Donnerstag, 9. November 2006

Die Audi-Index-Intuition



Erkenntnisgewinn en passant:

In dem Handelsblatt-Bericht "Konkurrenz für den Mini" vom 04.11.06 vermittelt der Audi-Vertriebsvorstand Ralph Weyler (am Rande des eigentlichen Themas) eine Information von enormer gesellschaftlicher Tragweite:

"Weyler unterstrich: 'Seit 1996 hat sich unser Preis pro Fahrzeug von knapp über 20 000 in Richtung 34 000 Euro bewegt. Dies alles spiegelt sich in der Bilanz und die sieht sehr gut aus' " heißt es dort.

Was mich an dieser Meldung interessiert, ist nicht der Gewinnanstieg bei Audi (den gönne ich der Firma). Die wirklich spannende Frage ist die nach der allgemein-gesellschaftlichen Aussagekraft der beiden Zahlen 20.000,- € Audi-Auto-Durchschnittspreis in 1996 vs. 34.000,- € Durchschnittspreis in 2006.


Die absolute Zunahme um 14.000,- € entspricht einer prozentualen Steigerung von 70%. Auch das ist zunächst einmal nur eine von jenen Zahlen, wie sie einem tagtäglich in den Zeitungen an den Kopf geworfen werden. Brisanz gewinnt sie erst durch den Vergleich, z. B. mit der eigenen Einkommenssituation.

Ich habe nachgeschaut, und was ich sehe, macht mich verdammt ärgerlich: Der Zuwachs meines Einkommens von 1996 bis 2006 beläuft sich auf 20% brutto und 19% netto. Den Vergleich mit dem Audi-Durchschnittspreis stelle ich nicht an mit dem Ziel, meine Kaufkraft in Audis zu berechnen. Vermutlich gibt es auch heute noch einen Billig-Audi zu kaufen, dessen Preis nicht um 70% gestiegen ist. Fakt ist aber, dass es offenbar eine Menge Menschen gibt, die problemlos 70% mehr für ihr Auto bezahlen können. Und selbst das ist nur ein Teil der Wahrheit, da auch die Produktionszahlen erheblich gestiegen sind. Ich weiß nicht, um welchen Prozentsatz der Umsatz der Firma Audi gestiegen ist, aber wenn schon der Durchschnitts-Autopreis sich um 70% erhöht hat, dürfte - wegen der gestiegenen Produktionszahlen - der Umsatz insgesamt um weit über 100% gestiegen sein.

Nun mag es ja sein, dass ein großer Teil dieses Zuwachses im Ausland erwirtschaftet wurde. Rein theoretisch wäre es auch denkbar, dass die Menschen auf anderes verzichtet und statt dessen einen Audi gekauft haben (nachdem sie z. B. ein Eigenheim schon gebaut hatten). Freilich gibt es keine Anhaltspunkte für eine massive Konsumverlagerung. Und selbst wenn z. B. der Anteil geleaster Autos gestiegen wären: auch die Leasing-Raten müssen bezahlt werden!
Deshalb dürfen und müssen wir wohl den gestiegenen Durchschnittspreis und die noch mehr gestiegenen Umsätze als einen Beweis dafür sehen, dass eine recht große Zahl von Menschen, auch in Deutschland, eine enorm gestiegene Kaufkraft hat. Ich, und zweifellos auch die Masse der anderen Arbeitnehmer, gehöre(n) nicht dazu.

Man darf also wohl vermuten (was man freilich noch durch weitere Daten untermauern müsste), dass es ein weit überproportionales Wachstum der Kapitaleinkünfte war, welches es vielen Menschen ermöglicht hat, im Verhältnis zu früher weitaus mehr für Autos auszugeben.

Es sind also nicht immer die nach der Theorie eigentlich einschlägigen ökonomischen Daten (wie z. B. die Entwicklung der Relation von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkünften), welche Aufschluss über die gesellschaftliche Entwicklung geben.

Manchmal leuchten solche Tendenzen blitzartig aus ganz unerwarteten Informationszusammenhängen auf. Entwicklungen, welche uns Arbeitnehmer mehr und mehr in Richtung Subsistenzniveau drücken und die die sozialen Trends als Entwicklung hin zu einer Sklavenhaltergesellschaft erscheinen lassen.

Die Frage ist nur: wie können wir uns dagegen wehren? Der Sozialismus hat schon historisch versagt, und ist auch theoretisch widerlegt.
Anscheinend stecken wir derart tief im Sumpf, dass jede Bewegung uns nur noch tiefer sinken lässt. Oder wäre die Vorstellung eines im Strudel hinabgezogenen Schwimmers die bessere Analogie?


Eine andere (kaum je gestellte) Frage ist natürlich, wie sich diese Entwicklung jenseits eines bloß monetär-ökonomisch ausgerichteten Denkens darstellt. Was mir missfällt, ist die zunehmende (zumindest relative) Beschneidung meiner Kaufkraft. Wenn ich allerdings versuche, meine "primitive" Interessenposition als Konsument zu transzendieren, und ebenso das aktuelle ökonomische Denken überhaupt (das ja letztlich auf diesem privaten Konsuminteresse aufgebaut ist), komme ich in der Umwelt an.

Und da würde mir eine Konsumsteigerung längerfristig vielleicht eher schaden als nützen. Aber das gilt natürlich nicht nur für meinen eigenen Konsum, sondern für den Konsum der Gesellschaft insgesamt, also auch den der anderen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in einer Falle stecke. Nur bin ich mir nicht sicher, ob es sich um eine bloße Denkfalle oder (wie ich allerdings befürchte) um eine Falle handelt, welche die finite Ressourcenrealität unserem ökonomischen Handeln insgesamt gestellt hat und in welche wir bald hinein tappen werden.


Nevertheless: mir stinkt es gewaltig, wenn ich das wachsende Konsumpotential der (mutmaßlich) Kapitalbesitzer mit der Stagnation meines eigenen Verdienstes vergleiche. Mir scheint, die hinter der sozio-ökonomischen Entwicklung waltenden Wirkmächte haben hier, letztlich in gleicher Weise wie z. B. im Feudalismus (allerdings subtiler versteckt), gezinkte Karten verteilt.

Was meinen Sie dazu?

Übrigens muss ich meinem 19%igen Netto-Gehaltsanstieg noch die Inflationsrate gegenüber stellen. Die belief sich von 1996 bis 2006 auf ca. 13 Prozentpunkte absolut (Quelle: Statistisches Bundesamt) bzw. auf ca. 14% (von 95,3 auf 108,3 Prozent). Mein Kaufkraftgewinn seit 1996 beläuft sich also auf etwa 5%. Wenn ich davon noch einen vorübergehenden Zuschlag abziehe, den ich gegenwärtig wegen einer befristeten "Beförderung" erhalte, bleibt praktisch nichts mehr übrig. Bei den anderen Arbeitnehmer haben einige sicherlich (selbst in unveränderten Positionen) auch höhere Tarifzuwächse zu verzeichnen; viele haben aber auch Kürzungen hinnehmen müssen. Im Durchschnitt hat die Kaufkraft der abhängig Beschäftigten in der Zeit von 1996 - 2006 wohl stagniert; eine ganze Reihe anderer Menschen hat offenbar davon profitiert.
Was mir, wie man verstehen wird, nicht sonderlich gut gefällt.

Andererseits: insoweit, als mit jenem Geld, welches die Gesellschaft unsereinem vorenthält (oder stiehlt?) Schwimmbäder für Kühe errichtet werden (vgl. "1. April? Nein; wohl eher: 'Decline of the West'! "), werden sich wenigstens Tierfreunde freuen. Für mich ist das nur ein weiteres Dekadenzsymptom.


Nachtrag 03.08.2009
Nicht nur die Automobilfirmen saugen kräftig Kaufkraft ab. Unter der Überschrift "Spitzenmieten in Frankfurt um 62,2 Prozent gestiegen" erfahren wir in einem PR-Artikel von André Stark von der Fa.Lührmann Holding vom 16.07.2009:
"Die Spitzenmieten in der 1A-Lage der Frankfurter Fußgängerzone sind in den letzten zehn Jahren um insgesamt 62,2 Prozent gestiegen."
Kein Wunder, dass mir das Einkaufen in den Innenstädten verleidet ist. Aber offenbar gibt es noch genügend Leute, die anderen gerne das Geld in den Rachen werfen.


Nachtrag  04.10.2012
Am 24.07.2012 berichtete SpiegelOnline (SPON): "Wirtschaftsstudie Kaufkraft der Deutschen ist so niedrig wie 1991". Diese Feststellung sehe ich auch als einen klaren Gegenbeweis gegenüber Behauptungen, dass Deutschland vom Euro profitiert habe.


Nachtrag 12.06.2013
Vgl. zu diesem Thema den heutigen WELT-Bericht "PS-Industrie. Die ganze Wahrheit über die steigenden Autopreise". Der bestätigt:
"Hatte 1980 ein durchschnittlicher Pkw noch 8420 Euro gekostet, waren es 1990 ..... bereits 15.340 Euro. Im vergangenen Jahr lag der Preis ..... bei 26.446 Euro, wie das CAR-Center an der Universität Duisburg-Essen berechnet hat. Das ist ein Preisanstieg über die gesamte Zeit von 214 Prozent.  ..... Legt man die CAR-Zahlen zugrunde, kommt für den Zeitraum von 1980 bis 2012 eine jährliche Preissteigerung bei Pkw in Deutschland von 3,6 Prozent heraus. Laut Statistischem Bundesamt lag die durchschnittliche Inflationsrate im fraglichen Zeitraum in der alten und später wiedervereinigten Bundesrepublik bei 2,2 Prozent."
Der überproportionale Preisanstiegs wird mit Innovationen und Leistungssteigerungen gerechtfertigt:
"Man kann ein Auto von 1980 nicht mit einem aktuellen Modell vergleichen, das über ABS, Airbags sowie über mehr PS verfügt, aber weniger Schadstoffe ausstößt."
Durch die sog. "hedonische Preismessung" schlagen sich die prozentualen Preissteigerungen für Automobile in der offiziellen Inflationsquote jedoch nur mit einem sehr viel geringeren Prozentsatz nieder:
"Das Statistische Bundesamt berücksichtigt diese 'Qualitätsaufwertung' in seinen Zahlen. Jede signifikante Verbesserung wird mit dem höheren Preis mittels einer Formel verrechnet. ..... [Dadurch lag] die offiziell berechnete Inflationsquote lag von der Wiedervereinigung bis 2012 bei 1,9 Prozent. Nach den Zahlen von CAR wurden Autos in diesem Zeitraum um 2,8 Prozent teurer. Das Bundesamt kommt mit seinem Schlüssel, der die Produktaufwertung berücksichtigt, nur auf 1,3 Prozent Teuerung".
Wenn aber die Einkommen nicht Schritt halten, nützen solche Zahlenspiele wenig:
"Vielen Kunden nutzt die Erkenntnis über die Gründe für die Preisentwicklung wenig, gerade junge Leute wollen einfach einen bezahlbaren fahrbaren Untersatz. "Und den können sich angesichts der Preisentwicklung immer weniger Menschen leisten", so CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer."




(erg. 04.10.12:)  ceterum censeo
Die Steuertöpfe quellen über -
Doch für Verkehr und Bildung ist kein Geld mehr über?
Kein deutsches Geld für Eurozone:
Wir leben besser "Eurotz-ohne"!


Textstand vom 12.06.2013. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge.

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