Dienstag, 14. September 2010

Beseitigung von Widerständen gegen Türkei-Beitritt der EU als wahres Motiv der Politiker-Kampagne gegen Bundesbank-Vorstand Dr. Thilo Sarrazin?

Nach gängiger Lesart ist die Politik den Thesen – und zuletzt auch der Person – von Noch-Bundesbank-Vorstandsmitglied Dr. Thilo Sarrazin aus Gründen sozusagen der politischen Hygiene entgegen getreten: in einem eher abstrakten Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Für eine solche Deutung spricht auf den ersten Blick auch der zeitliche Ablauf. Eine brauchbare Fein-Chronologie der Ereignisse habe ich zwar noch nicht gefunden (diese ist zu grob). Es war aber wohl so, dass die verklausulierte Forderung von Angela Merkel nach einer Vertreibung von Dr. Thilo Sarrazin aus dem Bundesbank-Vorstand, sowie die Entscheidung von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel für ein Partei-Ausschlussverfahren erst nach Sarrazins verkorkster Aussage über ein angebliches Judengen (und Baskengen) erfolgte. Dem war freilich schon vorher eine harsche Kritik sowohl von Angela Merkel (bei dieser noch etwas politisch-verbindlich formuliert: "nicht hilfreich") als auch von Sigmar Gabriel ("dämlich") (wie auch von zahlreichen anderen Politikern) vorausgegangen.
Jedenfalls vom Zeitablauf her könnte man die Reaktion der Politik als das Bemühen interpretieren, ein Abdriften des Diskurses bzw. der Gesellschaft in Rassismus zu verhindern.

Ich frage mich indes, ob eine derartige Betrachtungsweise nicht die Handlungsorientierung der Politik an konkreten Zielsetzungen unterschätzt.
Insoweit wäre es nämlich denkbar, dass die Sarrazin-Verfolgung einen (letztlich leider erfolgreichen!) Versuch darstellt, einen Störenfried aus dem öffentlichen Leben zu entsorgen, jemanden, der zur Gallionsfigur des Volkswiderstands gegen einen Beitritt der Türkei zur EU hätte werden können. Damit wurde zugleich ein Exempel statuiert, das Nachfolgetäter abschrecken dürfte: "Wir haben die Macht, wir machen dich fertig, wenn du dich unseren Plänen in den Weg stellst!" Und im Weg steht schon, wer die Wahrheit sagt, oder härtere juristische Konsequenzen fordert - so wie z. B. gegen Straftäter der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch (mehr dazu in meinem Blott "Wenn des Pawlows Hunde lüllen. ... " unter dem Stichwort "Ausländerkriminalität").

In diesem Szenario wäre Sarrazins Äußerung über ein vermeintliches Judengen lediglich die willkommene Begründung gewesen, um ihn gesellschaftlich aus dem Weg zu räumen. In dieses Bild würde auch die massive Reaktion des Zentralrats der Juden in Deutschland passen, wie sie SpiegelOnline vom 10.09.2010 u. d. T. "Verständigung mit Bundesbank. Sarrazin-Kompromiss empört Zentralrat der Juden" referiert (sowie überhaupt die von Anfang an massive Kritik von dieser Seite an Sarrazin). Zitat:
"Zentralratsgeneralsekretär Stephan Kramer ging mit der Verständigung auf einen freiwilligen Rückzug Sarrazins scharf ins Gericht. Es handele sich um eine politische "Bankrotterklärung", sagte Kramer. "Die Politik hat versagt." Er fügte hinzu: "Die Chance, mit einem Rauswurf Sarrazins eine klare Linie zu ziehen, dass solcher Rassismus in unserer Gesellschaft nicht tolerierbar ist, wurde verpasst." Stattdessen gebe es nun einen "faulen Kompromiss", der "eine Schande" für das ganze Land sei. Kramer fügte hinzu: 'Die NPD ist mit dem Fall Sarrazin und diesem Abgang aus der Bundesbank endgültig salonfähig'."
Eine Einbindung der Türkei in die Europäische Union liegt (was Henryk Broder und die PI-Bloggerinnen und Blogger übersehen) unbedingt im wohlverstandenen politischen Interesse Israels. Die Gefahr einer Annäherung zwischen der Türkei und den arabischen Nachbarn Israels wäre damit ein für allemal gebannt. Deswegen wäre es eine aus zionistischer Sicht rationale Strategie, in Deutschland (und ebenso natürlich auch anderswo) alle jene massiv zu bekämpfen, die die Gegnerschaft des Volkes gegen einen solchen Beitritt direkt oder indirekt artikulieren, befördern oder sich gar als Kristallisaktionskern des gesellschaftlichen Widerstands gegen einen Türkeibeitritt eignen könnten.

Meine Lesart (d. h. ganz allgemein meine Annahme der o. g. konkreten Gründe für den Kampf der deutschen Politik gegen Sarrazin) ist natürlich nicht beweisbar. Zudem schließen denkbare Motive allgemein polithygienischer Natur eine handfeste Zielverfolgung im Sinne eines meinungspolitischen Präventivschlages gegen Sarrazin (als Warnung an jene, die sich evtl. berufen fühlen könnten, den Mehrheitswillen der Massen zu artikulieren) nicht aus.

Dennoch: Das Vorgehen von Angela Merkel werde ich als ein Indiz dafür, dass sie auf einen EU-Beitritt der Türkei hinarbeitet. Zweifellos versteht der türkische Ministerpräsident Erdogan die (in jedem Falle begrüßenswerte!) Verfassungsänderung durch Referendum als einen Schritt auf dem Wege zum EU-Beitritt. Angela Merkel hat sich bislang offiziell skeptisch gezeigt und will der Türkei angeblich nur eine "privilegierte Partnerschaft" mit Europa zugestehen. Indes halte ich die einschlägige Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner FDP bzw. insbesondere mit deren Parteichef Guido Westerwelle für einen Schaukampf. Letztlich wird unsere Bundeskanzlerin klein beigeben, auch deshalb, weil die USA aufgrund ihrer (und Israels?!) geostrategischer Interessen die EU zu einer Aufnahme der Türkei drängen. Bei solchen machtvollen Fürsprechern, und angesichts der Tatsache, dass die im Bundestag vertretenen Parteien (allenfalls die CSU macht eine glaubwürdige Ausnahme, würde aber letztlich sicherlich ebenso einknicken) sämtlich für einen Beitritt sind, wird auch Angela Merkel nicht dauerhaft gegenhalten (wenn sie das überhaupt jemals gewollt haben sollte).

Die Freizügigkeit für Wanderungsbewegungen würde nach einem Beitritt sicherlich für einige Zeit eingeschränkt bleiben. Dennoch ständen letztlich die Scheunentore für eine massive Zuwanderung (auch) nach Deutschland offen. Would I like that? Not really!
Es ist ja nicht nur die Religion, welche die deutsche und türkische (und andere nicht-abendländische) Gesellschaft(en) voneinander trennt. Was uns vielleicht noch mehr als der Islam beunruhigen muss, ist das mögliche Fortleben des großfamiliären Zusammenhaltes, also clanistischer Strukturen (wie sie z. B. auch in der griechischen Gesellschaft - hier von seiner positiven Seite beschrieben - oder auf Korsika bestehen), unter der Oberfläche und gegen die Existenzvoraussetzungen unserer modernen Gesellschaften, die auf individuelle Rationalität setzen (diesen bei uns arg vernachlässigten Aspekt hebt etwa Stanley Kurtz, in seiner Huntington-Rezension "The Future of 'History'" besonders hervor).


Die Zeit wird zeigen, ob ich mit meiner Annahme Recht gehabt haben könnte, dass die Politik bei ihren Aktionen gegen Sarrazin zumindest auch das Ziel verfolgt, die mehrheitlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei gerichtete Volksmeinung kopflos zu machen. Beweisen lassen würde sich das nie; verifizierbar (bzw. falsifizierbar) wird aber zu gegebener Zeit (sofern sie dann noch Kanzlerin ist) meine Annahme sein, dass Angela Merkel letztlich eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der europäischen Union (die in meinen Augen mit Ländern wie z. B. Griechenland schon jetzt kulturell überdehnt ist) nicht verhindern wird.





Zur aktuellen Debatte um Sarrazin bzw. (weniger) um sein Buch vgl. meinen früheren Blott "Wenn des Pawlows Hunde lüllen. Zur Lexikographie des deutschen Politiker-Wortschatzes in der Debatte um Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab".
Zu der am 02.09.2010 angekündigten Abberufung von Sarrazin als Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank vgl. meinen Eintrag
"DEUTSCHLAND HAT FERTIG! ..." .....
Zum Rücktritt Sarrazins als Bundesbank-Vorstandsmitglied siehe "Tief enttäuscht vom Noch-Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin: 'Hier schaffe ich - ich kann aber auch anders' ".


Nachtrag 08.10.2010
Meinem Freund Götz Hahnwald verdanke ich den Hinweis auf den heutigen FAZ-Artikel "Wehler verteidigt Sarrazin. Parteiausschluss undenkbar" von Jürgen Kaube:
"Hans-Ulrich Wehler, Deutschlands bedeutendster Sozialhistoriker, verteidigt Thilo Sarrazin in einem Zeitungsbeitrag. Damit gibt er der Debatte um dessen umstrittene Integrationsthesen eine völlig neue Wendung. Soeben hat der Historiker Hans-Ulrich Wehler das Deutschland-Buch von Thilo Sarrazin in der „Zeit“ kommentiert. Es ist nicht untertrieben zu sagen, dass dieser Beitrag der Debatte eine völlig neue Wendung gibt. Sie wird die SPD in fast unlösbare Argumentationsschwierigkeiten bringen - von den nicht-lesenden Verfassungsorganen ganz zu schweigen. Von heute an kann Sarrazins Verlag ein Plakat drucken, auf dem untereinander steht: „Sarrazins Formulierungen sind überhaupt nicht hilfreich“ (Angela Merkel) - „Ich habe das Buch nicht gelesen“ (Angela Merkel) - „Ein Buch kann so verstören, dass manche es gar nicht mehr lesen wollen“ (Guido Westerwelle) - „Sarrazins Buch trifft ins Schwarze“ (Hans-Ulrich Wehler) - „Verkaufte Auflage: 1,1 Millionen“. Hans-Ulrich Wehler gehört zu den besten Kennern dessen, wovon Sarrazin handelt, der sozialen Schichtung in Deutschland nämlich. Und er bezeichnet das Buch nun als „das Reformplädoyer eines geradezu leidenschaftlichen Sozialdemokraten“. Wehler muss es wissen, er ist selbst ein Linker: völlig unverdächtig rechtspopulistischer Neigungen, unanfällig für Irrationalismen".
Die Suche nach dem Text von Wehler [nicht auf der Zeit-Webseite, wohl aber hier ist der Aufsatz auch online], führte mich dann in der Buchrezension "Nur zur Hälfte interessant: Wehlers „Neue Essays zur deutschen Geschichte“" zu der Information, dass (auch) Wehler einen EU-Beitritt der Türkei ablehnt:
"Was den Islam angeht, geizt Wehler nicht mit harten Worten. In zwei Aufsätzen macht er deutlich, dass er gegen einen Eintritt der Türkei in die EU ist: „Das europäische Prinzip der Religionsfreiheit schützte dann auch die Islamisierung und den Fundamentalismus.“ Eine Masseneinwanderung von Türken sei für Europa und für Deutschland von großem Nachteil. Ein „politisch explosives ethnisches Subproletariat in ghettoähnlichen Wohnquartieren“ gelte es zu vermeiden. Ganz nebenbei räumt Wehler nämlich mit dem demographischen Argument für die Einwanderung auf: Die Masseneinwanderung, „um zum Beispiel die Sozialsysteme zu stabilisieren, führt im Falle der Türken in Deutschland in eine Sackgasse. Denn diese türkische Minderheit ist bereits jetzt ein finanzielles Zuschussunternehmen. “Man fühlt sich an Thilo Sarrazin (SPD) erinnert. Jedoch gab es keine öffentliche Stigmatisierung Wehlers. Vielleicht liegt es auch daran, dass die beiden Essays, die sich mit den „Türkenprobleme[n] ohne Ende“ – so der Titel eines Textes – beschäftigen, kaum einer kennt."
Ein weiteres Fundstück bei der o. a. Suche war der Kommentar "Blick aus Israel auf die Sarrazin-Debatte" von Vera Lengsfeld bei der (von mir nicht übermäßig geschätzten) "Achse des Guten". Interessant darin ist, dass auch Frau Lengsfeld, in freilich sehr loser Form, die Politiker-Kritik an Thilo Sarrazin in einen Zusammenhang mit dem angestrebten Türkei-Beitritt zur EU bringt:
"Am 11.September, einen Tag, nachdem Sarrazin unter starkem Druck führender Politker aus dem Vorstand der Bundesbank ausschied, schmeichelten die europäischen Außenminister bei einem Treffen in Brüssel ihrem „strategischen Partner“ Türkei: „Die Türkei ist heute in der Welt einflussreicher als jeder EU-Mitgliedsstaat einzeln oder zusammen. Sie ist wirklich eine Weltgröße (global player) und wir müssen mit ihr gerade jetzt in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenarbeiten.“ Dabei verschweigt dieses Statement die wahren Gründe für Europas Appeasement-Politik, etwa die Abhängigkeit vom Erdöl aus Aserbaidshan, dessen Pipeline durch die Türkei führt und das im türkischen Ölhafen Ceyhan verschifft wird. Auch Erdgas-Leitungen (Blue Stream) führen durch türkisches Gebiet. Die Türkei kontrolliert einen erheblichen Teil der europäischen Energie-Zufuhr. Zugleich tendiert dieses muslimische Land immer offener zu einer fundamentalistischen, anti-westlichen Politik. Europas Erpressbarkeit durch den unberechenbaren Partner wird noch zunehmen: weitere Öl- und Gasleitungen auf türkischem Gebiet sind in Planung oder im Bau. Derlei Hintergründe wurden in Zusammenhang mit Sarazins Buch in deutschen Medien nicht erwähnt. Erst recht nicht von den Politikern. Angeblich geht es um „provokante“ Thesen, mit denen Sarrazin die in Deutschland lebenden Türken „verächtlich macht“."





Textstand vom 11.06.2011. Auf meiner Webseite
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