Donnerstag, 2. Februar 2006

BÄRENGALLE; PROPHETEN; PROFESSORENPOSSE


Der Streit um die Mohammed-Karikaturen erreicht mich zu einem Zeitpunkt, wo ich nicht nur arg verschnupft bin, sondern auch tief im Vitaminkartell versunken. Und dann kommt mir noch die Bärengalle dazwischen ...

Wir selbst sind Sensibelchen bis zum Geht-Nicht-Mehr. Wenn Prinz Ernst-August mal wieder der Einladung eines Freundes zu einem kleinen Umtrunk nicht widerstehen konnte, und ihn ein Paparazzo dabei erwischt, und er dem Paparazzo eins auf die Pupille haut: darf man das fotografieren, darf man drüber berichten – oder tangiert das die Privatsphäre?

Wenn einer Heidi Klum in seine URL einklemmt: schon geht der geldgeile Papa Klum her und droht und zetert.

Wenn den Bären die Galle auf etwas schmerzhafte Weise entnommen wird, irgendwo im fernen China: Schon speien die Gargoyles des Straßburger Europaparlaments Gift und Galle: diplomatisch natürlich, indem sie eine "Written declaration on rising international concern over the farming of bear bile in China" in die Welt setzen.

Und wenn es gar wieder mal ums Geld geht, reitet eine amerikanische Professoren-Posse gnadenlos das Völkerrecht über'n Haufen.
Rechts- und Wirtschaftsprofessoren united: was haben die gekrische (würde man in Frankfurt sagen), in dem Rechtsstreit "HOFFMAN-La ROCHE LTD. et al. v. EMPAGRAN S.A. et al.". Eine allgemeine Einführung in den Rechtsstreit gibt z. B. das "Empagran Roundup" im Blog des – wohl aus Deutschland stammenden – US-Anwalts Hanno Kaiser; wer tiefer einsteigen möchte, findet den Sachverhalt aus rechtlicher Sicht - nach dem Zwischenstand von 2003 - bei Andrew Stanger erschöpfend erläutert und aus ökonomischer Perspektive bei John M. Connor.

Hat mit den (nicht besonders lustigen - die wegen Jungfrauenmangel an der Paradiestür abgewiesenen Glaubenskrieger nehme ich aus -, aber auch nicht bösartigen - hier muss mal allerdings vielleicht den Prophetenkopf mit Bombenturban als problematisch ansehen - ) Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten was zu tun?

Auf den ersten Blick nichts, but on second thought: alles ist relativ.

Uns (und den Amerikanern) ist das Geld wichtig, auch Tierschutz und Menschenrechte. Klar: Bär in einer chinesischen Gallengewinnungsfarm möchte ich nicht sein; aber muss das Europa-Parlament seine Langnasen da reinstecken?

Übervorteilter Vitaminpillenkäufer möchte ich auch nicht sein.
Aber rechtfertigt es die Erwartung eines Abschreckungseffekts (die im übrigen sehr umstritten ist, weil möglicher Weise "leniency"-Angebote durch "class action lawsuits" konterkariert werden), dass US-Gerichte sich quasi zum World Court erklären, nur weil Ökonomen und, besonders traurig, sogar auch Juristen die Gerichte mit Amicus curiae briefs bombardieren und ihnen suggerieren, dass die Kartellverbrechen "underdeterred" (suboptimal abgeschreckt) wären, würden sich nicht die US-Gerichte zu Weltsheriffs aufwerfen und in allen Fällen, in denen US-Käufer geschädigt wurden, zugleich auch den ausländischen Geschädigten, aus Geschäften ohne US-Bezug, "treble damages" zusprechen.

Nun, letztlich hat die Rechtsprechung denn doch zurück gesteckt: Sheriff SCOTUS hat die Professoren-Posse gestoppt. Denn nicht nur wurde ihm von dieser Seite wegen der höchst erschröcklichen "underdeterrence" zugesetzt.
Der Wirtschaftwissenschaftler John M. Connor insinuiert gar, das er einen "unified calculus of collusive deterrence", also quasi eine mathematische Kartell-Abschreckungsformel (bei der er allerdings einige Posten raus lässt, weil man sie nicht quantifizieren kann), entwickelt habe.
[Diese Abschreckungs-Obsessionen erinnern mich übrigens an die vermeintliche Präventivwirkung der Todesstrafe. Eine solche Wirkung will ich zwar nicht grundsätzlich bestreiten, und ich habe auch keine fundamentalen Einwände gegen die Todesstrafe, die in bestimmten Situationen – ich denke z. B. an extreme Ressourcenverknappung – durchaus erforderlich werden könnte. Unter den derzeitigen "Friedensbedingungen" halte ich sie allerdings für überflüssig oder gar schädlich. Sie schreckt ja auch in Amerika die Mörder nicht ab. Ob da eine strukturelle Verbindung zwischen den Kartell-Abschreckungs-Obsessionen einiger Gerichte und Wissenschaftler und der gesellschaftlich vorherrschenden Bejahung der Todesstrafe in den USA besteht?]

Auf der Gegenseite haben einige ausländischen Regierungen (darunter auch unsere) höflich darauf hingewiesen, dass es noch verschiedene andere Länder auf dem Globus gibt neben den USA, und dass es nicht sonderlich nett wäre, wollte sich die US-Judikative die Rechtsprechung über die gesamte Welt anmaßen – sei es mit der Begründung, sei es unter dem Vorwand, dass amerikanische Interessen solches erfordern würden.
(Es sei hier übrigens zur Ehrenrettung der US-Regierung klargestellt, dass auch diese dem Gericht Briefe als "amicus" geschrieben und sich gegen die vom 9. – wie zuvor noch extensiver vom 2. – Berufungsgericht betriebene Ausdehnung der Rechtsprechungshoheit ausgesprochen hat.)
Das hat dann auch gewirkt, und das höchste US-Gericht hat (wenn auch etwas halbherzig) die Klage zwar nicht direkt abgewiesen, aber doch die Weichen so gestellt, dass das Berufungsgericht nach Rückverweisung nur noch sagen konnte 'Wir haben verstanden' und die Klage dann seinerseits abwies (wie schon die erste Instanz).


Um zum Propheten Mohammed zurück zu kehren: wir wandern hier auf einem schwierigen Grat. Stephan Hebel hat in seinem Kommentar "Pressefreiheit im Feuer" in der Frankfurter Rundschau (ansonsten nicht unbedingt mein Leib- und Magen-Blatt) die Hintergründe und Motive der Karikaturen sehr intelligent analysiert. Anders betrachtet, stecken wir in einer Zwickmühle. Irgendwie erinnert mich die Sache an Berichte über klientelistische Verhältnisse etwa aus der Chronik des Stefano Infessura: Wenn (zum Beispiel) im mittelalterlichen Rom die Adelsfamilie der Colonna mit ihren Gegnern in Fehde lag, musste ihre Klientel mit machen, bzw. war mit betroffen. Kann und darf, und ggf. in wie weit, die Zeitung Jyllands-Posten unsere Solidarität beanspruchen? Steht die Pressefreiheit auf dem Spiel? Oder geraten wir in Gefahr, uns zu Geiseln eines fragwürdigen Journalismus machen zu lassen?

Haben wir überhaupt eine Möglichkeit, auf irgend eine Weise unsere eigene Position zu behaupten? Aufrecht und selbstbewusst, ohne uns von irgend welchen Demonstranten anpinkeln zu lassen: aber zugleich mit Verständnis dafür, dass anderen Menschen die einen Dinge genau so wichtig sein können, wie uns andere?
Dass religiöse Muslime die Ehre ihres Propheten nicht weniger ernst nehmen als Brigitte Bardot das Leben von Robbenbabys?
(Ich habe einmal erlebt, wie Tierschützer - keine Moslems - eine Kollegin angemacht haben, weil sie einen Pelzmantel - nicht aus Robbenfellen - trug .....)

Comity, Höflichkeit und Rücksichtnahme zwischen Nationen und Kulturen, auf der juristischen wie auf anderen Ebenen – was das bedeutet, müssen vielleicht nicht nur die anderen lernen!


Es könnte mir Ärger einbringen – Copyright und so. Gleichwohl halte ich es in dieser Situation für gerechtfertigt, und für geboten, im Sinne eines Zitates eine Karikatur aus der FAZ vom Samstag, 10.09.94, einzustellen. (Die einzige Karikatur, die ich wegen ihrer ungeheuren Schärfe nie vergessen werde.)
Als Information für die Muslime über den Grad von karikierender Kritik, der bei uns auch an religiösen Institutionen zugelassen ist. Doch will ich mich bei denen damit keineswegs einschmeicheln, denn ich hänge keiner Religion an und muss naturgemäß eine Religion wie den Islam, der das Leben der Menschen in allen Bereichen zu regeln beansprucht, ganz besonders ablehnen - weil sie meiner agnostizistischen Freiheit ein Ende setzen würde, wenn sie dazu die Macht hätte.
Vermutlich liest eh' kein Moslem meinen Blog. Anderenfalls könnte die Karikatur sogar kontraproduktiv sein. Weil sie die Anhänger des Propheten in ihrer Meinung bestärken könnte, dass der Westen kernfaul und dekadent ist. Womit sie andererseits auch wieder Recht haben könnten - wer weiß jetzt schon genau, ob die westliche Zivilisation noch bergauf, auf ebener Chaussee, oder gar auf abschüssiger Straße wandelt?

Wie auch immer: Wenn das, was in dieser Karikatur zur päpstlichen Position gegen Empfängnisverhütung ausgedrückt wird, im Worten ausgedrückt worden wäre, hätten der Schreiber und die FAZ seinerzeit durchaus mit gravierenden Problemen rechnen müssen.


[Sorry: klappt nicht mit Hochladen.
Die Zeichnung zeigt einen gütig grinsenden Papst, der mit der einen Hand einen Behälter mit Verhütungsmitteln hinter dem Rücken versteckt, während er mit der anderen einem langsam absaufenden Menschengewimmel in einem Boot mit SOS-Fahne seinen Segen spendet.]


Der Papst ist nicht der Prophet, aber für die tief Gläubigen steht er wahrscheinlich ihrem jeweiligen Numinosen ähnlich nahe. Dass man solche Karikaturen hier veröffentlichen darf, gehört zur Pressefreiheit.
Allerdings: die Stellungnahmen der Päpste zur Empfängnisverhütung haben gesellschaftlichen bzw. politischen Charakter; Mohammed lebt nicht mehr und nimmt nicht zu politischen Fragen unserer Zeit Stellung. Insoweit sehe ich keinen Sinn in den Karikaturen, und wenn sich eine große Zahl von Menschen dadurch in ihren religiösen Gefühlen – vorhersehbar – verletzt sieht, dann besteht keine Notwendigkeit, in diese Grenzbezirke unserer Freiheiten vorzudringen.
Meint sogar, in diesem Falle intelligenter als das Springer-Schwesterblatt "Die Welt", die Bild-Zeitung!

Wie die ganze Geschichte begann kann man z. B. in der Netzeitung, oder in der Zeit, nachlesen.
Diesen Ausgangspunkt sollte man unbedingt kennen, denn dass Illustratoren in Lebensgefahr geraten, wenn sie ein Kinderbuch mit Zeichnungen des Propheten Mohammed ausstatten: das muss für uns alle im Westen, bei allem religiösem Respekt, die absolute rote Linie gegenüber den radikalen Moslems, oder ggf. auch gegenüber dem Islam überhaupt, sein.

Ich würde mir wünschen, dass auch dieser Punkt in jenen westlichen Stellungnahmen - Zeitungsartikeln, Blogs usw. - unmissverständlich klar gestellt wird, bei denen, wie bei mir, die grundsätzliche Bereitschaft besteht, religiöse Gefühle zu respektieren.

Auf welche Weise die Angelegenheit dann hochgekocht wurde - auch diesem Wissen darf man sich keinesfalls verschließen - erfährt man von Hannes Gammillscheg (ursprünglich in der Frankfurter Rundschau vom 27.10.05 publiziert). (Den Hinweis entnehme ich dem Blog einer gewissen Claudia Troßmann.)

In einem dänischen Blog sind die Zeichnungen aus jenem Kinderbuch veröffentlicht, das am Anfang der ganzen Geschichte stand (vgl. oben bei "Netzeitung" und "Zeit").


Nachtrag vom 15.09.06
Na also: kaum kommt der neue Papst mal kurz nach Deutschland, kann ich nach vielen früheren vergeblichen Versuchen gleich die Karikatur seines Vorgängers hochladen! Das ist fürwahr wirklich wunder-bar:





















Textstand vom 16.06.2023

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