenig zugenommen während die
Geldmenge, vor allem aber auch die Transaktionsmenge, gewaltig angestiegen
sind.
Da ich nicht die
vollständigen Bücher gelesen habe, weiß ich nicht, wie sich Polleit/Prollius zu
diesen negativen Auswirkungen für die, ich sage mal: "Geldbenötiger", äußern.
Bei B./M. bin ich
nicht einmal sicher, ob sie in ihrem Buch überhaupt ausdrücklich Goldgeld
fordern; klar ist allerdings, dass sie eine starke Präferenz dafür haben.
Thomas Mayer hebt
sich auch in diesem Bereich positiv von den anderen Autoren ab. Anscheinend ist
er nämlich KEIN Verfechter von Goldgeld. Als "Neuankömmling in unserer Wahrheitswelt freien
Geldes und freier Märkte" (d. h. im Wahrheits-Wunderland der
vulgärösterreichischen Monetär-Magier) muss er sich nämlich von dem Gold-Freak
Peter Boehringer in dessen Artikel "Gold:
'Barbarischer Rohstoff'. Über eine abstruse Mär"
(14.10.2014) dafür abkanzeln lassen, dass er gegenüber dem SPIEGEL Gold wohl als einen
" 'barbarischen
Rohstoff' bezeichnet hatte, der im Modell der Österreichischen Schule
eigentlich nur als Ersatz für das nötige Vertrauen der Bürger in eine Währung
fungiere".
Dawider wettert Boehringer: "Falls Thomas Mayer also tatsächlich im Interview die Keynessche
Kampfrhetorik vom „barbarischen“ Relikt verwendet haben sollte, steht er damit
nicht auf dem Boden von Gutgeldlern und auch nicht auf dem Boden der Österreichischen
Schule."
(In der Tat steht
Mayer nach meiner Einschätzung schon deshalb nicht auf dem Boden der Austrians, weil er Willkürgeld fordert,
also - im ökonomischen, nicht im juristischen - Sinne regelrechtes "Falschgeld". Aber das
fällt den Vulgäraustrians nicht auf,
weil sie selber nicht zwischen Kreditgeld und Willkürgeld unterscheiden.)
Es ist klar,
welche Interessen Austrians wie
Polleit/Prollius und Bagus/Marquart (und letztlich auch Mayer) bedienen:
Nämlich diejenigen der Halter von Geld und Geldforderungen und, soweit sie die
Einführung von Goldgeld propagieren, die Interessen der Goldhorter und der
Goldmineneigentümer.
Die Wirtschaft
kann ruhig vor die Hunde gehen, Hauptsache der Geldwert bleibt - auf längere
Sicht - stabil, oder steigt sogar.
SO sagen die Austrians das natürlich nicht; die
behaupten im Gegenteil, dass ihr Geldsystem auch für die Realwirtschaft ideal
sei. Nur überzeugt das halt nicht, wenn zur Beweisführung u. a. jedwede Form
von Deflation verharmlost wird (und verharmlost werden muss, um argumentativ
die potentiell katastrophalen Folgen einer unelastischen Geldversorgung der
Realwirtschaft zu verschleiern).
Erhellend ist in
diesem Zusammenhang eine Debatte zwischen mir und Prof. Bagus auf seiner
Facebook-Seite. Ich hatte es gewagt, den Begriff "Gesellschaft" zu benutzen, der jedenfalls den Anhängern der
libertären Richtung der österreichischen
Schule ein Gräuel ist. Mein Argument war gewesen, dass konkrete Geldsysteme für
die Gesellschaft insgesamt mehr oder weniger nützlich sein müssten. Das wies
Prof. Bagus entrüstet zurück: Eine Gesellschaft gebe es nicht, sondern
lediglich Interessen. Als ich diese seine Meinung gegen ihn selber wendete,
indem ich ihn fragte, warum er dann nicht in seinem Buch offenlege, für welche
Interessen er eintrete, sperrte er mich kurzerhand. Offenbar war es in seinen
Augen eine Ungeheuerlichkeit, von ihm eine durchgängige Theoriekonsistenz und
eine entsprechende Selbstreflexion zu erwarten.
Es ist halt
deutlich einfacher, angelernte Phrasen zu dreschen, als mühsam um eine
(möglichst zutreffende, zumindest aber) innerlich widerspruchsfreie
Betrachtungsweise von Sachgebieten zu ringen.
Auch bei der
Debatte um Deflationen (wenn ich von "Deflation"
spreche, ist damit im Gegensatz zu den Austrians
natürlich das gängige Begriffsverständnis von Preisverfall gemeint) zeigt sich
die Interessenfixierung der Austrians
auf die Halter von Geld und Geldforderungen. Typischer Weise fordern die
nämlich für solche Situationen von den Unternehmern Preissenkungen (was auf
Dauer natürlich nur bis herab auf die Gewinnschwelle möglich ist) und von den
Arbeitnehmern Lohnverzicht (also eine Preissenkung der Arbeitskraft - mit den
entsprechenden Kaufkraftverlusten).
Ein teilweiser
Tilgungsverzicht der Gläubiger (also der Halter von Geldforderungen), die bei
einem Preisverfall wegen der steigenden Realzinsen und dem steigenden
Kaufkraftwert ihrer verliehenen Gelder u. U. gewaltige Extraprofite
einstreichen, ist dagegen in der Regel kein Thema.
Dabei ist für die
Betriebe in einer Deflation gerade auch die nominal unveränderte (und damit
real ggf. stark ansteigende) Zins- und Tilgungslast ein enormes Problem. (Vgl.
dazu den Aufsatz "THE
DEBT-DEFLATION THEORY OF GREAT DEPRESSIONS" des amerikanischen
Wirtschaftswissenschaftlers Irving Fisher aus dem Jahr 1933, also aus der Zeit
und vor dem Erfahrungshorizont der Weltwirtschaftskrise geschrieben.)
Kehren wir indes
zurück zum Buchauszug von Polleit/Prollius. Von der oben behandelten Passage
auf S. 28 machen wir einen großen Sprung nach vorn auf die S. 33
(Hervorhebungen - dort kursiv - im Original):
"Das heutzutage verbreitete Geld ..... lässt
sich als ungedecktes Papiergeld, als
Kreditgeld oder auch als Fiatgeld bezeichnen. Je nachdem, welche
Eigenschaft hervorgehoben werden soll. ..... Das heutige Geld ist intrinsisch
wertlos."
"Intrinsisch wertlos" ist korrekt;
diese zutreffende Feststellung ist aber nicht gleichbedeutend mit der
Behauptung, dass es "ungedeckt"
sei. Den Unterschied habe ich im Detail oben dargelegt. Und das ist nicht nur
meine laienhafte Meinung; das lässt sich auch mit einem zitierfähigen
wissenschaftlichen Text belegen. Der bereits oben mehrfach angeführte Otto Veit beschreibt in seinem Buch "Reale Theorie des
Geldes" (1966, S. 29), auf welche Weise kreditgeschöpftes Geld gedeckt
ist (meine Hervorhebungen):
"Solches
Kreditgeld ist volkswirtschaftlich nicht 'ungedeckt', wie manchmal gesagt wird.
Bankmäßig [besser vielleicht: "betriebswirtschaftlich"]
liegt die Deckung in dem Anspruch gegen den Schuldner; volkswirtschaftlich
liegt sie in der antizipierten
Güterleistung, die der Schuldner erbringen muss, um den Kredit einzulösen".
Wünschenswert wäre
es, dass die Bundesbank diese Thematik in einem autoritativen Aufsatz
(etwa im Rahmen ihrer Monatsberichte) behandeln würde. Zwar bietet sie auf
ihrer Webseite ein sehr instruktives, ausführliches und keineswegs
anspruchsloses "Schülerbuch"
zum Thema "Geld
und Geldpolitik" an. Dort wird die Deckungsproblematik jedoch
nur im gleichen Sinne angesprochen wie bei Polleit/Prollius (und wohl ganz
allgemein bei den Austrians), nämlich
als Edelmetalldeckung.
Im Unterscheid zu
P./P. bezeichnen allerdings die BuBa-Autoren das Fiatgeld (Kreditgeld) nicht
einfach (falsch) als "ungedeckt".
Vielmehr weisen sie mit einem entsprechenden Zusatz stets (korrekt) darauf hin,
dass es nicht durch Edelmetall
gedeckt ist.
So z. B. auf S. 17
(meine Hervorhebung):
"Heute geben staatliche Zentralbanken
Banknoten aus und bürgen für deren Wert. Während noch bis weit ins 20.
Jahrhundert Währungen durch Gold gedeckt waren, sind die Währungen der meisten
Volkswirtschaften heute sogenannte Fiat-Währungen ohne Edelmetalldeckung."
Und eben dieser
Zusatz "Edelmetall..."
macht hier den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit der
Bundesbanker und ideologischer Agitation bei P./P. aus - und wohl ganz
allgemein bei den (Vulgär-)Austrians.
Ebenfalls auf S.
33 beklagen P./P. (meine Hervorhebung):
"Das Geld wird durch Bankkreditvergabe
produziert, durch Kredite, denen keine
»echte Ersparnis« gegenübersteht."
Es scheint eine
Obsession der (zumindest neueren, also Vulgär-)Austrians zu sein, dass Geld zunächst gespart worden sein müsse,
damit es jemand ausgeben kann. Und dass mithin die Kredite der einen nur aus
Ersparnissen anderer finanziert werden dürften.
Nun ist der
Sparbegriff in der Volkswirtschaftslehre zumindest ambivalent also
doppeldeutig.
Zum einen kann er
das Sparen im alltäglichen Sprachgebrauch meinen: Das Nicht-Ausgeben von Geld.
Ausgerechnet die Austrians, die in anderen Zusammenhängen
gerade davor warnen, den geldwirtschaftlichen Schein über die
realwirtschaftliche Wirklichkeit zu stellen ("Eine Ausweitung der Geldmenge macht die Gesellschaft nicht reicher"),
bewegen sich gedanklich ausschließlich in der geldwirtschaftlichen Sphäre wenn
sie (explizit oder implizit) fordern, dass Kreditvergaben nur auf der Grundlage
"echter" Ersparnis erfolgen sollten.
Betrachtet man
dagegen Geld lediglich als ein Hilfsinstrument zur Optimierung der
Realwirtschaft (worauf vermutlich auch die Austrians
ein Lippenbekenntnissen ablegen würden), dann kann es lediglich um zwei Variablen gehen:
1.
Die Gesamtauslastung der volkswirtschaftlichen
Kapazitäten (die möglichst nahe bei 100% liegen sollte) und
2.
Die Verteilung der Produktion auf Konsumgüter
einerseits und Investitionsgüter andererseits (die jeweils zugehörigen
Dienstleistungen schließe ich hier stillschweigend mit in den
Produktionsbegriff ein).
Nehmen wir an, wir
haben 70 wie auch immer definierte Konsumeinheiten, die aktuell 70 wie auch
immer definierte Geldeinheiten kosten (in einer wie auch immer definierten
Zeitspanne).
Und entsprechend
30 Investitionseinheiten zum Preis von 30 Geldeinheiten.
Wenn (wovon
auszugehen ist) das Verhältnis dieser Werte zueinander im Laufe der Zeit
schwankt, ist das unproblematisch. Für die Volkswirtschaft insgesamt ist
lediglich wichtig, dass sie voll ausgelastet ist, dass also 100% Nachfrage
besteht. (In der Langzeit-Perspektive dürfen natürlich die Investitionen nicht
vernachlässigt werden, sonst wird die Wirtschaft zum
"Industriemuseum" wie in der DDR. Diese Notwendigkeit behalten wir
grundsätzlich im Sinn, aber für die vorliegende Argumentation können wir sie
ausklammern.)
Von dieser
Modellwirtschaft können wir sagen, dass sie 70% konsumiert und 30% "spart"
(= für Investitionen ausgibt).
Als Basis dieser
Prozentangaben kann man den volkswirtschaftlichen Ausstoß ansetzen oder auch
die insgesamt ausgegebene Geldmenge: Das macht zunächst keinen Unterschied.
Allerdings könnte
man sich eine Modellvariante vorstellen, bei der nicht mehr 100 Geldeinheiten
nachfragewirksam werden, sondern plötzlich 150 Geldeinheiten auf ein Angebot
von 100 Gütereinheiten (die bisher je -1- Geldeinheit gekostet haben) stoßen.
Dann würde notwendig Inflation eintreten; die Güterpreise müssten sich (bei
sonst gleichbleibenden Modellannahmen) auf 1,50 pro Einheit hochschrauben.
Die zusätzlichen
50 Geldeinheiten müssen irgendwo herkommen. Beispielhafte Möglichkeiten sind
-
Die Ausgabe von Willkürgeld (s. o.). Das wäre
selbstverständlich keine Ersparnis (weder eine echte noch, was immer das sein
mag, eine unechte). Das zusätzliche Geldangebot wäre von den Kapazitäten der
Volkswirtschaft entkoppelt; die zusätzliche Nachfrage käme aus bloßem
"Gelddrucken" und wäre zwangsläufig preistreibend, weil ihr kein
zusätzliches Warenangebot gegenüberstände. (Und weil per definitionem -
Produktion bereits auf Volllast - keine Spielräume für zusätzliche Güterangebote existieren.)
-
Eine andere Alternative wäre die Auflösung von
Geldhorten. Diese Geldhorte wären "echte" Ersparnisse i. S. der Austrians. Trotzdem hätten sie (wenn die
Geldpolitik das Überangebot nicht irgendwie abschöpft) zumindest vorübergehend
dieselbe preistreibende Wirkung wie eine durch Willkürgeld gespeiste
Zusatznachfrage. (In diesem Zusammenhang macht es natürlich keinen Unterschied,
ob die einstigen Geldhorter nun selber als Nachfrager auftreten, oder ob sie
ihr Geld an Dritte verleihen und die zusätzliche Nachfrage von denen kommt.)
Es ist also
zunächst (auf die Dauer dürfte das anders aussehen) gleichgültig, ob Nachfrage
aus "echter Ersparnis"
kommt oder nicht; entscheidend (für die Vermeidung von Inflation) ist, dass die
Nachfrage die Produktionskapazität nicht übersteigt.
Auf der anderen
Seite darf, zur Vermeidung von Deflation, die Nachfrage nicht allzu weit unter
der Kapazitätsgrenze liegen. Diese Lage würde eintreten, wenn von 100
umlaufenden Geldeinheiten plötzlich 50 gespart würden: Dann würden nur noch 50
von 100 der angebotenen Gütereinheiten nachgefragt.
Ich denke, wenn
man die Wirtschaftsgeschichte in den entwickelten Ländern nach dem 2. Weltkrieg
Revue passieren lässt, hat das Fiat-Geldsystem das gefahrvolle Navigieren
zwischen Inflations-Skylla und Deflations-Charybdis geradezu erstaunlich gut
bewältigt.
Natürlich kommt es
immer auf den angelegten Maßstab an. Theoretisch kann man sich eine ideale Welt
erträumen, wo Angebot, Nachfrage, Sparwünsche usw. stets perfekt zueinander
passen. Natürlich nur, wenn die Welt so weise wäre, das zusammenphantasierte
ultimative Geldsystem einzuführen (und, abhängig von der ideologischen
Ausrichtung des jeweiligen Systemträumers, ggf. auch den Staat abzuschaffen).
Das ist die
imaginäre Goldglanzfolie, die man sich im Geist der Austrians hinter deren weltfremder und naiven Geldsystemkritik aufgespannt
denken muss.
Legt man
allerdings abstrakt die wirkliche
Welt zu Grunde, mit den widerstreitenden Zielen wirklicher Menschen, oder als
historische Erfahrung die Wirtschaftsgeschichte etwa des 19. Jahrhunderts mit
seinen zahllosen Wirtschafts- und Finanzkrisen, dann kann man nur ehrfürchtig
das relativ hervorragende Funktionieren unseres Finanzsystems in der 2. Hälfte
des 20. Jahrhunderts bestaunen.
Im vorliegenden
Falle haben wir es u. a. mit einer dramatischen
Unterschätzung der Komplexität von Wirtschaft und Gesellschaft zu tun.
Aber das ist ja
ohnehin der zentrale Irrtum des libertären Kinderglaubens an einen
gesellschaftlichen HB-Männchen-Mechanismus ("dann geht alles wie von selbst"), wenn man nur den bösen Staat
abschaffen oder massiv zurechtstutzen würde.
Häufig liest man,
dass eine exzessive Kreditvergabe zur Finanzkrise geführt habe. Und das ist es
wohl auch der gemeinsame Nenner aller drei hier behandelten Werke: Die
Befürchtung, dass das derzeitigen System strukturell auf eine
Geld-Überproduktion angelegt ist.
Diese
Betrachtungsweise beschränkt jedoch das Problem auf die finanzwirtschaftliche
Dimension. Um die gesamte Wirtschaft in den Blick zu bekommen, muss man der
Frage eine umfassendere Bedeutung geben.
Ohne Geld
funktioniert unsere Wirtschaft nicht; es ist das Geld, das zwischen Angebot und
Nachfrage vermittelt: Wer das nicht hat, kann nichts kaufen, und wenn nichts
gekauft wird, stehen "alle Räder
still" - obwohl das in diesem Falle der "starke Arm" der Arbeiter ganz und gar nicht will: Das kann man
als einen Systemfehler betrachten. Aber das wäre dann kein Fehler des
"Geldsystems", sondern ein Fehler des Eigentumssystems.
(Freiwirtschaftler würden entgegnen, dass ihr "umlaufgesichertes" Geld eine ständige Bewegung des Geldes
sichert. Die Frage ist allerdings, ob ein erzwungenes ständiges Geldausgeben
überhaupt sinnvoll ist, und ob es überhaupt funktioniert: Wenn beispielsweise
der Einlagenzins die künstliche Geldentwertung übersteigen würde, dann würde
sicher immer noch Geld "gebunkert".)
Das bedeutet
umgekehrt, dass die Volkswirtschaften nur dann überhaupt "rundlaufen"
können, wenn ausreichend Geld "am
Markt", also nicht nur geschöpft, sondern auch nachfragewirksam ist.
In diesem
(realwirtschaftlichen) Sinne hätten die Banken nur dann "zu viel"
Kredite vergeben (= Bankengeld geschöpft), wenn es zu einer Überhitzung der
Weltwirtschaft oder zumindest einzelner Wirtschaften gekommen wäre.
Das haben wir aber
nicht gesehen, auch nicht in den USA. Die Wirtschaft lief gut, aber nicht heiß,
bevor es 2008 zum vollen Ausbruch der Finanzkrise kam. Nachdem es keine
Überhitzung (Inflation usw.) gab, kann man in REALwirtschaftlicher Hinsicht
nicht behaupten, dass die Banken zu viele Kredite vergeben hätten.
Wenn man die
Feststellung akzeptiert, die Banken hätten (in bestimmten Ländern: USA, Irland,
Spanien) zwar in dem Sinne ein Übermaß an Krediten vergeben, dass die Schuldner
sie teilweise nicht mehr zurückzahlen konnten, aber damit lediglich eine an
sich ja wünschenswerte weitgehende Auslastung der realwirtschaftlichen
Kapazitäten finanziert, stellen sich Fragen:
-
Was steckt dahinter? Wie kann das sein?
-
Hätte die Wirtschaft ebenso gut funktioniert, wenn
die Banken weniger Kredite vergeben hätten? (Dann fragt es sich, wo die
"überschießenden" Kreditgelder geblieben sind.)
-
Wie kann man in der Zukunft die finanzielle
Gesundheit der Banken mit einer gesunden Realwirtschaft, die ihr
Produktionspotential ausschöpfen kann, vereinbaren?
Auf jeden Fall ist
eine Betrachtungsweise verkürzt und damit als Grundlegung für einen
überzeugenden Umstellungsvorschlag auf ein vermeintlich besseres Geldwesen
ungeeignet, welche die Dimension der volkswirtschaftlichen Kapazitätsauslastung
nicht in ihre Analyse einbezieht. Sie muss demnach
erklären
-
warum es im bestehenden System trotz hoher
Kreditvergabe (Geldschöpfung) keine nennenswerte Inflation gab,
-
warum es nicht zu einer Konjunkturüberhitzung kam,
-
und insbesondere auf welche Weise das
vorgeschlagene "bessere" Geldsystem gewährleisten soll, dass die
Kapazitätsauslastung mindestens ebenso gut funktioniert wie bislang (vor der
Krise). (Und natürlich auch, warum es krisenfest oder krisenfester sein soll
als das derzeitige.)
Ich selber verorte die
Krisenursache, bzw. überhaupt eine wesentliche Ursache von Funktionsstörungen
(scheinbar) "des Geldsystems"
in einer Über-Akkumulation von Geld in einem "Übersparen" der
Geldbesitzer. (Diese Theorie wird traditionell als "Unterkonsumtionstheorie" bezeichnet; ich selber bevorzuge den
Begriff "Überakkumulation".).
Vorliegend geht es
aber nicht um die konkrete Krisenerforschung. Sondern lediglich darum, dass
jedwede Reformvorschläge für "das Geldsystem", die den Anspruch auf
Seriosität erheben, diese Dimension in ihre Betrachtung einbeziehen und
überzeugende Antworten auf die o. a. Fragen geben müssen. Ich gehe davon aus,
dass P./P. das auch im Rest ihres Buches nicht tun.
Dass das
gegenwärtige Geld gerade KEIN "staatliches
Monopolgeld" ist und NICHT (ausschließlich und nicht zum größten Teil)
"von staatlichen Zentralbanken
produziert" wird, womit diese auch NICHT "das Geldproduktionsmonopol innehaben" (wie man ebenfalls auf
S. 33 liest), hatte ich bereits oben gesagt.
Ebenso ist die
Behauptung, dass "Fiatgeld für
Zwangsgeld" stehe, falsch. Auch im freien Wettbewerb kann Fiatgeld
geschaffen werden, und tatsächlich WIRD die Masse des Geldes (Bankengeld) im
Wettbewerb geschaffen. Und historisch war es gerade der freie Wettbewerb von
privaten Banken und auch Goldschmieden, der das Fiatgeld
erfunden hat.
Selbst wenn
"Zwangsgeld" in dem Sinne gemeint wäre, dass die Wirtschaftssubjekte
einer Volkswirtschaft nur mit dieser Währung arbeiten dürfen, ist es falsch.
Auch in Deutschland können Kaufleute untereinander mit US-Dollar oder welcher
Währung auch immer bezahlen - wenn beide Seiten sich darauf einigen.
Dass man bei Lidl
an der Kasse nur eine Währung annimmt, ist verständlich. Aber auch denen ist es
nicht verboten, ihre Ware, auch innerhalb Deutschlands, etwa gegen Dollar zu
verkaufen. In Orten mit starkem ausländischem Tourismus kann man in Läden und
Gastronomiebetrieben teilweise auch real mit Fremdwährungen bezahlen.
Außerdem können
Großkapitalbesitzer im gegenwärtigen Regime des freien Kapitalverkehrs ihre
Guthaben in so ziemlich jede Währung der Welt eintauschen.
Ihre Steuern
müssen die Bürger natürlich in der Landeswährung bezahlen. Aber deswegen von
"Zwangsgeld" zu sprechen ist eine propagandistische Verzerrung der
Fakten.
"In den folgenden Ausführungen werden die
Begriffe ungedecktes Papiergeld, Kreditgeld und Fiatgeld benutzt. Sie alle
sollen die heute überall anzutreffende unnatürliche Währungsordnung bezeichnen.
Eine Währungsordnung, die nicht etwa spontan aus freiwilligen
Markttransaktionen entstanden ist, sondern die durch Zwangseingriffe des
Staates auf den Weg gebracht wurde." (S. 33).
Diese Behauptung
ist, wie wir gesehen haben, falsch. Das Geldwesen wurde nicht "durch Zwangseingriffe des Staates auf den
Weg gebracht", sondern ist in einem langen wirtschaftsgeschichtlichen
Prozess im Zusammenspiel von Staat und Privaten entstanden. Dabei waren es die
Privaten (Fernhandelskaufleute), nicht der
Staat, die das Kreditgeld erfunden haben. (Der Staat hat vermutlich einfach
nicht bezahlt, wenn er kein Geld hatte. Oder, soweit möglich, Sondersteuern
eingetrieben. Insbesondere in Kriegszeiten hat er kurzerhand die Münze
verschlechtert, womit er aber gleichfalls kein Kreditgeld geschaffen hat,
sondern Willkürgeld.)
Die Abschaffung
von Kreditgeld würde die Menschheit also ins frühe Mittelalter
zurückkatapultieren: 100% Goldgeld wäre sozusagen monetäre Steinzeit! (Und
weniger als 100% läuft letztlich auf eine allenfalls gedeckelte Variante der
heutigen kreditären Geldschöpfung hinaus.)
Der
intellektuellen Anspruchslosigkeit der vulgärösterreichischen Geldsystemkonzepte
entspricht mithin ihr atavistischer Inhalt.
Überhaupt ist es
paradox, dass ausgerechnet Anhänger der libertär-österreichischen Richtung die Welt in das Prokrustesbett des
Warengeldes (zurück-)stecken, also die Freiheit der Wirtschaftssubjekte einengen
wollen. Auf allen anderen Gebieten schwenken diese Ideologen schließlich eifrig
die Freiheitsflagge.
Kreditgeld ist
(wirtschaftliche) Freiheit insofern, als es ein "atmendes" Geldsystem
kreiert. Es erlaubt der Wirtschaft eine quasi-automatische Anpassung von
Angebot und Nachfrage; dadurch ist es ein kybernetisches Selbstregelsystem. Das
zwar nicht zu hundert Prozent, weil es natürlich Eingriffe der Zentralbank (und
ggf. anderer staatlicher Institutionen) gibt.
Missbrauch durch
den Staat, aber auch durch Private (Stichworte Banker-Boni, Kartelle,
Risikoverschleierung usw.) ist möglich. Das gilt aber ebenso und erst Recht für
ein völlig privates Geldwesen.
Und vor allem ist
auch ein Missbrauch der Freiheit möglich: Wenn es um eine Beseitigung von
Missbrauchsrisiken ginge, könnte man auch gleich deren Abschaffung verlangen.
Sofern man es
schaffen würde, das Geldwesen dauerhaft vom Staat zu trennen, müsste es ebenso
möglich sein, dauerhaft einen staatlichen Missbrauch des Geldwesens zu
verhindern.
Bzw. umgekehrt
gedacht: Wenn letzteres unmöglich ist, warum sollte der Staat dann ein
Geldsystem tolerieren, das seinem Zugriff dauerhaft entzogen wäre?
Tatsächlich geht
es aber, entgegen den Tiraden der Austrians
gegen den bösen Sozialstaat, beispielsweise bei den Interventionen der EZB und
insbesondere der Fed ("quantitative
easing") nicht so sehr um den Staat als vielmehr darum, eine
Wirtschaftskrise zu verhindern, also eine größtmögliche Kapazitätsauslastung in
der Güterwirtschaft zu ermöglichen (bzw., in der zeitlichen Abfolge betrachtet,
aufrecht zu halten).
Übrigens gab es
eine vehemente Debatte über die Beschränkung der Geldschöpfung bereits im 19.
Jahrhundert in Großbritannien. Kurz, aber auch für Laien (wie mich) vorzüglich
verständlich schildert diesen Sachverhalt Prof. Peter Spahn in dem Kapitel "Die Currency-Banking-Kontroverse um die
Elastizität des Geldangebots" (S. 50 ff.) seines online verfügbaren
"Buches" "GELDWIRTSCHAFT.
Eine wirtschafts- und theoriegeschichtliche Annäherung" (das ich
auch ganz allgemein allen an der Geldtheorie Interessierten dringend ans Herz
lege!). In Großbritannien hatte man sich seinerzeit für eine ziemlich rigide
Beschränkung entschieden. Das führte allerdings zu Krisen, in denen man diese
formalen Beschränkungen kurzerhand aufhob. Auf dem Papier dagegen blieben sie
für Jahrzehnte bestehen.
Auch hier wäre
also den Austrians ein Blick in die
Wirtschaftsgeschichte bzw. die Geschichte des Finanzwesens nachdrücklich
anzuraten. Denn selbstverständlich sind alle diese historischen Erfahrungen in
unser heutiges Geldsystem eingegangen, das eben keineswegs "par ordre du
mufti" mal eben so von den Staaten eingeführt worden ist.
Prof. Spahn
jedenfalls kommt zu dem Schluss (S. 51): "Eine absolute Fixierung des Geldangebots destabilisiert die
Geldnachfrage".
Vor Illusionen,
dass man die Geldmenge überhaupt starr halten kann, warnt ein Zitat in der Anm.
155 (S. 53):
"The
money-quality of assets is something imposed by the business habits of people;
it is attached in varying degree to various assets [...]. To label something as
'money', the supply of which is to behave according to rules laid down by legal
authority, is to build on shifting sand" (Sayers 1957: 5, vgl. Claassen
1970: 34ff, Laidler 1991: 13f)."
Die Sicht müsste
eigentlich den Austrians, wenn sie
ihre Obsession eines "richtigen" Geldes vorübergehend an der
Garderobe abgeben könnten, sehr zusagen. Denn hier wird ja behauptet, dass sich
die Marktteilnehmer ohnehin gegen jegliche staatliche Regulierung des
Geldwesens durchsetzen, wenn die Regulierung den Markterfordernissen
zuwiderläuft. Allerdings steht sie in Konflikt mit der vehement geforderten Begrenzung der Geldschöpfung.
Ebenfalls möchte
man den Austrians eine Forderung von
John Maynard Keynes ins Stammbuch schreiben, die Spahn in der Anmerkung 142 (S.
49) zum Kapitel "Die Entstehung der
Geldpolitik aus dem Bankgeschäft" zitiert:
"Das richtige Heilmittel für den
Konjunkturzyklus liegt nicht darin, daß wir die Aufschwünge abschaffen und
somit dauernd in einer Halbstockung verharren, sondern darin, daß wir die
Stockungen abschaffen und uns somit dauernd in einem Quasi-Aufschwung
halten."
Ich denke, genau
das hat die Geldpolitik nach dem 2. Weltkrieg jedenfalls bis zur Finanzkrise
2008 ff. relativ gut geschafft. Und nur ein solches realwirtschaftliche Ziel kann vernünftiger Weise der Sinn und Zweck
eines optimalen Geldregimes se
Teil 3 : Thomas
Mayer, "Die neue Ordnung des Geldes.
Warum wir eine Geldreform brauchen", 1. Aufl. 2014
Der Text von Thomas Mayer kommt sympathischer
daher als die beiden anderen Ansätze. Mayer schimpft nicht auf den bösen Staat,
ohne den die Welt (nach Meinung der libertären Richtung, die heutzutage eng mit
der vulgärösterreichischen Wirtschaftswissenschaft verschränkt ist) ein
veritables Paradies wäre.
Allerdings ist das von ihm vorgeschlagene
"Aktivgeld" reines
Willkürgeld und wäre daher in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen
wahrscheinlich noch erheblich katastrophaler als ein Goldgeldsystem.
Mayers Ideen habe ich also schon früher
ausführlich behandelt. Da er weder Goldgeld noch eine kreditäre Geldschöpfung
will, sondern die Zentralbank 'einfach so' Geld (natürlich in einer wie auch
immer zu bestimmenden 'richtigen' Menge) an die Bürger ausgeben soll, ist sein
Geldsystem als Willkürgeld zu
klassifizieren, in welchem (anders als beim Kreditgeld) es keinen
Kausalzusammenhang zwischen Geldschöpfung und Güterproduktion (mehr) gibt.
(Also die Geldschöpfung den Erstgeldempfänger nicht mehr dazu zwingt, zwecks
Tilgung seines Kredites später selber etwas auf dem Markt anzubieten.)
Anscheinend schwebt Mayer ein "Vollgeld" nach Art der Vorschläge
von Prof. Joseph Huber vor, die ich hier auseinandergenommen habe.
Damit im Zusammenhang steht ein Aspekt, der
mir erst jetzt, und zwar in seinem oben indirekt zitierten Interview mit dem Spiegel auffällt.
Dort hatte Mayer nämlich vom "nötigen Vertrauen" der Bürger in
eine Währung" gesprochen. Auf S. 25 seines Buches ist (wie in anderen
Zusammenhängen schon vorher) ebenfalls vom Vertrauen die Rede:
"Aktivgeld
ist mit dem Vertrauen der Nutzer ausgestattet, dass es von anderen Nutzern als
Tauschmittel akzeptiert wird." (S. 25)
Daraufhin habe ich mir sein Interview "Nach
der Finanzkrise droht die Geldkrise" mit der Wirtschaftswoche mit der WirtschaftsWoche noch einmal
angeschaut, und siehe da: Auch dort spielt das Vertrauen eine prominente Rolle:
WiWo (Malte Fischer): "Wie soll das Aktivgeldsystem funktionieren,
wenn die Banken kein Geld mehr produzieren können?"
Mayer (meine Hervorhebungen): "Im Aktivgeldsystem gibt die Zentralbank Geld direkt an die Bürger aus. Dieses wird
ihnen auf den Geldkonten bei den Geschäftsbanken gutgeschrieben. Auf den ersten
Blick produziert hier die Zentralbank
das Geld aus dem Nichts. Aber dieses „Nichts“ ist das Vertrauen der Bürger ins
Geld. Die Aufgabe der Zentralbank ist es, das Vertrauen der Bürger in das Geld
zu erhalten. Das setzt der Geldproduktion enge Grenzen. Diese Grenzen
können im Wettbewerb mit anderen Geldemittenten gefunden werden. Denn der
Wettbewerb diszipliniert die Geldemittenten, nicht zu viel Geld auszugeben.
Sonst entwertet sich ihr Geld und die Bürger ersetzen es durch ein anderes."
Wer viel von Vertrauen spricht, setzt sich,
bei mir zumindest, schnell dem Verdacht aus, dass er die Leute betrügen will.
Thomas Mayer unterstelle ich diese Absicht
nicht. Wohl aber dem angelsächsischen Gelddiskurs. Dem hat Mayer, der ja ein
Top Banker war (ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank) zweifellos die
Vorstellung entnommen, dass bei der Geldproduktion lediglich das Vertrauen der Bürger in die
Kaufkraftstabilität des Geldes bewahrt werden müsse, dass also die Psychologie
alles ist.
Unter anderem im Rahmen der sog. "Target-Debatte" (die mein Verständnis des Geldwesens
außerordentlich gefördert hat) hatte ich Stimmen (aus dem angelsächsischen
Raum) gelesen, die z. B. meinten, es sei doch gar nicht schlimm, wenn etwa die
Bundesbank Verluste mache [was auf "Gelddrucken" hinauslaufen
würde!]. Sie müsse lediglich die Inflationserwartungen verankern und das
Vertrauen der Menschen erhalten.
Eine Vermischung zwischen Realität und
Erwartungen im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs ist anscheinend keine Seltenheit. Mir ist sie z. B. bei dem Begriff des Realzinses ("real interest rate") begegnet: vgl.
dazu meinen Blott "Finanzkrise
(Finanzmarktkrise): "Ist
BEN BERNANKE BESCHEUERT oder ist Burkhardt Brinkmann blöd?" v. 09.10.2008.
Nun hatte zwar schon Ludwig Erhard gesagt,
dass Wirtschaft 50% Psychologie sei, und das ist auch richtig. Indes hilft
Seelenmassage wenig, wenn die Fakten das Vertrauen nicht bestätigen.
Bei der Geldschöpfung verkennt eine rein
psychogische Betrachtungsweise die "Genialität" des
Kreditgeldsystems.
Während Mayer vermutlich Gütermenge und
Geldmenge als zunächst einmal unabhängige Variable ansieht, die von einer (mehr
oder weniger) allwissenden Zentralbank in ein wie auch immer zu bestimmendes
'angemessenes' Verhältnis gebracht bzw. in einem solchen gehalten werden
müssen, sorgt die kreditäre Geldschöpfung, wie oben erläutert, aus sich selbst heraus für ein entsprechendes
Güterangebot am Markt.
Die subjektiven Befindlichkeiten sind
zweifellos wichtig. Letztlich entscheidend ist allerdings, ob die Realität
diese bestätigt - oder eben nicht. Am Ende ist es also, auch wenn es die
angelsächsischen Rosstäuscher der Finanzalchemie gerne vergessen machen wollen,
die Wirklichkeit, die über Vertrauen oder Misstrauen entscheidet.
Wenn das Geld Güter nachfragt, und der Markt
keine anbietet, ist das Vertrauen in die Kaufkraft des Geldes futsch.
Ebenso gilt freilich umgekehrt: Selbst wenn
die Wirtschaftssubjekte dem Geld zunächst misstrauen, werden sie sofort
Vertrauen fassen wenn sie sehen, dass sie für ihr Geld etwas kaufen können. Ein
historischer Beweis dafür ist die Währungsreform 1948: Über Nacht waren die
Schaufenster voll. Die Kaufleute hatten vorher, zwar illegal, Waren in
Erwartung des neuen Geldes gehortet und boten sie (erst) nach Einführung der DM
an. Dass jetzt einer knappen Geldmenge ein großes Warenangebot gegenüberstand,
schuf im Publikum unmittelbar Vertrauen zur neuen Währung: Der DM-Mythos war
geboren.
Beiläufig zeigen diese Vorgänge übrigens
auch, dass in der Wirtschaft nicht alles so gradlinig verläuft, wie sich eine
schlichte Verwaltungsmentalität das vorstellt. Die Warenhortung der Kaufleute
war rechtswidrig, und natürlich war sie auch schädlich für die Konsumenten,
denen die Waren dadurch zunächst entzogen wurden. Für die Akzeptanz der neuen
Währung war das "kriminelle" Verhalten der Kaufleute jedoch positiv.
(Das hat übrigens, wenn ich mich recht erinnere, auch Ludwig Erhard jedenfalls
im Rückblick so gesehen.)
Schon im September 2011 hatte Thomas Mayer in
einer Rede und danach in einem (übrigens sehr lesenswerten, in weiten Teilen
mit der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. befassten) Papier unter dem Titel "I'm an
Austrian in economics" seinen wirtschaftswissenschaftlichen Standort
bei den "Österreichern" verortet. Aber bereits damals argumentierte
er nicht dogmatisch, und zeigte sich weit entfernt vom rituellen Geschwätz der Vulgäraustrians.
Auch an seinem vorliegenden Konzept ist
bestenfalls der Ansatz zu einer Begrenzung der Geldschöpfung "österreichisch".
Geradezu konträr zur (jedenfalls: libertär-)österreichischen Richtung läuft dagegen
sein Konzept, die Geldschöpfung ausschließlich einer Zentralbank zu übertragen.
Was Prof. Philipp in seinem Papier "A
response to [Joseph] Huber"
(29.04.2014) über die angeblich schon gegenwärtig bestehende
planwirtschaftliche Macht der Zentralbanken schreibt, das gilt jedenfalls
weitaus eher und mehr für ein Vollgeldsystem, bei dem die Zentralbanken die gesamte Geldmenge regulieren (müssen)
(in dem es also kein Giralgeld mehr gibt):
"Central banks act as central planners
pretending to know what the optimal money supply and the best interest rate is.
However, they lack the necessary information to give their interventions a
coordinative meaning."
Von daher ist Thomas Mayer eher KEIN Austrian, oder zumindest keiner jener libertären Richtung, der die beiden hier behandelten Autorenteams Polleit/Prollius und Bagus/Marquart wohl zuzuordnen sind.
Und dass er ausgerechnet die allerschlechteste denkbare Geldform, nämlich Willkürgeld, propagiert, ist gleich gar nicht "österreichisch".
Das allerdings dürfe den anderen hier besprochenen (und vermutlich auch vielen weiteren) Vulgäraustrians kaum auffallen, weil sie ja selber beim Fiatgeld nicht zwischen kreditärer und willkürlicher Geldschöpfung zu unterscheiden vermögen.
Teil 4: Philipp Bagus und Andreas Marquart, "Warum andere auf Ihre Kosten immer reicher werden ... und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen", 1. Auflage 2014
Vorbemerkung:
Der online verfügbare Textauszug des Buches
"Warum andere auf Ihre Kosten immer
reicher werden ... und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei
spielen" von Philipp Bagus und Andreas Marquart. ist nicht paginiert;
daher habe ich meinen Ausdruck anhand des Inhaltsverzeichnisses selber
durchnummeriert. Ich gehe aber davon aus, dass meine Paginierung mit derjenigen
im gedruckten Buch übereinstimmt.
"... bisweilen
lebt es sich besser als Unwissender" schreiben die beiden
Monetär-Marktschreier Prof. (in Spanien) Philipp Bagus und Andreas Marquart auf
S. 12 ihrer Einleitung. Damit meinen sie ihre Leser, die sie davor warnen
wollen, dass ihnen ihr Buch vielleicht schmerzhafte Erkenntnisse bereiten
könnte.
Diese Gefahr, bzw. die Chance, überhaupt
irgendwelche substantiellen Erkenntnisse aus diesem Agitprop-Machwerk
herausdestillieren zu können, ist jedoch denkbar gering.
Denn das Motto, dass man als Unwissender
manchmal glücklicher ist, trifft auf die Autoren selber mindestens ebenso zu
wie auf deren von der Geldtheorie unbeleckte Leser.
Wer auf S. 9 im 1. Absatz (falsch) vom
"Staatsmonopol
für das Geldangebot" und "staatlichen
Geldmonopol"
schreibt, jedoch bereits im 3. Absatz auf
derselben Seite (zutreffend) konstatiert, dass
"der
Staat den Banken [erlaubt] ..... Geld
in Form von Krediten aus dem Nichts herzustellen"
der macht sich noch nicht einmal die Mühe (oder
ist intellektuell nicht in der Lage), seine Argumentation auch nur auf ein und
derselben (kurzen) Buchseite auf innere Widerspruchsfreiheit abzuklopfen.
Denn dass unser Geldsystem eine Mischform von
staatlicher (Basis-)Geldschöpfung und privater (Banken-)Geldschöpfung
darstellt, hatten wir schon oben gesehen. Implizit räumen die Autoren hier ein,
dass auch sie das wissen. Trotzdem behaupten bzw. suggerieren sie gegenüber den
Lesern ständig das Gegenteil: Dass es allein der Staat sei, der über den Umfang
der Geldschöpfung entscheidet.
Worum es den Autoren letztlich geht, wird in
Abs. 3 Satz 1 deutlich formuliert: Eine kaufkraftstabile Geldform. DAS ist für
sie "gutes Geld", und gutes
Geld ist nicht beliebig vermehrbares Geld. Alles andere bezeichnen sie als
"schlechtes Geld".
Damit steht die Zielsetzung dieses Buches in
ihrer allgemeinsten Form im Einklang mit derjenigen der beiden anderen
Geldreformvorschläge.
"Was
passiert mit Ihnen, wenn Sie Geld drucken? Eines ist sicher: Sie gehen nicht
einmal über »Los«, Sie gehen direkt ins Gefängnis. Denn die Gauner erlauben
keine Konkurrenz. Das Monopol will gut geschützt sein." (S. 10)
Auch hier finden wir den inneren Widerspruch,
wenn einerseits (erneut) vom Monopol
(d. h. dem angeblichen Geldschöpfungsmonopol des Staates) die Rede ist, und
andererseits im Plural über "die
Gauner" gesprochen wird. Damit kann nach Lage der Dinge nur das
Bankensystem insgesamt gemeint sein, die staatliche Zentralbank und die
(größtenteils) privaten Geschäftsbanken zusammen. Womit die Autoren auch an
dieser Stelle zeigen, dass sie sehr wohl Kenntnis von der (umfangreichen)
Geldschöpfung durch Private haben. Womit das angebliche Staatsmonopol widerlegt
ist.
Wichtiger noch ist in der o. a. Passage die
stillschweigende Falschbehauptung, dass das Bankensystem das Geld "druckt". Mit der Charakterisierung
"Falschbehauptung" will ich
natürlich nicht etwa die Autoren darüber belehren, dass schon seit langem nur
noch relativ wenig Geld gedruckt (oder ausgemünzt) wird, sondern das auch die
Geldschöpfung in der Masse nur noch ein (heute elektronischer) Buchungsvorgang
ist.
Das wissen Bagus/Marquart selbstverständlich
und gebrauchen, ebenso wie ich, den Begriff "Geld drucken" im
bildlichen Sinne: Geld ohne Gegenwert schaffen.
Vielmehr setzen auch B./M., genau wie
Polleit/Prollius (s. o.) die Geldschöpfung aus dem Nichts sachlich unzutreffend
mit ungedeckter Geldschöpfung
gleich. Auch sie unterscheiden nicht zwischen kreditärer Geldschöpfung, bei der
das Geld jedenfalls vom Grundsatz her sehr wohl (volkswirtschaftlich) gedeckt
ist, und dem Willkürgeld, das z. B. ein Geldfälscher oder auch ein Staatsorgan
einfach herstellt und ausgibt.
Dass B./M. die Mechanismen, vor allem aber
die bilanziellen Konsequenzen der kreditären Geldschöpfung nicht begriffen
haben, zeigt und rächt sich gleich im nächsten Absatz auf derselben Seite 10:
"Nach
Angaben der Europäischen Zentralbank hat sich die Geldmenge .... [Details
lasse ich hier weg, weil für mein Argument irrelevant] seit Einführung des Euros rund verdoppelt. Hat sich Ihr Kontostand in
diesem Zeitraum auch verdoppelt? Nein? Hat sich dann wenigstens Ihr Einkommen
verdoppelt? Auch nicht? Dann stellen Sie sich jetzt bitte folgende Frage: »Wenn
sich die Geldmenge im Euroraum verdoppelt hat, mein Kontostand aber nicht, dann
muss der Kontostand eines anderen ja umso stärker zugenommen haben. Wenn
derjenige vielleicht schon vorher mehr Geld hatte als ich, dann hat er jetzt ja
noch mehr als ich. Dann ist der, der ohnehin schon reicher war als ich, jetzt
noch reicher, und ich bin im Vergleich zu ihm relativ ärmer.« "
Bevor die Autoren ihre Leser mit
irreführenden Suggestivfragen traktieren, wäre ihnen anzuraten, selber eine
nahe liegende Überlegung anzustellen:
- Wenn in
unserem Geldsystem neues Geld (von Münzen und "echtem" Falschgeld
abgesehen) im Kreditwege geschöpft
wird, dann ist der doppelte Kontostand keineswegs ein zwingender Beweis für
doppelten Reichtum. Vielmehr muss irgendwer dann auch die doppelten Schulden im
Vergleich zum vorherigen Zustand haben.
Zu fragen wäre somit:
1.
Haben
die Doppelkapitalisten selber jetzt die doppelten Schulden?
2.
Oder
haben die Doppelgeldbesitzer die
doppelte Geldmenge, aber dafür andere
die doppelte Schuldenmenge?
Denn es gilt:
-
Haben die
'Doppelgeldbesitzer' ihren Kontostand durch eigene Neuverschuldung gesteigert, sind sie nicht reicher
geworden.
-
"Mussten" aber andere die doppelte Schuldenmenge
aufnehmen, um die 'Doppelkapitalisten' doppelt so reich zu
machen, dann kann die Behauptung der Autoren nicht zutreffen, dass die Reichen
aufgrund unseres Geldsystems immer
reicher werden. Es muss dann andere Mechanismen geben, welche die
"Armen" zwingen (oder dazu bringen), sich immer mehr zu verschulden,
und das Geld an die Reichen abzuliefern.
Welche Sachzwänge das sind, wissen wir alle
nur zu gut. Spielerisch kennen wir sie auch aus "Monopoly":
Diejenigen, die kein Realkapital besitzen, müssen Tribute an die
Sachkapitalbesitzer abliefern - wie in alten Zeiten die Hörigen Tribute an ihre
Herren.
Heute sollten sich, anders als früher, diese
"Tribute" idealer Weise in Sachkapitalinvestitionen verwandeln, die
ihrerseits das realwirtschaftliche Produktionsniveau aufrecht erhalten und
weiterentwickeln. Faktisch tun diese Gelder das jedoch großenteils nicht ,
sondern sie verschwinden offenbar irgendwo in den Abgründen des
"Finanzkasinos".
Über derartige Weiterungen müssen wir an
dieser Stelle nicht weiter nachdenken; hier geht es ausschließlich um die
Feststellung, dass die Autoren ihre Leser täuschen, indem sie ihnen
verschweigen, dass im Kreditgeldsystem einer verdoppelten Geldmenge zwingend
eine verdoppelte Schuldenlast gegenüberstehen muss.
Ob der Herr Professor und sein Co-Autor es schlicht nicht besser wissen, ob sie diesen Passus gedankenlos
niedergeschrieben haben weil er so gut in ihre Narrative passt, oder ob sie
uns vorsätzlich beschwindeln, können wir nicht wissen. Ich unterstelle mal,
dass die beiden einfach nicht darüber nachgedacht haben, was "doppelte
Geldmenge" unter den Bedingungen der kreditären Geldschöpfung bilanziell überhaupt
bedeutet. Denken strengt an - und stört beim Träumen.
Jedenfalls dürfen wir bereits jetzt
festhalten, dass die Autoren die Verteilungsfrage fälschlich als ein Ergebnis unseres Geldsystems darstellen. Dass Reichtum real aus unserem
Eigentumssystem erwächst, zeigt jeder Blick auf die Vermögensquellen von Bill
Gates, Mark Zuckerberg oder der Aldi-Brüder. (Und dass Reichtum im Einzelfalle
auch rasch wieder verschwinden kann, zeigen die Beispiele Grete Schickedanz -
Kaufhof - oder der Zusammenbruch von Anton Schleckers Drogerieimperium.)
Ebenso zeigt jeder Blick in die Geschichte,
auch in Zeiten mit Edelmetallgeld, dass es schon immer Superreiche gab: In
meinem Blott "Keynes
in Kempten?" vom 05.11.2009
habe ich eine Information aus einem Buch über die Geschichte der Fürstabtei
(oder Fürststift, d. h. des früheren absolutistischen Kleinstaates) Kempten
wiedergegeben, wonach diese Herrschaft bei ihrer Auflösung kurz nach 1800
(Säkularisation der geistlichen Territorien) 2 Millionen (Goldgulden oder was
auch immer) Schulden hatte. Bei 40.000 Einwohnern.
Das sagt uns nicht nur, dass die Staaten
schon damals Schuldenmajore waren. Sondern vor allem, dass es schon damals
reiche Leute gegeben haben muss, welchen dem Staat derart viel Geld leihen
konnten. (Und sicher auch gerne geliehen haben, um - halbwegs - sichere Zinsen
zu kassieren.)
Mit den vorstehenden Feststellungen haben wir
auch die Behauptung auf S. 11 widerlegt:
"In
der Konstruktion unseres Geldsystems sind die wirklichen Ursachen zu finden,
warum wenige zulasten vieler profitieren".
Das künstliche geschöpfte Fiatgeld ist weder
notwendige noch eine zureichende Bedingung für die Konzentration des
umlaufenden Geldes bei wenigen ("Reichtum").
Ein anderer Topos ist bei wohl den
allermeisten Austrians der Hass auf
den Sozialstaat (meine Hervorhebung):
".....
wenn Sie der Meinung sind, dass die Menschen immer egoistischer werden und
immer weniger hilfsbereit sind, dann sind die wirklichen Ursachen hierfür
vielleicht auch in unserem Geldsystem zu finden. In einem Geldsystem nämlich,
dessen Funktionsweise die Entstehung eines gigantischen, schuldenfinanzierten Wohlfahrtsstaates überhaupt erst ermöglicht.
Und statt einem anderen selbst Hilfe zu leisten, schiebt man diesem
Wohlfahrtsstaat gerne die Verantwortung zu, mit dem Argument »Ich zahle
schließlich schon genug Steuern«."
Tatsächlich hat der Sozialstaat eine ungute
Tendenz, sich krakenartig auszubreiten. Dazu ein Zitat von Johann Wolfgang von
Goethe, der diese Entwicklung bereits vor über 200 Jahren geradezu
hellseherisch vorhergesehen hatte.
Mit Bezug die Humanitätsideale von Johann
Gottfried Herder schreibt Goethe in einem Brief
von seiner Italienreise (aus Neapel): "Auch
muss ich selbst sagen, halt’ ich es für wahr, dass die Humanität endlich siegen
wird, nur fürcht’ ich, dass zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und
einer des andern humaner Krankenwärter sein werde."
Trotzdem ist die Behauptung der Autoren
falsch, dass der gigantische Wohlfahrtsstaat ganz oder auch nur zum größten
Teil aus Schulden finanziert wird.
Zunächst einmal wird der Sozialstaat
großenteils gar nicht über den Staatshaushalt finanziert, sondern in einem
separaten System, in welchem die Leistungen aus Beiträgen und Umlagen gespeist
werden: Das gilt für die Rentenversicherung, die Kranken- und
Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung und die Unfall- und
Insolvenzgeldversicherungen.
Diese Beiträge und Umlagen sind zwar, ebenso
wie Steuern, Pflichtabgaben. Aber immerhin werden sie im Großen und Ganzen
zweckbestimmt verwendet.
Und, noch wichtiger: Dieser gesamte Komplex,
der die große Masse der "Sozialleistungen" ausmacht, wird eben NICHT durch Staatsverschuldung
finanziert. (Allenfalls bei den, im Verhältnis jedoch geringen,
Staatszuschüssen für bestimmte Sonderleistungen der Rentenversicherung könnte
man das Gegenteil behaupten.)
Zwar werden daneben andere Sozialleistungen
in erheblichem Umfang aus Steuermitteln bezahlt. Aber die große Masse ist das,
im Verhältnis zum beitragsfinanzierten Teil des "gigantischen" Wohlfahrtsstaates, eben nicht.
Auch hier plappern die Autoren
ideologiegesättigte Phrasen nach, ohne ihre Gehirnen für eine gedankliche
Prüfung solcher Behauptungen zwischenzuschalten. Alternativ müsste man, was
allerdings noch schlimmer wäre, eine vorsätzliche Täuschung der Leser
unterstellen.
Die implizite Forderung, dass familiäre oder
nachbarschaftliche Hilfe die Sozialleistungen des Staates ersetzen möge, ist
natürlich eine völlig aus der Zeit gefallene 'Dorfdenke'. Allerdings passt diese
anachronistische Weltsicht der Autoren perfekt zu ihrer Goldgeld-Präferenz
Im Übrigen besteht ein großer Teil der
steuerfinanzierten sogenannten "Sozialleistungen" aus Zahlungen für
Eltern und Kinder. Diese sind jedoch bei ökonomisch korrekter Würdigung gar
keine Sozialleistungen (auch wenn sie allgemein als solche angesehen werden).
Vielmehr gelten sie einen Renditenachteil ab
(oder mindern ihn), den Eltern als (volkswirtschaftlich gesehen) "Humankapitalsparer" im Vergleich zu
den Sachkapitalsparern haben (die ihrerseits auf diese "Humankapitalinvestionen" angewiesen
sind, weil Maschinen ohne Menschen nicht arbeiten). (Näher habe ich diesen
Komplex in meiner buchlangen Studie "Rentenreich" erklärt.)
Zusammenfassend können wir zu diesem Thema
also festhalten:
-
Der
allergrößte Teil der Sozialleistungen wird NICHT durch staatliche Schuldenaufnahme
finanziert (und gar nicht aus dem Staatshaushalt bezahlt).
-
Von den
aus dem Staatshaushalt finanzierten sogenannten Sozialleistungen ist wiederum
der allergrößte Teil (Leistungen für Eltern und Kinder) bei ökonomisch
richtiger Betrachtung überhaupt keine Sozialleistung, weil sie lediglich ein
Marktversagen (teilweise) ausgleichen: Eltern sparen "Humankapital", bekommen aber dafür am Markt keine Rendite.
Nutznießer sind die Sachkapitalsparer, die nur durch den Einsatz von
Humankapital überhaupt eine Profit aus ihren Kapitalersparnissen ziehen können.
Es ist freilich nicht alles falsch, was die
beiden Monetärrevoluzzer dem Geldmüllerlieschen verklickern. Richtig ist unter
anderem der folgende Satz (S. 11):
".....
was
Sie bei der Lektüre dieses Buches erwartet, würden Sie während eines Studiums
an einer staatlichen Universität ohnehin nicht erfahren."
In der Tat würde sich jeder Professor an
einer deutschen Universität schämen, seinen Studenten einen solchen Müll über
"Gelddrucken",
schuldenfinanzierten Sozialstaat oder Reichtum als Folge des Kreditgeldsystem
zu erzählen.
Denn, wie die Autoren auf S. 12 richtig
erkennen:
"Es
fühlt sich einfach nicht gut an, wenn man erfährt, dass man belogen und
betrogen wird."
Auch dieser Feststellung kann man als Leser
ihres Buches (bzw. Textauszuges) nur beipflichten.
"Nach
der Lektüre werden Sie ..... nachvollziehen können, warum es bei der Verwendung
schlechten Geldes immer wieder zu Wirtschaftseinbrüchen kommt, warum Banken ins
Trudeln geraten, warum die Preise für Güter und Dienstleistungen immer weiter
steigen."
(Maßvoll) steigende Preise sind nicht per se
nachteilig. Entscheidend für die Position der Geldbesitzer (soweit sie ihr Geld
"arbeiten" lassen) ist immer die Realverzinsung. Preissteigerungen
sind damit insoweit unproblematisch, als ihre (Netto-)Zinserträge (nach
Steuern) höher sind. Das gleiche gilt für Arbeitnehmer und Unternehmer: Solange
die Preise (für Konsumgüter, oder bei Unternehmen für Vorprodukte) nicht
stärker steigen als die Löhne und Gewinne, machen sie bei der Inflation keinen
Verlust. Wer das verschweigt, indem er Preissteigerungen an sich als schädlich
hinstellt, täuscht seine unkundigen Leser auch in diesem Punkte.
Ein Problem haben Geldbesitzer dann, wenn
ihre realen Zinserträge negativ sind. Dasselbe gilt für Arbeitnehmer und
Unternehmer, wenn die Kaufkraft ihrer absoluten Löhne bzw. Gewinne sinkt. Eine
solche Situation hat es sicherlich auch in der Vergangenheit des modernen
Fiatgeldes nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben; großenteils dürfte der Realzins
allerdings positiv gewesen sein.
Aus welchem Grund der Realzins (für Einlagen; die Kreditzinsen liegen
i. d. R. ja höher) negativ wurde (erst seit der Finanzkrise, oder bereits
vorher?) weiß ich nicht. Ben Bernanke hatte schon im Jahr 2005, und somit vor der Krise, eine "savings glut" ausgemacht, eine
Sparwut, die zu einem Kapitalüberhang geführt habe ("The
Global Saving Glut and the U.S. Current Account Deficit"; Rede vom 10.03.2005).
Hier müssen wir diese Problematik nicht vertiefen oder gar lösen; es
reicht der Hinweis, dass B./M. sie offenbar gar nicht erst aufwerfen und sich
somit auch nicht die nahe liegende Frage stellen, ob nicht bei einer weitgehend
starren (Gold-)Geldversorgung eine massive Unterauslastung der Volkswirtschaft
eintreten könnte.
Offiziell halten die Austrians
immer die ehrliche Arbeit hoch. Allerdings stößt, wer sich in der besonders in
den USA weit verbreiteten österreichischen
Bloggerszene umsieht, auf zahlreiche Vermögensberater und Kleinspekulanten.
Auch bei uns entpuppt sich im Internet das österreichische
Gedankengut eng mit der spekulierenden Edelmetallszene verknüpft. Deswegen
steht zweifellos die Erzielung einer möglichst hohen Rendite für die
Geldbesitzer im Zentrum des vulgärösterreichischen Denkens, Sinnens und
Trachtens.
Indes ist Renditeerzielung kein
Menschenrecht.
Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Geldsystem gut oder schlecht
ist, ist im Zweifel NICHT seine Kaufkraftstabilität oder seine Fähigkeit, den
Geldbesitzern eine hohe Rendite zu sichern (die naturgemäß von den anderen, in
der Regel den Arbeitnehmern, erarbeitet und "abgeliefert" werden
müsste). Sondern seine Fähigkeit, die Realwirtschaft "auf Volllast"
fahren zu helfen. (Eine florierende Realwirtschaft liegt letztlich auch im
Interesse der Geldbesitzer. Aber mit einer solchen Gesamtbetrachtung, die über
den Tellerrand der unmittelbar sichtbaren (scheinbaren) eigenen Interessen
hinausgeht, sind die meisten Menschen (nicht nur die Austrians) überfordert.
Deshalb hier noch einmal das Keynes-Zitat von oben:
"Das richtige Heilmittel für den
Konjunkturzyklus liegt nicht darin, daß wir die Aufschwünge abschaffen und
somit dauernd in einer Halbstockung verharren, sondern darin, daß wir die
Stockungen abschaffen und uns somit dauernd in einem Quasi-Aufschwung
halten."
Andauernde "Halbstockungen", mit entsprechenden hohen
Arbeitslosenzahlen, wären jedoch die unausweichliche Konsequenz einer starren
(Gold-)Geldversorgung.
Nachdem die beiden Monetär-Marktschreier
Bagus und Marquart den Sozialstaat in verantwortungsloser Weise pauschal schmähen
muss man unterstellen, dass sie auch die Leistungen bei Arbeitslosigkeit abschaffen
wollen. Wenn sie gleichzeitig ein Geldsystem fordern, das mit ziemlicher
Sicherheit eine geringere Kapazitätsauslastung und damit eine deutlich höhere
Arbeitslosenquote zur Folge haben würde, kann man das nur als zynisch
bezeichnen. Erneut fühlt man sich in frühere Zeiten zurückversetzt: In die
Mentalität des 19. Jahrhunderts. Darüber erfährt man unter dem
Wikipedia-Stichwort "Goldstandard":
"Die verbreitete Vorstellung, der
Goldstandard führe zu einer besonderen 'Stabilität', muss vor dem geistigen
Horizont der damaligen Zeit betrachtet werden. Arbeitslosigkeit wurde überhaupt
erst Anfang des 20. Jahrhunderts als ökonomisches Problem wahrgenommen. In der
viktorianischen Zeit war es international üblich Arbeitslose als Faulenzer oder
Vagabunden zu bezeichnen. Diese Wortwahl verrät, dass Arbeitslosigkeit als
Persönlichkeitsschwäche wahrgenommen wurde und noch keine makroökonomischen
Einflüsse hinter dem Ansteigen und Fallen der Zahl der Arbeitslosen erkannt
wurden."
Auf S. 15 zitieren die Autoren, offenbar zustimmend, Roland Baader:
"Was die Völker jahrzehntelang vorausgefressen haben, werden
sie nun jahrzehntelang nachhungern müssen."
Wir wissen, dass und auf welche Weise das griechische Volk (das jetzt
nichts davon wissen will und alle Schuld auf seine Politiker schiebt)
tatsächlich "vorausgefressen"
hat. Dass es den entsprechenden Zeitraum nachhungern muss, ist eher
unwahrscheinlich: Von den gutmütigen deutschen Steuereseln wird schon frisches
Geld kommen.
ABER: Im Zitat heißt es "die" Völker. Und das kann sich nur
die Gesamtheit aller Völker beziehen.
Auf dieser Ebene gibt es (ebenso wie in einer geschlossenen
Volkswirtschaft) aber kein "Vorausfressen" in diesem Sinne. Wenn sich
die einen verschulden, mehrt sich der Geldbesitz der anderen. Einzelne Gruppen
können natürlich "vorausfressen".
In der Summe ist die entscheidende Frage aber: Wie kann eine möglichst volle
Auslastung der Wirtschaft gewährleistet werden; was kann das Geldsystem dazu
beitragen (oder welches Geldsystem wäre ggf. diesem Ziel abträglich).
Wenn wir vor der Alternative stehen
-
Vollauslastung
mit Schulden oder
-
Unterauslastung
(mit dem entsprechenden Elend zahlreicher Menschen) ohne Schulden
dann ist eine "Schuldenwirtschaft",
bzw. eine Geldmengenexpansion, allemal die bessere Alternative.
Zweifellos würden die Austrians
behaupten, dass gerade ihr Geldsystem eine optimale Auslastung der Wirtschaft
gewährleistet. Aber solange diese Monetär-Genies es nicht selber diskutieren,
muss auch ich auf dieses hypothetische Gegenargument nicht eingehen. Das sich
u. a. vor dem Hintergrund historischer Krisenerfahrungen sicherlich widerlegen
oder zumindest substantiiert bestreiten lässt.
Wollte man die Äußerung von Baader nicht auf die Gesamtauslastung einer
Volkswirtschaft beziehen, sondern auf das Verhältnis von Konsumausgaben zu
Investitionsausgaben, wäre einzuwenden, dass die Investitionsquote in einer
Marktwirtschaft eben durch den Markt geregelt wird. Und wer kritisieren will,
dass etwa die Infrastrukturaufwendungen des Staates zu gering sind (die
bekanntlich nicht den Marktmechanismen unterliegen), der möge das konkret tun.
Jedenfalls: Auch auf diesem Sektor ist der Rückstand nicht so hoch, dass er nur
durch "jahrzehntelanges Nachhungern"
korrigierbar wäre.
"Geld ist ... nicht durch
einen schöpferischen Akt des Staates entstanden" behaupten die Autoren
auf S. 15 und versprechen zu "... erklären,
wie Geld ursprünglich entstanden ist".
Zunächst einmal wäre es ausgesprochen unpraktisch, Goldnuggets als Geld
verwenden zu müssen. Die sehr viel leichter handhabbaren Münzen, also genormtes
Geld, sind indes sehr wohl Schöpfungen des Staates.
Daneben jubeln die Autoren ihren Lesern hier die Behauptung unter, dass
Geld als Tauschmittel, und in Form
von Warengeld, entstanden sei. Das ist fraglich.
Es ist durchaus möglich, dass Geld ursprünglich als Kreditgeld entstanden ist. Tatsächlich
gibt es jahrtausendealte Tontafeln aus dem Zweistromland, auf denen Schulden
verzeichnet sind. Und Thomas Mayer (s. o.) nimmt u. a. auch auf David Graeber
Bezug, dessen Buch "Schulden: Die ersten 5000 Jahre" den Kredit, und somit
zweifellos auch das Kreditgeld, durch eine jahrtausendelange Weltgeschichte
verfolgt.
Unabhängig von den Prioritäten
kann man auf jeden Fall sagen, dass (auch) das Kreditgeld sehr alt ist. Und vor
allem gab es, was B./M. offenbar total ausblenden, im Abendland spätestens seit
dem hohen Mittelalter neben Münzgeld (Warengeld) immer auch Kreditgeld. Und das
nicht nur bei den Großkaufleuten, sondern als Kerbholz (engl. talley stick)
auch für kleine Schulden
Für Alfred Mitchell Innes ist
sogar jede Geldform, also auch Warengeld, ein Kredit.
Dass die Autoren diesen
Gesichtspunkt nicht einmal ansatzweise diskutieren, sondern mit einem
didaktischen Tauschmittel-Beispiel ihren Lesern suggerieren, Geld habe in der
Vergangenheit immer nur als Tauschmittel existiert, zeigt ebenfalls, dass es
ihnen nicht um Aufklärung geht, sondern um pure Propaganda.
Entsprechend bleibt auch auf S. 20 das Kreditgeld unerwähnt: "Die Marktteilnehmer einigen sich freiwillig auf ein bestimmtes Geld
oder auch auf mehrere Geldarten, die dann nebeneinander verwendet werden. In
der Geschichte waren dies meist Gold, Silber oder auch Kupfer."
Und ebenso auf S. 21 Abs. 1, wo die Existenz von Kreditgeld durch lange
historische Epochen ebenso unterschlagen wird wie der Umstand, dass gerade das
Kreditgeld ohne den Staat entstanden ist.
S. 21 Abs. 2 geht es um das Kernanliegen der Autoren (meine
Hervorhebung):
"Was zeichnet dieses Geld –
wir nennen es gutes Geld – aber
aus? Warum gerade Gold oder Silber? Ganz einfach: Edelmetalle sind knapp,
teilbar, homogen, billig zu transportieren und aufzubewahren, relativ leicht in
ihrem Gehalt zu erkennen ....., von enormer Haltbarkeit, werden intensiv und
konstant nachgefragt, und vor allem – sie
sind nicht beliebig vermehrbar."
Eben das ist es, was den Autoren am Herzen liegt: Die Umstellung
unseres Geldsystems auf eine Geldform, die "nicht beliebig vermehrbar" ist.
Entsprechend auch S. 22 oben: "Wir
denken, dass es klar geworden ist, was unter gutem Geld zu verstehen ist."
Damit kann nur die (weitgehende) Nichtvermehrbarkeit gemeint sein.
Was sie dabei unerwähnt lassen, ist die Interessenperspektive. Das ist
schon deshalb völlig unverständlich, weil ausgerechnet Prof. Bagus die Existenz
von "Gesellschaft" negiert
und alles auf Interessen reduzieren will (s. o. über meine Facebook-Debatte mit
ihm).
Und dann will er uns sein Geldsystem als objektiv - und das kann ja nur
heißen: für die Gesellschaft als Ganzes - "gut" verkaufen? Das finde
ich ziemlich unreflektiert!
Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass es jedenfalls im Abendland in der
Neuzeit eine volle Golddeckung nirgends gab (vgl. Stichwort "Goldstandard" in der Numispedia; s. a. Wikipedia und, sehr
ausführlich, wiwiwiki.net.). Und dass neben Goldmünzen und Banknoten
immer auch (weitere) Formen von Kreditgeld im Umlauf waren.
Auf einer Goldkauf-Webseite erfahren wir, dass der Goldstandard
frühestens im 18. Jahrhundert begonnen habe, aber wegen unterschiedlicher
Definitionen die Zeitdauer unterschiedlich zwischen 200 und 50 Jahren angesetzt
wird. Goldmünzen gab es zwar auch im Abendland schon sehr viel früher; berühmt
waren insbesondere die Florentiner Gulden und die venezianischen Dukaten. Aber
daneben existierten unzählige andere Währungen in zahlreichen Geldformen.
Die Numispedia informiert uns auch:
"Bei den aktuellen
Edelmetallkursen würde die gesamte bisher geförderte Goldmenge nicht ausreichen,
um sämtliche nichtgoldenen Zahlungsmittel (einschließlich Buchgeld, das ca. 90
Prozent der Geldmenge ausmacht!) entweder als Goldumlaufgeld zu ersetzen oder
als bei den Banken hinterlegte Deckung der nichtgoldenen Zahlungsmittel zu
dienen. Selbst bei Einbeziehung von Silber und Platin würde zur Zeit keine
volle Deckung erreicht. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die
Einführung eines vollen Edelmetallstandards für eine der Leitwährungen die
Edelmetallpreise aufgrund der dann immensen Nachfrage bei nur schwierig zu
steigerndem Angebot stark ansteigen ließe, so dass eine volle Deckung auf
diesem Wege vorstellbar wäre, aber andererseits staatliche Verschuldungspolitik
wesentlich erschweren würde."
Es würde aber keineswegs nur die staatliche Schuldenaufnahme erschwert: Für
diejenigen, die Goldgeld benötigen, wäre das ein teurer Spaß, d. h. sie müssten
sehr viel mehr der von ihnen produzierten Güter (bei Arbeitnehmern: sehr viel
mehr Arbeitsstunden) "eintauschen", um an Gold zu kommen, als beim
Papiergeld (vgl. oben, Murray Rothbard über "windfall profits"). Ich
vermute, dass die Bagus/Marquart ihren Lesern auch im Rest des Buches derartige
'Nebensächlichkeiten' verschweigen.
Auf jeden Fall spricht schon diese Tatsache gegen die Annahme, dass sich in einem freien Wettbewerb Gold als Geldform etablieren würde.
Ebenfalls auf S. 21 erfahren wir bei B./M.:
"Nach der Einführung des
Euro gab es schon mal Jahre, in denen nach Angabe der Europäischen Zentralbank
die Geldmenge M3 mit einer Jahresrate von zwölf Prozent (!) gewachsen ist."
Nur über die Gründe, die zu dieser Geldmengensteigerung geführt haben,
sagen die Autoren nichts. Und natürlich auch nichts darüber, dass dieses Geld
größtenteils von den privaten Banken geschöpft wurde - und nicht von den
"bösen" Zentralbanken. Wer und aus welchen Gründen sich für dieses
Geld verschuldet hat (die Staatsschulden sind ja wohl kaum jährlich um 12%
gestiegen?), wird ebenfalls nicht hinterfragt.
Falsch ist wiederum der zweite Teil der Behauptung S. 22 unten, dass
"hinter unserem Geld keinerlei
Sachwerte stecken und sein Wert nur auf Vertrauen basiert". Sachwerte
stecken in der Tat keine dahinter. Das heißt aber eben nicht, dass der Wert von
kreditär geschöpftem Geld nur auf Vertrauen basieren würde. Sondern auf der ihm
innewohnenden volkswirtschaftlichen Deckung, d. h. letztlich auf dem inhärenten
Zwang für den Kreditnehmer, seinerseits etwas am Markt anbieten zu müssen, um
den Kredit tilgen zu können.
Weitere Links zu Arbeiten von oder über Bagus
und Marquart:
Eigene Texte von Bagus und/oder Marquart:
Besprechungen ihres Buches:
-
Christoph Braunschweig, Professor der Staatlichen
Wirtschaftsuniversität Jekaterinburg (also in Russland; B. ist ebenfalls ein
Anhänger der österreichisch-libertären
Richtung) für die Junge Freiheit; erschienen am ?
-
"Sparen
ist bei Regierungen unbeliebt" Saskia Littmann in der WirtschaftsWoche vom 09.05.2014
-
Ralf Streck
(Telepolis 12.05.2014; ausführlich, eher kritisch; Replik von Bagus ebd. am
15.05.14 s. o.)
-
"Unser
Geld ist schlecht",
Andrea Wörle in FinanzMonitor vom 20.05.2014. Ihr Fazit: "Zwar
stellenweise unterhaltsam, aber insgesamt ein recht ideologisches Buch. Daher
ist es vor allem für Anhänger von Mises & Co geeignet und für all
diejenigen, die sich mit der oben genannten Lösung anfreunden können."
-
"Auf
180 Seiten zur 180-Grad-Denkwende" titelt Diana Kupfer im Magazin ef (eigentümlich frei) vom 26.05.2014. Ideologisch
ist sie, was die ökonomische Dimension angeht, mit den Autoren naturgemäß (ef!)
auf einer Wellenlänge. Aber mit einem Aspekt mag sie sich ganz und gar nicht
abfinden, nämlich der "konservativen bis reaktionären Gesellschaftsutopie" der Autoren (damit meint sie allerdings nicht jene Anachronismen,
die ich oben identifiziert hatte, sondern Äußerungen an anderen Stellen im
Buch, die offenbar in Richtung "Frauen
an den Herd" gehen).
-
Auf
"The European" titelt der AfD-Hasser
Rechtsanwalt Heinrich Schmitz am 22.06.2014: "Die AfD-Bibel"; das ist
natürlich Kokolores. Die Wirtschaftswissenschaftler (Lucke, Starbatty) und Praktiker (Henkel) an der Spitze unserer AfD würden
dieses Buch wahrscheinlich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen. Allerdings
ist Schmitz' bissige Kritik durchaus lesenswert, und ich denke, in den
allermeisten Punkten kann ich ihm folgen. Seinen Tiraden gegen meine AfD
natürlich nicht. (Übrigens bin ich selber mit Heinrich Schmitz bei
Facebook "befreundet" - aber
definitiv nicht mit dem libertären AfD-Anhänger identisch, den er
verschiedentlich erwähnt.) ;-)
-
Klaus Peter Krause, Volkswirtschaftler
und ehemaliger FAZ-Redakteur (Wirtschaft!) und
heute als Blogger, aber auch als Autor der "Die Freie Welt"
tätig (herausgegeben von der Zivilen Koalition, dem Netzwerk von Sven und
Beatrix von Storch, die ihrerseits Europaabgeordnete der AfD ist - wo sich dann
also doch noch ein AfD-Bezug auftut), fordert in einer ziemlich euphorischen
Besprechung vom 09.12.2014 in seinem Blog "Lesen Sie dieses Buch" (ebenso bei FW).
Nun ja ...
-
Die Amazon-Kundenrezension (mutmaßlich - fast -
alle von wirtschaftswissenschaftlichen Laien) sind zum allergrößten Teil sehr
positiv. 6 Kommentatoren haben jedoch dem Buch lediglich einen Stern, also die
schlechteste Bewertung, gegeben. Darunter der Kommentator
L. Kotzor: "Das Ganze ist in
höchstem Maße unseriös: Bagus nennt sich Professor, verschweigt aber, dass er
nur Professor in Spanien ist, wo für diesen Titel ein Doktor reicht. [Dass
Bagus das verschweigt, mag übertrieben sein. Und Professor ist er ja nun
einmal. Aber die Information, dass ein Professor in Spanien kein Habilitierter
sein muss ist nicht nur allgemein interessant, sondern auch ganz konkret
angesichts der intellektuellen Dürftigkeit dieses Machwerks.] Ähnlich Marquart. Er hat niemals studiert und
war sein leben lang Finanzdienstleister - sprich Strukturvertriebler - und
niemals Banker, wie angegeben.* Wenn ein Finanzdienstleister Ahnung von dem
hätte, was er da ja tagein tagaus dem "kleinen Mann" andreht, dann
würde er nicht als Finanzdienstleister arbeiten...... . Die Autoren führen
vermehrt Scheinargumente auf (oder haben einfach keine Ahnung) und ziehen oft
sehr unlogische Schlüsse. Es tut wahrlich weh, das zu lesen." Das
deckt sich mit dem Eindruck, den ich selber aus der Lektüre des online
verfügbaren Auszugs gewonnen habe. *
Dem tritt Marquart in einem Kommentar zum Kotzor-Kommentar teilweise entgegen:
"Nur kurz und nur, weil Sie falsche
Behauptungen aufstellen: 1983 Lehre zum Bankkaufmann und bis 1998 als
Bankkaufmann / Fachwirt in der Bank tätig."
Schluss: Wer
sind die Nutznießer des Monetärobskurantismus?
Zusammenfassend halten wir fest:
- Alle 3 Bücher fordern ein System, in welchem Geld nicht beliebig vermehrbar ist
- Polleit/Prollius und Bagus/Marquart haben offenbar Goldgeld im Sinn.
- Thomas Mayer hält das für verzichtbar und will durch entsprechende institutionelle Vorkehrungen (Geldschöpfung nur durch Zentralbank) für eine Geldmengenbeschränkung sorgen. Allerdings fordert er eine Form der Geldschöpfung, die weder Warengeld noch Kreditgeld schafft. Und damit Willkürgeld, bei dem keinerlei automatischer Zusammenhang zwischen Geldschöpfung und Güterangebot besteht. Dadurch wird es zur gefährlichsten, weil inflationsträchtigsten Geldform überhaupt.
Auf eine zentrale Frage (die schon in der
Überschrift aufgeworfen wird) bin ich bislang noch gar nicht eingegangen:
Wer profitiert (nicht unmittelbar materiell,
sondern propagandistisch im gesellschaftlichen Diskurs) davon, wenn das Volk
die Ursachen für die Finanzkrise im Geldsystem sucht?
Aus meiner Sicht ist eine solche Verortung eindeutig eine
Verschleierung der wirklichen Krisenursachen. Denn nicht irgendein Geldsystem
macht die Reichen immer reicher, sondern ihr Eigentumsrecht, das es ihnen
ermöglicht, "Tribute" zu erheben (= ihr Eigentum mit Gewinn zu
vermieten oder zu verkaufen).
Das wäre für sich wahrscheinlich kein Problem,
wenn die Besitzenden ihr so aus der Realwirtschaft herausgezogenes Geld dort
wieder als Nachfrage einspeisen würden: Durch Konsumausgaben und/oder durch
Investitionen. Das scheinen sie allerdings in großem Umfang nicht zu tun.
Teilweise können sie gar nicht so viel verkonsumieren, wie sie verdienen.
Andererseits sehen sie in der Realwirtschaft aber auch keine renditeträchtigen
Investitionsmöglichkeiten. Das liegt allerdings auch an ihrer eigenen
Kapitalüberakkumulation: Weil sie selber ihre Hortgelder großenteils nicht an
die anderen Wirtschaftsteilnehmer als Nachfrage nach deren Dienstleistungen und
Produkten zurückgeben, fehlt es aus der Investorenperspektive an der
erforderlichen Kaufkraft, um neue Investitionen zu tragen.
Ein Teufelskreis also.
Natürlich kommt in solchen Debatten den
Gegnern schnell der Marxismus-Vorwurf über die Lippen. Das ist aber kein
valides Argument. Denn entweder besteht der von mir als wahrscheinliche
(tiefere) Krisenursache identifizierte Mechanismus - oder eben nicht.
Von den Vulgäraustrians
unterscheidet sich meine Betrachtungsweise u. a. auch dadurch, dass ich meine
Vermutung zum Krisenhintergrund eben als Vermutung ansehe, oder, genauer, als
eine Arbeitshypothese, die im Detail (in einem umfassenden Forschungsprojekt)
erst noch verifiziert werden müsste. Und damit natürlich auch falsifiziert
werden könnte. (Vgl. dazu etwa meine Blotts "Es
ist nicht gut, dass der Mensch allein denke!" vom 28.02.2010 und
" 'Manhattan
Project' für die Wirtschaftswissenschaften!" vom 28.02.2013.)
Die Fragwürdigkeit des gedanklichen Ansatzes
aller Autoren, die scheinbare Störfaktoren im Geldsystem nur dort zu suchen,
lässt sich durch einen Vergleich mit der Medizin verdeutlichen (der seinerseits
auf den altbekannten Vergleich vom Geldumlauf mit dem Blutkreislauf anspielt).
Wenn die Venen verkalkt sind käme niemand auf
die Idee, diesen Defekt dadurch heilen zu können, dass man im 'Blutsystem' nur noch rote oder weiße
Blutkörperchen zulässt, das Verhältnis von Hämatokrit zu Plasma ändert, mehr
Wasser zugibt usw.
Beim Geldsystem indes glauben sämtliche Monetärschamanen
(keineswegs nur solche, die sich der österreichischen
Schule der Wirtschaftswissenschaften zurechnen) am Geld herumdoktern zu müssen
und zu dürfen. Nur wenige Wirtschaftswissenschaftler ziehen die Möglichkeit in
Betracht, dass die Probleme in der realwirtschaftlichen Sphäre liegen könnten,
bzw. an der Schnittstelle von Geldwirtschaft und Realwirtschaft.
In der Summe muss ich den oben behandelten 5
Autoren attestieren, dass sie die tiefe Einsicht des Kerkermeisters Rocco aus
der Oper Fidelio eindrucksvoll bestätigen:
"Wenn sich nichts mit nichts verbindet, ist
und bleibt die Summe klein."
Nur die Fortsetzung der Arie müssen wir ein
wenig modifizieren:
Wer kein bess'res Wissen findet, wird sehr
real bald hungrig sein!
Nachträge 01.01.2015:
Vgl. zum Gesamtkomplex "Austrians/Libertäre + Geldsystem" auch meinen früheren, mehr allgemein gehaltenen und relativ kurzen Blott "Warum die Libertären nichts vom Geldwesen verstehen" (22.06.2014).
Umfangreiche Argumente gegen einen Übergang zur Goldwährung präsentiert ein Günter Hannich in einer vierteiligen Artikelserie "Goldwährung ist kein Ausweg" (Teil 1) vom 28.09.2010 ff. auf seiner Webseite Europa-Crash.de. Hannich fordert anscheinend ein zinsfreies Geldsystem; dem stehe ich eher reserviert gegenüber. Aber seine Argumente gegen Gold als Geld überzeugen (mich). Aus der Zusammenfassung in Teil 4 (v. 13.10.2010; meine Hervorhebungen):
"Gegenüber ihren großen Nachteilen hätte eine Goldwährung höchstens zwei Vorteile: keine Inflation und - psychologisch bedingt– höheres Vertrauen in die Währung. Übersehen wird dabei jedoch, dass wir heute gar keine nennenswerte Inflation mehr haben und dass es noch keine Probleme mit dem Vertrauen in unsere heutige Papierwährung gibt. Selbst der ungeliebte Euro wird von Jedem akzeptiert. Mit der Goldwährung sollen also Probleme gelöst werden, die wir gar nicht haben.
Die Geschichte zeigt, dass eine Inflation noch nie das große Problem war. Selbst in der Hyperinflation 1923 in Deutschland hatte fast Jeder ausreichend zu essen und Arbeit. Demgegenüber gab es Hunger, Arbeitslosigkeit, Elend und schließlich Krieg bei der Deflation der 30er Jahre. Durch eine Goldwährung dagegen würden massive Verwerfungen entstehen:
- Deflation wahrscheinlicher als Inflation: Beim Anschein einer Krise (Beispiel: 11. September 2001) zieht sich das Goldgeld sofort vom Markt zurück, und die Wirtschaft gerät in eine sich selbst verstärkende Deflationsspirale.
- Schwache Länder bluten aus, da sie kein Gold besitzen und das Kapital bei fehlendem Wechselkurspuffer immer von den schwachen in die starken Länder abwandert.
- Zwischen unterschiedlichen Ländern bestehen keine Ausgleichsmechanismen, denn die Währungen sind über das Gold starr gekoppelt.
- Die wenigen großen Goldbesitzer erlangen mehr Macht über das weltweite Geld: Eine Minderheit bestimmt über die Wirtschaft.
Die Vorliebe für ein Goldgeld resultiert aus einer völlig falsch verstandenen Funktion des Geldes. Viele Leute meinen, Geld selbst müsse einen Wert haben. Dabei übersehen sie jedoch, dass die „Deckung“ des Geldes bereits die Waren und Leistungen sind, die durch Geld nur besser tauschbar sind als direkt. Geld ist also nichts anderes als ein Vermittler, der den Erwerb von beliebigen Waren oder Dienstleistungen erleichtert."
"Gold - die ewige Währung" lautet der Titel einer ausführlichen und informativen CAPITAL-Reportage vom 23.12.2013. Claus Hecking informiert darin u. a. auch über die hohen Förderkosten (die bei Einführung von Goldgeld natürlich das Geld entsprechend teuer machen würden) und die starken Kursschwankungen des Goldpreises.
In dem Interview "Eine Goldwährung wäre archaisch und unmodern" vom 10.11.2012 bringt Holger Schmieding, Chefvolkswirt bei der Berenberg Bank, ein weiteres Argument gegen eine Goldwährung (meine Hervorhebung):"... den Wert unseres Geldes direkt an den Wert des Goldes zu knüpfen, ist völliger Unsinn. Die Goldpreise haben in den letzten 30 Jahre relativ zum Dollar oder relativ zu D-Mark und Euro dramatisch geschwankt. Hätten wir unser Preisniveau an das schwankungsanfällige Gold gekoppelt, was wir dann für eine dramatische Entwicklung bei unserem Preisniveau gehabt? Uns hätte abwechselnd Inflation und Deflation geblüht.[Interviewer:] Aber hätte sich der Goldpreis nicht ganz anders entwickelt, wenn Gold die Basis unserer Währung gewesen wäre?
Wahrscheinlich ja. Nur wie, ist unklar. Wir hätten beispielsweise trotzdem in den letzten 15 Jahren eine massive Zusatznachfrage nach Gold aus China und Indien gehabt. Dort sind Frauen reicher geworden. Und gerade dort möchten sie sich gerne mit Gold schmücken, zum Beispiel zur Hochzeit. Wollen wir wirklich, dass die Hochzeitssitten in Indien und der Aufstieg einer indischen Mittelklasse unser Preisniveau um die Hälfte sinken lassen muss, wenn sich dank dieser Zusatznachfrage der Goldpreis verdoppelt."
Nachtrag 23.02.2015
In einer "Review of Treatise on Money by Joseph A. Schumpeter" von einem Jo Michell findet sich in der Anm. 2 folgender Hinweis:
"Schumpeter is highly critical of the chartalist approach of Knapp ([1905] 1924) as well as dismissing monetary reformers: 'A sharply-defined type of social reform monomaniac sees money, it's reform or abolition, as a social panacea . . . ' (p. 4)"
Das ist insofern amüsant, als sich zumindest in Foren die Vulgär-Österreicher unter anderem gerne Schumpeter als einen ihrer Ahnherrn anführen, der ihre Ideologie beglaubigen soll.
ceterum censeo
Zerschlagt den €-Gulag
und den offensichtlich rechtswidrigen Schlundfunk der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven!
Textstand
vom 02.09.2024
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