Samstag, 12. November 2022

Bundesvorstand der Alternative für Deutschland (AfD) deckt behördlich zertifizierte Rechtsextremisten in der Partei

 
Der AfD-Bundesvorstand hatte am 27.11.2020 (einstimmig) einen "Grundsatzbeschluss zum Thema AfD und freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gefasst.

Darin erklärt sie zunächst einmal ganz grundsätzlich, dass sie "die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes" bejaht und darüber hinaus auch selber "tritt aktiv für die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde" eintritt.

Innerparteilich schlägt sich das in dem Bekenntnis nieder, dass Aktivitäten von Mitgliedern "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" als "sehr schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze der Partei" eingestuft werden.

Aber auch schon "Äußerungen, die inhaltlich mit einem der Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind", werden als "erheblicher Verstoß gegen die Grundsätze der Partei" eingestuft.
Dasselbe gilt für "Äußerungen ... oder andere Verhaltensweisen ..., die rechtmäßig als Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD gewertet werden können".
Das von mir hervorgehobene Wörtchen "rechtmäßig" stellt eine Einschränkung dar. Eigentlich versteht es sich von selber, dass Sanktionen nur dort greifen dürfen, wo das sanktionsbewehrte Verhalten tatsächlich (und nicht nur vermeintlich oder scheinbar) der zugrunde liegenden Beschreibung entspricht.

Allerdings hat die AfD die Erfahrung machen müssen, "dass die Verfassungsschutzbehörden häufig Äußerungen oder andere Verhaltensweisen als Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD oder einer Gliederung der Partei bewerten, obwohl sie nach Auffassung der AfD nicht so bewertet werden dürfen ...". Dem Grunde nach hat sie also Recht, wenn sie festlegt, dass "im Falle rechtswidriger Bewertungen der Äußerungen oder anderen Verhaltensweisen eines Mitglieds ... KEIN Verstoß des Mitglieds gegen Grundsätze der Partei im Sinne von Nr. 2 oder Nr. 3" vorliegt. 

Das wirft natürlich die Frage auf, ob der ganze Beschluss überhaupt ernst gemeint ist. Schließlich kann die AfD ja immer behaupten, dass gerade in diesem oder jenem speziellen Fall die Bewertung des Verfassungsschutzes (also entweder des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder eines Landesamtes) falsch sei - und ggf. auch tatsächlichen Rechtsextremisten freie Hand in der Partei lassen.
Um sich dem Verdacht zu entziehen, dass der Beschluss nur heiße Luft sei, unterwirft sie sich einer SELBSTVERPFLICHTUNG:
"Die AfD geht in geeigneter Weise gegen rechtswidrige Bewertungen der Verfassungsschutzbehörden gerichtlich vor."
Damit trägt der Beschluss der Tatsache Rechnung, dass letztlich die Gerichte darüber entscheiden, ob eine Person oder Institution (z. B. eine Partei) rechtsextrem ist oder nicht.

Dass die AfD die Letztentscheidungsbefugnis der Gerichte anerkennt, also den Rechtsstaat respektiert, sagt sie unter Ziff. 6 des Vorstandsbeschlusses:
"Die AfD erklärt hiermit, dass sie nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten das Ergebnis der letztinstanzlichen Entscheidung, gegebenenfalls der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, akzeptieren wird." 
Und konkretisiert dieses eher abstrakte Bekenntnis mit einer weiteren Selbstverpflichtung:
"Falls sich herausstellen sollte, dass bestimmte Äußerungen, die nach Auffassung der AfD verfassungskonform sind, nach der letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und gegebenenfalls nach Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht vom Verfassungsschutz zutreffend als Anhaltspunkte für gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen gewertet worden sind, wird die AfD solche Äußerungen künftig unterlassen und mit den Mitteln des Parteiordnungsrechts dies auch gegenüber ihren Mitgliedern durchsetzen."
Aber, wie gesagt: Das alles kann natürlich nur dann greifen, wenn tatsächlich die Gerichte angerufen werden. Und genau hier entpuppt sich hehre Bekenntnis im Vorstandsbeschluss in der Praxis weitgehend als heiße Luft.

Gewiss: Soweit der Verfassungsschutz die Partei auf BUNDESEBENE des Rechtsextremismus' verdächtigt, ist sie tatsächlich juristisch dagegen vorgegangen. Das musste sie allerdings auch in ihrem ureigenen Interesse tun. Würde sie erst im Rahmen eines Verbotsverfahren aktiv, dann würde "die Hütte brennen" - und u. U. ganz schnell ab-brennen.


Bevor ich näher auf meine in der Überschrift formulierten Vorwurf gegen den Bundesvorstand der AfD eingehe, ist wohl eine begriffliche Klarstellung sinnvoll. Denn nicht jedem (auch mir lange Zeit nicht) ist bekannt, wie sich "Rechtsextremismus" überhaupt definiert und was ihn vom "Rechtsradikalismus" unterscheidet.
Insoweit habe ich keine Bedenken, die (frühere?) Sichtweise des Verfassungsschutzes ("VS") zu übernehmen.

Allerdings ist eine früher formulierte Definition von der Webseite des Bundesamtes für Verfassungsschutz verschwunden*; jedoch bewahrt das Wikipedia-Stichwort "Radikalismus" sie derzeit noch auf:

Als extremistisch werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind. Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind zum Beispiel Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.

* Dieses Verschwinden ist insofern äußerst beunruhigend, als der VS mittlerweile bereits radikale (oder radikal formulierte) Kritik an den Herrschenden als verfassungsfeindlich bezeichnet. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf mein Buch "Gesamtschau-Geheimdienst: Wie der Sepia-Haldi die AfD in den braunen Hades laviert: Analyse des "Prüffall" Gutachtens des VS vom 15.01.2019" vom Juli 2021. Allerdings nimmt der hier (im Kapitel "Radikalismus vs. Extremismus") die (nur) Radikalen noch immer vom Vorwurf des Extremismus aus.

Jedenfalls verbinde ich mit der Übernahme der Definition keine inhaltliche Zustimmung zu sämtlichen VS-Zuordnungen. Andererseits ist freilich festzustellen, dass es Extremismus - rechten wie linken - tatsächlich gibt. Denn speziell Ultrarechte leugnen häufig die Existenz von Rechtsextremismus überhaupt.
Halten wir für unsere weiteren Überlegungen die (auf dieser Abstraktionsebene für die linke wie die rechte Seite gültige) Extremismus-Definition fest:
"Als extremistisch werden die Bestrebungen bezeichnet, die gegen den Kernbestand unserer Verfassung – die freiheitliche demokratische Grundordnung – gerichtet sind."


Das Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. die jeweils zuständigen Landesämter haben die AfD insgesamt, wie auch eine Reihe von Untergliederungen, als Beobachtungsobjekt eingestuft. Das heißt: Sie sehen einen Verdacht, aber noch keine Gewissheit, für Verfassungsfeindlichkeit.
In einer Reihe von Fällen wurden freilich formelle oder informelle Untergliederungen der AfD bereits als gesichert (oder "erwiesen") rechtsextrem eingestuft; dasselbe gilt für eine Reihe von Parteimitgliedern.
Leider finde ich nirgends eine Aufstellung dazu (jedenfalls gehören der ehemalige "FLÜGEL" und die "Junge Alternative" dazu); aber hier kann ich mich auf zwei (zusammenhängende) Fälle beschränken:
  • Die AfD Thüringen, die schon seit dem 15.03.2021 als "erwiesen extremistisches Beobachtungsobjekt" gilt. (Vgl. dazu auch das taz-Interview mit Stephan Kramer, dem Präsidenten des thüringer Landesamtes für Verfassimgsschutz, vom 12.05.2021.) Und
  • deren Landesvorsitzendem und Fraktionsführer Björn Höcke. Den hatte Thomas Haldenwang, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bereits im März 2020 als erwiesenermaßen rechtsextrem gebrandmarkt.

Und in diesen Fällen (wie auch in anderen, z. B. Hans-Thomas Tillschneider, die ich aber hier nicht thematisieren will) hat der Bundesvorstand NICHTS unternommen. Womit er sich in einen Widerspruch zu seinem eigenen Vorstandsbeschluss setzt.
Natürlich kann die Partei nicht stellvertretend für Personen klagen, und auch der Bundesvorstand nicht für einen Landesverband. 
Auch kann der BuVo einen (LaVo) nicht anweisen, gegen den VS zu klagen.

Wohl aber kann er einen derart massiven Druck ausüben, dass der 
LaVo gar nicht anders kann, als Klage zu erheben. Schließlich hat sich der BuVo in seinem Beschluss VERPFLICHTET, gegen Rechtsextremisten in der Partei vorzugehen. Bzw. in den Fällen, wo der Extremismusverdacht strittig ist, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. 
Vor dem Hintergrund, dass der BuVo mit dem Beschluss die Verfassungstreue der AfD beweisen wollte, kann das nur heißen, dass er nicht nur auf der Bundesebene gegen Personen und Untergliederungen vorgehen MUSS, die vom VS des Rechtsextremismus' beschuldigt werden. Er könnte z. B. einen Antrag zu einem Bundesparteitag stellen, einen "rechtsextremen" Landesverband aufzulösen - sofern der nicht den Rechtsweg gegen den VS beschreitet. Und schlussendlich obsiegt.

Genau das tut der BuVo jedoch nicht und will er auch gar nicht. Damit aber breitet der AfD-Bundesvorstand die (bislang noch nicht als definitiv rechtsextrem eingestufte) Gesamtpartei sozusagen als schützenden Mantel über, sagen wir, "rechtsextremismusverdächtige" Mitglieder und Untergliederungen aus.

Ob z. B. Björn Höcke tatsächlich ein (Rechts-)Extremist ist, muss ich hier nicht entscheiden. (Allerdings bin ich selber aus der Partei ausgetreten, weil Höcke dort zunehmend Macht gewinnt und weil ich jedenfalls massive Anhaltspunkte für einen Extremismusverdacht sehe.) Tatsächlich wird Höcke aus meiner Perspektive in mancher Hinsicht zu Unrecht vom VS beschuldigt;  in meinem Buch "Gesamtschau-Geheimdienst: Wie der Sepia-Haldi die AfD in den braunen Hades laviert: Analyse des 'Prüffall'-Gutachtens des VS vom 15.01.2019habe ich ihn sogar verteidigt. 
Auf der anderen Seite sehe aber auch ich durchaus starke Indizien FÜR die Annahme, dass Höcke ein Rechtsextremist ist; beispielsweise spricht seine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmende Identität mit dem NPD-Blatt-Schreiber und Nazi-Fan "Landolf Ladig" für Rechtsextremismus. 
Wenn der AfD-BuVo seinen eigenen Vorstandsbeschluss ernst nehmen würde, dann müsste er dagegen vorgehen. Indem er das unterlässt, leistet er möglichem Extremismus in der Partei geradezu Vorschub.



ceterum censeo

Ein Rechtsextremist aus Bornhagen
Tat nicht wagen, den VS zu verklagen.
Für die Partei ist das Mist,
Doch es ist, wie es ist:
Die AfD lässt vom Haldi* sich jagen.

*
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Hier stellvertretend auch für alle VS-Landesämter, die gegen die AfD vorgehen.

Textstand 12.11.2022

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen