Samstag, 18. Juli 2009

Pervs are us?

Ganz so schlimm wie ein Teergarten ist ein (fast) reiner Rasen-Garten natürlich nicht.
Aber die abfällige Bezeichnung von Rasen als einer "biologischen Bodenversiegelung" ist keineswegs aus der Luft gegriffen.

Und tatsächlich vermissen die Besitzer dieses Gartens (in Bad Soden-Salmünster, nahe der Spessarttherme) offensichtlich etwas, nachdem sie den ganzen Boden 'abgerast' (oder 'vollgerast') haben.





Warum sonst hätten sie Stangen mit Plastik-Blumen und Insektenfiguren in den Rasenboden gerammt?





Schade, dass unsere Gesellschaft eine solche Trostlosigkeit als Kultur (im gegenwärtigen wie ursprünglichen Wortinn) ansieht.








Für mich ist es eine Form von Barbarei.

























Ich verkenne keineswegs, dass die Pflege eines 'richtigen' Gartens viel Zeit braucht; die hat nicht jeder bzw. will nicht jeder aufbringen (ich selbst z. B. hätte dazu auch keine Lust).
Die Alternative wäre ein Unkrautgarten. Hört sich wie ein Widerspruch in sich an, ist auch einer; richtiger müsste ich sagen: Unkrautgrundstück. Durchaus mit einem Rasenstück für die Liege, das Wäschetrocknen usw.

Davor aber graust es uns Menschen: ein Stück Land, das wir quasi als Garten abgezäunt haben, einfach von der Natur selbst bewirtschaften zu lassen. Zugegeben: auch mir würde ein (Bauern-)Garten besser gefallen als eine Unkrautfläche. Obwohl doch ein 'Unkrautstück' biologisch wertvoller sein dürfte als ein Garten mit seiner schon reduzierten Artenvielfalt. Ein reines Rasenstück missfällt mir aber auf jeden Fall, und zwar auch ästhetisch. Ich nehme es als eine Art Schlachtfeld wahr, auf welchem die Natur, die dort (auch) für mich angetreten war, niedergemäht wurde.
Die Notwendigkeit des Anlegens funktioneller Rasenflächen wie etwa von Freibadanlagen, Golfplätzen oder Fußballfeldern kann ich durchaus nachvollziehen; auch für Rasenflächen in Landschaftsparks habe ich noch Verständnis, obwohl die in der Regel keine Benutzungsfunktion (etwa als Liegeflächen) haben, sondern lediglich Perspektiven für den optischen Genuss schaffen wollen.

Indes erscheinen mir zumindest die auf die Grundstückspflege bezogenen ästhetischen Werturteile unserer Gesellschaft pervertiert. Polemisch könnte sagen: Eigentum verpflichtet - ggf. auch dazu, Natur zu vernichten.

Diese meine Kritik richtet sich keineswegs nur gegen die Besitzer dieses Gartens (oder vergleichbarer Rasengrundstücke). Denn hinter den fleißigen Rasenmähern steht die Gesellschaft als Big Brother: die Nachbarn, welche in ihrer Nachbarschaft keine faulen Gartenbesitzer dulden ("das sieht ja schrecklich aus", "der Unkrautsamen kommt von dort auf mein Grundstück" usw.), ggf. sieht sogar die Kommune das Ortsbild beeinträchtigt usw.
Es ist die Gesellschaft, wir alle also sind es, welche solche biologischen Kahlschläge geradezu erzwingen.

Haben wir die Möglichkeit, einen ästhetischen Paradigmentwechsel zu implementieren, welcher die Trostlosigkeit an sich diskreditiert? Und die Fülle, jedenfalls die Fülle der Natur, derart aufwertet, dass sie gegen unsere kulturelle Kultivierungsideologie (auch z. B. die Re-Kultivierungsmanie) bestehen kann?

Oder ist die Perversion ästhetischer Urteile in unsere Zivilisation derart tief verankert, dass wir insoweit dauerhaft (bzw. bis zum bitteren Ende) mit der Frage leben müssen: Pervs are us?





Textstand vom 20.07.2009. Auf meiner Webseite
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