Bei komplexen Debatten ist es gelegentlich nützlich, anderen zu erklären, aber auch sich selber zu vergewissern, worum es eigentlich geht (oder ursprünglich ging). Alsdann:
- Ausgangspunkt dieser Debatte war der ZEIT-Gastkommentar vom 17.07.2015: "Griechenland. Europa ist zur Transferunion geworden" des Hamburger Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Bernd Lucke, ehemals Vorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD) und gegenwärtig Europaabgeordneter und Parteivorsitzender der von ihm neu gegründeten Partei ALFA
- Von diesem Artikel hatte ich (lediglich) EINEN ganz bestimmten Aspekt kritisiert (mehr dazu unten) in meinem HuffPost-Beitrag "Warum Luckes Modellrechnung blanker Unsinn ist" vom 02.08.2015 [Die Überschrift stammt von der HuffPost-Redaktion; ich selber hatte getitelt "Kathedersozialist Lucke?"]
- Darauf hat Prof. Lucke am 06.08.2015 in der Huffpost repliziert unter "Meine Antwort an einen Kritiker." Der vorliegende Beitrag ist meine Erwiderung darauf.
Zugestanden hatte ich Prof. Lucke, dass Europa mit der erneuten Griechenlandhilfe (noch mehr) zur Transferunion mutiert ("Mit dieser Einschätzung hat er unstreitig Recht") und dass der Erlösansatz der Institutionen (ehem. Troika genannt) unrealistisch ist ("... zu Recht kritisiert er ... die mit 50 Milliarden Euro irreal hoch angesetzten Erlöserwartungen").
Vorgeworfen hatte ich ihm (und DAS und NUR DAS ist der Streitgegenstand!), dass er die von der Troika von Griechenland geforderten Privatisierungen von Staatsvermögen (Betriebe und, zumindest in der Vergangenheit, auch Grundstücke) in seinem ZEIT-Gastkommentar als fiskalisches Nullsummenspiel hingestellt hatte:
"Seine [Luckes] Argumentation steckt insofern in einer Denkfalle, als er die Summe aller zukünftigen Gewinne ..... stillschweigend als invariable Größe behandelt, die er vom Besitzwechsel, also von den Absichten und Erwartungen des privaten Investors, gänzlich unabhängig denkt."
- Wenn ein Staatsbetrieb heute Verluste schreibt, dann würde er das als Staatsbetrieb auch morgen (und übermorgen) tun;
- Wenn ein Grundstück brachliegt, dann würde es im Staatsbesitz auch zukünftig brachliegen und
- Verlustbetriebe würden als Staatsbetriebe auch morgen nichts als Verluste einfahren.
Dass die von der Troika angesetzten 50 Milliarden unrealistisch sind, hatte ich ausdrücklich zugestanden. Welcher Betrag realistisch ist, weiß ich ganz einfach nicht. Im Gegensatz zu Prof. Lucke würde ich freilich nicht aus der Tatsache, dass bisher relativ wenig privatisiert bzw. erlöst wurde, frischfröhlich die Schlussfolgerung ziehen, dass auch in Zukunft nicht viel zu erwarten ist. Die Griechen standen bekanntlich auf der Bremse (weil die Parteien mit der Privatisierung an Einfluss verlieren, und die "Staatsangestellten" an Privilegien). Von daher sind die bisherigen Privatisierungen nach Zahl und Erträgen kein verlässlicher Indikator; da müsste man schon KONKRET wissen, was überhaupt noch auf der Liste steht. Weil ICH das nicht weiß, stelle ich, im Gegensatz zu Prof. Lucke, über die ABSOLUTE Höhe der zu erwartenden Privatisierungserlöse auch keine Spekulationen an.
DASS sie ein Nullsummenspiel sind, hatte Prof. Lucke in seinem ZEIT-Kommentar steif und fest behauptet (und nicht, wie jetzt in seiner Replik, in unklarer Weise teils im Bereich der bloßen Möglichkeiten angesiedelt).
"Der Privatisierungserlös muss daher ungefähr der Summe aller zukünftigen Gewinne entsprechen - natürlich angemessen abgezinst."
Und an einem Beispiel (seine Vereinfachung ist zugestanden, weil absolut sinnvoll!) hatte er erläutert:
"Vereinfacht gesprochen: Wenn der Staat tatsächlich 50 Milliarden Euro aus Privatisierungen erlösen könnte, dann müssten ihm in der Zukunft rund 50 Milliarden Euro an Einnahmen entgehen, weil er eben nicht mehr der Eigentümer ist."
Exakt diese Fragestellung ist aber auch MEIN Punkt (selbst wenn ich in meiner ursprünglichen Kritik nebenbei auch auf den - mutmaßlich positiven - volkswirtschaftlichen Effekt von Privatisierungen in Griechenland eingegangen war: "Die Entfesselung unternehmerischer Kräfte, welche Produktivität und Produktion und damit die Leistung der griechischen Volkswirtschaft insgesamt steigern können").
Sondern um die Frage, ob Luckes "1 zu 1" überhaupt stimmt, d. h. ob dem griechischen Staat später XYZ Milliarden € an Gewinnen durch die Lappen gehen, wenn er heute Assets (Betriebe, ungenutzte Grundstücke) für XYZ Milliarden € verkauft.
"Brinkmann glaubt, der Investor sei bereit, einen Kaufpreis zu entrichten, 'der sich tendenziell eher an seinen Gewinnerwartungen orientiert statt an der aktuell unter Staatsregie erzielten Rendite.' Die naheliegende Frage aber ist: Warum sollte er?"
Das Problem bei dieser Argumentation ist nur, dass ich zwei KONKRETE Beispiele dafür beigebracht hatte, dass in der Vergangenheit Investoren (Käufer, bzw. im Falle des Hafens von Piräus sogar nur Pächter mit einer sehr befristeten Laufzeit!) sehr wohl deutlich höhere Kaufpreise tatsächlich gezahlt hatten, als die aktuelle unter Staatsregie erzielte Rendite rechtfertigen würde. (Beim alten Athener Flughafen Null Rendite, beim Hafen von Piräus vielleicht 2% - wenn überhaupt.)
"Brinkmann und ich sind uns einig, dass der typische griechische Staatsbetrieb defizitär ist oder allenfalls geringe Gewinne erwirtschaften kann. Deshalb ist der Staat willens, den Betrieb zu verkaufen, sobald ihm mehr geboten wird als die (diskontierte) Summe der Gewinne, die der Staat künftig mit dem Betrieb erwirtschaften könnte. Aus dieser für ihn unwillkommenen Erkenntnis befreit sich Brinkmann, indem er implizit unterstellt, dass es bei der Privatisierung viele rivalisierende Bieter gäbe, durch die die Bieter den Preis in die Höhe und bis an den Wert der eigenen Gewinnerwartungen herantreiben würden."
Wieso soll denn diese Erkenntnis (oder Vermutung) für mich "unangenehm" sein, dass der Staat verkauft, wenn er mehr erlöst als seiner abdiskontierten eigenen Gewinnerwartung entspricht? Ganz im Gegenteil entspricht das exakt meiner eigenen Hypothese: Dass nämlich der griechische Staat bei einem Verkauf sehr wohl MEHR erlösen kann, als dem abdiskontierten Wert der BEI FORTGESETZTEM STAATSBESITZ zu erwartenden Gewinne entsprechen würde. Genau das ist schließlich der Kern meiner Behauptung! (Und genau das bestreitet Lucke.)
Fakt ist, dass Griechenland beim Hafen von Piräus einen Traumpreis erzielt hat: Und zwar für die bloße Verpachtung von bloß einer Hälfte des Hafens. Das ist natürlich keine Garantie dafür, dass das in Zukunft immer so laufen muss. Aber zumindest ist es eine Widerlegung von Luckes (impliziter) Behauptung, dass so etwas völlig ausgeschlossen sei. Und dass die Troika die Griechen zwingen wird, Betriebe usw. zu verschleudern oder bei Verlustbringern dem Käufer noch Geld dazuzugeben (wie das zwischen Unternehmen gelegentlich durchaus vorkommt!): Das glaube ich nicht.
Auch das hatte ich nicht gesagt, sondern (Hervorhebungen jetzt ergänzt):
"Der private Investor wird griechische Staatsbetriebe deshalb kaufen, weil er unter seinem Management aus dem laufenden Betrieb eine weitaus höhere Rendite erwartet ....., als sie im Staatseigentum anfallen. Entsprechend wird er auch bereit sein, einen Preis zu akzeptieren, der sich tendenziell eher an seinen Gewinnerwartungen orientiert statt an der aktuell unter Staatsregie erzielten Rendite"
bzw.
"..... dass Investoren tendenziell bereit sind, die Unternehmenspreise auf der Basis ihrer eigenen Gewinnerwartungen zu bezahlen".
"... wird der Investor dem Staat nur das bezahlen, was der Betrieb aus Sicht des Staates eben wert ist."
Logo wird, wenn es keine Bieterkonkurrenz gibt, ein Investor nicht mehr bezahlen, als der Staat für einen Betrieb verlangt (so darf man wohl Luckes Formulierung "was der Betrieb aus Sicht des Staates eben wert ist" verstehen).
Die Frage ist dann freilich, in welcher Weise der Staat den "Wert" bestimmt = den (Mindest-)Preis festsetzt. Lucke selber hatte oben explizit eingeräumt, dass der Staat bereit sei (meine Hervorhebung):
"..... den Betrieb zu verkaufen, sobald ihm mehr geboten wird als die (diskontierte) Summe der Gewinne, die der Staat künftig mit dem Betrieb erwirtschaften könnte"
und damit seine 1 : 1-Gleichung implizit bereits widerrufen.
'Bernd Lucke hat alle ausgetrickst, ist immer noch im Ballbesitz, läuft nach vorne - und zieht seinen Torpfostenversatztrumpf auf dem Ärmel':
"Diese zukünftigen Gewinne des Staates - und hier irrt Brinkmann erneut - beinhalten aber auch die Möglichkeit, dass der Staat selbst das Mißmanagement beendet und durch Restrukturierung die Unternehmung besser und gewinnträchtiger führt als bislang. Niemand bestreitet, dass dies in Griechenland möglich ist. Der Wert eines Staatsbetriebes bemisst sich auch aus Staatssicht nicht an der "aktuell unter Staatsregie erzielten Rendite", wie Brinkmann fälschlich schreibt. Er ist höher, denn auch der Staat kann die Rentabilität seiner Unternehmen verbessern."
- Nehmen wir an, die griechische Eisenbahn fährt aktuell 100 Mio. € jährlich Verlust ein.
- Wird aber trotzdem für 1 Mrd. € an einen Investor verkauft.
- (Ob der das Unternehmen tatsächlich in kurzer Zeit substantiell in die Gewinnzone bringt, ist bei einer ex-ante-Betrachtung, also bei einer Beurteilung im Privatisierungszeitpunkt, unerheblich. Wohl aber natürlich bei einer rückblickenden - ex-post - Betrachtung entscheidend.)
- Bahn hätte weiterhin Verluste gemacht wie bisher
- Bahn hätte auch im Staatsbesitz den Turnaround geschafft und würde in gleicher Weise Gewinne einfahren wie sie das nunmehr (annahmegemäß) im Privatbesitzt tut. [Würde die Bahn dann weiterhin Verluste machen, wäre Luckes Annahme eines fiskalischen Nullsummenspiels in diesem Falle im Nachhinein empirisch widerlegt. Es sei denn, man wolle behaupten, dass der Staat nunmehr doch Gewinne gemacht hätte, obwohl nicht einmal der private Investor das schafft.]
Das habe ich mitnichten "insinuiert".
Tatsächlich habe ich das
- zum einen als eine rein theoretische Möglichkeit hingestellt, bei der der Fiskus unter bestimmten weiteren Annahmen (über deren Realitätsnähe man streiten kann, die aber nicht völlig aus der Luft gegriffen sind) über die Zeit sogar einen Gewinn machen KÖNNTE.
- zum anderen als rechnerische Notwendigkeit, um Luckes Behauptung von einem fiskalischen Nullsummenspiel zu rechtfertigen. (Unter dem Postulat einer "Pfadtreue" der Gewinne/Verluste.)
Auf diese Formulierung können wir uns schnell einigen - weil sie inhaltslos ist. Die Frage ist, wie der griechische Staat seinen Preis bestimmt:
- Auf der Grundlage der bisherigen Gewinn- oder Verlustentwicklung
- Auf der Basis REALISTISCHER eigener Annahmen über zukünftige Gewinnsteigerungen IN STAATSREGIE
- Aus Investorenperspektive ("Wieviel kann der da rausholen")
- Oder aus einer Mischform bzw. schlicht aus der Überlegung: "Was gibt der Markt her?"
"Die entscheidende Frage ist, ob angesichts aller makroökonomischen Risiken und Unwägbarkeiten ein privater Investor mit dem Kauf von griechischem Staatseigentum überhaupt eine hinreichend große Rendite erzielen kann, um auch nur die Zahlung dieses Preises zu rechtfertigen."
Für die Richtigkeit von Aussagen gibt es grundsätzlich immer ZWEI Prüfmaßstäbe:
- Die Binnenlogik und
- Die Übereinstimmung mit der Realität. Die muss man aber nicht mehr prüfen, wenn eine Aussage schon in sich unschlüssig ist.
Und mit dem zitierten Satz untergräbt Prof. Lucke bereits selber seine eigene Argumentation.
In der oben zitierten Formulierung dagegen zeigt sich Prof. Lucke besorgt, dass der Investor EINEN ZU HOHEN KAUFPREIS bezahlen könnte. Heißt: Dass er eine geringere Rendite einfahren könnte, als er aufgrund des Kaufpreises erzielen müsste.
DAS müsste man aber dann konsequenter Weise ebenfalls für einen fortdauernden Staatsbesitz des Unternehmens unterstellen. (Warum sollte der Staat als Unternehmer dort einen Turnaround bewirken können, wo nicht einmal ein Privatinvestor das schafft?)
In diesem Falle wäre Luckes Behauptung hinfällig, dass die Privatisierungen ein fiskalisches Nullsummenspiel sind: Der Staat hätte tatsächlich durch den Verkauf mehr an Einnahmen erlöst, als er im Laufe der Zeit an Gewinnen kassiert haben würde.
1) Ich habe keine konkreten Informationen, und spekuliere nicht über die absolut zu erwartenden Erträge.
2) Die bisherigen Privatisierungsbemühungen Griechenlands sind jedenfalls KEIN geeigneter Anhaltspunkt; die Griechen haben nämlich alles getan, um NICHT zu privatisieren. Da wird schon noch so einiges im Topf sein; außerdem geht es auch um eingeleitete, aber noch nicht abgeschlossene (substantielle!) Privatisierungen, deren Blockade die nationalistisch-sozialistische Koalitionsregierung in Griechenland angedroht hatte (z. B. Regionalflughäfen).
3) Ich liefere, wie gesagt, KEINE Einschätzung der zu erwartenden absoluten Gewinne aus den Privatisierungen. Meine Kritik an den Ausführungen von Prof. Lucke betrifft seine Behauptung, dass Privatisierungen in Griechenland zwangsläufig ein fiskalisches Nullsummenspiel sein müssen. Das ist, wie ich oben gezeigt habe
a) nicht belegt und
b) auch äußerst unwahrscheinlich.
Lieber Prof. Dr. Lucke: Se voi siete divino anch’io non sono d’acqua.
Nachtrag:
Praktisch gleichzeitig mit der Veröffentlichung dieses Blogposts kam die Mail über die Freigabe meines Artikels in der Huffington Post (der dort etwas umständlichere Titel stammt ebenfalls von mir).
Nachtrag 21.08.2015:
Gar so wenig ist das (quantitativ, und zweifellos auch wertmäßig) keineswegs, was in Griechenland noch privatisiert werden kann. Eine Aufstellung präsentiert jetzt der Bericht "Ausverkauf: Griechenland muss Wasser, Energie und Straßen privatisieren" bei Deutsche Wirtschafts Nachrichten vom 20.08.2015 (der auch zum offiziellen "Asset Development Plan" verlinkt).
Und wenn es in dem DWN-Artikel heißt "Der IWF geht davon aus, dass ein Erlös von gerade einmal 1,5 Milliarden in den kommenden drei Jahren möglich ist", dann besagt das in meinen Augen vor allem, dass die Troika die Griechen nicht zu "fire sales", also nicht zum Verramschen des Staatseigentums zwingen will.
ceterum censeo
Blockis*
bluten brave Bürger!
Deshalb
Deutschland in Europa:
Weder
Zuchtmeister, noch Zahlmeister!
* Die
eurofetischistischen "Blockparteien" CDUCSUFDPGRÜNESPD
Textstand vom 21.08.2015
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