Montag, 18. Juli 2016

Die Geldwirtschaft folgt einer Tauschlogik, ist aber kein Tauschsystem


In diesem Blott greife ich eine Fragestellung auf, die ich bereits vor Monaten (in anderer Weise) unter der Überschrift "Geld: Tauschmittel, Zwischentauschmittel, oder was?" behandelt hatte.

Und auch für die vorliegende Untersuchung gilt, was ich wieder und wieder predige: Begriffe haben keinen irgendwie objektiven Gehalt. Sie dienen der Kommunikation, und der Gewinnung von Einsichten.
Dafür können Sie freilich mehr oder weniger tauglich sein.

Diese Relativierung wollen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir nun versuchen, die Titelfrage zu entscheiden. Und das tun wir nicht, indem wir mit großkotzigen Abstraktionen um uns werfen, sondern (wie meist bei mir), indem wir uns möglichst zweckmäßige Denkmodelle ausdenken.


Fallbeispiel 1: Naturaltausch

Wenn wir den Ausdruck "Naturaltausch" hören, dann denken wir an irgendwelche urtümlichen Wirtschaftsformen primitiver Stämme.
Tatsächlich kommt der Tausch als volkswirtschaftlicher Akt (auf privater und Hobby-Ebene lebt er natürlich fort) heutzutage nur noch selten vor.

Aber in einem Bereich hat er überlebt und ist dort zwar vielleicht nicht extrem häufig, erscheint uns aber auch keineswegs ungewöhnlich.
Hausmeister werden auch heute noch teilweise in der Form bezahlt, dass ihnen der Arbeitgeber eine Wohnung stellt und die Miete mit dem Lohn verrechnet wird. (Wobei beide identisch sein können, oder Spitzenbeträge als Ausgleich an den Hausmeister oder den Vermieter zu zahlen sind.)

Dies ist ein eindeutiger Fall von Tausch: Arbeitskraft gegen Wohnrecht.


Fallbeispiel 2:  Abwandlung Beispiel 1 zu einer geldwirtschaftlichen Transaktion

Hier nehmen wir einen Mieter, der NICHT Hausmeister ist. Vielleicht deshalb, weil er neben seinem ersten Job noch einen zweiten hat, und somit keine Zeit für Hausmeistertätigkeiten. Lassen wir ihn also einen Minijob haben und 450,- € im Monat verdienen.
Damit bezahlt er seine Miete in gleicher Höhe.
Ist das nun ein "Tausch" oder nicht?
Unsere Alltagsvorstellung verbindet mit dem Begriff "Tausch" zwei Vorstellungen:
  • eine Transaktion von zwei Personen untereinander, die
  • mehr oder weniger gleichzeitig stattfindet.
Daneben haben wir auch einen Begriff für einen Tausch unter mehreren Personen, der aber doch wieder zur Ausgangsperson zurückkehrt: Den Ringtausch. (A tauscht mit B, B mit C, C mit D - und D wieder mit A.) Auch hier finden aber die einzelnen Tauschvorgänge im Prinzip gleichzeitig statt.

Kaum jemand würde sagen, dass der Mieter sein Geld gegen sein Wohnrecht "tauscht". Vielmehr heißt es: "Er BEZAHLT seine Miete".


Fallbeispiel 3:  "Zwitter"-Abwandlung Beispiel 2 (entgeltlicher Geschäftsvorgang, der gleichzeitig als Naturaltausch verstanden werden kann)

Um zu zeigen, dass das "Bezahlen" sehr wohl Elemente eines Tauschvorgangs ausweist, konstruieren wir ein einfaches Beispiel von einer Art "Ringtausch", der jedoch durch Geld vermittelt wird.

Unser Mieter soll seinen Zweitjob bei einem Prospektverteilerunternehmen haben. Und der Vermieter soll neben der vermieteten Wohnung noch ein Bekleidungsgeschäft besitzen. Dann können wir uns (nicht komplett realitätsgerecht, sondern auf die für unser Modell wesentlichen Elemente reduziert, d. h. ohne Unternehmenskosten usw. und ohne Zinsen) folgenden Ablauf vorstellen:
  • Vermieter leiht sich (als Kleiderladenbesitzer) bei der Bank 450,- €
  • Gibt diese an das Prospektverteilerunternehmen weiter, damit die einen Prospekt für seinen Kleiderladen verteilen
  • Mieter führt die Prospektverteilung für seinen Arbeitgeber (Verteilerunternehmen) durch und erhält dafür die 450,- €
  • Mieter zahlt diese (als Miete) an den Vermieter/Kleiderladenbesitzer
  • Kleiderladenbesitzer tilgt seinen Kredit. (Real natürlich mit Zinsen, aber in unserem reduzierten Einfachmodell können wir darauf verzichten.)
  • Nicht mehr wichtig für unsere konkrete Beweisführung, aber in anderem Zusammenhang interessant: Das Geld ist wieder aus der Wirtschaft verschwunden; es hatte also lediglich eine Katalysatorfunktion.
In diesem Modell zeigt sich, dass das Geld tatsächlich einen (indirekten) Tausch vermittelt hat:
  • Mit dem Kredit, den der Kleiderladenbesitzer/Vermieter aufgenommen hat, hat er "vorschussweise" eine Dienstleistung des Prospektverteilerunternehmens in Anspruch genommen. Die er aber später auf irgend eine Weise REALWIRTSCHAFTLICH wieder tilgen muss (womit der Tauschvorgang abgeschlossen ist).
  • Auch der Prospektverteilerunternehmer nimmt die Dienste seines Arbeitnehmers quasi "vorschussweise" in Anspruch: Er tauscht keine Waren ein, sondern gibt ihm lediglich einen Gutschein darauf ("Geld").
  • Indem der Mieter/Prospektverteiler seine Miete mit diesem Geld bezahlt, schließen sich die verschiedenen Transaktionen zu einem Tauschvorgang: Auch hier hat, letztendlich, der Mieter seine Arbeitskraft gegen das Wohnrecht eingetauscht. (Im Grunde hat er ja für den Vermieter/Ladeninhaber gearbeitet.)
Das Modell zeigt also einen Tauschvorgang, der unter dem Geldschleier stattfindet.
Der aber üblicher Weise nicht als "Tausch" verstanden wird, sondern als eine Serie von Zahlungen.


Fallbeispiel 4:  Abwandlung Beispiel 3 zu einem GESTÖRTEN entgeltlichen Geschäftsvorgang

Dieses Modell soll demonstrieren, warum es irreführend ist, die Geldwirtschaft einfach als ein Tauschsystem zu verstehen.
  • Ladeninhaber/Vermieter nimmt 900,- € (statt 450,- im vorangegangenen Beispiel) als Kredit auf.
  • Zahlt diese 900,- € an das Prospektverteilerunternehmen.
  • Unternehmen gibt davon 450,- € an den Arbeitnehmer/Mieter weiter und behält 450,- € als Gewinn..
  • Arbeitnehmer zahlt, in seiner Eigenschaft als Mieter, 450,- € an Vermieter
  • Bleiben 450,- € bei Verteilerunternehmen.
Nun gibt es zwei alternative Varianten, mit denen man dieses Denkmodell fortsetzen kann:
  1. Unternehmer kauft Kleidung bei Ladeninhaber ein: Dann kann dieser seinen Kredit in voller Höhe zurückzahlen.
  2. Unternehmer kauft NICHT ein, sondern (hat noch genügend Klamotten und) spart das Geld: Dann kann der Ladeninhaber nur 450,- € von 900,- € Kreditsumme tilgen.
Dieses "entgleiste" Beispiel zeigt uns, warum es irreführend ist, das Geldsystem einfach als ein Tauschsystem zu verstehen.
In einem Tauschsystem werden die Transaktionen PER DEFINITIONEM immer geschlossen. In einem Geldsystem ist das keineswegs zwingend, weil der Geldempfänger nicht verpflichtet ist, das Geld seinerseits gegen Güter "einzutauschen". Vielmehr kann er es auch sparen. Was jedoch realwirtschaftlich bedeutet, dass er es dem Wirtschaftskreislauf entzieht, oder, vom Tauschsystem her gedacht, dass eine Lücke entsteht, wo eben KEIN Tausch mehr stattfindet.

Unser Modell ist hier "kaputt". Dieses Ergebnis steht aber im Widerspruch zur Realität, wo wir doch wissen, dass nicht gleich alles zusammenbricht, wenn ein Geldbesitzer sein Geld spart.
Um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen, müssten wir das Modell ergänzen.
Beispielsweise könnte sich jemand die 450,- € vom Prospektverteilerunternehmer leihen, und seinerseits beim Bekleidungsladeninhaber damit einkaufen. Der dadurch dann doch den Kredit tilgen könnte. Das muss jedoch nicht eintreten; ebenso gut kann der Ladeninhaber pleite gehen.
Diese Weiterungen will ich nicht weiter ausführen. Im vorliegenden Beispiel geht es mir einzig und allein um den Nachweis, dass man die Vorgänge in einer Geldwirtschaft nicht wirklich verstehen kann, wenn man sie als ein Tauschsystem deutet, bei dem das Geld lediglich ein Schleier ist, jedoch kein Eigenleben hat.
Diese Interpretation führt in die Irre, und wenn Wirtschaftswissenschaftler ihr anhängen, dann ist ihre Wissenschaft ein Dogmengebäude, dass nur einen eingeschränkten Realitätsbezug hat. Und das folglich keine adäquate Abbildung der TATSÄCHLICHEN ökonomischen Zusammenhänge erlaubt.


Fazit

Mit den o. a. Denkmodellen habe ich gezeigt, dass hinter der geldvermittelten Wirtschaftsweise irgendwo sehr wohl ein Tauschsystem steht.
Zugleich habe ich aber nachgewiesen, dass die Geldwirtschaft kein Tauschsystem IST (d. h.: Nicht ALLE Kriterien eines Tauschsystems erfüllt; insbesondere nicht die zeitgleiche oder zeitnahe "Schließung" von Transaktionen).
Diese auf den ersten Blick vielleicht widersprüchlich erscheinenden Einsichten erfassen wir begrifflich m. E. am besten mit der Einführung des Begriffs der "Tauschlogik":
  • Das Geldsystem folgt einer Tauschlogik
  • Es ist jedoch kein Tauschsystem.


Oder anders gesagt: Das Geld "immediatisiert" ökonomische Tauschvorgänge; es macht sie hochgradig unabhängig von der für den Tausch typischen Unmittelbarkeit der Tauschpartner und der Zeitgleichheit.
Daneben entfaltet es jedoch ein Eigenleben, und kann, wenn es fehlt oder im Übermaß verfügbar ist, den reibungslosen Austausch durchaus auch stören.

 
Der schottische Ökonom Henry Dunning  Macleod hatte bereits 1882 in seinem Buch "Lectures on credit and banking" klargestellt, dass Geldzahlungen keinen eigentlich Tausch bedeuten, aber einer Tauschlogik folgen (S. 44, meine Hervorhebung):
"Its [money's] function is to represent the Debts which arise from unequal exchanges among men : and to enable persons who have rendered services to others, and have received no equivalent for them, to obtain that satisfaction or equivalent from some one else."


Nachtrag 30.09.2021
 
 

ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 05.01.2022

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