In Zeiten des nicht mehr allzu weit entfernten Wahlkampfes für die Wahl zum 17. Deutschen Bundestag im Jahre 2009 kommen die Populisten aus ihren Löchern. Sie wollen, wie immer, Widersprüchliches: zahlreiche Wohltaten an unterschiedliche Gruppen auszuschütten planen bzw. verlangen die einen. Die anderen (nicht selten mit ersteren identisch) wollen uns ein wenig (ganz gewiss nicht alles!) von dem zurück geben, was sie uns vor wenigen Jahren abgenommen haben.
Damals beschloss die Große Koalition u. a. eine große Mehrwertsteuererhöhung, die Minderung der Kilometerpauschale und, ja, der Fairness halber sei auch die in der Debatte häufig unterschlagene "Reichensteuer" hier aufgelistet. Für die 'Rückerstattung' sind andere Wege im Gespräch; hauptsächlich wird eine Senkung der Einkommensteuer gefordert.
Mir persönlich liegen die Staatsfinanzen mehr am Herzen als die Senkung der Steuerlast. Das allerdings nicht aus Dummheit oder finanziellem Masochismus. Sondern weil ich weiß, dass die nächste Steuererhöhung bestimmt kommt, wenn es nicht gelingt, die Haushalte zu konsolidieren.
Es erscheint nun freilich denkbar, dass unter bestimmten Umständen eine Konsolidierung des Staatshaushaltes gar nicht mehr so dringlich ist. Weil man sie nämlich von anderen (konkret: von den Gläubigern selbst!) bezahlen lassen könnte.
Allen Diskursen über Fiskalpolitik (wie letztlich allen politischen und wirtschaftlichen Diskursen überhaupt) liegen Szenarien zu Grunde, die meist nicht explizit formuliert werden. Fast immer wird stillschweigend eine mehr oder weniger geradlinige Fortsetzung bestehender Trends angenommen: The Trend is the Friend - aller Routine-Prognostiker.
Ressourcenverknappungs-Theoretiker (und -Pessimisten) wie ich können sich auf diesen meist wie das Gewebetuch im Liegestuhl hübsch ansteigenden Kurven nicht ausruhen. Wer einen Trendbruch prognostiziert, sollte auch Überlegungen zu den Konsequenzen (im doppelten Sinne von zwangsläufig eintretenden wie von für zweckmäßig gehaltenen Reaktionen bzw. vorbeugenden Maßnahmen) anstellen.
Dies versuche ich hier für die Fiskalpolitik zu tun (in Deutschland; die theoretischen Annahmen gelten aber natürlich gleichermaßen in allen anderen Länder der Welt).
Was passiert, wenn wir das Ölfördermaximum erreicht haben (oder, falls dieser Zeitpunkt bereits eingetreten sein sollte, wenn sich die Menschen dieser Situation bewusst werden)?
Da wird sich zunächst der schon jetzt erkennbare Trend rapider Preissteigerungen für das Rohöl noch einmal beschleunigen; der Preis wird wohl nicht mehr nur linear, sondern sogar exponentiell steigen. Wir werden mit Rationierungsmaßnahmen, in Teilbereichen mit Subventionen usw. reagieren: eine Art von Kriegswirtschaft einführen, oder den marxistischen Sozialismus ausgraben. (Denkbar erscheinen auch noch unangenehmere Formen von Diktaturen, z. B. ist alternativ eine Art 'Südamerikanisierung' -oder Amerikanisierung?- der Gesellschaft mit einer verschärften und zunehmend unsozialen Oligarchenherrschaft durchaus vorstellbar).
Dies alles lasse ich aber zunächst einmal beiseite (weil ich nicht mit sämtlichen variablen Parametern zugleich jonglieren kann; insofern ist der vorliegende Beitrag natürlich nur ein allererster Einstieg in die Debatte, welche ich hoffentlich nicht als Selbstgespräch führen muss) und versuche, die Entwicklung - insoweit gewissermaßen ohne einen gesellschaftlichen Trendbruch - unter der Annahme eines weitgehend freien Wirkens der Marktlogik (und damit auch der Finanzlogik) zu durchdenken.
Zunächst einmal wird sich die Inflation rasch beschleunigen. Laue Vorboten der rauen (rauhen) Winde, Stürme, Orkane, welche da wohl schon bald auf uns zukommen werden, wehen uns schon jetzt aus den Meldungen der Statistikämter an. Für Deutschland prognostiziert das Statistische Bundesamt einen Preisanstieg von 3% für den Mai 2008. Für die EU insgesamt wird sogar eine Teuerungsrate von 3,6% erwartet.
Das sind jedoch sämtlich Peanuts im Vergleich zu dem, was uns wahrscheinlich noch bevorsteht. Allein schon im Falle eines gegenüber dem Dollar schwächeren Euro erwartet uns ein kräftiger Preisschub. Die Kaufkraftparität des Euro zum Dollar soll "irgendwo zwischen 1,08 und 1,20 Dollar je Euro" liegen, berichtete Robert Heusinger im Zeit-Blog "Herdentrieb" am 15.11.2007. Selbst wenn sie sich seitdem zu Lasten des US-Dollars noch etwas verschoben haben sollte, liegt sie mit Sicherheit weit unter dem aktuellen Wechselkurs von ca. 1,55 USD pro €.
Irgendwann wird das Pendel wieder umschlagen, und dann werden wir zumindest beim Rohöl, das ja bekanntlich in amerikanischen Dollar abgerechnet wird, eine weitere Preissteigerung von ca. 20% bekommen. Diese wechselkursbedingte Verteuerung haben wir so oder so in der "Pipeline", und parallel dazu wird der knappheitsbedingte Preisanstieg (nicht unbedingt geradlinig, aber doch im Durchschnitt) weitergehen und sich vermutlich weiter beschleunigen.
Inflation lässt die Steuerquellen sprudeln (jedenfalls so lange, wie sie nicht den Wirtschaftsmotor abwürgt, also zumindest anfänglich) und entwertet die Staatsschuld: dem Staat fällt die Rückzahlung der Kredite leichter.
Hier gibt es allerdings eine Ausnahme, auf die unsere Finanzpolitiker achten und bei der wir Bürgern denen auf die Finger sehen müssen: inflationsindexierte Staatsanleihen.
Professor Dr. jur. Dr.-Ing. E.h. Dieter Spethmann ist nicht einer von jenen Elfenbeinturmbewohnern, welchen ihre Lehrkanzel den Blick verengt hat, die aber gleichwohl ihre titulierte Meinung in den Ring werfen. Der Mann war immerhin mal Vorstandsvorsitzender der Thyssen AG (s. a. die Biographie auf seiner HP). In seinem (kurzen: 3 S.) Papier "Einige Bemerkungen zu indexierten Staatsanleihen" auf seiner eigenen Webseite äußerte er sich (bereits im November 2004) zu diesem Thema u. a. wie folgt: "Vor einigen Monaten gab die Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium bekannt, ihr Haus plane die Herausgabe indexierter Staatsanleihen, wobei als Index ein europäischer gewählt werden solle. Ich erlaubte mir den Hinweis, dass Deutschland von 1949 bis 1998, also in Dänemark, mit 2,7% pa inflationieren, mithin niedriger als diejenigen, die heute seine Nachbarn in der Euro-Zone sind, weiter, dass Deutschland auch seit Einführung des Euro (1999) niedriger als jene inflationiert. Deshalb wäre die Heranziehung eines europäischen Index für deutsche Zwecke nachteilig für Deutschland. Gleichwohl klingt es erneut aus dem Ministerium, für 2005 möge eine indexierte Staatsanleihe bevorstehen. Deshalb einige Bemerkungen hierzu. § 3 des Währungs-Gesetzes von 1948 verbot alle Schuldbemessungsgrundlagen außer der DM. Damit war die Indexierung von Staatsanleihen ausgeschlossen. Folgerichtig belief sich die Inflation während der 50 DM-Jahre nur auf die genannten 2,7% pa: Der deutsche Staat hatte sich auch ohne Indexanleihen finanziert. Ich halte es für einen Skandal, dass jetzt der Bundesfinanzminister über die Ausgabe von Indexanleihen nachdenkt. Er hat wohl Angst, Deutschland ohne dieses aus meiner Sicht durch und durch unsolide Instrument nicht mehr finanzieren zu können. Schlimmer Befund." [Hervorhebung von mir; inwieweit im übrigen Spethmanns Abneigung gegen den Euro berechtigt ist oder nicht, steht hier nicht zur Debatte.]
Ich weiß nicht, ob und ggf. in welchem Umfang Deutschland bereits inflationsindexierte Anleihen ausgegeben hat (wegen entsprechender Planungen vgl. z. B. diesen FAZ-Artikel vom Februar 2006); jedenfalls wären solche ein Geschenk an die Kapitalanleger - und Diebstahl am Steuerzahler. (Wie die Lage in Italien aussieht, das m. W. erst kürzlich wieder eine derartige Anleihe herausgebracht hat, kann ich nicht beurteilen). Spethmann weist in seinem Papier auf die Vorteile hin, welche Europa-inflationsindexierte Anleihen für diejenigen Länder haben, deren Inflationsrate über der europäischen liegt. Allerdings bezweifle ich, dass die Inflationsraten der EU-Länder auf Dauer massiv voneinander abweichen können.)
Aus der Perspektive der Kapitalbesitzer wird sich die Situation anders darstellen: sie werden sich über "Ungerechtigkeit" beklagen, wenn sie Geld verleihen sollen, am Ende aber, der Kaufkraft nach, dieses nicht mehr in vollem Umfang zurück erhalten (Inflationsrate höher als Nominalzins, als negativer Realzins). Und natürlich werden sie damit drohen, ihr Kapital zurück zu halten.
Zu diesen zwei Fragen habe ich drei Antworten zu bieten:
1) Nach welchem Gesetz - der Natur oder der Gesellschaft oder des Staates - müssen denn jene, die Geld haben, zwangsläufig daran verdienen? Und wieso sollten sie den Marktgesetzen nur dann bzw. insoweit unterworfen sein, wie diese zu ihren Gunsten funktionieren? Denn
2) die Geldbesitzer haben grosso modo gesehen gar keine andere Wahl, als ihr Geld (auch) an den Staat zu verleihen. Die Möglichkeiten für Investitionen in Sachwerte sind nicht unbegrenzt (allerdings rechne ich schon bald mit massiven Steigerungen der Bodenpreise). Im Ausland lauern die gleichen ökonomischen Probleme; dazu kommen aber noch politische Risiken und Wechselkursrisiken. Sie können ihr Kapital auf dem Konto liegen lassen: dann verleihen es die Banken an den Staat, und die Geldgeber müssen sich mit noch niedrigeren Zinsen zufrieden geben, weil die Banken ja auch leben wollen.
Natürlich gibt es einen internationalen Wettbewerb um das Kapital, aber wenn man darauf achtet, das Renommee als Schuldner zu pflegen, bekommt man die relativ günstigsten Konditionen.
3) Auch und gerade die Arbeitnehmer werden für ihre Arbeitskraft weniger bekommen. Nicht in Währungseinheiten, aber in Kaufkraft. Und auch alle anderen Geldbesitzer verlieren Kaufkraft. Weshalb sollten da die Besitzer von Staatsanleihen privilegiert sein - und im Ergebnis durch eine wunderbare indexinduzierte Kapitalvermehrung von den dann noch verfügbaren knappen Gütern einen relativ größeren Anteil als die anderen kaufen können?
Ohnehin ist schon jetzt viel zu viel Geld in der Welt; was bislang im Derivatemarkt herumvagabundiert, wird früher oder später wieder im Hafen der Realwirtschaft einlaufen - und dort als Inflations-Turbo wirken.
Der Dumme ist der Kleine Mann, der nicht in Sachkapital investiert hat, sondern sein Geld (einen Notgroschen gar) vertrauensvoll aufs Konto gelegt hat, wird man sagen. Nicht zu Unrecht, aber wer das Geld aufs Konto legt, investiert es ja ohnehin nicht in Staatsanleihen. Mit derartigen Argumenten werden die Kleinen Leute nur vorgeschoben, um die Finanzinteressen der Großen zu fördern. Forderungen nach inflationsindexierten Anleihen lassen sich so nicht wirklich begründen. Die Zeche zahlen am Ende ohnehin die kleinen Steuerzahler.
Nun aber endlich mal wieder zu unserem Ressourcenverknappungszenario zurück: der Staat kann seine Schulden billig abtragen.
Andererseits kommt er aber auch unter starken Ausgabendruck. Die Wirtschaft läuft aus dem Ruder (gerade unsere, sehr stark auf die Automobilwirtschaft - und innerhalb dieser Branche wiederum weit überdurchschnittlich auf Spritschlucker-Marken - aufgebaute, Volkswirtschaft wird es wohl als eine der ersten und besonders hart treffen), die Sozialausgaben werden steil ansteigen.
In anderen Bereichen kann der Staat dann allerdings sparen. Theoretisch könnte und sollte unser Staat damit schon jetzt beginnen: Neubauten von Straßen sind absolut sinnlos, sogar kontraproduktiv, denn schließlich verringern sie die für die Vegetation verfügbare Fläche, und davon werden wir schon bald für den Anbau von Agrargütern als Nahrungsmittel, auf weniger guten Böden auch für Wald als Lieferant für nachwachsende Energie mehr benötigen, als wir verfügbar haben. Nur bekämen wir dann Verwerfungen in der (Bau-)Wirtschaft, ohne dass die Bürger deren Notwendigkeit gegenwärtig einsehen würden. Und was könnten wir, gegenwärtig, an die Stelle der so verlorenen Bau-Arbeitsplätze setzen? Alg II bzw. Sozialhilfe?
Jedenfalls aber dann, wenn keine Autos mehr verkauft werden, wenn Muskelkraft wieder wichtiger wird (weil unsere derzeit noch ausreichend vorhandenen "Energiesklaven" verschwunden sein werden), wird auch der Straßenbau einschlafen. Und nicht einmal völlig ersatzlos, denn er wird einerseits durch den Bahnbau abgelöst werden und zum anderen durch den Rückbau von Straßen. (Hahaha, lustige Vorstellung: wir fangen an, unsere Autobahnen zu "roden" wie im Mittelalter die Menschen die Wälder gerodet haben. Letztere werden natürlich auch dran glauben müssen: die Bäume werden verheizt, und auf geeigneten Böden werden Nahrungspflanzen angebaut.)
Was hat alles das mit Steuersenkungen zu tun? Nun, wir werden sie in einer solchen Situation dringend brauchen. Und zwar schon deshalb, weil Gesellschaften mit einer geringen Produktivität naturgemäß keinen großen bürokratischen "Überbau" durchfüttern können; das fehlt irgendwann an unserem Existenzminimum, bzw. am Subsistenzniveau. Das war früher so und das wird, wenn mein Szenario richtig ist (d. h. wenn die Menschheit nicht doch noch irgendwelche energetischen 'Wunderwaffen' - gewissermaßen für unseren Endsieg über die Natur - erfindet, an die ich persönlich jedoch nicht glaube) in Zukunft wieder so sein. Die derzeitigen prozentualen Steuerlasten können die Menschen in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr schultern. So gesehen, wäre es wohl tatsächlich am besten, mit Steuersenkungen schon jetzt im Rahmen des möglichen und vertretbaren zu beginnen und zugleich die Staatsverschuldung zwar nicht auszuweiten, aber auch nicht vordringlich an ihrer Rückführung zu arbeiten.
(Theoretisch wäre natürlich auch eine vollsozialisierte Gesellschaft denkbar, in der wir alles an den Staat abliefern müssen, der uns dafür versorgt - so gut er halt kann. Deutschland als Kibbuz - das wäre der Treppenwitz der Weltgeschichte.)
Vorhandenes Geld verführt noch leichter zum Ausgeben als wenn Kredite aufgenommen werden müssen.
Nicht zuletzt um die Politik knapp zu halten, die anderenfalls die Mittel verplempern würde, statt die Staatsfinanzen zu konsolidieren, plädiere ich für eine Steuerentlastung bereits jetzt bzw. in Kürze.
Für die Wortgefechte von Wahlkämpfen eigenen sich meine weit ausholenden Überlegungen allerdings eher weniger.
Und Sie, wie sehen Sie die Lage und die Zusammenhänge?
Textstand vom 10.09.2022
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