Montag, 25. Juli 2022

Wo kämen wir hin, wenn gestandene Wirtschaftswissenschaftler sich etwas von einem Laien annehmen wollten? Lieber erzählen die weiter blühenden Unsinn!


In dem Buch "Geld, Kredit und Banken. Eine Einführung" von Horst Gischer, Bernhard Herz und Lukas Menkhoff werden u. a. auch die "Begründungen für eine staatliche Zentralbank" erörtert. Unter anderem liest man dort (Hervorhebung von mir):

"Ganz anders [als verschiedene zuvor im Text zitierte Volkswirte] schätzt Friedrich August von Hayek (1977) das Ziel staatlichen Handelns ein. Er stellt den opportunistischen Aspekt in den Vordergrund, hier auf möglichst einfachem Wege zu möglichst hohen Staatseinnahmen kommen zu können und somit das Wahlvolk zu beglücken. Eine staatliche Zentralbank sichert das Monopol auf die Ausgabe von Bargeld, das dem Emittenten volle Kaufkraft gewährt, aber in der Herstellung nur einen Bruchteil seines Nominalwertes kostet. Diese Differenz, die Seignorage*, stellt eine wesentliche Einnahmenquelle einer Zentralbank bzw. des sie tragenden Staates dar. Dazu können sich weitere Einnahmen gesellen wie aus einer (unverzinsten) Mindestreserve (vgl. dazu ausführlicher .....); entsprechend wird der Begriff der Seignorage dann häufig auf alle Gewinne aus der Geldschöpfung bezogen. Ein Staat mit einer abhängigen Zentralbank kann offensichtlich die Höhe dieser Einnahmen in starkem Maße selbst beeinflussen, indem er mehr Geld buchstäblich druckt, was letztlich inflationär wirkt. Dies passt zur Situation der späten 70er-Jahre mit steigenden und zunehmend als störend hoch empfundenen Inflationsraten. Folglich plädiert von Hayek für privaten Währungswettbewerb, in dem die Geldnutzer stabile Währungen präferieren würden. Die Begründung für eine staatliche Zentralbank liegt folglich nicht im volkswirtschaftlichen Interesse, sondern im Interesse der politisch Handelnden."
* Anm. br.: Der Begriff wird häufig auch mit einem weiteren "i" geschrieben: "Seigniorage".
 
heißt es in der vierten Auflage von 2020 auf S. 39. Derselbe Text war bereits in der 2. Auflage von 2005 (damals auf S. 133) enthalten.

 
Dass die Seign(i)orage im heutigen Geldsystem aus der Differenz von Herstellungskosten und Kaufkraft bestehe, ist zunächst einmal falsch. (Lediglich für eine ganz spezifische Fallgestaltung trifft es im Ergebnis zu: vgl nachfolgend.) Mit einer E-Mail vom 06.04.2018 hatte ich die Autoren auf den Fehler hingewiesen:
 
Sehr geehrte Herren Professores,

als Laie bin ich am Thema Geld(wesen), speziell Geldschöpfung, interessiert, was sich in einer ganzen Reihe von Blogposts niedergeschlagen hat. (Sehr intensiv - und kritisch - habe ich mich, auf der Modellebene, u. a. z. B. mit dem Wettbewerbsgeld - "Denationalisation of Money" - des auch von Ihnen erwähnten Friedrich August von Hayek auseinandergesetzt.)

Ihr Buch liegt mir in der 2. Auflage vor. Mittlerweile ist ja bereits eine 3. erschienen; falls der hier angesprochene Fehler darin bereits korrigiert ist, hat sich meine Mail natürlich erledigt.
Es geht um Ihre Begriffsbestimmung der "Seigniorage" auf S. 133 (wie gesagt, der 2. Aufl.). Diese bezeichnen Sie als
  • Differenz zwischen den Produktionskosten einerseits und andererseits der vollen Kaufkraft des Geldes, über die der Emittent Ihrer Meinung nach verfügen könne.
Diese Definition ist richtig für die Emission von Warengeld (historisch also insbesondere Münzgeld: Gold- und Silbergeld sowie Kleinmünzen aus Kupfer usw.). Hier ist die Seigniorage tatsächlich das, was man einstmals auf Deutsch als "Schlagschatz" bezeichnete. (Den gibt es auch heute noch, ebenfalls beim Münzgeld. Bei Kleinstmünzen vielleicht sogar in negativer Form.)
Abstrakt gesprochen tritt diese Wirkung immer dann, aber auch NUR dann ein, wenn Geld durch Ausmünzen oder "Drucken" (einschl. Buchgeld) geschöpft wird und anschließend (das ist das Entscheidende) durch "Einkaufen gehen" in Umlauf gebracht wird. Genau das erfolgt bei der kreditären Geldschöpfung jedoch NICHT.
Daher definiert das Lexikon der cesifo-Gruppe** m. E. richtig (wobei man m. E. vernachlässigen kann, dass hier streng genommen nur die nominale Seigniorage bezeichnet ist und davon die reale, je nach Inflation bzw. Deflation, abweichen kann):
"Seitdem es weltweit nur noch definitive Papierwährungen gibt, die keinerlei Einlöseversprechen in Gold aufweisen, erzielen Notenbanken Geldschöpfungsgewinne, weil sie Zentralbankgeld, das sich aus Bargeld und den Einlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank zusammensetzt, gegen Zinsen verleihen. Da insbesondere die Erstellung von Bargeld (Münzen und Banknoten) nur mit sehr geringen Kosten verbunden ist, entspricht der Notenbankgewinn größtenteils den Zinseinnahmen aus den Offenmarktgeschäften der Zentralbanken. Hinzu kommen Bewertungskorrekturen der Fremdwährungsaktiva (Devisenreserven), die in der Bilanz der Zentralbank in heimischer Währung ausgewiesen werden und in der Regel mit dem aktuell herrschenden Wechselkurs zu einem Stichtag bewertet werden."
Anders verhält es sich natürlich dann, wenn die Zentralbank tatsächlich das Geld nicht mehr kreditär schöpft, sondern einfach "druckt und ausgibt". Solche Vorstellungen geistern ja tatsächlich durch die Debatte: Z. B. in der Schweizer Vollgeldinitiative (vgl. meinen Blott "Geldschöpfung der Schweizer Vollgeld-Initiative wäre Kreditschwindel") oder sogar bei Thomas Mayer, ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank, der die kreditäre Geldschöpfung für ein Übel hält und die Menschheit mit dem beglücken will, was ich als "Willkürgeld" bezeichne (vgl. meinen Blott "Mensch, Mayer: Was für ein Schwindelgeld wollen Sie uns denn andrehen?").

Dem Staat geht es bei einer ggf. tatsächlichen oder angestrebten Einflussnahme auf die Zentralbanken also zunächst einmal "nur" darum, möglichst viel und möglichst billig Kredit zu bekommen. Auch das wirkt natürlich inflationär, wenn es übertrieben wird.
Und weil das wahre Leben immer ein wenig komplizierter ist als die Denkmodelle, kann die kreditäre Geldschöpfung auch zu einem bloßen Schein degenerieren und am Ende dann doch auf das hinauslaufen, was Sie beschrieben haben: Dass nämlich der Staat sich tatsächlich die volle Kaufkraft (minus minimaler Kosten) abgreift. So geschah es ja 1923 (und auch schon vorher), wo die Reichsbank im Grunde das Geld nur noch pro forma an die Reichsregierung "verliehen" hatte.
Aber das ist eine Geschichte für sich; bei isolierter Betrachtung bzw. unter normalen Verhältnissen ist die o. a. cesifo-Definition korrekt.


Sehr missverständlich ist übrigens die EZB-Darstellung:** "Auch wenn die EZB selbst keine Euro-Banknoten ausgibt, wurde die Vereinbarung getroffen, dass ihr rechnerisch 8 % des Wertes aller im Euro-Währungsgebiet umlaufenden Geldscheine zugewiesen werden. Die NZBen geben die Geldscheine für die EZB in Verkehr, und die EZB erhält durch ihre Forderungen gegenüber den NZBen Seigniorage-Einkünfte für besagte 8 %." Da könnte ein flüchtiger und uninformierter Leser glauben, dass die EZB tatsächlich 8% aller Geldscheine bekommt. In Wahrheit ist aber wohl gemeint, dass sie einen Anteil an den ZINSERTRÄGEN erhält, der aus 8% der Geldmenge resultiert.

Auf unterschiedliche Begriffsverwendungen verweist der BuBa-Eintrag.**

Der Wikipedia-Eintrag ist stellenweise etwas unklar. Aber weitgehend richtig ist im Kapitel "Fiskalische Seigniorage" der Satz:
"Der Gewinn aus den Banknoten [und der entsprechenden Buchgeldschöpfung - BB] ..... besteht aus dem Zinsgewinn, da Bargeld keine Zinsen einbringt, und nicht aus dem Wertunterschied zwischen Papierwert und Produktionskosten einerseits und aufgedrucktem Wert andererseits."
Wobei es allerdings m. E. NICHT darauf ankommt, dass Bargeld dem Halter keine Zinsen bringt. Sondern dass das (Bar- und Buch-Basis-)Geld von der ZB verzinslich verliehen wird. Bei unverzinstem Verleih macht eine ZB wegen der Kosten bereits - geringe - Verluste; bei einem für Notenbanken theoretisch möglichen (weil sie ja nicht pleite gehen können) Geldverleih mit Negativzinsen erst Recht.
 
** Das ifo-institut hat jetzt kein Begriffsglossar mehr online.     Der Bundesbank-Eintrag (nunmehr hier) drückt sich um eine nähere Bestimmung der Seigniorage im System der kreditären Geldschöpfung herum.     Ganz eindeutig dagegen die EZB-Definition: "Die Notenbank erhält für das verliehene Geld Zinsen oder erzielt mit den erworbenen Vermögenswerten Gewinne – diese bezeichnet man als Seigniorage-Einkünfte." (Weiß nicht, ob dieser Passus damals noch fehlte oder ob ich ihn übersehen hatte.)
Es gibt sogar spezifische Fachliteratur, die sich mit der Falschbewertung der Seigniorage durch zahlreiche Wirtschaftswissenschaftler befasst. Vgl. dazu meinen Blogpost "Seigniorage: Ob der Staat damit reich werden kann, hat Jens Reich untersucht" vom 06.05.2018.


Genutzt hat mein Hinweis gar nichts; der o. a. Nonsens wird den Studierenden nach wie vor eingebläut.

Es ist auch nicht etwa so, dass Friedrich August von Hayek die Behauptung 'Seign(i)orage = Differenz zwischen Herstellungskosten und Kaufkraft des Geldes' aufgestellt hätte. In dessen Buch "Denationalisation of Money. The Argument Refined", auf das sich die Autoren offensichtlich beziehen, erscheint der Begriff "seignorage" überhaupt nur an einer Stelle (auf S. 30). Dort stellt Hayek die historische Situation für Edelmetall-Währungen dar, und das absolut korrekt (meine Hervorhebung):
The seignorage, the fee charged to cover the cost of minting, proved a very attractive source of revenue, and was soon increased far beyond the cost of manufacturing the coin. And from retaining an excessive part of the metal brought to the government mint to be struck into new coins, it was only a step to the practice, increasingly common during the Middle Ages, of recalling the circulating coins in order to recoin the various denominations with a lower gold or silver content. We shall consider the effect of these debasements in the next Section. But since the function of government in issuing money is no longer one of merely certifying the weight and fineness of a certain piece of metal, but involves a deliberate determination of the quantity of money to be issued, governments have become wholly inadequate for the task and, it can be said without qualifications, have incessantly and everywhere abused their trust to defraud the people.

In der Tat ergibt sich aus dieser Passage (und anderen) zwar auch Hayeks Meinung, dass sich die Regierungen an der Geldschöpfung bereichern. Aber das rechtfertigt es nicht, ihm die o. a. - falsche - "Gleichung" unterzuschieben.
 
Denn selbst dort, wo der Staat für seinen Eigenbedarf Geld (de facto) "druckt" und ausgibt, besteht sein Gewinn (seine Seigniorage) eben lediglich für DIESEN Teil der Geldschöpfung aus der Differenz Kaufkraft ./. Geldproduktionskosten und nicht auch für denjenigen Teil des Geldes, den die Notenbank - via Geschäftsbanken - an die Wirtschaftssubjekte verleiht. 
Staatsfinanzierung mit der Notenpresse geht für die Volkswirtschaft übel aus (1923!); aber darum geht es hier nicht. Sondern um ein korrektes Verständnis des Geldwesens überhaupt. Denn wer unter den Bedingungen eines kreditären Geldsystems die Seigniorage mit der o. a. Differenz gleichsetzt, der hat unser Geldsystem nicht wirklich verstanden.
 
Dass in Laienhirnen die wüstesten Theorien zum Geldwesen herumwirbeln, ist nicht weiter verwunderlich. Dass aber selbst Fachwissenschaftler Falschbehauptungen darüber verbreiten, und das sogar noch dann, nachdem sie auf den Fehler hingewiesen wurden: Das ist wirklich hanebüchen.

Aber vermutlich fühlen sich deutsche Wirtschaftswissenschaftler erst dann zu einer Meinungsänderung legitimiert, wenn die US-Lehrbüchern eine neue Erkenntnis gutheißen. Und wahrscheinlich steht dort immer noch der alte Mist.
Selberdenken wäre ja auch ein unerhörter Frevel gegen jenen autoritätshörigen "Muff von tausend Jahren", der offenbar immer noch unter den Talaren festsitzt.


ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!  
Textstand 06.05.2024

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