Damals, als wir noch in Frankfurt (a. M.) wohnten, sah ich ihn in Schreibwarenläden Kaufhäusern usw. alle Jahre wieder: den „Frankforter Kalenner für Uzer un Schenner“. So, wie ein Heiligenkalender die Namenstage derjenigen auflistet, welche „zur Ehre der Altäre erhoben“ wurden, ist (oder war?) der „Kalenner“ ein Thesaurus für alle jene, die ihre Mitmenschen verhohnepiepeln („uzen“) oder welche mal so richtig mundartlich schimpfen wollten (hier kann man in einem Forenbeitrag vom 05.08.05 nachlesen, welche hübschen Pejorative die Frankfurter Urbevölkerung so drauf hat).
„Erdscheibenökonomen“ ist freilich ein Ausdruck, den man dort nicht findet (auch nicht in dialektaler Form). Das ist auch lediglich ein Versuch meinerseits, ein im anglophonen Diskurs beliebtes Schimpfwort einzudeutschen. Gebräuchlich ist es dort in der Form „flat-earthers“ z. B. In der Umweltdebatte, speziell als Spott der „Neo-Malthusians“ oder „Depletionists“ (die um die Begrenztheit der mineralischen Ressourcen wissen und vor deren baldiger Erschöpfung – depletion - warnen) gegen die „Cornucopians“ (deren Motto etwa lautet: „Wenn uns der eine Rohstoff ausgeht, fällt uns schon rechtzeitig was Neues ein“.)
Diesem hübschen Schimpfwort bin ich neulich wieder begegnet, und zwar in einem Newsletter der ASPO Irland. Die ASPO ist die „Association for the Study of Peak Oil“, eine in mehreren Ländern vertretene Vereinigung von Wissenschaftlern (und Laien?), die sich Sorgen wegen des erwarteten baldigen Fördergipfels für das Erdöl machen. Die irische Vereinigung scheint die rührigste zu sein und gibt jedenfalls einen Newsletter heraus. In der Ausgabe vom Mai 2006 wird unter der laufenden Nr. 706 mitgeteilt, dass die Berechnung und die Bezeichnung der Rohölverknappung geändert wurde, und dies damit begründet, dass „This new approach offers an olive branch to the flat earth economists whose religion prohibits recognition of natural limits“.
Und diese „flat earth economists“ sind eben bei mir zu „Erdscheibenökonomen“ eingedeutscht.
Näheres zu den „Flat-earthers“, jenen Menschen, die glauben, dass die Erde eine Scheibe ist (oder dass der liebe Gott die Menschen vor 6000 Jahren plötzlich und unerwartet in die Welt gesetzt hat, und ähnlichen Relikten einstmals gängiger Weltsichten), kann man dem Artikel über die „Flat Earth Society“ in der englischsprachigen Wikipedia entnehmen (eine kürzere Version gibt es auch in der deutschen). Wer glaubt, dass die Rohölreserven praktisch unbegrenzt, oder beliebig substituierbar sind, dem kann man, nach Meinung der ASPO (und nach meiner Meinung) auch zutrauen, dass er die Erde für eine Scheibe, Eva für ein Rippengeschöpf und die biblische Schöpfungsgeschichte für eine Tatsachendarstellung hält („Creationism“ - Schöpfungswissenschaft).
Erdscheibengläubige oder Scheibenerdegläubige – irgendwie klingt „flat-earthers“ ja doch besser, nicht wahr? (Aber wie wäre es auf Deutsch mit "Scheibenerdlinge", oder "Erdscheibianer"? Oder lieber "Flacherdianer"?)
Hier gibt es eine Webseite unter der Überschrift „The Flat Earth Society“, und dem hübschen Untertitel „"Deprogramming the masses since 1547". Wenn ich freilich so über den Inhalt hovere, habe ich den Eindruck, als ob die die Sache nicht richtig ernst nehmen. Doch mag es den Flacherdlingen gut tun, Zuspruch von einem veritablen Biologen oder Biochemiker zu erhalten. Dan Graur fordert in „Nature“, dem „International weekly journal of science“ zur „Solidarity with the oppressed flat-Earthers“ auf. Aber kann man solchen Menschen trauen? Oder ist dieser Leserbrief gar ironisch gemeint?
Auch Donald Simanek habe ich stark in Verdacht, dass er sich mit dem Abdruck des Artikels „The Flat-out Truth“ von Robert J. Schadewald unter dem Vorwand einer neutralen Berichterstattung über die Flacherdlinge lustig macht.
Also, ich muss sagen, da ziehe ich doch den „Sokal Hoax“ („Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity“) vor: der war wenigstens ernst gemeint!
Wie auch immer: Scheibenerdenökonomen gibt es auch bei uns. Dazu zähle ich außer den Ressourcenzauberern z. B. alle jene, welche glauben, die Altersrenten durch das Kapitaldeckungsverfahren sicherer machen zu können (vgl. mein Blogeintrag „Rentensimonie?“ und ausführlicher meine Webseite „Rentenreich“).
Interessante Frage, mit welcher Bezeichnung die ihrerseits wohl mich schmähen würden, wenn sie es denn überhaupt jemals erfahren würden, wie ich sie hier (oder an anderer Stelle z. B. als "Humankapitalsubstitutionsadepten") schenne.
Vermutlich würden sie mich einen verfluchten Physiokraten schimpfen. Das ist für deren beschränkte Phantasie zweifellos das Allerschlimmste, was sie sich vorstellen können.
Textstand vom 17.05.2006.
Gesamtübersicht der Blog-Einträge auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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