"Lafontaine wünscht sich Generalstreiks" meldet ein Gemeinschaftsartikel von Maximilian Steinbeis und Dietrich Creutzburg im Handelsblatt vom 22.11.2006:
"Oskar Lafontaine leidet an der Demokratie. Sie funktioniere nicht mehr, sie erodiere, sei gar keine echte Demokratie mehr. 'Immer mehr Deutsche' teilten die Ansicht, sagt der Chef der Linksfraktion im Bundestag. 'Sie haben das Gefühl, dass ihre Stimmzettel nichts mehr bewirken.' In der Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik, bei Militäreinsätzen im Ausland: Stets stimme der Bundestag 'gegen die Mehrheit des Volkes ab'. Da müsse etwas geschehen: Generalstreik. In Deutschland sind Streiks nur Gewerkschaften erlaubt, und auch nur für tarifvertraglich regelbare Ziele. Um den Gesetzgeber unter Druck zu setzen, dürfen Arbeitnehmer nicht die Arbeit niederlegen. Sie können das zwar tun, aber das gilt dann als Arbeitsverweigerung und kann zu Kündigungen und Schadensersatzforderungen führen. Genau dagegen hat Lafontaine mit der Linksfraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht: Das Parlament wolle beschließen, die Regierung aufzufordern, ihm 'die gesetzlichen Maßnahmen für die Zulässigkeit eines Generalstreiks zuzuleiten', heißt es in dem Papier"
heißt es in dem Artikel.
So viel sollte uns der Oskar freilich doch wert sein, dass wir uns bei seiner Beurteilung nicht auf die Publikationsorgane des Klassenfeindes verlassen, sondern noch andere Seiten heranziehen, auch diejenigen der Linkspartei und andere Genossen aus seinem politischen Lager (welche freilich manchmal mehr seine kategorialen Klassengenossen als seine Gesinnungsgenossen sind), und was wir sonst auf die Schnelle noch finden.
Doch zunächst fängt mich noch eine Klassenfeind-Zeitung ab, die FAZ. Deren Artikel "Lafontaine und der rechte Rand" vom 17.05.2006 (den ich gestern frei fand - heute jedoch nur noch als kostenpflichtiges Angebot) schreibt der Autor u. a.:
" 'Korruption der Sprache und des Denkens' (so heißt das zweite Kapitel seines Buches). Mit Hilfe der Sprache, sagte der ehemalige SPD-Bundesvorsitzende und mutmaßliche Listenkandidat des Linksbündnisses in Gründung, verschleierten neoliberale Politiker ihre wahren Absichten und manipulierten das Volk. ..... Laut Lafontaine spricht die Linke die Sprache der Rechten. Und wie in George Orwells Roman diene Sprache heute zur Gehirnwäsche des Volks. ..... Lafontaine weiß also das Phänomen Sprache einzuschätzen. Seine Fremdarbeiter-Äußerung - ausgesprochen gut eine Stunde früher auf einer Demonstration ebenfalls in Chemnitz - rutschte ihm also nicht einfach so heraus. Vor rund 1.500 Zuhörern hatte der frühere SPD-Vorsitzende gesagt, weil der Staat verpflichtet sei, seine Bürger zu schützen, müsse er verhindern, 'daß Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen'." [Hervorhebung von mir]
Der "Stern" berichtet - im Rahmen eines Berichts vom 09.09.2005 über eine Fernsehdiskussion mit Joschka Fischer und Guido Westerwelle - ebenfalls über das Ereignis:
"Der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine hatte Mitte Juni auf einer Kundgebung in Chemnitz gesagt: 'Der Staat ist verpflichtet, seine Bürger und Bürgerinnen zu schützen, er ist verpflichtet, zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.' Die Aussage hatte Empörung in den anderen Parteien hervorgerufen. Kritiker warfen Lafontaine vor, die Vokabel 'Fremdarbeiter' sei nahe am Nazi-Jargon."
Aber natürlich wollte er es, nachdem die Kritik nur so auf ihn herabprasselte, denn doch nicht so gemeint haben:
"Linkspartei-Spitzenkandidat Oskar Lafontaine hat sich von seiner umstrittenen Äußerung über 'Fremdarbeiter' distanziert. Wenn der Eindruck entstanden sei, er habe etwas gegen osteuropäische Arbeiter in Deutschland sagen wollen, sei dies 'ein falscher Eindruck' gewesen, sagte Lafontaine in der ZDF-Sendung 'Der TV-Dreikampf'. 'Das nehme ich dann zurück.' Er habe etwas gegen die 'Ausbeuter' hier zu Lande sagen wollen, die diese Menschen zu Hungerlöhnen beschäftigten" lesen wir ebenfalls im gleichen "Stern"-Bericht über eine Fernsehdiskussion.
In der FAZ vom 03.07.2005 hatte es freilich noch geheißen "Lafontaine bekräftigt Äußerung zu 'Fremdarbeitern' ", doch ist auch dieser Artikel nicht kostenfrei zu haben, so dass ich mir weitere Recherchen verkneifen muss.
Ich will hier nicht der Frage nachgehen, wie weit rechts Lafontaine ggf. sich zu positionieren bereit wäre, und ob man überhaupt eine Position als rechts [mit angehängtem "-extrem" gedacht oder ausformuliert], bezeichnen (oder, in der Sprache von Herbert Marcuse: als solche "denunzieren") kann, welche die Zuwanderung aus anderen Staaten nach Deutschland beschränken will. Lassen wir ihm auch den "Fremdarbeiter" an Stelle des politisch korrekten "Gastarbeiters" (oder "ausländischen Arbeitnehmers") als Ausrutscher durchgehen.
Was bleibt ist in jedem Falle die Einsicht, dass Oskar Lafontaine ein Populist ist, bereit, dem Volk nach dem Maul zu reden - und vielleicht sogar dem Stammtisch zu Willen zu handeln? - wenn sich damit die Macht erobern lässt.
Auch Stimmen aus Oskars eigenem (also linken) Lager stehen seinem Populismus kritisch gegenüber. Otto Meyer schrieb z. B. schon vor Lafontaines Fremdarbeiter-Äußerung eine Analyse u. d. T.:
"Lafontaine − auf den ersten Blick links":
"Schade. Über einen Mitstreiter wie Oskar Lafontaine könnten sich alle an Emanzipation und sozialer Gerechtigkeit Interessierten nur freuen, wenn …, ja wenn bei diesem altgedienten SPD−Politiker nicht immer wieder und immer häufiger ganz andere Ideen zum Vorschein kämen. Störend wirkt nicht so sehr seine Eitelkeit und sein Drang zu einsamen Entscheidungen oder der Hang zu Selbstinszenierungen – erfolgreiche Politiker haben offenbar ohne ein gewisses Maß an Egozentrik kaum eine Chance, in unserer Kampagnen−Demokratie Aufmerksamkeit zu erringen. Schlimmer, geradezu gefährlich ist Lafontaines Sucht, die populistische Klaviatur zu bedienen. Wer immerzu »dem Volke« aufs Maul schauen will, gerät bald in den Sog, diesem »Volk« nach dem Munde zu reden, das heißt ihm bittere Wahrheiten zu ersparen und statt dessen mit leicht eingängiger Demagogie aus dem Arsenal der rechten Rattenfänger aufzuwarten."
Der "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" ("Was wäre, wenn Lafontaine ..") schätzt seinen Lager- (wenn auch wohl kaum Gesinnungs-Genossen) so ein:
"Lafontaine schreckt aber bekanntlich ... nicht davor zurück, sich ähnlicher 'Argumente' wie die Faschisten zu bedienen."
Mit dem Schauen und Argumentieren wird Lafontaine sich freilich kaum begnügen; schließlich ist er nach eigenem Eingeständnis ein Machtmensch. In einem Interview der Zeitschrift "Cicero" (ohne Datum; wohl vom November 2006) mit der Überschrift "Ich will den Generalstreik" antwortet er auf die Frage "Sie wollen uns erklären, dass Sie als absoluter Machtmensch nicht mehr nach einem Amt streben?":
"Exakt. Mein Ziel ist es, die politische Achse in Deutschland nach links zu verschieben. Aber eben weil ich ein Machtmensch bin, kann ich politische und gesellschaftliche Realitäten einschätzen. Die Aufgabe der Linken ist es in erster Linie, den neoliberalen Irrsinn zu stoppen. Es wird immer wieder der Fehler gemacht, in der Regierungsbeteiligung einen Selbstzweck zu sehen und nicht mehr nach den politischen Inhalten zu fragen." [Hervorhebung von mir]
Inhaltlich finde ich die Antwort insofern durchaus überzeugend, als man ja auch bei den "Grünen" sehen konnte, dass man im politischen Raum auch - oder sogar: gerade dann - etwas bewirken und verändern kann, wenn man nicht in der Regierungsverantwortung steht.
Im vorliegenden Zusammenhang interessiert der "Machtmensch". Darunter kann man sich vielerlei vorstellen; hauptsächlich wird der Begriff aber für Leute verwendet, die mehr oder weniger skrupellos alles tun, um an die Macht zu kommen, und denen die Macht wichtiger ist als Inhalte. Populisten also, wie beispielsweise auch Juan Domingo Peron oder den - nicht zuletzt seiner kleinen Größe wegen vergleichbaren - Silvio Berlusconi . [Teile des politischen Amerika fürchten sich anscheinend vor Populisten in Europa - vgl. mein Eintrag "Wir sind nochmal davongekommen ..... " -, aber mit Berlusconis Unterstützung von George Bushs Irak-Krieg ist die US-Regierung gar nicht schlecht gefahren. Ich vermute allerdings, dass die US-Geheimdienste genügend Material gegen Berlusconi in der Hand hatten, um jegliche Opposition gegen Bush zu einem politischen - und juristischen - Selbstmordkommando für ihn zu machen.]
Einem Machtmenschen glaubt man besser nicht (alles), weil er selten ohne Hintergedanken spricht. Wie begründet Oskar Lafontaine die von ihm propagierte Legalisierung des Generalstreiks?
Die Frage "Das Abbilden von Vorschlägen wird nicht ausreichen, um das Gewerkschaftslager nachhaltig zu binden"
beantwortet er mit:
"Natürlich nicht, und wir beschränken uns auch nicht darauf. Das ist einer der Gründe, warum wir das Recht zum Generalstreik fordern. In vielen europäischen Ländern ist der Generalstreik ein Instrument der Politik, und ich bin der Meinung, dass wir dieses Instrument auch in Deutschland brauchen. Denn wir haben alle Veranlassung zu fragen, warum die Gewerkschaften bei uns keine ordentlichen Lohnzuwächse mehr durchsetzen können. Wir haben bei den deutschen Löhnen eine katastrophale Entwicklung, die schlechteste aller Industriestaaten." [Hervorhebung von mir]
Nun sind ja wir Arbeitnehmer auch in Deutschland durchaus berechtigt, für höhere Löhne zu streiken; wie ein Generalstreik uns zu Lohnerhöhungen verhelfen soll, vermag ich nicht zu erkennen, und die Interviewer (Nils Aus dem Moore und Martina Fietz) haben leider darauf verzichtet, ihn in diesem Punkt festzunageln.
Auf seiner eigenen Homepage als MdB der Bundestagsfraktion "DIE LINKE" existiert leider keine Suchfunktion; anscheinend stellt er aber jedenfalls die Forderung nach einem Recht auf Generalstreik dort nicht besonders heraus. Bei Lafontaine "ad fontes" zu gehen, ist also zumindest in diesem Falle unergiebig. Die Rede im Deutschen Bundestag am 27.10.06 anläßlich des Antrags der Fraktion DIE LINKE „Für das Recht auf Generalstreik“, Bundestagsdrucksache 16/2681, durfte der Abgeordnete Werner Dreibus halten.
Wenn man sie liest, oder den Antrag selbst, ist man überrascht von der zahmen Sprache, mit welcher dieser doch eigentlich revolutionäre Versuch gestartet wird. Mich erinnert sie an jene Leserbriefe, welche ich 1993 bei einem mehrwöchigen Aufenthalt in Erfurt in der dortigen Presse las und deren zurückhaltender Sprachduktus bei mir, im Vergleich zu dem im Westen Üblichen, die Anmutung von "Herr Lehrer, darf ich etwas sagen?" auslösten.
Was ist schon dabei, wenn auch in Deutschland ein Recht (wieder) eingeführt werden soll, das in der Europäischen Union [oder was sonst ist der Bezugsrahmen für den Vergleich?] nur noch in Dänemark und Großbritannien verboten ist? Und wenn es dann noch heißt "Gleichzeitig gilt in Deutschland im internationalen Vergleich die höchste Regelungsdichte beim Streik- und Tarifrecht", fragt man sich, ob man nicht im falschen Film sitzt, denn "zu hohe Regelungsdichte" beklagen doch sonst immer die Arbeitgeber? Nach Meinung eines Sachverständigenausschusses "verstößt das deutsche Arbeitskampfrecht mit seiner Begrenzung auf tariflich regelbare Ziele sowie das gewerkschaftliche Streikmonopol [sogar] gegen die Sozialcharta." Wer will eine solche Schande auf Deutschland sitzen lassen?
DIE LINKE jedenfalls nicht; sie meint, dass "die Bürgerinnen und Bürger stärker an politischen Meinungsbildungsprozessen und Entscheidungen beteiligt werden müssen, damit ihre Interessen von der Politik stärker wahrgenommen und berücksichtigt werden".
Gerade dieser letzte Satz ist an Schafspelzigkeit kaum noch zu überbieten. Bezogen auf die Forderung nach einem Recht auf einen (politischen) Generalstreik, könnte man durchaus in gleicher Weise von einer "Korruption der Sprache" (seines Denkens ganz gewiss nicht!) sprechen, wie Lafontaine sie den Neoliberalen vorwirft. Hier wird schon unterschlagen, dass die Arbeitnehmer zunächst einmal nicht die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger bilden; sie stehen nicht nur in einem Interessengegensatz zu den Kapitalbesitzern, sondern z. B. (insbesondere die jüngeren unter ihnen) in einem ausgeprägten Interessenkonflikt gegenüber den Rente beziehenden Ex-Arbeitnehmern. Dass auch die Rentner im marxistischen Denken (mit guten Gründen) zweifellos ebenfalls der Klasse der Arbeitnehmer zugeordnet werden, ändert nichts daran, dass ihre Konsum-Nachtigall der Beitrags-Uhl der Arbeitenden ist.
Eine weitere sprachliche Verkleisterung ist es, wenn der Antrag als Ziel nennt dass "ihre Interessen [also die der Bürger] von der Politik stärker wahrgenommen und berücksichtigt werden" sollen. Schließlich hätten wir alle ja die Möglichkeit, unsere Wahlzettelkreuze in den Feldern der PDS oder WASG zu machen. Wenn wir es nicht tun, obwohl doch diese Partei (vermeintlich) die wahren Interessen der Wählermassen vertritt, müssen wir wohl völlig verblendet oder verblödet sein. Und wenn wir so verblödet oder verblendet sind: wie wollen wir uns da zu einem Generalstreik aufraffen, wenn wir nicht einmal unsere Wahlkreuze an der "richtigen" Stelle machen können?
MdB Dreibus säuselt in seiner o. a. Rede:
"Wenn Sie möchten, dass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder stärker an der politischen Willensbildung beteiligen und sich für soziale Belange engagieren, dann müssen Sie auch die Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger ausweiten, ihre Meinung kundtun zu dürfen, ob es uns Parlamentariern passt oder nicht.
Indem Sie das tun, tun Sie zugleich auch etwas für die Demokratie: Wer die Möglichkeit hat, in existenziellen Fragen seine Interessen zum Ausdruck zu bringen, entwickelt ein positiveres Verhältnis zu unserer demokratischen Gesellschaftsordnung."
Auch der 2-seitige Flyer "Für das Recht auf Generalstreik", den die Fraktion zum Download anbietet, liest sich, als ob Kommunisten Volksfront-Kreide gefressen hätten. Einleitend wird ein Jesuit (Friedhelm Hengsbach)zitiert:
"Wer die Menschenrechte anerkennt, räumt der politischen Beteiligung beim Aufbau demokratischer Herrschafts- und Lebensformen einen vorrangigen Platz ein. Deshalb sind Konflikte zwischen sozialen Bewegungen und den Regierenden notwendig, um eine faire Verteilung des erwirtschafteten Reichtums und eine angemessene Beteiligung an den wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen zu erreichen."
Dem Vergleich mit der Rechtslage in den anderen europäischen Staaten folgt das praktische Anwendungsbeispiel:
"Beispiel Kündigungsschutz: Die französische Regierung hatte nahezu zeitgleich mit der deutschen die Aufhebung des Kündigungsschutzes verlangt. In Frankreich haben die Gewerkschaften dagegen den Generalstreik ausgerufen, und die Bürgerinnen und Bürger daraufhin die Straße zur politischen Bühne erklärt. Diese Bewegung hat die französische Regierung dazu gezwungen, ihre Gesetzesinitiative zurückzunehmen. Die Reaktion in Deutschland könnte unterschiedlicher nicht ausfallen. Hier hatte die Große Koalition wie die Regierung in Frankreich angekündigt, den Kündigungsschutz für die ersten zwei Jahre nach Aufnahme einer Beschäftigung aufzuheben. Im Gegensatz zu den Franzosen mussten dies die Deutschen wie eine unvermeidliche Fügung des Schicksals stillschweigend hinnehmen. Erst als die deutschen Wirtschaftsverbände dieses Gesetzesvorhaben geschlossen ablehnten – weil ihnen die Pläne immer noch nicht weit genug gingen! - ..." wurde der Plan nicht umgesetzt. [Hervorhebungen von mir]
Also auch hier wieder: "Die Bürgerinnen und Bürger", nicht etwa nur (ein Teil der) Arbeiter sind es, welche "die Straße zur politischen Bühne" machen.
"Um die Menschen stärker zu politisieren, fordert DIE LINKE das Recht auf den politischen Streik, den Generalstreik ..." wird Oskar Lafontaine in dem Flugblatt zitiert. [Hervorhebung von mir]
In dem Bericht von ngo-online mit Lafontaine vom 02. Mai 2006:
" 'Wirtschaftliche Macht verhindern'. Lafontaine proklamiert 'Recht auf Generalstreik' " heißt es u. a.:
"Der Vorsitzende der Links-Fraktion, Oskar Lafontaine, hat die Forderung nach einem Recht auf einen Generalstreik zum 'Kampfthema' einer vereinten deutschen Linken erklärt. Dies sei erforderlich, 'damit wir endlich auch in Deutschland Regierungen in die Knie zwingen können', sagte der WASG-Spitzenpolitiker am Sonntag auf dem Bundesparteitag der Linkspartei.PDS in Halle." [Hervorhebung von mir]
Na also, das ist doch schon deutlich deutlicher!
In einem Interview der Zeitschrift "junge Welt" vom 23.09.2006, das auf der Webseite der Fraktion "DIE LINKE." [warum setzen die eigentlich einen Punkt hinter ihre Bezeichnung; wollen die mit der Pünktchenpartei wetteifern?] veröffentlicht ist, sagt er u. a.:
"Das Parlament entspricht in wichtigen Fragen nicht dem Mehrheitswillen der Bevölkerung. Nehmen Sie die Einführung der Praxisgebühr, die Rente ab 67 oder den Bundeswehreinsatz im Libanon. Deshalb brauchen wir ein Instrument, wie sich der Souverän, also die Bevölkerung, wieder in sein Recht setzen kann, und dieses Instrument ist nach unserer Meinung der Generalstreik. Wir müssen lernen, französisch mit der Regierung zu sprechen! In unserem Nachbarland wurde es dieses Frühjahr mit Streiks geschafft, die Pläne der Regierung zur Einschränkung des Kündigungsschutzes vom Tisch zu wischen. Es ist nicht einzusehen, daß die Deutschen nicht dasselbe Recht haben sollen wie die Franzosen oder andere Europäer."
Da rufen wir also immer dann, wenn das Parlament etwas anderes beschließt als (nach unserer Meinung) dem Mehrheitswillen entspricht, den Generalstreik aus? Wenn wieder mal ein kleines Mädchen von einem Sexualverbrecher bestialisch umgebracht wird - streiken wir dann für ein "Rübe-ab-Gesetz"?
Natürlich nicht; wir streiken für das, wofür unsere gewerkschaftliche Avantgarde, deren Spitzenfunktionen sukzessive möglichst von Oskars Getreuen zu besetzen wären, uns auf die Straße schickt.
Bei den Franzosen, welche Herr Lafontaine so vorschnell als leuchtendes Beispiel für Arbeitermacht anführt, "streiken" auch andere, bzw. "machen die Straße zur politischen Bühne": Bauern etwa, oder auch kleine Ladenbesitzer, haben in der Vergangenheit durchaus erfolgreich ihre Partikularinteressen, die keineswegs mit denen der Arbeitnehmer identisch sind, auf der Straße durchgesetzt. In der Agrarpolitik spüren wir das heute noch in ganz Europa am Geldbeutel und an den Leistungen, welche speziell wir in Deutschland dafür an die EU abdrücken müssen.
Aber mit der Solidarität als solcher hat es Oskar Lafontaine ja ohnehin nicht so: er ist gegen "Fremdarbeiter" (s. o.) und war z. B. auch ein Gegner der deutschen Wiedervereinigung, die ja seinerzeit in den alten Bundesländern bei sehr vielen Menschen wegen der befürchteten materiellen Lasten unpopulär war. Brüder und Schwestern sind für ihn zuerst jene, welche das Kreuz auf dem Wahlzettel machen können - oder für das auf die Straße gehen, was er ihnen als ihren Interessen entsprechend einreden kann. Und eines Tages dann für ihn selbst?
Auch seine Lagergenossen von der Webseite "Arbeitermacht" sehen ihn nicht als Gesinnungsgenossen. "Wofür steht Oskar Lafontaine?" fragte Gerald Waidhofer im Februar 2006 und kam zu dem Schluss:
"Die Einschätzung Lafontaines anhand von Spekulationen zu seiner Persönlichkeit mag die Spezialität bürgerlicher Presse sein. Aus marxistischer Sicht stellt sich aber die Frage, für welche sozialen Kräfte und politische Praxis er steht. Für seine klassenübergreifende Politik und sprunghafte Positionierung ist die Zeit vorbei. Lafontaine ist heute eine Symbolfigur keynesianischer Nostalgie, des Trends zurück zum traditionellen sozialdemokratischen Reformismus und damit ein Hoffnungsträger der reformistischen und vieler gewerkschaftlich organisierter ArbeiterInnen. Er bedient deren reformistische Illusionen. Objektiv dient Lafontaine damit dem Projekt, die WASG bzw. die neue Linkspartei zu einer Neuauflage der alten SPD zu machen - allerdings unter Bedingungen einer vertieften allgemeinen Krise des Kapitalismus und schwindender Spielräume des Reformismus. Lafontaine ist nicht nur ein Reformist mit Verspätung, sondern auch einer mit dem Wunsch nach Umkehr. Er ist das manchmal noch einmal aufleuchtende Schlusslicht am Zug der deutschen Sozialdemokratie."
Je nach dem, wie sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse (welche aus meiner Sicht wahrscheinlich mittelfristig von dem Aspekt der Ressourcenverknappung beherrscht sein werden) entwickeln, kann sich so ein Schlusslicht aber ganz schnell zur Avantgarde einer neuen populistischen Diktatur entwickeln. Ein Generalstreik muss nicht in jeder Situation Negatives bewirken (immerhin hat ein solcher 1920 den Kapp-Putsch - mit - verhindert).
Dennoch: wer unter den gegenwärtigen Bedingungen den Generalstreik als Korrektiv zum Parlamentarischen Entscheidungsprozess fordert, dürfte in aller Regel längerfristig das Ziel einer Unterwanderung gerade jener 'Formaldemokratie' haben, welche die Arbeiter 1920 verteidigt haben.
Dies trifft ganz zweifellos auf unseren als SPD-Parteivorsitzenden ebenso wie als Finanzminister gescheiterten Saar-Napoleon zu.
Vielleicht sollten wir ihn, so lange noch Zeit ist, ehrenvoll als Botschafter der Toskana-Fraktion auf die Insel Elba verschicken?
Textstand vom 10.09.2022
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