Freitag, 17. November 2006

Fridolin Dachs, Adam Riese und die Zeithorizonte der Dax-Generation

Vor vielen, vielen Jahren (zu einer Zeit, als es gar nicht lustig zuging in Deutschland) erschien in diesem unserem Lande ein Kinderbuch. Das trug den Titel "Fridolin, der freche Dachs" und wurde verfasst von Hans Fallada.
Weil er es wohl zu Weihnachten bekommen hatte, las auch der kleine Cangrande dieses Buch. Das ist nun schon so lange her, dass er sich kaum noch an den Inhalt erinnert.
Von Zeit zu Zeit denkt er aber doch schmunzelnd an eine Episode, die von der Rechenschwäche der Mutter von Fridolin Frechdachs handelt. Die hatte nämlich ursprünglich 8 (oder so) Kinder. Einige von diesen wurden von den Fressfeinden der Dachse aufgefressen, aber das merkte sie zunächst garnicht. Sie konnte nämlich nur bis 5 (?) zählen.
[Da das Buch 1944 erschien, lässt sich diese Episode vielleicht sogar als eine subtil versteckte Kritik an den Nazis deuten, aber das hier nur nebenbei.]

Unter uns Menschen sind heute die Rechenkünste weitaus höher entwickelt. Dennoch hilft uns die Fähigkeit zur Realitätsverweigerung, jene Fakten auszublenden, welche wir nicht wahrnehmen wollen.

Zwei oder drei große Herausforderungen stellen sich heute mehr oder weniger für die gesamte Menschheit:
- die Klimaänderung
- die Verschiebung in den Alterspyramiden der Staaten, bei der die "Pyramiden" in vielen Gesellschaften zum Brummkreisel mutieren und
- die Verknappung der nicht erneuerbaren Ressourcen, zuerst und besonders deutlich beim Erdöl spürbar (aber längerfristig nicht darauf begrenzt).

Ob die Änderung der demographischen Struktur, die ja letztlich die Bevölkerungen reduzieren werden, überhaupt eine Gefahr ist, bezweifle ich. Eher erscheint mir dieser Trend als Manifestation eines vernünftigen Selbstregelmechanismus, Manifestation einer unbewussten Vernunft könnte man auch sagen, oder auf Englisch: A blessing in disguise. Aber nicht um diese inhaltliche Dimension geht es mir hier, sondern um jene merkwürdigen Unterschiede, die man in der gesellschaftlichen Debatte über die drei o. a. Themen beobachten kann.

Beim Altersaufbau stellen wir Berechnungen über dessen voraussichtliche Entwicklung, über die Wirtschaftsentwicklung und über die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge für Zeiträume bis 2030, 2040 oder gar 2050 an. Und die Politik versucht schon jetzt, Gegenmaßnahmen einzuleiten, um der erwarteten Rentenkrise zu steuern.

Beim Klima denken wir sogar bis zum Jahr 2100 voraus: Wird die im Kyoto-Protokoll beschlossene Verminderung der Emission von Treibhausgasen ausreichen, um größere Schäden zu verhindern? Oder verplempern wir viel Geld für unwirksame Maßnahmen? Auch hier interessiert mich nicht diese inhaltliche Dimension, sondern die Langfristigkeit unserer Vorausschau und Vorausplanung.

Auffallend anders verhält es sich bei der Diskussion über die Erdölvorräte - Stichwort "Peak Oil" - und die anderen nicht erneuerbaren Ressourcen. Gewiss: an mahnenden und weit vorausschauenden Stimmen fehlt es auch auf diesem Gebiet nicht. Aber eine Omnipräsenz im gesellschaftlichen Diskurs und in der politischen Auseinandersetzungen hat die Gefahr einer drohenden Ressourcenverknappung nicht erreicht. Und wird sie vielleicht erst dann erreichen, wenn sie tatsächlich eingetreten ist. Warum rechnet die Gesellschaft insgesamt, d. h. insbesondere die mehr oder weniger offiziellen Organe der Gesellschaft (Politik, wissenschaftliche Forschungsinstitute) nicht den Verbrauch an nicht-erneuerbaren Rohstoffen wie Erdöl, Erze und anderen Mineralien in ähnlicher Weise hoch, und versucht einen Vergleich mit den vermutlichen Vorräten, wie das die Wirtschaftswissenschaft z. B. mit den Alterkohorten tut? Warum hat dieses Thema in den Medien nicht die gleiche Präsenz wie der Klimawandel und der Geburtenrückgang?

Die Erklärung - die ich hier lediglich im Sinne einer Hypothese anbiete - könnte darin liegen, dass wir es auf diesem Gebiet mit einem Trend zu tun haben, den wir zwar ein wenig verlangsamen (oder beschleunigen), aber letztlich nicht entscheidend aufhalten (und schon gar nicht umkehren) können.
Wir verbrauchen, was wir brauchen (oder zu brauchen glauben). Eine Rationierung ist so lange unrealistisch, wie die Krise nicht da ist. Man ist versucht, diesen Satz fortzuführen und zu sagen: "Aber dann kommt sie zu spät." Letztlich kommt sie aber insoweit immer "zu spät", als die Menschheit sich dadurch lediglich einen Zeitaufschub erkaufen könnte.
Die gesamtgesellschaftliche Realitätsverweigerung in Sachen Ressourcenverknappung könnte also aus der - bewussten oder unbewussten - Einsicht in die Aussichtslosigkeit und Unmöglichkeit von dauerhaft wirksamen Gegenmaßnahmen liegen.
Während man sich beim Klimawandel wenigstens theoretisch vorstellen kann, dass wir die Emissionen mehr oder weniger gegen Null fahren, ist das beim Ressourcenverbrauch nicht vorstellbar und tatsächlich unmöglich.

Und also machen wir die Augen zu wie die Reisenden auf der Achterbahn. Bei dieser allerdings geht es auf und ab. Bei unserer ökonomischen Reise gibt es, wenn der Zenit überschritten ist, nur noch eine Richtung: nach unten.


Nachtrag vom 18.11.06:
A Rising Tide of Public Awareness?

Mehr und mehr glaube ich in der letzten Zeit Hinweise darauf zu finden, dass auch die Rohstoffproblematik stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt.
So macht sich zwar der Handelsblatt-Mitarbeiter Ingo Narat in seinem Beitrag vom 10.11.06 "Die Düstermänner raten zum Ausstieg aus den Börsen" zunächst (zwar nicht ausdrücklich, aber doch aus der Art seiner Schilderung erkennbar) über die Horrorszenarien der Schwarzseher lustig.
Aber am Schluss kommt eine überraschende Wende, wenn er sagt:
"Die Düstermänner raten zum Ausstieg aus den bald kollabierenden Börsen. Sie greifen zum Rettungsring Rohstoffe und Gold – Hardcore-Vertreter empfehlen sogar den Bau eines eigenen Bunkers, für die Zeit, in der der Mob auf den Straßen tobt. Anleger mit Realitätssinn werden die Phantasmen und Panikmache der Master of Desaster belächeln. Dennoch: Die erwähnten Risiken sind real." [Hervorhebung von mir]

Auch in der Wochenendbeilage "Mobile Welt" für (vermutlich) verschiedene Zeitung (die ich immer dann in die Finger bekomme , wenn wir am Wochenende Richtung Fulda oder in die Rhön reisen und ich am Fuldaer Bahnhof die Fuldaer Zeitung kaufe) finde ich in dem Kommentar "Hybrid oder Diesel" von Volker Feuerstein einen verblüffenden Schlussabsatz (verglichen mit dem, was man bisher in derartigen Medien zur Ressourcenthematik - nicht - lesen konnte):
"Auf die Dauer allerdings wird keiner der Konkurrenten [d. h. Hybridantrieb bzw. Dieselantrieb für Automobile] bestehen können, zeichnet sich doch bei langfristiger Betrachtung ab, dass die Treibstoffpreise in absehbarer Zeit extreme Höhen erreichen werden und irgendwann die Ölvorräte ihrem Ende entgegen gehen. Das kann viel schneller passieren, als wir heute annehmen, schließlich hat die Entwicklung der jungen Industriestaaten, an der Spitze China und Indien, eine Dynamik erreicht, die sich immer mehr beschleunigt." [Hervorhebungen von mir. Im Internet ist der Artikel übrigens nicht zu finden.]

Nachtrag vom 20.12.06:
Ingo Narat ist anscheinend der Chefpessimist (was ich gar nicht negativ meine, auch wenn es so klingt; schließlich teile ich ja seine Auffassungen bzw. bin eher noch pessimistischer) beim Handelsblatt.
In seinem Artikel "Asien: Risiken Reloaded" vom 20.12.06 liest der erstaunte Leser relativ wenig über Asien, aber dafür düstere Ausblicke auf unsere eigene Zukunft. Besonders überraschend (wenn man daran denkt, in welchem Blatt das steht), ist seine Kritik an der zunehmenden Verteilungsproblematik. Hier einige Zitate (zu beiden Komplexen: drohende Ressourcenverknappung und steigende Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen weniger):
"... verschärfen sich einige der globalen Risiken. An erster Stelle steht das Thema Rohstoffengpass, und hier die Energieknappheit.
Schon heute ... strahlen die Energieengpässe auf die Kapitalmärkte aus. Weiter steigende Rohstoffpreise deuten nach Ansicht mancher Fachleute auf künftig höhere Inflationsraten hin.
Die Vertreter der Finanzwelt verdienen übrigens prächtig in der risikoreichen Welt. Investmentbanker streichen exorbitante Boni ein. Sie werden damit Teil eines neuen globalen Risikos: der zunehmend ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung. Während sich die oberste Spitze der Reichen in praktisch allen Teilen der Welt immer weiter vom Durchschnitt absetzt, leiden die Vertreter aus den durchschnittlichen und unteren Einkommensschichten unter realen Lohnverlusten. ... Eine sich öffnende Einkommens- und Vermögensschere könnte in sozialen Unruhen münden. Die Folgen für die Finanzmärkte wären offensichtlich. In einem vergifteten sozialen Klima würden die Kurse nicht gedeihen. Aber dieses Thema wird erst Übermorgen Schlagzeilen machen.
" (-Hervorhebungen von mir.- Auch die Wahl des Indikativ "wird" an Stelle des Konditional -'könnte werden'- hat mich verblüfft.)
Als Hintergrund für seine Kritik an den Boni für die Investmentbanker ist die HB-Meldung "186 Millionen für Top-Banker" vom 07.12.06 zu lesen und darin
besonders die Information, wonach "die Wall-Street-Firmen in diesem Jahr eine Rekordsumme von 36 Mrd. Dollar für Mitarbeiterboni ausschütten" werden. In meiner Webseite "Rentenreich" habe ich diesen Sachverhalt als Indiz für einen Überfluss des Geldkapitals im Verhältnis zu den Anlagemöglichkeiten in der realen Wirtschaft gedeutet und darauf hingewiesen, dass reich rechnerisch jeder US-Amerikaner, vom Kind bis zur Greisin, ca. 120,- US-Dollar allein für die Boni an die (Investment-)Banker 'abliefern' muss. Rechnet man dazu noch die laufenden Gehälter, die Gewinne und die sonstigen Kosten der Banken, dann dürfte, ganz vorsichtig gerechnet, jeder Amerikaner in jedem Jahr irgendwo zwischen 500,- und 1.000,- USD allein für den Betrieb dieses Zweiges der Finanzmaschinerie zahlen müssen - ohne dass (für mich jedenfalls) ein entsprechender gesamtwirtschaftlicher Nutzen erkennbar ist. Das könnte, ganz unabhängig von der Frage der Verteilungsgerechtigkeit, schon rein ökonomisch schädlich sein.


Nachtrag 28.01.2009:
Tiere können wahrhaftig 'zählen': vgl. heute im Handelsblatt den Bericht "Mengenverständnis. Bienen haben mathematische Fähigkeiten" über Bienen und Schimpansen.
Und Fallada hatte beinahe Recht: weiter als bis 4 kommen die nicht.



Textstand vom 29.11.2009. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge.

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