Sonntag, 8. Mai 2011

Notizen über den Geschichtsphilosophen (Kulturphilosophen) Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes")

Der Zeitschrift Computer Bild, bzw. einem dort angebotenen PC-Putz-Programm habe ich es zu verdanken, dass ich heute als "doppelt gespeicherte Datei" auf Notizen über Oswald Spengler stieß, die ich im Jahre 2005 abgefasst, aber nie zu einem runden Aufsatz vollendet hatte.

Mittlerweile stehe ich nicht mehr mit meiner damaligen Intensität in dieser Thematik, deswegen kann ich meine Notizen auch jetzt nicht mehr zu einem Aufsatz umarbeiten. Ohnehin würde es sich auch nicht lohnen mich erneut voll in die Spengler-Welt zu stürzen, weil kaum jemand diesen Blott lesen wird und schließlich ist (wie beim Firefox-Browser leider nicht selten) auch mein damaliger Favoriten-Ordner verloren gegangen.
Andererseits sind meine Notizen zwar deutlich unfertig, aber gleichwohl nicht gar so gedankenarm,  dass ich mich für eine Veröffentlichung schämen müsste.

 Ich präsentiere sie also hier in der Rohfassung, auch mit einigen damaligen Anmerkungen für beabsichtigte Ergänzungen usw.

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Endlich gelesen!

1.     14 Jahre, und somit länger, als das Dritte Reich gedauert hat, sammelt es schon Staub in meinem Bücherschrank: Arthur Zweinigers Buch "Spengler im Dritten Reich. eine Antwort auf Oswald Spenglers 'Jahre der Entscheidung' ". 1933 ist es erschienen und noch heute massenhaft im Versandantiquariatshandel, vielleicht auch bei Ebay, erhältlich.
2.     Wäre der Kulturphilosoph Oswald Spengler, geb. 1880 in Blankenburg nicht bereits im Jahre 1936 gestorben (in München), und hätte noch die Entnazifizierung der Nachkriegszeit erlebt, hätte er dieses Buch glatt als Beweis für seine Regimegegnerschaft (die als solche auch tatsächlich bestand) vorlegen können.
3.     Und doch finden wir, im Rückblick klüger als die Akteure selbst, erstaunliche Positionsvertauschungen, bei denen Oswald Spengler in der außenpolitischen-militärischen Sphäre als primitiver Kriegshetzer erscheint, dagegen der Nazi Zweiniger als staatsmännischer Friedensengel. Oder im wirtschaftlich-sozialen Bereich Spengler als darwinistischer Ultra-Libertärer, Zweiniger als fürsorglicher Sozialpolitiker.

Außenpolitik und Militär bei Spengler (und Zweiniger)

4.     Gegen Spenglers Vorstellungen einer Wiedererweckung unseres ursprünglichen "Barbarentums" und einer Betonung unserer "Raubtiernatur" [über deren mangelnde Realisierung beider im Nationalsozialismus Spengler sich nicht hätte beklagen müssen, tatsächlich aber schon über die Brutalität geschockt war, mit der Hitler seine innerparteilichen Gegner im sogenannten "Röhm-Putsch" "ausgeschaltet" hatte] schreibt Zweiniger:
5.     "Aber wie hinken doch solche Vergleiche. ... das Raubtier jagt ja nicht seine eigene Art, es frisst nur fremde Tiere. ... Nicht nur dem Raubtier ist Wehrhaftigkeit zuzuschreiben. Der Elefant, ein Vegetarier, ist ein sehr wehrhaftes Tier, wenn er angegriffen oder gereizt wird. Dass der Mensch, auch im übertragenen Sinne, immer ein Kämpfer sein muss, hat er mit allen Lebewesen gemein, für ihn hat es gesteigerte Bedeutung, weil ... die Häufung seiner Beziehungen ihn zu mannigfaltigem Kämpfertum zwingt. Von der Ehre seiner Nation ... bis zum Kampf um das tägliche Brot, der die Art eines Wettkampfes in der Kultur annimmt .. alles zwingt ihn zu einem sehr verschiedenartigen Kampf. Vom Kampf des Bauern mit der Natur bis zu dem Kampf in den Höhen geistiger und künstlerischer Vollbringungen hat der Zwang zum Kampf kein Ende und ist nirgends weniger hart und weniger unausweichlich wie der primitive Kampf mit der Waffe. ... Barbarentum, Raubtiernatur des deutschen Menschen von heute, das sind überakzentuierte Schlagworte, um die Bürger zu erschrecken ...."
6.     "Weltgeschichte ist Kriegsgeschichte" zitiert Zweiniger Spengler und kritisiert, dass in solchen Formulierungen "die mangelnde organische Einordnung seiner Weltsicht in die Aufgaben eines Kulturvolkes" hervortrete. "Es ist absurd, einem großen Kulturvolk wie dem deutschen ein solches falsch betontes Wort entgegenzuschleudern. Weil die elementare Grundbedingung des Staatslebens: die Sicherung vor den auswärtigen Gefahren, keine Minute aus den Augen gelassen werden darf, ... so liegt doch nicht in der Ausübung dieser Wehrhaftigkeit die Erfüllung seiner Sendung. Die wahre Geschichte eines Volkes, so sehr sie auch von seiner erfolgreichen Wehrhaftigkeit abhängig sein mag, ist die Ausgestaltung seiner Eigenart, eben in der Art auch seines Lebenserhaltes mit friedlichen Mitteln, die Gestaltung seines sozialen Lebens, seiner Sprache, seiner Vollbringungen in Dichtung und Musik und bildender Kunst, seiner Religion ...".
7.     "Die Wehrhaftigkeit muss wissen, wofür sie steht, sie muss einen Wert, einen unersetzlichen hinter sich fühlen, den sie deckt, und dieser Wert wird in einem anderen Kampfe auf anderen Ebenen gewonnen" hält Zweiniger Spengler entgegen.
8.     Man könnte auf die Idee kommen, dass Zweiniger in solchen Passagen das wahre Wesen und die Zielsetzung der Politik von Adolf Hitler verschleiern wollte. Ich glaube aber, dass er durchaus aufrichtig die verbale Primitivität der einschlägigen Äußerungen und Gedanken Spenglers verabscheut. Er und viele andere, Nazis und Nicht-Nazis, Deutsche und Ausländer, haben das seinerzeit tatsächlich so gesehen und das für uns im Rückblick offenkundige durchgängige Hinstreben Hitlers auf den 2. Weltkrieg nicht erkannt, und wahrscheinlich konnten viele von ihren geistigen Voraussetzungen her auch nicht erkennen, dass Hitlers Politik einzig und allein auf einen neuen Krieg ausgerichtet war.
9.     Zweiniger hat also durchaus Recht, wenn er Spengler zum einen Primitivität, und zum anderen Widersprüchlichkeit vorwirft. Denn das, was Spengler in seinen politischen Äußerungen gefordert hat – Kampfbereitschaft, autoritäre Staatsführung, ständischer Staatsaufbau, "Führung" (mit der Tendenz zu kriegerischer Führung) vor allem – hat ja der Nationalsozialismus verwirklicht, den Spengler gleichwohl abgelehnt hat.
10.  Merkwürdigerweise scheint Spengler sich vor allem an der Begeisterung der Massen gestoßen zu haben, welche das Regime so gekonnt generierte und inszenierte. Aber gerade die Massen, welche er doch von genialen Führern in die Schlacht geworfen wissen wollte, haben ihn dann wiederum abgestoßen. Und das nicht erst im Deutschland des Nationalsozialismus, sondern schon früher kritisiert er (als Reisender) entsprechende Erscheinungen im faschistischen Italien.
11.  Recht hat er durchaus gehabt mit seiner Vermutung, dass das Dritte Reich kein gutes Ende nehmen würde. Aber, ganz abstrakt gesprochen, hatte auch Zweiniger Recht, wenn er Spengler vorwirft, nun seine eigenen, im Nationalsozialismus im zeitmöglichen Stil realisierten Forderungen nicht zu erkennen und gar zu verhöhnen.
12.  So formuliert Donald L. Stockton in seiner ebenso klugen wie ausführlichen Analyse von Spenglers Denken und seiner Fortwirkung zutreffend über die damalige politische Wirkung Spenglers: "Spengler had helped prepare the German mind for the extreme nationalism espoused by the Nazi regime with his long emphasis on Germany as a nation and a people with a unique [well: unique it was indeed!] and powerful destiny." ("Oswald Spengler's Uneven Legacy" - http://www.bayarea.net/~kins/AboutMe/Spengler/SpenglerDoc.html). Und ebenso ist auch dem Geschichtsstudenten Martin Cüppers zuzustimmen, wenn er in der Zusammenfassung seiner Hausarbeit "Das politische Konzept Oswald Spenglers. Untersuchung am Beispiel seiner Schriften ,,Preussentum und Sozialismus" (1919) und ,,Jahre der Entscheidung" (1933)" feststellt (http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/gea/10608.html): "Die Charakterisierung dieser Differenzen [zum Nationalsozialismus] als deutliches Merkmal von Widerstand gegen das NS-System, geht am eigentlichen Problem vorbei. Männer wie Spengler müssen, trotz gegenteiliger Interpretationsversuche, nach wie vor in die Verantwortung gestellt werden, dass ohne deren fortwährende antidemokratische und völkische Propaganda die Wahlerfolge der NSDAP und deren Durchbruch zur Macht kaum möglich gewesen wäre." Nun ja: Spengler "in die Verantwortung zu stellen" ist für ein primitiver 'Ex-Postismus': wohlfeile Verangenheitsbewältigung der Nachgeborenen. Aber seine Reden und Schriften jenseits moralischen Wertung, die von dem Wissen um den weiteren Fortgang der Geschichte nicht zu trennen ist, rein objektiv in einen Kausalzusammenhang mit dem politischen Durchbruch des Nationalsozialismus zu stellen: das ist schon korrekt.

Nachwirken Spenglers in der kulturphilosophischen Diskussion unserer Zeit, insbesondere in den anglophonen Ländern ...

13.  Jenseits dieser zeitpolitischen Dimension von Schuld (ohne Sühne) frage ich mich allerdings, ob Stockton nicht das gewissermaßen "unterirdische" Weiterleben von Spenglers kulturphilosophischem (nicht politischem) Gedankengut unterschätzt. Sowohl Francis Fukuyamas "End of History" wie auch Samuel Huntingtons "Clash of Cultures" lassen sich durchaus als zeitgemäße "Remakes" von zentralen Motiven aus Spenglers Ideenwelt verstehen. Der Nachweis von Ähnlichkeiten, Analogien und 'Vorgreiflichkeiten' (in Spenglers Werken auf die Vorstellungen von Fukuyama und Huntington) ist allerdings nicht identisch mit dem Nachweis einer "genetischen" Abhängigkeit. Fukuyama und Huntington könnten z. B. auch von Toynbee beeinflusst worden sein, oder aus noch anderen Quellen, deren Zusammenhang mit Spengler wiederum nachgewiesen werden müsste. Am einfachsten wäre es natürlich, die Herren Fukuyama und Huntington, so lange sie noch leben, mal zu fragen, ob sie Spenglers "The Decline of the West" gelesen haben, und ob und in welchem Umfang sie selbst sich davon beeinflusst fühlen. Wenn sie das bejahen, wird man davon ausgehen dürfen, dass es so ist. Verneinen sie es, könnte es immerhin noch sein, dass sie diesen Einfluss verdrängt haben (die Möglichkeit einer bewusst wahrheitswidrigen Darstellung klammere ich hier mal aus), oder dass er nur mittelbar wirksam geworden ist. Anscheinend ist aber noch niemand auf die Idee einer solchen direkten Fragestellung gekommen?
14.  Auf jeden Fall gibt es mehr, und fundiertere, anglophone als deutschsprachige Texte über Spengler im globalen elektronischen Kommunikationsnetz.

... und in Russland:

[Leonid Batkin in "REFLECTIONS ON A NON-EXISTENT DUALITY"  // Epstein: "From Culturology to Transculture": häufige und ganz selbstverständliche Erwähnung von Spengler]

Spenglers Rassismus

15.  Vom Ergebnis her betrachtet, können wir Spengler also einen historischen Persilschein nicht ausstellen. Allerdings, und das wollen wir Spengler vor dem Hintergrund des Holocaust positiv anrechnen, war er bei all seinem extremen Nationalismus ein dezidierter Gegner des Nationalsozialismus und insbesondere auch des nationalsozialistischen Rassismus. "Aber wenn hier von Rasse die Rede ist, so ist das nicht in dem Sinne gemeint, wie der heute unter Antisemiten in Europa und Amerika Mode ist ... . Rassereinheit ist ein groteskes Wort angesichts der Tatsache, dass seit Jahrtausenden alle Stämme und Arten sich gemischt haben, und dass gerade kriegerische ... Geschlechter von jeher gern einen Fremden sich eingegliedert haben, wenn er 'von Rasse' war, gleichviel zu welcher Rasse er gehörte" (S. 203 der dtv-Taschenbuchausgabe der "Jahre der Entscheidung" von 1961).
16.  Trotzdem war Spengler ganz gewiss kein Anti- oder auch nur Nicht-Rassist. Die Überlegenheit der weißen Rasse über die "Asiaten" und "Farbigen" (und innerhalb der Weißen Rasse die zumindest zeitgenössische Überlegenheit des deutsch-preußischen Wesens über den Rest der weißen Welt) dürfte ihm eine psychologische Grundgewissheit gewesen sein, und Zweiniger hält ihm – aus Nazi-Perspektive – zugute: "Es sei aber mildernd bemerkt, dass Spengler sonst fröhlich das Wort Rasse an unzähligen Stellen des Buches im nationalsozialistischen Sinne gebraucht". Die Geschichte insgesamt würde also Oswald Spengler auch in dieser Hinsicht sicherlich keinen Persilschein ausstellen.
17.  So ist es denn auch weder überraschend noch inkonsequent, wenn man bei manchen, die positiv an Spengler anknüpfen, entsprechende Einschläge findet. So schreibt z. B. Revoli P. Oliver in seinem Aufsatz "Oswald Spengler: Criticism and Tribute (http://www.ihr.org/jhr/v17/v17n2p10_Oliver.html), dass "no amount of decreeing by the Warren Gang (!) [US Supreme Court] will in the least change the laws of nature" [gemeint: Ungleichheit der Rassen, aber auch von Mann und Frau]. Dem entsprechend findet man heute auch einige Texte von Spengler auf ausdrücklich rassistischen Webseiten (http://library.flawlesslogic.com/1c.htm).
18.  Ähnliche Tendenzen finden sich auch in dem Buch "Twilight of the Evening Lands. Oswald Spengler A Half Century Later" von John F. Fennelly, das ich in New York gekauft und auch dort gelesen hatte und nach dessen Lektüre ich mir (auf Englisch, weil ich auch vom Umfeld her seinerzeit voll in der Sprache drin war) notiert hatte:
19.  "Fennelly does not redeem his promise to analyse and verify the predictions that Spengler has made. Anyhow, Spengler's predictions are rather vague, and the more concrete ones – like 'second religiousness' and 'age of Caesars' – are not scheduled for this time yet. For the most part, Fennelly criticises Spengler. Maybe with good reason, but mostly with even less evidence than Spengler gives for his statements. It seems that Fennelly takes the look on Spengler as an excuse to lay down his own (conservative) socio-political ideas." Allerdings soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass Fennelly (lt. Klappentext "an unusual combination of businessman and author") in seinen darstellenden und die Thesen Spenglers zusammenfassenden Kapiteln ("The Man", "The Main Theme" und "The Critics and Successors") vorzüglich ist. Hier könnte man mit den Augen Spenglers den "Tatsachensinn des großen Wirtschaftsführers" am Werk sehen, denn F. war "senior partner of [an] investment banking firm", und später deren "vice-chairman", sowie "director of numerous large industrial corporations".

Spenglers Denken: bleibt was, oder was bleibt?

20.  Es ist schon über 40 Jahre her, dass ich die "Jahre der Entscheidung" gelesen habe. Ich denke aber, dass Zweiniger in seiner Kritik die von ihm herausgegriffenen Inhalte nicht wesentlich verzerrt. Spengler war selbst in der Qualität seines kulturphilosophischen Denken "uneven", wie Stockton zu Recht schreibt; er war kein (Geschichts-)Wissenschaftler und hat sich auch nicht als Historiker, sondern als ein "Schauender" verstanden. Indes bestand seine Schau nicht selten darin, Sachverhalte begrifflich so zurecht zu biegen, zu verdrehen oder auch zu verschleiern, dass sie in sein Gedankensystem passten oder dessen innere Widersprüche verdeckt wurden.
21.  Es erscheint mir deshalb auch ziemlich müßig, sein Denken analytisch zu zerlegen und sich allzu ernsthafte Gedanken über die "Wahrheit" von Einzelaspekten zu machen. Insoweit sind nicht nur Spenglers Vorstellungen, sondern teilweise auch seine Tatsachenangaben nicht selten widerlegt worden (vgl. z. B. für einen sehr spezifischen Gesichtspunkt das Buch "Das magische Judentum. Eine Studie zu Oswald Spenglers 'Der Untergang des Abendlandes' " von Prof. Dr. J. Ziegler, Rabbiner in Karlsbad (Leipzig 1923).
22.  Man kann (und sollte vielleicht) sich von Spengler anregen lassen. Man darf sich allerdings von seinen vorzüglich formulierten und apodiktisch vorgetragenen Meinungsäußerungen nicht einfangen lassen. Wenn die Fachwissenschaft verbissen in der immer gleichen Mine nach dem Gold der Erkenntnis buddelt (um hier ein etwas abgewandeltes Bild des Kreativitätsforschers Edward de Bono zu verwenden), kann ihr ein Blick in Spenglers Hauptwerk zeigen, dass es auch andere, viel versprechende Claims gibt. Vielleicht es es hauptsächlich dieser Umstand, der den 'ollen' Spengler in Ländern mit größerem kreativen geistigen Potential als bei uns, also z. B. in den USA, noch heute (ein wenig) "populär" macht?

Zivilisationen als (gleichstufige?) Meta-Organismen

23.  Was man heute noch, jedenfalls im Sinne einer Arbeitshypothese, mitnehmen kann vom Spenglerschen Denken ist seine Vorstellung von Zivilisationen als Meta-Organismen. Natürlich waren die Zivilisationen nicht gegenseitig derart monadenartig abgeschlossen, wie Spengler das konstruiert: wo wären wir heute z. B. ohne die indische "Erfindung" der Ziffer "0"? Wo ohne Christentum und Antike? Trotzdem haben Zivilisationen zweifellos distinkte "Stile", die nicht nur in der Kunst wirksam sind. Und seine zeitgebundene Vorstellung von einer "Kulturseele" können wir heute biologistisch als "Kulturgene" oder, von der Informatik her gedacht, als "kulturelles Betriebssystem" verbildlichen. Er mag auch nicht der Erste gewesen sein, der solche Vorstellungen entwickelt hatte, aber jedenfalls hat er sie deutlich herausgearbeitet.
24.  Falsch ist allerdings seine Vorstellung, dass es keine Menschheitsgeschichte gibt. Eine derartige Annahme ist auch keineswegs zwingender Bestandteil einer Kulturkreislehre. Die Geschichte der Menschheit hat sich gewiss in Zivilisationen auskristallisiert; man könnte die Zivilisationen als "trial and error"-Konstruktionen des Lebens ansehen, die im Wettlauf um die optimale Bewältigung des Lebens stehen. In der Konsequenz einer solchen Sichtweise ist dann allerdings nicht mehr jede Zivilisation 'gleich weit zu Gott', was ihre Praxistauglichkeit angeht (die nichts mit einer moralischen Wertung zu tun hat). Technik heute ist eben nicht ein gleichwertiges Äquivalent der Technik der Antike, oder des alten Ägypten, auch nicht in ihrer jeweiligen Stellung (Funktion, Wertigkeit) innerhalb der Kulturen.

25. Die abendländische Zivilisation ist die erste, die nicht mehr auf einer breiten bäuerlichen Unterschicht aufbauen muss, die erste, die die ökonomischen Grenzen der relativ primitiven Agrartechniken aller früheren Zivilisationen gesprengt hat. Und die dem entsprechend Menschen für andere Aufgaben frei setzen kann. Die heutige mathematisch-wissenschaftlich bestimmte Technik ist nicht nur ein quantitativer, sondern vor allem auch ein qualitativer Sprung im Vergleich zu den von der Erfahrung bestimmten Techniken früherer Zivilisationen. "Wenn unter dem Eindruck dieses Buches sich Menschen der neuen Generation der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik zuwenden, so tun sie, was ich wünsche, und man kann ihnen nichts Besseres wünschen", schreibt Spengler in der Einleitung zum 1. Band seines Hauptwerkes "Der Untergang des Abendlandes" (S. 57 der Auflage von 1973 der Dünndruckausgabe im Beck-Verlag).

26.  Das eben ist der Unterschied: dass heute viele sein Buch und zahllose andere Bücher lesen können, d. h. dass sie dafür die Zeit, die Kaufkraft und die intellektuelle Schulung haben (u. a. weil die Technik des Drucken mit beweglichen Lettern erfunden und in der Kombination mit anderen Erfindungen weit entwickelt wurde). Diejenigen, welche sein Buch lesen, können sich der Technik, der Marine und der Politik (oder auch der Lyrik, Malerei und Erkenntniskritik) zuwenden, und müssen nicht vom Hahnenschrei bis zum Sonnenuntergang auf dem Feld ackern. Und selbst jene im historischen Vergleich relativ Wenigen, die heute noch Äcker bestellen, haben die richtige Art der Feldbestellung nicht bei der Arbeit, sondern auf der Fach- oder Hochschule gelernt, und haben abends, wenn sie vom Traktor gestiegen sind, noch die Zeit (und haben die intellektuelle Vorbildung) um sich gewissermaßen in die Uniform des Gelehrten werfen (wie weiland Niccolo Machiavelli auf seinem Landgut nach getaner Tagesarbeit in jene des Staatsmannes) und, zum Beispiel, Spenglers Werke zu lesen. Derartiges hat es, als "Massenphänomen", noch nie in der Geschichte gegeben.

(Übrigens hat auch Spengler in seinen letzten Jahren wohl gesehen, dass auch die Geschichte der Zivilisationen Teil einer als solcher zu verstehenden, sich beschleunigenden Menschheitsentwicklung ist. Diese Information entnehme ich John Reillys Besprechung des Buches "Prophet of Decline: Spengler on World History and Politics" von John Farrenkopf (Louisiana 2001) (http://pages.prodigy.net/aesir/prod.htm): "[Spengler says that] the latter High Cultures are more powerful and profound than the earlier ones, with the West reaching a maximum. Indeed, he says that the final phase of the West opens a fifth and final age of the whole human story. By its end, the physical environment of the earth could be seriously disrupted. Human populations could fall back to the sparse numbers of precivilization. The species could even become extinct. As Farrenkopf points out, what we see here is Spengler moving from qualfied pessimism to full apocalyptic." (Spengler als Umweltkassandra: erschreckende Vor-Aussichten?)

27.  Deshalb ist es auch kein Zufall, dass die abendländische Zivilisation sich, zumindest aber ihre Techniken, über den ganzen Globus ausgebreitet hat. Hier ist nun tatsächlich die frühere kulturelle Weiterentwicklung der Menschen im Rahmen von "Zivilisationen" aus diesem Rahmen herausgetreten. Ob wir heute glücklicher sind als die Menschen früherer Zeiten, oder ob wir (wie ich vermute) sehr bald nicht an innerzivilisatorische, sondern an umweltgegebene Grenzen stoßen werden, und dann quasi von außen wieder "zurückentwickelt" werden, sind ganz andere Fragen. Tatsächlich aber kann man insoweit durchaus von einem "Ende der Geschichte" sprechen, wenn man Geschichte als eine zivilisationsgebundene, als einen "Kampf der Kulturen“ versteht. Selbst wenn Islamisten "den Westen" bekämpfen, können sie das nur dann – relativ – erfolgreich tun, wenn sie sich der "westlichen" Technik bedienen. Rein abstrakt vorstellbar wäre es, dass z. B. die Islamisten das Rad der Geschichte zurück drehen, indem sie die wissenschaftlich-technischen Gesellschaften von außen oder von innen zerstören. Nicht vorstellbar erscheint mir aber, dass sie auf der Grundlage ihres eigenen zivilisatorischen "Betriebssystems" (oder ihrer eigenen "Kulturgene") (das Vorhandensein solcher prägenden Elemente und die Einheitlichkeit des "Islamismus" als Zivilisation mal unterstellt) die wissenschaftlich-technische Zivilisation weiter entwickeln könnten, "weiter" im Sinne einer noch umfassenderen Beherrschung der Natur, als das mit dem "intellektuellen Betriebssystem" der westlichen Zivilisation gelungen ist. Damit will ich nicht sagen, dass wir schon das Ende der wissenschaftlich-technischen Fahnenstange erreicht haben. Es ist auch durchaus denkbar, dass wir unser "intellektuelles Betriebssystem" gründlich überholen müssen, wenn wir weitere entscheidende Sprünge machen wollen. Nur sehe ich nicht, dass es eine konkurrierende "Zivilisation" auf der Welt gäbe, die insoweit aus ihrem "Betriebssystem" dazu Anstöße geben oder wesentliche Beiträge liefern könnte. Insoweit scheint mir tatsächlich "die Geschichte" zum Ende gekommen zu sein.

28.  Nehmen wir aber Spengler hinsichtlich seines organischen Denkens ernst und verstehen (auch) unsere Zivilisation als einen Meta-Organismus, könnten wir die Frage nach dessen möglicherweise inhärent beschränkten Lebensdauer aufwerfen. Allerdings bezweifle ich  dass die abendländische Zivilisation aus internen Gründen zusammenbrechen wird. Denn gegenwärtig sieht es eher danach aus, dass unsere Entwicklung durch die unbelebte Außenwelt beschränkt, beendet und vielleicht sogar wieder in den Rückwärtsgang gezwungen werden wird (Stichwort „Peak Oil“).

Alles fließt: Relativismus als Wesenselement des Spenglerschen Denkens

29.  Nun bin ich freilich ein wenig ins Schwätzen gekommen (steckt wohl an, der diesbezügliche Habitus meines Haupt-Diskussionsgegenstandes) und hätte es beinahe versäumt, jenen weiteren Aspekt im Denken Spenglers aufzuzeigen, der jedenfalls für mich von bleibendem Wert ist: der Relativismus, den er theoretisch ausformuliert. Auch da tut sich ein Widerspruch in ihm auf, denn seine Formulierungen sind meist apodiktischer Natur, haben suggestiven Charakter, beinahe den von religiösen Glaubensgewissheiten. Dennoch: "Eine widerspruchslose Einsicht in die letzten Gründe des Daseins [ist] uns nicht gegeben" sagt er. Und fährt fort: "Ein Denker ist ein Mensch, dem es bestimmt war, durch das eigene Schauen und Verstehen die Zeit symbolisch darzustellen. Er hat keine Wahl. Er denkt, wie er denken muss, und wahr ist zuletzt für ihn, was er nicht erfindet, sondern in sich entdeckt. Es ist er selbst noch einmal, sein Wesen in Worte gefasst, der Sinn seiner Persönlichkeit als Lehre geformt, unveränderlich für sein Leben, weil es mit seinem Leben identisch ist. ... So vermag ich den Kern dessen, was ich gefunden habe, nur als 'wahr' zu bezeichnen, wahr für mich, und, wie ich glaube, auch für die führenden Geister der kommenden Zeit, nicht wahr ' an sich' ". So steht es im Vorwort zur 33. – 47 Auflage des ersten Bandes seines "Untergangs", und dieser theoretische Relativismus (dem, wie gesagt, psychologisch eine von Zweifeln gänzlich ungetrübt Selbst-Gewissheit gegenüber steht) zieht sich durch das ganze Buch, indem die Kulturen hauptsächlich relativ zueinander gedeutet werden, d. h. als abgeschlossene Systeme mit funktionalen, aber nicht inhaltlichen, Äquivalenten.
30.  Dieser Aspekt wird vielleicht nicht hinreichend gewürdigt, "nicht so ernst genommen, wie er gemeint ist" (wie Spengler selbst in Bezug auf sein früheres Vorwort beklagt, wo er sein Werk als "nicht ohne inneren Widerspruch" bezeichnet hatte). Dass er aber in gewisser Hinsicht für Spenglers Denken entscheidend ist, zeigt sich schon an der Themenwahl seiner Dissertation. Deren Gegenstand war Heraklit, jener altgriechische, "dunkle" Philosoph, der nicht nur den Kampf (Streit, Krieg) als "Vater aller Dinge" bezeichnet, sondern auch das berühmte Wort "Alles fließt" geprägt hat.
31.  Man darf sich in diesem Kontext vielleicht auch an Spenglers ständiges Reden über "Heroismus, heroisch usw." erinnern. Spengler verwirklicht hier durchaus ein gewisses Maß an Heroismus insoweit, als er die Spannung zwischen seinem theoretischen Relativismus (den man auf der psychologischen Ebene wohl auch mit seinen starken Selbstzweifeln an seinem eigenen – gesellschaftlichen – Wert in Zusammenhang bringen kann) und seinem psychologischen Bedürfniss nach der Sicherheit eines Absoluten, wie es in seinen apodiktischen Formulierungen zum Ausdruck kommt, aushält. Darin sehe ich ein gewisses "heroisches" "Dennoch". Er hätte es sich ja auch leichter machen und seine Theorie als absolute Wahrheit "vermarkten" können.
32.  Auch über einen inneren Zusammenhang mit der Relativitätstheorie Einsteins lässt sich spekulieren, bzw. darüber, dass die ideengeschichtliche Konstellation jener Zeit gewissermaßen notwendig die Idee des Relativismus gleichermaßen in der Physik wie in der Kulturgeschichte ausbringen musste. Andererseits muss man sich aber des Risikos bewusst bleiben, dass sich unter der "Identität des sprachlichen Ausdrucks" eine "Heterogeneität kulturrelativer Begriffe" verbirgt, die man mit einem "substanzialisierenden Denken" zu verdecken riskiert (diese Zitate, von mir hier in einen anderen Zusammenhang gebracht, entnehme ich dem brillanten biographischen Spengler-Artikel (http://www.bautz.de/bbkl/s/spengler_o.shtml) von Martin Arndt in dem Werk "Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon" [das "mit über 20.000 Einträgen (lt. Wikipedia-Eintrag, abgerufen 08.05.2011) zu Gelehrten aus den Gebieten der Theologie, Geschichte, Literatur und Philosophie" auch sonst eine phantastische kostenfreie Netz-Ressource für bibliographische Informationen darstellt - http://www.bautz.de/]. Im Grunde relativiert ja bereits das Wort des Historikers Leopold von Ranke, wonach "jede Epoche ... unmittelbar zu Gott" ist, den Wert der Kulturen. (Zur Relativitätstheorie macht Spengler im "Untergang" übrigens Ausführungen, die mir jedenfalls von größerem Verständnis zu zeugen scheinen als das, was deren Gegner damals gegen Einstein vorbrachten.)
33.  Aus der Erscheinung eines bestimmten Phänomens innerhalb eines Kulturbereichs (also hier etwa des Relativismus in der Kulturphilosophie) lässt sich auch nicht automatisch folgern, dass diese Entwicklung aufgrund von zeitgleichen Beziehungen zu anderen Teilgebieten der Geschichte oder Geistesgeschichte erfolgt sein müsse und diese in einer gegenseitigen Wechselwirkung stehen. Der russischen Historiker (und Politiker) Leonid M. Batkin weist in seiner brillanten Studie: Die historische Gesamtheit der italienischen Renaissance. Dresden 1979 (bzw. Frankfurt a. M. 1981) darauf hin, dass die einzelnen Kultursphären ihre je eigene Entwicklungsgesetzlichkeit haben, die nur mittelbar mit den anderen Bereichen verknüpft ist.
34.  Leichte Lektüre ist das Werk von Batkin [hier eine akademische Würdigung seiner Person zum 75. Geburtstag im Jahr 2007] freilich nicht gerade: ich selbst hab' das Buch etwa zur Hälfte geschafft und dann kapituliert. Allerdings tröste ich mich mit dem Gedanken, dass das es den Fachwissenschaftlern ebenso ergangen ist. Wie anders soll ich es deuten, dass die Suche nach ["Leonid M. Batkin" Renaissance] ganze 259 Treffer einbringt, im Gegensatz zu 10.600 bei ["Peter Burke" Renaissance]? [Stand bei ursprünglicher Abfassung meines vorliegenden Artikels im Jahr 2005.] Die westliche Ignoranz russischer Wissens-Schaffe ist jedenfalls in diesem Falle ausgesprochen schädlich. Batkins "idealistische" Interpretation (schon insofern erstaunlich, als das Buch ja noch in der kommunistischen Epoche erschienen ist) aus der (damaligen) Sowjetunion bringt, soweit ich es verstanden habe, sehr viel tiefer schürfende Einsichten als die "materialistische" Interpretation des britischen Renaissanceforschers Peter Burke. Burkes Forschungsansatz könnte man insofern geradezu als "marxistisch" ansehen, als bei ihm 'das Sein das Bewusstsein bestimmt' (was ihn dazu motiviert, Statistiken über die Geburtsorte der Großen der italienischen Renaissancekultur zu erstellen, die in meinen Augen keinerlei relevante Einsichten in die Entstehung oder das Wesen der Renaissance generieren). Batkin dagegen geht von einer viel größeren Komplexität historischer Zusammenhänge aus, bei denen jeder Zweig der geistigen und künstlerischen Entwicklung einerseits gewissen Eigengesetzlichkeiten unterliegt, andererseits aber auch von den anderen Gebieten der geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung beeinflusst wird [erinnert irgendwie an Niklas Luhmann?]. Dabei muss dieser Einfluss nicht einmal zeitgleich erfolgen – (es kann also eine "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" vorliegen; zu diesem Begriff siehe hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Gleichzeitigkeit_des_Ungleichzeitigen). Hauptsächlich beschäftigt sich Batkin mit dem Humanismus und kommt (wenn ich ihn richtig verstehe), zu dem Schluss, dass dieser zwar inhaltlich keinen wesentlichen wissenschaftlichen Fortschritt gebracht, jedoch gewissermaßen das "Betriebssystem" (diesen Begriff verwendet er selbst allerdings nicht) installiert hat, durch dessen Anwendung die Wissenschaft im modernen Sinne dann ihre Erkenntnisse gewinnen konnte. In Denkmodellen dieser Art sehe ich einen "Link" zu Spenglers Vorstellung von einer "Kulturseele". Den aktuell beliebten Neuinterpretationen der Menschheits(nicht)entwicklung in kultureller und ökonomischer Hinsicht, wie sie z. B. David Landes ("Wohlstand und Armut der Nationen") oder Jared Diamond ("Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften") vertreten, zum Trotz waren es ja vielleicht doch nicht nur Mikroben und irgendwelche historischen Zufälligkeiten, sondern (auch) gesellschaftliche und geistige Strukturen, welche die westliche Zivilisation zur globalen Kultur prädestiniert haben.
35.  Mich selbst hat es überrascht, im globalen Informationsnetz sogar einen direkten Hinweis darauf zu finden, dass Leonid Batkin die Gedanken von Oswald Spengler nicht nur kennt, sondern ihnen ganz selbstverständlich (jedenfalls in einem bestimmten Zusammenhang) zustimmt. In einem Aufsatz unter dem Titel "REFLECTIONS ON A NON-EXISTENT DUALITY. Discoveries and illusions of an old liberal" schreibt er in der russischen Zeitschrift (oder e-zine) "New Times" im Jahre 2004 (Hervorhebung von mir):
36.  "However, remarkably and in a contradictory way, capitalism, while it was expanding, brought about, mostly in backward regions, some strange but as yet localised and relatively simple old social phenomena (“the “secondary serfdom” in East Europe, plantation slavery in the South in the US, the mafia in Sicily, Luddite riots in England, etc.). Let us call it the first, or the allergic reaction to the industrial phase. Next, the modernization that overlaid the archaic (that is, more or less traditionalist) structures coupled with the crisis situations generated by WW1, led to the most monstrous and explosive merging and union of both the archaic and the innovative in some countries (with advances in the fields of industry, transportation, information transfer and management, and in the end run in changes of ideology and politics). Oswald Spengler was very astute in describing the deformed fruits of the superficial Westernization as “pseudomorphosis”. That was how totalitarian regimes of all kinds originated. They are nothing but the paradoxical second, albeit much broader and terrible, reaction of some backward societies to the advance of Western civilization. World War II broke out. Fortunately, the two mightiest totalitarian regimes happened to be adversaries in it. Again Western civilization withstood it and soon became more or less global. The so called “West” took root in Japan and some other nations of the Far East, partially in Latin America, India, Turkey, and even Egypt." [Per 05.2011 ist der Artikel hier nur mehr käuflich zu erwerben, dort in der Waybackmachine aber noch gratis verfügbar.]
37.  Das russische Interesse an Spengler (und die zumindest bei Batkin erkennbare tendenziell positive Bewertung seiner Gedanken) lässt sich auch damit begründen und verstehen, dass der russische Kulturphilosoph Nikolai Danilevsky zumindest objektiv ein direkter Vorläufer von Spenglers Kulturkreislehre war. Allerdings hat Spengler Danilevskis Buch "Russland und Europa" wohl nicht gekannt; es wurde erst 1920 – als Folge des durch den "Untergang" generierten Publikumsinteresses an der Kulturkreisthematik – ins Deutsche übersezt (vgl. Fenelly, Twilight of the Evening Lands, S. 66 – 68; Informationen über Spenglers geistige Vorläufer z. B. auch bei Detlef Felken, "Oswald Spengler ...", S. 58 ff.; ausführlich dürfte dieser Aspekt abgehandelt sein in H. J. Schoeps: "Vorläufer Spenglers. Studien zum Geschichtspessimismus im 19. Jahrhunderts" Leiden 1955). Danilevskys Ideen ihrerseits lassen sich wiederum auf die deutsche intellektuelle Tradition zurück führen (s. dazu den Aufsatz "From Culturology to Transculture" von Mikhail Epstein -  http://www.emory.edu/INTELNET/tc_1.html; auch in seinem Aufsatz "Culture - Culturology – Transculture" beschäftigt sich der russisch-amerikanische Kulturphilosoph Epstein mit Spengler -  http://www.emory.edu/INTELNET/af.culturology.html; ein weiterer , diesmal amerikanischer Text , der sich mit Spenglers Vorstellung einer "Pseudomorphose", speziell im russischen Kontext, beschäftigt, hier: http://www.kcpost.net/RussianPseudomorphosis.htm).
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38.  Der Wert von Spenglers Relativismus liegt für mich nicht darin, alle Zivilisationen als gleichwertig anzusehen. Wie oben schon dargelegt, haben die Zivilisationen durchaus unterschiedliche Grade von innerer Differenzierung und äußerer Naturbeherrschung. Darüber, ob wir glücklicher sind als als die alten Römer, oder moralischer, wird man endlos streiten können. Unstreitig sind es aber ‚wir‘, die auf dem Mond waren, und nicht die alten Römer. Wir sind also auf jeden Fall fortschrittlicher.  [Zum Fortschrittsbegriff vgl. meinen Blott Fortschritt – real oder imaginär? Zum Essay "Die Fortschrittsillusion" von Prof. Eckart Voland (Spektrum der Wissenschaft, April 2007).] Doch kann der Relativismus uns wahrscheinlich dadurch zu einem sachgerechteren Verständnis von Tendenzen in unserer eigenen Zivilisation führen, dass man diese auf ihre Funktion, ihren Stellenwert innerhalb der Dynamik unseres ‚kulturellen Betriebssystems‘ hinterfragt, und sie nicht sofort nach dem Motto „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ sittlich sortiert. In dieser Weise habe ich z. B. versucht, die Frauenemanzipation in ihrer gesellschaftlichen Funktion nicht als als einen Fortschritt auf dem Weg zur Frauenbeglückung zu verstehen, sondern als Einbindung neuer Humankapitalressourcen in das Verwertungssystems des Realkapitals. (Blog-Eintrag Von der Atombombe zur Frauenemanzipation ...“). Derartige Betrachungsweisen stehen einer anders gearteten Beurteilung als „gut“ oder „schlecht“ nicht entgegen, sondern sind eine andere Dimension der Analyse. (Und aus dieser Perspektive wundert man sich dann auch nicht mehr, dass möglicher Weise die große Mehrzahl der Muslimas unsere Art von Frauenemanzipation gar nicht will).
[hier noch ausführen: Kräfte, Fernwirkungen, Interdependenzen, Vektoren (in unserer Zivilisation).]

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Können wir noch heute Erkenntnisse mit der Methode des 'morphologischen oder physiognomischen Schauens' gewinnen?

39.  Frank Elwell hat in einem Aufsatz "A Panoramic View of Society and Culture" einige hübsche Formulierungen über das Bleibende im Werk von Pitirim A. Sorokin gefunden, die sich problemlos auf Spengler übertragen lassen [meine Hervorhebungen]: "The work as a whole ... has a somewhat romantic cast: it presents a profusion of ideas and daring hypotheses, but lacks the poise, soberness, and careful marshalling of arguments that characterize the classical style. Such work is best approached by attention to its overall message and major contentions rather than by way of detailed criticism of particulars." Und: "Sorokin's 'romantic' contribution will have to be judged in the future not by any isolated concrete result of his investigation, but by the fruitfulness of the theoretical leads he has imparted to succeeding scholars. Viewed in this light, at least some of these leads may well survive, even if a number of his general contentions will have been swept aside."
40.  Aber auch methodologisch erscheint mir, bei allen berechtigten Vorbehalten, das eine oder andere von Spengler noch heute brauchbar. Seine "physiognomische" oder "morphologische" "Schau" ist zwar als solche keine Wissenschaft im strengen Sinne. Sie kann aber Fragestellungen in Bereichen thematisieren, die einer präzisen wissenschaftlichen Erfassung (zumindest: noch) nicht zugänglich sind. Nimmt man die Ergebnisse nicht als absolute wissenschaftliche Wahrheiten, sondern mehr im Sinne von Arbeitshypothesen, deren spätere Verifikation (bzw. Falsifikation) man sich nicht nur im Sinne eines intellektuellen Alibis, sondern im Sinne einer ständig präsenten Einwendung vorbehält, können sie uns vielleicht auf dem Weg zur Erkenntnis in ähnlicher Weise voran bringen, wie z. B. die (falsche) Phlogiston-Theorie im Ergebnis (in diesem Falle durch ihre Falsifikation) das Verständnis der Verbrennungs-Vorgänge voran gebracht hat.
41.  Wissenschaftlich im engeren Sinne ist ja nicht eine Idee selbst, sondern deren Überprüfung und Bewährung und deren Einordnung in einen systematischen Zusammenhang. Im Bereich der Geschichte versagen in aller Regel jene strengen Maßstäbe, nach denen die Denkgebäude der Mathematik und Naturwissenschaft organisiert sind. Und dort, wo selbst die Instrumente der wissenschaftlichen Geschichtsforschung (noch) nicht eingreifen, mag eine im Spenglerschen Sinne betriebene Geschichts-Gnosis legitim und weiterführend sein. Das muss ja nicht immer so in die Hose gehen wie in dem Buch "Die Zukunft in der Vergangenheit. Systeme in der historischen und biologischen Evolution" (München 1994), wo der Fachhistoriker August Nitschke wüste Analogiebildungen zwischen der Genentwicklung (über die er sich – insoweit äußerlich "wissenschaftlicher" erscheinend als Spengler - sehr detaillierte Kenntnisse angeeignet hat) und der Geschichtsentwicklung zieht (dabei u. a. auch magische Praktiken auf der gleichen Ebene wie reale Geschehnisse bewertet) und drei verschiedene Systemzustände unterscheidet, bei denen er die Menschheit gegenwärtig auf dem Weg zu einem "Donator-System" sieht (schön wär's ja, wenn man das wirklich glauben könnte!). Verglichen mit einem solchen Ansatz erscheint Spenglers "Untergang" geistig denn doch weitaus disziplinierter in der Analogiebildung.
42.  In gewisser Weise kann man Spengler vielleicht als Vorläufer der heutigen (geschichtsbezogenen) "Systems Research" ansehen (vgl. z. B. hier: http://faculty.washington.edu/modelski/history.html, oder die Linkseite davon: http://faculty.washington.edu/modelski/links.html). Diese Richtung hat einen wissenschaftlichen Kongress an der Universtität Lund abgehalten, wobei die Vorträge der Redner auch ins Netz gestellt wurden (http://www.humecol.lu.se/woshglec/, darin die Menüpunkte "Abstracts" und "Papers"). Einer von den (leider bisher nur wenigen) Beiträgen, den ich gelesen haben, war von Jonathan Friedman verfasst und trägt den Titel "On not learning from history : The lilliputian life worlds of global systems" (http://www.humecol.lu.se/woshglec/papers/friedman.pdf). Nicht ganz so krass wie bei Nitschke haben wir es auch hier mit Analogiebildungen zu tun (zwischen der "Globalisierung" in der Welt des Hellenismus und der heutigen Globalisierung), die – auch im Vergleich zu Spengler - nur als oberflächlich bezeichnet werden können (und deutlich von politischem Handlungsinteresse inspiriert zu sein scheinen).

(Was) habe ich Selbst von Oswald Spengler gelernt?

43.  Auf einer sehr abstrakten Ebene können wir mitnehmen bzw. habe ich persönlich mitgenommen, den kulturphilosophischen 'Rundschlag' Spenglers als eine Ermahnung zum "vernetzten Denken" (ein Begriff von Frederic Vester).
44.  Das wird sichtbar z. B. in meinem Aufsatz (beinahe schon ein Buch) "Rentenreich" bei der Untersuchung der Implikationen einer Umstellung der Rentenfinanzierung vom Umlageverfahren auf das Kapitaldeckungsverfahren. Die (sehr breite) gesellschaftliche und fachwissenschaftliche Diskussion läuft in aller Regel unter dem Aspekt unveränderter Umweltbedingungen und insbesondere einer unverändert guten Ressourcenversorgung. Sowohl die Umweltbedingungen überhaupt als auch – und ganz besonders – die Ressourcenversorgung werden sich voraussichtlich in recht kurzer Zeit sehr drastisch verschlechtern. Unter dieser Bedingung ist das Kapitaldeckungsverfahren gerade dann, wenn es ökonomisch (zunächst) erfolgreich ist (d. h. unsere Wirtschaft auf einen höheren "Wachstumspfad" führt, was allerdings schon aus anderen Gründen eher zweifelhaft erscheint), letztlich sogar schädlich. Wir würden dann nämlich "sparen", indem wir die "Naturspardose" noch ein wenig schneller plündern, als das schon jetzt der Fall ist. Somit ginge es unserer Wirtschaft und Gesellschaft gerade dann, wenn wir die Erträge aus unseren Ersparnissen brauchen, noch schlechter, als wenn wir nicht zusätzlich gespart (d. h. investiert) hätten.
45.  Diese Thematik hat mit Spengler nichts zu tun (außer insoweit, als Spengler dazu vermutlich angemerkt hätte, dass wir gar nicht anders können, als die Natur beschleunigt zu zerstören), zeigt aber, wie wichtig es ist, gelegentlich aus dem 'Tunneldenken' (z. B. der Nationalökonomen) heraus zu kommen ("Denken, wie die Webervögel Nester bauen", habe ich den vertunnelten Denkstil in meinem Essay "Rentenreich" genannt).
46.  Dagegen lernt, wer Spengler (richtig) liest, Fragen zu stellen, die man sonst vielleicht gar nicht, oder nicht in dieser Weise formuliert hätte. Die Funktion gesellschaftlicher Erscheinungen im Rahmen eines zivilisatorischen Entwicklungsschemas rückt dann in den Mittelpunkt des Interesses.
47.  Beispiele: Der "Feminismus" bzw. die Frauenemanzipation (und aktuell die Einführung und Verschärfung von Rechtsnormen gegen rassische usw. Diskriminierung) etwa erscheint dann nicht mehr unter dem Aspekt "gut" oder "schlecht" (bzw. "falsch" oder "richtig"), sondern als eine (zwangsläufige) gesellschaftliche Entwicklung, die nicht die Befreiung Beglückung der Betroffenen zum "Ziel" hat (was nicht ausschließt, dass diese sie als positiv wahrnehmen), sondern eine wie auch immer geartete Funktion innerhalb unserer Kultur (z. B. könnte ich mir eine optimale Nutzung des Humankapitalpotentials als tatsächliche Triebkraft und eigentliche 'Zweckursache' vorstellen. [s. a. oben Ziff. 38]
48. Ähnlich schlage ich (im Sinne einer Arbeitshypothese) vor, das organisierte Verbrechen (Mafia) in Sizilien / Süditalien nicht als ein Aufbegehren gegen jahrhundertelange (angebliche) Fremdherrschaft zu verstehen, sondern ein Relikt der dortigen uralten "Zivilisation" (den Begriff hier im Spenglerschen Sinne verstanden).

Die "Debatte" Spengler – Zweiniger als "Prägfiguration" der heutigen Globalisierungs- und Sozialstaatsdebatte

49.  Oswald Spengler war als Mensch keine Lichtgestalt. Das können wir z. B. im Tagebuch seines Freundes Friedrich Percyval Reck-Malleczewen nachlesen, dass unter dem Titel "Tagebuch eines Verzweifelten" veröffentlicht wurde. Die einschlägige Passage findet sich hier in der "Waybackmachine".
[Vgl. jetzt auch Botho Strauß, Spengler persönlich, FAZ.net vom 17.08.2007, über Spenglers damals u. d. T. Ich beneide jeden, der lebt: Die Aufzeichnungen ‚Eis heauton‘ aus dem Nachlaß erschienene Tagebuchnotizen.]
50.  Kleine und etwas größere menschliche Schwächen lassen wir hier beiseite (obwohl deren Lektüre das übliche voyeuristische Vergnügen bereitet, bei Prominenten hinter die verschlossenen Türen schauen zu können). Wesentlich für Spenglers politische Entwicklung zwischen 1919 (Buch: "Preußentum und Sozialismus") und 1933 (Buch: "Jahre der Entscheidung") scheint mir die Information (und die Bewertung) zu sein, die der Tagebuchautor Reck uns über den sozialen Aufstieg Spenglers gibt:
51.  "Sein [also Spenglers] Verhängnis war, dass er, mitten in seiner Bahn, in Abhängigkeit von der schwerindustriellen Oligarchie geriet und dass diese Abhängigkeit mit der Zeit auch sein Denken zu beeinflussen begann. ... Seine Schüler haben ihn in dem Augenblick verlassen, wo er , um 1926 herum, seinen Frieden mit der deutschen Gegenwart machte: nicht etwa mit den Nazis ..., wohl aber mit jenen berittenen Kaufleuten von der Ruhr, die nach dem Sturz der Monarchie sich zu den eigentlichen Herren im Staate gemacht hatten und die Spenglers Sehnsucht nach patrizischer und auch hedonistischer Lebensführung bereitwillig entgegen kamen. Die Schwungkraft jenes Geistes, dem wir die Visionen seines ersten Werkes verdanken, war gebrochen in dem Augenblick, wo die Raben ... nicht die des heiligen Antonius, sondern die der Herren Thyssen und Hoesch, seinen Tisch mit schweren Burgundern zu beschicken anfingen."
52.  Das also können wir auch von Oswald Spengler lernen (in diesem Falle nicht aus seinen Lehren, sondern von seinem Lebenslauf): dass wir uns nicht vom diskreten Charme der Bourgeoisie einfangen lassen. (Andererseits ist freilich die Gefahr, dass die Bourgeoisie etwa mich zu ködern versuchen wird, wohl eher als gering einzuschätzen.)

Wirtschaft, Globalisierung, Sozialleistungen.

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Ein Spengler-Nekrolog von 1936

Nicht so negativ wie die (anderen) Nazis (s. b. Reck)

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Fremde und eigene Gedanken über und zu Oswald Spengler

53.  Die Art und Weise, wie ich zur Lektüre von Spenglers Hauptwerk "Der Untergang des Abendlandes" kam, war berichtenswert kurios. Mein Vater konnte recht gut singen und hatte in den 1920er Jahren in Weimar an der Musikhochschule Gesang studiert. Bafög war damals nich, also musste er sich als Werkstudent durchschlagen und musizierte mit einer Band bei den Geselligkeiten der Bourgeoisie. Dort war "Spengler" offenbar das große Thema, aber entweder hatten die Diskutierenden den "Untergang" gar nicht gelesen, oder (wahrscheinlicher) hat mein Vater den Inhalt der Gespräche nicht so recht mitbekommen (verständlich, weil er dort ja schaffen musste!). Jedenfalls hielt er das Werk für einen spannenden Roman.
54.  Hätte ich gewusst, dass dieser schon äußerlich gewichtige Wälzer (bzw. damals waren es in einer alten Ausgabe sogar –2- Wälzer) auch inhaltlich keine leichte Kost ist, hätte ich es sicher nicht aus der Bielefelder Stadtbücherei ausgeliehen und mich – als Schüler noch – durchgequält. Verstanden habe ich bei dieser ersten Lektüre wohl nicht allzu viel. Später hattee ich mir von meinen Arbeitskollegen die schöne Dünndruck-Ausgabe des Beck-Verlages zum Geburtstag schenken lassen und das Werk noch einmal tapfer durchgeackert.

Spengler-Literatur, gelesene

55.  Auch einige Bücher von ihm und über ihn, nicht alle gelesen, kamen dazu, z. B. die Briefe und die Biographie von Anton Mirko Koktanek: Oswald Spengler und seine Zeit (Beck Verlag., 1968). (In diesem Band fand ich jetzt mein Schreiben vom 19.09.98 an die Stadtverwaltung Blankenburg wieder, in dem ich das Fehlen eines Hinweises an dem Nachfolgehaus seines Geburtshauses und die fehlende Erwähnung in den Stadtprospekten moniert hatte. Erst für das Jahre 1999 hatte die Stadt, klammkassengeplagt, die Anbringung einer Gedenkplakette geplant.
56.  Also: Reisender, kommst du nach Bad Blankenburg, so verkünde mir von dorten, ob die Plakette inzwischen angebracht ist!
57.  Hermann Lübbe (s. u.) charakterisiert Koktaneks Biographie liebevoll-prägnant: "Aus zugewandter Distanz hat Koktanek, der sich als Biograph Spenglers seinem Helden in bewunderungswürdiger Weise gewachsen gezeigt hat ... . Vor dem Hintergrund solcher Züge, die Koktanek eher mit freundlichem Verständnis für Scnwächen als mißbilligend biographisch gezeichnet hat ... ."
58.  20 Jahre später erschien, wiederum bei Beck (der Verlag tut wirklich was für seinen Autor, und ich glaube nicht, dass das nur, oder sogar überhaupt, kommerzielles Kalkül ist) von Detlef Felken, "Oswald Spengler. Konservativer Denker zwischen Kaiserreich und Diktatur. Ich hatte mir nach der Lektüre vermerkt: "Geht im Grunde wenig über die Biographie von Koktanek hinaus. Wenn es zutreffen sollte, dass Spengler für uns heute nicht mehr aktuell ist, ist auch das vorliegende Buch allenfalls für Gelehrte interessant. Es fällt auf, dass Felken sich an keiner Stelle mit Spenglers Frage nach der 'Bedeutung' historischer (Oberflächen-)Prozesse auseinander setzt. Ob nicht gerade in den diesbezüglichen Überlegungen Spenglers (dem Grunde, nicht unbedingt den Inhalten nach) neue Wege für die historische Forschung aufgezeigt werden?"

Sammelband: "SPENGLER HEUTE. Sechs Essays ...", herausgegeben von Peter Christian Ludz, erschienen 1980 im Beck-Verlag.


59.  Zu dem Vorwort von Hermann Lübbe hatte ich mir "brillant" notiert. Dies im Kern deshalb, weil er den Texten Spenglers mit einer souveränen eigenen Perspektive – eine unbefangene Re-Vision ohne Devotion gegen Spengler oder gegen bundespolitische Pflichtüblichkeit - gegenüber tritt und nicht – wie manche andere das tun – ihre konkreten Inhalte sozusagen 'gewissenhaft abarbeitet' oder sich an der Frage abmüht, ob und was wir davon aus den Trümmern des Reichs-Untergangs in unsere Zeit hinüber retten können.

60.  Deshalb hier einige Zitate (Hervorhebungen von mir): "Die Psychodynamik seiner Texte schlägt auch heute noch durch. Effektvolle Formulierungen provozieren zu der Aktivität, sie am Buchrand mit Ausrufungszeichen herauszustreichen. Zugleich verlangt der Stil kein ablenkendes ästhetisches Sonderinteresse, und eine lesepsychologisch günstige Redundanz der Texte hält ihr Publikum von den Belastungen einer angestrengten Daueraufmerksamkeit frei." [Nun ja, einlullen lassen sollte man sich nicht von Spenglerscher Sprachgewalt; ein wenig Raubtierspannung ist gegenüber seinen Sirenentönen schon angebracht.] Über Spenglers Stellung im Kontext des Nationalsozialismus formuliert Lübbe mit historischem Abstand: "Es ist ... banal zu sagen, dass Spenglers Philosophie in die ideologische Vorgeschichte des Nationalsozialismus hineingehört und dass unser praktisches Urteil über diesen unser Urteil über die praktischen Urteile Spenglers zwangsläufig mitbestimmt. Aber was in dieser Hinsicht zu sagen war, hatte seine Aktualität in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland." Im Inhalt hält Lübbe nicht die Form-verstehende, sondern die Form-gebende Dimension für wesentlich, und auch heute noch interessant: "Es ist evident, dass das kognitiv interessierte Subjekte in solchen lunatischen Sätzen ['physiognomische Prägnanz des abendländischen Erlebens als Äquivalent zum unsagbar durchsichtigen und logischen Aufbau der ägyptischen Geschichte' usw.] Sinn nicht zu entdecken vermöchte. Sinn gewinnen diese Sätze, sobald man sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Qualität betrachtet, die sie geeignet macht, orientierungsverunsicherte Subjekte in jene 'abendländische Seele' einschwingen zu lassen und durch lektürevermittelte Partizipation an ihrer 'physiognomischen Prägnanz' zu restabilisieren. [Man könnte bei derart fingerspitzig formulierten Sätzen Lübbes auf die Idee kommen, dass da Ironie im Spiel ist. Der Folgesatz scheint mir aber doch auf ernsthafte Analyse hinzudeuten:] "Kein Zweifel: wer Spenglers historizistische Rhetorik als pseudogeschichtswissenschaftliches Geschwätz klassifizierte, verfehlten ihr Genus und machte sich unfähig, die außerordentliche Sensation zu verstehen, die sie waren. Im bewusstseinsmobilisierenden Arrangement von temporal und regional weltumspannenden Analogien ist Spengler ein publizistisches Genie ungewöhnlichen Ranges. Wenn man sich auf die Intention seiner Texte wirklich einlässt – politische Existentialisierung des Bewusstseins durch Eröffnung globaler Düster-Perspektiven mit der Provokation einer zu sich selbst entschlossenen Tat-Bereitschaft -, dann ist Bewunderung  für Spenglers literarische Effizienz und schriftstellerische Durchschlagskraft die zugleich angemessene und unwiderstehliche Reaktion. ... Schwätzt nicht, lautet die Botschaft dieser Geschwätzigkeit, sondern wappnet euch in schicksalsbereiter Entschlossenheit zu euch selbst für die kommenden Dinge. ... Niemals hätte Spengler die erstaunlichen Massen seiner historischen Analogiebildungen in der Absicht der Beschwörung eines Bildes der zivilisatorischen Endphase europäischer Kultur literarisch aufzuhäufen vermocht, wenn er sich im Fluss seiner Sätze von Bedenklichkeiten über ihre methodologische Validität hätte hemmen lassen. Die pragmatische Disziplin, der seine Produktion gehorcht, ist nicht die der Epistemologie, sondern die der literarischen Prophetie ... . [Und doch sehe ich, im Vergleich z. B. mit einer Geschichtsdeutung im Stil von August Nitschke (s. o.) eine gewisse Art von geistiger Disziplin – literarischer Disziplin, meinetwegen - in Spenglers Denken wirken, auch wenn bei ihm die Fakten gelegentlich verschwimmen und nicht immer der Gedanke die Worte, sondern manchmal die Wucht der Worte den Gang der Gedanken zu tragen scheint.] Es bliebe also vergeblich, die Erschütterungen, die Spengler beim lesenden Publikum auszulösen vermochte, nach Analogie der Erschütterungen verstehen zu wollen, die Kopernikus und dann, ereits schwächer, auch noch Darwin mit der aus kognitiven Innovationen sich ergebenden Zumutung bewirkten, Systeme der Weltorientierung revolutionär umbauen zu sollen. Spenglers Philosophie wirkt nicht durch umwälzende Neuerungen auf der cognitiven Ebene, sondern durch seine singuläre Kraft literarischer Expression einer zivilisatorischen Befindlichkeit. [In gewissem Sinne bestätigt Lübbe also Spenglers Ausdruck, dass seine Philosophie der Ausdruck dessen sei, was dunkel von allen gefühlt wird.] Spenglers Philosophie ist das Dokument einer sich verschärfenden Selbstdistanzierungstendenz der technisch-industriellen Zivilisation. Sie informiert nicht, sondern drückt die Ambivalenz im kulturellen Selbstgefühl ihres Publikums aus und intensiviert, was sie ausdrückt, durch die literarische Intensität ihres Ausdrucks. ... Es bedurfte schon einer ausgeprägten Verblüffungsfestigkeit, um gegen die Reize solcher Expressionsliteratur unempfindlich zu bleiben.“
61.  Mehr deskriptiver Natur ist in diesem Band "SPENGLER HEUTE" der Beitrag von Tracy B. Strong "Oswald Spengler – Ontologie, Kritik und Enttäuschung". Jedoch formuliert auch Strong einige bemerkenswerte Einsichten. Als einen "wichtigen, aber ... verantwortungslosen Schrifsteller" bezeichnet er ihn (S. 77) und fordert uns auf, "hinter die offenkundigen politischen Intentionen, die Spengler gehabt haben mag, zu schauen und herauszuarbeiten, warum sein Werk als ganzes ernst genommen und nicht einfach als der in eine rationale Form gegossene Ausdruck der Verzweiflung eines Volkes abgetan werden kann" (S. 77). Ob es nur "semantische Strukturen [sind], die als Handlungskategorien anzusehenden Kategorien einer bestimmten Kultur determinieren", und insbesondere ob das der Auffassung von Spengler entspricht, halte ich eher für zweifelhaft. Eine solche Aussage hätte Spengler vermutlich als zu "oberflächlich" verworfen, da er die "Kulturseele" ja aus der Geographie, nicht aus der Sprache erwachsen sah. Der Gedanke ist trotzdem interessant und sicherlich kommt diesen Strukturen eine große Bedeutung zu. Zutreffend ist sicherlich die Folgerung, wonach "unsere Kultur ... nicht nur das [gestaltet], was wir wählen, sondern auch das, was zur Auswahl steht" (S. 85). Strong stellt richtig fest, dass "Spengler ... nicht, wie ihm so oft vorgeworfen wird, 'in Analogien' denkt [,dass ihn] ... nicht die Analogie als solche interessiert, sondern die Tatsache, dass Analogien eine 'organische Struktur' bloßlegen können" (S. 86). In der Tat geht es Spengler nicht um Analogien, wie beispielsweise Platos Gleichsetzung von wilder Musik mit wildem Volk bzw. sanfter Musik mit sanftem Volkscharakter [es fällt gewiss schwer sich vorstellen, dass ein Volk Schuberts "Deutsche Messe" hören, aber eine reibungslose Vernichtungsmaschine für Millionen wehrlose Angehörige des eigenen Volkes – und anderer Völker – aufbauen kann.]. Die Feststellung des Spenglerschen Desinteresses an Analogien darf man wohl umformulieren zu der Feststellung, dass er stattdesen nach 'funktionalen Äquivalenzen' innerhalb der jeweiligen Kulturen sucht. Seiner Intention nach (ob er das in der Praxis immer konsequent durchgehalten hat, wäre gesondert zu untersuchen) sucht der Kulturen/Zivilisationen als Systeme zu verstehen und darin wiederum Substysteme zu identifizieren, welche funktional gleich-wertig sind, d. h. den gleichen Stellenwert innerhalb ihrer jeweiligen Kultur haben. (Interessante Frage, ob dabei seine Ausbildung als Mathematiker und der mathematische Begriff von "Funktion" eine Rolle gespielt haben könnte).
62.  Wichtig hervorzuheben scheint mir auch Strongs Aussage, dass bei Spengler das, "was sichtbar ist, ... niemals das [ist], was gemeint ist. Die Aufgabe des Denkens liegt in der Enthüllung und im Herausheben; es gilt zu eigen, was etwas wirklich 'meint', nicht, was es wirklich 'ist'. ... Für Spengler ist alles, was sichtbar ist, bloße Erscheinung, der wahre Sinn [ob man hier nicht den Begriff "Sinn" durch "Funktion" ersetzen sollte?] bleibt verborgen" (S. 87). "Spengler hat zweierlei Traditionen die Hand gereicht. Paradoxerweise ist er sowohl ein unbeugsamer Realist wie auch ein Mystiker" (S. 88). Für Tracy B. Strong (wie auch für mich) "ist klar, dass er seine Arbeiten für wissenschaftlich objektiv gehalten hat" (S. 93).

63.  Gilbert Merlio schreibt einen besonders interessanten Aufsatz über "Spengler und die Technik".
Kritisch äußert er sich über Spenglers Verallgemeinerung des Zivilisationsbegriffs auf alle Kulturen: "Hingegen scheint diese allgemeine Diagnose [Weltstädte, Vermassung, Imperialismus, Genusssucht, Materialismus und Utilitarismus], die für alle untergehenden Kulturen gültig sein soll, jedoch kaum in der Lage zu sein, über den ungeheuren technischen und industriellen Aufschwung unserer Zivilisation Rechenschaft zu geben. Deshalb neigt man zu der Frage, ob der relativistische, antifortschrittliche Rahmen seiner Geschichtsmorphologie Spengler nicht daran gehindert hat, der Technik den gebührenden Platz im 'Untergang des Abendlandes' einzuräumen. Denn kann man wirklich, zumindest auf diesem Gebiet und trotz einiger Rückfälle, das Wirken eines kontinuierlichen, kumulativen und weltumfassenden Fortschritts leugnen? Als Spengler 1931 das Thema der Technik wieder aufgreift, hat sich ... seine Geschichtsphilosophie etwas gewandelt. ... Auf diese Weise [unter dem Einfluss von Frobenius] neu konzipiert, scheint die 'Weltgeschichte' jetzt einen gewissen Fortschritt aufzuweisen" (S. 100/101).
Hier weiter (S. 102 ff. von "Spengler heute")
(vorerst aufgehört: 15.10.05
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Spengler im Internet

64.  Nicht extrem zahlreich, aber immerhin doch vorhanden, sind im Internationalen Verständigungsnetz [um den schon vorhandenen sprachpatriotischen Varianten des Begriffs "Internet" mal eine weitere hinzuzufügen] eine ganze Reihe von Informationen über und Kommentaren zu Oswald Spengler greifbar. Wie in vielen anderen Bereichen führen auch (bzw. in diesem Falle müsste man eher sagen: "sogar") hier die anglophonen Seiten quantitativ und sind großenteils auch qualitativ sehr gut.
65.  Hier die (fortlaufend durchnummerierten) Links in der Reihenfolge (jeweils innerhalb der Sprachen):

I. Texte von Spengler 

II. Texte über Spengler

1.      

 

A. Wikipedia-Lexikonartikel

1.  

 

B. Sammelwerke      

1.

 

C) Einzelautoren (alphabetisch nach Autor):


  

C1)  Deutschsprachige Texte

  1.   Bienefeld, Hans Jürgen, hat den Zusammenhang zwischen dem Werk Spenglers und der zeitgenössischen Kunstgeschichte untersucht. Zumindest in Vortragsform liegt ein Text online vor: "Physiognomischer Skeptizismus. Oswald Spenglers 'Morphologie der Weltgeschichte' im Kontext zeitgenössischer Kunsttheorien". Eine unbedingt beachtenswerte Blickperspektive auf Spenglers Werk.
  2. Brune, Hubert: Sehr umfangreiche Ausführungen auf der Webseite von Hubert Brune. Da ich mich noch nicht intensiv damit beschäftigt habe, ist mir eine Beurteilung nicht möglich.
  3. Hetzel, Andreas: Auf der Webseite der philosophischen Zeitschrift "sic et non" steht ein knapp 300seitiger Text "Ästhetische Welterschliessung bei Oswald Spengler und Walter Benjamin" online. Ich habe diesen Text noch nicht gelesen und kann ihn deshalb nicht beurteilen.
  4. Lisson, Frank (hier seine Homepage):  "Philosophie schlägt Politik – Über den mißachteten Spengler". Eine kurze aber scharfsichtige, liebevoll-kritische Beurteilung des politischen Spengler (und seiner Leser) sowie eine Darstellung seiner philosophischen Wende im Alterswerk, das Spengler allerdings nicht mehr systematisiert hat / systematisieren konnte.
  5. Lisson hat (schon im Jahr 2005) auch ein Buch über "Oswald Spengler : Philosoph des Schicksals" verfasst, das ich allerdings nicht gelesen habe und für das bei Amazon noch keine Kundenrezensionen eingestellt sind. (Wenn ich aber hier - im Klappentext? - lese: "Lange Zeit verdrängte Oswald Spengler (1880-1936) die Gegenwart und träumte sich lieber in fremde, vergangene Welten", oder in dem vorgenannten Aufsatz über den 'missachteten Spengler' das Zitat »Meine  Zeit  ist  das  Rokoko; da bin ich zuhause«, dann muss ich als 'Schwanbürger' natürlich unwillkürlich an König Ludwig II. von Bayern denken: ebenfalls ein Träumer, der sich in die Zeit des Rokoko (bzw. des Barock) zurücksehnte. Jedenfalls hat - zurück zu den Rezensionen! - Carl Antonius Lemke Duque das Buch auf dem geisteswissenschaftlichen Portal "H net online" (kurz) besprochen. Hier eine Rezension von Daniel Bigalke, der kritisch anmerkt, dass sich das Buch "an entscheidenden Stellen zu explizit und zu merklich an dem Buch Koktaneks von 1968" orientiere".
  6. Weißmann, Karlheinz: berichtet hier über eine Kranzniederlegung am Grabe Oswald Spenglers zu dessen 75. Todestag am 07.05.2011.


C2)          Englischsprachige Texte

  1. McInnes, Neil: The Great Doomsayer: Oswald Spengler Reconsidered (erschienen im Sommer 1997 in der Zeitschrift "The National Interest" und auf deren Webseite wie auch bei "findarticles" zu erreichen). In diesem relativ langen und hochgradig informationsverdichteten Aufsatz entfaltet McInnes ein weites Panorama der Wirkungsgeschichte von Gedanken, die man (nur oder auch) bei Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" (engl.: "The Decline of the West") findet. Unbedingte Leseempfehlung ("must read") für alle Spengler-Interessierten!


C3)         Sonstige Sprachen

1.     Dufresne, Jacques: Oswald Spengler ou les dernières heures de la civilisation faustienne (über S.s Buch "Mensch und Technik"): uninteressant; weitgehend nur referierend.
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Spenglerianer in der Politik

  1. 05.03.2012: Sehr spenglerisch klingt es für mich (jedenfalls sofern man den Hinweis auf das Christentum ausblendet), wenn ich in dem gestrigen FAZ-Interview "Es gibt ein verborgenes Europa" mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban lese (meine Hervorhebung): "Ich weiß nicht, ob ich darauf etwas antworte, wofür ich in Deutschland eins auf die Rübe bekomme. Aber da Sie die Geschichte erwähnen: Die Weltkriege können natürlich als Kriege zwischen den Nationen gesehen werden. Ich befürchte jedoch, dass die Tragödie größer ist. Das war der innere Bürgerkrieg unserer Zivilisation. Die Zivilisation ist dabei dermaßen verwundet worden, dass uns das vielleicht zugrunde richten wird. Die demographische Wirkung ist eindeutig, die Folgen der wirtschaftlichen Verwüstung sind eindeutig. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist den Europäern die Gestaltung der Zukunft aus der Hand gerutscht - nach Osten und nach Westen."

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Nachtrag 09.05.2014
 

Gestern (also an seinem Todestag) habe ich mit meiner Frau das Grab von Oswald Spengler auf dem Münchener Hauptfriedhof besucht. Vgl. dazu den bebilderten Blott "Am 8. Mai war alles vorbei" in meinem "Schwanbürger"-Blog.


Nachtrag 25.06.2014
 

Zufallsfund im Netz: Die Universität Innsbruck organisiert(e) in diesem Jahr (an zwei Orten, in Rumänien und in Deutschland) zwei Tagungen über "Oswald Spengler in universalhistorischer Perspektive".



Textstand vom 09.07.2020
Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm. Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

3 Kommentare:

  1. Zur „deftigen“ Sprache Spenglers in seinen Büchern:

    Eine solche Sprachform war damals im gesamten Westen üblich (im englischen Sprachraum war sie zwar auch auf für sie typisch moderne Weise durch das „cant“ ein wenig eingeschränkt, aber ansonsten genauso deftig wie in den anderen westlichen Sprachen). Was bei einer „offiziellen“ „Kritik“ auffällt, ist das, was bei den heutigen Medien sowieso auffällt: es werden Sprachformen aus dem geschichtlichen, kontextuellen und textuellen Zusammenhang gezogen, um sie als irgendwie „extrem“ oder irgendwie „feindlich“ anprangern zu können.

    Ich gebe nur zu bedenken, daß sehr viele Autoren, die heute immer noch als irgendwie „heilig“ zu gelten haben, Spengler recht gegeben haben und nie auf die Idee gekommen wären, ihm eine im obigen Sinne negative Sprachform zu unterstellen, weil zu der Zeit immer noch klar war, daß das normal war.

    Auch war es damals überall im Westen normal, über Eugenik und Rassenhygiene öffentlich zu diskutieren (vor allem gerade auch in den englischprachigen Ländern), was Spengler noch nicht einmal getan hat, auch darum nicht, weil er z.B. Rasse nicht biologisch, sondern kulturell verstand und definierte (Hinweise darauf in mehreren seiner Bücher, besonders aber in dem 1933 erschienen Buch „Jahre der Entscheidung“.

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  2. Danke auch für den Hinweis auf die 2014 erfogte Tagung „Oswald Spengler in universalhistorischer Perspektive“. Dort ist u.a. zu lesen:

    „Die Situation der Menschheit heute (Leitung: John Farrenkopf und Max Otte).
    Auf Grundlage der von ihm propagierten »kopernikanischen Wende« der Geschichts- und Kulturforschung, welche die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Kulturen und die Überwindung des Eurozentrismus beinhaltet, kommt Spengler bereits 1919 zu erstaunlichen Prognosen:
    - das Ende stehender Armeen gegen Ende des 20. Jahrhunderts;
    - das Durchsetzen eines einzigen Prinzips für den Westen (Finanzkapitalismus);
    - die Herrschaft von Milliardären und Konzernen;
    - das Ende der Demokratie.
    In »Jahre der Entscheidung« spricht er als einer der ersten Denker die globale Diffusion der Technologie sowie die Umweltzerstörung an.“ **

    Leider habe ich erst jetzt von dieser Tagung erfahren. Ich gebe auch zu, wenn auch im Rahmen der vorletzten Rechtschreibregelung (weil sie noch nicht der Verblödung diente, wie es die letzte eindeutig tut), daß es erst Anfang dieses Jahres war, daß ich erstmals etwas von John Farrenkopf und Max Otte erfuhr.

    Ebenso bin ich erfreut darüber, daß die Hubert Brune und seine Webpräsenz namens „www.Hubert-Brune.de“, die sehr viel Informationen über Spengler und seine Kulturmorphologie enthält, erwähnt haben.

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    1. Danke für Ihre informativen Kommentare und Ergänzungen, ALf!
      Ich könnte mir übrigens auch vorstellen, dass auch Niklas Luhmann den Oswald Spengler intensiv gelesen hat. Nachweisen kann ich das allerdings nicht.

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