Freitag, 20. Juni 2008

Präludien über das Thema Ressourcenkriege: Doch keine Kriege ums Öl? Oder Europa rüsten für den Ölkrieg? Oder wollt ihr die totale Osteomalazie?


Wenn aus einem Haufen rauer Soldatenkehlen das Gebrüll ertönen würde: "Peak Oil, Peak Oil, Peak Oil" – ob das nicht fast so klänge wie "Sieg Heil …"?

Irgendein Heil von der Verknappung fossiler Energieträger oder einen Endsieg über die Natur können wir allerdings nicht erwarten; dafür aber jede Menge an Unheil. Denn wenn (vielleicht schon bald) Erdöl wirklich zu einer immer schneller verschwindenden Mangelware werden wird, wird uns wahrscheinlich das, was traditionell ein wesentlicher Bestandteil von "Geschichte" war, nämlich gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen politischen Einheiten, wieder einholen.
Dafür haben Trendscouts wie wir ihren eigenen Schlachtruf: "Be prepared" oder "bereit sein ist alles".  
Die erste Stufe zum Bereitsein ist das Informiertsein.

In der politischen Monatsschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik", Ausgabe 07/2007 findet sich eine interessante und ausführliche Studie mit dem Titel "Der globale Krieg ums Öl". Näheres zum Hintergrund der beiden Verfasser erfahren wir zwar dort nicht, wohl aber in einem Abdruck in der Frankfurter Rundschau:

"Hauke Ritz ist Publizist, Literatur- und Kulturwissenschaftler. Otto Wiesmann ist Börsenhändler mit Schwerpunkt Ölhandel und Experte für Funk- und Printmedien" lesen wir dort. [Hier (offenbar auf der Webseite seines Arbeitgebers "INDEX Handelsgesellschaft mbH") Links zu einer Reihe von Interviews, in denen er mindestens schon seit 2005 einen Förderrückgang voraussagt. In der Zeitung "20cent" finden wir ein Bild von ihm und eine Prognose von 2005, in welcher er für ca. 2010 mit dem Ölfördermaximum rechnet und mit Ölpreisen um 100 € "in drei bis fünf Jahren" - seinerzeit ziemlich kühn, tatsächlich aber nicht einmal kühn genug. (Gern wüsste ich, welche Preise die amerikanischen Börsengurus damals für 2008 prognostiziert haben!) In einem taz-Interview vom 10.04.08 mit der Überschrift "Die Ölparty ist bald vorbei" sagte er:
Frage: "Seit Jahren hört man immer wieder: Jetzt geht das Erdöl zur Neige. Dabei findet man ja immer wieder neue Felder."
Antwort: "Das stimmt zwar, aber nur im Verhältnis eins zu sechs, das heißt: Es werden weltweit pro Jahr über 30 Milliarden Fass verbraucht, aber nur 5 bis 6 Milliarden Fass gefunden. 1990 hatten wir 15 Ölfelder, aus denen mehr als eine Million Fass zu 159 Litern pro Tag gefördert wurden. Heute gibt es noch 3. Die alten Ölfelder erschöpfen sich. Also, wer denkt, dass wir noch einmal billiges Öl kriegen, der glaubt auch an den Klapperstorch." (Hervorhebung von mir) Ein Buch hat er ebenfalls geschrieben; bei Amazon finden sich dazu auch ergänzende Angaben zur Biographie.]

Doch zurück zur Gemeinschaftsarbeit von Ritz und Wiesmann. Die Autoren weisen darauf hin, dass eine Ölverknappung die USA voraussichtlich in noch größere Schwierigkeiten bringen würde als die Europäer. Erfreulicher Weise beschränken sie sich nicht einfach darauf, den Amis ‚Öldurst' und Energieverschwendung vorzuwerfen, sondern benennen die Gründe dafür im Vergleich mit der europäischen Situation im Detail (wobei nicht alle für den in Amerika höheren per capita Energieverbrauch verantwortlichen Faktoren im engeren Sinne menschengemacht bzw. beeinflussbar sind): Größe des Landes, dünnere Besiedelung, klimabedingt stärkere Temperaturdifferenzen zwischen Sommer und Winter, aber auch eine im Vergleich zu Europa viel stärkere Auslagerung der Industrieproduktion nach Ostasien und dem entsprechend hohe Energieaufwendungen für den Gütertransport.

Dieser teilweise schon ‚naturgegebene' höhere Pro-Kopf-Bedarf an Energie wird bei einer Mangelsituation verschärft durch das weitestgehende Fehlen einer schienengebundenen Verkehrs-Infrastruktur.

Das ist aber nur die eine ‚Hälfte' der Gründe, weshalb die USA weit stärker unter einer Rohölverknappung leiden werden als Europa. Die andere ist der lokale Mangel an Erdgas.

Denn die Verfasser unterstellen wohl zutreffend, dass das Erdgas noch am ehesten (eine Zeit lang) das Erdöl substituieren kann (Begriffe wie "Bio", "Sonne" oder "Wind" sucht man in dem Artikel vergeblich: für mich ein Zeichen für den Realitätssinn der Autoren). Das Erdgas geht indes in Nordamerika zur Neige, während im eurasischen Erdboden (Iran, Russland) noch weitaus größere Mengen stecken. Die werden aber eher für die asiatischen und europäischen Länder verfügbar sein als für die USA, denn der Transport erfolgt sehr viel günstiger durch Pipelines über Land als per Schiff nach Nordamerika.

Ritz und Wiesmann gehen davon aus, dass die USA sich ihres Dilemmas bewusst sind und außerdem ein schon in Kürze bevorstehendes Ölfördermaximum erwarten. Deshalb führen sie nach Einschätzung (nicht nur:) dieser beiden Analytiker die Kriege in Afghanistan und im Irak als Ressourcenkriege (bzw. als Vorbereitung für künftige ‚richtige' Ressourcenkriege). Dass es zu solchen kommen wird, halten die Autoren offenbar für sicher: "Es wäre naiv, davon auszugehen, dass die USA im Falle einer Energiekrise von dieser Vormachtstellung [im Nahen Osten und in Zentralasien] keinen Gebrauch machen würden" schreiben sie, und da sie eine Energiekrise (offenbar schon ziemlich zeitnah) erwarten, ergibt sich (auf der Meinungsebene) die logisch zwingende Folgerung, dass die USA einen solchen Krieg (oder deren mehrere) tatsächlich führen werden.

Insbesondere in ihrem letzten Kapitel "Realitätsblindheit allerorten" kritisieren sie die Kurzsichtigkeit des (m. E. zutreffend) unterstellten militärischen ‚Lösungsansatzes' der Amerikaner und spekulieren darüber, wie die von der jeweiligen geschichtlichen Erfahrung geprägten mentalen Unterschiede von Europäern und Amerikanern letztere zu einer Bevorzugung der militärischen Option bewogen haben.

In einem kurzen Schlussabsatz kritisieren sie zwar auch die Europäer:

"Doch ist Europa nicht in der Position, sich über die verfehlte Politik der Vereinigten Staaten zu erheben. Denn während sich im Nahen Osten bereits der nächste Krieg ankündigt, diskutiert man in Europa immer noch über die Realitätstauglichkeit der Peak-Oil-Theorie. Während die USA ihre finanziellen Ressourcen in Kriegen verschwenden, verschwendet Europa seine geistigen Ressourcen und erkennt nicht, dass die am Horizont aufziehende Krise leicht ein neues Zeitalter großer militärischer Konfrontationen einläuten könnte."

Das wirkt allerdings auf mich irgendwie unproportioniert: Die Amis handeln falsch, wir denken (nur) falsch – ein merkwürdiger Ebenenwechsel.

Und rätselhaft: weil Hauke Ritz und Otto Wiesmann verschweigen, was sie Europa angesichts des von ihnen (m. E. wiederum zutreffend) identifizierten Risiko zu tun empfehlen. Denn worin läge der Gewinn, wenn wir unter Anspannung unserer geistigen Ressourcen die Gefahren lediglich erkannt hätten, uns aber nicht vorbeugend um Gegenmaßnahmen wenigstens bemühen würden? Taz-Autor Ritz will doch sicher nicht den Bau von Atombomben empfehlen, um unsere amerikanischen, indischen oder chinesischen Ressourcenrivalen auszurrrrradieren?


Schließlich vermisse ich in diesem Absatz (der insoweit stellvertretend für die europäische Diskussion überhaupt stehen kann) die Bereitschaft, auch auf der Ebene der Taten die implizierte moralische Überlegenheit des eigenen Verhaltens kritisch zu hinterfragen.

Richtig ist, dass die Vereinigten Staaten ihren absoluten Erdölverbrauch geradezu hemmungslos gesteigert haben. Lt. der (aus öffentlichen Datenquellen kompilierten) Esso-Studie "Öldorado 2007" belief sich der Verbrauch dort im Jahr 1990 auf rd. 780 Mio. Tonnen, 2006 waren es bereits rund 940 Mio. t. Also ein Zuwachs von 160 Mio. Tonnen absolut = 21 % Steigerung innerhalb von nur 16 Jahren!

Wir Europäer waren ‚braver': von 716,5 Mio. t auf 769,5 Mio., ein Plus also von 53 Mio. Tonnen = 7,4 %.

Allerdings ist unser relatives Wohlverhalten insofern zu relativieren, als Europa wohl allenfalls einen geringen Bevölkerungszuwachs hatte (es wäre mir jetzt zu mühsam, die Zahlen, wenn sie überhaupt alle im Internet verfügbar sind, aus den verschiedensten Quellen herauszuklauben; falls ein/e Besucher/in diese verfügbar hat, ist eine Eintragung im Kommentar willkommen).

Die Einwohnerzahl der USA ist dagegen in diesem Zeitraum von ca. 250 Mio. auf ca. 300 Mio. angestiegen (vgl. Wikipedia-Stichwort "Demographic history of the United States"); eine Vermehrung um 50 Millionen oder 20%. Das liegt also genau im Rahmen der Steigerung des Ölverbrauchs; allerdings hat man diesen pro Kopf auch nicht mindern können.

Für Deutschland entnehmen wir dem Esso-"Öldorado 2007" Werte von rd. 126 Mio. t in 1990 bzw. 123 Mio. t im Jahre 2006 (hier gehe ich mal jeweils bis zur 3. Stelle, weil die Schwankung so geringfügig ist). Die Minderung um 2% ist nicht eben eindrucksvoll; ganz allgemein werden allerdings für Deutschland und auch Europa bestimmte Effekte durch die Auflösung des Ostblocks eingetreten und zu berücksichtigen sein, deren Auswirkungen ich nicht kenne. Zur Bevölkerungsentwicklung entnehme ich dem Wikipedia-Stichwort "Demographie Deutschlands" die (von mir gerundeten) Zahlen von 79 Mio. Einwohnern für 1990 und 82,5 Mio. im Jahr 2004 (für 2006 gibt es dort keine Angabe; ich erspare mir aber weiter gehende Recherchen in der Annahme, dass es in diesen 2 Jahren keine wesentlichen Entwicklungen in die eine oder andere Richtung gegeben hat). Wir errechnen also für den Pro-Kopf-Verbrauch folgende ungefähren Werte: 1,6 t in 1990 und 1,5 t in 2004; eine Senkung um grob 7%. Interessant wäre sicherlich der Wert zur Zeit der Ölkrise, doch leider fehlt mir für Recherchen die Zeit und der Focus dieses Blotts und überhaupt meines Denkens ist ja ohnehin mehr genereller Natur und lässt sich nicht auf irgendwelche Prozentwerte fixieren. Interessant ist sicherlich ein Vergleich des Pro-Kopf-Jahresverbrauchs mit den USA: der beträgt nämlich gut 3 t pro Person, also das Doppelte vom deutschen Wert. Das zeigt in der Tat eine größere Abhängigkeit vom Öl, die eben u. a. auch durch die von Ritz & Wiesmann aufgezählten geographischen ‚Nachteile' der Vereinigten Staaten bedingt ist.

Im Übrigen haben zweifellos die Europäer in allgemeinen und wir Deutschen im Besonderen vom unbekümmerten Ölverbrauch der Amis profitiert. Amerika war meist die "Konjunkturlokomotive" der Weltwirtschaft; wir Idioten haben uns sogar gefreut wie die Schneekönige, wenn wir denen (und anderen) wieder einmal mehr liefern durften als die uns, also dicke Überschüsse in unseren Handels- und Zahlungsbilanzen hatten. (Ist es nicht herrlich, wenn die anderen die Produkte unserer Arbeit haben und wir deren grüne oder andersfarbige Papierscheine? Immerhin: die deutschen Banken haben die Greenbacks ja fleißig in den US-Immobilienmarkt zurückgeschaufelt. Weswegen wir sie jetzt bekanntlich u. a. mit Steuergeldern –IKB- stützen dürfen.)

Doch wo wäre unsere Volkswirtschaft geblieben, wenn u. a. die Amerikaner uns unsere Spritfresser nicht mehr abgenommen hätten, auf deren Produktion (und Erfindung) wir doch so stolz sind? Mehr als Amerika hängen wir Deutschen vom Auto ab: nicht so sehr zwar für den Güter- und Personentransport, aber dafür baut unsere Volkswirtschaft weit überdurchschnittlich auf der Automobilproduktion auf. Fazit: je genauer man hinsieht, desto bröseliger wird unsere Position als Energiesparengel im Vergleich zu den Amerikanern. (Und leider ebenso unsere nationalökonomische Zukunftsperspektive mit Blick auf das Ölfördermaximum.)

Ich konstatiere das alles nicht als Vorwurf oder im Zorn (wer hätte denn realistische Alternativen aufzeigen können? Ich jedenfalls nicht!), sondern lediglich als Warnung vor Selbstgerechtigkeit.

Ich halte es übrigens auch keineswegs für ausgemacht, dass wir Europäer nicht ebenfalls Kriegsgewinnler der US-Invasion im Irak sind. "Kriegsgewinnler" nicht (oder allenfalls am Rande) im traditionellen Sinne von Rüstungsproduzenten (oder deren Zulieferern), welche direkt an einem Krieg verdienen. Vielmehr bin ich mir gar nicht sicher, ob der Krieg der Vereinigten Staaten gegen den 'Tyrannen' Saddam Hussein überhaupt nur auf eine Machtübernahme im Irak abzielte, oder ob er für die US-Regierung nicht eher einen Vorwand lieferte, um eine massive militärische Präsenz im Mittleren Osten als Drohkulisse für die dortigen Ölförderländer aufzubauen. Und um ein Einsickern von Ressourcenrivalen (als solche kommen aktuell aufgrund ihrer sehr gezielten Rohstoffsicherungspolitik wohl hauptsächlich die Chinesen in Betracht) zu verhindern. Man weiß halt nicht, wie sich die Situation rund um den persischen Golf entwickelt hätten, wenn die amerikanischen Truppen nicht im Irak einmarschiert wären.

Aber auch auf der Bewusstseinsebene wäre es wahrscheinlich falsch zu sagen, dass wir Europäer / Deutschen umweltbewusster sind als die US-Bürger. Zwar mag das zutreffen, wenn man hypothetische Mittelwerte zu Grunde legt.

Andererseits kommen aber (wenn ich die Herkunft von Seiten wie "The Oil Drum" oder "Die Off" richtig einschätze; wer weitere Beispiele weiß, mag sie im Kommentar aufzählen) auch die größten Warner von dort.

Amerika ähnelt insoweit ein wenig dem Italien des Hochmittelalters und der Frührenaissance: große Sünder, aber auch große Heilige. Bereits im Jahre 1957, wo in Europa wohl kaum jemand an Ölfördermaxima gedacht hat, hat sich in Amerika der "Admiral Hyman Rickover" (‚Vater' der US-Atom-U-Boote, also ausgerechnet ein ‚Kommisskopf'!) in einer denkwürdigen Ansprache u. d. T. "Energy Resources and Our Future" vom 14.05.1957 an die "Minnesota State Medical Association" (also auf einem Ärztekongress), Sorgen um die zukünftige Energieversorgung der USA gemacht und unsere aktuellen bzw. in Kürze zu erwartenden Probleme vorausgesehen.

[Vielleicht übersetze ich die Rede mal und stelle sie hier ein; leider komme ich gegenwärtig nicht dazu.]  [Erg. 18.05.2011: siehe nunmehr meinen Eintrag "Salut für den Atom-Admiral! Hyman Rickovers visionäre Energie-Rede von 1957 hier auf Deutsch" vom 27.07.2008]

Nachdem uns nun das Autorenduo Hauke Ritz und Otto Wiesmann nicht einmal einen Anhaltspunkt gibt, worauf wir unsere geistigen Ressourcen im Zusammenhang mit möglichen Ölkriegen richten sollen, müssen wir uns anderswo schlau machen.

Da keimt Hoffnung, wenn wir auf den Aufsatz "Erdölkriege – Kriege der Zukunft?" von Matthias Basedau im "Giga Focus" Nr. 6 aus 2007 stoßen (für eine präzisere Datumsangabe im Papier selbst sind die natürlich zu vornehm; aber woher soll unsereiner die Erscheinungsweise dieser Reihe kennen?).

Basedau ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am

"GIGA German Institute of Global and Area Studies / Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg ging nach einem Restrukturierungsprozess im Jahr 2006 aus dem 1964 gegründeten Deutschen Übersee-Institut hervor. Das Institut ist die größte deutsche und eine der größten europäischen Forschungseinrichtungen für Area Studies und Comparative Area Studies. Die Forschung konzentriert sich auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie Nordafrika, Nah- und Mittelost. Die Regionalforschung beschäftigt sich außerdem mit Entwicklungen in den Nord-Süd- und Süd-Süd-Beziehungen."

Es handelt sich um eine "Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in der Freien und Hansestadt Hamburg". Über die Mittelherkunft erfahren wir:
"Das GIGA wird gemeinsam von der Bundesrepublik Deutschland (Auswärtiges Amt) und dem Land Hamburg (Behörde für Wirtschaft und Arbeit) im Rahmen der Bund-Länder-Finanzierung (BLF) finanziert. Der Haushalt beläuft sich gegenwärtig auf rund 6 Mio. € p.a."

Der Aufsatz hält leider nicht, was das Institutskürzel "giga" verspricht. Eindrucksvoll ist zwar die Auflistung der Konfliktmöglichkeiten: Importländer gegen Förderländer, Produzenten gegeneinander, Einfuhrländer gegeneinander, innere Konflikte der Förderländer usw.: so auf Anhieb wäre ich meinerseits nicht auf alle denkbaren Varianten gekommen. Aber schließlich muss Basedau als Spezialist u. a. für die Analyse von Gewaltkonflikten einen Überblick über die (zeit)geschichtlichen Kriege und Konflikte haben, und braucht lediglich jene Konfliktkonstellationen als mögliche Szenarien in die Zukunft zu projizieren, die sich schon in der Vergangenheit eingestellt haben.

Die eigentlich spannende Frage ist jedoch, wie wir damit umgehen, wenn derartige Konflikte massiv unsere Rohölversorgung gefährden oder gar lahmgelegt haben.

Zunächst einmal ist Basedau für meinen Geschmack allzu zurückhaltend in der Beurteilung der kurzfristigen Eintrittswahrscheinlichkeit einer Rohölverknappung:

"Alarmistische Prognosen müssen mit einem gerüttelt Maß an Skepsis betrachtet werden – zu viele unbekannte Größen sind im Spiel." Aber das ist (s)eine Meinung, mit welcher er sich seinerzeit durchaus noch in (scheinbar) guter Gesellschaft (IEA usw.) befand; mittlerweile mag auch er das anders sehen.

Immerhin fordert er:

"Ölexporteure und -importeure tun dennoch gut daran, sich auf mögliche Herausforderungen vorzubereiten."

Sodann entwickelt er ausführlich die verschiedenen Konfliktszenarien. Interessant ist sein Hinweis auf eine "Theorie vom Ressourcenfluch" (resource curse oder paradox of plenty), wonach nicht das Fehlen Öl, sondern gerade dessen Vorhandensein der Grund des Streites ist. So etwas mag in der Vergangenheit vorgekommen sein und wird wohl auch zukünftig eintreten, nur ändert sich die Situation dann grundlegend, wenn das Rohöl fundamental knapp ist. Dann wird es wohl auch zu Auseinandersetzungen kommen, die Basedau "Raubkriege" (von Verbraucherländern gegen Ölproduzierende Länder) nennt. Die Importländer werden das dann vielleicht als ‚Kampf für Verteilungsgerechtigkeit' deklarieren. In den USA schmiedet man bereits ideologische Waffen für derartige Interventionen. So forderte etwa der Neo-Konservative Norman Podhoretz: "We may willy-nilly find ourselves forced … to topple five or six or seven more tyrannies in the Islamic world (including that other sponsor of terrorism, Yasir Arafat's Palestinian Authority). I can even [imagine] the turmoil of this war leading to some new species of an imperial mission for America, whose purpose would be to oversee the emergence of successor governments in the region more amenable to reform and modernization than the despotisms now in place. … I can also envisage the establishment of some kind of American protectorate over the oil fields of Saudi Arabia, as we more and more come to wonder why 7,000 princes should go on being permitted to exert so much leverage over us and everyone else." (Zitatkopie aus meinem Blott "Washington – Segesta – Athen – Tel Aviv: William Kristol und der peloponnesische Krieg"; Hervorhebung von mir).

Aber die Handelnden selbst legen ihre Motive kaum jemals so offen dar wie manchmal ihre Einflüsterer. Deshalb spricht Basedau zutreffend über "… die Schwierigkeit, Öl- und Ressourcenkriege überhaupt als solche zu identifizieren", denn "Es bleibt ein grundsätzliches methodisches Problem, die Motive von Akteuren sicher festzustellen." (Wohl wahr: vgl. dazu beispielhaft zu den möglichen Hintergründen der rätselbehafteten US-Invasion 1989 die Darstellungen etwa von Jane Kellett Cramer oder Eytan Gilboa.)

Obwohl der Autor meint "Die skizzierten Überlegungen deuten darauf hin, dass sich Horrorszenarien in naher Zukunft nicht materialisieren werden", will er das "keineswegs als Entwarnung missverstanden" wissen. Denn – und nun zeigt der Analytiker sich staatsmännisch:

"Kluge Politik stützt sich nicht auf das ‚Prinzip Hoffnung', sondern bereitet sich auf Eventualitäten und Risiken vor – auch wenn diese in entfernter Zukunft zu liegen scheinen. Zudem gibt es mit dem Machtzuwachs Öl exportierender Länder, den gegenwärtigen Gewaltkonflikten in Förderländern und den Spannungen an der Schwelle zum Krieg bereits zahlreiche Herausforderungen, auf die reagiert werden sollte." [Hervorhebung von mir]

Doch packt ihn leider dann beim "Wie"
Politisch korrekte mentale Osteomalazie.

Seine Ratschläge beinhalten nämlich ausschließlich Strategien zur Konfliktvermeidung. Seine diesbezüglichen Vorschläge generell zu tadeln wäre töricht, aber:

Zum einen sind das großenteils wohlfeile Empfehlungen, die schon bisher nicht funktioniert haben ("institutionalisierter Multilateralismus" – um den scheren sich bei den Klimakonferenzen die USA und andere Länder einen Dreck) oder deren Wirksamkeit fraglich ist (‚Wirkungsgrad der Energiegewinnung muss durch technologische Innovationen erhöht werden' – ja, wenn das so einfach wäre …). Um eine ‚Senkung der Erdölintensität der Volkswirtschaft' bemüht man sich in Europa und in Deutschland schon seit längerem, aber Energiesparmaßnahmen kommen nur sehr langsam voran, und substituierbar ist Rohöl kaum und schon gar nicht kurzfristig (worunter ich hier auch ein oder zwei Jahrzehnte verstehe), zumal wir ja Atomkraftwerke nicht wollen, Kohlekraftwerke nicht wollen, Kohleverflüssigung nicht wollen und wegen verschiedener Umweltprobleme wahrscheinlich auch gar nicht in größerem Umfang betreiben können usw. An Ratschlägen wie den seinen herrscht kein Mangel; ich könnte einige hinzufügen: UNO stärken, Weltregierung einführen, Benzinpreis auf 5,- € pro Liter erhöhen … .

Gleichzeitig stellt er auch noch hohe moralische Ansprüche mit seiner impliziten Forderung, keine "… Anbiederung an Regierungen … [zu praktizieren], die fragwürdige Praktiken an den Tag legen". Nach westlichen Standards ist die ganze saudi-arabische Politik und Gesellschaftsordnung ein Verstoß gegen Freiheit, Menschenwürde und Menschenrechte – soll also die Welt aufhören, Rohöl von dort zu importieren?

Er weicht der Problematik eines absoluten Ölmangels aus wenn er sagt, dass "… die meisten Industrieländer zumindest vor den Auswirkungen eines Ölpreisanstiegs recht gut geschützt" seien. Wie "geschützt" wir sind, werden wir ganz schnell merken, wenn Flughäfen und Automobilbetriebe Massenentlassungen vornehmen müssen. Die Weltwirtschaftskrise um 1930 wird uns im Verhältnis harmlos erscheinen, denn diese beruhte "nur" auf einer verfehlten Wirtschaftspolitik (die mit einer noch verfehlteren Kriegs-Vorbereitungspolitik korrigiert wurde). Gegen Rohstoffmangel jedoch ist kein Keynes-Kraut gewachsen.

Ganz generell ist bei Basedau eine Tendenz der Problemleugnung und des Schönredens zu konstatieren; aber damit steht er nicht allein in Deutschland und auch nicht allein in der weiten Welt.

Ärgerlich ist es dennoch, aber auch charakteristisch, wenn er uns als ‚Vorbereitung auf Eventualitäten und Risiken' nichts als Konfliktvermeidungsstrategien anbietet und keinerlei Vorkehrungen für Situationen erörtert, wie sie aus möglicher Weise (m. E.: wahrscheinlich) dennoch eintretenden gewaltsamen Konflikten erwachsen können. Friedenspolitik ist gut, aber hilflos z. B. gegen Piraten in Somalia, und die sind lediglich ein winziges Problem gegenüber jenem internationalem Gerangel von "dog eat dog", welches nach allen historischen Erfahrungen bzw. mit einem Minimum an Menschenkenntnis bei einer dauerhaften und ständig wachsenden Rohölverknappung (zu der früher oder später noch Ressourcenerschöpfungen bei verschiedenen Metallen usw. treten werden) zu erwarten steht.

Das Schlimme ist, dass Basedau wahrscheinlich nicht einmal selbst merkt, dass seine Vorschläge in keiner Weise seiner Forderung entsprechen, uns auf Eventualitäten und Risiken vorzubereiten. Die Schere der politischen Korrektheit wirkt bei ihm vermutlich schon gar nicht mehr als bewusste Zensur, sondern ist bereits ins Unterbewusstsein abgesunken und lässt sich deshalb um so schwerer ausschalten. Das wäre nicht der Rede wert (und würde mich nicht so alarmieren), wenn es lediglich ein "Fall Basedau" wäre. Ich fürchte indes, dass wir hier lediglich ein Beispiel für den mentalen Zustand unserer gesamten Gesellschaft mit ihrer wohlstandsgenerierten Schönwettermoral konfrontieren.

Wir werden vieles ändern und hart für unsere Interessen kämpfen müssen (in einem rationalen Rahmen natürlich, also nicht etwa in einem Krieg gegen die USA), und zwar keineswegs nur nach außen. Auch nach innen werden wir bedroht sein, z. B. durch zunehmende Kriminalität, insbesondere durch Diebstähle von knappen Materialien wie z. B. Kupferkabeln usw., womit unsere Infrastruktur gefährdet wäre. Wie werden wir damit umgehen? Je nach Problemintensität könnte der Fall eintreten, dass wir derartige Vorgänge so ahnden müssten, wie man Plünderungen im Zweiten Weltkrieg geahndet hat, nämlich mit der Todesstrafe.

Das wäre eine (zunächst einmal geistige) Vorbereitung auf Eventualitäten und Risiken: dass wir nämlich ohne Tabus möglichst viele Szenarien durchspielen - und uns politisch und technisch dafür wappnen.

Nur als Beispiel verweise ich in diesem Zusammenhang weiterhin auf das iranische Streben nach atomarer Bewaffnung. Hier wäre ohne (explizite, vor allem aber auch ohne implizite) Denkverbote zu diskutieren, welche Gefährdungen (nach meiner Einschätzung weniger solche direkter Art als vielmehr eine Bedrohung unserer Ölversorgung) diese bedeuten könnte und ob wir eine solche hinnehmen wollen oder nicht. Ich habe diese Frage bereits an anderer Stelle erörtert; in jedem Falle macht sich der Westen lächerlich, wenn er zunächst eine große Drohkulisse aufbaut, am Ende aber die Iraner doch ihre Bombe bauen lässt. In der amerikanischen Umgangssprache gibt es eine ebenso drastische wie zutreffende Maxime für das richtige Verhalten in solchen Fällen: "Shit or get off the pot"!

Aber wahrscheinlich steht, wer realpolitische Erörterungen etwa über Präventivkriege anstellt, in unserem Biederbürgerbundesdeutschland schon mit einem Bein im Knast.

Der gegenwärtigen Weltlage mögen unsere moralisch-juristischen Standards angemessen sein. Man sollte aber die Möglichkeit nicht ausklammern, dass wir im Falle weltweiter massiver Energieprobleme gefordert sein könnten, unsere geistigen Hebel gewissermaßen ‚über Nacht' umzuwerfen. Falls uns das dann nicht gelingen sollte, weil unsere Gehirne so träge geworden sind wie unsere Bäuche fett, dann könnten wir rasch mit beiden Beinen im Morast stehen.

Da lob ich mir Leute wie die amerikanischen Neokonservativen: die lügen zwar dem Publikum (auch im eigenen Land) die Hucke voll, haben aber eine klare Zielsetzung im Sinne von "wright or wrong, my country". Und vor allem haben sie eine realistische Weltsicht.

Oder bei uns z. B. Henryk Broder. Dessen Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ludwig Börne Preises 2007 in Frankfurt a. M. u. d. T. "Bin ich verrückt, oder sind es die anderen?" hat Feuer und Leidenschaft. Auch wenn Broder vielleicht mehr für Israel glüht als für Deutschland/Europa: insoweit kann er Vorbild sein. (Und die Interessen Israels und Europas müssen ja nicht zwangsläufig generell differieren.)

Ich will aber diesen Blott nicht mit (Spielen mit dem) Feuer beschließen. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Problemfelder, auf die wir uns vorbereiten müssten. Mangel wird tendenziell zu einer Zersplitterung auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene führen.

Was wird dann aus Europa? Haben die irischen Wähler mit ihrer Ablehnung des Vertrages von Lissabon uns den Weg gewiesen, Europa den Rücken kehren? Oder sollten wir uns auf ein Kerneuropa konzentrieren und den Ballast an den Rändern abwerfen? Oder mit einem dramatischen Appell (gewissermaßen einem "jetzt erst recht") den Völkern Europas die Einsicht vermitteln, dass und warum wir vor einer historischen Richtungsentscheidung stehen – und dass es sich gemeinsam in einer bösen Welt wohl besser lebt als einsam.

Was wird in unserem eigenen Land passieren: werden Bundesländer, Städte, Stadt und Land sich gegeneinander abschotten und jeder versuchen, die bei einer dramatischen Energieverknappung möglicherweise rasch rar werdenden Nahrungsmittel für sich zu behalten (wie z. B. im 1. Weltkrieg geschehen)? Wie gehen wir mit Einwanderung um, mit Kindergeld usw. Ist es überhaupt noch sinnvoll, die Geburtenrate zu pushen, um vermeintlich die Rentenkassen aufzufüllen, wenn doch mehr Menschen nur den Ressourcenverbrauch steigern?

Ganz konkret: was machen wir mit unserer Bundeswehr? Integrieren in eine europäische Streitmacht? Mit welchen Waffen rüsten wir sie (Bundeswehr oder Europa-Heer) vorrangig aus: Panzer, Schlachtschiffe und Kanonen? Oder besser Fernbomber, Flugzeugträger und Langstreckentransporter? Brauchen wir Spezialtruppen? Wie viele Fallschirmjäger? Brauchen wir, falls Europa zerfällt, eine eigene (defensive) Atombewaffnung?

Und politisch: wie sollte Deutschland bzw. Europa das Verhältnis zu Russland gestalten? Mit welchen Lockungen ziehen wir dieses Ressourcen-Mekka auf unsere Seite – gegen mögliche Konkurrenz von China, Indien und Japan [gut, dass es die Kurileninseln gibt … -:) ]. Sehr bald schon wird eben nicht mehr genug Suppe für alle da sein (und letztlich nicht einmal dann, wenn man die Ressourcenvorräte "gerecht" auf alle Menschen in der Welt verteilen wollte). Dann wird ein Land oder Block des anderen Futterkonkurrent sein; kluge Sprüche wie Basedaus "Es ist schließlich nicht zuletzt eine Frage des politischen Managements, ob eine globale Ölkrise einer ölabhängigen Weltwirtschaft ….. gewalttätige Auseinandersetzungen im oben skizzierten Sinne hervorruft" kann man bei solchen Entwicklungen getrost einstampfen. Wie gehen wir damit um? Wie lenken wir die zunehmend abnehmenden Suppenreste in unsere Kessel?

Das alles sind freilich Problemdimensionen für Seh-Leute [obwohl sich verschiedene der o. a. Fragen auch in anderen Zusammenhängen stellen und beantwortet werden müssen, aber unter dem Aspekt der Erdölverknappung vielleicht anders als ohne diesen]; brave Alsterpaddler des Geistes würden sich solcher bösen Gedanken recht sehr schämen. Ohnehin erwartet unsere Politik von Mitarbeitern in steuerfinanzierten Denk-Tankern wohl keine missliebigen Prognosen im Stil alttestamentarischer Propheten, sondern gibt sich freudig mit konsensfähigen Leerformeln zufrieden.

In diesem Sinne darf man gewissermaßen zur bestandenen Zugehörigkeitsprüfung beim Dickschiff (nicht nur:) deutscher Denkträgheit gratulieren.

Das alles klingt nicht gut in Ihren Ohren, gelle? Mein Ton ist schrill: fast so schrill wie das vorhersehbare Geheul - nach Peak Oil.


Nachtrag 24.06.08:
Wo die Männer sitzen (und nicht die Ekapisten), wird sofort klar, wenn man die Studie

"Rethinking Global Energy Security: Geostrategic and Economic Risks" von Anthony H. Cordesman vom Think-Tank "The Center for Strategic and International Studies" in Washington liest (revidiert 2006). (Ich entdeckte sie ursprünglich auf der Webseite von Global Oil Watch.) Das Papier hat 56 S., die aber nicht als Buchtext sondern eher nach Art einer Power-Point-Präsentation. Man könnte es also sehr schnell lesen; ich hatte dennoch nur zum Überfliegen Zeit. Die letzten drei Seiten möchte ich hier aber wiedergeben, ad usum delphinum, für Deutschlands politologische Schwimmschüler sozusagen:

Where Do We Stand? Western Policy Action

_ Investment in energy capacity and infrastructure, foreign and domestic.

• No coherent policy in any respect, either foreign or domestic.

_ Develop national reserves.

• Token increases.

_ Revitalize IEA sharing; create emergency plans.

• Limited progress by IEA, little by member states. IEA-G8 is supply, conservation, environment oriented.

_ Limit growth of dedicated versus market-driven control of export resources.

• Complaints about China, Russia. No clear policy or action.

_ Ensure growth of Coal/clean coal? Nuclear power/fuel?

• Same old talk. Some R&D on options. No commercial scale.

Western Policy Action II

_ Incentives-regulation for renewables, synthetics/advanced fuels, conservation, efficiency, and environment.

• Significant additional spending, regulation, and legislation but may do little more than distort market forces.

• Renewables, "fashion energy," and environmental fads a major problem.

_ Aid in counterterrorism and counterinsurgency

• Major progress at bilateral and multilateral level in 40-60 countries,

• but offset by Iraq War, Iran sanctions issues, Arab-Israel conflict, perceived Western hostility to Islam.

Western Policy Action III

_ Protection of:

• Oil, gas, and product exports from Middle East

• US role in Gulf security and sea lanes vs. Iraq, Iran, Arab-Israel, counterterrorism, immigration tensions

Russian, Caspian, and Central Asian exports.

• Some pipeline politics. Mostly talk.

West African and Latin American exports

• Internal threat driven. Little progress.

Key Pipelines and energy bottlenecks.

• US seapower vs......... local threats, escalating asymmetric weapons and technology."

  [Die hier von mir gefetteten Sätze sind im Original in schwarz gedruckt, die unfetten in roten Buchstaben.]

Aber eigentlich wollte ich ja zu einem ganz anderen Text verlinken, nämlich zur "Olduvai Theory" von Richard C. Duncan. 1989 hat Duncan erstmals seine Vorstellung von einem Kollaps der westlichen Zivilisation entwickelt ("Olduvai" ist eine Schlucht –mehr auf dieser Reise-Seite- in der östlichen Serengeti-Ebene im nördlichen Tansania und soll den von Duncan erwarteten Rückfall der Menschheit nach dem Energieverbrauchsmaximum in steinzeitliche Zustände suggerieren. Von oben sieht die Schlucht freundlicher aus als am Boden, obwohl hier früher eine reiche Vegetation gestanden haben muss und deshalb zahlreiche prähistorische Überreste, auch vom Menschen, gefunden wurden. Duncan überprüft seine Hypothesen von Zeit zu Zeit anhand der jeweils aktuellen Zahlen; ich habe gerade das update von 2005 gelesen. [Hier eine Version von 2007, mit einigen weiterführenden Links] Das sind äußerst unschöne, aber vermutlich realistische Aussichten. In der (Internet?-)Zeitschrift "THE SOCIAL CONTRACT" sind eine Reihe von Zuschriften abgedruckt; es scheint sich nur oder fast nur um Zustimmungen zu handeln, allerdings großenteils von den "üblichen Verdächtigen", d. h. denjenigen die ohnehin der Peak Oil Theorie anhängen (Colin Campbell usw.) (Ich meine das nicht als Kritik an diesen Leuten, schließlich glaube ich ja selbst daran, dass wir bald dran glauben müssen. Trotzdem ist es immer erfrischend, wenn in einer Debatte auch Kontra gegeben wird). Die englischsprachige Wikipedia bringt einen ausführlichen Artikel und Links; auf deutsch wird die These z. B. von "Kristall" diskutiert.

Abgesehen von den Zukunftsperspektiven sind aber auch Duncans Informationen darüber interessant, dass schon in der Vergangenheit ähnliche Hypothesen vertreten wurden. U. a. erwähnt er ein Buch des österreichischen (Wiener) Physikers Hans Thirring, das erstmals (zumindest auf Englisch; ob es überhaupt auf Deutsch erschienen ist, konnte ich nicht feststellen; vielleicht wissen meine Leser/innen mehr?) 1956 in London veröffentlicht wurde, dann 1958 in New York und später anscheinend noch mehrfach; zuletzt wohl 1976 (?). Titel: "Energy for Man: From windmills to nuclear power." Daraus zitiert er:

"[As a result of permanent blackouts of electric power] the industries of all civilized countries would stop working, so that, with millions unemployed and with a total cut in the production of goods, unprecedented and incurable misery would occur, killing perhaps three-quarters of the population, and leaving the rest in a deplorable state. (Thirring, 1956, p. 135)" (Ich frage mich, ob Admiral Hyman Rickover das Buch gelesen hat und dadurch zu seiner Rede "Energy Resources and Our Future" 1957 in Minnesota auf dem Ärztekongress angeregt wurde?)

Im übrigen möchte ich noch zwei Definitionen aus Duncans Text zitieren:

Szenarium: " 'Scenario' means an outline for any series of events – real, imagined, or tutorial. " Gut gesagt; mit seiner Definition von "brinkmanship" bin ich allerdings weniger einverstanden: " 'Brinkmanship' means the policy of pursuing a hazardous course to the brink of catastrophe." Mein Unbehagen resultiert nicht aus der Namensaffinität dieses Begriffs, sondern der stark abweichenden Definition im Lexikon, die auch dem Begriff "brink" (Rand) eher entspricht: "The technique of maneuvering a dangerous situation to the limits of tolerance or safety in order to secure the greatest advantage" (The Random House College Dictionary, Revised Edition, 1959).


Nachtrag 12.07.2008:

Das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek bringt in seiner Ausgabe vom 09.06.2008 eine "COVER STORY: WORLD AFFAIRS" den Report "The Coming Energy Wars.
Oil prices could hit $200 a barrel in the next few months. How the spike changes everything
" von Rana Foroohar. Der Titel ist sensationalistisch, denn von Ölkriegen ist erst ziemlich am Schluss die Rede, und das auch weniger im Sinne einer Zukunftsprognose als vielmehr einer aktuellen Bestandsaufnahme.
Interessanter ist wahrscheinlich die daran anknüpfende Leserdebatte mit einer großen Zahl von Kommentaren (in der Druckvorschau meines Browsers 43 Seiten!). Ich konnte aus Zeitgründen nur wenige davon lesen; die Tendenzen sind ja auch bekannt: von 'Verschwörung der Ölgesellschaften' bis zu 'hätten wir doch nur aus der ersten Ölkrise die Konsequenzen gezogen und Sparmaßnahmen ergriffen'. Trotzdem könnte es vielleicht erhellend sein, dieses Meinungsspektrum mehr in Detail zu analysieren und mit einem entsprechenden Spektrum in Deutschland (z. B. zu einem Spiegel-Artikel) zu vergleichen.


Nachtrag 22.08.08:

Nein, es gibt doch nicht nur außenpolitische Stümper in Deutschland. Jedenfalls muss ich einen gewissen Dimitrios Argirakos von meinem Verdikt ausnehmen. Der Name klingt zwar nicht sehr germanisch, aber dafür denkt der Mann vom deutschen Interessenstandpunkt. So jedenfalls in seinem Artikel "Merkels Außenpolitik ist gefährlich", dem ich nur sekundieren kann. Die USA verfolgen ihre Interessen; wir sollten die unseren kultivieren. Anstinken können wir (selbst wenn man mit "Wir" Europa meint) gegen Amerika zwar nicht; das wäre auch (unter dem Aspekt des von mir geforderten und für notwendig gehaltenen "Kulturkreispatriotismus") nicht wünschenswert. Trotzdem haben wir (wir Deutschen und wir Europäer) noch eine ganze Menge Spielraum, den wir selbstbewusst nutzen sollten. Nicht prinzipiell gegen Amerika, sondern einfach prinzipiell für die eigenen Interessen. (Und manchmal vielleicht sogar für das wohlverstandene amerikanische Interesse?) Spielraum nutzen heißt für mich nicht nur gegen die USA zu stehen, sondern dort, wo es nötig ist, auch mit ihnen zusammen zu stehen und ggf. zu kämpfen: Afghanistan z. B. Das Motto unserer Politik solle "gog" sein: "ganz - oder gar nicht!" Halbe Sachen, wie Blauhelmsoldaten oder zahnlose Friedensmissionäre, kosten Geld und schaden in letzter Konsequenz überall unserem Ansehen: bei den "Befriedeten" ebenso wie bei denjenigen, denen wir als unseren Freunden die Drecksarbeit überlassen.
Argirakos ist übrigens Vorstandsvorsitender des Düsseldorfer "Düsseldorfer Instituts für Außen- und Sicherheitspolitik (DIAS)". Ein Think Tank also, aus Nordrhein-Westfalen, von dem ich bislang noch nie etwas gehört hatte. Die betreiben auch einen Informationsdienst "weltpolitik.net", den ich ebenfalls nicht kannte.


Nachtrag 30.10.2008:

An der Universität Basel führt das Historische Seminar ein Forschungsprojekt "Peak Oil" durch, das sich auch mit dem Thema "Krieg um Öl" beschäftigt:
"Das Forschungsprojekt fragt, welche Veränderungen durch das stetig steigende Erdölangebot im 19. und 20. Jahrhundert eingetreten sind, welche Kriege um Erdöl geführt wurden, und wie das zu erwartende stetig fallende Erdölangebot im 21. Jahrhundert die Zeitgeschichte und die Versorgungssicherheit der Schweiz beeinflussen werden". Auf der Eingangswebseite ist zu einigen Unterseiten mit weiteren Informationen verlinkt, davon bietet eine wiederum Links zu diversen Zeitungsartikeln betr. Erdölversorgung, Ringen ums Öl usw.


Textstand vom 16.06.2023

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