Mittwoch, 25. Mai 2011

Bravo Israel! oder: Wider den Mythos der allzeit nichtagressiven Zivilisten!


"Mindestens 13 Tote an Israels Grenzen" meldete Spiegel Online am 15.05.2011.

Die Wiener Zeitung berichtete am 16.05.11: "Israel schiebt Nachbarn den Schwarzen Peter zu. Damaskus und Beirut verantwortlich für Grenzkrawalle".

Hamburger Abendblatt vom 16.05.11: "Gewalt im Nahen Osten. Mehr als 20 Palästinenser am "Nakba"-Tag getötet":
"Erstmals seit Jahrzehnten durchbrachen Tausende Zivilisten von Syrien aus die streng bewachte Grenze zu den von Israel besetzten Golanhöhen. Dabei kamen nach unbestätigten Angaben des israelischen Rundfunks mindestens zehn Menschen ums Leben. Im südlichen Libanon wurden ebenfalls zehn Palästinenser von israelischen Soldaten getötet, 70 weitere verletzt. Auch im Gazastreifen gab es unter Demonstranten einen Toten und Dutzende Verletzte."

Mit äußerster Vorsicht zu genießen ist die christlich-fundamentalistische Webseite CID NEWS. Deren sozusagen 'christlich-zionistische' Tendenz zeigt sich bereits an der Überschrift "Syrien und Libanon fallen am Sonntag in Israel ein". [Weit drastischer sind andere Artikel, z. B. "Ex-Botschafter für mehr Druck auf Israel. Könnte er ein Nazi sein?" ("Nach Angaben der Akademie forderte der ehemalige deutsche Botschafter in Jordanien, Martin Schneller, die Bundesregierung und die internationale Gemeinschaft auf, den Druck auf Israel erhöhen: „Nur, wenn zum Beispiel finanzielle Leistungen an beide Konfliktparteien von Fortschritten im Friedensprozess abhängig gemacht werden, wird sich etwas bewegen“: Eine derartige Position reicht also für den Schmierfink "pastorklaus" schon aus, um als Nazi verdächtigt zu werden!) Trotzdem (oder gerade deshalb): Wenn man sich bewusst ist, dass diese Webseite ganz offensichtlich für die Position des israelischen Imperialismus ("Groß-Israel") agitiert, darf man sich auch diesen Bericht durchaus mal anschauen.

Ulrich Sahm, deutscher Israel-Korrespondent mehrerer Medien, stellt in einem Kommentar vom 17.05.11
die Ereignisse in einen größeren Rahmen:
"Die demonstrierenden palästinensischen Flüchtlinge kamen aus Feindesländern und forderten,„in die Heimat zurückzukehren“,in das Kernland Israels. Israels Regierung bezeichnete diesen Sturm auf seine Grenzen als Verletzung der Souveränität. Libanon,Syrien und die Hamas kritisierten Israel,auf „unbewaffnete Zivilisten“ geschossen zu haben. ..... Eine gewaltsame Grenzverletzung mit Soldaten gilt laut UNO-Charta als Krieg und erlaubt dem angegriffenen Staat,militärisch zu reagieren. Die feindlichen Soldaten dürfen in dem Fall getötet werden. Was aber,wenn sich Zivilisten organisieren,oder wenn eine Regierung Demonstrationen initiiert und zum Sturm auf die Grenze des Nachbarlandes vorschickt?..... Hätten die Israelis auf die Verletzung ihrer Grenze mit militärischen Mitteln geantwortet,wäre es zu einem Massaker gekommen. Die Araber hätten in jedem Fall einen PR-Sieg erlangt,mit dem Argument,dass die Israelis „unbewaffnete Zivilisten,Frauen und Kinder umbringen“...... Ein „Angriff“ Tausender Zivilisten auf ein Nachbarland,ein Sturm auf die Grenze,den eigenen Tod in Kauf nehmend,ist vom Völkerrecht nicht abgedeckt. Für die Palästinenser ist das eine geschickte neue Taktik im Kampf gegen Israel. Gleichgültig wie Israel darauf reagiert,mit Minen entlang des Grenzzaunes,scharfen Schüssen,oder gar,indem es Millionen Flüchtlingen unkontrollierten Einlass gewährt,würden die Palästinenser punkten und die Israelis in jedem Fall verlieren."
Uns gehen diese Vorgänge in dreierlei Hinsicht an:
  • Ganz abstrakt könnte man ihre ethische und juristische Dimension diskutieren. Das vermeide ich nach Möglichkeit, weil ich skeptisch bin, ob sich in eine solche Diskussion nicht doch auf die eine oder andere Weise eigene (tatsächliche oder vermeintliche) Interessen einschleichen. Wobei ein "Interesse" auch darin liegen kann, die eigene Feigheit vor unangenehmen Problemlösungen zu kaschieren oder zu rechtfertigen. (Als Beispiel für ein derartiges Ausweichen verweise ich auf den WELT-Artikel "Ihr feigen Deutschen seid passiv-aggressiv!" vom 08.05.01, in welchem Henryk Broder die moralisierenden deutschen Reaktionen auf die Tötung von Osama Bin Laden durch US-amerikanische Soldaten kritisiert. Broder ist alles andere als mein ideologischer Busenfreund; in diesem Falle schließe ich mich seiner Tendenz jedoch ausdrücklich an). Jedenfalls erscheint es mir ehrlicher, wenn man sich von vornherein der eigenen Interessenlage (oder was man dafür hält) bewusst ist - und das auch in der Debatte klar bezeichnet.
  •  Was immer da unten passiert: auf die eine oder andere Weise werden wir (Deutschland, Europa, der Westen und ggf. - über die Rohölversorgung - sogar die ganze Welt) da reingezogen. Da kann es nicht schaden, wenn man a) sich ein Bild von den aktuellen Konfrontationen macht, b) deren historische Entwicklung kennt und schließlich c) die eigene Position sorgfältig analysiert und in der moralischen wie in der rein interessenmäßigen Dimension möglichst solide zu fundieren sucht.
  •  Noch wichtiger ist es jedoch, sich (dann allerdings doch auch wieder auf der abstrakt moralisch-rechtlichen Ebene denkend) Nutzanwendungen für das (momentan zwar eher hypothetische) 'eigene' Verhalten [d. h. was man als deutscher Politiker tun würde] in vergleichbaren Situationen zu erarbeiten.
Wenn ich meinen Blog mit "Bravo Israel" überschreibe, dann billige ich offenkundig das Verhalten des israelischen Militärs, ein Eindringen palästinensischer Zivilisten nach Israel notfalls auch mit Gewaltanwendung, und, falls erforderlich, auch mit Schusswaffengebrauch, zu verhindern.

Was immer das Völkerrecht dazu sagen mag und egal, welche Haltung der Mainstream der öffentlichen Meinung und/oder der Moralphilosophie dazu einnehmen mag: für mich stellt das Verhalten der Palästinenser eine Aggression dar. Die Anwendung von Gewalt - und, wie gesagt, notfalls auch von Schusswaffengebrauch auch gegen unbewaffnete Zivilisten - zur Abwehr einer solchen Aggression halte ich für legitim.

Warum ist es für uns wichtig, eine solche Position zu vertreten, wenn doch "nur" Israel angegriffen wird?
Wir erleben derzeit einen Ansturm afrikanischer und in letzter Zeit speziell nordafrikanischer Flüchtlinge nach Europa. Wir debattieren darüber, wie wir damit umgehen sollen. Es gibt natürlich legitime Fluchtgründe, z. B. aus dem belagerten Misrata. Illegitim ist es jedoch, wenn Wirtschaftsflüchtlinge aus z. B. Tunesien (egal ob Tunesier oder Libyer aus tunesischen Flüchtlingslagern) illegal nach Europa hereindrängen. Geschieht das in großem Maßstab, betrachte ich das als einen Angriff, eine Aggression.
Wichtig ist dabei, es es auf unserer Seite (und genau so verhält es sich in Israel!) auch um die Frage der gesellschaftlichen Identität geht. Ein massenhaftes Eindringen etwa moslemischer Immigranten würde nicht ohne gravierende Folgen für die deutsche Gesellschaft bleiben. Momentan noch hat der (z. B. hier in der Märkischen Allgemeinen pro und kontra diskutierte) Satz von Christian Wulf, wonach "Der Islam zu Deutschland gehört" lediglich einen banalen Inhalt: es gibt (nicht wenige) Muslime in Deutschland, denen hier auch niemand das Recht streitig macht, nach ihrer Fasson selig zu werden - solange sich nicht ihr Glauben in praktischen Handlungen niederschlägt, welche im Widerspruch zu unserem Rechtssystem stehen.
Wenn sich aber die Zahlenverhältnisse drastisch verschieben (nicht heute oder morgen, aber im Laufe von einigen Jahrzehnten) werden die Muslime erwarten und verlangen, bzw. wird es sich teilweise einfach so ergeben (Korruption? Andere Rollenverständnis für die Frauen!), dass ihre Religion bzw. ihre (mit der Religion eng verquickten) Lebensformen "zu Deutschland gehören" werden. (Äußerst gefährlich für unsere individualistische und sachorientierte Gesellschaft dürfte hier besonders das mutmaßlich clanistische Familienverständnis sein, das allerdings nicht nur mit dem Islam eng verzahnt ist. Teilweise ähnliche Integrationsprobleme wie mit Muslimen - unterdurchschnittliches Bildungsstreben, starke Bindung an die Sprache des Herkunftslandes - gibt es bekanntlich ja auch bei süditalienischen Einwanderern.)

Eine solche Situation will ich nicht. Ganz unabhängig davon, dass ich unsere Lebensform für zivilisatorisch überlegen halte, geht es hier um die Frage der gesellschaftlichen Identität. Die breite Mehrheit unseres Volkes geht, wie die (auch von mir in mehreren Blotts, z. B. hier, intensiv begleitete) Debatte um Thilo Sarrazin gezeigt hat, ganz selbstverständlich von einem solchen Recht aus. Die große Mehrheit der Politiker offenbar nicht.

Es ist gerade die Geschichte Israels, aus der wir auch insoweit lernen können. Auch für die Juden geht es nicht einfach darum, in Israel gut leben zu können. Es geht sehr wesentlich um die Identität ihrer staatlich-gesellschaftlichen Organisation als jüdischer Staat.
Deshalb wollen und können die Israelis keine massenhafte Wieder-Einwanderung der geflohenen und vertriebenen Palästinenser akzeptieren. Für diese Position habe ich volles Verständnis, und daher auch für Israels entschlossene Grenzverteidigung, erforderlichenfalls auch mit militärischen Mitteln, auch gegen unbewaffnete Zivilisten.


Irrig wäre es freilich, aus dieser Unterstützung bestimmter Maßnahmen des Staates Israel meine  bedingungslose Solidarität mit Israel abzuleiten. Zwar habe ich keine Probleme mit dem aus unserer unseligen Vergangenheit hergeleiteten Postulat einer besonderen deutschen Verantwortung für die Existenz dieses Landes. Sollte aber die israelische Position in Konflikt mit höherrangigen moralischen Werten stehen, ist eben aus dieser Geschichte eine besondere Verantwortung Deutschlands für die Wertedimension im Zusammenleben der Völker, aber auch im Inneren der Staaten, abzuleiten. (Ein solches Engagement wird ja auch - siehe das Eingreifen des Westens in Libyen! - mehr und mehr im Völkerrecht verankert; im konkreten Fall kann das durchaus problematisch werden.)

Eine durchgängig (juristisch oder ethisch) "richtige" Bewertung des Palästina-Problems ist nicht möglich. Geschichte ist das, was "geschichtet" ist, und dabei überlagern sich (bzw. haben sich insbesondere in der Vergangenheit überlagert) Schichten des rechtswidrigen Schaffens von Fakten mit Ansprüchen, die heute aus eben diesen Fakten abgeleitet werden und die nicht negiert werden können, ohne neues Unrecht zu schaffen.

Das alles klingt hochabstrakt und sehr gewunden. Ganz konkret habe ich (als "Cangrande" in mehreren Leserkommentaren) meine Position in dem Blog "Fidelches Cosmos" zu dem Beitrag "Vom Zerfall des „Osmanischen Reiches“ bis zur Gründung Israels" entfaltet.
Kurz zusammengefasst:
Die Juden haben Palästina mit dem Ziel der Gründung eines jüdischen Staates infiltriert. Die weit überwiegende Mehrheit der Einwohner war arabisch-islamisch; diese Bevölkerungsmehrheit war gegen einen Judenstaat in ihrem eigenen Gebiet und (soweit sie den nötigen Durchblick hatten) folglich auch gegen die jüdische Einwanderung. Sie hätten diese verhindert, wenn nicht das Land damals faktisch eine britische Kolonie (formal-rechtlich: "Völkerbundsmandat") gewesen wäre.
Sie konnten sich also (anders als heute Israel, und anders als wir - wenn wir den hinreichenden Durch- und Weitblick entwickeln) gegen die jüdische Infiltration nicht wirksam wehren.

Es ergibt sich also aus der Logik meiner Eingangsargumentation, dass ich die jüdische Einwanderung von "friedlichen Zivilisten" nach Palästina ebenfalls als eine Form der Aggression bewerte (und, weil sie - nach ihrer inneren Logik sowie bei vielen auch ganz bewusst - von vornherein auf eine Staatsbildung zielte, gilt das hier weitaus mehr als z. B. bei der aktuellen illegalen Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen nach Europa).
Ungeachtet der Tatsache, dass die Juden (wegen der Pogrome in Osteuropa schon früher, aber erst Recht seit der Machtübernahme der Nazis in Deutschland) ein vitales Interesse an der Gründung eines eigenen Staates haben mussten (und dass es aktuell auch keine Rückkehr zu früheren Zuständen geben kann), ist die Entstehung von Israel gleichwohl auf eine Aggression von Zivilisten zurück zu führen.
Eine solche Agression stellt für diejenigen, welche die Lage unparteiisch zu analysieren versuchen, noch weit eindeutiger die gegenwärtige israelische Siedlungstätigkeit im Westjordanland dar. Es ist sozusagen eine in Public-Private-Partnership arbeitende Aggression jüdischer Siedler gegen die Palästinenser.
Sowohl in der moralischen wie in der reinen Interessendimension müssen wir (und müssten insbesondere die USA!) diese Aggression massiv verurteilen. Hier hilft auch kein Hinweis auf Deutschlands besondere Verantwortung von Israel, weil wir uns gerade aufgrund unserer Geschichte nicht zu Komplizen eines massiven Unrechts machen dürfen. (Und noch weniger hilft natürlich der von zionistischer Seite allfällige Vorwurf des Antisemitismus. Ein solcher mag sich zwar im Einzelfall durchaus hinter der Maske des Antizionismus verbergen; als Generalverdacht wäre er aber schon deshalb absurd, weil es ja auch jüdische Friedensinitiativen gibt, welche die Siedlungstätigkeit ebenfalls kritisieren.)

Es ist aber nicht akzeptabel, das Existenzrecht Israels heute zu ignorieren. Eine gerechte Lösung des "geschichteten" Palästinaproblems gibt es nicht; für unsere eigene politische Positionierung können wir daher sinnvoll nur die am wenigsten ungerechte zu Grunde legen. Welche da heißt: Israel in den Grenzen von 1967 (und aus meiner Sicht einschließlich des ganzen Jerusalem, auch wenn das für die Palästinenser ein schwer verdaubarer Brocken sein wird). Austausch von Territorien, soweit sie die Parteien darauf verständigen.

Ganz zweifellos werden zahlreiche Palästinenser innerlich das Existenzrecht Israels nach wie vor nicht anerkennen (wie sich ja sogar viele deutsche Heimatvertriebene, trotz ihrer ökonomisch ungleich besseren Situation lange Zeit nicht mit dem Verlust ihrer Heimat abgefunden haben). Offen ist, ob sie dennoch bereit sind, diese "Kröte" vertraglich (und durch Volksabstimmung abgesichert) zu schlucken.

Auf der anderen Seite ist es zumindest für mich offenkundig, dass die offizielle israelische Politik an einer dauerhaften Friedenslösung überhaupt kein Interesse hat.
Das ergibt sich nicht aus den veröffentlichten Verhandlungsmitschriften der Palästinenser (den sog. "Palestine Papers", die in den deutschen Medien weitestgehend verschwiegen wurden). Auch die Reaktion Israels auf die Verständigung zwischen der Fatah und der Hamas, nunmehr weitere Gespräche auch mit der gemäßigten Fatah abzulehnen, zeigt, das Israel palästinensische "Terroristen" politisch weitaus besser in den Kram passen als Gemäßigte. Gewiss ist die Hamas ihrer Ideologie nach für Israel eine Bedrohung. Aber sie ist eine in breiten Teilen der palästinensischen Bevölkerung verankerte Bewegung ohne oder gegen die kein Frieden möglich ist. Was hindert Israel daran, gewissermaßen indirekt auch mit der Hamas zu sprechen? Formal kann sich Jerusalem natürlich auf den fehlenden Verständigungswillen der Hamas berufen; inhaltlich lässt sich das israelische Verhalten - auch vor dem Hintergrund der anderen Indizien - nur als Desinteresse an einem Friedensvertrag mit den Palästinensern deuten. Und da Israel momentan - aufgrund seiner Siedlungspolitik - der einzige Aggressor ist (denn die Hamas hat ihrer Terrorakte momentan eingestellt, auch wenn sie nicht formell auf Gewalt verzichtet hat und diese natürlich zukünftig auch durchaus wieder aktivieren könnte), hat es an diesem Kriegszustand offensichtlich ein enormes politisches Interesse. Das lässt sich nur so erklären, dass Israel sein Territorium noch weiter zu Lasten der Palästinenser ausdehnen will.

Und nur indem man auf der Gegenseite einen "Partner" hat, auf den man als "Terrorist" mit dem Finger zeigen kann, lässt sich, speziell gegenüber der großenteils außenpolitisch recht naiven US-Bevölkerung, die eigene Siedlungsaggression so vorzüglich rechtfertigen bzw. tarnen, wie das Israel momentan noch gelingt.

Eindeutig friedensfeindlich war auch die Reaktion von Benjamin Netanjahu auf die Rede Obamas, in der dieser die Grenzen von 1967 als Grundlage für Friedensverhandlungen nannte. Die Begründung, Israel lasse sich in diesen Grenzen nicht verteidigen, weil es dann an seiner schmalsten Stelle nur 15 km breit sei, hat zwar auf den ersten Blick was für sich.
Aber zum einen war Israel früher noch kleiner und wurde erfolgreich verteidigt (egal, ob es sich bei dem 6-Tage-Krieg von 1967 um einen israelischen Präventivschlag gehandelt hat oder, wie Ludwig Watzal meint, - und wohl auch Rolf Steininger - nicht). Vor allem aber ist das israelische Argument eine Beleidigung der Intelligenz derjenigen, die damit konfrontiert werden. Die geographische Situation als solche ist zwar unbestreitbar, aber völlig unwichtig: entscheidend ist, ob denn an diesem Punkt eines hypothetischen Palästinenserstaates, von dem es nur noch 15 km bis zur Küste wären, überhaupt Truppen stehen, bzw. massive Truppenansammlungen möglich wären. Beides ist offensichtlich nicht der Fall, und eine weitgehende Entmilitarisierung eines eigenständigen Palästinenserstaates ließe sich auch vertraglich fixieren.

Wenn wir sowohl unsere eigenen Interessen wahren, als auch uns so anständig wie möglich verhalten wollen, müssten wir beiden Parteien so lange die Unterstützung und die Zusammenarbeit (jenseits ggf. bereits bestehender vertraglicher Verpflichtungen) verweigern, bis beide glaubhaft die einzig mögliche friedliche Lösung akzeptieren.


Genau so sieht das auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn (auch er in anderen Zusammenhängen nicht mein geistiger Busenfreund), und äußert seine Meinung in dem Spiegel-Interview "Nahost-Diplomatie. 'Netanjahus Absage ist selbstherrlich und arrogant' " (24.05.11) für einen Diplomaten außergewöhnlich direkt (meine Hervorhebhungen):
"Netanjahus Absage an einen Frieden auf Basis der 67er-Grenzen ist selbstherrlich und arrogant...... Netanjahu ..... setzt auf Stillstand. ..... Wenn Abbas einen Frieden mit Israel aushandelt und die Hamas Teil dieser Übergangsregierung ist, dann erkennt sie Israel damit implizit an...... Vor vier Jahren, als es den ersten Versuch einer Versöhnung zwischen Fatah und Hamas gab, hatte ich selbst starke Bedenken. Heute frage ich mich, ob es nicht ein Fehler war, dass wir die Aussöhnung damals nicht stärker unterstützt haben. Ich kann verstehen, dass es Kraft kostet, sich mit Leuten an einen Tisch zu setzen, die nur auf Gewalt setzen. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Wir müssen den Versuch machen, die Hamas in einen demokratischen Prozess einzubinden und auf den Pfad des Friedens zu bringen - so wie wir es in den neunziger Jahren erfolgreich mit der Fatah geschafft haben. Dazu gehören auch informelle Gespräche mit der Hamas. ..... man kann nicht nur der palästinensischen Seite Bedingungen stellen. Die Gewalt geht ja nicht nur von den Palästinensern aus. Israel hat aus dem Gaza-Streifen ein Gefängnis gemacht. Dort leben 1,7 Millionen Menschen auf einem Siebtel des Territoriums von Luxemburg. Die Grenzen zu schließen, nur bestimmte Güter ins Land zu lassen und kaum welche nach draußen, ist auch eine Form von Gewalt. Im Westjordanland bauen die Israelis weiter Siedlungen auf enteignetem Land. Das ist eine konstante Provokation. ..... Wenn die deutsche Bundeskanzlerin öffentlich ausschließt, dass sie in der Uno-Versammlung für einen Palästinenser-Staat stimmt, dann nimmt das jeglichen Druck von der israelischen Regierung. Und wenn dann noch der französische Präsident sich für eine Anerkennung ausspricht, stehen in einer wichtigen außenpolitischen Frage die beiden größten EU-Staaten gegeneinander. So werden wir nicht ernst genommen...... Obama sagt und tut das Richtige, doch im nächsten Jahr sind in den USA Wahlen, und da nimmt erfahrungsgemäß der Mut amerikanischer Präsidentschaftskandidaten ab, sich gegen die israelische Regierung zu stellen. Die Pro-Israel-Lobby in den USA ist sehr stark. Wir Europäer sind diesem Druck nicht in dem Maße ausgesetzt. ..... Wir wollten 2008 den Wünschen Israels nach einem Upgrade entsprechen. Wir haben das Upgrade allerdings abgängig gemacht von Fortschritten im Friedensprozess. Diese sind leider nicht eingetreten. Jetzt haben wir die Situation, dass die israelische Regierung alles macht, um neue Verhandlungen zu verhindern. Wir sollten uns daher in der EU überlegen, ob wir die Beziehungen zu Israel so weiterlaufen lassen können wie bisher. Wenn die Israelis stur bleiben und wir ihnen freie Hand lassen, könnte das zu einem neuen Krieg führen. Wir Europäer müssen ein Zeichen setzen, nicht nur mit Worten, sondern notfalls auch mit Taten. Wir müssen gegebenenfalls über politische Konsequenzen nachdenken."


Aber nun habe ich - zur Vermeidung von Fehldeutungen meiner Positionierung leider unvermeidlich - zwei ganz verschiedene Sachverhalte in einem Essay abgehandelt, nämlich
  • die Lehren, die wir aus der Geschichte Israels für uns selbst ziehen können und müssen und
  • die Positionen, die wir in der Palästinafrage beziehen sollten.

Die wichtigere Frage von beiden ist für mich eigentlich die Lehre für unser eigenes Selbstbewusstsein, wenn unsere Identität schleichend oder in einem massiven Migrationsschub beschleunigt bedroht werden sollte . (Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass wir - Deutschland, Europa und allgemein der Westen) überhaupt eine neue Härte und Robustheit in der Abwehr von Angriffen - aktuell etwa von Piratenangriffen gegen unsere Schiffahrt - entwickeln müssen.
Mit Weicheiern hat die Geschichte kein Erbarmen.

Die Israelis wissen das (auch wenn sie aktuell die Härte, für die ich in der Defensivsituation Verständnis habe, für zivile Aggression missbrauchen).

Insoweit gilt für uns: Von Israel lernen heißt überleben lernen!


Nachtrag 29.05.2011
Sehr ausführlich über die Palästina-Problematik informiert anscheinend der "Transatlantikblog" (der anscheinend von einem Michael Kachel aus München betrieben wird, über dessen Einordnung auf der politisch-gesellschaftlichen 'Landkarte' ich ansonsten aber auf die Schnelle nichts in Erfahrung bringen konnte. Vielleicht ist es ein Blog jüdischer Friedensaktivisten?). Aktuell besonders interessant ist der Beitrag "Netanjahu: Grabrede für das ungeborene Palästina". Darin wird die Rede Netanjahus vom 24.05.11 vor dem US-Kongress in ihrem (englischen) Wortlaut wiedergegeben (am Schluss des Artikels) sowie analysiert.
Was ich in den deutschen Medien nie hinterfragt (und damit auch nicht erläutert) fand, war die Forderung Netanjahus, dass die Palästinenser die Existenz eines jüdischen Staates Israel anerkennen müssten. Ich dachte mir allerdings schon, dass es dabei nicht einfach um die Existenz eines Staates Israel gehen könne, sondern dass der Zusatz "jüdisch" eine besondere Giftpille für die Palästinenser darstellen müsse. So ist es in der Tat. Israel fühlt sich in seiner spezifisch jüdischen Identität von innen bedroht, weil die arabische Bevölkerung im Land, auch wenn sie momentan nur 20% der Bevölkerung ausmacht, eine höhere Geburtenrate hat. Spätestens 2048 würde sie nach den Angaben in dem Artikel die Bevölkerungsmehrheit stellen. Deswegen kommt der Schreiber zu dem Schluss:
"Würde Israel von der Führung der Palästinenser offiziell diese Bestätigung erhalten, wäre nicht nur jegliches Rückkehrrecht verwirkt, sondern auch der Status der arabischen Israelis in Frage gestellt. Den schwarzen Peter hätte man elegant Abbas zugeschoben: Wenn selbst der Präsident der Palästinenser offiziell anerkennt, dass Israel ein Staat nur für Juden ist, dann kann Israel auch entsprechend handeln und sozusagen mit arabischer Genehmigung dafür sorgen, dass Araber nie die Mehrheit im Land stellen werden. In Wirklichkeit geht es also längst nicht mehr um die vermeintlich friedensunwilligen Palästinenser. Es geht um das demografische Problem, das Netanjahu raffiniert in den “Friedensprozess” eingeschleust hat und ihn damit sabotiert."
Indem Israel sich nicht (mehr) darauf beschränkt, von den Palästinensern die Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel zu verlangen, sondern ihnen darüber hinaus noch die (dauerhafte) Anerkennung seiner jüdischen Identität abverlangt, errichtet es zusätzlich zu den materiellen Streitpunkten der Gebietsabgrenzung zwischen Israel und einem möglichen Palästinenserstaat sowie der Rückkehr der geflohenen bzw. vertriebenen Palästinenser eine weitere Hürde für den Friedensprozess, die unüberwindlich sein dürfte.
In dem Artikel wird darauf hingewiesen, dass eine Parallelveröffentlichung in dem bekannten Blog "Der Spiegelfechter" erschienen ist. In welchem Ausmaß auf diesem 'Vertriebsweg' eine weitaus größere Leserschaft erreicht wurde, ergibt sich aus der Anzahl der Leserkommentare: -9- im Transatlantikblog, -121- im "Spiegelfechter"!
[Positiv sieht dagegen "Spengler" (i. e. der gläubige jüdische Autor David Paul Goldman) die demographische Entwicklung für Israel; vgl. seinen Aufsatz "Israel as Middle Eastern hegemon" in der Asia Times vom 24.05.11.]


Nachträge 05.06.2011 ff.

Vgl. nunmehr Berichte über einen erneuten Angriff von Zivilisten auf  Israel; z. B. "Blutiger Zwischenfall auf dem Golan. Israelische Soldaten sollen Grenzstürmer erschossen haben", Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 05.06.11. Zum gleichen Ereignis:
"Golanhöhen. Tote bei antiisraelischen Protesten" - FAZ.net 05.06.11.


Nachtrag 08.06.2011
Auf irgendwelchen verschlungenen Surf-Pfaden stoße ich heute auf zwei Romane zu meinem Thema:

Freilich: auch wenn wir uns von seinen Visionen durchaus inspirieren lassen dürfen, sollten wir die Alleinvertretung für die Verteidigung der abendländischen Kultur nicht einem klerikalen Reaktionär überlassen, wie es Jean Raspail anscheinend ist (über Alex Kurtagic weiß ich zu wenig, um ihn einordnen zu können).
Ganz allgemein frage ich mich, ob es nicht möglich ist, aus dem traditionellen Rechts-Links-Schema auszubrechen - und dennoch selbstbewusst für unsere politischen und kulturellen Identitäten einzutreten.
Klar: diejenigen, die eine gegnerische Position vertreten, werden andere immer in das herkömmliche Schema einzusperren versuchen. Und auch für einen selbst ist die Versuchung immer groß, sich gleich einem Magnetteilchen in bereits bestehende große oder auch kleine politische Magnetfelder einzuordnen. Dieser Gefahr sollte man sich bewusst bleiben und nach Kräften versuchen, die eigene Position weder von offenen Gegnern noch von scheinbaren Freunden, Sympathisanten oder Verbündeten bestimmen zu lassen. Insbesondere wird man sich bemühen müssen, gegenüber Angriffen ein Reiz-Reaktions-Verhalten, oder gar ein Trotzverhalten, zu vermeiden. Beispiel: 'Weil die Linken mich angreifen, reihe ich mich in die Reihen der Rechten ein'.
Wie immer man sich positioniert, sollte das Ergebnis einer sorgfältigen, prinzipiell nach allen Seiten (sozusagen 'tous azimuts') offenen Prüfung sein
Gleichfalls sollte man auch der Frage nicht ausweichen, ob man mit bestimmten Positionen vielleicht eigene oder eigene schichtspezifische Interessen vertritt (was nicht per se schlecht oder illegitim ist, aber natürlich potentiell im Konflikt mit den - wie auch immer verstandenen - Gesamtinteressen stehen kann).
Und über allem schwebt die Frage nach der historischen 'Großwetterlage': Wohin wollen die geschichtlichen Wirkkräfte? Was ist in einer bestimmten Situation überhaupt möglich? Welchen Spielraum hat rationales Handeln? Welchen Gefahren unterliegt ein rationales, und damit zwangsläufig verkürztes, Gesellschaftsverständnis?

Konkret zur Einwanderungsfrage scheint es mir wichtig, immer wieder auf die objektive Interessendimension hinzuweisen und damit u. a. auch ein wichtiges Argument gegen eine (rechte) 'Verschubladung' zu entwickeln.
An einem Bevölkerungswachstum - von innen oder außen generiert - haben ein objektives (ökonomisches) Interesse die Realkapitalbesitzer ("Kapitalisten"). Denn deren Besitz wird entwertet, wenn das Humankapital schrumpft und damit sowohl die Nachfrage nach den von den "Kapitalisten" bereitgestellten Gütern (unmittelbar einleuchtend ist das bei Wohnungen / Immobilien), als auch - mangels Arbeitskräften - die Möglichkeit, das in Maschinen usw. gebundene Realkapital produktiv zu verwerten.
Wenn also insbesondere die Linke sich ausgesprochen einwanderungsfreundlich positioniert, fördert sie (zweifellos ohne das zu beabsichtigen oder überhaupt sich dieser Interessenlage bewusst zu sein)  in gleicher Weise das Interesse der Kapitalbesitzer wie bei den ebenfalls häufig aus dieser Ecke zu vernehmenden Forderungen nach höherer Staatsverschuldung, die ja lediglich mehr Zinsen in die Kassen der Kapitalisten spülen würde.
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Position der Grünen (die natürlich nicht pauschal als "links" zu bezeichnen sind). Das ist eindeutig eine bürgerliche Bewegung, und insoweit kann es mich nicht überraschen, dass diese Interessenpositionen des Kapitals vertritt. Das wird nicht immer transparent, weil die Kapitalinteressen selbst oft widersprüchlich sind, weil sie von anderen Interessen (Atom-Angst) überlagert werden und auch weil soziale Feigenblätter nicht fehlen.
[Auch das ist historisch nichts Ungewöhnliches; allerdings finden sich merkwürdiger Weise 'schichtenüberspringende' Bündnisse auch als recht einseitige Unterstützung der obersten durch die unterste Schicht. So etwa in der Zeit um 1800 bei den bourbonentreuen Lazzaroni in Neapel gegen das Bürgertum, und aktuell scheint mir in den USA die Situation bei den Republikanern ähnlich, wo viele kleine Leute die Reichen davor bewahren, etwa mehr Steuern zahlen zu müssen. Wie kommt das?]


Textstand vom 11.06.2011

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