Dienstag, 31. Januar 2006

Meinung, Werbung, Wirklichkeit

So, so, nun weiß ich endlich, dass Blogger wie ich mit ihrem Tun die "Klowände des Internets" beschmieren.

Im Handelsblatt fand ich die Nachricht über den Vorwurf und bei Jens Scholz die E-Mail, welche der bekannte und erfolgreiche Werbeagenturchef Jean-Remy von Matt seinen Mitarbeitern geschickt hatte. Trost spendend gegen Kritik an der von seiner Agentur "Jung von Matt" gemeinnützig veranstalteten "Du bist Deutschland"-Werbekampagne schreibt er u. a.:

Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter http://www.technorati.com/ eingibt: Du bist Deutschland.) [Warum eigentlich nicht bei "Google Blog Search"?]

Die ganze Werbung wäre – horribile dictu - an mir vorbei gegangen, hätte Herr von Matt nicht mit seiner "Klowand" der guten Sache eine vergrößerte Resonanz verschafft. Ein begnadeter Werber ist er; das zeigt sich zum einen in dem bildhaften Klowand-Vergleich. Zwar habe auch ich schon in diesem Blog über Klowände meditiert, und andere Leute schmähen – ja, da könnte man auch in meinen Texten fündig werden (über Michael Crichton, Gastwirte und Kellner, die Mainstream-Ökonomen (exemplifiziert durch Prof. Dr. Hans-Werner Sinn), das gemeine Volk, die Kapitalisten, Marxisten, mich selbst, die Münchener Journaille, das Handelsblatt, die Überdrussgesellschaft usw.). Aber dieser zündende Vergleich zwischen Blogs und Klowänden, der wäre mir nicht so leicht eingefallen.
Zum anderen demonstriert er sein instinktsicheres PR-Genie dadurch, dass er sich selbst mit seiner E-Mail voll in die Debatte einwirft – so ein Testimonial schafft doch eine Atmosphäre echter Authentizität! Oder hat er nicht? Jedenfalls: wenn er selbst der Konkurrenz seine Mail zugeleitet hätte, hätte er wirklich erfolgreich Publicity für seine Werbekampagne gemacht.


Ein ganz anderer Aspekt allgemeiner Natur, der mich bei dieser Geschichte umtreibt, geht mir schon sehr lange im Kopf herum.
Wir Bürger werden der Werbung wehrlos ausgesetzt.
Wenn etwa Plakatwände suggerieren, dass Rauchen Spaß macht, und ich (nur mal angenommen) ein militanter Nichtraucher wäre: niemand erlaubt mir, meine Meinung gegen die Werbung zu verteidigen, in dem ich etwa spontan auf das Plakat schreibe "Rauchen tötet".
Der Staat entwaffnet seine Bürger, welche sich schutzlos den Angriffen der Werbung aussetzen müssen.

Ich also bin die Klowand für die Werbewelt; die ganze Welt ist die Klowand für Matt und Co.
Und dagegen soll ich nicht einmal meine matte Stimme im Internet erheben dürfen?
Am I supposed to be nothing but a doormat for Mr. Matt?


Nachtrag vom 17.11.06:
Die Rache der Internet-Klowand: ein böser Schnack über die Werbeagentur Jung von Matt aus dem Handelsblatt-Bericht "Jeder gegen jeden" (Thema: Betriebsklima) vom 16.11.2006:
" 'Wenn jemand abends nach 22 Uhr auf dem Rücksitz weint, kommt er von Jung von Matt', heißt es beispielsweise unter Hamburger Taxifahrern."


Nachtrag 17.07.09
Auf SpiegelOnline berichtet Holger Dambeck am 26.01.2006:
"WEBLOGS. Von Matt entschuldigt sich bei den 'Klowänden des Internets'."
"Nachdem Werbeguru Jean-Remy von Matt Weblogs als Klowände des Internets bezeichnet hatte, kochte es in der Blogosphäre. Jetzt hat sich von Matt für seine derben Worte entschuldigt. Ein Lehrstück über die wachsende Macht der Online-Community."




Textstand vom 17.07.2009
Gesamtübersicht der Blog-Einträge auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm

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