Dienstag, 29. Januar 2008

From bat philosophy to good taxes oder mein Klick-Weg von den Fledermäusen zur Steuergerechtigkeit


Auf der Suche nach der Rationalität (vgl. dazu auch meinen Kommentar unter dem Nick "Cangrande" in einem Fremdblog) kam ich zum Geist der Tiere, genauer: zu dem sehr anregenden Aufsatz "TIERE ERKLÄREN ODER VERSTEHEN? Philosophie der Psychologie. Indizien für das Scheitern des Methodendualismus" von Felix Annerl und von dort zu dem "berühmten, vieldiskutierten Aufsatz" von Thomas Nagel "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?". Berühmte Aufsätze stellt, wenn sie in englischer Sprache verfasst wurden (Benutzer anderer Idiome haben ohnehin wenig Chancen auf Berühmtheit), immer irgend jemand ins Netz, und so findet man dort auch "What is it like to be a bat?".

Während ich diesen Aufsatz, mutmaßlich anspruchsvolle, also Zeit raubende Kost, erst noch lesen muss, stolperte ich (auf der Suche danach) u. a. auch über die universitäre Homepage des US-Philosophen Prof. Thomas Nagel. [Nagel ist übrigens "Professor of Philosophy and Law" an der Universität New York; dass eine solche Kombination dort überhaupt möglich ist, spricht in meinen Augen sehr für das amerikanische Universitätswesen.] Auf seiner Webseite wiederum fesselte der Titel eines seiner Bücher (gemeinsam mit Liam Murphy verfasst) mein Auge: "The Myth of Ownership: Taxes and Justice".

Nach den Rezensionen zu urteilen, rechtfertigen die Verfasser (gegen den Mainstream des amerikanischen politischen Diskurses) Steuern nicht nur zur Finanzierung eines Nachtwächterstaates, sondern sogar für eine Umverteilung von den Reichen auf die Armen. Die "Legende vom Eigentum" liegt nach Meinung von Nagel und Murphy darin, dass dieses als etwas verstanden bzw. für etwas ausgegeben wird, das sich der oder die Eigentümer(in) durch eigene Leistung erarbeitet hat. Dem gegenüber weisen Nagel und Murphy (wohl kaum als erste) darauf hin, dass Eigentum und Reichtum nur in einem entsprechenden sozialen Umfeld geschaffen und erhalten werden kann, welches durch staatliche Leistungen geschützt (Justiz) und durch öffentliche Investitionen (z. B. in Verkehrswege, Bildung usw.) gefördert oder überhaupt erst ermöglicht wird. Deshalb seien wir (so entnehme ich den Buchbesprechungen) Eigentümer nur unseres Nachsteuer-Einkommens, nicht der Vorsteuer-Einkünfte.

Ich selbst habe im Zusammenhang mit der Diskussion über die Rentenfinanzierung auf meiner Webpage "Rentenreich" eine strukturell analoge Argumentation für eine Besteuerung von Kapitalerträgen vorgetragen:
Geld schafft kein Geld; nicht einmal dann, wenn das Geld in Produktionsmittel investiert wird. Erst wenn Menschen - Humankapital - verfügbar sind, welche die Produktionsmittel bedienen, können die Eigentümer des Realkapitals Gewinne - den berühmten Marx'schen Mehrwert - damit erwirtschaften. Die Ungerechtigkeit liegt darin, dass diejenigen, welche ihre Mittel in Realkapital investieren (im einfachsten Falle: ihr Geld auf die Bank tragen), Zinsen erwarten und erhalten: das erscheint uns (fast) allen als die selbstverständlichste Sache von der Welt. Andere dagegen geben ihr Geld für die Aufzucht und Erziehung ihrer Kinder aus.
Ökonomisch gesehen, stellen die Eltern den Kapitalbesitzern so das für die Produktion - und damit für die Steigerung des Reichtums der Kapitalbesitzer - unabdingbare Humankapital zur Verfügung, und zwar gratis. Die Eltern verschenken auf diese Weise im Ergebnis Geld an die Realkapitalbeistzer. (Natürlich gibt es einige Ausgleichsmechanismen - Kindergeld, Gebührenfreiheit für Schulen usw. Und natürlich erhalten die Kinder als Arbeitende auch eine Vergütung von den Kapitalbesitzern; aber die kommt nur bedingt und teilweise, und jedenfalls nicht individuell zurechenbar, den Eltern zu Gute, z. B. als Rentenzahlungen.)
Ich will dieses Thema hier nicht weiter vertiefen, sondern habe es hauptsächlich deshalb eingeführt, um auf mögliche Diskrepanzen zwischen dem hinzuweisen, was gerecht ist (oder jedenfalls uns als gerecht erscheint) und dem, was zweckmäßig, nützlich ist (oder erscheint).
Wie ich auf meiner Webseite "Rentenreich" erörtert und in pointierter Form u. a. unter dem Titel "Kinderkosten - Rente – Umwelt – Gerechtigkeit" in meinem "Drusenreich Vier" ausgeführt habe, können diese ökonomisch "gerechten" Ausgleichszahlungen an Eltern durchaus negative Konsequenzen haben: man bekommt möglicher Weise das Humankapital nicht in der benötigten Qualität, und in zu großen Mengen (Überbevölkerung!). (Ähnliche Diskrepanzen habe ich z. B. auch in meinem "Drusenreich Eins" mit der fingierten Historie "Der Deutsche Wald: jenseits von Gut und Böse?" zur Debatte gestellt.)

Es ist, um auf den 'Eigentumsmythos' von Liam Murphy und Thomas Nagel zurück zu kommen, durchaus vorstellbar (bzw. wurde im real existierenden Sozialismus quasi experimentell nachgewiesen), dass eine allzu starke Umverteilung bzw. Deckelung von Ungleichheiten das gesamte Wirtschaftsprodukt negativ beeinflussen kann, so dass am Ende nicht der Reichtum verteilt wird, sondern gleichmäßige (relative) Armut herrscht. Deontologische Ethiker (als solcher wird Nagel wohl zutreffend im englischsprachigen Wikipedia-Artikel bezeichnet) kümmern sich aber weniger um die Folgen ihrer Forderungen: sie wissen a priori, was gut für uns ist.

Die Armen freilich werden den beiden Verfassern schon deshalb nicht danken, weil sie, wenn überhaupt, jedenfalls nicht solche Bücher lesen. Und die Reichen, die ohnehin schon die öffentliche Meinung mit dem Kanonenfeuer ihrer "konservativen" und libertären Think Tanks beharken, wissen sich zu wehren.
Das Buch wird massiv kritisiert z. B. von DAVID CAY JOHNSTON in der New York Times. Johnston ist insofern eine unverdächtige Stimme, weil er "won a Pulitzer Prize last year for his reports on inequities in the American tax system." Mit Vorsicht wird man Kritiken aus den Reihen der üblichen Verdächtigen lesen: von Stephen Moore vom konservativen "Cato Institue" in der National Review, "Richard A. Epstein" im gleichen Blatt und besonders scharf, aber auch ausführlich, von einem gewissen George C. Leef auf einer Webseite "Freedom Daily".

Die Kritiken, wie auch die letztlich alle mehr oder weniger negativen Kundenrezensionen bei Amazon, kann man allerdings nicht einfach als libertäre Ideologie abtun. Auch dort, wo eine solche Position durchschimmert, gibt es eine Reihe von ernst zu nehmenden Kritikpunkten gegen die in "The Myth of Ownership: Taxes and Justice" vertretenen Positionen.

Man würde es sich zu einfach machen, und auch als (mehr oder weniger) "Armer" nicht unbedingt im wohl verstandenen eigenen Interesse argumentieren, wollte man die Agitation gegen den Steuerstaat, wie sie besonders in den USA populär ist, allein als eine von den Reichen, den "Kapitalisten" gelenkte Bewegung verstehen.
Was dort vielleicht übertrieben wird, ist bei uns definitiv unterentwickelt, nämlich eine kritische Distanz zum Staat und zu dessen finanziellen Anforderungen.
Denn letztlich wird ja auch bei uns weniger von den Reichen auf die Armen umverteilt, als vielmehr von denjenigen, die ein wenig haben, auf diejenigen, die noch weniger (oder manchmal vielleicht sogar mehr) haben.
Wer zahlt denn bei uns die meisten Steuern? Nicht die "Kapitalisten", sondern Raucher, Autofahrer, Konsumenten. Denen kann man die Steuerlast am einfachsten aufbürden: Raucher sind als Volksschädlinge diskreditiert, die nur die Krankheitskosten in die Höhe treiben. In Wirklichkeit belasten sie die Sozialversicherung insgesamt weniger: sie sterben früher und bekommen also weniger Rente, und sie sterben, ehe sie Alzheimer kriegen und Pflegefälle werden. Selbst wenn einigen von denen die Beine amputiert werden, belasten sie in der Summe und über die Jahre gerechnet die Sozialversicherungen nicht stärker und wahrscheinlich sogar weniger stark als Nichtraucher.
Benzinern - gut: denen das Geld abzunehmen ist gut begründbar, und auch die Amerikaner täten gut daran, den Verbrauch der nicht erneuerbaren Erdölvorräte durch kräftige Besteuerung zu reduzieren (aber das wird natürlich nicht passieren).
Angeblich ist die Mehrwertsteuer besonders gerecht, weil die vermeintlich jeder bezahlen muss. Das ist natürlich Quatsch: wer Millionen verdient, und hunderttausende ausgibt, zahlt (vorausgesetzt, er kauft tatsächlich in Deutschland) dafür zwar absolut eine Menge Mehrwertsteuer. Aber es tut ihr oder ihm nicht weh, weil sie oder er von vornherein nur einen Prozentsatz seines Einkommens verkonsumiert, während die "Armen" mehr oder weniger ihr gesamtes Geld zum Lebensunterhalt ausgeben müssen.

Es wäre in den USA absolut undenkbar und würde zu einer neuen Revolution führen, wenn sich dort, wie bei uns, die beiden größten (bzw. in Amerika die beiden praktisch einzigen) Parteien in einer Räuberkoalition zusammentun würden, deren größte "Reformleistung" in einer Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte = 18,75 % (3% : 16%) besteht. Und die, wenn eine boomende Konjunktur die Steuerquellen reicher sprudeln lässt, keineswegs an Steuersenkungen oder auch nur an die Befüllung von Juliustürmen für das nächste Konjunkturtal denken, sondern fleißig neue Schein-Wohltaten für das dumme Stimmvieh ersinnen.
Mit einem selbstbewussten Volk wie den Amerikanern kann man so etwas nicht machen: die gehen zwar nicht so brav wie wir in hellen Scharen zur Wahlurne, aber ihr Geld verteidigen sie ganz energisch gegen staatliche Zugriffe. (Das allerdings im offenem und kollektiven Kampf, nicht -jedenfalls nicht in dem Maße wie das in einigen südlichen Ländern der Fall ist- mit der privatistischen Methode der Steuerhinterziehung.)

"Otto Normalerverbraucher" müsste also bei uns (aber letztlich wohl in allen Ländern) an zwei Fronten kämpfen: für Steuergerechtigkeit, insbesondere für die vollständige Erfassung der Einkünfte, und da wiederum speziell von Kapitaleinkünften, einerseits. Und andererseits für ein gewisses "Rollback" des Staates. Dazu müssten wir freilich bereit sein, auch unsere eigenen Ansprüche an staatliche Leistungen zurück zu stutzen. Hier fehlt es freilich an Einsicht in die Zusammenhänge; statt dessen heißt die Devise: "Steuern muss ich eh' zahlen, also will ich ..... vom Staat gefördert sehen / umsonst bekommen usw."

Deutschlands Steuerzahler sind leider geistige Blindflieger - wie die Fledermäuse.
Und deshalb leichte Beute für unsere politischen Fleddermäuse.

Textstand vom 30.01.2008

2 Kommentare:

  1. Sind Verbrauchssteuern denn nicht die gerechtesten Steuern? Eine Mehrwertsteuererhöhung insbesondere für ressourcenintensive Produkte oder Luxusprodukte zugunster der Verbilligung von Arbeit würde doch den Ärmeren, aber auch Arbeitslosen helfen, oder?

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  2. Verbrauchssteuern sind nicht (un-)gerecht.
    Aber Sie können (und darauf wollen Sie vermutlich ja auch hinaus?) gerecht oder (für welche Zielsetzung auch immer) sinnvoll gestaltet werden und dann nicht eine lediglich besteuernde, sondern eine steuernde Wirkung entfalten - da sind wir uns völlig einig.

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