Freitag, 8. Dezember 2006

Für uns sind die Dörfer in Böhmen nun nicht mehr Böhmische Dörfer

"Böhmen liegt am Meer" hatte Shakespeare behauptet, und sowohl Ingeborg Bachmann als auch die Hamburger Kunsthalle plappern es ihm nach. Wir aber wissen natürlich, dass man den Bohémiens nicht alles glauben darf. So ist auch diese Behauptung eindeutig falsch, selbst wenn sie von dem Maler Anselm Kiefer vor wenigen Jahren wiederholt wurde.

Nachweislich wahr ist dagegen, dass das Meer in Böhmen liegt. Dafür hier eine Beweisaufnahme:
Uferlos gleitet der Blick aus dem Fenster unseres Hotels bei der Gemeinde Černá v Pošumaví (auf dieser historischen Landkarte noch "Schwarzbach" genannt) über die wellige Wasserfläche des südböhmischen Meeres.

Das Hotel heißt JESTŘÁBÍ ("Habicht"; vermutlich der ehemalige "Habichau Hof" der alten Landkarte?) und war früher wohl eine Meierei, also eine Art Gutshof, im Besitz der Fürsten von Schwarzenberg, die in der Gegend um Cesky Krumlov reich begütert waren. Die vielleicht 1 m dicken Mauerwände aus (außen jedenfalls) Basalt und die mit Gurtbogen abgeteilten Kreuzgratgewölbe [so ungefähr , aber natürlich viel niedriger, und die Gurtbögen breiter, sieht das aus] des alten Gebäudeteiles lassen schon vermuten, dass es sich zum einen um ein älteres Gebäude handeln muss und zum anderen nicht um einen einfachen Einödhof. Früher mag in jenem Speisesaal, in welchem wir wir nun dinierten, das Vieh (Pferde?) gefüttert worden sein. Aber sicherlich nicht mit drei Gängen und beim Hauptgang wiederum drei Gerichten zur Auswahl.
[Der morgens servierte Kaffee freilich mag noch von damals übrig geblieben sein, und Margarine ist auch nicht mein Lieblings-Brotaufstrich. Aber es wäre unfair, wenn ich hier bösartig lästern wollte. Im Verhältnis zum Preis (vgl. auch das aktuelle Winter-Super-Sonderangebot: "Unterkunft mit Halbpension Sonntag bis Samstag - 6-mal Frühstück und Abendessen als Buffet - für Erwachsene 2 990 CZK", also ca. 18,- € p. P. + Nacht!) kann man wirklich nicht meckern. Die Mitarbeiter waren freundlich und haben sich alle Mühe gegeben, unseren kurzen Aufenthalt - von Freitag, 1. - Sonntag, 3.12.06, also 2 Nächte - angenehm zu machen. Danke!]

Leider erzählt die Webseite des Hotels nichts über die Geschichte des Anwesens. So habe ich mir diese aus der Erwähnung von "Habichau" in einem Redeprotokoll aus einer Sitzung des Tschecheslowakischen Parlaments aus den 20er Jahren des verflossenen Jahrhunderts zusammen gereimt. (Aus dieser Quelle muss man wohl auch folgern, dass das Gut schon vor der Vertreibung der Sudetendeutschen in tschechischem Besitz war - falls es nicht in der Zwischenzeit noch einmal verkauft wurde.)

Es kann bei solchen Umständen nicht überraschen, dass sich dort nicht nur in der Vergangenheit merkwürdige Ereignisse zugetragen haben (vgl. hier die Sage "Dolní Vltavice").
Uns ist leider keine Frau mit Moos begegnet, und schon gar keine, welche ihr Moos für uns hingeblättert hätte.



Doch haben wir selbst gesehen, dass die Gäste "Uruqell Fastbier" tranken

und Hunde beim Schein einer Lampe Billard spielten.















Dabei hatte der Tag ganz normal begonnen: Aufstehen früh um 3.00 h (das allerdings war eher ungewöhnlich), im Taxi nach Bad Soden-Salmünster gefahren (zu dieser frühen Morgenstunde dreht der Regionalexpress noch keine Runde) und dort gegen 4.50 h vom Reisebus aufgesammelt: als westlichste, schon außerhalb des Verbreitungsgebietes der Fuldaer Zeitung (wo wir das Inserat entdeckt hatten) siedelnde Teilnehmer dieser Expedition gen Osten.
Steinau, Schlüchtern, Vororte und Bahnhof Fulda: unter den weiteren Zusteigern kristallisierte sich eine morgenmuntere Damengruppe heraus, welche in irgendeinem Zusammenhang mit den gut schließenden Behältnissen der Firma Tupperware stand.
Um diese auf den berühmten Tupperwareparties zu verkaufen, darf natürlich der Mund nicht verschlossen bleiben. Und so übten denn die Hennen der Tupperware-Truppe das Gackern bereits zu einer Tageszeit, wo der Hahn und einige andere Reisegäste gern noch geschlafen hätten. Dieser Schlafentzug war ein zwar wenig erfreuliches, aber doch keineswegs paranormales Phänomen.

Auch aus Bodenmais im Bayerischen Wald sind keine besonderen Vorkommnisse zu melden, außer dass das Kristallrestaurant bei Joskas großem Glasgeschäft ein Salatbuffet für nur 2,90 € anbot. Das war uns nicht zuletzt deshalb hoch willkommen, weil ich die von meiner Gemahlin liebevoll zubereiteten Brote und den köstlichen Quarkstollen im Taxi vergessen hatte (was wiederum meine Frau zur Entfaltung einer ganz eigenen Variante von tupperwarischer Beredsamkeit anstachelte).

Der Name "Bodenmais" hätte uns allerdings stutzig machen sollen. Bei der ersten Erwähnung des Ortes um 1300 (wer den versteckten und nicht direkt verlinkbaren Text über die Bodenmaiser Geschichte auf der Webseite des Ortes findet, darf ihn zur Belohnung lesen) war der Mais in Deutschland noch gänzlich unbekannt. Die Ortsgründer bzw. Namensgeber müssen also schon mit übersinnlichen Fähigkeiten begabt gewesen sein. (Der Mühlhiasl lebte aber viel später und scheidet mithin als Namensgeber aus.)

Nach dem Grenzübertritt auf die tschechische Seite des Gebirges verdichteten sich die ominösen Vorzeichen:
- Der Himmel, in Deutschland noch ganz normal Novembertrüb, hellte kurz vor der einbrechenden Dämmerung noch einmal auf.
- Auf den Straßen begegneten uns nur selten andere Autos.
- Ansammlungen elender Schuppen verdichteten sich hier und da an den Straßenrändern zu wahren Waren-Basaren.
- Und allüberall auf den Dächerspitzen / Sah man farbige Neon-Herzen blitzen. Die waren ganz gewiss für das Fest der Liebe dort installiert worden. Man kann es ja auch nachvollziehen, dass die Tschechen das Sternsymbol leid sind (s. a. mein Eintrag "Mokka schmeckt auch gut!").

Das wirklich Unheimliche aber kam in unserem Hotelzimmer auf uns zu: DIE MACHT hatte einen heimtückischen Anschlag vorbereitet, auszuführen mit biologischen Waffen und mit einer ausgeklügelten Vorrichtung zur Vortäuschung eines Unfalls. Und das alles, obwohl wir uns doch in Sachen Putin noch nie positioniert hatten. Mit knapper Not und großem Glück sind wir jedoch dem uns zugedachten Schicksal entronnen.

Ein Monster lauerte auf meiner Bettdecke. Nicht eines jener harmlosen Tierchen wie Wanzen, Flöhe oder Läuse; nein: eine bis an die Zähne (und dort ganz besonders!) mit Borreliose und Meningoenzephalitis bewaffnete Kampfmaschine der Klasse Ixodes ricinus krabbelte uns da entgegen. Mich hatte, ungern gestehe ich es ein, schon jeglicher Mut verlassen. Nur dem beherzten Zugriff meiner Frau, welche das Ungeheuer resolut mit den Fingernägeln in die Zange nahm, verdanken wir unsere Rettung. Und mutig deckte sie auch noch das Laken ihres eigenen Bettes auf, wo das zweite Monster, weniger neugierig und mehr befehlstreu als ihre Artgenossin, im Schutze der Bettdecke auf ihr nichts ahnendes Opfer lauerte.

DIE MACHT musste damit gerechnet haben, dass ein (aus ihrer Sicht:) unglücklicher Zufall ihre Pläne vereiteln könnte. So hatte sie, wohl wissend, dass Frauen gefährlicher sind als Männer, für meine Frau noch eine besonders tückische Falle vorbereitet. Am Kopfende unserer Betten hing jeweils ein Bild in einem schweren Rahmen. Mit ihrem allsehenden Künstlerblick erkannte Agatha B. jedoch sofort, dass mit ihrem etwas nicht stimmte. Der pastellzart dargestellte Frauenleib schwebte nämlich in der Waagerechten, während doch sonst in der Kunstgeschichte Darstellungen von Levitationen eher selten sind.
Tatsächlich: eiskalte Agenten hatten das Bild einfach auf den Rahmen statt in die Öse eingehängt; ein Zeckenbiss in der Nacht, ein angsstraumbedingtes Auffahren aus dem Schlafe hätten das es mit Glas und Rahmen auf das Haupt der Ahnungslosen herabgravitiert.

Der weitere Verlauf der Reise bewegte sich wieder im normalen Rahmen; DIE MACHT war vermutlich woanders - in London vielleicht, oder mit der Produktion von Polonium? - zu sehr beschäftigt, oder sie war ihres Irrtums inne geworden. [Der oder die geneigte Leser/in möge es mir nachsehen, wenn ich im Lande von Fritz Mauthner und Karl Kraus , mich einer preziösen Genetiv-Konstruktion zu bedienen bemüßigt gefühlt habe. Nachtrag 4.2.07: Die Österreichische Akademie der Wissenschaften lässt "Die Fackel" nun auch online leuchten: hier kann man sich anmelden; dort mehr über das Projekt erfahren.] So schliefen wir recht gut in jenen schmalen Betten, welche das Hotel wahrheitsgemäß als

Po-Kojen-Zimmer vermietete. (Um aber auch meinerseits der Wahrheit die Ehre zu geben will ich nicht unerwähnt lassen, dass die nur 80cm breiten Matratzen solide und kuhlenlos, also vermutlich ziemlich neu, waren. Übrigens sind die Zimmer durchaus groß genug, um breitere Betten unterzubringen, und die Badezimmer sind geradezu verschwenderisch geräumig.)














Der folgende Samstag war der Kultur gewidmet: Besichtigung von Budweis (České Budějovice) und (Böhmisch) Krumau oder Krummau (Český Krumlov).

Ich weiß schon, was Sie denken, wenn Sie "Kultur" und "Budweis" hören: dass wir nämlich die dortigen Hefekulturen inspizieren wollten.
In Wirklichkeit haben wir aber weder eine Brauerei besichtigt, noch (dort) Bier getrunken. Dafür hat aber unsere Reiseleiterin uns auf der Bustour rings um die Altstadt en passant eine Diamantenfabrik gezeigt.
In der Altstadt selbst führte sie uns zu Fuß; bei der Kirche des Heiligen Nikolaus, an einer Ecke des großen Stadtplatzes, endete die Besichtigungstour. Wir gingen hinein, um uns vorsorglich gegen weiteres Unheil zu feien. Dann in ein Café und etwas planlos durch die Straßen gelaufen.
Auch von dieser Stadt stehen auf diversen Webseiten zahlreiche Fotos im Netz, u. a. bei "Wikimedia").
Am häufigsten wird natürlich der riesige Stadtplatz fotografiert, mit dem Samson-Brunnen und dem Rathaus; "Ray" z. B. hat aber auch andere Motive entdeckt. Peter Viktor Jurik zeigt uns ebenfalls einige schöne Aufnahmen von anderen Ecken der Stadt. "The nixonator" (Julia aus Birmingham) liebt es, Budweis von oben zu betrachten (und hatte auch in Cesky Krumlov den Finger fleißig auf dem Auslöser).
Manchmal wird es auch ein wenig feucht in der Stadt - und das nicht vom Budweiser Bier.

Die Stadt ist herrlich. Ein Allerweltsadjektiv, welches hier für "außerordentlich sehenswert" stehen soll: drei von drei Reiseführer-Sternen hat sie allemal verdient. Erstaunlich der Reichtum, der es sich schon in der frühen Neuzeit leisten konnte, die ganze Altstadt mit Steinhäusern zu bebauen: während z. B. in Nürnberg oder Frankfurt noch die (billiger zu erstellenden) Fachwerkhäuser Standard waren.
Den Marktplatz kann man großartig nennen, oder Atem beraubend. Das alles ist zutreffend, zumal wenn man bedenkt, dass es im Mittelalter ein Luxus war, so viel von dem knappen Platz in einer ummauerten Stadt einfach frei zu lassen. Das Rathaus und zahlreiche andere von den Gebäuden, welche den Platz säumen, sind schön. Der Platz insgesamt aber spricht mich ästhetisch nicht so sehr an: die Proportionen - das Verhältnis der niedrigen Häuser zur gigantischen Freifläche - stimmen nicht. Und das Rathaus wäre sicherlich wirkungsvoller, wenn es in der Mitte einer Platzseite stehen würde, statt an einer Ecke. Es gibt sehr viel schönere Plätze: beispielsweise den Marktplatz vor dem Rathaus in Rothenburg ob der Tauber. Aber trotzdem hinterlässt er einen bleibenden Eindruck mit dem Gefühl von Weite, das sich seinen Besuchern einprägt.
Zahlreiche Straßenzüge, die Bürgersteige großenteils mit Laubengängen überbaut, locken zu eigenen Entdeckungsgängen. Die Stadt hat mich mehr begeistert, als meine dürren Worte hier dem Leser zu vermitteln vermögen. Vier Stunden reichen halt bei weitem nicht aus, um sich mit individuellen Erlebnissen soweit aufzuladen, dass man das Außerordentliche dieser Stadt im Spiegel des eigenen Erlebens für andere sichtbar reflektieren könnte. Selber kommen und schauen - und mindestens zwei volle Tage bleiben!

Auffallend, wenn auch nicht überraschend (ich hatte vor der Reise natürlich im Internet recherchiert), war für unsere Gewohnheiten, dass eine Stadt mit ca. 100.000 Einwohnern nicht durchgehend in der Adventszeit einen Weihnachtsmarkt hat. Der heisige fand erst und nur am 2. Adventswochenende statt.


Da hatte man sich vielleicht mit dem sehr viel kleineren (ca. 15.000 EW) Cesky Krumlov, früher (Böhmisch) Krumau oder Krummau genannt, abgestimmt, wo der Weihnachtsmarkt am 1. Adventswochenende stattfand.

Unser Aufenthalt in dieser Stadt der Alchemie war eine weitere surreale Böhmen-Begegnung: wir waren dort - und haben sie doch nicht gesehen.
Denn wer würde zu behaupten wagen, dass er oder sie eine Stadt in drei Stunden "gesehen" hätte, für welche ein Reiseführer mindestens fünf von drei möglichen Sternen vergeben müsste? Allein für die wunderbar liebevoll und detailliert gestaltete Webseite der Stadt (die übrigens auch über deren Umgebung umfassend informiert) bräuchte man Tage - schon allein um z. B. eine studentische Projektarbeit zum Thema "Touristische Entwicklung in Hallstatt im Vergleich zu Český Krumlov"zu lesen :-). Das wollen wir vielleicht nicht unbedingt; aber wer könnte den "sensitiven Karten" widerstehen, welche die (Webseiten-)Besucher noch das kleinste Detail von Schloss und Stadt erleben lassen? (Übrigens existiert auch eine ganz brauchbare Webseite aus Deutschland über die Stadt.)

Der Begriff "Tschechisches Rothenburg" drängt sich auf die Lippen, aber natürlich hinkt der Vergleich. Rothenburg ist, wenn man das Burgschloss in Cesky Krumlov [ich lasse hier der Einfachheit halber die diakritischen Zeichen der tschechischen Sprache weg] ausklammert, größer, und bietet an zahlreichen Stellen wunderbare Winkel von Fachwerkhäusern, Wehrmauern, Stadttoren (das Rödertor z. B. könnte man sogar beinahe als "Stadttorburg" bezeichnen) usw., hier und da auch schöne Blicke ins Taubertal. Krumau schmiegt sich in eine Schleife der Moldau; hier geht der Blick von der Stadt nicht hinunter zum Fluss, sondern vom Fluss hinauf zur riesigen Burg. [Die Aufnahmen von tschechischen Fotografen sind für unsereinen etwas mühevoll zu finden, aber vielleicht künstlerischer und liebevoller als manche anderen.]
Beide Städte sind auf ihre Weise einzigartig; von einem rein touristischen Standpunkt hat Krummau aber den Vorteil, dass Stadt und Schloss jeweils für sich außerordentlich sehenswerte "Objekte" sind: "Sightseeing im Doppelpack", könnte man sagen.

Touristen kommen aus Österreich, Deutschland und nicht zuletzt wohl auch aus Tschechien selbst und, in vorläufig anscheinend noch etwas geringerer Zahl, auch aus anderen Weltgegenden (immerhin: Taiwanesen waren auch schon da). Dass aber zumindest im Winter die Besucherfrequenz noch steigerungsfähig ist zeigt sich schon aus der Tatsache, dass der Weihnachtsmarkt nur an einem einzigen Adventswochenende stattfand - und auch recht klein war.

Die Stadt setzt (noch?) auf Qualitätstourismus. In welcher anderen Touristenstadt würde sich etwa ein auf klassische Musik spezialisiertes CD-Fachgeschäft etablieren und halten können, und zudem noch an einem neuralgischen Punkt der touristischen 'Rennstrecke' wie dem Übergang von der Burgvorstadt (Latran) über die Moldaubrücke in die Altstadt? Ein oder zwei schnelle Blicke in Schaufenster von Kunstgalerien zeigten recht qualitätvolle Arbeiten; keinen Touristenkitsch. Es würde sich sicher lohnen, dort gemütlich durch die Stadt, die Kunstgalerien usw. zu bummeln und sie und die Museen in Ruhe anzuschauen.

Dass die Stadt eine erotische Atmosphäre hätte, habe ich nicht bemerkt. Jedoch hat sie eine erotische Vergangenheit: Egon Schiele hat hier (aber nur kurz) gelebt (Cesky Krumlov ist die Heimatstadt seiner Mutter). Die Werbewirksamkeit eines solchen Namens lässt man sich natürlich nicht entgehen und hat ein "Egon Schiele Art Centrum" gegründet, wo aber anscheinend hauptsächlich Ausstellungen wechselnder Künstler gezeigt werden. Bilder von Schiele kann sich diese kleine Stadt kaum leisten, und außerdem dürften die meisten seiner Werke ohnehin schon in Museen gelandet und somit dem Kunstmarkt dauerhaft entzogen sein.
Auch "Don Julius Caesar d’Austria" hatte es mit der Erotik, aber mit einer mehr pathologischen Variante. (Der "rasende Reporter" Egon Erwin Kisch hat übrigens die Story von der Vernarrtheit des illegitimen und offenbar geisteskranken Sohnes des Kaisers Rudolf II in die Tochter des örtlichen Baders, die er dann umgebracht hat, in einem seiner Zeitungsartikel geschildert.)
Und, was die weniger abnormen Formen der Sexualität angeht, darf man wohl vermuten, dass auch die nachfolgenden Schlossherren keine Kostverächter waren.
Jedenfalls scheint die Thematik noch heute auszustrahlen: Akte im Schaufenster einer Kunstgalerie sind ja nicht unbedingt ungewöhnlich, aber vielleicht gibt es hier mehr davon als anderen Orts. Und eine Ausstellung mit Fotografien von Jan Saudek ist vermutlich (ich habe sie nicht gesehen) auch keine Kunst für Betschwestern. (Auch seine - natürlich sehr viel jüngere - Ehefrau Sara Saudkova ist als Fotografien tätig und ihre Arbeiten wurden dort ebenfalls gezeigt.)
(Nachtrag v. 02.02.07: Kein Wunder, dass der Horror-Film "Hostel" in Cesky Krumlov gedreht wurde. Allerdings spielt die Handlung nicht dort, sondern ist in Bratislava / Pressburg angesiedelt. Aber wenigstens verstehe ich jetzt, was die Frankfurter Künstlerin Kerstin Lichtblau meint, wenn sie in ihrem Weblog einige Nachtaufnahmen mit dem Titel "Hostel II - Horror in Cesky Krumlov" versehen hat.)

Aber das alles sah ich (von außen) erst am Schluss unseres Aufenthalts. Unsere Reiseleiterin pirschte uns zunächst von hinten ans Schloss heran: etwa dort, wo das Schlossgelände über eine Brücke mit dem Barockgarten verbunden ist, begannen wir unseren Durchgang durch die langgezogenen Schlossgebäude. Schloss oder Burg, das ist hier die Frage. Die richtige Antwort wäre: Burgschloss oder Schlossburg. Am Anfang (und schon vor der Stadtgründung) entstand natürlich eine wehrhafte Burg mit dem noch heute das Burg- und Stadtbild dominierenden Turm. Mit fortschreitender Waffentechnik wurde die Burg in ihrer militärischen Funktion obsolet, ließ sich aber durch immer neue An- und Brückenbauten für ein relativ bequemes Schlossleben nutzen.

Nun habe ich schon so viel über eine Stadt geredet, die ich nicht einmal gesehen habe :-)! Mindestens 4 Tage Zeit sollte man sich nehmen. Will man aber auch Budweis von dort besuchen, und das Ganze ganz geruhsam angehen, darf es durchaus ein einwöchiger Aufenthalt werden.

Über den Weihnachtsmarkt habe ich noch kaum etwas gesagt. Ehrlich gesagt, war er auch nicht sonderlich bemerkenswert - außer dass nach glaubwürdigen Zeugnissen (meiner Gemahlin nämlich) ausgesägte Holzfiguren und -verzierungen dort nur etwa die Hälfte von dem kosteten, was bei uns verlangt wird.

Einmalig (bzw. zumindest uns bisher unbekannt) war aber ein Gebäck mit einer ungewöhnlichen Art der Zubereitung:
Der Backteig wurde um eine Eisenwalze gewickelt, und dann über offenen (Gas-)Flammen gebacken. Anschließend wurde das Gebäck, das wie ein großer Serviettenring aussah, von der Walze abgestreift und in Puderzucker und/oder Zimt gerollt. Das hat vorzüglich gemundet und war, mit viel Aufwand von Hand hergestellt, für 35,- Tschechenkronen (ca. 1,30 €) wirklich nicht teuer.
Von dem wirklich sehr rührigen Fremdenverkehrsamt von Cesky Krumlov bekam ich (aufgrund meiner Eintragung im Gästebuch auf der Webseite der Stadt) heute (13.12.06) folgende Information über das o. a. Weihnachtsgebäck:
"Das gefragte Gebäck heisst STAROČESKÉ TRDLO und man kann das leider nicht auf deutsch übersetzen*. Was die Frage der Spezialität betrifft, es handelt sich um altböhmisches Gebäck und ist nur auf den Märkten zu kaufen."
Danke für die Rückmeldung!
[Auch der Amerikaner "Peter" berichtet darüber in seinem Blog; hier vom Prager Weihnachtsmarkt:
"If you look closely at the following photo, you'll see a something that looks like an elongated donut on top of one of the stalls. I don't remember the name of it, but it's made by wrapping some dough around a cylinder, then rotating the cylinder (either cranked by hand, or in some cases using a motor, which is probably cheating) above an open flame. The resulting flame-baked pastry is then rolled in a cinnamon-sugar mixture. Update from abcprague.com: 'It is called Staroceske trdlo (Old-Bohemian muff) and it is food from medieval times. And it’s great'."
Und Megan Blocker serviert uns sogar mouthwatering closeups von den Dingern.)
[Siehe ergänzend auch den Bericht von Radio Praha "Weihnachtsmarkt in Prag - Der Altstädter Ring in festlichem Glanz", wo das Gebäck ebenfalls erwähnt wird.]
[Nachtrag vom 17.12.06: Noch ein -englischsprachiger- Blog-Eintrag -mit Bildern- über "trdlo"]
*Was die Übersetzung bzw. Übersetzbarkeit angeht: "STAROČESKÉ" heißt "alttschechisch" und "TRDLO" soll für "Klotz, Klotzkopf usw." stehen. (Lt. diesem Lexikon.)
4.1.07: Stimuliert durch die Rückverfolgung von Suchanfragen meiner Besucher bleibe ich bei "trdlo" am Ball - und habe nun den "Dobrovsky", ein "Deutsch-Böhmisches Lexikon" (also, wie man auch an der altertümlichen Schreibweise beispielsweise von "Ölgötze" -s. u.- sieht, offenbar ein älteres Werk, wohl aus der Zeit, als Böhmen noch bei Östreich war) im Internet gefunden. Wenn man da in den "Index verborum" geht und unter "cestina" auf den Buchstaben "T" klickt, kann man für "trdlo" folgende Übersetzungen finden :
"Haspel; Klotz; Mörserkeule; Oehlgötze; Plattstampfer; Stößel; Talg; Tapps; Tölpel."
Für unsere Zwecke sollte man den Namen des Gebäcks vielleicht mit "Geduldsklotz" übersezten, denn dieser Genuss wird nur jenen zuteil, welche geduldig auf die Fertigstellung des "trdlo" warten können (was mich beiläufig auf die Idee bringt, dass der Name etwas mit "trödeln" zu tun haben könnte). Ober er überleben wird, oder ob eines Tages auch diese Spezialität entweder vom Markt verschwindet, weil die Produktion wenig rentabel ist oder das Produkt den Kunden zu teuer erscheint, oder ob irgend jemand eine Maschine zur Massenproduktion von Geduldsklötzen erfinden wird?
Vielleicht könnte man sie mal auf einem ambitionierten Weihnachtsmarkt in Deutschland einführen? "Trödlo" wäre dann vielleicht ein griffiger Begriff?
Nachtrag 05.09.2022: Alles, was mal zum Trdlo wissen muss, erfährt man jetzt in dem Blogpost "Trdelnik - ein sehr beliebtes Süssgebäck in Prag" vom 07.04.2014.


Ein wenig von der abendlichen Scheinwerfer-Romantik von Altstadt, Moldaufluss und Burg bekamen wir noch mit, dann ging es zurück zu unserem Hotel am Lipno-Moldau-Stausee. (Ein Dr. Peter Leibner hat eine nette kleine Fotogalerie vom See ins Netz gestellt.)

Es kann nicht verwundern, dass Cesky Krumlov ein Eldorado für Fotografen und Knipser ist (s. a. oben). Meine erste, und für mich immer noch schönste Bild-Begegnung mit Böhmisch Krumau verdanke ich wiederum einem Magier - der Kamera. Karel Plicka, den ich schon früher gewürdigt habe, hat in seinem 1965 erschienen großformatigen Kupfertiefdruck-Bildband "Vltava" (Moldau) zahlreiche herrliche Aufnahmen von der Stadt publiziert.
[Über den Fotografen Plicka kann man hier eine knappe Information lesen und dort einige seiner Prag-Aufnahmen betrachten. Zu recht bedauert John Coulthart, dass man nicht mehr der Fotos von Plicka im Internet findet: "A shame there isn’t more of Plicka’s atmospheric photography on the web, his views of Prague present the city the way we usually imagine it from the stories of Kafka and Gustav Meyrinck". Immerhin haben wir aber die Möglichkeit, ihm eine virtuelle Blume auf sein Grab zu legen.]
Karel Snížek ist nicht so ganz mit Karel Plicka vergleichbar, doch vermitteln uns die zahlreichen Aufnahmen in seinem Fotoblog immerhin einen äußerlichen Eindruck von der Stadt.
Bei pbase gibt's Galerien en masse.
Wer sich dagegem von animierten Bildern mehr animiert fühlt, kann sogar eine vituelle Reise unternehmen.
Neben einer Reihe von Bildern eher privater Natur finden sich in einer Bildgalerie über einen Silvesterurlaub in C. K. eine Reihe schöner Winteraufnahmen der schneeverzuckerten Stadt.
Erg. 5.3.07: Auf der Photo-Sharing-Seite (oder wie man das nennt) von "deviantART" werden auch einige schwarz-weiß-Fotos präsentiert: z. B. Gebäudefassade, eine nächtlich-leere Gasse oder das alte Kopfsteinpflaster einer Straße im Gegenlicht.


Schweren Herzens reißen wir uns los von dieser verzauberten und verzaubernden Fata Morgana der Vergangenheit und erinnern uns an die Heimreise am folgenden Tag, dem 1. Adventssonntag. Auf dem Rückweg von unserem Aufenthalt am Lipno-Stausee hieß es freilich: Begebe dich nicht direkt Richtung Heimat, sondern gehe über Passau. Darüber habe ich ein wenig in dem Eintrag "Donde viene? Vengo d'Onde!" erzählt.


111,- € hatte die Reise gekostet, 2 Übernachtungen mit Halbpension und eine ganztätige Reiseleitung inklusive. Das war ein sehr fairer Preis, und auf der Rückfahrt erinnerten wir uns an eine andere "111er-Winter-Reise": damals allerdings bezahlte man noch in D-Mark. Mitte der 80er Jahre war das, in der Woche um irgend einen 11.11. herum, als wir über das Frankfurter Anzeigenblatt "Blitz-Tip" ein Sonderangebot mit fünf oder sechs Übernachtungen in einem der Appartements im Rhön-Park-Hotel gebucht hatten, mit Transfer von und zum Bahnhof Fulda (ansonsten hätten wir, autolos, es kaum erreichen können).
Dieses Hotel ist von einem wahren Stradivarius der Baukunst errichtet worden. Das Stahlbetongerippe des großen Gebäudes hat er geschickt als Resonanzkörper komponiert: schreiten die Gäste beschwingt durch den Gang, hörst du im Traum ihrer Schritte Klang. Da hat das Bauamt wohl auch geschlafen.
Trotzdem war es, nachdem wir zwei Kegelbrüder-Nächte durchgestanden hatten und dann in einen abgelegenen Teil umquartiert wurden, ein schöner Urlaub. Die Lage des Hotels ist herrlich. Das trübe Novemberwetter wurde kalt und zeitweise sonnig; auf dem Heidelstein waren die Äste schwer von gefrorener Nässe und es hatte sogar ein wenig geschneit: summa summarum eine schöne, in ihrer Art einmalige, (Natur-)Urlaubs-Erinnerung.

Nun haben wir eine noch einmaligere, wenngleich nur flüchtig-verschwommene, "111er-Städte-Reisen-Erinnerung" hinzugefügt.


Nachtrag vom 12.01.2007:
Bei der Rückverfolgung von Besucher-Pfaden zu meinem Blog (in diesem Falle via "Don Julius D'Austria") habe ich wieder einmal einen schönen Linkfund gemacht: "Strog's Prague pictures & opinions diverses" von einem gewissen "Strogoff", der in Prag lebt. Es handelt sich um einen Blog, der Texte mit Photos intensiv zu verweben scheint (im Einzelnen habe ich mir die Texte nicht durchgelesen: bei meinen sehr dürftigen Französischkenntnissen wäre das ein allzu Zeit raubendes Unterfangen). Wer aber besser Französisch spricht (oder doch wenigstens lesen kann) als ich, oder wer nur seine (durch zweimaliges Anklicken stark zu vergrößernden!) Aufnahmen von Prag genießen will, möge den Klick zu Strogoffs Blog nicht scheuen! Er bereist und beschreibt anscheinend auch andere Orte in Tschechien; sehr ausführlich und mit zahlreichen schönen Fotografien hat er jedenfalls Krumau beschrieben ("Ailleurs: Český Krumlov, un indispensable").
Ein Plicka ist Strogoff natürlich nicht, aber hier ist ihm ein Bild wie gemalt gelungen, voll köstlicher Ironie: wenn Spitzweg heute leben würde, würde er Aufnahmen wie diese machen. Und dieses Haus hatte ich eigentlich für mich reserviert - aber "Strogoff" hat es leider auch schon entdeckt.
(Er betreibt übrigens noch einen weiteren Prag-Foto-Blog: "The best of Strogoff (and of Prague)". Auch der ist, alas, trotz des englischen Titels in französischer Sprache. Das sollte aber auch weniger polyglotte Surfer nicht daran hindern, sich zumindest an seinen herrlichen Bildern, hier z. B. eines von der Karlsbrücke, zu delektieren. Merci beaucoup, Monsieur Strogoff (or whatever your real name may be)!


Nachtrag 24.07.07:
Eine englische Familie (Wilkinson) ist so begeistert von Czesky Krumlov, dass sie eine eigene Webseite, mit einer schönen Fotogalerie, darüber ins Netz gestellt hat: "Cesky Krumlov - An alternative Czech Holiday".
Dazu gibt es noch einen Blog "Adventures in the Czech Republic", ebenfalls mit zahlreichen Einträgen über Böhmisch Krumau.


Textstand vom 05.09.2022

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