Sonntag, 30. April 2006

Bad Orb is not a bad place at all ....



and yesterday they were literally trying to drum up some business there.

Während draußen das Aprilwetter seine Schattenspiele veranstaltete, lud Bad Orb drinnen in der Konzerthalle im Kurpark zur feierlichen Ruhe einer japanischen Teezeremonie ein. Dies im Rahmen eines Japantages (Vorschau vgl. hier, S. 8, oder diese Nachricht im Giessener Anzeiger). Kalligraphie oder Kalligrafie konnte man dort ebenfalls üben, mit Pinseln und schwarzer Tusche. Und Skulpturen aus Papier falten – Origami. Reiswein kennen wir natürlich, aber aus (eckigen) lackierten Holzkästchen haben wir ihn noch nicht getrunken. Das Kästchen kostete 4,- € (Pfand), der Inhalt 5,- €: bei diesem prohibitiven Preis blieb ich dann doch lieber nüchtern.


Farbenfrohe Kimonos und urtümliche Holzpuppen (Kokeshi-Puppen) (auch in der Wikipedia zu finden) waren zu sehen, und sogar ein Stück 'Deutschland in Japan' wurde präsentiert. Die Kinderbuchautorin und Kinderbuchillustratorin Hilde Heyduck-Huth, die jetzt in Bad Orb lebt, präsentierte nämlich japanische Ausgaben ihrer Werke (z. B. "Die tanzenden Steine").

Dies alles spielte sich in der weiträumigen Halle im Untergeschoss ab. Im Oberstock des Veranstaltungsgebäudes, im eigentlichen Konzert- und Theatersaal, war dann "JeKaMi" angesagt. Dort brachten die Japaner den Deutschen (The Germans to the front – Freiwillige auf die Bühne) das Trommeln, japanese style, bei. Ein maschinenartig getaktetes dumpfes Dröhnen dringt in die letzte Körperzelle. Abends gab es eine richtige Veranstaltung, mit Tanz und Trommeln. Reanimation für Kurgäste und Nur-Gäste? (Leider werden in Bad Orb zwar nicht um 20.00 h die Bürgersteige hochgeklappt, aber öffentliche Verkehrsmitteln klappern nach dieser Uhrzeit auch nicht mehr, so dass es uns verwehrt war, diesen Trommelabend mitzuerleben.)

Auf dem Rückweg in der Hauptstraße fielen mir dann die rundbrüstigen asiatischen Tempeltänzerinnen und die dickbäuchigen glückbringenden Buddha-Statuen im Möbel- und Nippesladen auf. Es muss offenbar nicht mehr immer nur Rosenquarz sein, den man aus der Kur heimschleppt.
[Der Anblick der Buddhas erinnerte mich an jene Szene im Deutschen Bundestag, wo Joschka Fischer Helmut Kohl mit der Bemerkung zu reizen und zu schmähen versuchte: "Sie sitzen auf Ihrem Stuhl, breit und selbstzufrieden wie ein Buddha, und nehmen gar nicht mehr wahr, was in diesem Land wirklich vor sich geht." (Quelle z. B. hier) Kohl lies damals ein Lexikon holen und berichtete daraus über die positiven Qualitäten Buddhas. Da hat er m. E. eine Gelegenheit versäumt, den Spieß umzudrehen und Joschka Fischer seinerseits Fremdenfeindlichkeit vorzuwerfen.]

Auf dem Heimweg lasse ich die Gedanken noch einmal schweifen und assoziiere Japan und Lemgo, mit welchem mich sentimentale Jugenderinnerungen verbinden (genauer: mit dem nahe gelegenen Bösingfeld, Ortsteil der Gemeinde Extertal, aber lassen wir das hier auf sich beruhen). Japan und Lemgo deshalb, weil der in Lemgo geborene (und dort – d. h. in einem heutigen Stadtteil - auch gestorbene) Engelbert Kaempfer das erste (so halbwegs) wissenschaftliche Werk über Japan verfasst hat, welches für das europäische Japan-Bild von großer Bedeutung war. (Die Stadt Lemgo ehrt sein Angedenken – wie aber auch das vieler anderer mit der Stadt verbundener Personen, darunter als originellste zweifellos Karl Junker - mit ausführlichen online-Informationen).

Halt, Junge: du kommst ja ganz von Bad Orb ab! Faszinierend, wie die vielfältige Darstellung der Lemgoer Stadtgeschichte im Internet auch sein mag (bisschen viel an Hexensachen freilich, aber die Epoche des "Hexenbürgermeisters" übt eben eine morbide Faszination aus bzw. lässt uns – ziemlich ergebnislos – nach einer vermeintlichen Rationalität hinter den Ereignissen suchen), muss ich doch irgendwie den Dreh kriegen, um wieder nach Bad Orb zurück zu kehren. So nehme ich mal das Thema "Essen" als Brücke.

Meine Frau und ich hatten seit dem reichhaltigen Globus-Frühstück [s. dazu auch meinen Eintrag "Amerika, du hattest es besser"] am Morgen nichts gegessen, weil wir in Bad Orb eigentlich zum Café Waldfriede wandern und dort den bekannt guten Kuchen essen. Da kam uns nun unverhofft das Japan-Erlebnis dazwischen, und weil wir vom angebotenen Sushi wohl auch nicht satt geworden wären, blieben wir hungrig.

Doch waren vor uns schon andere in Bad Orb gewesen, welche dort ebenfalls (wenn auch nicht aus freien Stücken) Kohldampf geschoben hatten. Nur an Weihnachten durften sie sich mal satt essen. Dieser "Gast" kam damals noch mit der "Bimmel" nach Bad Orb. (Für den war Bad Orb leider 'a bad place to be'.)
Die Kleinbahn – und unfreiwillige Gäste – gibt es dort heute beide nicht mehr.

Wir wollten auch nicht unfreiwillig dort bleiben und fuhren also mit dem Bus heim nach Wächtersbach.
Ein interessanter Tag gestern – und heute eine interessante "Nachbereitung" bei der Internet-Recherche.


Nachtrag 24.12.09 (Heiligabend, in aller Herrgotsfrühe):
Einige Informationen zur Geschichte des Spessart, und somit auch zur Geschichte von Bad Orb, finden sich auf der Webseite "Spessartprojekt".
Besonders interessant in kulturhistorischer Sicht (und für Fachleute sicher auch medizingeschichtlich) ist das Buch "Die Noth im Spessart - Eine medicinisch-geographisch-historische Skizze" aus dem Jahr 1852; eine Studie des berühmten Arztes Rudolf Virchow. Einige Übertragungsfehler, die wohl beim OCR-Einscannen des vermutlich in Frakturschrift gedruckten Originals entstanden sind, tun dem Wert des Werkes insgesamt keinen Abbruch. Eine wirklich spannende Reise in eine Zeit, die noch gar nicht so lange vergangen ist - und sich doch um Welten von unserer Wohlstandswelt unterscheidet. Diese Lektüre ist interessanter als jeder Museums-Besuch!

Dass im Spessart keineswegs nur Not und Elend herrschte, geht für den aufmerksamen Leser schon aus dem Text von Virchow selbst hervor, der nämlich in den armen zentralen Spessartorten eine geringere Sterblichkeit konstatiert als in den (etwas) industrialisierten Randgebieten (und sich über diesen Befund selbst ziemlich wundert).
Gerrit Himmelsbach vom Spessartprojekt hat dennoch Sorge, dass das Klischee vom "armen Spessart" fortlebt und rückt die Wirtschaftsgeschichte dieser Landschaft ins Lot mit seinem Beitrag "Wirtschaftsgeschichte in einer "Einöde"? Die Entdeckung der Kulturlandschaft Spessart", den man gleichfalls lesen sollte.

Textstand vom 24.12.2009

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen