Israel und die Palästinenser haben die Weltgemeinschaft lange genug vorgeführt.
- Israel hat die Palästinenser mit seiner Politik einer zivilen Besetzung des Westjordanlandes, auch Siedlungspolitik genannt, bis zur Weißglut gereizt.
- Und die Palästinenser sind anscheinend nach wie vor nicht bereit, sich mit den Realitäten zu arrangieren und sich mit dem Möglichen zu begnügen.
Sie hält im Ergebnis Israel den Rücken frei - damit es weiterhin mit den Palästinensern Schlitten fahren kann. Das ist gewiss nicht gewollt; vielmehr steht die Sorge um "den Frieden" im Vordergrund, und die Sorge um das Schicksal der libanesischen Zivilisten.
Für die ist aber nach dem Kriegsrecht der Angreifer verantwortlich, also Israel.
Die Welt nimmt dem Land eine Last ab - und was hat "der Frieden" davon?
Nichts!
Die Unterstützung - direkt oder indirekt - einer der beiden Seiten ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese sich vorbehaltlos - und glaubhaft! - zu einem dauerhaften Friedensschluss im Rahmen der real existierenden Möglichkeiten bereit erklärt.
Das heißt: Ein absolut souveränder Palästinenserstaat im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Jerusalem (d. h. in den alten Grenzen, nicht das heutige Groß-Jerusalem) sollte Israel aus meiner Sicht behalten dürfen. Die Moslems sind, ebenso wie wir Christen, nur religiöse Ableger des Judentums; da ist es nur fair, den Juden ihre heilige Stadt zu belassen. Es wird allerdings schwierig sein wird, den Palästinensern, insbesondere den moslemischen, eine solche Sicht zu vermitteln, denn das setzt im Grunde ein säkularisiertes, historisierendes Verständnis von Religion voraus, wie wir Europäer (und vielleicht auch die Ostasiaten, aber wohl nicht einmal ein Großteil der Amerikaner!) es mehrheitlich besitzen.
Israel muss sämtliche Siedlungen im Westjordanland in einer kurzen Frist entschädigungslos räumen.
Die Palästinenser in den Flüchtlingslagern erhalten die Möglichkeit, ungehindert in den neuen Palästinenserstaat oder mit bestimmten Quoten dauerhaft in arabische Länder, aber auch nach Europa, in die USA usw., auszuwandern. Israel wird ggf. ebenfalls einige davon unter humanitären Gesichtspunkten (z. B. im Rahmen einer Familienzusammenführung) aufnehmen.
Die reichen arabischen Öl-Länder und die entwickelten Länder der Weltgemeinschaft verpflichten sich zu finanziellen Hilfeleistungen zur Integration der Flüchtlinge und für eine gewisse Zeit (sowie von vornherein degressiv, damit kein Gewöhnungseffekt eintritt) zur Unterstützung des Palästinenserstaates.
Sollten die Israelis einer solchen Lösung zustimmen, halte ich die Entsendung einer Friedenstruppe in den Libanon für gerechtfertigt. Wenn nicht, sollten die Völker der Welt die zionistischen Hardliner nicht für ihre Intransigenz belohnen und sich nicht implizit zu deren Komplizen bei der weiteren Unterdrückung der Palästinenser machen.
Wenn die Palästinenser zustimmen, sollten wir sie finanziell im Rahmen humanitärer und wirtschaftlicher Hilfen unterstützen. Wenn nicht, haben wir keinen Grund jenen zu helfen, die keinen realisierbaren Frieden wollen.
Wenn beide keinen Friedensschluss zu den o. a. Bedingungen wollen (und das ist leider sehr wahrscheinlich), sollten wir sie im eigenen Saft schmoren lassen.
Wer bei einer solchen Situation trotzdem Friedenstruppen entsendet, wirft die Gelder seiner Steuerzahler und das Leben seiner Soldaten zum Fenster hinaus.
Ich fürchte nur, dass wir genau das tun werden.
Die Welt lässt sich tatsächlich auf der Nase herumtanzen.
Freilich:
"Mit unserer Macht ist nichts getan" -
Da müssten die USA mal ran.
Die aber lassen sich, meinen jedenfalls die US-Politologieprofessoren John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt in ihrer (naturgemäß heiß umstrittenen) Studie "THE ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY" vom März 2006, von Israel vorführen. Als Grund dafür sehen sie die innenpolitische Macht der zionistischen Lobby in den USA.
In der Tat erscheint die amerikanische Langmut mit der israelischen Besiedlungsaggression (die im Ergebnis sogar von den USA -mit- finanziert wird) unverständlich, wenn man nicht das erfolgreiche Wirken innenpolitischer Kräfte annimmt.
Wedelt also der israelische Schwanz mit dem amerikanischen Hund - und dieser wiederum mit seinem europäischen Schwänzchen?
Gut möglich; trotzdem sollten wir uns nicht allzu eilfertig auf eine einseitige Unterstützung der Palästinenser einlassen, wenn diese keine realistische Friedensbereitschaft zeigen. Auch die wollen nämlich lieber unsere ganze Hand als einen ausgestreckten Finger.
Nur eine souveräne Politik nach allen Seiten ("tous azimuts", so zu sagen) kann den USA und uns Respekt nach allen Seiten verschaffen.
Und wenn die eine oder die andere Seite, oder (wie zu befürchten) beide, unsere Vorstellungen nicht respektieren, sollten wir uns nicht gezwungen fühlen, im Nahen Osten überhaupt etwas zu tun. Sondern größtmögliche Äquidistanz zu wahren suchen.
Aber so, wie die Dinge sich voraussichtlich entwickeln werden, wird man bald sagen müssen:
"Kompliment, Israel: du hast die Welt mal wieder sauber auf deine Seite manövriert!"
Nachtrag vom 01.09.2006:
In einem Interview, das Dieter Wonka. Berliner Büroleiter der Leipziger Volkszeitung, mit Shimon Stein, israelischer Botschafter in Berlin, geführt hat, und dass am 29.8.06 (u. a.) im Giessener Anzeiger (der auch den Mantel für die hiesige Lokalzeitung "Gelnhäuser Tageblatt" liefert) veröffentlicht wurde, sagt Stein auf die Frage
Frage: "Wenn Deutschland und die EU jetzt wesentlich die Israel-Libanon-Mission begleiten, ist Europa damit so lange im Krisengebiet präsent, bis der palästinensisch-israelische Konflikt gelöst ist?":
Antwort: "Diese Mission ist zugeschnitten auf die UN-Resolution 1701 für den Libanon. Diese Mission wird uns einige Jahre begleiten. Das wissen alle Beteiligten. Wenn es mit Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft gelingt, den Libanon zu einem souveränen Staat zu machen und die Miliz zu zerschlagen, dann ist das ein ganz wichtiger Beitrag zur Stabilisierung einer der israelischen Grenzen. Die Hauptgefahr für die Region liegt in einer regionalen Eskalation entlang der libanesisch-syrisch-israelischen Grenze. Es geht jetzt also nicht um die globale Krisenregulierung, sondern um einen, wenn auch sehr wichtigen Friedensbeitrag."
Noch deutlicher wird er bei der nächsten
Frage: "Deutsche Politiker sind jetzt auf den alten Gedanken einer Nahost-Friedenskonferenz nach dem Vorbild der einstigen KSZE gekommen. Ist das mehr als nur eine Show-Debatte?"
Antwort: "Immer wenn uns nicht Neues einfällt, kommen alte Ideen. Eine KSZE-Konferenz für den Nahen Osten ist nicht neu. Momentan sehe ich dafür keine Voraussetzung. ..... Wichtig ist, dass die Idee zu einer Nahost-Konferenz nach KSZE-Vorbild aus der Region und im Einvernehmen mit allen Beteiligten selbst kommen muss, wenn es überhaupt eine Aussicht auf Erfolg geben soll. Das darf nicht von außen aufgepflanzt werden."
Man kann das auch kürzer und weniger diplomatisch sagen: Euer Gut und Blut dürft ihr dort einsetzen – aber sagen lassen wir uns von euch nichts. Mag sein, dass auch die Palästinenser nicht Friedensbereit sind, aber die israelische Sturheit ist eine suboptimale Voraussetzung für eine erfolgreiche Mission von internationalen Friedenstruppen in jener Gegend.
Die gleiche Ausgabe des Giessener Anzeigers/Gelnhäuser Tageblatts enthält einen (wohl nicht ins Netz eingestellten) Bericht von Dieter Wonka über den Besuch der israelischen Außenministerin Zipi Liwni [auch "Tzipi" und "Livni" geschrieben] in Berlin u. d. T. "Außenministerin: Bloßes Beobachten bringt nichts". Wonka referiert darin folgende Äußerung: "Man dürfe mit der Libanon-Frage nicht andere Problembereiche der Nahost-Krisenregion verknüpfen". Europäische (und andere) Truppen halten also die Hisbollah im Zaum; Israel kann sich dann ungestört um die Palästinenser auf der "West Bank" und im Gaza-Streifen "kümmern". Divide et impera?
Einen positiven Aspekt hat die Hilfstruppengestellung dennoch: es kann nun nicht mehr der Verdacht aufkommen, dass wir Europäer von Intelligenzbestien regiert werden.
Nachtrag vom 24.09.06:
Audiatur et Angela Merkel: Auch wenn ich nicht erkennen kann, dass sie (abgesehen von dem - recht naiven - Stolz, dass wir Deutschen nunmehr Israel beschützen helfen dürfen) etwas Substantielles gesagt hätte, hier der Link zum Interview "Warum sollen unsere Soldaten in den Libanon, Frau Merkel?" in der Welt am Sonntag vom 20.08.2006.
Nachtrag vom 19.01.07:
Unter dem Titel "Israel-Lobby in den USA. Der amerikanisch-israelische Komplex – Teil 2" bespricht Rudolf Maresch in der Online-Zeitschrift "Telepolis" vom 19.08.2006 sehr ausführlich die oben zitierte Studie "THE ISRAEL LOBBY AND U.S. FOREIGN POLICY" von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt [vgl. dazu auch in meinem "Drusenreich 5" meinen Essay "IN THE MACCHIA OF SPECIAL INTERESTS – A WELL OF CLEAR-CUT ANALYSIS?"] und insbesondere die Reaktionen darauf.
Er beschließt seine Ausführungen mit einer Ablehnung des deutschen militärischen Engagements im Libanon:
"Dies alles direkt wie indirekt thematisiert und damit ein lange gehütetes "Tabu" aufgebrochen zu haben, ist das große Verdienst von Mearsheimer/Walt. Dass sie dafür heftig gescholten worden und mit dem Totschlagargument des "Antisemitismus" bedacht worden sind, ist nicht wirklich relevant. Im Gegenteil, es zeigt gerade wie wichtig und notwendig, aber auch wie wenig selbstverständlich eine solche Debatte vor allem in "God's own Country" immer noch ist.
Deutschland könnte sich daran ein Vorbild nehmen, es könnte auch hier einmal offen über das deutsche Interesse in dieser Region diskutiert werden statt im vorauseilenden Gehorsam sich im Libanon zu engagieren. Und das auch noch ohne jede erkennbare "Exit-Strategie". Die vielen Soldaten und Polizisten, die diese Hauruck-Politik und hektische Reisetätigkeit unseres neuen Außenministers ausbaden müssen, tun uns schon jetzt leid. Es wird Zeit, dass sich die aktuelle Politik endlich von der Geisel der Moral befreit – ein Akt, der vor allem auch unserem Land gut anstünde."
Nachtrag vom 22.05.2007:
Das Britische Magazin "Prospect" hat in seiner Ausgabe vom Mai 2007 eine brillante Situationsanalyse über den Nahen Osten von Edward Luttwak ("Senior adviser at the Centre for Strategic and International Studies in Washington DC") veröffentlicht. Titel: "The middle of nowhere". Der Inhalt wird dort so zusammengefasst: "Western analysts are forever bleating about the strategic importance of the middle east. But despite its oil, this backward region is less relevant than ever, and it would be better for everyone if the rest of the world learned to ignore it".
Luttwak entlarvt eine Reihe falscher Annahmen und rückt unsere historische Perspektive zurecht:
"The first mistake is 'five minutes to midnight' catastrophism."
"... humanitarians should note that the dead from Jewish-Palestinian fighting since 1921 amount to fewer than 100,000—about as many as are killed in a season of conflict in Darfur."
"Yes, it would be nice if Israelis and Palestinians could settle their differences, but it would do little or nothing to calm the other conflicts in the middle east from Algeria to Iraq, or to stop Muslim-Hindu violence in Kashmir, Muslim-Christian violence in Indonesia and the Philippines, Muslim-Buddhist violence in Thailand, Muslim-animist violence in Sudan, Muslim-Igbo violence in Nigeria, Muslim-Muscovite violence in Chechnya, or the different varieties of inter-Muslim violence between traditionalists and Islamists, and between Sunnis and Shia, nor would it assuage the perfectly understandable hostility of convinced Islamists towards the transgressive west that relentlessly invades their minds, and sometimes their countries."
"Arab-Israeli catastrophism is wrong twice over, first because the conflict is contained within rather narrow boundaries, and second because the Levant is just not that important any more."
"Mussolini syndrome" nennt er die Überschätzung der Machtder Nahoststaaten und wirft den westlichen Nahostexperten vor:"They persistently attribute real military strength to backward societies whose populations can sustain excellent insurgencies but not modern military forces." [Hervorhebung von mir]
Direkt zum Libanon-Krieg sieht er eine schwere Niederlage der Hisbollah, wo andere Erfolge vermuteten:
"As for Iran's claim to have defeated Israel by Hizbullah proxy in last year's affray, the publicity was excellent but the substance went the other way, with roughly 25 per cent of the best-trained men dead, which explains the tomb-like silence and immobility of the once rumbustious Hizbullah ever since the ceasefire."
Uns allen ins Stammbuch geschrieben ist seine Beurteilung des Terrorismus in historischen Dimensionen:
"... we live in fortunate times in which we have only the irritant of terrorism instead of world wars to worry about ... ."
Den Iran stellt er als völkisch und ideologisch zerrissenes Land dar (nur gut die Hälfte der Bevölkerung sind Perser, es gibt weltlichen Widerstand gegen die Mullahs und innerreligiöse Konflikte).
Dennoch warnt er vor dem Irrglauben, dass man die alten Staaten des Nahen Ostens mit ihrer langen Geschichte politisch durch Gewalt manipulieren könne:
"The third and greatest error repeated by middle east experts of all persuasions ... is the very odd belief that these ancient nations are highly malleable."
Freundliche Nachgiebigkeit hilft ebenso wenig. Der entsprechende Absatz erscheint mir für uns besonders wichtig, weil wir uns insoweit leicht täuschen:
"Softliners make exactly the same mistake in reverse. They keep arguing that if only this or that concession were made, if only their policies were followed through to the end and respect shown, or simulated, hostility would cease and a warm Mediterranean amity would emerge. Yet even the most thinly qualified of middle east experts must know that Islam, as with any other civilisation, comprehends the sum total of human life, and that unlike some others it promises superiority in all things for its believers, so that the scientific and technological and cultural backwardness of the lands of Islam generates a constantly renewed sense of humiliation and of civilisational defeat. That fully explains the ubiquity of Muslim violence, and reveals the futility of the palliatives urged by the softliners."
Im eigenen Saft soll man diese rückständigen Gesellschaften [würde man sich bei uns trauen, so etwas zu sagen?] schmoren lassen. Auch diesen klugen Absatz zitiere ich hier in voller Länge:
"The operational mistake that middle east experts keep making is the failure to recognise that backward societies must be left alone, as the French now wisely leave Corsica to its own devices, as the Italians quietly learned to do in Sicily, once they recognised that maxi-trials merely handed over control to a newer and smarter mafia of doctors and lawyers. With neither invasions nor friendly engagements, the peoples of the middle east should finally be allowed to have their own history—the one thing that middle east experts of all stripes seem determined to deny them."
Textstand vom 22.05.2007
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