Samstag, 18. Juli 2009

Anmache beim Junggesellinnenabschied

Heute standen Engel am Wächtersbacher Bahnhof. Eigentlich müsste es ja "Engelinnen" heißen, weil wir uns Engel als weiblich denken - und diese auch tatsächlich weiblich waren.

Klar, wenn wir verreisen, stehen per se immer Engel am Bahnhof ;-).
Aber diese Engelinnen trugen veritable weiße Heiligenscheine, während das einzige Kopfgestänge, welches ich jemals getragen habe, lediglich ein profaner Deeley Bopper war. (Auch zu einem solch exotischen Begriff lässt uns die Wikipedia nicht im Stich - und verrät uns sogar die alternative Schreibweise "Deely Bobber".)

Den meinen hatte ich ca. 1980 gekauft, bei einem Besuch in New York. Einen Dollar hat er gekostet, vielleicht auch anderthalb Grünrücken. Ich habe dieses Ding tatsächlich auf den Kopf gesetzt: wenn man schon mal ins Land der unbegrenzten Crazyness fliegt, ist man da nicht verpflichtet, die crazy Americans noch zu toppen?

Lange freilich dauerte mein Besitzerstolz nicht: schon wenige Straßenzüge weiter schenkte ich sie einer Frau, welche mich eigentlich nur gefragt hatte, wo es so etwas zu kaufen gäbe; sie habe für ihre beiden Kinder schon verzweifelt danach gesucht. Zwei hatte ich leider nicht, aber mein eines war gleich ihres; das auch deshalb, weil ich mir schon ein wenig lächerlich vorkam mit diesem Ding (oder müsste ich hier den Singular in den Plural setzen - "Dingern" -, weil die Deely Boppers -2- Antennen haben?).

Aber back to our angels. Die standen, wie gesagt, am Wächtersbacher Bahnhof und warteten auf den Zug in Richtung Fulda.
Dort stand auch der Chronist mit seiner Gattin, welche sich freilich ein Stück weit von ihm entfernt hatte.
Dafür aber näherte sich dem alten Mann von hinten ein Engel. Er mag ein wunderliches Bild geboten haben, eine Mischung zwischen König der Landstraße und einem Pfadfinder, der nicht erwachsen werden will: Rucksack mit gelbem Regenschutz und einen breitkrempigen Hut zum Schutz gegen die Sonne, welche freilich heute eher weniger sengte.

"Guten Tag, sind Sie gewandert?"
"Nein, wir waren nur in Bad Orb."
(Sie, freudestrahlend:)
"Da wohne ich, ein hübsches Städtchen, nicht wahr?"
"Ja, aber heute waren wir nur beim Khan."
Die junge, nicht aufregend hübsche, aber sehr sympathische Inquisitorin schaute ihn mit ihren treubraunen Augen so herzig an wie (die mir freilich eher weniger sympathische) Sandra Maischberger ihre Interviewopfer:
"Fahren Sie auch nach Fulda?"
"Ja, nein, in die Richtung, nach Bad Soden-Salmünster, zum Schwimmen in der Spessart-Therme."
Sie besorgt:
"Da haben sie aber im falschen Zug gesessen."
In der Tat hatten wir (wie wir das auf einer solchen "Tour" immer zu tun pflegen) die Zeit zwischen der Ankunft des Busses aus Bad Orb in Wächtersbach und der Abfahrt des Regionalexpress in Richtung Fulda in der Regionalbahn verbracht, die in der Regel zwischen Frankfurt und Wächtersbach pendelt (nur gelegentlich fährt sie nach Bad Soden-Salmünster weiter) und in Wächtersbach einen längeren Aufenthalt hat.
"Wir fahren nach Fulda, Junggesellinenabschied feiern. [Schon seit einiger Zeit hatten wir derartige Trupps in Frankfurt, im Hauptbahnhof oder auch in Sachsenhausen, des Öfteren gesichtet: Horden von Frauen, welche in die Stadt einfielen, um noch einmal so richtig 'einen drauf zu machen'] Das kostet Geld."Aha: il trucco c'è, und jetzt endlich wurde er auch sichtbar! Sehr schonend hatte Sie es mir beigebracht; juristisch mag man es als Bettelei bezeichnen, aber wenn man so charmant angebettelt wird, dann kann man nicht anders, als das Portemonnaie zücken. Ich jedenfalls bin in einer Weise konditioniert, dass ich nicht anders kann; meine Gattin ist aus etwas härterem Holz geschnitzt.

Indes sollte ich meine Moneten keineswegs umsonst hergeben: ob ich den Damen nicht etwas abkaufen wollte? Ein Schnäpschen? Nein danke, zwei Euro glaubte ich entbehren zu können, ohne eine Kompensation zu begehren.
Höflich bedankte sich meine charmante Interviewerin und bemerkte, es sei recht ungewöhnlich, dass ihnen jemand ohne Gegenleistung etwas gebe.
So dankte denn auch der Chor der Engelinnen, nachdem ihm die gute Tat berichtet wurde, mit einem lauten Hallo. Was mir freilich eher peinlich war, weil jetzt der Zug einlief und meine Frau zurück kam.
Sie habe sich entfernt, sagte sie, weil das kleine Engelchen zuerst auf sie zugesteuert sei und sie schon vorausgesehen habe, dass sie um Geld angegangen werden würde. Die Frauen sind halt doch das klügere Geschlecht.

Ich aber bin um eine informative Konversation reicher. Which certainly was worth 2 €.
Interessant wäre es, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Ich denke, meine selbstsichere kluge Engelin könnte später z. B. Journalistin werden. Mit jener Intelligenz und mentalen Präsenz, wie welcher sie mich interviewt hat, würde diese "donna di garbo" sicherlich auch aus anderen Informanten das Letzte herausholen ;-).





Textstand vom 20.07.2009. Auf meiner Webseite
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