Montag, 10. September 2018

Welches "System" bekämpft die AfD? Zum aktuellen Gauland-Interview der FAZ

 
Denn eben wo Begriffe fehlen,
da kleckst der Feind sein falsches Bild hinein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. 
(Von Goethe - fast.) 

Am 04.09.2018 hat die FAZ ein Interview veröffentlicht, das der AfD Partei- und Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland dem (auf die AfD spezialisierten) Redakteur Justus Bender gegeben hatte. Titel: "Gauland für 'friedliche Revolution' gegen das 'politische System'."
Der diesbezügliche "Schlagabtausch" lautete wie folgt: (B = Frage von Bender;  jeweils eingerückt = Antwort von Gauland; Hervorhebungen von mir):



B: Gerade in Ostdeutschland wird in Ihrer Partei offen eine zweite "Friedliche Revolution" wie 1989 gefordert, ein Systemsturz also. Warum soll man sich da keine Sorgen machen?
  • Friedliche Revolutionen machen mir nie Sorgen. Sie wollen doch nicht die große Leistung der Ostdeutschen, diese friedliche Veränderung von 1989, zur Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung erklären. Es ist völlig richtig, dass das politische System im Sinne des Parteiensystems geändert werden muss. Wenn ich sage, dass dieses politische System wegmuss, dann sage ich nicht, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss.
 
B: Ihre Anhänger sprechen über eine Revolution aber nicht nur in dem Sinne, dass sie die Regierung abgewählt sehen wollen: sie wollen, dass alle weggefegt werden, die „Altparteien", das “Medienkartell". Das ist eine Revolution, die Institutionen angreift. 
  • Jetzt unterstellen Sie wieder Dinge, die man mühselig auseinanderdividieren muss. Wenn Merkel weg wäre, gäbe es immer noch eine Menge Leute in der CDU, die ihre Politik fortsetzen wollen. Insofern muss mehr weg als nur die regierende Bundeskanzlerin. Aber kein Mensch sagt - jedenfalls kein vernünftiger Mensch und keiner, der irgendeine Parteifunktion hat -, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss. Die ist Ausdruck dessen, was wir erreichen wollen. Wir sind der Pfahl im Fleische eines politischen Systems, das sich überholt hat.
 
B: Jetzt wenden Sie sich schon wieder gegen das ganze System.
  • Ja, gegen das politische System. Die Parteien, die uns regieren. Ich kann auch sagen: das System Merkel. Diejenigen, die die Politik Merkels mittragen sind auch Leute aus anderen Parteien und leider auch aus den Medien. Die möchte ich aus der Verantwortung vertreiben. Das kann man eine friedliche Revolution nennen. Das ist aber kein Umsturz der grundgesetzlich garantierten Ordnung.

Nachfolgend extrahiere ich die einschlägigen Passagen; dadurch wird zwar der Frage-Antwort-Zusammenhang zerrissen, aber die 'Oszillationen' rund um den 'Systembegriff' werden sichtbarer:

Bender: "... in Ostdeutschland wird in Ihrer Partei offen eine zweite "Friedliche Revolution" wie 1989 gefordert, ein Systemsturz also." ..... "Ihre Anhänger sprechen über eine Revolution aber nicht nur in dem Sinne, dass sie die Regierung abgewählt sehen wollen: sie wollen, dass alle weggefegt werden, die „Altparteien", das “Medienkartell". Das ist eine Revolution, die Institutionen angreift" ..... "Jetzt wenden Sie sich schon wieder gegen das ganze System."

Gauland: "Es ist völlig richtig, dass das politische System im Sinne des Parteiensystems geändert werden muss. Wenn ich sage, dass dieses politische System wegmuss, dann sage ich nicht, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss. ..... muss mehr weg als nur die regierende Bundeskanzlerin. Aber kein Mensch sagt - jedenfalls kein vernünftiger Mensch und keiner, der irgendeine Parteifunktion hat -, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss. Die ist Ausdruck dessen, was wir erreichen wollen. Wir sind der Pfahl im Fleische eines politischen Systems, das sich überholt hat. ..... Ja, gegen das politische System. Die Parteien, die uns regieren. Ich kann auch sagen: das System Merkel. Diejenigen, die die Politik Merkels mittragen sind auch Leute aus anderen Parteien und leider auch aus den Medien. Die möchte ich aus der Verantwortung vertreiben. Das kann man eine friedliche Revolution nennen. Das ist aber kein Umsturz der grundgesetzlich garantierten Ordnung."

Deutlich wird bei Bender, dass das Insistieren auf der 'Systemfrage' kein journalistisches Bemühen um Wahrheitsfindung ist. Es ist vielmehr ein Versuch, Alexander Gauland aufs Kreuz zu legen und ihm irgendwie "nachzuweisen", dass er unter "System" unser politisches System IM STAATSRECHTLICHEN SINNE versteht, dass er also die demokratischen Institutionen als solche bekämpfen (und letztlich abschaffen) wolle.
Gerade Bender als FAZ-Experte für die AfD sollte aber wissen, was allgemein in der Partei unter dem zu bekämpfenden System verstanden wird: Vorrangig ein 'Mind-Set', die 'linksgrün versiffte' veröffentlichte (und teilweise auch öffentliche) Meinung. Die ihrerseits erst zu jener Politik führt, wie sie die "Blockparteien" machen und bei der die AfD in den Bereichen
  • Ausländerpolitik ("Flüchtlingspolitik" und Einbürgerungspolitik) und
  • Euro-"Rettung"
die einzige Oppositionspartei ist, gegenüber der sich alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien wie ein einheitlicher Block verhalten. Auch Merkel würde nicht die Grenzen öffnen bzw. offenhalten, wenn sie massiven Gegenwind von den Wählern bekäme. Gewiss: Bei den Wahlen und derzeit in den Umfragen hat auch die CDU massiv Stimmen verloren. Aber die ist immer noch die stärkste Partei und kann sich, weil nach allen Seiten offen [und dem entsprechend nicht ganz dicht] ihre(n) Koalitionspartner aussuchen. Eine Regierung GEGEN die CDU ist aus derzeitiger Sicht unwahrscheinlich. Notfalls, wenn die AfD sehr stark würde, würde die CDU wohl auch mit dieser Partei zusammengehen (wenn auch nicht mehr unter Merkel).
Das System, das Alexander Gauland meint (und das ich meine, wenn ich vom "Konsensfaschismus" usw. spreche), ist wie eine Hexenring bei den Pilzen: Die Fruchtkörper sind die Parteien und ihre Politik; das Myzel sind die Mentalitäten im Volk, Medien und Massenorganisationen, das man grob (um eine genaue Beschreibung geht es mir hier nicht) als "68er-Syndrom" beschreiben kann: Vielleicht auch als kulturelles Dekadenzsyndrom, denn solche Tendenzen kann man überall im (West-)Europa beobachten (nur in Deutschland, aufgrund unserer Nazi-Vergangenheit, besonders ausgeprägt).
 
Bei Gauland zeigt sich dagegen ein unglückliches Ringen um die richtige Ausdrucksweise. Ganz sicher hat Alexander Gauland einen BEGRIFF (im Sinne einer strukturierten Vorstellung) davon, was er unter dem zu bekämpfenden System versteht. Aber bei ihm ist es das unmissverständliche WORT, das fehlt. Dadurch verkehrt sich die Situation im Vergleich zu dem o. a. (fast-)Goethe-Zitat in ihr Gegenteil.
Bei Goethe geht es darum, dass Menschen dumm daherreden, dass sie mit (pompösen) Worten plappern, ohne dass sie einen Begriff im Sinne einer "inneren Anschauung" hätten.
Bei Gauland dürfen wir eine klare "innere Anschauung" vermuten; nur wird der System-Begriff ("System", "Parteiensystem", "politisches System") normaler Weise tatsächlich für das institutionelle (staatsrechtliche) System verwendet. Von daher ist es schwer, den Gutwilligen zu erklären, dass NICHT DIESES "System" gemeint ist. Und die Böswilligen wollen sich gar nichts erklären lassen, die suchen ohnehin nur nach Munition gegen die AfD.
Da kann Alexander Gauland noch so sehr beteuern "sage ich nicht, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss" und "kein Mensch sagt - jedenfalls kein vernünftiger Mensch und keiner, der irgendeine Parteifunktion hat -, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wegmuss" und "Das ist aber kein Umsturz der grundgesetzlich garantierten Ordnung": Die AfD-Hasser fischen sich ihre sprachlichen Waffen aus dem Text und bekriegen uns damit.
 
So z. B. der FAZ-Mitherausgeber Berthold Kohler in seinem Kommentar "Phantasien der AfD: Früher nannte man das Säuberung" vom 05.09.2018:
"Will die AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen? Nein, sagte der AfD-Vorsitzende
Gauland in einem am Mittwoch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Interview. Kein vernünftiger Mensch wolle, dass sie „wegmuss“. Nur das politische System müsse weg."

Kohler macht sich keinerlei Mühe, Gaulands Ringen um den richtigen Ausdruck zu verstehen: Obwohl sein Kommentar auf der Ebene der Worte durchaus differenziert, unterstellt er ihm (bzw. der AfD) am Ende doch einen Anschlag auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung:
"Schwerer verständlich ist, warum die Verleumdung des ganzen „Systems“ keinen Protest bei jenen mehr hervorruft, die noch erkennen können, dass diese Republik bei allen Mängeln, Irrwegen und Versäumnissen die freiheitlichste und demokratischste ist, die es je auf deutschem Boden gab. ..... Das darf man den Brandstiftern im Biedermann-Sakko nicht durchgehen lassen, die jetzt an vielen Stellen zündeln."

Was Kohler nicht verstehen will: Dass es in Deutschland INNERHALB der Institutionen ein verfestigtes "System" gibt, was ich das "konsensfaschistische System" ("Schurkelregime" usw.) nenne. Ein Mind-Set als 'linksgrün-versifftes' Myzel, aus dessen Nährboden die Parteien und ihre politischen Ziele herauswachsen.
Nachdem die AfD selber eine politische Partei ist, wird sie es schwer haben, das feindliche Myzel zu zerstören. Sie kann (und eben das tut sie ja auch) lediglich die anderen Parteien im Rahmen des demokratischen Wettbewerbs bekämpfen und hoffen, dass die Wähler ihr eines Tages eine Stimmenmehrheit bescheren werden.

Damit tut sie aber nichts anderes, als die anderen Parteien auch. Nur dass die AfD INHALTLICH in der Tat eine Fundamentalopposition ist (in einigen zentralen Bereichen). Das missfällt naturgemäß dem Kollektiv der Altparteien und es beunruhigt diejenigen, die sich an das bisherige "System" gewöhnt und Angst vor einem grundlegenden Wandel haben.

Wie sehr die Abneigung gegen (oder auch die Angst vor?) der AfD Kohlers Perspektive verzerrt, zeigt sich in dieser Passage:
"Seiner [Gaulands] Darstellung zufolge ist die AfD eine „urdemokratische Partei“. Die anderen aber nicht? Merkel wurde von ihrer Partei neunmal zur Vorsitzenden gewählt ..... [folgen weitere Beispiele von insbesondere innerparteilicher Demokratie bei den Blockparteien]."

Hier liegt Kohler total daneben. Die entsprechende Interviewpassage lautet:
  • Bender: "Wo ist eigentlich die ideologische Schmerzgrenze für die AfD?"
  • Gauland (meine Hervorhebung): "Die können Sie abstrakt nicht festlegen. Wir haben nichts zu tun mit verfassungsfeindlichen Organisationen oder nationalsozialistischen Ideen. Wir sind eine urdemokratische Partei, geradezu anarchisch-demokratisch. Das heißt, die Grenze ist immer da, wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet ist."
Es ging also einzig und allein darum, dass die AfD eine demokratische Partei ist (d. h.: Dass ihre "ideologische Schmerzgrenze" dort liegt, wo es undemokratisch wird). Von den anderen Parteien war überhaupt nicht die Rede, geschweige denn davon, denen eine demokratische Struktur abzusprechen.
Aber wenn sogar einem Mitherausgeber der FAZ ein derart krasses Missverstehen unterläuft: Was kann man dann vom Rest der Medienherde erwarten???

Wo sich die FAZ noch relativ gewunden ausdrückt, greifen andere gleich zum Vorschlaghammer. So etwa Gerd Appenzeller mit seinem Kommentar "Was Gauland will, ist auf demokratischem Weg nicht zu erreichen", ebenfalls vom 05.09.2018, im Berliner Tagesspiegel:
"Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland hat in einem Interview mit der 'FAZ' an diesem Mittwoch mehr von seinem Denken über einen demokratischen Rechtsstaat verraten, als ihm lieb sein dürfte – es sei denn, er ginge davon aus, dass nur Trottel dieses Interview lesen, die sowieso nicht verstehen, was er eigentlich sagen will."

"Wenn sie [die AfD] ..... tatsächlich, wie Gauland auch behauptet, die freiheitlich-demokratische Grundordnung respektiert, hat sie weder eine legale Möglichkeit, Menschen  aus Parteien zu vertreiben, noch die Medien auf ihre Linie zu bringen."
Menschen aus den Blockparteien vertreiben will die AfD sowieso nicht: Die will die anderen Parteien insgesamt vertreiben - nämlich von der Macht. Das ist aber nichts anderes, als was alle Parteien wollen. Und natürlich kann die AfD in einer Demokratie die Medien nicht mit staatlichen Machtmitteln auf ihre Linie bringen. Aber die werden sich sozusagen "von selber" zumindest teilweise auf AfD-Positionen zubewegen.

Das ist ein rückgekoppelter Prozess: Nur wenn sich das öffentliche Bewusstsein wandelt (und damit auch die Medien, die dieses Bewusstsein wesentlich mit prägen), wird die AfD überhaupt eine Wählermehrheit bekommen. Und indem sich das öffentliche Bewusstsein wandelt, müssen sich auch die Medien darauf einstellen und dem anpassen.

In gewisser Weise stehen wir hier vor der "Henne-Ei"-Frage: Was war zuerst? Nur dass eben der Aufstieg der AfD und der Wandel des öffentlichen Bewusstseins interdependent sind: Das eine ohne das andere gibt es nicht.
Um solche subtilen Zusammenhänge zu begreifen, sind freilich die konsensfaschistischen Mainstreamer zu einfältig.

"Gauland will, das sagt er ganz offen, ein anderes System. Das wollten die Nationalsozialisten auch. ..... Was Alexander Gauland will, ist auf demokratischem Wege nicht zu erreichen."
Hier zeigt sich, auf welche Weise ein allzu pauschaler Begriff ("System") es den AfD-Hassern ermöglicht, die Partei pauschal zu verunglimpfen.

Die AfD täte also gut daran, eine Präzisierung zu erarbeiten, was sie unter dem "System" versteht, dass es zu bekämpfen gilt.
Eigentlich eine dankbare Aufgabe für den in den Medien als "Parteiphilosophen" apostrophierten Marc Jongen.



Nachtrag 11.09.2018
 
Im Narrenchor der konsensfaschistischen Hetzer gegen die AfD darf die Frankfurter Rundschau nicht fehlen. Christian Thomas, AfD-Hasser im Demokratie-Tarngewand, verleumdet Alexander Gauland dort heute als "Gauland, 'Brandstifter im Biedermann-Sakko'.
 

 
ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!

Textstand vom 11.09.2018

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