Geht man davon aus, dass diese beiden Sätze bedeuten sollen, was sie zu bedeuten scheinen, wären sie zwar nicht fehlerhaft, aber doch unnötig umständlich formuliert. Üblicher Weise würde man statt "gibt es nicht" sagen "es gibt keine" (Natur, Umwelt/problematik).
Was auf den ersten Blick unbeholfen erscheint, soll indes eine gänzlich andere Bedeutung transportieren: "Eine Natur gibt es nicht" und auch nicht "ein Umweltproblem".
Diese Behauptung mag nun wiederum wenigstens im ersten Falle wirr erscheinen, während sie im zweiten banal anmutet.
Dass wir eine Vielzahl von Umweltproblemen haben, weiß schließlich jeder. Aber die Natur ist doch die Natur? Der Satz "Die Natur sind die Naturen" ist so sinnlos wie die Formel "1 =2".
Stellen wir die Frage nach den möglicherweise vielfältigen Naturen des Naturbegriffs zurück und wenden wir uns zunächst der (im vorliegenden Zusammenhang einfacheren) Umwelt bzw. Umweltproblematik zu.
Bücher über "die Umwelt" gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, wissenschaftliche wie populäre, solche mit breiter und solche mit enger Thematik. Und fast immer, wenn der Begriff "Umwelt" auftaucht, wird (von manchen biologischen Fachpublikationen abgesehen, in denen es etwa um das Verhalten von Tieren in oder die Anpassung an ihre jeweilige Umwelt geht) das Wort "Problem" mit gedacht und angesprochen.
Probleme sind in unserer Vorstellung dazu da, gelöst zu werden, d. h. wir haben uns daran gewöhnt, dass es für fast alle Probleme zumindest theoretisch eine Lösung gibt.
So ist auch die Umweltdebatte in aller Regel lösungsorientiert: "tut dies, unterlasst jenes, dann könnt ihr die Probleme lösen, welche wir in unserer Umwelt verursacht haben" ist in aller Regel der Tenor der einschlägigen Literatur.
Mir scheint indes, dass der tendenzielle Lösungsoptimismus seine jedenfalls semantische Fundierung (daneben bzw. dahinter steht natürlich die psychologische Fundierung, die ich hier mal außen vor lasse) in einer unangemessenen Kategorienbildung hat. Konkret: in der Zusammenfassung aller bestehenden oder zu erwartenden Probleme mit der Umwelt unter eben diesem Begriff "Umweltprobleme". Die Vielzahl ist hier zur Einzahl eines Begriffes zusammengefasst. Ich will nicht die Zusammenfassung als solche kritisieren; Kategorienbildung ist zweifellos nicht nur nützlich, sondern auch unumgänglich. Nur würde ich es für erkenntnisfördernd halten, wenn wir den Begriff "Umweltproblem(e)" aufteilen würden (und vor allem eine solche Aufteilung in der öffentlichen Kommunikation ständig präsent wäre und die einschlägigen Beiträge jeweils entsprechend zugeordnet würden) in –2- Untergruppen: Probleme mit dem, was wir in die Umwelt einbringen einerseits und andererseits Probleme mit dem, was wir aus der Umwelt entnehmen.
I. Beim "Einbringen" in die Umwelt denke ich etwa an Emissionen: Abwässer, Gase usw.
II. Beim "Entnehmen" müssen wir allerdings noch einmal unterscheiden.
II.1 Da gibt es zum einen jene Dinge, welche "die Natur" für uns binnen kurzer Zeit wieder "neu herstellt", im wesentlichen also Pflanzen ("nachwachsende Rohstoffe") und Tiere (sofern wir nicht die Arten dauerhaft vernichten) sowie erneuerbare Energien.
II. 2 Dem stehen jene Dinge gegenüber, welche zwar letztlich auch "natürlich" entstanden sind, aber in langen Zeiträumen und unter Bedingungen, die sich heute nicht mehr wiederholen lassen (oder welche die Existenz des Menschen ausschließen würden). Gemeint sind also die nicht-erneuerbaren Rohstoffe und Energiequellen.
Nun bin ich sicherlich nicht der erste Mensch, dem dieser Unterschied bewusst wird oder der als erster öffentlich darauf hinweist. Bekannt ist dies alles längst; jeder "weiß" es – im Prinzip. Trotzdem werden Beiträge zur Umweltdebatte häufig weder von den Autoren noch vom Publikum gedanklich in die entsprechende (Unter-)Kategorie eingeordnet. Und das hat Folgen.
Was mich bei dem Umweltbegriff wie bei dem Naturbegriff umtreibt, ist der Zusammenhang von "Sprache, Denken, Wirklichkeit". Dabei kann das "Henne-Ei-Problem", ob das Denken die Sprache oder die Sprachstruktur das Denken bestimmt, außen vor bleiben (wer Zeit und Lust, kann z. B. hier mehr darüber lesen und dort noch tiefer einsteigen). Mir geht es nicht nur um die Begrifflichkeiten, sondern auch um deren Präsenz im Bewusstsein der Kommunizierenden, in der "Öffentlichkeit". Nicht um irgendeine prinzipielle Präsenz im Sinne von "Wir wissen doch alle, dass ...", sondern darum, dass die jeweils konkrete Kommunikation von den Teilnehmern bewusst in der hier vorgeschlagenen Weise eingeordnet wird. Die hier herausgearbeitete Kategorienbildung schafft aus meiner Sicht also lediglich die Voraussetzung für das, was eine mir problemadäquat erscheinende ökologische Kommunikation ermöglicht
Wenn ich, um von der abstrakten Betrachtung nun zur konkreten Anwendung zu kommen, etwa an ein Buch wie Jared Diamonds "Kollaps" (Collapse) denke, dann wird daran deutlich, wie das Fehlen des o. a. Hintergrundkonzepts Diamond zu einem unangemessenen Optimismus verleitet. 'In der Vergangenheit', so der Inhalt seiner Botschaft, 'haben einige Gesellschaften ihre Umweltprobleme nicht gelöst und sind untergegangen. Andere haben rechtzeitig gehandelt und überlebt.' Diamond will mit dieser historischen Darstellung quasi an uns appellieren: 'Handelt vorausschauend und vernünftig, dann werden auch wir unsere Umweltprobleme lösen. Wenn nicht, wird unsere Zivilisation untergehen wie schon andere in der Geschichte'. Während Letzteres unstreitig ist, lässt sich sein Glaube an die Möglichkeit einer Erhaltung unseres zivilisatorischen Niveaus aus meiner Sicht jedenfalls auf einer gewissermaßen semantischen Ebene damit begründen, dass Diamond die Problemdimensionen nicht Zweck entsprechend bzw. Erkenntnis fördernd einteilt. Wie ich in meinem Blog-Eintrag "KEINE JUNGFRAU ZÄHMT DIESES ZWEIHORN" näher erläutert habe, gründet sich Diamonds ökologische Zuversicht auf seine fehlende Bewusstmachung der Tatsache, dass frühere Kulturen im Wesentlichen Probleme lediglich mit nachwachsenden Rohstoffen bzw. Energielieferanten (hauptsächlich Holz) hatten. Solche Schwierigkeiten kann man zumindest theoretisch lösen, indem man Bedarf und (natürliche) "Produktion" zur Deckung bringt.
Nicht erneuerbare Energielieferanten und Rohstoffe dagegen lassen sich lediglich durch verringerten Verbrauch zeitlich strecken, nicht aber auf Dauer erhalten.
Rein theoretisch kann man natürlich – und das haben z. B. Julian Simon und ähnliche intellektuelle Taschenspieler (z. B. Jerry Taylor und Edward W.Younkins - letzterer Professor an einer Universität der Jesuiten in West Virginia -) auch getan – unterstellen, dass die menschliche Erfindungsgabe (für Simon die "Ultimate Resource", so der Titel seines Buches, das hier in der 2. Auflage online verfügbar ist) immer einen Ersatz für evtl. verbrauchte Rohstoffe und für jedes Umweltproblem eine Lösung finden wird.
Einschub:
Es klingt zunächst beinahe ketzerisch, wenn Younkins von einer "FLAWED DOCTRINE OF NATURE'S INTRINSIC VALUE" spricht und sagt, dass "environmentalists fail to realize that value means having value to some valuer. To be a value some aspect of nature must be a value to some human being. People have the capacity to assign and to create value with respect to nonhuman existence". Man wundert sich, wie ausgerechnet ein Professor an einer Jesuitenuniversität der Natur einen Wert an sich, der ihr von ihrem Schöpfer gegeben worden sein müsste, absprechen kann. Wenn man sich aber daran erinnert, dass die katholische Kirche die Geburtenbeschränkung, bzw. jedenfalls die meisten und die praktikabelsten Methoden dafür, bekämpft, passt ein Ökonom, der die Umwelt als quantité négligeable bezeichnet, durchaus in eine religiös-ideologische Landschaft, in der nach wie vor der Bibelbotschaft von "seid fruchtbar und mehret euch" gehuldigt wird.
Auch Julian Simon war, beiläufig bemerkt, religiös – als Jude war er nämlich "at rest on the Sabbath".
Und willkommen ist die Botschaft einer unbegrenzten Ressourcenverfügbarkeit zweifellos auch für alle jene christlichen Fundamentalisten, welche – speziell in den USA – vehement etwa gegen Kampagnen der Vereinten Nationen für Geburtenbeschränkung kämpfen und mit dieser Begründung für die Sperrung von US-Beiträgen zu den UN eintreten bzw. diese durchsetzen oder in der Vergangenheit durchgesetzt haben. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht erhellend, die objektive (d. h. den Akteuren nicht unbedingt oder in jedem Falle bewusste) Interessenidentität zwischen religiösem Fundamentalismus und einem aus Kapitalinteressen generierten Kampf gegen die Geburtenkontrolle aufzuzeigen: Ein Mangel an Humankapital mindert den Wert des Realkapitals, und umgekehrt steigert ein "Überschuss" an Humankapital den Wert des Realkapitals (wie z. B. an den Wohnungsmieten und dem davon abhängigen Wert von Wohnimmobilien unmittelbar deutlich wird: viel Nachwuchs bedeutet viel Nachfrage).
"Das Kapital" [auch so ein problematischer Begriff, den ich hier aber mal unhinterfragt stehen lasse, weil im Kontext jeder Leser weiß oder wissen sollte, was gemeint ist] hat also ein natürliches Interesse daran, dass möglichst viele Menschen unsere Erde bevölkern. Insofern könnte man durchaus sagen, dass "der Kapitalismus" unsere Umwelt nicht nur durch den seinem technologischen Produktionsprozess (den ich freilich als – wenngleich nur proletarischer – Mit-Nutznießer nicht glaubhaft kritisieren kann und nicht fundamentalistisch kritisieren will) zerstört, sondern diese Zerstörung noch dadurch systemnotwendig beschleunigt, dass er seiner "Natur", seinem Wesen nach an einer Vermehrung der Zahl von Menschen interessiert sein muss. (Und darin wird er eben von gewissen christlichen Fundamentalisten in analoger Weise gefördert, wie weiland die britische Textilindustrie durch die moralischen Maximen britischer Missionare – ein interessanter historischer Parallelismus, nicht wahr?)
Einschub Ende.
Die "Resourcists", die an eine unbeschränkte Ressourcenverfügbarkeit glauben, haben zwar zweifellos unrecht, sind aber immerhin konsequent. Und verhöhnen – nicht zu Unrecht – jene Umweltfreude, welche der Idee einer "nachhaltiger Entwicklung" und ähnlichen Hirngespinsten nachjagen. Wenn ich eine nachhaltigen Entwicklung (engl.: sustainable development) für möglich halte, muss ich – wie die "resourcists" – unterstellen, dass die Menschheit mit neuen Technologien in der Lage sein wird, eine (auf absehbare Zeit) unbeschränkte Ressourcenverfügbarkeit (sei es durch Recycling, sei es durch Kolonisierung des Weltraums: der Phantasie sind insoweit keine Grenzen gesetzt) herzustellen. Dann freilich kann ich mich auch gleich ins Lager von Julian Simon, Jerry Taylor und ihresgleichen schlagen. Es ist schlicht unlogisch, wenn man als "environmentalist" für Ressourcensparen eintritt, gleichzeitig aber eine "nachhaltige Entwicklung" für machbar hält.
Da ich an eine unbeschränkte Ressourcenverfügbarkeit nicht glaube, halte ich meine oben vorgeschlagene Aufteilung der Umweltprobleme in –3- Kategorien (bzw., in einem rein logisch-hierarchisch gedachten Aufbau – der aber für die Kommunikation eher hinderlich ist – in 2 Kategorien mit weiterer binärer Unterteilung der "Entnahme"-Kategorie) für erforderlich, um zu einer realistischen Einschätzung unserer Lage zu gelangen.
Was - um nun auf ein zwar verwandtes, aber logisch nicht direkt anschließendes Gebiet überzuleiten - die Frage nach "der Natur" angeht, so geht mir indes nicht um irgendeinen imaginiertes "Wesen" der Natur(en). Die Frage ist vielmehr, in welcher Weise und vor allem mit welchen Folgen der Begriff "Natur" (wie vorstehend der Begriff "Umwelt(problem/e)") im gesellschaftlichen Diskurs verwendet wird.
Ich will dabei nicht der Wissenschaft Konkurrenz machen, welche mit großer Gelehrsamkeit z. B. in (meiner Heimatstadt) Bielefeld über "Die Natur der Natur" nachgedacht hat (irgendwann werde ich hoffentlich Zeit für die Lektüre dieses Textes finden, und – dringlicher noch - für das Lesen eines anderen und mutmaßlich gewichtigeren Gedankenwerks "made in Bielefeld" über die Umweltdebatte, nämlich die "Ökologische Kommunikation"). Meine ganz naive Fragestellung lautet, welchen Bedeutungsinhalt, oder welche Tragweite, das Wort "Natur" in bestimmten Zusammenhängen hat.
Bislang sind mir insoweit –6- Möglichkeiten eingefallen, nämlich
1) "Alles", also der gesamte Kosmos. Als Beispiel dazu gebe ich die Rezension des Buches "Mind, Matter and Quantum Mechanics" von H. P. Stapp, wo ein gewisser P. Kafka, Garching schreibt: "Henry Stapp glaubt einer Überwindung dieses unbefriedigenden Zustands nahe zu sein und mit einem Streich ,,die vier grundlegenden Fragen zur Natur der Natur" aufzulösen." Hier wird aus dem Kontext deutlich, dass wirklich "die" Natur, der gesamte Kosmos nämlich, gemeint ist.
1a) Theoretisch kann auch dabei der Mensch insoweit, als er als "Geist" oder "Seele" gedacht wird, natürlich ausgenommen sein.
2) Eine andere, meist auf die Welt (d. h. den Planeten Erde) Erde beschränkte Benutzung des Begriffs "Natur" ist schon mehr an den unmittelbaren Interessen der Menschen orientiert. In dieser Gestalt umfasst der Begriff Natur aus praktischen Gründen zwar nicht den Kosmos (der auf uns, wenn man von der Sonne absieht, keine direkte Auswirkung hat), aber doch immerhin die gesamte Welt einschließlich des Menschen. Ein Beispiel finde ich auf Anhieb nicht; jedenfalls handelt es sich um einen Begriffsgebrauch, wie er wohl mehr für philosophische "Sonntagsreden" als für die alltägliche – lebensweltliche oder wissenschaftliche – Kommunikation verwendet wird.
3) Gebräuchlicher ist der Begriff "Natur" als Gegensatz zum "Menschen". Bei einer solchen Redeweise ist alles (theoretisch der Kosmos, praktisch wird aber meist nur die Erde gemeint sein) "Natur", mit Ausnahme des Menschen: Mensch – Natur ist ein Gegensatzpaar, was uns allen (allzu sehr?) vertraut ist.
Mit einem solchen Begriffsinhalt haben wir es z. B. in den folgenden Sätzen zu tun:
"Die Natur ist meine Lehrmeisterin. Ich bin Teil von ihr. Natur ist einfach, ohne Absicht entwickelt sie sich immer weiter. Ich kann ihr folgen oder mich gegen sie stellen."
Das ist (auch wenn es sich bei diesem Text um einen etwas esoterischen handelt, der wohl der sozialen Bewegung der "Tiefenökologie" – engl. "deep ecology" zuzuordnen ist) eine uns allen durchaus geläufige und tief in unserer Denkweise verankerte Vorstellung.
3a) Bei genauerem Hinsehen haben wir hier sogar eine dynamisch gedachte Begriffsbedeutung vor uns: Ich kann mich mit der Natur vereinigen oder mich von ihr trennen. Auch das ist kein spezifisch esoterisches, sondern uraltes (nicht nur religiöses) Gedankengut und fließt als solches wahrscheinlich häufig in unsere Kommunikation ein.
4) Definitiv auf die Erde beschränkt, bezeichnet das Wort "Natur" häufig nur die belebte Natur. Dabei kann der Mensch eingeschlossen sein oder
5) in einer wiederum eingeschränkten Begriffsbedeutung ausgeschlossen. Wiederum haben wir es also mit einem gedachten Gegensatzpaar "Mensch – Natur" zu tun, aber hier auf Seiten der Natur mit der Einschränkung (im Vergleich zur Ziff. 3), dass nur die belebte Natur gemeint ist.
6) Weniger offensichtlich für ein abstrahierendes Denken, in der Praxis aber gleichwohl weit verbreitet und für den gesellschaftlichen Diskurs sehr viel heimtückischer, ist eine im Kommunikationsakt mitgedachte Beschränkung des Naturbegriffs auf einen ganz bestimmten, jeweils erlebten oder imaginierten Auszug aus der Umwelt, eine "ad-hoc-Natur" gewissermaßen. Dies insbesondere auf denjenigen Teil, mit dem man ständig in Berührung lebt, gelegentlich (z. B. bei einem Abenteuerurlaub) in Berührung kommt, den man im Kopf als Wunschbild mit sich herumträgt oder den uns jemand uns aus bestimmten – z. B. propagandistischen - Gründen gerade vor Augen stellen und für "die Natur" ausgeben möchte.
Was auf der Ebene abstrakter Begrifflichkeit den Eindruck einer geistigen Seilakrobatik erwecken muss, wird an jenem Beispiel, an dem es mir selbst auch erst so recht bewusst geworden ist, gleichzeitig sowohl entzaubert als auch in seiner Bedeutung für den gesellschaftlichen Ökologie-Diskurs verdeutlicht.
Michael Crichton, Verfasser des Buches "Welt in Angst" (Orig.: "State of Fear") (hier eine bemerkenswerte Rezension, die inhaltlich für ihn argumentiert, ihn aber gleichzeitig literarisch geradezu "niedermacht"; eine andere, inhaltlich gegen ihn gerichtete, sowie eine wiederum positive, mit anschließender kontroverser Debatte. Das ist aber nur eine willkürliche Auswahl von mir; im Netz gibt es noch weitaus mehr Fischschwärme, welche das geistige Planktonfutter von Hr. Crichton entweder verschlingen oder verschmähen) hat nicht nur durch den (pseudo-)wissenschaftlichen Anmerkungsapparat in seinem Roman den Anspruch erhoben, die seiner Meinung nach unbegründete (Klima-)Angst der "environmentalists" (Umweltschützer) zu 'denunzieren' (wie Herbert Marcuse und gleich gerichtete linke 68er-Opas in anderen Zusammenhängen 'verbalisiert' haben würden). Er hat seine für das Buch gesammelten vermeintlichen Einsichten auch in einem großen (und unstreitig sehr geschickt aufgebauten) Vortrag propagiert, den er am 15.09.2003 vor dem Commonwealth Club in San Francisco gehalten und in vorgetäuschter geistiger Bescheidenheit unter den Titel "Remarks to the Commonwealth Club" gestellt hat (sollte der aktuelle Link nicht funktionieren, findet man den Vortrag in der Suchmaschine auch unter zahlreichen anderen URLs: Crichtons – rechte – Gesinnungsgenossen haben für eine weite Verbreitung gesorgt).
Eine Analyse dieser mephistophelisch geschliffenen Rede war bereits Gegenstand meines allerersten Blogeintrages u. d. T. "The (b)rat in the box at the ultimate lever?" Seinerzeit habe ich Crichtons Text mehr literarisch behandelt ("literarisch" sage ich hier lediglich als Hilfsmittel zur gedanklichen Einordnung, nicht als Qualitätsbeanspruchung), und außerdem in englischer Sprache.
Vorliegend will ich in einer mehr analytischen Form (und auf Deutsch) diejenigen Aspekte herausgreifen, die sich mit Crichtons "Transformation" des Naturbegriffs befassen. Dabei verstehe ich den Begriff "Transformation" mit Erving Goffman – vgl. hier den Auszug aus dem Glossar der Uni Essen zu Erving Goffmans Begriffswelt – als eine einseitige Umwandlung eines begrifflichen Rahmens zum Zwecke der Täuschung, wobei m. E. allerdings dieses Täuschungsmanöver dem Kommunizierenden selbst nicht unbedingt bewusst sein muss, sondern durchaus in der nicht-bewussten strategischen Ausnutzung von vorgegebenen kommunikativen Konventionen begründet sein kann.
Was sich in der Abstraktion kompliziert anhört, löst sich in der konkreten Analyse von Crichtons Rede in (hoffentlich) leicht verständlicher Weise auf.
"I have been asked", sagt er einleitend, "to talk about what I consider the most important challenge facing mankind, and I have a fundamental answer. The greatest challenge facing mankind is the challenge of distinguishing reality from fantasy, truth from propaganda." Unter diesem Motto verbreitet Michael, unter anderem durch (explizite oder implizite) Verwendung eines Naturbegriffs mit schwankendem Bedeutungsinhalt, eine perfide Propaganda gegen das Umweltbewusstsein (und straft seine Schutzbehauptung "I want it perfectly clear that I believe it is incumbent on us to conduct our lives in a way that takes into account all the consequences of our actions, including the consequences to other people, and the consequences to the environment. I believe it is important to act in ways that are sympathetic to the environment, and I believe this will always be a need, carrying into the future. I believe the world has genuine problems and I believe it can and should be improved" im Fortgang seiner Rede Lügen).
"We must daily decide whether the threats we face are real, whether the solutions we are offered will do any good, whether the problems we're told exist are in fact real problems, or non-problems" – da hat er zweifellos Recht.
Crichton ist kein Umweltwissenschaftler und erst Recht kein Klimatologe. Immerhin hat er aber Medizin und Anthropologie studiert und ist als Akademiker dem Gegenstand seines Themas doch zumindest um Meilen näher als, sagen wir mal, der Knacki Karl May der Ethnographie der nordamerikanischen Indianerstämme. (Karl May, das muss hier zu seiner Ehrenrettung mal gesagt werden, litt an einer "Dissoziativen Identitätsstörung" und wäre im übrigen, meint jedenfalls die "Karl-May-Stiftung", "nach heutiger Rechtsprechung ... nicht in das Gefängnis gekommen" - vgl. die Eintragung für das Jahr 1862.)
Was immer May (nicht) getan haben mag: Crichton stapelt schon im Anfangsteil seiner Rede eine hohe Bürde auf seine anthropologische (Aus-)Bildung: "Today, one of the most powerful religions in the Western World is environmentalism."
"There's an initial Eden, a paradise, a state of grace and unity with nature, there's a fall from grace into a state of pollution as a result of eating from the tree of knowledge, and as a result of our actions there is a judgment day coming for us all. We are all energy sinners, doomed to die, unless we seek salvation, which is now called sustainability. Sustainability is salvation in the church of the environment. Just as organic food is its communion, that pesticide-free wafer that the right people with the right beliefs, imbibe."
Die von mir hervorgehobenen Worte bzw. Satzteile [auch im Folgenden stammen die Hervorhebungen jeweils von mir, nicht vom Autor] zerschmelzen auf der Zunge wie Lindt + Sprüngli-Chocolade (die ich als allzu schmelzig nicht mag) und wer mit der Methode einer parallelisierender Persiflage eine (jedenfalls im Kern und vom Ursprung her, und – mit exotischen Ausnahmen – auch heute noch im Großen und Ganzen) problemgenerierte und problemorientierte soziale Bewegung [auch hier müsste ich eigentlich den Plural verwenden] zu diskreditieren versucht, hat in gewisser Weise schon selbst ein Sprüngli in der Schädelkalotte.
Lassen wir aber diesen Aspekt seiner Anti-Umwelt-Propaganda beiseite und schauen wir nach, auf welche Weise Michael Crichton in seiner Rede den Begriff "Natur" ge- oder missbraucht.
"There is no Eden. There never was" stellt er – zutreffend – fest. Und fährt fort, dass "the romantic view of the natural world as a blissful Eden is only held by people who have no actual experience of nature. People who live in nature are not romantic about it at all. They may hold spiritual beliefs about the world around them, they may have a sense of the unity of nature or the aliveness of all things, but they still kill the animals and uproot the plants in order to eat, to live. If they don't, they will die."
Schon hier sind wir mit mindestens –2- verschiedenen Naturbegriffen konfrontiert: Die "natural world" (die es in der Phantasie mancher Menschen zweifellos gibt, welche eine direkt adressierte – und quantitativ auf den entsprechenden Personenkreis limitierte – Kritik durchaus zu Recht treffen würde) ist die ganze (belebte) Welt, unter Einschluss des Menschen: Natur i. S. der o. a. Ziff. 4 also.
Soweit es aber um die 'Erfahrung der Natur' und das 'Leben in der Natur' geht, versteht Crichton diese schon aus dem Gegensatz Mensch – Natur heraus, also im Sinne der o. a. Ziff. 5.
Das mag an dieser Stelle noch angehen und wirkt noch nicht als Desinformation, weil die Zahl der Eden-Träumer auch unter den Umweltschützern eher begrenzt sein dürfte.
"And if you, even now, put yourself in nature even for a matter of days, you will quickly be disabused of all your romantic fantasies. Take a trek through the jungles of Borneo, and in short order you will have festering sores on your skin, you'll have bugs all over your body, biting in your hair, crawling up your nose and into your ears, you'll have infections and sickness and if you're not with somebody who knows what they're doing, you'll quickly starve to death. But chances are that even in the jungles of Borneo you won't experience nature so directly, because you will have covered your entire body with DEET and you will be doing everything you can to keep those bugs off you."
Hier haben wir es mit einer sehr spezifischen Form von "Natur" zu tun.
Nicht mit jener freundlichen Kulturlandschaft, von der uns Ron Arnold, ein anderer (und noch weitaus leichtfüßigerer) Propagandist der Anti-Umweltschutz-Lobby unter dem einschmeichelnden Appell "Overcoming Ideology" als "pastoral ideal" schlangenhaft lockend ins Ohr züngelt, dass "Marx [welcher den im US-amerikanischen Diskurs zumindest von ihren Gegnern generell im 'linken' Spektrum verorteten Umweltschützern offenbar als unverdächtiger Zeuge präsentiert werden soll] saw it as a cultivated rural 'middle landscape', not urban, not wild, but embodying what Arthur O. Lovejoy calls 'semi-primitivism'; ... located in a middle ground somewhere between the opposing forces of civilization and nature."
Auch Ron Arnold führt diese wilde, gefährliche Seite von "Natur" drohend auf's Podium seines anti-ökologischen Lobbyisten-Panoptikums, wenn er schreibt: "Eco-ideologists have thrust their metaphoric raging Wolf into every rank and row of our civilized Garden to rogue out both the domesticated and the domesticators. The Wolf howls Wild Land, Wild Water, Wild Air. Whether Wild People might have a proper place in Wolf World remains a subject of dispute among eco-ideologists."
Fürchten, dass ist der beiden Botschaft, sollen wir Menschen die "wilde" Natur; lieben – und letztlich jeglicher menschlicher Veränderung gedankenlos vertrauen – sollen wir der gezähmten Natur: des Ackers, des Gartens: letztlich aber auch der 'biologischen Bodenversiegelung namens Rasen' und anderen Formen von "Natur"-Zerstörung.
Und ähnlich bringt Crichton seine sehr spezifischen Natursegmente propagandistisch in Stellung:
"The truth is, almost nobody wants to experience real nature. What people want is to spend a week or two in a cabin in the woods, .... They want a simplified life for a while, without all their stuff. ... Nobody wants to go back to nature in any real way, and nobody does. It's all talk - and as the years go on, and the world population grows increasingly urban, it's uninformed talk. Farmers know what they're talking about. City people don't. It's all fantasy."
Hier ist "Natur" ein jeweils erlebtes (bzw. im Falle der Städter: nicht erlebtes) Segment, mit dem man (als Bauer) in ständiger Berührung lebt oder dass man (als Städter) eben nicht kennt. Indes: Wind und Wetter erlebt auch der Städter, und gegen die Effekte einer weltweiten Klimaänderung ist er in ähnlicher Weise machtlos wie der Bauer, für welchen dieser Teil von "Natur" – derzeit noch - ebenso wenig Teil der Lebenswelt ist wie für einen Städter. Nur das ein "Städter", wenn er etwa Klimatologe ist, diesen zunächst abstrakten Teil "der Natur" erforschen und darüber (mehr oder weniger zutreffende) Prognosen anstellen kann. Der Farmer kann das nicht; globale Messungen von Temperaturreihen, Meeresströmungen usw. haben nichts mit jener Natur zu tun, bei welcher er 'weiß, wovon er spricht'.
"One way to measure the prevalence of fantasy is to note the number of people who die because they haven't the least knowledge of how nature really is. They stand beside wild animals, like buffalo, for a picture and get trampled to death;.... They drown in the surf on holiday because they can't conceive the real power of what we blithely call 'the force of nature.' They have seen the ocean. But they haven't been in it."
Wieder hämmert Crichton dem Leser eine Vorstellung von "Natur" ein, welche nur das beinhaltet, was man erlebt hat oder erleben könnte. Kompetent ist, wer physischen Kontakt mit dem Ozean hatte. Nur: die Vorhersage, bzw. das rechtzeitige Entdecken, einer Tsunami-Welle ist nichts, was man selbst beim härtesten Brandungs-Surfen lernen könnte. Allein die Wissenschaft mit ihren Messinstrumenten kann (wenn man von der Vorahnungsfähigkeit von Tieren absieht, welche ja angeblich vor der Tsunami-Welle wie in anderen Fällen auch vor Erdbeben durch Verhaltensauffälligkeiten gewarnt haben sollen) die Entwicklung einer solchen Springflut rechtzeitig feststellen und nur eine hoch entwickelte Technik kann sie schnell genug kommunizieren. (Was Crichton sicherlich auch einräumen würde und in anderen Zusammenhängen, wo es besser in seine Kommunikationsstrategie passt, durchaus herausstellt.)
"The television generation expects nature to act the way they want it to be. They think all life experiences can be tivo-ed. The notion that the natural world obeys its own rules and doesn't give a damn about your expectations comes as a massive shock. Well-to-do, educated people in an urban environment experience the ability to fashion their daily lives as they wish. .... Within limits, they can contrive a daily urban world that pleases them.
But the natural world is not so malleable. On the contrary, it will demand that you adapt to it - and if you don't, you die. It is a harsh, powerful, and unforgiving world, that most urban westerners have never experienced."
Wieder und wieder assoziiert Crichton "Natur" ausschließlich mit wilden und gefährlichen Segmenten, und verweist z. B. auf seine Erfahrungen bei einer Reise im Karakorum-Gebirge im Norden Pakistans.
Dann aber kommt der semantische Turnaround in seinem Naturbegriff:
"But let's return to religion. If Eden is a fantasy that never existed, and mankind wasn't ever noble and kind and loving, if we didn't fall from grace, then what about the rest of the religious tenets? What about salvation, sustainability, and judgment day? What about the coming environmental doom from fossil fuels and global warming, if we all don't get down on our knees and conserve every day?"
Da haben wir es nun mit einer Form von "Natur" zu tun, die (derzeit noch) mit der Erfahrung weder des Bauern noch des Städters, weder der Wilden noch der Zivilisierten zu tun hat. Würde er seine (durchaus zutreffende) Aussage über die Natur als einer "harsh, powerful, and unforgiving world" auf diese Gefahren im unbelebten Teil von Natur (hier im Sinne der o. a. Ziff. 3 gebraucht) übertragen, müsste er vor Furcht geradezu heulen und mit den Zähnen klappern und könnte nicht so salopp über die vermeintlich religionsaffinen Umweltschützer spotten.
The second reason to abandon environmental religion is more pressing. Religions think they know it all, but the unhappy truth of the environment is that we are dealing with incredibly complex, evolving systems, and we usually are not certain how best to proceed. Those who are certain are demonstrating their personality type, or their belief system, not the state of their knowledge. Our record in the past, for example managing national parks, is humiliating. .... We need to be humble, deeply humble, in the face of what we are trying to accomplish.
Hier plötzlich kommt – ohne dass der Begriff "Natur" auftaucht - eine ganz andere Natur ins Spiel, der mit Erfahrung des Bauern, des Abenteuertouristen oder auch der "Primitiven" nicht mehr beizukommen ist. 'Unvorstellbar kompliziert' ist diese Natur, was Crichton dann sogar zur Verwendung des religiös gefärbten Begriffs der "Demut" (humble – demütig) verführt.
How will we manage to get environmentalism out of the clutches of religion, and back to a scientific discipline? There's a simple answer: we must institute far more stringent requirements for what constitutes knowledge in the environmental realm.
Schluss mit Glauben, Bauernregeln und dem aus Karakorum-Gletscherstromdurchquerungen gewonnenen Erfahrungswissen: eine "wissenschaftliche Disziplin" soll die Umweltwissenschaft endlich werden, mit stringenten Erkenntnisregeln.
"We need" sagt er, gegen die amerikanische Umweltbehörde – EPA = Environmental Protection Agency - polemisierend "an organization that will be ruthless about acquiring verifiable results, that will fund identical research projects to more than one group, and that will make everybody in this field get honest fast."
Because in the end, science offers us the only way out of politics. And if we allow science to become politicized, then we are lost. .... So it's time to abandon the religion of environmentalism, and return to the science of environmentalism, and base our public policy decisions firmly on that.
Mit anderen Worten: Die Wissenschaftler, Städter, welche doch angeblich gar nicht wissen, was "Natur" bedeutet, sollen uns vor den Gefahren der Natur schützen. Bis dahin aber und so lange die nicht unwiderleglich nachweisen können, dass der Klimakollaps morgen beginnt, machen wir erst mal weiter mit Bauernwissen und Borneo-Tracking-Überlebenserfahrungen.
Warum ich mich darüber so echauffiere? Weil es für solche begrifflichen Transformationstechniken sicherlich auch bei uns Beispiele gibt, und weil, selbst wenn das nicht der Fall wäre, es uns nicht gleichgültig sein kann, wie andere große Wirtschaftsmächte mit "der Natur" umgehen.
Ich weiß, auch ohne Reisen nach Borneo und ins Karakorum-Gebirge, dass die Natur unsere Fehler "harsh[ly] and unforgiving[ly] " ahnden wird, wenn wir dem religionsäquivalenten Irrglauben frönen, handfeste Indizien für globale Gefährdungen "der Natur" so lange für unser Handeln unbeachtet lassen zu können, wie die Gefahren noch nicht mit letzter Gewissheit wissenschaftlich bewiesen sind.
Um diese Problemsituation, sowie die Möglichkeit einer Erschöpfung der nicht-erneuerbaren Ressourcen, angemessen zu kommunizieren, müssen wir uns bewusst machen, dass Begriffe, besonders wenn sie im Dienst von Interessen eingesetzt werden, mit schwankenden Inhalten besetzt werden. Und diesen propagandistischen Begriffsbesetzungen ein klares Kategorienschema entgegen stellen, dass die Lobbyisten-Wölfe in unseren Reihen entlarven kann.
Nachtrag vom 11.01.06
Wie unschwer zu erkennen, bin ich ein Ressourcenpessimist. Merkwürdiger Weise produziert die Eingabe dieses Begriffs keinen Treffer bei "Google", ebenso wenig wie "Ressourcenpessimismus". Stehe ich damit ganz allein auf der weiten (deutschsprachigen) Welt oder hat der gesellschaftliche Diskurs es bislang noch nicht zu einer abstrakten Begriffsfassung dieser Einstellung gebracht?
Auch "Umweltpessimismus" (17 Treffer) und "Umweltpessimist" (5 Treffer) sind erstaunlich schwach vertreten im Internet, was angesichts der Vielfalt der dort eingestellten Texte dann wohl auch als repräsentativ für Seltenheit im Sprachgebrauch überhaupt angesehen werden darf.
Häufigkeiten der äquivalenten (?) englischen Begriffe: "resource pessimism" = 52; "resource pessimist" = 29; "environmental pessimism" = 202; "environmental pessimist" = 30. Auch das sind erstaunlich geringe Zahlen angesichts der heftigen Debatte im englischsprachigen (Internet-)Raum über Umweltfragen allgemein und "Peak Oil", also den bevorstehenden Gipfel (und anschließenden Abfall) der Förderleistungen beim Erdöl.
Pessimist mag sich anscheinend dennoch niemand gern nennen (lassen).
Nachträge vom 05.03.06
Die Einsicht, dass es "eine" Natur nicht gibt, ist nicht neu. Z. B. definiert das Fachwörterbuch von "Erdkunde-Wissen" den Begriff wie folgt: "Natur --> ursprünglich der Totalbegriff für die "Gesamtheit der Dinge, aus denen die Welt besteht", der sich jedoch inzwischen in verschiedene Einzelbegriffe aufgelöst hat, die einer bestimmten Erfahrung über einen Bereich entsprechen, so daß die Erde N. sein kann, die Landschaft, die Umwelt. Manche N.-Begriffe können aber auch den Menschen mit umfassen." Ausführlicher ist, wie meist, die "Wikipedia".
Wahre Wissenschaft freilich gründelt schon längst nicht mehr im Flachwasser der begrifflichen Schelfzone, sondern treibt ungehemmt in den Abgründen der terminologischen Tiefsee.
Jutta Weber hat über "Umkämpfte Bedeutungen. Natur im Zeitalter der Technoscience" dissertiert, an der Universität Bremen. Auch wenn diese südlichen Nordlichter den Bremer Vulkan und das Space Center - den Space Park - in den Sand oder den Marschenschlick gesetzt haben: Die Produktion von geisteswissenschaftlichem Wissen läuft da oben offenbar noch auf vollen Touren.
Frau Weber z. B. hat erkannt, dass "Natur auch heute eine zentrale, wenn auch vehement umkämpfte Kategorie in den symbolischen Ordnungen gegenwärtiger Gesellschaften ist".
Da kann es nicht wundern, wenn sie "bedeutungsschwangere Umwälzungen der ontologischen Grundlagen der Technowissenschaften im Übergang von der Spätmoderne zur Technoscience" konstatiert. Den anscheinend millieuüblichen "radikalen De-Ontologisierungs- bzw. Entmaterialisierungsstrategien erkenntniskritischer Ansätze" erteilt sie mutig eine Absage. Denn sie hat erkannt, was wir schon immer wissen wollten, aber nie zu fragen wagten, dass sich nämlich "implizit und vielfach gebrochen in der radikalen Erkenntniskritik humanistischer Konzepte von Natur die posthumanistische Neukonfiguration von Natur durch die Technowissenschaften [reflketiert] und ... so ein Feld für konstruktive Ansätze [eröffnet], diese Entwicklungen zu begreifen, kritisch zu reflektieren und alternative Konzepte zum Mainstream der Technokultur zu entwerfen".
Kritisch, alternativ und gegen den Mainstream: das ist der "genuine[...], wenn auch unfreiwillige Beitrag [der Technowissenschaften?] zu einer kritischen Theorie der Natur und Technik".
Typen wie Jacques Derrida und Niklas Luhmann sind chancenlos gegen den "zeitgenössischen kritischen Begriff von Ontologie" dieser Naturbegriffsbetrachterin. Glaskar hat sie durchschaut, was unsereiner noch nicht einmal geahnt hatte: dass nämlich Derrida und Luhmann "zwar eine berechtigte Krtik des Essentialismus formulieren, aber ihre eigenen ontologischen Setzungen ... negieren bzw. verkennen".
Frau Weber hat jene "Anti-realistischen Tendenzen", welche "die Subjektivierung der Erkenntnis in der Moderne weiterhin radikalisieren" indem sie "das 'Außen', die Natur, ... in einer weiteren reflexiven Schleifen nach innen" nehmen, voll durchschaut, wenn sie konstatiert, dass "ihr ontologischer Ansatz ... gleichzeitig zu pragmatistischen und neopositivistischen Tendenzen" führt.
Ihnen ist das vielleicht egal, aber ich finde das einfach großartig, dass hier der Pragmatismus gemeinsam mit dem Neopositivismus auf den Misthaufen der Geschichte geworfen werden. Denn nur dort können sie eines Tages wieder auskeimen, wenn der Hahn kräht oder die intellektualistische Modeschöpfung sich wendet.
Gegenwärtig freilich gilt es, aus der
"Figur der Denaturaliserung"
die Grundlage herauszukitzeln für
"eine kritische Revision des aktuellen definitionsmächtigen Naturbegriffs der Technokultur".
Ehrlich gesagt, ist das gar nicht so schwer, und im Nachhinein kann ich überhaupt nicht begreifen, dass ich nicht selbst auf diese Lösung gekommen bin. Wir brauchen nämlich nur "der Denaturalisierung treu [zu] bleiben", müssen dabei aber "den traditionellen erkenntnistheoretischen Fokurs überschreiten", um "offensiv Erkenntnispolitik [zu] betreiben".
Entscheidend dürfte allerdings sein, dass wir "für eine Situierung des Wissens plädieren", denn dann fällt uns der "postessentialistische Naturbegriff" quasi in den Schoß - und wenn nicht, nehmen wir zumindest "erste Ausblicke" in diese Gegenden.
Ich hoffe, meine Leser fühlen sich genau wie ich nach der Austragung einer solchen terminologischen Geistesfrucht hinreichend erleichtert und zur Aufnahme weiterer tief tauchender Einsichten bevorreitet, denn jetzt treibt es die Technoscience knüppeldick oder tolldreist.
"Trotz des dynamisierten Naturbegriffs" und trotz ihrer "immer offener zu Tage tretenden konstruktivistischen Verfahren" verfolgt sie in ihren "rhetorischen Praktiken" "weiterhin eine naturalistische Repräsentationspolitik" mit welcher sie "die neue konstruktivistische und artefaktische Natur wiederum reifiziert".
Wer würde sich da nicht freudig dem Urteil der Autorin anschließen, dass hier "im Kontext der Beschleunigung der Technowissenschaftsentwicklung zu einem Technosymbolischen bzw. Technoimaginären" eine "mythische Selbstinszenierung der Technoscience" stattfindet?
Im Detail kann man das bei einer Analyse der Artificial Life-Forschung beobachten, deren Träume überhaupt nur "denkbar bzw. plausibel [werden] auf der Grundlage eines weiter radikalisierten informationstheoretischen Verständnisses von Leben bzw. Natur, das alte Dichtotomien wie Natur-Kultur, Mensch-Maschine transzendiert, aber interessanterweise altvertraute Dichotomien wie Inhalt-Form bzw. Information-Materie oder auch 'Geist-Körper' eher stabilisiert". Touché, kann ich da nur sagen!
Wen wundert es da noch, dass "gemäß der Logik des kulturalistischen Fehlschlusses, der u. a. die jeweilige aktuelle Technologie auf die Natur projiziert, ... nun die Funktionslogik der neuen postmodernen, chamäleonartigen Maschine namens Computer auch den Organismen zugrunde liegen [soll]", und dass "dies ... wesentliches Konstituens der posthumanistischen Natur der Technoscience [ist]"? Mich jedenfalls nicht, und wenn Sie jetzt vielleicht Mund und Nase aufsperren, dann kann ich Ihnen den Tadel nicht ersparen, dass Sie den Text einfach nicht adäquat rezipiert haben.
Zum Glück können wir uns indes aus diesem ganzen Schlamassel auf einfache Weise befreien. "Dies gelingt, indem es [d. h. unser Konzept] nicht das posthumanistische Naturkonzept affirmiert und unbesehen übernimmt, sondern im Rahmen transdisziplinärer Erkenntnislogik eine situierte Ontologie entwickelt, die um die eigenen ontologischen Voraussetzungen genauso weiß wie um diejenigen der Technoscience, aber auch die eigenen Erzählstrategien kritisch reflektiert, um den auktorialen Erzählgestus zu vermeiden, der die Situierung unterläuft." Beim "auktuorialen Erzählgestus" hätte ich beinahe das Handtuch geworfen oder "hilf, Samiel, hilf" gerufen; indes gab Google mir zum Glück / den Glauben an mich selbst zurück. Und so bin ich denn einleitungsschlussendlich der Erkenntnis teilhaftig geworden, dass solche "kritischen Reflexionen" uns "Möglichkeiten ... [eröffnen], Natur jenseits von Reifizierung und Hyperproduktionismus zu denken".
Wäre es Gesualdo Bufalino beschieden gewesen, dieses intellektuelle Natur-Ringen noch mit zu erleben, hätte er es sicherlich in seinem "Museum der Schatten" mit einem erstrangigen Plätzchen geehrt.
Es hat indes nicht sollen sein, und so konnte dieser terminologische Obskurantismus nur mit einer Spalte in meiner Blog-Nische gewürdigt werden. Er hat so etws rührend Obsoletes im Post-Science-Wars-Age, und dass die Dissertation sogar gewissermaßen handwerklich angefertigt wurde, obwohl doch die Scheinsinns-Produktion längst automatisch erledigt werden kann ["The essay you have just seen is completely meaningless and was randomly generated by the Postmodernism Generator. To generate another essay, follow this link."], macht sie dem Nostalgiker nur noch sympathischer.
Und was die Schatten angeht, seien Sie unbesorgt: so lange die Schamanisten-Fraktion der Zwei Kulturen ihre Begriffsrituale im gesellschaftlichen Bewusstsein als Wissen-schaffend positionieren kann, werden sich im Reiche Akademia schon schattige Plätzchen dafür finden.
Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Nur scheint mir unsere Wissenschaftsförderung einen Hundefutterüberschuss zu produzieren.
Nachtrag vom 16.05.06
Eine flüssig lesbare und weit ausgreifende "tour d'horizon" als Einstieg in das neue Fachgebiet der Umweltgeschichte bietet z. B. der Aufsatz (ursprünglich ein Vortrag) "Das Ausbleiben der Heringe". Ein Autor ist nicht angegeben, und die Webseite gehört dem "Verein für Geschichte des Weltsystems e. V." [klingt esoterisch, ist aber nur die Übersetzung der im anglophonen Sprachbereich durchaus etablierten historischen Forschungsrichtung des "World Systems Research" - vgl. dazu und speziell zur Welt-Umweltgeschichte auch eine Vielzahl von Textbeiträgen aus einer Tagung der Universität Lund/Schweden]. Ich gehe aber wohl nicht fehl in der Annahme, dass der Historiker Prof. Hans-Heinrich Nolte, Vorsitzender dieses Vereins, auch der Autor dieses Aufsatzes ist. (Den man direkt von der Homepage des Vereins allerdings nicht erreicht; zumindest habe ich keinen Weg gefunden. Da würde man sich eine mehr systematische Webseitenorganisation der Systemforscher wünschen.)
Im übrigen existiert sogar ein deutschsprachiges Portal http://www.umweltgeschichte.de/index.php. Der Inhalt ist freilich noch etwas dürftig, aber eine Chronologie der deutschen Umweltgeschichte zusammengestellt zu haben, ist schon ein verdienstvolles Unternehmen.
Nachtrag vom 18.01.07
Wahre Wissenschaft freilich gründelt schon längst nicht mehr im Flachwasser der begrifflichen Schelfzone, sondern treibt ungehemmt in den Abgründen der terminologischen Tiefsee.
Jutta Weber hat über "Umkämpfte Bedeutungen. Natur im Zeitalter der Technoscience" dissertiert, an der Universität Bremen. Auch wenn diese südlichen Nordlichter den Bremer Vulkan und das Space Center - den Space Park - in den Sand oder den Marschenschlick gesetzt haben: Die Produktion von geisteswissenschaftlichem Wissen läuft da oben offenbar noch auf vollen Touren.
Frau Weber z. B. hat erkannt, dass "Natur auch heute eine zentrale, wenn auch vehement umkämpfte Kategorie in den symbolischen Ordnungen gegenwärtiger Gesellschaften ist".
Da kann es nicht wundern, wenn sie "bedeutungsschwangere Umwälzungen der ontologischen Grundlagen der Technowissenschaften im Übergang von der Spätmoderne zur Technoscience" konstatiert. Den anscheinend millieuüblichen "radikalen De-Ontologisierungs- bzw. Entmaterialisierungsstrategien erkenntniskritischer Ansätze" erteilt sie mutig eine Absage. Denn sie hat erkannt, was wir schon immer wissen wollten, aber nie zu fragen wagten, dass sich nämlich "implizit und vielfach gebrochen in der radikalen Erkenntniskritik humanistischer Konzepte von Natur die posthumanistische Neukonfiguration von Natur durch die Technowissenschaften [reflketiert] und ... so ein Feld für konstruktive Ansätze [eröffnet], diese Entwicklungen zu begreifen, kritisch zu reflektieren und alternative Konzepte zum Mainstream der Technokultur zu entwerfen".
Kritisch, alternativ und gegen den Mainstream: das ist der "genuine[...], wenn auch unfreiwillige Beitrag [der Technowissenschaften?] zu einer kritischen Theorie der Natur und Technik".
Typen wie Jacques Derrida und Niklas Luhmann sind chancenlos gegen den "zeitgenössischen kritischen Begriff von Ontologie" dieser Naturbegriffsbetrachterin. Glaskar hat sie durchschaut, was unsereiner noch nicht einmal geahnt hatte: dass nämlich Derrida und Luhmann "zwar eine berechtigte Krtik des Essentialismus formulieren, aber ihre eigenen ontologischen Setzungen ... negieren bzw. verkennen".
Frau Weber hat jene "Anti-realistischen Tendenzen", welche "die Subjektivierung der Erkenntnis in der Moderne weiterhin radikalisieren" indem sie "das 'Außen', die Natur, ... in einer weiteren reflexiven Schleifen nach innen" nehmen, voll durchschaut, wenn sie konstatiert, dass "ihr ontologischer Ansatz ... gleichzeitig zu pragmatistischen und neopositivistischen Tendenzen" führt.
Ihnen ist das vielleicht egal, aber ich finde das einfach großartig, dass hier der Pragmatismus gemeinsam mit dem Neopositivismus auf den Misthaufen der Geschichte geworfen werden. Denn nur dort können sie eines Tages wieder auskeimen, wenn der Hahn kräht oder die intellektualistische Modeschöpfung sich wendet.
Gegenwärtig freilich gilt es, aus der
"Figur der Denaturaliserung"
die Grundlage herauszukitzeln für
"eine kritische Revision des aktuellen definitionsmächtigen Naturbegriffs der Technokultur".
Ehrlich gesagt, ist das gar nicht so schwer, und im Nachhinein kann ich überhaupt nicht begreifen, dass ich nicht selbst auf diese Lösung gekommen bin. Wir brauchen nämlich nur "der Denaturalisierung treu [zu] bleiben", müssen dabei aber "den traditionellen erkenntnistheoretischen Fokurs überschreiten", um "offensiv Erkenntnispolitik [zu] betreiben".
Entscheidend dürfte allerdings sein, dass wir "für eine Situierung des Wissens plädieren", denn dann fällt uns der "postessentialistische Naturbegriff" quasi in den Schoß - und wenn nicht, nehmen wir zumindest "erste Ausblicke" in diese Gegenden.
Ich hoffe, meine Leser fühlen sich genau wie ich nach der Austragung einer solchen terminologischen Geistesfrucht hinreichend erleichtert und zur Aufnahme weiterer tief tauchender Einsichten bevorreitet, denn jetzt treibt es die Technoscience knüppeldick oder tolldreist.
"Trotz des dynamisierten Naturbegriffs" und trotz ihrer "immer offener zu Tage tretenden konstruktivistischen Verfahren" verfolgt sie in ihren "rhetorischen Praktiken" "weiterhin eine naturalistische Repräsentationspolitik" mit welcher sie "die neue konstruktivistische und artefaktische Natur wiederum reifiziert".
Wer würde sich da nicht freudig dem Urteil der Autorin anschließen, dass hier "im Kontext der Beschleunigung der Technowissenschaftsentwicklung zu einem Technosymbolischen bzw. Technoimaginären" eine "mythische Selbstinszenierung der Technoscience" stattfindet?
Im Detail kann man das bei einer Analyse der Artificial Life-Forschung beobachten, deren Träume überhaupt nur "denkbar bzw. plausibel [werden] auf der Grundlage eines weiter radikalisierten informationstheoretischen Verständnisses von Leben bzw. Natur, das alte Dichtotomien wie Natur-Kultur, Mensch-Maschine transzendiert, aber interessanterweise altvertraute Dichotomien wie Inhalt-Form bzw. Information-Materie oder auch 'Geist-Körper' eher stabilisiert". Touché, kann ich da nur sagen!
Wen wundert es da noch, dass "gemäß der Logik des kulturalistischen Fehlschlusses, der u. a. die jeweilige aktuelle Technologie auf die Natur projiziert, ... nun die Funktionslogik der neuen postmodernen, chamäleonartigen Maschine namens Computer auch den Organismen zugrunde liegen [soll]", und dass "dies ... wesentliches Konstituens der posthumanistischen Natur der Technoscience [ist]"? Mich jedenfalls nicht, und wenn Sie jetzt vielleicht Mund und Nase aufsperren, dann kann ich Ihnen den Tadel nicht ersparen, dass Sie den Text einfach nicht adäquat rezipiert haben.
Zum Glück können wir uns indes aus diesem ganzen Schlamassel auf einfache Weise befreien. "Dies gelingt, indem es [d. h. unser Konzept] nicht das posthumanistische Naturkonzept affirmiert und unbesehen übernimmt, sondern im Rahmen transdisziplinärer Erkenntnislogik eine situierte Ontologie entwickelt, die um die eigenen ontologischen Voraussetzungen genauso weiß wie um diejenigen der Technoscience, aber auch die eigenen Erzählstrategien kritisch reflektiert, um den auktorialen Erzählgestus zu vermeiden, der die Situierung unterläuft." Beim "auktuorialen Erzählgestus" hätte ich beinahe das Handtuch geworfen oder "hilf, Samiel, hilf" gerufen; indes gab Google mir zum Glück / den Glauben an mich selbst zurück. Und so bin ich denn einleitungsschlussendlich der Erkenntnis teilhaftig geworden, dass solche "kritischen Reflexionen" uns "Möglichkeiten ... [eröffnen], Natur jenseits von Reifizierung und Hyperproduktionismus zu denken".
Wäre es Gesualdo Bufalino beschieden gewesen, dieses intellektuelle Natur-Ringen noch mit zu erleben, hätte er es sicherlich in seinem "Museum der Schatten" mit einem erstrangigen Plätzchen geehrt.
Es hat indes nicht sollen sein, und so konnte dieser terminologische Obskurantismus nur mit einer Spalte in meiner Blog-Nische gewürdigt werden. Er hat so etws rührend Obsoletes im Post-Science-Wars-Age, und dass die Dissertation sogar gewissermaßen handwerklich angefertigt wurde, obwohl doch die Scheinsinns-Produktion längst automatisch erledigt werden kann ["The essay you have just seen is completely meaningless and was randomly generated by the Postmodernism Generator. To generate another essay, follow this link."], macht sie dem Nostalgiker nur noch sympathischer.
Und was die Schatten angeht, seien Sie unbesorgt: so lange die Schamanisten-Fraktion der Zwei Kulturen ihre Begriffsrituale im gesellschaftlichen Bewusstsein als Wissen-schaffend positionieren kann, werden sich im Reiche Akademia schon schattige Plätzchen dafür finden.
Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Nur scheint mir unsere Wissenschaftsförderung einen Hundefutterüberschuss zu produzieren.
Nachtrag vom 16.05.06
Eine flüssig lesbare und weit ausgreifende "tour d'horizon" als Einstieg in das neue Fachgebiet der Umweltgeschichte bietet z. B. der Aufsatz (ursprünglich ein Vortrag) "Das Ausbleiben der Heringe". Ein Autor ist nicht angegeben, und die Webseite gehört dem "Verein für Geschichte des Weltsystems e. V." [klingt esoterisch, ist aber nur die Übersetzung der im anglophonen Sprachbereich durchaus etablierten historischen Forschungsrichtung des "World Systems Research" - vgl. dazu und speziell zur Welt-Umweltgeschichte auch eine Vielzahl von Textbeiträgen aus einer Tagung der Universität Lund/Schweden]. Ich gehe aber wohl nicht fehl in der Annahme, dass der Historiker Prof. Hans-Heinrich Nolte, Vorsitzender dieses Vereins, auch der Autor dieses Aufsatzes ist. (Den man direkt von der Homepage des Vereins allerdings nicht erreicht; zumindest habe ich keinen Weg gefunden. Da würde man sich eine mehr systematische Webseitenorganisation der Systemforscher wünschen.)
Im übrigen existiert sogar ein deutschsprachiges Portal http://www.umweltgeschichte.de/index.php. Der Inhalt ist freilich noch etwas dürftig, aber eine Chronologie der deutschen Umweltgeschichte zusammengestellt zu haben, ist schon ein verdienstvolles Unternehmen.
Nachtrag vom 18.01.07
Da denke ich wunders, was ich entdeckt habe, mit meinen sechs Naturbegriffen - und muss nunmehr erschüttert lesen, dass "Robert Boyle, einer der Gründungsväter der modernen Naturwissenschaften, ... bereits im Jahre 1682 mehr als dreißig verschiedene Bedeutungen auf[zählte], die das Wort Natur haben konnte".
Solches, und einiges andere mehr, erfahren Leser und Leserinnen des Aufsatzes "Was ist Natur" von Rolf Sieferle. Sehr plastisch arbeitet der Autor die Geschichte und die gesellschaftliche Funktion eines Naturbegriffes heraus, ungefähr wohl desjenigen Begriffs, den ich oben unter Ziff. 3 isoliert hatte: "Natur" gedacht als und entwickelt aus dem Gegensatz zum Menschen bzw. Menschenwerk. Man macht sich nur selten unsere "polemische[n] Struktur der Rede von der Natur" bewusst. Wir verwenden (ich wandele hier seine Ausführungen ab, glaube aber, dem Sinn treu zu bleiben) den Gegensatz von Natur und Kultur, von natürlich und künstlich in ambivalenter Weise: "Natürlich ist, wie die Dinge sein sollten (nämlich nicht degeneriert), natürlich ist, wie die Dinge nicht sein sollten (nämlich nicht vernünftig)" fasst er die gängigen Diskurse über Mensch und Natur treffend zusammen. (Hervorhebungen von mir). Man könnte vielleicht noch ergänzen, dass diese Dichotomie so tief in uns allen verankert ist, dass man diese gegensätzlichen Positionen nicht nur bei unterschiedlichen Personen in der jeweils einen oder anderen Ausprägung findet, sondern dass wahrscheinlich jeder von uns je nach Zusammenhang die "Natur" mal positiv sieht, als ein Wahres, Schönes, Gutes, zu dem wir hinstreben bzw. zurückkehren sollten, dann wieder negativ als etwas Gefährliches, Böses, Primitives, dass wir durch menschliches Können überwinden sollten.
Der Essay von Rolf Sieferle hatte mich zunächst beeindruckt. Klar formuliert, flüssig geschrieben, kein Blabla. Mit etwas Abstand muss ich mir indes eingestehen, dass er mir einen konkreten Erkenntnisgewinn nicht gebracht hat.
Dass Abstraktionen wie "die Natur" (aber auch "die -anderen- Menschen") nicht durchgängig "gut" oder "böse" oder "schlecht" sind, weiß man ohnehin, auch wenn man es manchmal im Eifer der Rede vergisst. Schlimmer ist der Missbrauch derartiger Pauschalierungen im Interessengeleiteten Diskurs, auch wenn dieser Missbrauch - wie z. B. bei Crichton aus den logischen Widersprüchen seiner Begriffsverwendung deutlich wird - unbewusster Natur ist. Wie das funktioniert, und wie man das dechiffrieren kann, habe ich oben am Beispiel von Michael Crichtons Rede "Remarks to the Commonwealth Club" zu demonstrieren versucht. Erkenntnisgewinn scheint mir nur aus einer konkreten Arbeit dieser Art möglich. Sieferles Aufsatz bleibt dem gegenüber bei genauerem Hinsehen auf der Ebene einer gewissen feuilletonistischen Unschärfe.
Aber anregend zu weiterem Nachdenken ist er allemal.
Nachtrag 26.07.2019
Vgl. auch den Aufsatz "Die Natur gibt es nicht" von Prof. Dr. Michael Hampe, NZZ 20.08.2011.
Solches, und einiges andere mehr, erfahren Leser und Leserinnen des Aufsatzes "Was ist Natur" von Rolf Sieferle. Sehr plastisch arbeitet der Autor die Geschichte und die gesellschaftliche Funktion eines Naturbegriffes heraus, ungefähr wohl desjenigen Begriffs, den ich oben unter Ziff. 3 isoliert hatte: "Natur" gedacht als und entwickelt aus dem Gegensatz zum Menschen bzw. Menschenwerk. Man macht sich nur selten unsere "polemische[n] Struktur der Rede von der Natur" bewusst. Wir verwenden (ich wandele hier seine Ausführungen ab, glaube aber, dem Sinn treu zu bleiben) den Gegensatz von Natur und Kultur, von natürlich und künstlich in ambivalenter Weise: "Natürlich ist, wie die Dinge sein sollten (nämlich nicht degeneriert), natürlich ist, wie die Dinge nicht sein sollten (nämlich nicht vernünftig)" fasst er die gängigen Diskurse über Mensch und Natur treffend zusammen. (Hervorhebungen von mir). Man könnte vielleicht noch ergänzen, dass diese Dichotomie so tief in uns allen verankert ist, dass man diese gegensätzlichen Positionen nicht nur bei unterschiedlichen Personen in der jeweils einen oder anderen Ausprägung findet, sondern dass wahrscheinlich jeder von uns je nach Zusammenhang die "Natur" mal positiv sieht, als ein Wahres, Schönes, Gutes, zu dem wir hinstreben bzw. zurückkehren sollten, dann wieder negativ als etwas Gefährliches, Böses, Primitives, dass wir durch menschliches Können überwinden sollten.
Der Essay von Rolf Sieferle hatte mich zunächst beeindruckt. Klar formuliert, flüssig geschrieben, kein Blabla. Mit etwas Abstand muss ich mir indes eingestehen, dass er mir einen konkreten Erkenntnisgewinn nicht gebracht hat.
Dass Abstraktionen wie "die Natur" (aber auch "die -anderen- Menschen") nicht durchgängig "gut" oder "böse" oder "schlecht" sind, weiß man ohnehin, auch wenn man es manchmal im Eifer der Rede vergisst. Schlimmer ist der Missbrauch derartiger Pauschalierungen im Interessengeleiteten Diskurs, auch wenn dieser Missbrauch - wie z. B. bei Crichton aus den logischen Widersprüchen seiner Begriffsverwendung deutlich wird - unbewusster Natur ist. Wie das funktioniert, und wie man das dechiffrieren kann, habe ich oben am Beispiel von Michael Crichtons Rede "Remarks to the Commonwealth Club" zu demonstrieren versucht. Erkenntnisgewinn scheint mir nur aus einer konkreten Arbeit dieser Art möglich. Sieferles Aufsatz bleibt dem gegenüber bei genauerem Hinsehen auf der Ebene einer gewissen feuilletonistischen Unschärfe.
Aber anregend zu weiterem Nachdenken ist er allemal.
Nachtrag 26.07.2019
Vgl. auch den Aufsatz "Die Natur gibt es nicht" von Prof. Dr. Michael Hampe, NZZ 20.08.2011.
Textstand vom 26.07.2019
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen