Sonntag, 25. Mai 2008

Vom Tagebuch zum Weblog? Zur Ausstellung "Absolut privat!? Vom ..." im Museum für Kommunikation Frankfurt

Das kann ja wohl nicht sein: Im Wächtersbacher Vorort Frankfurt a. M. wird eine Ausstellung über die Blogs oder Weblogs oder über das Bloggen gezeigt - und ich hätte sie nicht gesehen? Da sei James Rizzi davor!

Rizzi kannte ich schon von der Straßenbahn. Genau so: nicht "aus" einer Bahn, sondern "von" dieser: in Heilbronn. (Hier kann man selbige selber sehen). Auch in Baden-Baden hatten wir was gesehen (Bilder? Poster?).
Fröhliche Kunst; kann man gebrauchen. Seine Werke gefallen mir mächtig; auch in seinem Freudenhaus (na, na, das war aber jetzt ein doofer Sprachwitz!) in Braunschweig (hier die Haus-Home-Seite) zu leben könnte mir durchaus gefallen (wobei letztlich beim Wohnen aber doch die 'inneren Werte' am meisten zählen: Schall- und Wärmedämmung z. B.).

Jedenfalls gibt mir aber die (Verkaufs-)Ausstellung von Werken des in New York lebenden, aber in Deutschland (vielleicht auch in Japan) offenbar weitaus populäreren Malers (der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag ist weitaus länger als der englischsprachige, und auch die Bilder in letzterem zeigen Rizzis Deutschlandbezogene Projekte; seine Homepage ist in deutscher und englischer Version verfügbar) die Möglichkeit, meine kunstkundige Gemahlin dort im 1. Stock zu (deponieren? beschäftigen?). [Demnächst kommt Rizzi -auch persönlich- nach Mainz. "Make hay while the sun shines", wie meine Frau geschäftstüchtiges Verhalten häufig kommentiert.]


Ich klettere (per asperam ad astram?) noch eine Treppe höher ins 2. Stockwerk. Dort wird (auf weitaus größerer Fläche) die Ausstellung "Absolut privat!? Vom Tagebuch zum Weblog" gezeigt (s. auch hier).

Eine interessante Ausstellung - was die Tagebücher angeht. Diese kann man in Vitrinen sehen und auf dem Boden betreten: auf Teppichstücken sind Auszüge abgedruckt; pfiffige Idee. Da kann man einige Zeit verweilen und meditieren. Ich habe nicht alle, aber viele Teppichplatten durchgelesen; ein Eintrag von Bertolt Brecht, irgendwas über Montage (den genauen Inhalt habe ich vergessen) hat mir am besten gefallen, wahrscheinlich wegen seiner stark literarischen Durchformung.

Zum Goebbels-Tagebuch hätte man mit Gewinn die zynisch-ehrlichen Tagebücher des italienischen faschistischen Außenministers (und Schwiegersohns des "Duce" Mussolini) Galeazzo Ciano (Graf von Cortelazzo) kontrastieren können, aber ansonsten war schon eine Menge da: vom Großliteraten Goethe bis zum frühreifen Kindertagebuch und zu anonymen Tagebüchern von Menschen aus dem Volke. Selbstverständlich wurde auch das berühmteste Tagebuch der Welt, jenes von Anne Frank, mit gebührendem Gewicht gewürdigt.

Die Ausstellung, die später auch in Nürnberg und Berlin gezeigt wird, kommentiert -natürlich- ein Weblog: "Tagwerke. Vom Tagebuch zum Weblog". Dort kann, wer Zeit hat, auch Meinungen der Presse, sowie u. a. auch Kommentare von einigen Bloggern, nachlesen. (Etwas verwunderlich ist , dass es ein elektronisches Gästebuch wohl nicht gibt.)

Ich jedenfalls war enttäuscht, was den Blog-Teil der Ausstellung angeht.

Natürlich ist das u. a. auch eine Platzfrage: wenn man Tagebücher ausstellt, und deren Bandbreite gewissermaßen repräsentativ darstellen will (was m. E. hier gelungen ist) bleibt für anderes nicht mehr viel Raum.

Doch steht dahinter ein konzeptionelles Problem, welches schon im Ausstellungstitel seinen Ausdruck findet.

Der Blog (die Verwendung des Maskulinums habe ich hier -natürlich in meinem Blog- begründet) oder das Weblog kann zwar auch -ausschließlich oder teilweise- so etwas wie ein Tagebuch sein. (Und umgekehrt muss sich ein Tagebuch auch nicht auf persönlich erlebte Ereignisse - so im Stil 7von "7.00 Uhr aufgestanden, 8.30 gefrühstückt, 9.00 h geschrieben, 22.00 h eingeschlafen") beschränken, oder überhaupt nicht auf Berichte und kann - wie ein Weblog - auch Reflexionen enthalten. Man konnte auch dort z. B. schon Bilder einkleben oder beilegen - so wie jetzt im Weblog.

Dennoch verkürzt bzw. verschieft der Titel irgendwie die Perspektive. Auch wenn Tagebücher nicht immer als rein private Dokumente konzipiert sind (und manchmal zwar als solche gedacht waren, später aber dennoch ans Licht der Öffentlichkeit gebracht wurden - Graf Ciano, Ferdinand Gregorovius, Franz Kafka usw.) sind sie dennoch in ihrer Masse nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und/oder dieser (und sei es auch nur aus technischen Gründen) nicht zugänglich.

Weblogs sind (nicht unbedingt immer weltoffen, aber jedenfalls:) in fast allen Fällen für die Welt offen. Das heißt nicht, dass die Welt unbedingt begierig wäre (oder auch die Zeit hätte), diese zur Kenntnis zu nehmen. (Die Zugriffe zu meinem Blog liegen i. d. R. nur bei 20 - 40 pro Tag und die allermeisten erfolgen, wie ich nicht nur der Verweildauer von "0" Sekunden entnehmen, sondern schon aus den Formulierungen der jeweiligen Suchanfragen erkennen kann, ohnehin irrtümlich).
Aber man wird in der Regel eben doch - stilistisch und/oder inhaltlich - anders schreiben / formulieren, wenn man im Bewusstsein einer möglichen öffentlichen Kenntnisnahme auftritt. Jeder Blogger betritt zwangsläufig eine Bühne, selbst wenn -fast- ohne Publikum (vgl. Erving Goffman, "Wir alle spielen Theater" = "The Presentation of Self in Everyday Life"). Mag sein, dass man das in gewisser Weise immer tut, wenn man schreibend aus sich selbst heraustritt; selbst wenn ein Text nur für die Schublade (respektive späteres Wiederlesen) gedacht ist. Mag auch sein, dass manche(r) im Einzelfall im Blog nicht(s) ander(e)s schreibt, als er/sie im Tagebuch schreiben würde.
Aber im Großen und Ganzen dürfte es schon vom Bewusstsein und vom Ergebnis her einen gewaltigen Unterschied machen.
Inhaltlich wird es eine Verschiebung geben vom Persönlichen und Privaten hin zum Öffentlichen, von Bericht und Erinnerung für (einen oder mehrere, i. d. R. bekannte) Leser zum Appell an die potentiell riesige Leserzahl (obwohl man natürlich auch bei Eintragungen in Weblogs ganz bestimmte, u. U. sogar einzelne, Leser oder Leserinnen vor Augen haben kann).

Ein weiterer Unterschied ist die Vernetzung. Auch im Tagebuch konnte man, was einer Verlinkung entfernt äquivalent wäre, z. B. Zeitungsausschnitte beilegen. Aber im Weblog nimmt diese Möglichkeit natürlich ganz andere Dimensionen an, und m. E. bedingt der quantitative auch einen qualitativen Sprung.

Wahrscheinlich würde die Ausstellungsmacherin Christine ("Tine") Nowak dazu sagen, dass die Schau ja auch nicht für Blogger gedacht ist, die schon eine gewisse Erfahrung mit dem Medium haben, sondern dass sie insbesondere alle jene ans Bloggen heranführen will, die sich damit noch nicht näher befasst haben. In der Tat bin ich persönlich auch nicht mit großen Erkenntniserwartungen in dieses Museum gegangen (obwohl ich insbesondere aus dem Begleitblog "Tagwerke" durchaus das eine oder andere mitnehme).

Aber gerade allen anderen vermittelt sowohl der Titel als auch die Ausstellung ein einseitiges Bild vom Bloggen. Denn schließlich könnte man dessen Wesen genau so (einseitig) mit einem Titel (und einer Ausstellung) wie "Von der Zeitung zum Blog" charakterisieren.
Wenn man eine breite Öffentlichkeit über das Bloggen informieren oder sie gar dafür begeistern möchte, müsste man eine Ausstellung auf die Weblogs und Informationen darüber (Provider, kommerziellen Hintergrund, inhaltliche und stilistische Möglichkeiten usw.) beschränken.
Für einen Titel zwar zu unhandlich aber als gedankliches Hintergrund-Motto geeignet wäre dann z. B.: "Der Blog. Zeitung, Tagebuch, Visitenkarte, Werbung, Speakers' Corner, Bilderbuch, Eigenverlag, Feuilleton, Pornoheft, Schaufenster, Kochbuch ...".

Zusammenfassend lässt sich meine Ausstellungsrezension vielleicht so formulieren:
Was Bloggen ist, kann nicht einmal eine wissenschaftliche Arbeit erschöpfend darstellen, geschweige denn eine Museumsausstellung.
Aber von dem, was Bloggen sein kann, könnte und sollte eine Ausstellung mehr zeigen, als hier zu sehen ist.

Vielleicht hätte ich sogar mit der vorliegenden Ausstellung weniger Probleme, wenn sie in Titel, Einführungstexten und Konzeption die Beschränkung ihrer Perspektive kundtun und durchhalten würde: "Die Tagebuchdimension des Bloggens".


Nachtrag 23.11.08:
Sehr lesenswerte Reflexionen über das Bloggen im Sinne einer tagebuchähnlichen Auseinandersetzung mit sich selbst hat die Berliner Web-Designerin Claudia Klinger u. d. T. "Von sich schreiben - Webdiarys und mehr" auf ihrer Webseite eingestellt. (Überhaupt ist ihr Blog "digidiary" (und sind auch ihre sonstigen Webseiten) bemerkenswert interessant und vielfältig.


Textstand vom 23.11.2008. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts).
Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

1 Kommentar:

  1. Zuerst einmal finde ich ihren Blick auf die Ausstellung sehr interessant. Für mich ist es immer wieder spannend, wie unterschiedlich die Ausstellung gesehen wird.

    Ich glaube, dass es jeden - oder zumindest - viele Blogger enttäuschen muss, wie wir mit den Blogs in der Ausstellung verfahren. Es wird wenig zum Format an sich erklärt, aber das liegt daran, dass wir unseren Schwerpunkt auf dem "Schreiben des Tages" legen. Ein Tagebuch ist uns jede materielle oder imaterielle Form, die sich zum chronolgischen, persönlichen Publizieren eignet. Somit wird die Bandbreite der Formate vom Buch bis zu Bloi
    gs gezeigt, so auch das Klopapiertagebuch, die Hölzer, die Zigarettenpapiere... und auch elektronische Tagebücher ob als Online-Tagebuch einer Homepage oder als Blog.

    Das man ein Blog mit ganz anderen Inhalten füllen kann ist klar, aber das ist ja nicht Fokus der Ausstellung.

    AntwortenLöschen