Ich bin gewiss kein Freund der angeblichen Antideflationspolitik der EZB, die lediglich als Vorwand zur Umverteilung innerhalb der Eurozone zu Lasten Deutschlands dient. (Vgl. auch meinen Blott "EZB: Die Europäische Zentrale Schwindel-Bank täuscht eine geldpolitische Zielsetzung bei den angekündigten Staatsanleihenkäufen nur vor", datierend vom 01.11.2012. Zwischenzeitlich haben Don Draghi und seine Süd-Kumpane ja bereits riesige Fortschritte bei der Entwicklung innovativer Umverteilungsmechanismen gemacht).
(Erg. 17.11.2014: Die Notwendigkeit, Deflation in den Krisenländern der Eurozone zu akzeptieren, hat auch Prof. Hans-Werner Sinn erläutert. In einer Pressemitteilung vom 26.10.2014 zum Banken-Stresstest - der hier als solcher aber nicht interessiert - sagte er:
"An einer Änderung der relativen Preise, die neben einer Inflation im Norden auch eine Deflation im Süden beinhaltet, kommt man aber nicht vorbei, wenn man die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer ohne einen Anstieg des durchschnittlichen Preisniveaus im Euroraum wiederherstellen möchte. Wenn man die Wettbewerbsfähigkeit allein über eine sehr hohe Inflation im Norden herstellen wollte, würde man das Mandat der EZB, im Durchschnitt stabile Preise zu gewährleisten, verletzen“.)
"An einer Änderung der relativen Preise, die neben einer Inflation im Norden auch eine Deflation im Süden beinhaltet, kommt man aber nicht vorbei, wenn man die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer ohne einen Anstieg des durchschnittlichen Preisniveaus im Euroraum wiederherstellen möchte. Wenn man die Wettbewerbsfähigkeit allein über eine sehr hohe Inflation im Norden herstellen wollte, würde man das Mandat der EZB, im Durchschnitt stabile Preise zu gewährleisten, verletzen“.)
Dennoch ist Deflation keineswegs in allen Fällen so harmlos, wie insbesondere Anhänger (Wirtschaftswissenschaftler und Laien) der sog. "österreichischen" Schule der Volkswirtschaftslehre ("Austrians") uns weismachen wollen.
Als Einstieg in die - abstrakte - Deflationsdebatte empfiehlt sich vielleicht der Aufsatz "Zur Diskussion über Deflationsgefahren in Deutschland" aus dem Monatsbericht 2003 der Deutschen Bundesbank.
Selber habe ich mich in meinem Blott "Deflation
demystified oder: Eine Deflationsursache gibt es nicht!"
insbesondere mit den möglichen unterschiedlichen Deflationsursachen, und den
entsprechend unterschiedlichen ökonomischen Folgen, auseinandergesetzt (und
auch zu zahlreichen Medienberichten und Fachaufsätzen verlinkt). Außerdem unter
"Ein
Ausflug in die Gedanken-Welt der 'Österreicher' ".
Dabei sind mir insgesamt sieben theoretisch
denkbare Deflationsursachen eingefallen, die man aber in 5 (bzw. 4 + 1)
Kategorien zusammenfassen kann:
·
Attentismusdeflation (Kunden - hier i.
S. v. potentielle Käufer gebraucht - warten auf Preisverfall: schlecht)
·
Kostendeflation (Unternehmen
können Preise durch Rationalisierung senken: gut)
·
Verweigerungsdeflation (Kunden haben keine Lust zum Kaufen: schlecht, aber wohl weniger
praxisrelevant)
·
Mangeldeflation (Kunden haben
kein Geld: schlecht)
·
Korrekturdeflation (als Nachfrageausfall - in der Praxis handelt es sich um eine Form der
"Mangeldeflation" - schlecht; vermutlich aber ökonomisch insoweit
heilsam, wenn nicht sogar notwendig, als sie die Preisrelationen wieder ins Lot
rückt, also z. B. die für den Immobilienkauf aufzuwendenden durchschnittlichen
Arbeitsstunden wieder senkt).
Ein Beispiel für eine besonders dreiste Deflationsverniedlichung
von Seiten der "Austrians" bietet Philipp Bagus, (deutscher)
Professor an einer spanischen Universität, in einem zweiteiligen Aufsatz,
dessen erster Teil unter "Preisdeflation
ist kein gesamtwirtschaftliches Problem" am 11.04.2014
erschienen ist.
Zunächst unterscheidet er
(aus meiner Sicht zwar unvollständig, aber bei dem, was er aufnimmt, immerhin
überzeugend) drei Deflationsarten:
·
Wachstumsdeflation
(= in meiner Terminologie: "Kostendeflation").
·
Kassenbildungsdeflation,
also sparbedingte Deflation; diese fehlt oben bei mir und müsste ergänzt werden.
Teilweise ist sie identisch mit meiner "Attentismusdeflation", die als eigenständige Gruppe wiederum
bei Bagus nicht vorkommt (wohl aber wird der Sachverhalt in seinem Text
behandelt). Tatsächlich ist Attentismusdeflation jedoch eine sehr wichtige,
weil realwirtschaftlich besonders gefährliche, Deflationsart, auch wenn sie
sich natürlich mit der "Kassenbildungsdeflation"
überschneidet. (Vielleicht müsste man die Deflationsursachen bzw.
Deflationsarten bei genauerer Analyse letztlich in Matrixform darstellen?)
·
Kreditkontraktionsdeflation. Die scheint auf
den ersten Blick meiner "Mangeldeflation"
zu entsprechend. Allerdings hatte ich bei dieser Begriffsbildung an fehlendes
Einkommen (etwa wg. Arbeitslosigkeit) gedacht. Dieser mögliche Deflationsgrund
(sehr real 1929 ff.!) erscheint nicht bei Bagus, wohingegen bei mir seine Kreditkontraktionsdeflation
fehlt (die man aber als Untergruppe der "Mangeldeflation" einfügen könnte). [Nachfolgend gehe ich davon
aus, dass mit "Kreditkontraktion" eine restriktivere Kreditvergabe
gemeint ist; ein Rückgang der Kreditnachfrage wäre ja als Sparen zu bewerten,
also unter der Kassenbildungsdeflation einzuordnen.]
Festzuhalten ist immerhin, dass im Rahmen
der Bagus'schen Kategorienbildung die "Kassenbildungsdeflation"
und die "Kreditkontraktionsdeflation"
zu einem Nachfrageausfall und damit zu realwirtschaftlichen Schwierigkeiten
führen können.
Die Kreditkontraktionsdeflation schafft er jedoch
als realwirtschaftlichen Störungsfaktor gleich zu Beginn wieder elegant aus der
Welt, bzw. zumindest aus der seiner Meinung nach idealen Welt ohne Fiatgeld.
Und zwar mit der Behauptung:
"Nur
in einem teilgedeckten Bankensystem kann es eine Kreditkontraktion geben. Bei
Volldeckung können Banken hingegen kein neues Geld durch Kreditausweitung
schaffen und somit auch nicht zerstören. Die Geldmenge kann sich abgesehen von
physischem Verlust nicht verringern. Bei einem vollgedeckten Warengeld muss man
sich also nicht vor einer Kreditkontraktion fürchten."
Bereits das ist falsch. Offenbar denkt Bagus
als Alternative zum Kreditgeld an Edelmetallgeld, also Gold und/oder Silber.
Auch bei Edelmetallen kann sich jedoch die Geldmenge verringern, nämlich durch
einen Vorgang, den man in der frühen Neuzeit als "Verschatzung" beschrieben hat: Dazu liest man, dass etwa
Silber im 16./17. Jh. zu Prunkgeschirren eingeschmolzen wurde. Heutzutage würden diese Metalle wohl eher zu
Schmuck verarbeitet werden, aber der Geldsphäre wäre sie so oder so zunächst
einmal entzogen.
Ein weiterer (nicht prognostizierbarer, aber
keineswegs unrealistischer) Weg, Edelmetall(geld) der monetären Verwendung zu
entziehen, wäre heute eine vermehrte industrielle Verwendung.
Ebenso ist aber auch eine Situation nicht
unrealistisch, in der die Eigentümer ihr Gold/Silber nicht, oder lediglich zur
Aufbewahrung (ohne Recht auf Verleih), an Banken geben. In wirtschaftlichen
oder sonstigen Krisenzeiten kann es durchaus vorkommen, dass die
Edelmetalleigentümer auf den Zins verzichten und ihr Gold nicht mehr verleihen
wollen, weil sie etwa einen Totalverlust durch Zusammenbruch der Banken befürchten,
oder eine Konfiskation durch den Staat. Es stände demnach auch nicht mehr für
Kreditvergaben zur Verfügung und wäre mithin dem Wirtschaftskreislauf entzogen
(für welche Zeiträume auch immer).
Schließlich gibt es möglicher Weise einen
weiteren Mechanismus, den Bagus (und viele andere, mehr oder weniger wohl auch alle
Mainstream-Wissenschaftler) nicht auf ihrer Rechnung haben.
Anders als Philipp Bagus, mit seinem
Ko-Autor Andreas Marquart, den Lesern ihres Buches "Warum andere auf Ihre Kosten
immer reicher werden ... und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei
spielen" bereits im Titel weismachen wollen, werden die
Reichen keineswegs durch die kreditäre Geldschöpfung und die damit
einhergehende (bislang nur schleichende) Inflation reich (zumindest nicht
primär). Sondern auf dieselbe Weise, wie der Monopoly-Spieler, der die
Schlossstraße, Parkallee, Bahnhof usw. besitzt: Indem sie von den anderen
Wirtschaftsteilnehmern Tribut verlangen können. Das ist bei KEINER
Geldschöpfungsart anders.
Allerdings versuchen einige monetologische
Dampfplauderer, dem Volk dieses Wissen auszureden und die Vermögenszuwächse in
toto irgendwelchen mythologischen Vorgängen im "Geldsystem"
zuzuschieben.
Derartige Desinformationen unterstelle ich nicht
als vorsätzlichen Lobbyismus. Fakt ist aber, dass mit dieser Methode die
Eigentumsmechanismen von vornherein für unschuldig an Schwierigkeiten im
Zusammenspiel von Geldwirtschaft und Realwirtschaft erklärt werden. Bei der
"österreichisch-libertären" Denkrichtung ist diese Immunisierung der
Eigentumsinteressen nicht überraschend. Eigentum ist für die ein Naturrecht,
also quasi eine von Gott geschaffene Institution. Weil eine solche selbstverständlich
a priori sakrosankt ist (für die Gläubigen), kämen Austrians auch niemals auf
die ketzerische Idee, die Eigentumsrechte auf ökonomische Risiken und
Nebenwirkungen zu hinterfragen. Für auftauchende Störungen muss folglich ein
Strohmann her, und dafür eignet sich das Geldsystem ganz vorzüglich.
Dass es sich nicht ändern wird, kann sich
jeder leicht ausrechnen. Wie die Geldschöpfungsmechanismen funktionieren,
wissen Laien selten und auch viele Wirtschaftswissenschaftler machen sich nicht
die Mühe, in diese (scheinbaren) Geheimnisse einzudringen. Also kann man den
Massen viel erzählen ohne das Risiko einzugehen, jemals falsifiziert zu werden.
Tatsächlich sammelt sich also das Geld aufgrund
der Eigentumsrechte bei den Reichen. Selbst wenn die ihr Gold der Bank zur
Kreditvergabe zur Verfügung stellen, muss auf Dauer die Kreditvergabe an der
mangelnden Bonität der weniger Begüterten scheitern, die keine Chance mehr
haben, Geld zu verdienen. Es käme also zu einem Nachfragerückgang und damit zu
einer Deflationsform, bei welcher man munter drüber streiten könnte, ob man sie
als Kreditkontraktionsdeflation oder als Mangeldeflation einstufen müsste.
Nach meiner Hypothese hat genau der hier
skizzierte "Überakkumulationsmechanismus" zur aktuellen Krise
geführt. Und der ist keineswegs an ein spezifisches Geldsystem gebunden.
Allerdings kann er bei kreditärer Geldschöpfung wenigstens für einige Zeit
"überlistet" werden, während er in einem rigiden Geldschöpfungssystem
- als bei Edelmetallgeld - sehr rasch zu realwirtschaftlichen
Funktionsstörungen führen müsste. Ich halte es sogar für möglich, dass selbst
schon in den Zeiten des Absolutismus, für welche wir die damalige Kreditaufnahme
der Fürsten lediglich als Folge von Verschwendung zu begreifen gelernt haben,
die Staaten bewusst oder unbewusst "keynesianische" Konjunkturpolitik
betrieben haben (und betreiben mussten, um die Gold-Geld-Schätze reicher Bürger
als Nachfrage in die Realwirtschaft zurückzuführen): Vgl. meinen Blott "Keynes
in Kempten?".
So richtig legt Bagus dann im 2. Teil seines
Aufsatzes los, der am 18.04.2014 unter der Überschrift "Konsequenzen und Mythen von
Preisdeflation" erschienen ist.
Seine Begründungen (von denen ich hier nur
einige heraus- und angreife) für die behauptete realwirtschaftliche
Harmlosigkeit von Deflationen kann man nur noch als abenteuerlich bezeichnen.
Unter der Zwischenüberschrift "Mythos
1: Preisdeflation ist schlecht fürs Bankensystem und damit für die gesamte
Wirtschaft" schreibt er u. a.:
"Eine
unerwartete Preisdeflation kann zum Bankrott von Schuldnern des Bankensystems
führen, da die reale Last von Schulden steigt. In einem
Teildeckungsbankensystem ohne Zentralbank kann es bei Insolvenz von Banken
schnell zu einer Bankpanik und zum Zusammenbruch des gesamten Bankensystems
kommen. Eine ausgeprägte Kreditkontraktion wäre die Folge. ..... Ein Zusammenbruch
des Finanzsystems als Folge einer scharfen Preisdeflation könnte in der Tat die
Produktion kurzfristig negativ beeinflussen. Jedoch könnte diese Situation für
eine grundlegende Reform des Bankensystems genutzt und eine vollgedeckte
Metallgeldwährung eingeführt werden, welche einen Rückgang der Geldmenge (Deflation)
unmöglich macht. Ein stabileres Geldsystem ist mittel- und langfristig der
gesamtwirtschaftlichen Produktion sehr zuträglich."
Mit anderen Worten sagt Bagus hier allen
Ernstes:
"Tatsächlich
kann das gesamte Finanzsystem in einem solchen Szenario zusammenbrechen. Das
macht aber nix; das nächste kann nur besser werden."
Wenn das so ist, darf man ihm auch unterstellen,
dass er diesen Zusammenbruch geradezu herbeisehnt. Dem halten wir die
historische Erinnerung entgegen, dass die Weltwirtschaftskrise 1929 ff. in letzter
Konsequenz zum 2. Weltkrieg (wie auch zum Holocaust) geführt hat.
Verantwortungsbewusstes
wirtschaftswissenschaftliches Denken geht anders.
Unter "Mythos
2: Preisdeflation ist grundsätzlich für Unternehmer schlecht"
geht es weiter mit
den Legendenerzählungen im Bagus-Bazar:
"Unternehmer
versuchen, und dies ist gerade ihre Aufgabe, die Preise, zu denen ihre Produkte
abgesetzt werden können, zu antizipieren. Entsprechend der künftig erwarteten
Preise bieten Unternehmer für die Produktionsfaktoren. ..... Mit anderen Worten
fallen in einer Preisdeflation sowohl Verkaufs- wie auch Einkaufspreise. Die
Gewinnspanne verringert sich nicht notwendigerweise. ..... Voraussetzung dafür
ist natürlich, dass die Preise der Produktionsfaktoren flexibel sind."
Deflationen sind typischer Weise
hereinbrechende Krisenerscheinungen. Die Erwartung, dass die Unternehmer in der
Masse ein solches Ereignis längere Zeit im Voraus antizipieren, wirkt extrem
konstruiert. Das ist bereits deshalb nicht überzeugend, weil Bagus selber
gerade zuvor noch das Szenario einer "
unerwarteten Preisdeflation"
entwickelt hatte.
Aber selbst wenn man annehmen wollte, dass
die Einkaufspreise (einschl. Löhne) schon im Voraus sinken, dann fehlt das Geld
auf der Produktionsvorstufe und bei den Arbeitnehmern bereits lange bevor die
von den Endproduzenten hellseherisch antizipierte Deflation eigentlich
eintreten würde. Die Vorproduzenten und die Arbeitnehmer müssten ihre Nachfrage
drosseln. Auf diese Weise käme die Deflation als selbsterfüllende Prophezeiung
(der Endproduzenten) noch schneller und wäre durch den Rückkoppelungsmechanismus
noch verheerender.
Und weil die Arbeitnehmer (von denen Bagus
offensichtlich eine totale Lohnflexibilität erwartet) nicht wissen können, ob
sie nicht morgen noch höhere Lohneinbußen haben werden, würden sie zweifellos
über die erzwungene Konsumeinschränkung weitere Beträge sparen. Ebenso würden
die Vorproduzenten auf die unsicher gewordenen Zukunftsperspektiven reagieren.
Damit würden sie eine Kassenhaltungsdeflation auslösen oder verstärken.
Auch einen Kredit würde niemand mehr
aufnehmen, der seine 5 Sinne noch beisammen hat, denn schließlich weiß in einem
solchen Szenario kein Schuldner, ob er in Zukunft überhaupt noch genug verdient,
um den Kredit tilgen zu können.
Und warum sollen die potentiellen
Kreditgeber in der Bagus-Welt weniger hellseherisch begabt sein als die
Unternehmern? Logischer Weise müsste man dann annehmen, dass die auch von sich
aus die Kreditvergabe einschränken.
Eins würde ins andere greifen, der
ursprünglich durch hellseherische Unternehmer ausgelöste Preisverfall würde ein
kontinuierliches Fallen der Nachfrage bewirken und zugleich durch eine "Attentismusdeflation" verstärkt
(Kaufzurückhaltung in Erwartung weiterer Preissenkungen). Die
Nachfragerückgänge würden Unternehmenszusammenbrüchen zur Folge haben, die
ihrerseits in einem selbstverstärkenden negativen Regelkreislauf den Nachfrageausfall
weiter verschärfen müssten.
Als hätte es die Weltwirtschaftskrise 1929
ff. mit ihren verheerenden Auswirkungen nie gegeben, reden solche
Monetäresoteriker dem Volke munter ein, dass Deflation gar nicht schlimm sei.
Tatsächlich begünstigt eine Deflation die
Geldbesitzer zu Lasten der Sachkapitalbesitzer und der Lohnempfänger (oder, wie
man hier zwecks Parallelisierung sagen könnte: Der "Arbeitskraftbesitzer"). Wollten Fiskalpolitik und Geldpolitik
den Rezepten der "österreichischen" Geld-Gaukler folgen, wären der nächsten
Katastrophe Tor und Tür geöffnet.
Als 3.
"Mythos" will Bagus die Meinung
entlarven, dass Preisdeflation zu einem Anstieg der Insolvenzen und damit
zwangsläufig zu einer Störung der Produktion führt.
"Da
die reale Schuldenlast in einer Preisdeflation ansteigt, können Unternehmen in
Probleme geraten. Wie wir gesehen haben, ist dies jedoch in einer
Wachstumsdeflation kein Problem ..... In einer Preisdeflation können Gewinne
für einzelne Unternehmen auch steigen, wenn die Einkaufspreise gleich schnell
oder schneller als die Verkaufspreise fallen."
Indem er den Anstieg der realen Schuldenlast
sozusagen als unabänderliches Fatum hinnimmt, zeigt sich sein "Bias"
zu Gunsten der Geldbesitzer. Denn zumindest auf dem Papier könnte er ja
immerhin, ebenso wie er von den Arbeitnehmern Lohnverzichte (und die schon
lange vor Eintritt der Deflation!) erwartet, auch einen teilweisen Zins- und
Forderungsverzicht der Gläubiger als wünschenswerten Anpassungsvorgang
darstellen. Warum sollen Kreditkontrakte "heilig" sein, Arbeits- und
Tarifverträge (und ebenso langfristige Lieferverträge) dagegen beliebig
disponierbar?
Richtig ist, dass eine Wachstumsdeflation
(bei mir: Rationalisierungsdeflation) im Prinzip nicht nachteilig für die
Kredittilgungsfähigkeit der Unternehmen sein muss. Im letzten Satz müssen
"können" und "einzelne Unternehmen" betont
werden. Denn damit hat Bagus solche Fälle nämlich (zutreffend) als
Ausnahmeerscheinungen gekennzeichnet.
Aber bereits in seinem nächsten Satz hat er
den Sonderfall zum Musterfall umgezaubert. Denn wenn er sagt:
"Problematisch
ist nur der Fall der Kreditkontraktionsdeflation"
behauptet er implizit, dass eine
Kassenbildungsdeflation (also ein sparbedingter Nachfragerückgang) für die Wirtschaft
unproblematisch sei. Und als Begründung dafür kommt im Rahmen seiner Darlegung
lediglich eine (unzulässige) Verallgemeinerung der Aussage aus dem
vorangehenden Satz infrage.
"Die
Verminderung der Geldmenge erschwert es Unternehmern, ihre Kredite zu bedienen.
Es ist einfach weniger Geld vorhanden, um die gleiche Menge an Schulden zu
bedienen."
Bei diesen Sätzen kann man nur raten, welche
konkrete Ereignisabfolge der Autor überhaupt meint. So, wie sie formuliert
sind, bringen sie keinen Erkenntnisgewinn, sondern verschleiern die
tatsächlichen Zusammenhänge, indem sie die Kausalkette unzutreffend oder
zumindest verkürzt darstellen.
Als Ausgang der Krise nennt Bagus eine
Preisdeflation. Deflationen werden, mit Ausnahme der Wachstumsdeflation, durch
einen Nachfragerückgang ausgelöst.
Wenn es sich (von der Ursache her bzw. im
Anfangsstadium) um eine "Kreditkontraktionsdeflation"
handelt, dann war ein Kredit(angebots)mangel der Grund, dass Private und/oder
Unternehmen weniger gekauft haben - und deswegen die Preise gefallen sind.
Damit haben die Unternehmen geringere Einnahmen und können folglich (nach
Ausschöpfung von Elastizitätsspielräumen, insbesondere Verminderung des
Unternehmensgewinns auf Null) die aufgenommenen Kredite nicht mehr bedienen
(und natürlich auch die sonstigen Kosten nicht mehr decken, sofern sie diese
nicht mindern konnten).
Die Geldmengenminderung war lediglich die mittelbare Ursache für den Verlust der
Schuldentilgungsfähigkeit (und damit letztlich die Unternehmenszusammenbrüche).
Nicht weil (in der Wirtschaft überhaupt) "weniger Geld vorhanden" ist, sondern weil das betroffene
Unternehmen weniger Geld einnimmt, geht es pleite.
(Nur wenn man annimmt bzw. wo es zutrifft,
dass Unternehmen alte Kredite nicht aus Einnahmen tilgen, sondern revolvierend
aus neuen Krediten, würde eine Kreditkontraktion direkt die Fähigkeit zur Kredittilgung beeinträchtigen.)
"Eine
Insolvenz bedeutet jedoch nicht notwendigerweise einen Rückgang der Produktion.
..... Die Anpassung in der Vermögensstruktur [Übernahme durch die
Gläubiger] beeinflusst nicht notwendigerweise
die Produktion. Über die Produktion bestimmen nun die neuen Eigentümer. Falls das
insolvente Unternehmen auf Kreditexpansion und lockere Geldpolitik angewiesen
war, sowie in einer Blasenaktivität tätig war, (stellen wir uns vor ein
spanisches Bauunternehmen nach dem Immobilienboom bei fallenden Häuserpreisen),
wird das Unternehmen liquidiert und die Produktionsfaktoren anderweitig
eingesetzt werden."
In der Bagus-Wirtschafts-Wunschwelt ist
alles ganz einfach: Da wird (beispielsweise) der Bauarbeiter flugs zum
Automobilfacharbeiter, und hui werden statt überflüssiger Häuser Automobile produziert.
Sein Szenario ist natürlich ein realitätsfernes Konstrukt und daher ein
untauglicher "Beweis" für die relative Harmlosigkeit von Deflationen.
In der Realität sieht das ganz anders aus:
Mit den überflüssig gewordenen Baumaschinen lassen sich weder Autos produzieren
noch Olivenöl auspressen. Die Bauarbeiter stehen auf der Straße, kaufen nichts
mehr, die noch beschäftigten Arbeitnehmer drosseln ihren Konsum, weil sie Angst
haben als nächste arbeitslos zu werden, die Firmengebäude der Bauunternehmen
stehen leer usw.
Im schlimmsten Falle (und genau der würde
sehr wahrscheinlich eintreten in jener freiheitlichen Wunderwelt, welche sich
die Anhänger der libertär-österreichischen Richtung unter Ausblendung aller
realen Schwierigkeiten freischwebend zusammenphantasieren) würden die Banken
zusammenbrechen. Es nützt ja nichts, dass den Gläubigerbanken nunmehr die
Bauunternehmen gehören: Wenn die Bankeneinleger Kohle sehen wollen, und die
Zentralbanken abgeschafft sind, dann ist die Bank blank. Und zieht natürlich
ihrerseits ggf. andere Banken, bei denen sie selber verschuldet ist, mit in den
Abgrund.
"Natürlich sind Insolvenzen auch mit Kosten verbunden. .....
Grundsätzlich haben aber Insolvenzen in einer Marktwirtschaft die Funktion, die
Kontrolle der Produktionsfaktoren von weniger fähigen Händen in fähigere Hände
zu transferieren. Insolvenzen zerstören nicht das Produktionspotential, sondern
machen vielmehr den Weg zu einer besseren Nutzung frei."
Die Insolvenzkosten im engeren Sinne dürften
das geringere Problem sein. Vielmehr sind, wie wir oben exemplarisch aufgezeigt
haben, die Produktionsfaktoren für die Ware A (Maschinen, ggf. auch Gebäude)
für die Herstellung der Ware B in der Regel ungeeignet oder (Arbeitnehmer,
Gebäude) erst nach einer längeren "Umrüstzeit" verwendbar. Es mag ja
sein, dass das Produktionspotential hinterher "besser" genutzt wird
(eine Bewertung, die in einer dynamischen Wirtschaft ohnehin keinen Ewigkeitswert
haben kann!). Aber zunächst einmal, und ggf. für längere Zeit, ist
Produktionspotential zerstört. Da gibt es hoffentlich bessere Methoden einer
(grundsätzlich durchaus notwendigen!) "schöpferischen
Zerstörung" (Schumpeter), als eine katastrophale Deflation.
"Mythos 4: Preisdeflation ist die Ursache von
Massenarbeitslosigkeit"
"Es
ist richtig, dass Preisdeflation bei nach unten unflexiblen Löhnen zu
Arbeitslosigkeit führt. Jedoch ist zu hinterfragen, warum Löhne im Gegensatz zu
anderen Preise nicht flexibel sind. Die Ursache der Lohninflexibilität ist der
wahre Grund der Arbeitslosigkeit.
Umstände, die zur Lohninflexibilität führen,
sind für Bagus das staatliche Regulierungen (Mindestlohn, hohes
Arbeitslosengeld) und "privilegierte"
Gewerkschaften. Ich weiß nicht, was für ihn Gewerkschaften zu "privilegierten" Gewerkschaften
macht; vermutlich ihre Fähigkeit überhaupt, mit den Unternehmern wirksam Löhne
auszuhandeln. Wozu natürlich auch gehört, Lohnsenkungen verhindern zu können.
"Staatlich
privilegierte Gewerkschaften können immer für zu hohe Löhne sorgen .....
Gleiches gilt für Minimallöhne oder Arbeitslosenhilfe. In jedem Falle ist
Inflation kein geeignetes Gegenmittel derartiger Arbeitslosigkeit, da Arbeiter
und Gewerkschaften die
Preiseffekte der Inflation antizipieren und höhere
Nominallöhne einfordern können.
Hier springt Bagus, im Kontext seiner
Argumentation sachlich ungerechtfertigt, von der Deflation zur Inflation (im
üblichen, nicht im "österreichischen" Wortsinne). Denn bei der
Bekämpfung einer Deflation geht es mitnichten darum, eine Inflation herbeizuführen;
die Deflation muss lediglich gestoppt werden. Allenfalls könnte man das
Preisniveau auf die alte Höhe zurückbringen wollen; auch das wäre jedoch keine
Inflation, sondern eine Reflation.
Nun gebrauchen die Austrians, und somit auch
Bagus, den Begriff "Inflation" nicht für die Preiserhöhungen (die der
Rest der Menschheit als Inflation bezeichnet), sondern für die Ausweitung der
Geldmenge. (Deutlich wird das etwa an seiner Formulierung "Preiseffekte der Inflation antizipieren" statt
"Inflation antizipieren" im
allgemeinen Sprachgebrauch.)
Die "Austrians" machen häufig
geradezu eine Religion daraus zu sagen, dass die Inflation eine Geldmengenausweitung,
keine Preissteigerung "ist". Das ist natürlich Quatsch; Inflation
"ist", was man Inflation nennt. Und im Interesse der Kommunikation
ist es in aller Regel empfehlenswert, sich dem Sprachgebrauch der (weit
überwiegenden) Mehrheit anzupassen.
Hier jedenfalls hat sich der Autor mit
diesem sektiererischen Sprachgebrauch selber eine Falle gestellt, weil er die
vorliegende Fallgestaltung offenkundig mit einer "Inflation" im
gängigen Sinne durcheinanderbringt.
Wie er ja auch sonst nicht die Gepflogenheit
hat, möglichst saubere und weitestgehend nach allen Richtungen durchdachte
Szenarien zu bilden, erspart er sich diese Mühe das auch in diesem Zusammenhang.
Die Modellsituation, gegen die er seine
Kritik einer inflationierenden Geldpolitik vorträgt, kann aber nur folgende
sein:
·
Nachfrage geht zurück (entweder bedingt durch
Kreditkontraktion, also sinkende Geldmenge, oder durch höhere Kassenhaltung -
Sparen - der Wirtschaftssubjekte)
·
Kapazitätsauslastung und Wirtschaftsleistung sinken
·
Preise fallen
·
Unternehmer versuchen, Löhne zu senken
·
Geldpolitik steuert gegen mit Geldmengenausweitung
Gelingt es der Geldpolitik der Notenbank,
die Wirtschaftsleistung wieder auf das Niveau vor der Krise zu bringen, haben
die Gewerkschaften keinen Grund, Lohnerhöhungen zu fordern; sie können (und
werden) froh sein, dass Lohnsenkungen und Massenarbeitslosigkeit vermieden
wurden.
Für diese Operation trifft der Begriff
"Reflation" zu, und da ist es zunächst einmal sogar egal, ob man den
im österreichischen Sinne gebraucht (Geldmenge bzw. nachfragewirksame Geldmenge
auf altes Niveau gebracht) oder im üblichen Sinne (Preise wieder auf altes
Niveau gebracht).
Einen potentiellen Haken hat die Geschichte
allerdings doch: Wenn nicht die Geldmenge abgesunken ist, sondern lediglich die
Nachfrage - also mehr gespart wurde -, dann steigert eine Geldmengenausweitung
in der Krise natürlich die gesamte Geldmenge in der Wirtschaft. Es kann dann
sein, dass die "Sparer" ihr Verhalten ändern und die gesparte
Geldmenge als zusätzliche Nachfrage in die Realwirtschaft
"zurückschwappt". In diesem Falle müsste die Notenbank die krisenbedingt
zusätzlich geschaffene Geldmenge wieder abschöpfen. Das mag nicht einfach sein;
aber das alles sind Dinge, die man berücksichtigen muss.
Die Gewerkschaften können in diesem Modell
keine Inflation (im üblichen Sinne; ich sehe keinen Grund, warum ich mich der
österreichischen Sprachregelung unterwerfen sollte) antizipieren, weil es keine
gibt. Sondern lediglich eine Reflation auf das Ausgangs-Preisniveau, und das
ist im gegebenen Lohnniveau ja bereits berücksichtigt.
"Dem
könnte entgegnet werden, dass Löhne nicht nur durch Staatseingriffe starr
seien, aber auch natürlich bedingt durch lange Laufzeiten von Arbeitsverträgen.
Dauert ein Arbeitsvertrag ein Jahr und fällt der Produktpreis während dieses
Jahres, kann der Lohn nicht mehr angepasst werden und der Unternehmer macht
Verlust und muss gegebenenfalls den Arbeiter entlassen.
Dieses
Argument verkennt jedoch, dass im Notfall der Lohnvertrag neu ausgehandelt
werden könnte, zum beiderseitigen Vorteil. Der Unternehmer müsste nicht insolvent
gehen und der Arbeiter könnte seinen Job behalten."
Ob der Arbeitnehmer seinen Job behält, ist
durchaus fraglich. Wenn großmaßstäbliche Lohnsenkungen selber zur Nachfragesenkung
führen (via Mangeldeflation, ggf. verschärft durch Attentismusdeflation), dann
kann es zu einer deflationären Abwärtsspirale kommen, bei der der Arbeitnehmer
seinen Arbeitsplatz am Ende doch verliert.
Davon abgesehen, sind natürlich weder die
Arbeitnehmer noch die Arbeitgeber Hellseher ("... berücksichtigen sowohl Unternehmer als auch
Arbeiter bei ihren Lohnverhandlungen die künftige Preisentwicklung. Dabei
können sie sich natürlich auch verschätzen" räumt Bagus selber ein. Im
Übrigen wird gegenwärtig ein Sinken
der Preise für Lohnverhandlungen kaum jemals berücksichtigt). Die Lohnfindung würde
also mit extremen Unsicherheiten belastet:
·
Wie kann der Arbeitnehmer (oder die
Gewerkschaft) sicher sein, dass der Arbeitgeber mit der Lohnsenkung lediglich
Arbeitsplätze sichern möchte - und nicht etwa seinen Profit steigern?
·
Wie sichert die Arbeitnehmerseite unmittelbar bei
einem wirtschaftlichen Aufschwung ihren Anteil? (Oder in Antizipation des
Aufschwungs: warum sollte denn eine vor-läufige Lohnanpassung nur nach unten
stattfinden?)
Es wäre ein dauerndes Hin und Her; natürlich
auch von ständigem Misstrauen, insbesondere auf der Arbeitnehmerseite, geprägt.
Denn die relevanten Informationen über die finanzielle Lage hat zunächst einmal
der Arbeitgeber. Bei den "Austrians" kann ich mir eher nicht
vorstellen, dass sie der Mitbestimmung sonderlich viel abgewinnen können. Aber
selbst mit Mitbestimmung wären beide Seiten informatorisch nicht auf Augenhöhe.
Bagus' "Mythos
5": "Preisdeflation kann zur
Liquiditätsfalle führen mit verheerenden Auswirkungen für die Wirtschaft"
können wir als Kassenhaltungsdeflation
interpretieren, kombiniert mit Attentismusdeflation:
"Schließlich
ist noch das Argument der Liquiditätsfalle zu behandeln. ..... In einer
Liquiditätsfalle sind die Zinssätze nahe Null und können nicht weiter gesenkt
werden. Selbst wenn die Zentralbank neues Geld in die Wirtschaft pumpt, sinken
die Zinsen nicht weiter, und weil Preisdeflation erwartet wird, geben die Akteure das Geld nicht aus,
sondern horten es. ..... Weiterer Bestandteil der Liquiditätsfalle ist das Problem, dass aufgrund der
Deflationserwartungen Ausgaben zurückgestellt werden. Gerade dieses
Zurückstellen beschleunigt jedoch die Preisanpassungen, sodass die Erholung
beschleunigt wird."
Der Autor geht mit dem letzten Satz anscheinend
davon aus, dass sinkende Preise den Konsum ankurbeln. Im Rahmen der
österreichischen Lehren, die Krisen nur als Konjunkturschwankungen begreifen,
macht das vielleicht Sinn.
Aber schon Keynes hatte in Kapitel 24 seiner
"General Theory ..."
vorausgesehen (oder hat er diesen Faktor sogar als Ursache schon für die Great
Depression ausgemacht und wollte das wegen der zu erwartenden Widerstände
seitens der Besitzinteressen nur nicht offen aussprechen?), was ich oben schon als
"Überakkumulation" angesprochen hatte: Dass nämlich in einer
gesättigten Wirtschaft die Nachfrageschwäche grundsätzliche strukturelle
Ursachen hat, die in unserem Eigentumssystem begründet liegen. Die Besitzenden
haben zum Konsumieren zu viel Geld, und eben weil sie selber das ganze Geld
besitzen, fehlen die Rentabilitätsanreize für Investitionen: die
"Unter-Konsumierenden" können wegen Geldmangel nichts kaufen. In
einer solchen Lage ist nicht zu erwarten, dass sinkende Preise zu einer
Nachfragebelebung führen. Sondern im Gegenteil können die Lohnverzichte und
damit Lohnsenkungen der Arbeitnehmer, sowie die Einkommensverluste der
Arbeitgeber zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale bei der Nachfrage
und den Preisen, sowie Löhnen und Einkommen führen. Genau so war ja der Ablauf
der "Great Depression", der
Weltwirtschaftskrise von 1929 ff.
"Ein
Konsumrückgang (Sparanstieg) in der Rezession ist zu begrüßen. Denn zur raschen
Erholung und Umstrukturierung sind dringend Ersparnisse nötig. Durch das Sparen
werden Ressourcen freigesetzt, die ihrerseits [zu] neuen profitablen Investitionsprojekten verwendet werden könnten. Wenn
die Investitionen relativ zum Konsum steigen, kommt dies langfristig der Produktivität
der Volkswirtschaft zu Gute.
Das ist durch die Bank falsch bzw. schief.
Investitionen und Konsum müssen sich
ausbalancieren. Eine Vernachlässigung der Investitionen lässt zwar das
Produktionspotential veralten. Aber ohne Konsum tragen Investitionen keine
Rendite, und werden daher unterlassen.
Bzw., wenn es zu Über-Investitionen kommt,
bringen diese kein Wachstum, sondern führen zur Krise.
"zur
raschen Erholung und Umstrukturierung sind dringend Ersparnisse nötig"
Bei keiner kreditären Geldschöpfung sind
Ersparnisse die Folge von Kreditvergaben. Daher ist es naiv zu glauben, dass
jemand Geld auf seinem Sparkonto hinterlegen müsste, damit investiert werden
kann.
Bei einer Kassenhaltungsdeflation ist ein
Über-Sparen nichts Positives, sondern grade die Ursache der Krise. Um die zu
überwinden, müssen die Ersparnisse schnellstmöglich aufgelöst werden und (in
welchem angemessenen Verhältnis auch immer) in Konsum und Investitionen
fließen.
Gegen eine Kreditkontraktionsdeflation
helfen Ersparnisse erst Recht nicht, bzw. wenn genügend Ersparnisse vorhanden
sind dürfte es bei einer globalen Betrachtungsweise gar nicht erst zu einer
Kreditkontraktion kommen.
Allerdings stoßen wir bei genauerem
Hinschauen erneut auf unsere bereits oben mehrfach behandelte Fallgestaltung,
bei der die Ersparnisse den einen gehören, während die anderen sich nur noch
auf Pump finanzieren können. Dann (und das scheint mir in der Tat die
eigentliche Ursache der Finanzkrise 2007 ff. gewesen zu sein) war das Sparen erst
Recht nicht wertvoll, sondern ein aus realwirtschaftlicher Sicht negativ zu
bewertender Hortungsvorgang ("Kassenhaltungsdeflation"),
der überhaupt erst zur Krise geführt hat.
Im Modell kann man sich das wie folgt
vorstellen:
·
Fehlende Nachfrage wegen Überakkumulation der einen
(Kapitalbesitzer) wurde zunächst durch verstärkte Kreditaufnahme der anderen
(USA z. B.: Häuslebauer, Konsumenten und Studenten) kompensiert.
·
Das so ins System gepumpte neue Geld landet aber
wiederum großenteils bei den Kapitalbesitzern und wird von dort nicht als
Nachfrage (Konsum oder Investition) zurückgespeist.
·
Dadurch fehlt den Kreditnehmern letztlich das
nötige Einkommen für die Tilgung, und die Krise ist da.
Ein Sparen i. S. v. Geld horten setzt allenfalls
Arbeitnehmer frei - nämlich auf die Straße.
Sparen i. S. einer Umlenkung von Geld von
der Konsumsphäre in die Investitionssphäre führt gar nicht erst zur Rezession/Deflation,
weil es von Anpassungsvorgängen auf der betriebswirtschaftlichen Ebene abgesehen
gesamtwirtschaftlich nachfrageneutral ist.
Realwirtschaftlich sind lediglich folgende
Faktoren entscheidend:
·
Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten und
·
Verhältnis Konsum zu Investition. (Und natürlich
ist auch die Art der Investition wichtig: Ob rentabel, also zukunftsträchtig,
oder nicht.)
Zu vermeiden sind größere Ausschläge der
Nachfrage nach BEIDEN Seiten:
·
Übertrifft die Nachfrage die
Produktionskapazitäten, führt die konjunkturelle Überhitzung tendenziell zu
Inflation.
·
Unterschreitet die Nachfrage die
Produktionskapazitäten wesentlich, sind Rezession und tendenziell Deflation die
unerwünschten Folgen.
Wichtig ist, "Ersparnis" im
geldwirtschaftlichen Sinne von "Ersparnis" im realwirtschaftlichen
Sinne zu unterscheiden.
Realwirtschaftlich müssen, bei voller
Kapazitätsauslastung, Investitionen in dem Sinne durch "Ersparnisse"
"gedeckt" sein (richtiger wäre die Formulierung: durch Einsparungen gedeckt werden!), dass der Konsum
zurückgeschraubt wird. Produktionskapazitäten, die vorher zur Herstellung von
Konsumgütern dienten, müssen für die Investitionsgüterherstellung umgewidmet
werden. Dadurch schrumpft (Rationalisierungsmöglichkeiten ausgeklammert) auf
der Makro-Ebene das Konsumgüterangebot. Auf der Mikro-Ebene schlägt sich das im
Minderkonsum des Einzelnen nieder, aber nicht zwangsläufig zu
"Sparen" im geldwirtschaftlichen Sinne. Insoweit sind nämlich idealtypisch
zwei Fallgestaltungen denkbar:
·
Unternehmer "spart sich Investition vom Mund ab", d. h. er drosselt seinen
Konsum um eine Neuinvestition zu finanzieren. Geldwirtschaftlich spart er nur
dann, wenn er das Geld VOR dem Kauf anspart.
·
Unternehmer kauft Maschinen auf Kredit. Dann hat er
selber nichts gespart. (Rein technisch kann man allenfalls seine späteren
Kredittilgungen als "Sparen" bezeichnen.) Ob andere gespart haben,
damit er den Kredit bekommen konnte, hängt von der Kreditquelle ab. Begibt er
etwa eine Anleihe und verkauft die an Private, dann handelt es sich um einen
"Sekundärkredit", der aus bestehenden "Geldhorten" gespeist
wird. Geht er zur Bank, liegt ein "Primärkredit" und damit ein Fall
von Geldschöpfung vor. Ersparnis kann dabei erst ex post entstehen, und zwar
bei denjenigen, bei denen er die Investitionsgüter einkauft. Allerdings ist das
Kreditschöpfungspotential der Bank bzw. des Bankensystems nicht unbegrenzt, und
wohl doch (wenn auch nicht unmittelbar) an bereits vorhandene Einlagen - und
somit an schon bestehende Ersparnisse - gebunden. (Wie sich diese Zusammenhänge
letztendlich darstellen lassen, habe ich noch nicht herausgefunden. Eine
vorläufige Annäherung habe ich versucht in meinem Blott "Banks do not lend reserves (or deposits). But banks need reserves (and
deposits) to lend. Remarks on the BoE-paper "Money creation in the modern
economy".
Nehmen wir ein Szenario an, bei dem
einerseits hohe Ersparnisse vorliegen, andererseits Rezession (mit oder ohne
Deflation) droht. Dann nützen die Ersparnisse gar nichts, weil sie nicht
nachfragewirksam werden.
Wahrscheinlich kann der Nachfragemangel für
längere Zeit lang weitere Geldschöpfung der Notenbanken und/oder der
Geschäftsbanken überspielt werden. Aber irgendwann kommt es zum Showdown:
·
Entweder sind die Kreditnehmer pleite, weil die
Kapitalbesitzer das Geld aus dem Markt absaugen ("sparen" bzw. horten):
Dann müsste eine Rezession (mit Deflation) eintreten.
·
Oder (theoretisch; praktisch wüsste ich dazu keinen
Fall aus der Wirtschaftsgeschichte) die Hortgelder schwappen plötzlich und
unerwartet als Nachfrage in die Realwirtschaft zurück: Dann käme eine
Konjunkturüberhitzung (mit Inflation).
Denken wir uns alternativ ein Szenario mit
minimalen Ersparnissen, bei dem ebenfalls eine Rezession herrscht, also die
Kapazitäten der Wirtschaft nicht ausgelastet sind.
Dann kann die Nachfrage in einem System der
kreditären Geldschöpfung durch die Notenbank und/oder die Kreditbanken durch
eine stärkere Kreditvergabe angekurbelt werden.
Ersparnisse brauchen wir also keine.
Die obsessive Vorstellung der Austrians,
dass irgendwo etwas angehäuft, also gespart worden sein müsse, auf das man
zugreifen könne, um es ausgeben zu können, ist ein Relikt aus der Metallgeld-Zeit.
Und eben das ist ja die große Schwäche von Edelmetallgeld, dass man, wenn es massenhaft
"verschatzt" oder etwa industriell verwendet wurde, den Geldverlust
nicht einfach durch "Nachdrucken" ausgleichen kann.
Aber das näher zu erörtern würde von der
vorliegend zu untersuchenden Deflations-Problematik wegführen.
In der Schlussfolgerung von Bagus habe ich
die Sätze zwecks Referenzierung durchnummeriert:
"1) Die
allgemeine Deflationsangst ist unbegründet. 2) Eine Preisdeflation kann die
natürliche und erfreuliche Folge von Wachstum sein, sie kann eine reale
Kassenbildung verwirklichen ... . 3) Am unangenehmsten ist die
Kreditkontraktionsdeflation, welche die Geldmenge vermindert. Sie ist jedoch
nur in einem teilgedeckten Bankensystem, welches Geld zuvor aus dem Nichts
geschaffen hat, möglich. 4) Der Haupteffekt ist eine Anpassung in der
Vermögensstruktur und nicht, wie in verschiedenen Argumenten angenommen, ein
notwendiger Rückgang der allgemeinen Produktion."
Zu 1): Ungefährlich ist lediglich eine
Wachstumsdeflation (mein Begriff: Rationalisierungsdeflation). In allen anderen
Fällen ist die Furcht vor einer Deflation sehr wohl begründet.
Zu 2): Eine Preisdeflation
"verwirklicht" keine Kassenbildung, sondern ist die unangenehme Folge
von Hortung ("Kassenbildung") sein. Eine "reale
Kassenbildung" verwirklicht sie allenfalls dadurch, dass die Kaufkraft der
Geldbesitzer steigt. Was notwendig mit entsprechenden Kaufkraftverlusten, und
damit Wohlstandsverlusten, der abhängig Beschäftigten und der Produzenten (und
generell der Besitzer von Sachwerten) verbunden ist.
Eine Deflation ist damit eine Umverteilung
zu Gunsten der Geldbesitzer. Das weiß Bagus auch, vermeidet es aber sorgfältig,
auf die Geldbesitzer als solche abzustellen:
"Die Hauptfolge von fallenden Preisen ist
eine Umverteilung. Käufer von Gütern und Dienstleistungen profitieren.
Verkäufer leiden unter den geringeren Preisen."
Und er verschleiert sogar
die Richtung dieser Umverteilung, wenn er sagt:
"Fast jedes Wirtschaftssubjekt ist sowohl
Käufer von Gütern und Dienstleistungen als auch Verkäufer."
Das ist zwar richtig. Entscheidend aber ist die Reihenfolge. Im Denkmodell
dargestellt:
Normale Wirtschaftslage:
·
Nehmen wir an, dass ein Arbeitnehmer pro Jahr
"umgerechnet" 10 Automobilen herstellt (dass also die Zahl der
Automobil-Arbeitnehmer 1/10 des jährlichen Auto-Ausstoßes beträgt).
·
Ein Automobil kostet bei normaler Wirtschaftslage
10.000,- Geldeinheiten. Den Verkaufspreis lassen wir voll in die Löhne fließen
(die wir gleich hoch ansetzen und die sich mit totaler Flexibilität an die
Firmenumsätze anpassen sollen). Dann verdient jeder Arbeitnehmer 100.000,- p.
a.
Rezession tritt ein:
·
Die Fa. produziert nur noch 5 Automobile pro
Arbeitnehmer. Ganz ohne Lohnverzicht verdient jetzt jeder Arbeitnehmer nur noch
50.000,-.
·
Fa. senkt die Preise auf die Hälfte. Dann sinken
entweder die Löhne weiter auf 25.000,-. Oder, wenn die Preissenkung zusätzliche
Käufe induziert hat, steigt die Kapazitätsauslastung wieder auf 10 Autos pro
Arbeitnehmer. Trotzdem bleibt, wegen der Preissenkung, das Lohnniveau krisenbedingt
auf 50.000,-.
·
Geldbesitzer A kann zum vorherigen Preis jetzt -2-
Autos statt eins kaufen. Nehmen wir an, der Arbeitnehmer wollte selber ein Auto
kaufen: Dann hat er Pech gehabt, weil die Geldbesitzer mit ihrer gestiegenen
Kaufkraft ihm alle Autos weggekauft haben. Das war zwar eigentlich auch der
Sinn der Übung (Preissenkung). Aber nunmehr müssten die Preise wieder steigen,
weil ja ein Warenmangel (im Verhältnis zur nachfragewirksamen Geldmenge, bei
gegebenen Preisen) herrscht. Der Arbeitnehmer ist also der Gekniffene. Und das
ist auch nur logisch, denn wenn die Kaufkraft des Geldes ausgeweitet wird, dann
profitiert zunächst der Geldbesitzer. Nimmt man an, dass in der Folgezeit alle
Preise auf 1/2 fallen, wäre, trotz halbiertem Lohn, die Kaufkraft des
Arbeitnehmers zwar wieder auf Vor-Krisen-Niveau. Das ist es natürlich, worauf
Bagus hinaus will. Dabei blendet er aber geschickt aus, dass die rezessions-
und deflationsbedingte Verdoppelung der Kaufkraft der Geldbesitzer diesen ein
Anrecht auf eine doppelte Gütermenge sichert. Das muss sich zwangsläufig in
einem entsprechenden Verzicht der Arbeitnehmer niederschlagen.
Mein Modell ist lediglich ein sehr simpler
Versuch, diesen Sachverhalt anzudeuten, in der Realität sind die
Wechselwirkungen natürlich sehr viel komplizierter. Aber eigentlich sollte
jedem, und zumal jedem Ökonomen, eines klar sein: There is no free lunch. Wo es
ceteris paribus, also unter sonst gleich bleibenden Bedingungen (beispielsweise
von Rationalisierungsgewinnen abgesehen) Gewinner gibt, muss es zwangsläufig
Verlierer geben. Und das sind bei einer Deflation eben die "Arbeitskraftbesitzer"
und die Sachkapitalbesitzer. Bei einer Inflation ist es natürlich umgekehrt.
Die Masche von Prof. Philipp Bagus, und nach meinem Eindruck vieler anderer,
wenn nicht sogar aller "Austrians" ist es aber, die
Inflationswirkungen zu dramatisieren (vgl. etwa das DWN-Interview "Ökonom Bagus: 'Massive Umverteilung von Sparern zu Schuldnern in
Europa' " vom 24.04.2014), und die Deflationswirkungen zu
verharmlosen. Obwohl das doch lediglich spiegelbildliche Entwicklungen, mit
spiegelbildlichen Folgen für die einzelnen Interessenpositionen in einer
Volkswirtschaft sind.
3) Eine Kreditkontraktionsdeflation tritt,
auf den ersten Blick paradox, wahrscheinlich parallel zu einer Kapitalüberakkumulation
ein. Das heißt:
·
Grundsätzlich ist genügend Geld "dort
draußen", damit die Wirtschaft rund laufen kann
·
Aber diejenigen, die das Geld großenteils haben,
geben es nicht aus
·
Damit fehlen den anderen Einnahmen; sie können ihre
Kredite nicht tilgen
·
Die Banken verweigern Kredite, weil den
potentiellen Kreditnehmern die Bonität fehlt. Oder die Schuldner nehmen schon
von sich aus keine Kredite auf, weil sie wissen, dass sie die nicht tilgen
können. So oder so fehlt es in der realen Wirtschaft an Nachfrage.
4) Bagus' Behauptung, dass "Haupteffekt [einer Deflation] ... eine Anpassung in der Vermögensstruktur
und nicht ..... ein notwendiger Rückgang der allgemeinen Produktion" sei,
hatte ich oben bei der Analyse seines 3. vermeintlich widerlegten
"Mythos" untersucht.
Die Österreicher sind (ohne das unbedingt zu wissen oder zu wollen) die Lobbyisten der
Geldbesitzerinteressen. Die sind nicht a priori für die Gesamtwirtschaft
schlechter zu bewerten als die Interessen der "Arbeitskraftbesitzer"
und der Sachkapitalbesitzer.
Nur muss man halt sehen, DASS hier im Ergebnis Lobbyismus betrieben wird.
Von Wissenschaft ist die Bagus'sche
Deflationsdenke MEILENWEIT ENTFERNT!
Jeder Blick in den Kaffeesatz klärt
mindestens genauso gut über reale
Deflationsvorgänge auf, wie die Lektüre seiner o. a. Deflatiologie.
Die ist nicht eine Frucht von
Erkenntnisinteresse oder Forschungsdrang, sondern ein "gezinktes"
Kartenblatt, mit dem wohl insbesondere die Geldpolitik der Notenbanken (die man
ja durchaus kritisch sehen kann!) diskreditiert werden soll.
Logischer Weise bleibt leider auf der Strecke, dass
bei der FED, EZB & Co. eben keine Verschwörer sitzen, die von den
Kapitalbesitzern angeheuert worden wären um deren Vermögen durch Inflation zu mehren. Das sind hochrangige Fachleute, die
immerhin ca. 60 Jahre lang nach dem 2. Weltkrieg die Wirtschaftswelt relativ
krisenfrei gehalten haben. (Während im 19. Jahrhundert Wirtschaftskrise
sozusagen gang und gäbe waren).
Und die vermehren die Geldmenge nicht aus Jux
und Dollerei. Sondern, aus eigener Sicht, weil sie keine andere Wahl sehen, um die Realwirtschaft am Laufen zu halten.
Und
aus meiner Sicht, weil das Eigentumssystem den Geldumlauf
"austrocknet" - und daher zum Zusammenbruch führen muss.
Auf Dauer freilich kann die Notenbankpolitik
einer ständigen Geldmengenausweitungen (jenseits der realen Wachstumsraten)
nicht gut gehen. Aber die wahren Ursachen für die Krise liegen nicht im
Geldsystem, sondern im "Zinssystem"
(aber in einem weiten Sinn verstanden:
vgl. meinen Blott "Der 'Eigentrag' oder: Der
Zins besteht nicht nur aus Zinsen - und nicht alle Zinsen sind ein Zins").
Abschließend einige Passagen zum Thema
Deflation aus dem Standardwerk "Einführung in die Geldtheorie" (15. Aufl. 2011) von
Prof. Otmar Issing, ehemals Mitglied im Direktorium der Deutschen Bundesbank
und der Europäischen Zentralbank
"Im
19. Jahrhundert wechselten sich
längere Phasen der Inflation und Deflation ab. Dabei waren durchaus Perioden zu
verzeichnen, in denen ein Rückgang des Preisniveaus von bemerkenswerten
Zunahmen des realen Sozialprodukts begleitet war. Die deflatorische Entwicklung
ergab sich im Wesentlichen aus dem Zusammenspiel einer Ausdehnung der
Produktion und der Beschränkung des Geldangebots im Goldstandard. Verheerende
Folgen der Deflation waren dagegen in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 zu
beobachten." (S. 273)
"Die
Kombination eines anhaltenden Rückgangs der Preise und einer mehr oder weniger
stetigen Zunahme des Sozialprodukts im 19. Jahrhundert ist weitgehend auf
Verbesserungen der Produktionsbedingungen bzw. erhebliche
Produktivitätssteigerungen, d. h. also auf angebotsseitige
Entwicklungen zurückzuführen. Die Ursachen der Deflation in den
Industrieländern der neueren Zeit sind dagegen vornehmlich auf der
Nachfrageseite auszumachen." (S. 274)
"Die
Deflation ist in vielerlei Hinsicht
das Spiegelbild der Inflation. Dem entsprechen auch die im Wesentlichen umgekehrten
Wirkungen auf wichtige
gesamtwirtschaftliche Größen ... . Während die Inflation tendenziell die
Verteilung zugunsten der Schuldner und zu Lasten der Gläubiger beeinflusst*,
benachteiligt die Deflation grundsätzlich die Schuldner und begünstigt die
Gläubiger.** Wie bei der Inflation hängen auch die Wirkungen der Deflation
nicht zuletzt davon ab, inwieweit die Preisentwicklung antizipiert wird. Deflation wie Inflation sind grundsätzlich
pathologische Erscheinungen der Geldwirtschaft. Nur bei einem stabilen
Geldwert kann das Geld seine Funktion uneingeschränkt im Dienste der
Gesellschaft erfüllen." (S. 274/275; Hervorhebung des vorletzten
Satzes von mir.)
*(hier wäre m. E.
zu ergänzen: "bzw. zugunsten der
Sachkapitalbesitzer und zu Lasten der Geldbesitzer")
**(m. E. zu ergänzen: "bzw. zugunsten der Geldbesitzer und zu
Lasten der Sachkapitalbesitzer - und der "Arbeitskraftbesitzer" -
denn deren Einkommen sinkt über Lohnverzicht oder Arbeitsplatzverlust)
"Eine
Besonderheit der Deflation liegt in der ... 'Nullgrenze'. Solange mit dem Bargeld ein liquides, risikoloses
Aktivum zur Verfügung steht, kann der Nominalzins nicht unter Null sinken - die
Anleger würden Aktiva mit negativer Verzinsung meiden und Bargeld halten"
( S. 275)
Nachträge 17.11.2014
"Abnahme des Preisniveaus (Gegensatz Inflation); Ursache: Die effektive Gesamtnachfrage (inländische und ausländische Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern) ist geringer als das in der Volkswirtschaft verfügbare Güterangebot (deflatorische Lücke). Eine Deflation kann herbeigeführt werden
- durch exogene Einflüsse: Maßnahmen der Fiskalpolitik (z. B. Steuererhöhung, Ausgabensenkungen), der Geldpolitik (z. B. Erhöhung der Mindestreservesätze, der Diskontsätze, der Abgabesätze am offenen Markt), der Außenwirtschaftspolitik (z. B. Erhöhung der Zölle, der Kontingente, Aufwertung) ,
- durch endogene Wirkungen als Folge einer konjunkturellen Abschwächung (Rezession im Inland oder Ausland.
- [Anmerkung von mir: Eine fehlende mögliche Deflationsursache ist eine rigide Geldversorgung bei wachsendem Güterangebot, wie man sie in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beobachtet hat.]
In ihrer Studie "Deflation and Depression: Is There an Empirical Link?" der Federal Reserve Bank of Minneapolis kamen die Autoren Andrew Atkeson und Patrick J. Kehoe im Jahr 2004 zu einer verneinenden Antwort. Zusammenfassung ("abstract"):"Are deflation and depression empirically linked? No, concludes a broad historical study of inflation and real output growth rates. Deflation and depression do seem to have been linked during the 1930s. But in the rest of the data for 17 countries and more than 100 years, there is virtually no evidence of such a link."
Gary, H. Stern, seinerzeit Präsident der Fed von Minneapolis, hatte bereits im Jahr 2003 eine Rede über das Deflationsthema gehalten: "Should We Accept the Conventional Wisdom About Deflation?"
Darin bezieht er sich auch auf einen Aufsatz im Jahresbericht (A N N U A L R E P O R T) 2002 der F E D E R A L R E S E R V E B A N K O F C L E V E L A N D (S. 8 - 16).
Nachtrag 01.02.2017
Im Januar 2015 hat Bagus seine Thesen auch in einem (englischsprachigen) Buch veröffentlicht: "In Defense of Deflation (Financial and Monetary Policy Studies)". Erläuterungstext von der Buchrückseite (lt. Amazon-Eintrag):
"This book analyses the causes and consequences of deflation. In contrast to the widespread believe that deflation would be harmful to the economy as a whole, the author argues that free market deflation is liberating and beneficial. Several myths of deflation are exposed and the reasons for the widespread deflation phobia that serves to justify expansionary monetary policy, i.e., inflation are investigated. Two historical case studies, the growth deflation in the US after the Civil War and the bank credit deflation in Germany during the Great Depression are discussed to illustrate the points made in the theoretical analysis of deflation."
Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Textauszüge auf der Webseite des Springer-Verlages.
ceterum censeo
Zerschlagt den €-Gulag
und den offensichtlich rechtswidrigen Schlundfunk der GEZ-Gebühren-Gier-Ganoven!
Textstand
vom 01.02.2017.
Für Paperblog-Leser:
Die Original-Artikel in meinem Blog werden im Laufe der Zeit teilweise
aktualisiert bzw. geändert.
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