Sonntag, 13. Februar 2011

Axel Webers Bundesbank-Rücktritt entschleiert deutschen Medien-Bullshit (und zugleich die Transusigkeit der deutschen Blogosphäre)


Zeit zum Bloggen habe ich eigentlich keine.
Das nicht, weil ich nun Rentner bin und Rentner bekanntlich nie Zeit haben.
Sondern weil ich mitten im Umzug ins KiniCounty stecke.

Doch kann ich nicht schweigend abseits stehen bei dieser Kanonade von verbalem Talmi, welches die deutschen Meinungsmacher gegen Axel Weber - und damit letztendlich gegen die von ihm vertretenen geldpolitischen Prinzipien - abfeuern.

Grundsätzlich bin ich alles andere als ein Anhänger von Bundesbankpräsident Axel Weber. Doch stößt es mir sauer auf wenn ich sehe, wie sich die Reihen der deutschen Medien-Phalanx (die in der Debatte um Thilo Sarrazin außer Tritt geraten waren), sich in der Meinungsbildung gegen Prof. Dr. Axel Weber wieder festigen und wie hier große Teile der Journaille im Gleichschritt und damit, im vorliegenden Zusammenhang, zugleich gegen die überwältigende Mehrheit der deutschen Bürger marschieren (wie aus zahlreichen Leserkommentaren deutlich wird).
Einerseits ist es ausgesprochen unfair, Axel Weber für seinen Rücktritt zu kritisieren. Auch schon vor Webers eigener Erklärung seiner Rücktrittsgründe in einem Spiegel-Interview, über dessen Inhalt z. B. Christian Siedenbiedel in der FAZ u. d. T. "Der seltsame Abgang des Axel Weber" berichtet, musste jedem, der (wie z. B. ich) die einschlägigen Meldungen auch nur kursorisch verfolgt oder mitbekommen hatte, klar sein, dass Axel Weber
  1. wegen des Widerstandes zahlreicher Länder und insbesondere Frankreichs nicht die geringste Chance hatte, zum Präsident der Europäischen Zentralbank berufen zu werden und
  2. er selbst dann, wenn er Zentralbankpräsident geworden wäre, dort nicht die geringsten Aussichten gehabt hätte, seine geldpolitischen (Hardliner-)Vorstellungen durchzusetzen.
Weber hätte sich als EZB-Präsident lediglich lächerlich machen können: er hätte dann ggf. z. B. vor der Presse weitere Käufe  der EZB von Staatsanleihen begründen müssen, von denen doch jeder wusste, dass er sie radikal ablehnt.
Bei dieser Sachlage ist es relativ unwesentlich, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn (ausreichend) unterstützt hat oder nicht. Wenn dennoch genau diese Dimension in den Pressemeldungen hochgekocht und etwa von einer Brüskierung Merkels gesprochen wird usw. fragt sich der hinterfragende Leser, ob die Journalisten einfach nur dumm sind, oder ob sie ganz bewusst übernehmen, was offenbar die Darstellung der Regierungsseite ist (wobei ich gar nicht bezweifeln will, dass Frau Merkel über Webers Rückzug verägert war).


Ich bin gewiss kein Freund von Verschwörungstheorien. Was mich aber doch einigermaßen stutzig macht ist die Tatsache, dass die große Masse der Zeitungskommentatoren mehr oder weniger aus Regierungsperspektive auf Weber einprügelt. Klar hätte die Merkel den Weber gern noch ein Weilchen als Spielfigur auf dem politischen Schacherbrett gesehen. Aber warum soll sich Axel Weber das antun? Er ist doch nicht verpflichtet, seinen Kopf und Ruf als Spielball von Politmanövern hinzuhalten?
Besonders hellhörig macht es, wenn gleich zwei Redakteuren ihre massive Kritik an Axel Weber u. a. mit der Behauptung begründen, Weber hätte EZB-Präsident werden können. Zumal in anderen Berichten genau das Gegenteil zu lesen ist (und, wie oben - und in dem Spiegel-Interview von Axel Weber selbst - dargelegt, eine Wahl zum Chef der Europäischen Zentralbank extrem unwahrscheinlich gewesen wäre).

Holger Steltzner ist ein FAZ-Redakteur, den ich schon früher als äußerst beharrlich kennengelernt hatte. Das freilich in einem aus meiner Sicht positiven Zusammenhang, denn seinerzeit hat er sich wieder und wieder massiv gegen den Griechenland-Bailout in die Bresche geworfen. (Wer etwa seinen Namen in meinem Blog sucht, wird eine ganze Reihe von einschlägigen Zitaten finden.) Daher war ich bass erstaunt, dass er jetzt nicht nur Salve um Salve an Kommentaren mit Kritik an Axel Weber abschoss, sondern seinen Leserinnen und Lesern sogar die Behauptung zumutet:
"Axel Weber hat selbst den Sockel zertrümmert, auf dem einmal sein Denkmal hätte stehen können. Als Präsident der Bundesbank und Verfechter deutscher Stabilitätskultur von internationalem Rang hätte er in die geldpolitischen Geschichtsbücher eingehen können. Er hätte sogar Präsident der Europäischen Zentralbank werden können." (Kommentar "Weggeworfen" vom 12.02.2011)
Das glaubt ihm freilich keiner der Leserkommentatoren; repräsentativ ist insoweit z. B. die Replik von Dr. Caspar Mendrzyk (Buergersicht) (Nr. 62):
"Es ist im ganzen Lande keine Quelle erkennbar, die die Behauptung zu stützen geeignet ist, Herr Weber habe EZB-Präsident werden können. Im Gegenteil, Herr Weber war Opponent der zu Lasten Deutschlands als Emission geplanten Eurobonds und damit Gegner der Merkel´schen Pläne. Es wäre daher ein Wunder gewesen, wenn Frau Merkel ihn nicht hätte fallen lassen"
oder von Ralf Vormbaum:
"... legte der Bundesbankchef keinen Wert mehr darauf, noch weiter den Anschein zu wahren, als würde in der EZB noch irgendeine Stabilitätspolitik vertreten. Offenbar hat der Bundesbankpräsident immer schmerzlicher erkannt, dass man als "Währungshüter" in der EZB von der Politik zunehmend auf die Rolle eines Statisten reduziert wird ... . Die Zumutungen der Politik an den Sachverstand des Währungshüters muss so enorm sein, dass am Ende wohl nur das Eingeständnis blieb, da nicht mehr mitmachen zu wollen. Dies als Fahnenflucht zu werten, ist absurd."
 Im Gegensatz zum größten Teil der Presse, jedenfalls soweit ich das in einem naturgemäß nicht repräsentativen Überblick feststellen konnte, äußern die Leser-Kommentatoren in fast allen Fällen Verständnis, häufig aber sogar volle Zustimmung, für Webers Rückzug aus dem Kandidatenrennen. "Gradlinigkeit" und "Charakterstärke" gehören zu denjenigen Schlüsselbegriffen, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen.
Holger Steltzner gibt nicht auf, Weber vorzuwerfen, dass er nicht in Brüssel den
Don Quijote (Don Quixote oder Don Quichotte) mimen wollte:
"Axel Webers Rücktritt. Flucht aus der Verantwortung" tönt er am 14.02.11. Vorsicht, Meister Steltzner: wenn Sie so weitermachen, werden sie bald selbst als (Kommentar-)Ritter von der traurigen Gestalt dastehen! "Merkwürdig" ist Webers Rückzug an sich keineswegs; allenfalls, das immerhin ist Steltzner zuzugestehen, überrascht der Umstand, dass sich Weber nicht schon weit früher zurückgezogen hat:
"Wenn Weber, wie er nun sagt, schon seit Mai vergangenen Jahres zweifelt, ob er EZB-Präsident werden wolle, dann hätte er die EZB-Fehlentscheidung, Staatsanleihen zu kaufen, mit seinem Rücktritt quittieren müssen."

Äußerst merkwürdig fand ich (vgl. auch meinen Kommentar Nr. 54), dass Steltzners Beitrag den gleichen Tenor hatte wie der Kommentar "Europa braucht einen neuen Axel Weber" von Mark Schieritz auf ZEIT Online vom 10.02.11: "Axel Weber hat die Bundesregierung mit seinem Rückzug lächerlich gemacht. Er hätte EZB-Präsident werden können, wenn er gewollt hätte."
Auf der Zeit-Seit sind die Leser-Reaktionen noch weit zahlreicher als bei FAZ.Net, und auch dort glaubt kein einziger Leserkommentator, dass Weber a) überhaupt eine Chance auf die EZB-Präsidentschaft hatte und b) als EZB-Präsident (oder in Fortführung seines derzeitigen Amtes als Bundesbank-Präsident) seine Vorstellungen hätte durchsetzen können,
Einige der Zeit-Leserkommentare dringen aber noch weit tiefer in die Debatte ein.
Zum einen wird Webers Gesamtbilanz in der Finanzkrise massiv kritisiert (aus meiner Sicht zu Recht) und damit zugleich diese Seite der Schieritz-Betrachtung, die sich auch anderswo bei den Kritikern häufig findet ('der Weber ist ein ausgezeichneter Fachmann') ausgehebelt. So stellt z. B. "In Sorge" im Kommentar Nr. 24.
Sieben Fragen zu Axel Weber,
von denen mir jedenfalls die Nrn. 1-6 wichtig erscheinen (wobei ich die Richtigkeit der Frage 4 nicht beurteilen kann):
1. Wo war Axel Weber, als sein Schüler Jörg Asmussen im Interesse der Finanzgroßwirtschaft die gefährlich falsche Deregulierung der Finanzmärkte durchsetzte?
2. Wer schlief wo an welchen Hebeln der Macht, als den Machern der Deutschen Bank ermöglicht wurde, eines der größten "Hebel"räder der deregulierten Finanzwelt zu drehen und auf alle möglichen Derivate zu wetten?
3. Welche Rolle spielte Axel Weber beim Debakel um die Hypo Real Estate (HRE)? Wessen Interessen vertrat er wirklich?
4. Warum lässt er zu, dass unter dem massiven Einfluss von Josef Ackermann sein Schüler Jörg Asmussen die internationalen Bestrebungen zur massiven Erhöhung des in Banken erforderlichen Eigenkapitals bremst?
5. Warum wurden die Ergebnisse des so sanften "Stresstests" europäischer Banken bis heute immer noch nicht in vollem Umfang veröffentlicht? Unterbleibt das wegen der riesigen laufenden und zukünftig noch zu erwartenden Verluste in den Bilanzen der Finanzinstitute, die in Axel Webers Zuständigkeitsbereich fallen?
6. Warum hat auch Axel Weber einfach weggeschaut, als die Großbanken die Kredite in den Mittelmeerraum (und nach Osteuropa) so massiv ausgeweitet haben?
Besonders tief geht und besonders erhellende Bedeutung hatte für mich der Kommentar Nr. 46 von peterha:
dass 90% aller Leser-Kommentare zum Rückzug Webers diesen in Zusammenhang mit der Finanzkrise bringen und diesen Rücktritt mehr oder minder als ein Alarmzeichen sehen, in den Kommentaren der Presse dieser Aspekt aber so gut wie nicht thematisiert wird? Statt dessen werden Stilfragen diskutiert oder über über Webers zukünftige Karriere spekuliert?
Wer verkauft hier wen für dumm und mit wie viel Vorsatz geschieht das? Seit über zwei Jahren wird den Bürgern eine finanzpolitische Zumutung nach der anderen vor den Latz geknallt und schön geredet, die man sich vorher allenfalls auf einem Horrortrip nach einer Überdosis LSD hat vorstellen können und die Presse stilisiert den Karriereverzicht zur Stilfrage!
"

Zwar war mir schon vorher der Gleichklang zwischen Schieritz und Steltzner aufgefallen, und dass es eine unüberbrückbare Kluft gab zwischen den Meinungen (oder jedenfalls den Meinungsäußerungen, die ja nicht zwangsläufig mit der wahren Meinung identisch sein müssen) der allermeisten Redakteure und den Lageanalysen der Leserinnen und Leser. (Ganz krass tritt diese Diskrepanz u. a. auch bei Focus Online zu Tage, wo der Redakteur Clemens Schömann-Finck am 11.02.10 über "Bundesbank-Präsident Webers unwürdiger Abgang" schwafelt, während z. B. der Leser "Oberbayer" und mit ihm die weit überwiegende Zahl anderer Leser kontert: "Respekt und Anerkennung für Herrn Weber. Er hat erkannt, dass keinerlei Möglichkeit besteht, seine Vorstellung von Stabilität der Währung durchzusetzen ist. Dies ist auf keinen Fall ein unwürdiger Abgang ")
Aber erst der o. a. Kommentar von peterha hat mir bewusst gemacht, dass man die Diskursanalyse hier in zwei Dimensionen führen kann und muss, nämlich:


1) Fallbezogen.
Insoweit fällt die große Nähe vieler Medien zur Regierungsposition auf. Eines ist es, über die Verärgerung der Regierenden zu berichten; ein anderes, sich damit zu identifizieren. Was war den verkehrt daran, dass Axel Weber zunächst seine Vorstandskollegen in der Bundesbank, und dann erst die Bundesregierung und das Kanzleramt, darüber informiert hat, dass er nicht mehr als Kandidat für die EZB-Präsidentschaft zur Verfügung steht? Genau dies sollten doch gerade jene als richtige Reihenfolge begrüßen, die noch die kleinste Geste geradezu Kreml-astrologisch darauf abklopfen, ob sie die Unabhängigkeit der BuBa gefährden könnte! Dass einer oder mehrere von seinen Vorstandskollegen dann geplappert haben, ist nicht Weber anzulasten. Aber, nicht überraschend, wird exakt dieser im Grunde ungeheuerliche Vertrauensmissbrauch natürlich von keinem einzigen journalistischen Kommentator kritisiert oder auch nur thematisiert.


2) Die andere Perspektive ist allgemeiner Art, hängt allerdings auch mit der Regierungsnähe der Meinungsmacher zusammen:
Wir haben es hier mit einer Einordnung von Vorgängen in ein Denksystem zu tun, das sich von der konkreten Problemstellung (Durchsetzbarkeit einer antiinflationären Geldpolitik, Inflationsgefahr) allzu weit entfernt und dass statt dessen die Handlungen der Akteure (unzulässig oder zumindest wenig hilfreich) abstrahierend als eine Art von politischem Spiel behandelt, welches vermeintlich nach ewig gleichen Regeln gespielt wird. "Medien-Machiavellisten im Miniaturformat". Wir erleben (ganz generell in der Presse und überhaupt unserem politischen Leben) eine Verschiebung vom direkten sozusagen 'Kampf bis aufs Messer' zu mehr ritualisierten Kampfformen, bei denen u. a. Formfragen vorgeschoben werden. In mancher Hinsicht ist eine Zivilisierung politischer Auseinandersetzungen zwar durchaus begrüßenswert. Andererseits rückt aber dadurch in der medialen Behandlung die Darstellung der eigentlichen Sachthemen allzu sehr in den Hintergrund. Den Lesern ist das bewusst; die Leserkommentare führen auf die Sachfragen und auf die realen Positionen der Handelnden bzw. auf die Frage zurück, inwieweit die Akteure zu diesen Positionen stehen und sie mit ihren Taten vertreten.
Aus Zeitmangel kann ich diese Überlegungen ebenso wenig ausführen, wie ich oben weitere Belegstellen für die jämmerliche Figur der Kommentarjournalisten anführen konnte; interessierte Leserinnen und Leser dürften aber mehrere Artikel gelesen und sich auf diese Weise selbst von der Richtigkeit meiner Behauptungen überzeugt haben.


3) Nur ganz kurz kann ich auch auf die Rolle der Blogger in diesem Diskurs eingehen:
a) Faktisch sind die Äußerungen in der deutschsprachigen Blogosphäre zu diesem Thema, soweit ich sie mitbekommen habe, armselig. Die tieferen Hintergründe, wie sie in gar nicht so wenigen Leserkommentaren aufscheinen, werden nirgends thematisiert, insbesondere nicht die Kluft zwischen Leserschaft und Medienmeinungen.
b) Gerade hier läge aber doch die Aufgabe der Blogger: Gegen die Bleiwesten der Massenmedien den politischen Meinungskampf wieder als solchen anstatt als Ritual zu behandeln. [Ich selbst tue das z. B. in der Form, dass ich ganz konkret einzelne Journalisten (wenn auch eigentlich nur als Beispiele) angreife und mich nicht darauf beschränke (obwohl ich auch das gelegentlich mache) abstrakt über "den" Journalismus oder "die" Journaille zu jammern.] Wenn ich mir vorstellen, was in den US-Blogs bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art los gewesen wäre ... .


Nur am Rande, sozusagen off topic, noch eine Anmerkung zu meinem populistischen Lieblingsfeind Horst Seehofer. Dem muss ich zwar einen guten Instinkt für die Volksmeinung attestieren wenn ich (in dem FAZ-Bericht "Glaubwürdigkeit dieses Amts beschädigt" vom 12.02.11) lese:
"Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) äußerte CSU-Chef Horst Seehofer am Samstag Bedauern über den Rücktritt Webers. „Ich sehe das mit Sorge. Er gehörte zu den Wenigen, die für eine Stabilitätskultur in Europa eingetreten sind“, sagte Seehofer am Samstag in München."Aber mit seiner Behauptung
"Wie die CSU sei auch er der Meinung gewesen, dass nicht die EU die Finanzlöcher schuldengeplagter Länder finanzieren dürfe"
belügt er im Ergebnis die Wählerinnen und Wähler weil er sie darüber hinwegtäuscht, dass auch (fast) alle CSU-Abgeordneten für den Griechenland-Bailout und den Rettungsschirm votiert haben.Haltet (auch) diesen Dieb unserer Steuergelder!


Nachträge 14.02.11:

In Österreich und der Schweiz hat man sehr viel mehr Verständnis für die Handlungsweise von Axel Weber:

"Bauernopfer für den Euro. Hat Angela Merkel den Präsidenten der deutschen Bundesbank abgesägt, weil er nicht mehr in ihre Europapolitik passt?" fragt Philipp Löpfe  am 11.02.2011 in der Basler Zeitung.
Die Neue Zürcher Zeitung, international nicht gerade ein Käseblatt, kritisiert am 12.02.11 u. d. T. "Deutschland verliert mit Axel Weber ein Aushängeschild":
"Ob des Rätselratens über Hintergründe der Demission geht gerne Webers hervorragende Leistung als Bundesbankchef vergessen. Während Parteispitzen in Berlin noch am Freitag die angebliche Illoyalität Webers und einen in keiner Weise bestätigten Wechsel zur Deutschen Bank in den Vordergrund stellten, sprach kaum jemand die Verdienste Webers für Deutschland in den vergangenen Jahren an. Weber hat für sein Land weit mehr getan, als «nur» das Humankapital der Bundesbank zu mehren und die Strukturen der Bank zu reformieren. Er hat vor allem Deutschland und die Tradition der Bundesbank wieder zurück auf das internationale Parkett gebracht.So ist es massgeblich ihm zu verdanken, dass die deutsche Stimme in internationalen Gremien, sei es im Rahmen der Reform der internationalen Finanzarchitektur oder bei anderen aufsichtsrechtlichen und regulatorischen Ausschüssen, heutzutage wieder mehr Gewicht hat. ...
Diskussionen im Rat [der EZB] mögen mitunter hitzig sein, doch ist es wohl nicht zuletzt Weber – zusammen mit Jürgen Stark – zu verdanken, dass sich die EZB während der Krise keine allzu grossen stabilitätspolitischen Fehltritte leistete. Dass Weber dabei die Stabilitätsorientierung in der Tradition der Bundesbank verkörpert und verteidigt wie kein Zweiter, ist ihm hoch anzurechnen. Denn der scheidende Bundesbankchef hat auf seiner Position selbst dann beharrt, wenn offensichtlich wurde, dass ein «zahmer und konzilianter» Weber bei einigen europäischen Regierungen bessere Chancen auf den höchsten EZB-Posten gehabt hätte.
"
In Wien schrieb FRANZ SCHELLHORN in DIE PRESSE bereits am 10.02.2011: "Der Hüter des harten Euro geht von Bord – ein kleines Unglück":
"Axel Weber war der letzte Verbündete eines harten Euro. Mit seinem Abgang ist auch ein langer Richtungsstreit an der EZB-Spitze entschieden. Leider. ...
Sein Abgang bedeutet, dass der Nachfolger von EZB-Chef Jean-Claude Trichet entgegen allen Erwartungen definitiv nicht Axel Weber heißen wird.Dementsprechend groß ist auch die Entrüstung deutscher Medien. Sie werfen Weber schlechten Stil und Fahnenflucht vor. Mit seiner einsamen Entscheidung habe er die Regierung brüskiert, allen voran Angela Merkel. Die Kanzlerin stünde wie ein begossener Pudel da. Als wäre das nicht schlimm genug, habe Weber auch noch sein Amt schwer angepatzt, weil er mitten in der tobenden Eurokrise die Bühne verlässt. ... ist es eine ziemliche Unverschämtheit, Weber als eitlen Gockel hinzustellen, der wegen eines lukrativeren Jobangebots in der Deutschen Bank die Kämpfer für eine stabile Währung im Stich lässt. ...

Es wäre freilich übertrieben, dem scheidenden Bundesbank-Präsidenten für seinen Rückzieher zu danken. In jedem Fall aber gebührt ihm dafür Respekt. Weber geht, weil er nicht mehr den auf Stabilität pochenden Pausenclown geben wollte, während seine EZB-Kollegen den Kotau vor den politischen Vertretern der Schuldenstaaten geübt haben."

In Deutschland jubiliert die Financial Times Deutschland (FTD), in der Staatsschuldenkrise von Anfang an Speerspitze im Meinungskampf der Finanzinteressen gegen die Steuerzahler:
"Axel weg - Euro gut" freut sich Chefredakteur Axel Fricke in seiner Kolumne vom 11.02.2011.

Der Chefredakteur eines anderen Wirtschaftsblattes freilich gibt Kontra gegen die Stimmungsmache der inflationistischen Internationale in der deutschen Presse: "Der zweite Tod der D-Mark" erkennt Roland Tichy am 12.02.2011 auf der Webseite der Wirtschaftswoche. Das zwar "nur" in seinem Blog "Chefsache", doch beruhigt Tichy den zweifelnden Leserkommentator Canabbaia ("... ist es ... schade, wenn Hr. Tichy seine Meinung in seinem Blog sozusagen versteckt, anstatt sie mit der vollen Autorität der WiWo vorzutragen") in seiner Erwiderung:


"Keine Sorge,Canabbaia, das ist das Editorial, und die “Akte Weber” unterstützt das, überzeugen Sie sich am nächsten Kiosk".
Das wird der Canabbaia auch tun und sich das entsprechende WiWo-Heft tatsächlich kaufen. [Hat er noch am 14.2. getan und tatsächlich macht die Wirtschaftswoche eine rühmenswerte Ausnahme vom Weberfeindlichen Mediensumpf.]

Bei den Bloggern fand ich einen Deutschen, freilich in englischer Sprache bloggend, der (implizit) die Reaktion der deutschen Medien scharf kritisiert ("Inflation and diplomacy - Axel Weber edition" vom 13.02.11):
"There is a good deal of gloating in the press about him going. A well-known inflation 'hawk' and an opponent of the ECB's bond-buying extravaganza to keep Greece & Co. afloat, he is widely considered not diplomatic enough for leading the ECB....
To be honest, the whole logic of this line of reasoning is passing me by. Central bankers are not diplomats. ...
One shouldn't exaggerate the implications of a single personnel decision, but I see a broader pattern that is turning the ECB into more of a mixture between the Bundesbank of old and, say, the bad old Bank of Italy or Banco de Espana, which presided over double-digit inflation for decades. Where Pöhl and friends would hike interest rates overnight by a few hundred basis points, with no warning, cold-turkey style (even the early Greenspan pulled one of these off), the new regime hopes to guide expectations through the most esoteric of shifts in bureaucratese, thinking that if they say "strong vigilance" against inflation instead of "vigilance", bond markets and the economy at large will get it. Interest rates? Almost never shall they be touched, and if so, by 25 basis points every 6 months, maybe.So far, the inheritance of strong inflation-fighting credentials from the past, plus a benign macro environment, have ensured that this sort of magic worked surprisingly well. But at some point, I fear that stronger medicine will be needed - someone, at some point, will have to do the ugly thing of raising interest rates, big-time, perhaps even if growth is not looking pretty, because inflation is too high. Who are you going to call? Suave, smiling diplomats, who got their jobs by being nice to their home country politicians, or by working for Goldman Sachs? Or blunt, robust characters with solid academic qualifications, like Axel Weber? For my money, the fact that he was a bit rough around the edges, said what he thought, didn't take his views from the editorial pages of the FT, and wasn't afraid to p*** off some politicos, was the strongest set of recommendations anyone could have for the top job
."
Der so etwas sagt, ist freilich kein Feld-, Wald- und Wiesen-Blogger wie Cangrande. Er heißt Hans-Joachim Voth (entsprechend nennt er seinen Blog "VothSpeak") und ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Barcelona. "Geschichte" und "Barcelona" klingt für uns Laien zunächst etwas obskur, doch belehrt uns Olaf Storbeck in seinem Handesblatt-Bericht "Professor Rastlos: Hans Joachim Voth: Von McKinsey in die Uni" vom 25.02.2009 eines Besseren:
"... sein Forschungsschwerpunkt ist Wirtschaftsgeschichte, und ein besonderes Faible hatte der 40-Jährige schon immer für Börsenblasen und Finanzkrisen. So hat er zum Beispiel festgestellt: Zwischen dem Spekulationsfieber, das um 1720 in England um die Aktien der South Sea Company entbrannte, und dem Börsenhype um Internet- und Technologieaktien um die Jahrtausendwende, bestehen erstaunliche Parallelen. Mit den 2,1 Millionen Euro von der EU will er untersuchen, wie unterschiedliche Vermögenswerte und Anlageformen tiefe Krisen wie Kriege und Revolutionen überstanden haben. „Darüber wissen wir bislang sehr wenig“, erklärt Voth."
Seine Forschungen  sind also brandaktuell, und wenn ihm die Europäische Union Forschungsgelder i. H. v. über 2 Mio. Euronen anvertraut, muss er schon eine wirtschaftswissenschaftliche Kapazität sein. So erfahren wir denn auch in dem Storbeck-Artikel, dass Werner G. Seifert, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse, den er als McKinsey-Mitarbeiter beraten hatte, über ihn schwärmt: „Er bohrte einfach tiefer als die anderen. Er hat schnell erfasst, was das Hauptproblem war, und hat extrem attraktive Lösungsansätze entwickelt."
Im Gegensatz zu den deutschen Medien-Gockeln hat Voth auch in Sachen Axel Weber das Hauptproblem identifiziert. Die Geldpolitik hat sich auf die schiefe Ebene begeben, und unsere Zeitungsmacher agieren im Ergebnis als Handlanger, indem sie diese Sachfrage weitgehend ausblenden und Fragen des Stils und des politischen Taktierens zur Hauptsache hochstilisieren.

Das Manager-Magazin hat sich mit dem Weg in die Inflation bereits abgefunden. Unter "Bundesbank-Krise. Das große Geld-Theater" (11.02.11) weint der dortige Chefredakteur  Henrik Müller (in der Staatsschuldenkrise natürlich ein Bailout-Befürworter) dem Bundesbanker Weber zwar einige heiße Krokodilstränen nach:
"Mit Weber, so muss man es sehen, scheitert nicht nur eine Persönlichkeit auf tragische Weise, sondern auch ein Typus von Notenbanker: der des Anti-Inflations-Falken. In der Tradition der Deutschen Bundesbank, die Weber schon als junger Gelehrter als Institution bewunderte, sah er sich als Hüter der Geldwertstabilität."
Doch schnell outet er sich als Angehöriger der großen Koalition der 'Alternativlosen':
"Es ist nur so: Die Arbeit des Zentralbankers ist viel schwieriger geworden. Nur das Ziel zu verfolgen, die Inflation niedrig zu halten, wird der komplexen Post-Krisen-Welt nicht mehr gerecht. Geldwertstabilität und sonst nichts - dieses Ziel lässt sich, realistisch gesehen, gar nicht mehr durchhalten."

Eine besonders fiese Rolle als Berliner Prawda spielt die WELT (bzw. die WELT AM SONNTAG - WAMS). Das ist mittlerweile sogar dem Handelsblatt aufgefallen, das freilich die Springer-Zeitung nicht direkt anspringt wenn dort ein Autorenkollektiv am Schluss des Artikels "EZB-Poker wird für Merkel zum Risikospiel" vom 14.02.11 meldet:
"Die Personalie Weber, so hofft man im Kanzleramt, werde bald vergessen sein. Damit das Vergessen schneller geht, streuen die Weber-Gegner, von denen es mittlerweile viele gibt, unvorteilhafte Details über den Noch-Chef der Bundesbank. So soll er keineswegs der Stabilitätsanker im EZB-Rat gewesen sein. Im Angesicht der Griechenland-Krise habe er für eine Lockerung der Geldpolitik geworben und sei im EZB-Rat damit abgeblitzt, meldete die "Welt am Sonntag" ["Als Weber einsam den Aufstand probte" v. Jörg Eigendorf + Martin Greive, 13.2.11 - schon der Titel zeigt die Tendenz! ] unter Bezug auf Regierungsquellen. Es soll der ungünstige Eindruck entstehen: Weber war nicht konsequent, nur stur."
Andere Kommentare der WELT-Blätter sind von gleicher Qualität:
"Am Tag nach dem großen Weber-Knall" vom 11.02.11 von Jan Dams, Jan Hildebrand und Tobias Kaiser: "Hält er die Streitereien mit den EZB-Kollegen nicht aus, die er selbst entfacht hat? " und "Nerven verloren" wird dort u. a. insinuiert. Ach ja: selbst Schuld, wenn er gegen eine lockere Inflationspolitik kämpft: hätte halt mit den Wölfen heulen sollen, der Weber, statt für Prinzipien einzustehen!

Am 12.2. macht Jörg Eigendorf Axel Weber für den "Abstieg einer Institution" verantwortlich:
"Seit vergangenem Mai, als sich Axel Weber gegen den groß angelegten Ankauf von Staatsanleihen auflehnte und seinen Widerstand öffentlich machte, ist er von der inoffiziellen Nummer zwei im Rat hinter EZB-Präsident Jean-Claude Trichet zur Randfigur geworden."
Maul  halten und dem Taktstab der Regierung folgen, so wie sie selbst das tun: das ist offenbar die Weltsicht der WELT-Journalisten. Immerhin ist Eigendorf in einem Punkt ehrlicher als FAZ-Steltzner und ZEIT-Schieritz (Hervorhebung von mir):
"Deutschland durfte noch eine Weile davon träumen, den Nachfolger Trichets zu stellen. Mehr auch nicht."
Am 13.02.11 wieder Jörg Eigendorf: "Macht uns nicht den Horst - und auch nicht den Axel":
Zunächst schildert er zwar zutreffend die Ausgangslage, wie sie sich aus Sicht von Axel Weber darstellen musste und erkennt sogar an, dass der Rücktritt vor Weber unvermeidlich war (meine Hervorhebung):
"Als Präsident hätte er damit rechnen müssen, überstimmt zu werden. Weber musste also abtreten, bevor die Kanzlerin ihn als EZB-Präsidenten durchsetzt."
Doch dann wird aus der Prinzipienfrage plötzlich eine politische Manöverübung:
Weber "... hat sein Manöver einfach nur falsch eingefädelt. Also Schwamm drüber? Mitnichten. Die Entscheidung war von Grund auf falsch. Hier hat einer der anerkanntesten Geldpolitiker Europas kurzerhand nicht nur sich selbst, sondern auch noch die Bundesbank und die Bundesregierung blamiert. Zudem hat er den Euro in einer schwierigen Phase destabilisiert."
Kurze Zeit später schon hat Eigendorf den staatstragenden Schwenk vollzogen und sogar seine eigene Ausgangsdarstellung vergessen:
"Beide, Köhler wie Weber, haben mit dem, was sie selbst für konsequent und ehrenhaft hielten, sich und vor allem ihrem Land einen Bärendienst bewiesen. Es waren politische Selbstmorde, die niemandem nützen. Im Fall Weber sind die Folgen besonders schlimm. Er hätte viel mehr bewirken können, wenn er EZB-Präsident geworden oder zumindest Bundesbank-Präsident geblieben wäre."
Ebenfalls am 13.02. in der WAMS täuscht Jan Hildebrand einen Enthüllungsartikel vor indem er titelt "Was wirklich hinter Webers Rückzug steckt". Hauptfunktion dieses Artikels, der das Spiegel-Interview von Weber zum Ausgangspunkt nimmt, in welchem Weber unmissverständlich die Gründe für seinen Rückzug erklärt hat, ist es aber offenbar, den Lesern noch einmal einzubleuen, dass Weber eigentlich ja sowieso kein verlässlicher Stabilitätsanker für die Geldwertstabilität war:
"Was bisher nicht bekannt war: Im Mai 2010 hatte Weber nach Informationen der "Welt am Sonntag" eine Lockerung der Geldpolitik vorgeschlagen, um die Griechenland-Krise zu beruhigen. Das wurde abgelehnt" wird dort wiederholt. Was wirklich hinter den WELT-Kommentaren steckt, mag man daran ermessen, dass die WELT-Redaktionen für sämtliche dieser Artikel die Kommentarfunktionen geschlossen haben (vgl. jeweils den einschlägigen Hinweis am Schluss der Artikel) .  Aufklärung über die Wahrheit ist in dieser Angelegenheit nicht erwünscht in der WELT.
Und damit Weber die lange Hand der schwarzen Hintermänner oder Hinter-Frau so richtig spürt, tritt ihm Jörg Eigendorf, im kollusiven Zusammenwirken mit einem Sebastian Jost, am 13.02.11 noch einmal voll gegen den Kopf: "Weber ist ein Risiko für den Ruf der Deutschen Bank". Begründung? Seine angebliche "Fahnenflucht". Dumm nur, dass die Leser durchblicken. So sagt z. B. ein "Sozius":
"Sozius sagt:
Hier wollen zwei Leute(Jost u.Eigendorf ) Herrn Weber desavorieren ...ähnlich wie Sarrazin damals !!! Es adelt Weber , wenn er diesen Euromist nicht mit machen möchte ...denn er hat ja vollkommen Recht , wir bezahlen die Haushalte anderer Länder !! Das war nach den Maastrichtverträgen ausgeschlossen worden und verstößt auch gegen unser Grundgesetz !!!"
 Doch die Welt-Redaktion weiß Rat, um den freien Meinungsfluss auch in diesem Kommentarleck zu stoppen:
"Aufgrund von technischen Schwierigkeiten bleibt die Kommentarfunktion vorerst geschlossen. Wir bitten um Ihr Verständnis."


Nachtrag 18.02.11
Die FAZ meldete am 15.02.11 ("Bundesbank. Weber plauderte schon in Davos über Rückzug"), dass Axel Weber bereits Ende Januar zum Rücktritt entschlossen gewesen sein soll, anscheinend aber die Kanzlerin seinerzeit nicht informiert hat. Auch wenn ich es grundsätzlich für richtig halte, dass er die Kanzlerin erst nach seinen Vorstandskollegen informiert (um die Unabhängigkeit der Bundesbank zu unterstreichen), hätte er beides  unverzüglich tun sollen, nachdem er den Entschluss gefasst hatte.


Nachtrag 19.02.11
Erst heute kommt mir der Kommentar des Handelsblatt-Chefredakteurs Gabor Steingart vom 03.02. zu Gesicht: "Finanzkrise: Wie das Rettersyndrom die Politik infiziert hat". Hellseherisch schreibt Steingart dort über das Verhältnis der Öffentlichkeit (jedenfalls der Politik und der veröffentlichten Meinung) zu Axel Weber:
"Wer wie Bundesbankchef Axel Weber darauf hinweist, dass diese wundersame Geldvermehrung eine Scheinwelt schafft, wirkt altmodisch. So ändern sich die Zeiten: Wer früher als Anwalt der Stabilität auftrat, empfahl sich für Höheres. Wer heute für Seriosität wirbt, gilt als Querulant."
Aber das sind auch nur Sonntagsreden fürs Volk: Dass das Handelsblatt Weber massiv den Rücken gestärkt, oder seinen Abgang entsprechend bedauert hätte, habe ich weder vor noch nach Webers Demission beobachtet.


Nachtrag 21.08.2011
Eine schlüssige Darstellung der Vorgänge um Axel Weber bietet der Aufsatz "„Weberaufstand“ 2.0? – wurde Axel Weber dem Euro geopfert?" von Gerhard Spannbauer vom 15.02.2011.

Textstand vom 21.08.2011

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