Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Vorbemerkung zum hier verwendeten Kulturbegriff
Es sollte eigentlich selbstverständlich sein; vorsorglich sei es aber doch ausdrücklich gesagt, dass der Begriff "Kultur" hier nicht mit "Hochkultur" identisch ist, sondern im anthropologischen Sinne gebraucht wird. Also, um auf eine Definition aus der Wikipedia zurückzugreifen: "Kultur ist ..... ein System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten der Menschen leiten."
Zur Ausgangsbasis meiner Überlegungen
Der vorliegende Aufsatz bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Texte, nämlich:
- Den Kommentar "Zu de Maizières Thesen : Eine deutsche Leitkultur darf es nicht geben" des Kölner (Straf-)Rechtsanwalts Heinrich Schmitz im Tagesspiegel vom 01.05.2017. Den greife ich mir heraus, weil wir zum einen Facebook-befreundet (obwohl ideologisch eher befeindet) sind. Vor allem aber deshalb, weil seine Argumente typisch sind für die eher einfältige und kurzsichtige Denkweise vieler anderer seines Schlages (also, ganz grob gesagt, der sorglos dahinlebenden "Bahnhofsklatscher", die sich nur für das sogenannte "Gute" zuständig fühlen: Alle (oder doch sehr viele) Fremde reinlassen, und die ansonsten sorglos in den Tag hineinleben. Die dahinter stehende Haltung, die letztlich auf die Weigerung hinausläuft, als Bürger gegenüber ihrem eigenen Gemeinwesen vorausschauend mitzudenken, lässt sich mit folgenden Sätzen des "Rheinischen Grundgesetzes" beschreiben: "Et es wie et es", "Et kütt wie et kütt" und "Et hätt noch emmer joot jejange". Letztlich vertrauen solchen sorg-losen Mitbürger auf Gott und die Regierung, die es 'schon richten wird'.
- Weiterhin bezieht sich, logischer Weise, mein Text zugleich auf den in Schmitz' Aufsatz (kritisch) reflektierten Artikel "Leitkultur für Deutschland - Was ist das eigentlich?" von Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des Innern. Dieser Artikel ist im Internet-Auftritt der BILD-Zeitung am 30.04.2017 im kostenpflichtigen Bereich erschienen (unter dem Haupttitel „Wir sind nicht Burka“) und gedruckt wohl in der BILD AM SONNTAG vom gleichen Datum. Ich gehe davon aus, dass der dortige Text mit dem hier von der Ministeriumsseite verlinkten identisch ist.
Wenn man den de Maizière-Essay als Teil der Grunddebatte ansieht, dann schreibt Heinrich Schmitz als "Beobachter" (quasi im luhmannschen Sinne) darüber (bzw. dagegen). Während ich hauptsächlich die Kritik von Schmitz kritisiere, also aus der Position eines "Beobachters eines Beobachters" argumentiere.
Das klingt komplizierter, als es in Wahrheit ist, denn so oder ähnlich debattieren wir alle tagtäglich. Nur reflektieren wir unser Tun meist nicht, d. h. wir versuchen nur selten, uns selber beim Beobachten zu beobachten. 😊
Aber, und das im Auge zu behalten ist notwendig, um de Maizière zu verstehen: Auch er ist Beobachter.
Er hat den Begriff "Leitkultur" nicht erfunden und hat diese schon länger geführte Debatte nicht losgetreten. Die ist erwachsen aus der Beobachtung, dass in Deutschland nicht-deutsche Gesellschaften entstanden sind, die sich abgekapselt und gefestigt haben ("Parallelgesellschaften") und die auf bestimmten, teilweise auch sehr wesentlichen Feldern den Einrichtungen usw. der "alten" Mehrheitskultur ablehnend gegenüberstehen.
Es liegt auf der Hand, dass eine solche Entwicklung insbesondere dann nicht folgenlos bleiben kann, wenn diese nicht-deutschen Gesellschaften auch weiterhin einen stetigen und relativ großen Zustrom von außen erhalten* und außerdem auch reproduktiv stärker wachsen als die Altpopulation.
* (Zustrom durch diejenigen, welche die Buntfanatiker als "Flüchtlinge" bezeichnen und die ich "Eindringlinge" oder "Immiggressoren" nenne. Die müssen nicht unbedingt individuell aggressiv sein: Für mich ist deren rechtswidriges Eindringen in "meinen" Lebensraum ein Akt der Aggression.)
In dem Text von de Maizière ist die Stoßrichtung (d. h. was von wem verlangt wird) nicht immer eindeutig. Grundsätzlich ist es wohl so, dass er die Deutschen auffordern will, sich auf ihre Werte zu besinnen und sie den Fremden vorzuleben, letztlich mit dem Ziel, sie dann auch glaubhaft von diesen einfordern zu können: "Leitkultur kann und soll vor allem vorgelebt werden. Wer sich seiner Leitkultur sicher ist, ist stark. Stärke und innere Sicherheit der eigenen Kultur führt zu Toleranz gegenüber anderen. Leitkultur ist also zunächst und vor allem das, was uns ausmacht. Wenn sie uns im besten Sinne des Wortes leitet, dann wird sie ihre prägende Wirkung auf andere entfalten."
Aber in ihrer typischen Form (auf die ich hier abstelle) ist die Leitkultur-Debatte Ausdruck der Sorge, dass es zu kulturellen Dynamiken kommen könnte, die zu negativen Änderungen gegenüber dem bisherigen Zustand unserer Gesellschaft führen.
Also zu Änderungen, die objektiv schädlich sind (z. B. wohlstandsmindernd) oder die von vielen in der Altpopulation (derjenigen Bürger, "die schon länger hier leben", wie unsere Bundeskanzlerin ihre Mitbürger zu bezeichnen beliebt) als unerwünscht empfunden werden.
Diese Sorgen (Buntfanatiker sprechen abschätzig von "Ängsten") beziehen sich mithin auf ZWEI Dimensionen (die in der Realität nicht so scharf getrennt werden können wie hier in der abstrahierenden Debatte):
- Die Sorge um die IDENTITÄT der Deutschen als Deutsche und
- Die Sorge um die FUNKTIONSFÄHIGKEIT der deutschen Gesellschaft (einschließlich Staat und Wirtschaft) auf dem bisher gewohnten Form einer (im internationalen Staatenvergleich) relativ großen Effizienz und Leistungsstärke.
- Reduzierung oder totaler Stopp (manche fordern sogar eine Umkehrung) des Migrationsstroms und
- Integration der Eingewanderten.
Leitkultur und Steckdosenstrom
Die ersten beiden Sätze meiner Überschrift sind eine Kontamination, eine Verschmelzung der zwei Aussagen
- Wozu brauchen wir eine Leitkultur? Wir haben doch Gesetze!
- "Wozu brauchen wir Kraftwerke? Der Strom kommt aus der Steckdose!"
Für die Stromerzeugung muss ich das nicht begründen.
Nicht ganz so unmittelbar einsichtig dürften dagegen jene Denkfehler sein, welche eine Leitkultur für überflüssig (oder gar schädlich) erklären, weil wir ja Gesetze haben. Die, nach jener Meinung, alles Erforderliche im Zusammenleben der Menschen in Deutschland regeln. Während jenseits der Gesetze jeder Mensch tun und lassen müssen dürfe, was er wolle.
Zirkel und Hammer
Die Ausführungen von de Maizière haben etwas Tastendes, Unsicheres. Und das meine ich absolut nicht negativ. Vielmehr stellt er Überlegungen zur Debatte, von denen er selber sehr wohl weiß, dass die von ihm angesprochenen Sachverhalte niemals in gleicher Weise begrifflich oder statistisch dingfest gemacht werden können, wie etwa die Kriminalitätsrate der Zuwanderer im Vergleich zu denjenigen, "die schon länger hier leben".
De Maizière hat Kritik wie die von Heinrich Schmitz (oder von Jürgen Kaube in der FAZ vom 02.05.2017: "De Maizières Kulturbegriff Wenn Leitgedanken kranken" oder, besonders dümmlich-arrogant im ZEIT-typischen alternierenden Tonfall zwischen Hysteriker und Volkserzieher in Hamburgs führendem Fischeinwickelpapier verfasst, Kai Biermanns "Leitkultur: Antreten zum Integrieren!" vom 30.04.2017) längst vorweggenommen, wenn er sagt:
"Ich meine: Es gibt noch mehr [als nur Verfassungspatriotismus und Amtssprache]. Es gibt so etwas wie eine 'Leitkultur für Deutschland'. Manche stoßen sich schon an dem Begriff der 'Leitkultur'. Das hat zu tun mit einer Debatte vor vielen Jahren. Man kann das auch anders formulieren. Zum Beispiel so: Über Sprache, Verfassung und Achtung der Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält, was uns ausmacht und was uns von anderen unterscheidet. ..... Wenn wir eine Leitkultur für Deutschland beschreiben, sind wir den Bedenken einer undifferenzierten Verallgemeinerung ausgesetzt. Wer Grundsätze benennt, muss sich die Ausnahmen vorhalten lassen. Das ist so. Und es stimmt: Es gibt viele Unterschiede in unserem Land. Aber wer will bestreiten, dass es hier erprobte und weiterzugebende Lebensgewohnheiten gibt, die es wert sind, zu erhalten?"
Aus meiner Sicht ist es daher unangemessen, seinen Text als Versuch einer Richtliniensetzung ex cathedra zu begreifen und darauf zu erwidern. Vielmehr verstehe ich ihn als einen Debattenbeitrag, der zur weiteren Debatte auffordert: De Maizière versucht gewissermaßen, mit dem Zirkel des Bildhauers aus der konturlosen Materie dessen, was ist, eine Struktur, eine "Gestalt" (im philosophisch-psychologischen Sinne) abzutasten.
Klar ist aber natürlich auch, dass im Hintergrund solcher (gegensätzlicher) Interpretationen häufig eine Vor-Entscheidung steht, nämlich die Entscheidung darüber, ob man die in der Leitkultur-Debatte angesprochenen Tendenzen mit Sorge betrachtet (wie ich), oder sie als unproblematisch ansieht, wie das offenbar Heinrich Schmitz tut.
(Bei Jürgen Kaube bin ich mir in dieser Hinsicht weniger sicher; ich vermute, dass seine 'Gegendarstellung' eher vom Reiz des intellektuellen Spiels geleitet ist, von dem Wunsch, seine Fähigkeit zur Kritik - die oberflächlich betrachtet ja auch allemal gerechtfertigt ist - zur Schau zu stellen.)
Schmitz dagegen holt den Hammer raus. Für seine schlichte Betrachtungsweise ist die Sache ganz einfach: Alles nur Wahlkampfgetöse, und Mist sowieso:
"Alle Jahre wieder holt jemand die leicht muffige Leitkultur aus der Rumpelkammer. Bundesinnenminister de Maizière versucht damit erneut im Wahlkampf zu punkten. ..... Wenn der Minister im ersten Punkt meint, sagen zu müssen, „wir sind nicht Burka“, dann ist dies zwar der missglückte Versuch im Bereich der blauen Islamhasser [also der Alternative für Deutschland] nach Stimmen zu fischen. ..... Es ist – gerade wegen der Nennung der Burka – ein allzu durchsichtiges Manöver, kurz vor der Bundestagswahl im Trüben zu fischen."
Das kann und wird man natürlich dann so sehen, wenn man die Vorentscheidung getroffen hat, die Sorgen vieler Bürger als unbegründete Ängste abzutun. (Dass Schmitz die für sich getroffen hat, ergibt sich aus der pauschalen Charakterisierung der besorgten Bürger als "Islamhasser".)
Es mag auch objektiv durchaus zutreffen, dass de Maizière selber bei der Abfassung seines Textes die bevorstehenden Wahlen (NRW, Schleswig-Holstein und, später im September, die Bundestagswahl) im Blick hatte und Wählerstimmen von der AfD zur CDU ablenken wollte.
Das besagt aber absolut gar nichts über a) Sinnhaftigkeit und b) Richtigkeit seines Essays.
Darüber zu diskutieren wäre "ein weites Feld". Daher beschränke ich mich hier weitgehend auf die Kritik der Kritik, nämlich auf die Erörterung der Denkfehler, die weiten Teilen der Ausführungen von Schmitz zugrunde liegen. Daraus ergeben sich dann häufig auch Andeutungen zur Sinnhaftigkeit der Leitkultur-Debatte überhaupt.
Diese Sinnfrage ist natürlich das eigentliche Gravitationszentrum meiner Ausführungen, auch wenn ich, mehr noch als de Maizière, dieses mehr umkreise als direkt angehe.
Fehler ohne Ende von der Überschrift bis zum Ende
"Eine deutsche Leitkultur darf es nicht geben"
ist natürlich Unsinn. Es sei denn, Schmitz wolle entweder die deutsche Kultur abschaffen, oder deren Rolle als maßgebliche Grundlage für unsere Gesellschaft. Wenn es keine kulturellen Unterschiede gäbe, gäbe es auch keine unterschiedlichen Gesellschaften; es gäbe dann nur eine einzige Menschheit, die mehr oder weniger zufällig (und nur vorerst noch) irgendwie organisatorisch in verschiedene Staaten aufgeteilt ist.
Kultur ist jedoch IMMER eine handlungsleitende Hintergrundstruktur in der Gesellschaft und internalisiert im Individuen. Insofern ist jegliche Kultur eine "Leitkultur".
Die Frage für uns ist lediglich, wie weit unsere Forderungen an die Fremden auf Übernahme unserer Kultur gehen sollen. (DASS wir solche Forderungen schon jetzt ganz selbstverständlich stellen, ohne die als "Leitkultur" zu bezeichnen, zeigt sich bei Sprache und Rechtsnormen, deren Beherrschung bzw. Beachtung wir erwarten.)
"Dabei ist eine spezifisch deutsche Kultur nicht identifizierbar."
Tatsächlich ist es schwierig, "die" deutsche Kultur zu identifizieren. Weil es die nicht als eindeutig umrissenen Sachverhalt gibt (wie Schmitz ihn implizit als Voraussetzung für die Möglichkeit von Aussagen über spezifische Kulturen unterstellt). Auch das hat freilich de Maizière schon selber gesagt (meine Hervorhebung): "Es ist die Mischung, die ein Land einzigartig macht und die letztlich als Kultur bezeichnet werden kann. Und ist es nicht auch genau das, was wir suchen, wenn wir reisen - die Kultur des dann anderen Landes; das Erfahren eines anderen Kulturkreises, der uns den eigenen dann auch immer wieder bewusst macht?"
Mit diesem "Mischungs-Sachverhalt" wurde ich selber, in etwas anderer Form, vor Jahrzehnten konfrontiert. Damals fragte man mich bei einem Jugendaustausch in Großbritannien, ob ich einen Deutschen von einem Engländer unterscheiden könne. Nach einigem Nachdenken wurde mir bewusst, dass das bei einer Einzelperson nie, oder allenfalls selten, möglich ist. Dass man aber bei Personengruppen auf den ersten Blick mit ziemlicher Sicherheit zwischen Deutschen, Briten, Franzosen usw. unterscheiden kann.
Ähnlich ist das bei Kulturen: Es ist nicht so, dass es Korruption lediglich in Griechenland gäbe und in Deutschland nicht. Nur gibt es bei uns eben deutlich weniger Korruption, und das macht einen von vielen Unterschieden aus, die aber nicht (wie Schmitz das unausgesprochen unterstellt) kategorialer Natur sind (oder sein müssen), sondern nur graduell. Aber deswegen sind sie weder nichtexistent, noch sind sie, bei einem allgemeinen Kulturvergleich, nicht identifizierbar.
Dem ganzen Duktus seiner Ausführungen nach (z. B. "Es gibt in unserem Land viele regionale Sitten und Gebräuche. Es gibt jede Menge Kultur - sei sie musikalischer, bildlicher, philosophischer oder schriftstellerischer Art. Eine spezifisch deutsche Kultur, ist, von der Sprache als solcher einmal abgesehen, aber nicht identifizierbar.") scheint Schmitz ein ungläubiger Kultur-Thomas zu sein. Für den es nicht gibt, was er persönlich nicht mit seinen fünf Sinnen erkennen kann.
In der Tat wäre es unmöglich, das, was auf der deskriptiven Ebene (zwar vorhanden, aber) nicht identifizierbar ist, irgendwie in handlungsleitende Normen umzugießen. Aber, wie gesagt: Eine deutsche Kultur lässt sich im Prinzip sehr wohl identifizieren, und die von Schmitz sozusagen nur der guten Ordnung halber aufgeführte Sprache (sowie das von ihm in DIESEM Zusammenhang ständig vergessene Recht, dass er sich hintergründig wohl als ein außerhalb von "Kultur" stehendes System denkt) ist ein ganz zentraler Teil unseres, ich sage mal: "Kulturellen Betriebssystems". Und wie überall gibt es auch für die nähere Bestimmung derjenigen Elemente, die eine Kultur ausmachen, Experten: Anthropologen, vielleicht auch Ethnologen und Soziologen. Die können das besser können als Thomas de Maizière, Heinrich Schmitz - oder auch ich.
Aber auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene geht es gar nicht um derartige Finessen. Sondern darum, ob die Nicht-Deutschen eine Bedrohung darstellen könnten für diejenige Art und Weise, in der wir, die "Schon-länger-hier-Lebenden", gerne leben würden.
In dieser Hinsicht ist die Art und Weise, wie sich Schmitz und diejenigen (zahlreichen) Bürger, die so denken wie er, mit der Fragestellung auseinandersetzen, eindeutig unterkomplex.
" 'Wir legen Wert auf einige soziale Gewohnheiten, nicht weil sie Inhalt, sondern weil sie Ausdruck einer bestimmten Haltung sind: Wir sagen unseren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand. Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot', heißt es in der ersten seiner 10 Thesen. Was de Maizière da als Ausdruck einer deutschen Haltung vermutet, ist eine bunte Mischung aus Beliebigkeiten."
Das kann man bei einer Reihe von Punkten so sehen. Aber der ebenfalls in die erste These fallenden Satz "Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka", den Schmitz an dieser Stelle unterschlägt (weil er ihn später in anderem Zusammenhang kritisieren will), ist keineswegs eine Beliebigkeit. Dass das Burkatragen bislang bei uns noch kein Massenphänomen ist (oder allenfalls in München zwischen Hauptbahnhof und Marienplatz, aber dort sind das arabische Touristen) sagt für sich genommen noch nichts aus. Hier argumentiert auch Kaube verkürzt, wenn er schreibt: "Die Anzahl der Burka-Trägerinnen in Deutschland belässt das Problem derzeit quantitativ weit unterhalb der Ebene, auf der andere nur eingeschränkt Kommunikationswillige im öffentlichen Raum ertragen werden." Es geht nicht ums Ertragen eines irgendwie lästigen Sachverhalts, sondern darum, ob man hier frühzeitig (rechtzeitig) gegenhalten muss. Oder soll man, analog zur aktuellen Rechtsprechung des EuGH zum Verbot rechtsextremer Parteien, erst warten bis eine Organisation oder, hier, eine Verhaltensweise, zu einem ernsten Problem geworden ist, bevor der Gesetzgeber eingreift (eingreifen darf)?
Und bei der Erwähnung des Händeschüttelns stehen, was Schmitz sicherlich auch bekannt ist, ganz konkret Fälle im Hintergrund, bei denen "geschlechtshalber einer Frau oder einem Mann" das Händeschütteln verweigert wurde (so Jürgen Kaube in seinem FAZ-Kommentar). Auch Kaube fragt kritisch: "Braucht es hier den Begriff der Leitkultur, um das Unterlassen des Unterlassens für wünschenswert zu halten?" Aber damit verniedlicht auch er das Problem, dass diejenigen (Fremden), die aus DIESEM Grund die Hand des (andersgeschlechtlichen) Gegenübers nicht annehmen wollen, ein grundsätzliches Problem mit der Gleichheit von Mann und Frau haben. Und damit negieren sie genau das, was Schmitz für fundamental hält: "Diese Gesellschaft beruht auf dem Grundsatz der Menschenwürde". Beckmesser können hier natürlich darauf verweisen, dass dieser Grundsatz allgemein abendländisch ist und nicht spezifisch deutsch. Nichtsdestotrotz stehen wir bei solchen Vorgängen vor der Frage, ob das Einzelfälle sind, bei denen man mit de Maizière sagen kann "Aushalten müssen wir dagegen sicher einiges", oder ob wir hier nicht vielmehr nach dem Motto "Wehret den Anfängen" gegenhalten müssten.
(Wobei ein evtl. "Gegenhalten" nicht unbedingt direkter Natur sein muss. Niemand würde auf die Idee kommen, das Händeschütteln vorzuschreiben. Aber sehr wohl darf und sollte man sich darüber Gedanken machen, ob nicht beispielsweise ein Verbot des Kopftuchtragens an Schulen helfen könnte, Fehlentwicklungen und mit unserer Kultur unvereinbare Vorstellungen über das Geschlechterverhältnis zu verhindern bzw. zu korrigieren.)
"„Wir“ - wen auch immer der Minister damit meinen mag – sind weder Burka noch Lederhose, weder Kartoffelsack noch Nadelstreifen .....".
Hier verkehrt Schmitz die Aussage des Innenministers in ihr genaues Gegenteil, um Burka und Lederhose scheinplausibel auf eine Ebene zu bringen. Doch geht es bei der Burka, anders als - potentiell - bei der Lederhose, eben nicht darum, ob wir uns damit identifizieren. Sondern darum, dass die große Mehrzahl der Deutschen - Lederhosen-, Jeans- oder Frackträger - die Burka ablehnen. Falls Schmitz das nicht tut, stünde seine theoretische Fundierung unserer Gesellschaft auf der Menschenwürde auf verdammt wackeligen Beinen. Die Burka ist eben NICHT ein beliebiges Kleidungsstück wie Lederhosen oder Jeans, sondern sie ist Symbol und Ausdruck der Unterordnung der Frau unter den Mann. Wer damit (jenseits rein quantitativer Überlegungen) kein grundsätzliches Problem hat, der darf sich nicht wundern, wenn er eines nicht allzu fernen Tages in einer Gesellschaft aufwacht, in der die Menschenwürde keine Rolle mehr spielt.
"..... auf die eigene Leistung darf jeder, wenn er denn möchte, stolz sein. Es muss sich aber auch niemand verstecken, der nichts leistet, ganz gleich aus welchem Grund. Wer meint, die Leistung eines Menschen sei ein allgemeingültiger Maßstab unserer Gesellschaft und Stolz sei ein durchweg positiver Begriff, der hat die Basis unserer Gesellschaft, unser Grundgesetz, nicht richtig verstanden. Diese Gesellschaft beruht auf dem Grundsatz der Menschenwürde, nicht auf dem Grundsatz der Leistung."
Den Begriff der Menschenwürde gab es lange Jahrhunderte hindurch, in denen die große Teile der Menschen auch bei uns in einer Weise behandelt wurden, die wir heute als menschenunwürdig empfinden würden. Dass HEUTE die Menschenwürde mehr oder weniger gewahrt wird, ist nicht der Tatsache zu verdanken, dass unsere Verfassung darauf aufbaut. Sondern dass jetzt (endlich) die ökonomischen Voraussetzungen (Produktivitätsniveau) erfüllt sind, die eine menschenwürdige Behandlung aller Menschen IN UNSERER GESELLSCHAFT überhaupt erst möglich machen.
Wollten wir die ganze Welt mit unserer Menschenwürde beglücken, würde diese überall, einschließlich unserem eigenen Land, zusammenbrechen, weil wir damit ökonomisch überfordert wären.
Und die Grundlage unseres (relativen) Wohlstandes ist selbstverständlich die Leistung. Faulenzer werden, völlig zu Recht, scheel angesehen. Leute, die sich in die soziale Hängematte legen, ebenfalls, und das ist auch gut so. Bettelei war bei uns im Mittelalter nicht stigmatisierend und ist es m. W. In den islamischen Ländern auch heute nicht. Im Gegenteil: Sie war (bei uns) und ist wohl noch (im Islam) geradezu eine Voraussetzung, damit die Wohltäter Almosen als religiöse Pflichterfüllung geben können.
Bei uns hat sich diese Auffassung im 18. Jh. drastisch gewandelt und Bettler wurden zunehmend ausgegrenzt und als Arbeitsscheue stigmatisiert. Das mag man nicht als besonders nett empfinden; es dürfte aber eine (von vielen) Voraussetzungen für den Aufstieg des Westens als Industrieländer gewesen sein.
Es kommt nicht darauf an, ob die "Leistung eines Menschen sei ein allgemeingültiger Maßstab unserer Gesellschaft" ist. Sondern darauf, dass der Leistungsgedanke ein ganz wesentlicher Teil unserer Kultur ist, ohne den letztlich (mangels ökonomischer Leistungsfähigkeit) die Menschenwürde nur auf dem Papier stehen würde.
Insofern macht es sehr viel Sinn, dass de Maizière (wenn ich ihn richtig interpretiere) von den Deutschen fordert, den Fremden, die in unserem Land leben wollen, Leistung vorzuleben - um sie dann aber auch abzufordern.
"Zur Regelung von Konflikten gebe es eine Zivilkultur verrät uns der Minister – als ob das etwas mit Kultur zu tun hätte."
Selbstverständlich hat das etwas mit Kultur zu tun: Das Recht ist einerseits Teil der Kultur, und andererseits ist für die spezifische Ausprägung von Rechten die Kultur konstitutiv. Natürlich steht die deutsche Kultur nicht als Solitär in der Welt: Sie ist überwölbt von der und eingebettet in die abendländische Kultur. Dennoch ist das, was hier "nur" ein Teil unserer allgemeinen westlichen (abendländischen) Kultur ist, zugleich auch deutsche Kultur.
"Kennt er ein europäisches Land, in dem Konflikte nicht durch gesetzliche Gerichtsverfahren geregelt werden?"
Natürlich nicht, aber darum, und auch das weiß Schmitz ganz genau, geht es de Maizière nicht. Sondern um die Abgrenzung zur Scharia und zum Koran als Rechtsquelle. Dieser Gegensatz ist zwar allgemein abendländische und nicht spezifisch deutsche Kultur, aber eben auch ein Teil unserer deutschen Kultur und ein legitimer und notwendiger Aspekt der Leitkultur-Debatte, wenn man diese überhaupt zumindest als legitim akzeptiert. (Falls nicht, muss man sich mit den Überlegungen von de Maizière gar nicht erst auseinandersetzen. Was Schmitz in gewisser Weise auch tatsächlich nicht tut.)
"Die Behauptung, Deutsche seien aufgeklärte Patrioten, ist geradezu putzig. Hier laufen unter dem Label „deutsch“ und Patrioten jede Menge Idioten durch die Gegend, die von sich zusätzlich auch noch behaupten, sie seien nicht etwa nur ein Teil des Volkes, sondern sie seien das Volk."
Hier laufen auch genügend Bahnhofsklatscher durch die Gegend, die es für legitim halten, ihre Mitbürger als Steuersklaven für griechische Steuerhinterzieher und fremde Völker - eindringende wie daheim gebliebene - zu schröpfen.
Nach meinem Eindruck und auf Basis der Wahlergebnisse zu urteilen, ist das noch immer der weit überwiegende Teil der Michelmenschen. Womit de Maizière, in seinem (definitiv nicht in meinem) Sinne mit den "aufgeklärten Patrioten" durchaus Recht hätte.
Was die korrekte Zuordnung der beiden vorbeschriebenen Wählerklassen zur Kategorie der Idioten angeht, ist meine Meinung derjenigen von Schmitz diametral entgegengesetzt.
"Ich weiß überhaupt nicht, wie der Minister, von dem man sich gerade an diesem Wochenende gewünscht hätte, er hätte sich zum Fall des Bundeswehrsoldaten, der vom BAMF als Asylbewerber anerkannt wurde, geäußert, auf die Idee kommt, es sei seine Aufgabe, die deutsche Leitkultur zu definieren. Denn genau das versucht er, auch wenn er scheinheilig behauptet, nur eine Debatte anstoßen zu wollen."
Es ist enthüllend, wie Schmitz den Innenminister hier auf tagespolitischen Aktivismus reduzieren und ihn so von Betrachtungen mit einem größeren Horizont abhalten will. Und zudem unzutreffend, dass er keine Vorstellungen davon habe, warum de Maizière Überlegungen publiziert, die weit über den politischen Alltagshorizont hinausgehen. Denn schließlich hatte Schmitz oben selber gesagt, dass es dem Minister um Wahlwerbung gehe. Nur schließt das keineswegs aus, dass es ihm auch um die Sache selber geht, nämlich (letztlich) um die bestmögliche Integration der Fremden in die deutsche Gesellschaft und damit auch in die deutsche Kultur.
Denn dass er mit der Leitkultur-Debatte letztlich auf Integration abzielt, sagen Inhalt und Positionierung des Schlusssatzes im Essay:
"Wenn wir uns klar darüber sind, was uns ausmacht, was unsere Leitkultur ist, wer wir sind und wer wir sein wollen, wird der Zusammenhalt stabil bleiben, dann wird auch Integration gelingen - heute und in Zukunft."
(DAS immerhin hat auch Biermann, wie aus dem Titel ersichtlich, erkannt - und offensichtlich missfällt es ihm, denn außer Kritik bringt er insoweit nichts.)
Es mag ja durchaus sein, dass der CDU-Minister im AfD-Wählerrevier fischen gehen will (das als solches nicht trüber ist als andere, denn schließlich ist ein Großteil der AfD-Wähler von anderen Parteien abgewandert). Aber so funktioniert eben Demokratie, dass die Opposition die Regierenden zum Handeln zwingt - oder zumindest dazu, ein Handeln vorzutäuschen. Der Ministeressay hätte dann eine Doppelnatur: Als Beitrag zum Wahlkampf einerseits, als Beitrag zur Grundsatzdebatte über die Leitkultur andererseits. Und, im besten Falle, als Vorbereitung zu verstärkten Integrationsmaßnahmen der Fremden in unsere deutsche Gesellschaft. Auf jeden Fall setzt er sich mit seinem Essay letztlich auch selbst unter Druck, denn, wie das Beispiel der FDP gezeigt hat, funktioniert das Vortäuschen von Regierungshandeln nur für begrenzte Zeit; irgendwann muss man auch "liefern".
"Eine Leit-Kultur, also eine Kultur die vorgibt, wie der Hase zu hüpfen hat, kann und darf es aber gar nicht geben. Kultur ist stets im Wandel. Man stelle sich vor, die Lebenswirklichkeit der deutschen Kultur der 1930er, 1950er oder auch noch der 1970er-Jahre wäre zementiert worden."
Es gibt selbstverständlich IMMER, und ganz unabhängig davon, ob wir das wollen oder überhaupt wissen oder nicht, eine Kultur. Und diese Kultur gibt (selbstverständlich im zeitlichen Wandel) IMMER vor, "wie der Hase zu hüpfen hat": Durch "harte" Rechtsnormen wie auch durch unzählige "weiche" Normen, die wir meist so sehr internalisiert haben, dass wir uns ihrer gar nicht mehr bewusst sind. Jede Kultur IST eine Leitkultur insofern, als sie unsere Handlungen, d. h. die Handlungen der breiten Masse, leitet. Der Einzelne kann davon abweichen, aber darum geht es nicht. Sondern darum, wohin der breite Strom fließt.
Das gilt offensichtlich für das Recht, das eben auch ein Teil unserer Kultur ist, das gilt aber auch für viele andere Bereiche. Wenn wir bei einem großen Zustrom Fremder die Dinge einfach treiben lassen dann kann es auf Dauer passieren, dass unsere Gesellschaft nicht mehr so funktioniert, wie wir uns das vorstellen.
Und dieses "Erwartungs-Wir" ist keineswegs auf diejenigen beschränkt, die Heinrich Schmitz für Patridioten hält. In Wahrheit baut zweifellos auch er selber darauf, dass (für ihn) der Wohlstand erhalten bleibt, die Kriminalität nicht zunimmt (vor allem ihn selber nicht trifft) usw. Nur setzen er und diejenigen, die ebenso denken, das alles als selbstverständlich und völlig ungefährdet voraus und weigern sich, über Risiken und Nebenwirkungen der Massenimmiggression (oder, entsprechend, der Griechenland-Hilfen) nachzudenken.
Während andere etwas weiter zu schauen versuchen und große Gefahren sehen.
Vom Grundsatz her ist das, was die Buntfanatiker als "Spaltung" der Gesellschaft bejammern, nichts anderes als seinerzeit die "Spaltung" der Bürger in Atomkraft-Gegner und Gleichgültige (aktive Befürworter dürften immer in der Minderzahl gewesen sein, denn für die Mehrheit der Bürger "kommt der Strom aus der Steckdose"): In beiden Fällen sahen bzw. identifizieren die einen, mehr oder weniger weit vorausschauend, Risiken, wo die anderen keine wahrnehmen (wollen), oder desinteressiert sind.
(Immerhin unterscheiden sich die Kritiker der Massenimmiggression darin von Merkels Blockflötenregime, dass sie keinen Tsunami im Rheintal erwarten und nicht die deutschen AKWs abgeschaltet hätten, weil ein japanisches Atomkraftwerk von einer Meereswelle beschädigt wurde.)
Es gibt keinen Grund, warum sich nicht auch die Vorstellungen von der Leitkultur dort, wo sie über ganz allgemeine Forderungen (Menschenwürde) hinausgehen, mit der Zeit wandeln sollten. Wie sich ja auch die Rechtsnormen gewandelt haben, die (ich kann das nicht oft genug betonen) ebenfalls Teil der Kultur sind, und die, weil für alle geltend, in jedem Falle (mit oder ohne diese Benennung) "Leitkultur" sind!
Darüber hinaus sollte idealer Weise das, was wir den Eingewanderten als unsere Werte abverlangen wollen, eher überzeitlicher als zeitbedingter Natur sein; "Leistungsorientierung" z. B. ist ganz sicher ein solcher Wert.
"Es gibt in unserem Land viele regionale Sitten und Gebräuche. Es gibt jede Menge Kultur - sei sie musikalischer, bildlicher, philosophischer oder schriftstellerischer Art. Eine spezifisch deutsche Kultur, ist, von der Sprache als solcher einmal abgesehen, aber nicht identifizierbar."
Erneut vergisst Schmitz hier ausgerechnet sein eigenes Fachgebiet: Das Recht. Denn selbstverständlich sind auch alle Rechtsnormen Teil der Kultur (und ihrerseits aus kulturellen Wertvorstellungen usw. erwachsen), und sie sind, weil zwingende Normen, sogar "Leitkultur" par excellence!
Und ohnehin geht es (was man de Maizière durchaus entgegenhalten kann) eben nicht darum, im Verhältnis zu den Fremden im Land nur dasjenige hochzuhalten, was spezifisch deutsch ist. Sondern auch das, was abendländisches Gemeingut ist, aber dem Fremden bei uns fremd.
"Deutschland zeichnet sich durch eine kulturelle Vielfalt aus, wie kaum ein anderes europäisches Land. Das hängt damit zusammen, dass Deutschland noch gar nicht so lange aus vielen kleinen Fürstentümern, Stadtstaaten und kleinen Ländern entstand. So ist es auch kein Wunder, dass einem Rheinländer die Kultur der Niederländer näher liegt, als die der Niederbayern oder gar der Sachsen. Diese kulturelle Vielfalt macht die Stärke unserer Nation aus. Eine einheitliche deutsche Leitkultur gibt es nicht ....."
Gibt es eine spezifisch Kölner Kultur? War die Versenkung des Kölner Stadtarchivs in den Untergrund beim U-Bahn-Bau Ausfluss kultureller Kölner Spezifika? Gibt es eine rheinische Kultur - oder nur rheinisches Lokalkolorit? Über solche Fragen kann man sicherlich so endlos diskutieren, wie die Scholastiker über die Anzahl der Engel, die auf eine Nadelspitze passen.
Nur: WENN man terminologisch den Rheinländern, den Sachsen und den Niederländern kulturelle Spezifika zugestehen will (egal, ob man deren Gesamtheit dann als Kultur im anthropologischen Sinne bezeichnet oder mit einem anderen Ausdruck belegt), dann müsste man, mit ein wenig Nachdenken, auch Deutschland eine Kultur zugestehen. (Und, auf der nächsthöheren Ebene, Europa und dem "Westen", einschl. der USA.) Man kann sich das als eine Mehrheit konzentrischer Kreise denken, oder ineinander verschachtelt nach Art einer Matrjoschka (Matroschka); jedenfalls gibt es "Kultur" nicht nur auf einer einzigen räumlichen Ebene.
Die (wenn man so will) lokalen "Kulturen" sind in Deutschland selbstverständlich überwölbt von einer "deutschen Kultur", die ihrerseits in eine abendländische Kultur eingebettet ist. Und diese Kultur ist, auf jeden Fall, aber keineswegs ausschließlich, in Sprache und Recht, dasjenige (ich formuliere mal bewusst unspezifisch: ) "System", das unsere Handlungen (grosso modo, nicht in jedem Einzelfall) leitet. Die handlungsleitende Kultur ist die Leitkultur; und deren zentrale Teile (ebenfalls auf jeden Fall: Sprache und Recht) müssen selbstverständlich auch von den Fremden akzeptiert (erlernt und internalisiert) werden, die dauerhaft bei uns leben wollen.
"Unter der Geltung des wunderbaren Grundgesetzes darf jeder nach seiner Fasson leben und glücklich werden. Es reicht völlig, dass er die geltenden Gesetze einhält."
Das ist, ich muss das leider ganz brutal sagen, eine ausgesprochen formalistisch-mechanistische Sicht von Gesellschaft. Man könnte sie "kulturlibertär" nennen, denn auch die Libertären glauben ja, es sei ausreichend, den Menschen einen Satz von Regeln vorzugeben (dort hauptsächlich den Schutz des Eigentums betreffend) und im übrigen jeden seinen eigenen Zwecken nachgehen zu lassen, dann hätten wir die beste aller möglichen Welten.
Nur gibt es leider einen Unterschied zwischen deskriptiven und handlungsleitenden (motivatorischen) Wahrheiten.
"Jeder hat die Chance, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden" ist deskriptiv falsch. Denn wenn jeder Millionär wäre, würde niemand mehr für den Millionäre ihre Millionen erarbeiten, weshalb es dann auch keine Millionäre mehr gäbe.
Trotzdem ist die Aussage MOTIVATORISCH wahr: Es ist die Karotte, die den Hasen vors Maul gebunden wird und sie dadurch im Rennen hält.
In gleicher Weise werden wir durch die (simplifizierte, um totale Genauigkeit geht es hier nicht) Aussage: "In unserer Gesellschaft darf jeder machen, was er will" motiviert, uns frei zu fühlen und Unternehmungsgeist zu entwickeln. Während wir doch in Wahrheit in unzählig viele Sachzwänge eingebunden sind: Eben in unsere "Kultur"!
Und erst diese Einbindung, deren wir uns nur selten bewusst sind, ermöglicht überhaupt das Funktionieren unserer Gesellschaft. "Alles andere ist jedermanns eigene Sache, ganz egal was er glaubt oder nicht glaubt, was er anzieht oder nicht anzieht, welche Musik er hört oder welche Kultur er persönlich bevorzugt."
Das ist die Melodie, die unsere Gesellschaft uns vorspielt - und die als solche ebenfalls ein charakteristischer Teil UNSERER (in diesem Falle: abendländischen) Kultur ist (während anderswo weitaus mehr Konformität erwartet wird).
Das heißt aber nicht, dass diese schöne Blockflötenmelodie auch tatsächlich Realität wäre. Als Angestellter am Bankschalter darf ich nicht einmal in heißen Sommertagen meinen Dienst in der Badehose antreten. Welche Musik man hört, ist großenteils durch kulturelle "Zwänge" vorgegeben: Von der eigenen "kulturellen" Vorgeschichte, von der "Peer-Group" (speziell unter Jugendlichen) usw. Rein formal darf ich natürlich zum Islam konvertieren; aber es kann sein, dass mein bisheriges gesellschaftliches Umfeld mich dann meidet. Andererseits käme ich eben wegen dieses Umfeldes wahrscheinlich gar nicht erst auf eine solche Idee.
Bin ich dagegen ein "Loner" und würde, auf der Suche nach gesellschaftlichem Anschluss und Anerkennung, in islamische oder islamistische Kreise (im Internet und/oder in der wirklichen Welt) geraten und dort freundlich aufgenommen, dann würde ich vielleicht konvertieren - und ggf. nicht einmal realisieren, dass es mir gar nicht um die Religion, sondern allein um gesellschaftlichen Anschluss ging. Die "Kultur" umspinnt und umwebt uns also allerorten; in einer Gesellschaft sind unendlich mehr Kräfte am Wirken, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.
Was tun? Nichts tun?
"Wer diese Vielfalt fürchtet, ist ein armer Wicht, denn er bleibt in der Vergangenheit verhaftet."
Nun: Hier stellt sich immer die Frage, WELCHE zu tolerierende Vielfalt mit "dieser" gemeint ist. Darf ich ein Hakenkreuz tragen? Nein: Das ist gesetzlich verboten.
Aber, wie Schmitz selber sagt (dort, wo es in SEINE Argumentation zu passen scheint): Kultur ist dynamisch. Warum sollen wir also nicht auch die Burka verbieten, warum nicht das Tragen von Kopftüchern in Schulen und im öffentlichen Dienst?
Wer Intoleranz toleriert, kann schnell ein noch ärmerer Wicht sein, als derjenige, der Vielfalt fürchtet. Ein starker Glaube IST tendenziell intolerant. Da entfalten sich kulturelle Dynamiken, die das Wollen des Einzelnen überrollen können. Die Urchristen waren (vermutlich) liebe, nette Menschen. Bis sie irgendwann stark genug waren, die Heiden auf den Scheiterhaufen zu schicken.
Etwas über den Tellerrand des IST-Zustandes hinauszublicken, Vor-Sorge für die Zukunft zu treffen: Das ist eigentlich DAS zentrale Charakteristikum unserer "faustischen" Kultur (und vielleicht weitaus mehr konstituierend für das Abendland und für Deutschland als die Menschenwürde).
Mit solchen Debatten gerät man zwangsläufig in Zonen des Ungefähren und des Ungewissen. Aber das tun wir, beispielsweise, in der Rentendebatte auch, und dennoch versuchen wir, JETZT die Weichen zu stellen, damit auch 2030 oder 2040 die Rentner noch versorgt werden können.
Weshalb sollte dann bei der weitaus gravierenderen Frage der Integration vorausschauendes Denken und Handeln präkludiert sein? Explizit oder implizit wegen "gewisser Schandtaten" in der deutschen Vergangenheit? Das wäre dann, nach den Kriegsschäden, sozusagen noch ein Spätfolgeschaden des Nazi-Regimes.
Wer sich vor einer derartigen Vorausschau fürchtet, ist u. U. ein armer Wicht.
Es könnte ihm nämlich passieren, dass er aus der erhofften glücklichen Zukunft eines Tages unsanft in eine längst überwunden geglaubte kulturelle Vergangenheit zurück katapultiert wird.
ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der
ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand
vom 24.05.2021
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen