Das ist echt galaktisch: zigtausende Tortillas täglich werden demnächst von einem privaten Weltraumbahnhof in New Mexiko, USA, in den Weltraum geschossen!
Und dahinter steckt sogar ein europäischer Unternehmer: der Brite Richard Branson (ausführlicher hier in der englischsprachigen Wikipedia) mit seiner Firma Virgin Galactic, (die es auch schon zu Wikipedia-Würden gebracht hat; mehr Infos natürlich in der englischen Version). Ab 2011 soll man auch in Europa starten können: von der Lossiemouth Royal Air Force Base in Schottland.
Ich selbst hatte erst durch einen Artikel in der von mir sehr geschätzten (Gratis-)Illustrierten „mobil“ der Deutschen Bahn, Ausgabe März 2008 (S. 74 ff.) vom geplanten Massentourismus ins All (auch hier steht auf Englisch unter „space tourism“ weitaus mehr) erfahren: „Einmal Weltall und zurück. Jedermann ein Astronaut: Früher brachte Richard Branson Urlauber billig über den Atlantik, jetzt wird seine Firma Virgin Galactic zum Pionier des privaten Weltraumtourismus“ titelte dort der Autor Kay Dohnke.
Auch „Der Spiegel“ ( „Virgin Galactic präsentiert neues Raumschiff“ ), „Heise online“ ("Virgin Galactic will Touristen auch von Schweden aus ins All schicken") und viele andere Medien haben über die Sache berichtet. Das Geheimnis der entweltlichten Tortillas wird in diesen Artikeln natürlich nicht verraten (oder auch nur angesprochen); dort erfährt man nur, mehr oder weniger ausführlich, dass, wo und auf welche Weise(und mit welcher Kunden-Resonanz) die Fa. Virgin Galactic schon im nächsten Jahr mit einem technisch innovativen Konzept Touristen preisgünstig in den Weltraum schicken will. Das von dem Amerikaner Burt Rutan mit seiner Firma „Scaled Composites“ konstruierte System arbeitet mit einem Trägerflugzeug "White Knight Two", das ein "SpaceShipTwo" in die Lüfte trägt, wo letzteres sich auf einer Höhe von ca. 16 Kilometern entkoppelt und mit Raketenantrieb allein ins All (bis auf eine Höhe von ca. 110 km) weiterfliegt.
Vorerst handelt es sich also nur um suborbitale „Weltraumflüge“, (noch) nicht um einen Erdumkreisungs-Tourismus in einer Umlaufbahn. Der All-Aufenthalt dauert auch lediglich 4 Minuten,. Aber schon damit ist jedermann ein offizieller Astronaut, der sich schlappe 200.000,- US-Dollar für den Kurzzeit-Kick abknapsen kann.
Umweltfreundlich soll es auch werden. O-Ton des Spiegel-Online-Berichts (von der Nachrichtenagentur Reuters und von „hda“): „Branson ..... verwies zudem darauf, dass beim Starten Biokraftstoff verwendet werden soll. Offenbar macht man sich bei Virgin Galactic Sorgen, dass die Raumflüge wegen der gewaltigen dabei verbrannten Treibstoffmenge als besonders klimaschädlich kritisiert werden könnten.“
Biotreibstoff hört sich gut an, aber die Journalisten bei „Heise online“ ( Peter Michael Ziegler und „c't“) lassen sich nichts vormachen:
„Gegenüber herkömmlichen Raketenstarts wäre das Virgin-Galactic-Konzept sicherlich ‚umweltfreundlicher’ – das Luxusvergnügen, einmal Schwerelosigkeit einhundert Kilometer über der Erde zu erleben, sorgt aber dennoch für enorme Umweltbelastungen. Denn damit das SpaceShipTwo-Raumschiff die restlichen 94 Kilometer Richtung Weltraum fliegen kann, bedarf es eines konventionellen Raketenmotors, der Schub über chemische Verbrennungsprozesse entwickelt. Biotreibstoff lässt sich dabei kaum nutzen.“
Für unsere Tortillas macht das allerdings keinen Unterschied. Sofern bzw. soweit mit Biokraftstoffen geflogen wird, reduziert sich die für die Nahrungsmittelproduktion verfügbare Agrarfläche um die ‚Treibstoffäcker’. Und da schon jetzt in den USA ein großer Teil der dortigen Maisernte in Ethanol umgewandelt wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Mais für die Ernährung und somit auch die aus Mais hergestellten Tortillas ganz direkt knapp werden.
Sofern bzw. soweit aus Rohöl hergestellte Treibstoffe verwendet werden (müssen), erinnere ich an eine in der Umweltbewegung gängige Definition der modernen Landwirtschaft. Die sei, sagt man (zutreffend) "eine Umwandlung von Erdöl in Nahrung“. Und da aller Voraussicht nach das Erdöl schon bald knapp werden wird (im Verhältnis zum Verbrauch), entschwebt auch auf diese Weise der (potentielle) Inhalt unserer Kühlschränke, Speisekammern und Vorratskeller in den Weltraum.
Entsprechend kritisch (wenn auch ohne den Blick auf die Zielkonkurrenz Nahrung - Treibstoff) hatte Florian Rötzel schon früher bei „Heise online berichtet“. In seinem Artikel „Virgin Galactic und der umweltfreundliche Weltraumflughafen. Norman Fosters Entwurf des ersten Flughafens für den Weltraumtourismus“ vom 07.09.2007 schreibt er u. a.:
„So grandios der Weltraumterminal entworfen ist, so schizophren erscheint es, ausgerechnet eine solche Anlage vorbildlich grün bauen zu wollen, die doch dazu dient, erhebliche Mengen an CO2 für touristische Zwecke von – zumindest vorerst – hinreichend Vermögenden in die Atmosphäre auch noch in großer Höhe abzugeben. Würden Weltraumfahrten mit dieser Technik tatsächlich einmal zum Massentourismus, dann würde die Energiebilanz natürlich noch viel schlechter ausfallen.“
Es wird aber wohl nicht nur die Energiebilanz schlecht ausfallen: sondern auch unser aller Nahrungsbilanz!
Ach ja, ich habe total vergessen, den Namen des Ortes zu erwähnen, in dessen Nähe der Weltraumflughafen mit dem imposanten Namen „Spaceport America“ (der englischsprachige Eintrag enthält auch Verweise auf geplante Spaceports in Schweden und Singapur) entsteht: „Truth or Consequences“.
In diesem verhältnismäßig kleinen Kaff (mit ca. 8.000 Einwohnern weniger als Wächtersbach) – umgangssprachlich und auch auf der ortseigenen Webseite zu „T. or C.“ abgekürzt - hat übrigens, wie man dem englischsprachigen Wikipedia-Artikel entnehmen kann, auch ein über lange Jahre unentdeckt gebliebener Serienmörder gewohnt; der hat allerdings höchstens 60 Leute umgebracht. Das zwar mit ziemlich unappetitlichen Methoden (weshalb ich auch nicht zum Eintrag über ihn verlinke). Aber Tötung durch Nahrungsmittelentzug gehörte wohl nicht zu seinen Spezialitäten.
Zwei interessante Sätze, die freilich bald einen ganz unbeabsichtigten Sinn bekommen könnten, findet man auch auf der Homepage der Stadt (natürlich ohne die von mir ergänzten Hervorhebungen):
„With the selection of our area to host Spaceport America, our government and local leaders are teaming up to initialize the next ‘giant leap for mankind.’ “
Und:
“We cherish the values that made this nation great and honor those men and women that sacrificed their lives in service to this country.”
Das glaube ich gern, dass die Menschheit mit massenhaftem Weltraumtourismus in der gleichen Weise wie Maos China einen „Großen Sprung nach vorn“ [auch dazu mehr auf Englisch] machen wird – und dass dafür eine ganze Menge anderer Menschen geopfert werden: wenn unser Essen in den Weltraum aufsteigt!
Warum tun wir nichts, demonstrieren oder so? Zunächst einmal würde ein Protest gegen diese Form des Tourismus auch zahlreiche sonstige Aktivitäten – z. B. vom Urlaubsflug über den Wochenendausflug bis zur (überflüssigen) Verkaufsverpackung von Oberhemden - auf den Prüfstein stellen, und nicht nur einige Extravaganzen der Reichen.
Und wenn die Wohlhabenden nicht in den Weltraum oder um die Erde düsen dürfen, auf dem Erdboden möglichst in SUVs und Sportwagen? Wenn Flugreisen und diese Spritschlucker (sowie in der Folge dann wohl auch kleinere) Autos sozial geächtet oder verboten würden, und vielleicht sogar der ganze Tourismus und die halbe Verpackungsindustrie? Dann bekämen wir gigantische Arbeitslosenzahlen – und als Lösung anschließend wohl sehr schnell eine Zentralverwaltungswirtschaft.
Beides gefällt uns nicht: also weg mit den Tortillas! 2.300 Arbeitsplätze sollen durch das Projekt entstehen: da katapultieren wir doch gern unser Essen in den Weltraum, damit wir uns was zu essen kaufen können!
Freilich sind Werfer-"Wir-en" und Esser-"Wir-en" wenigstens in diesem Beispielfall nicht identisch.
Vgl. ausführlicher zur Flächenkonkurrenz von Nahrungsmittelanbau und Biotreibstoff-Farming meinen Eintrag "Hungerskandal in Wuppertal: Porsche-Fahrer frisst Rentner-Oma die Polenta vom Teller!".
Nachtrag 20.03.08:
Unter dem ironischen Titel "A Spaceport for Treehuggers. Can a green building offset the potentially giant impact of spaceflight?" berichtete Prachi Patel-Predd am 11.26.2007 in der Zeitschrift "Discover" über die voraussichtlich von diesen Weltraumflügen ausgehenden CO2-Emissionen. Unter anderem weist er darauf hin, dass jedenfalls bei den Raketenstarts der staatlichen Weltraumbasen der allerkleinste Teil der Emissionen von den Raketenstarts selbst ausgeht und sehr viel mehr für den Betrieb des Flughafens, die Kühlung der Treibstoffe usw. verbraucht wird:
"Where the numbers really pile up is in the operation of Kennedy Space Center, which includes pumping 300,000 gallons of water to protect the shuttle from launch vibrations, moving the rockets, and keeping hundreds of tons of liquid oxygen and hydrogen cool. That makes for a monthly carbon footprint over 900 times that given off by the shuttle’s solid rocket boosters in one launch." [Hervorhebung von mir]
Das wird beim "Spaceport America" ähnlich sein, wenn auch vielleicht nicht ganz so krass.
Relativ zur sonstigen Luftfahrt sind die Emissionen des Weltraumflughafens aufgrund der Mengenverhältnisse dennoch weitaus geringer:
"Still, the expected impact of spaceflight pales in comparison with the carbon footprint of a commercial airport. Los Angeles International Airport has carbon dioxide emissions of nearly 19,000 tons a month, taking into account the use of electricity and natural gas. Meanwhile, the roughly 33,000 airplanes that fly in and out of the airport each month emit about 800,000 tons of carbon dioxide" erfahren wir darüber.
Merkwürdig ist nur, dass sich anscheinend alle Welt Gedanken über die Emissionen, der Raumflieger macht, also darüber, was nach der Treibstoffverbrennung an Schadstoffen übrig bleibt. Wie auch sonst die Klimaänderung das große Thema ist, obwohl deren Risiken für uns unvergleichlich geringer sind als die einer Ressourcenerschöpfung, spricht auch hier niemand über und denkt keiner an die 'Immissionen': das, was in die Tanks reingepackt (und ansonsten im Zusammenhang mit dem Betrieb dieses Raumflughafens verbraucht) wird.
So z. B. auch Steven Fawkes, der in der "Space Review" vom 19.02.2007 die Ausführungen in seinem Artikel "Space tourism and carbon dioxide emissions" so zusammenfasst:
"Clearly the space tourism companies face many challenges in the coming months and years developing, testing and flying vehicles safely on a commercial basis. The issue of climate change, however, is here to stay and if any company fails to recognize it and act accordingly they will be taking a significant business risk." [Hervorhebung von mir]
Ich dagegen sehe "erhebliche geschäftlichen Risiken" viel eher darin, dass die Menschheit bei steigenden Ölpreisen schließlich doch anfängt darüber nachzudenken, ob wir das kostbare Stöffche für Spritztouren ins Weltall verjuxen sollten. So ein Weltraum-Reiseflughafen wäre ebenso vorzüglich geeignet, die Tyrannei des wirtschaftlichen Wachstumszwangs zu repräsentieren, wie einst die Bastille die Tyrannei der absolutistischen Monarchie symbolisierte:
"Spaceport America: a Bastille of the Tyranny of Growth"? (Hier ein kritischer Artikel zum wirtschaftlichen Wachstumszwang aus einer eher betriebswirtschaftlichen Perspektive.)
Vielleicht sollten die Umweltschützer mal ein Fossil Fuel Festival organisieren?
Nachtrag 14.03.2010
Träume werden manchmal wahr; Albträume auch:
Der diesjährige Reisekatalog von Penny bietet Weltraumflüge zum Schnäppchenpreis:
Für weniger als 100.000,- Euro sind Sie dabei! Ei, wer möchte bei solchen Preisen auf der Erdoberfläche bleiben?
Kaufen Sie einfach Ihren täglichen Bedarf bei Penny ein: was Sie dort sparen, können sie in dieses einmalige Reiseerlebnis investieren! Motto:
Quetsch Penny um Penny ins Sparschwein rein
Dann kannst du bald im Weltraum sein!
Und unsere schwindenden Erdölressource schaffst du gleich mit ins All.
Nachtrag 18.10.2011
Der Weltraumbahnhof wurde jetzt eingeweiht, aber wenn die WELT heute meldet: "Erst Party, dann Testflug im neuen Weltraumbahnhof" dann handelt es sich noch nicht um einen Weltraumflug; die sollen erst in etwa einem Jahr starten. Interessant:
"Die Kosten von 209 Millionen Dollar (150 Millionen Euro) für den Weltraumbahnhof wurden mit Steuergeldern bezahlt."
Nachtrag 19.05.2012
Der erste Raketenstart verzögert sich weiter. Dazu mehr im FAZ-Bericht "Vier Minuten schwerelos. Flieger, grüß mir die Sterne" vom 15.05.2012 (Freddy Langer).
Textstand vom 19.05.2012. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.
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