Sonntag, 10. Januar 2010

Kritik essen Denken auf: Wider die geistige Massendesertation der denkfaulen westlichen Intelligentsia!

Bei westlicher (und ebenso auch einheimischer) Fundamentalkritik an Staudammprojekten kommt mir die Galle hoch (vgl. auch meinen Blog-Eintrag "terreur des sommes"), weil ich dabei die geistig verfettete westliche Intelligentsia als einen Haufen feiger Denk-Deserteure perzipiere.

Inhaltlich sind die meisten Argumente, allgemeiner oder, wie sie z. B. Hellmuth Vensky in seinem ZEIT-Bericht "Der Assuan-Staudamm in Ägypten. Marodes Machtsymbol" vom 06.01.2010 zum Assuan-Staudamm vorträgt, konkreter Art zwar durchaus zutreffend. Nur verpissen sich unsere Armlehnen-Denker vor der Realität, indem sie die Frage nach dem Alternativszenario ausklammern.

Was wäre gewesen, wenn Ägypten den Assuan-Staudamm NICHT gebaut hätte? Wer diese Frage einfach ausblendet oder mit einem Satz wie "Der Damm schadet der Landwirtschaft mehr, als er ihr nutzt" leichthin (und auf einen Teilbereich verengt) 'beantwortet' zu haben glaubt, ohne wirklich einen Überblick über die reale Gesamtbilanz (hard facts!) der wirtschaftlichen Auswirkungen des Staudamm-Baus zu geben bzw. selbst überhaupt zu haben, produziert intellektuellen Schrott.
Gesinnungstüchtigkeit ersetzt in solchen Artikeln tüchtiges Denken.

Anerkennenswert an dem Bericht von Vensky ist allerdings, dass er den Nutzen nicht unterschlägt, welchen der Assuan-Staudamm gebracht hat:
- Stromproduktion
- Große Wassermengen selbst in Dürrejahren verfügbar.

Ich bin überzeugt, dass eine rein ökonomische Analyse in der Summe einen gewaltigen Gewinn für Ägypten aufzeigen würde.

Die Probleme, die dennoch aus dem Damm erwachsen, müssen eben ihrerseits wieder technisch gelöst werden (Beispiel Bilharziose-Bekämpfung: könnte man nicht die Bewässerungskanäle vorübergehend schließen und trocken legen?).
Dass die Nubier ihren Lebensraum verloren haben, vermag ich nicht als echtes Problem zu begreifen. Gerade jene wohltätigen Wanderprediger, welche so beredt für die indigenen Völker streiten, fordern andererseits mit gleicher (oder gar größerer) Vehemenz von UNS Anstrengungen zur Entwicklungshilfe. Tja Freunde, wat denn nu? Die Nubier als Fellachen leben lassen hättet IHR doch am allerwenigsten gewollt (oder etwa doch, als Dauerfutter für eure geistesträgen Schlappmäuler?). Aber ein Projekt, das ihnen wirtschaftlich nützen kann, wollt ihr auch nicht. Das ist freilich das Wesen des Fortschritts, dass er Identitäten "rückständiger" Völker auslöscht - früher nicht anders als heute. Leben wie in der Steinzeit, Gesundheitsversorgung wie im Westen - das kann es allenfalls dann geben, wenn WIR dafür bezahlen. (Immerhin: auf wohltätige Gewissenserpressung versteht ihr euch ja bestens - vgl. meinen Blott "Wohltätige Gewissenserpressung").

Dass Staubecken mit der Zeit verschlammen (dieses hier verlandet in 500 Jahren ganz): das wäre eine Erkenntnis von Geistesriesen zu nennen, würden diese sich bequemen auch die Erschöpfung der Ölquellen zu kommemorieren! Boah, hätten SIE da dran gedacht?
Und Ägypten hat (zwar immerhin etwas aber doch) nur sehr wenig Rohöl. Die Alternativen wären also gewesen

- Weiter machen mit "rückständiger" Wirtschaftsweise nach Fellachenart
- Als Parasiten des Auslands leben (Entwicklungshilfe erbetteln oder Subventionen über exorbitante Kanalgebühren erpressen)
- Die Bevölkerungszunahme konsequent bekämpfen. China hat das gemacht (aber gleichzeitig, wie auch notwendig, wirtschaftlich 'aufgerüstet' - zuletzt mit dem bekannten 3-Schluchten-Damm - http://de.wikipedia.org/wiki/Drei-Schluchten-Staudamm, der ebenfalls vielfach kritisert wird).

Ich will hier nicht für oder gegen die eine oder die andere Variante argumentieren.
Was mich auf die Palme bringt, ist allein die Substanzlosigkeit eines pseudo-intellektuellen Wiederkäuertums, welches die entscheidende Dimension ausblendet: den Menschen, seine ungehemmte Ausbreitung über die Erde (auch bei uns pumpt man ja Geld in die Familien, wenn sie nicht mehr wachsen wollen) und den (legitimen) Wunsch nach einem besseren Leben.
Das alles steht hinter "Assuan" ebenso wie der der Edertalsperre usw. (worauf einige der Leser-Kommentatoren in der ZEIT bereits hingewiesen haben).

Vor dieser Realität mit ihren letztlich UNLÖSBAREN Problem werden unsere Schreibdenker intellektuell fahnenflüchtig und desertieren in Muttis Schoß der Scheingewissheiten: Staudämme sind schlecht, also gut, das war's!

Da überrascht es nicht, dass gleichzeitig auch die Masse der geistigen Sappeure und Mineure der Volkswirtschaftslehre vor einem konsequenten Durchdenken der tieferen (und dennoch recht leicht erkennbaren) Ursachen unserer Weltwirtschaftskrise desertiert.


Nachträge:
10.01.10
Deutlich tiefer als Vensky schürft, im Pro wie im Kontra, Michael Ossenkopp in seinem Beitrag "Umweltfolgen. Assuan-Staudamm: Der späte Fluch im Pharaonenland" im Hamburger Abendblatt vom 9. Januar 2010 (meine Hervorhebungen:
"Das Projekt sorgt für Wasser und Strom. Aber die Böden laugen aus, der See verlandet und durch Druck entstehen sogar Erdbeben. .....
Der Bau des neuen Assuan-Staudamms erwies sich zunächst als große Errungenschaft. Er ermöglichte die ganzjährige Bewässerung von 300 000 Hektar Ackerland und den Bauern drei Ernten pro Jahr, mehr als 400 000 Hektar Wüste wurden zu fruchtbaren Feldern. Ohne den Hochdamm wären große Teile der Bevölkerung verhungert. Obwohl sich der Speicherinhalt des Nassersees in den Jahren 1979 und 1987 fast halbierte, bewahrte er die Einheimischen vor einer Dürreperiode.
."
Handfeste Zahlen für seine Behauptung "Aus wirtschaftlicher Sicht übertreffen die Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden den Gesamtnutzen des Damms" legt aber auch er nicht vor.

Der Tagesspiegel thematisiert einen Aspekt, den die geistigen Varietékünstler unserer sog. "kritischen" Intelligenz ebenfalls gern aus dem Ärmel ziehen, aber, wenn es nicht passt (wie hier) auch unbekümmert zurückhalen: die Perspektive der betroffenen Völker selbst, welche wir doch nicht bevormunden dürfen, gelle?
"Assuan. Ein Staudamm als Eckpfeiler ägyptischer Identität" heißt es dort am 09.01.10 und die Einleitung des Berichts lautet (meine Hervorhebung):
"Vor 50 Jahren begann der Bau des Staudamms von Assuan – bis heute ist das ganze Land stolz darauf."
Ansonsten ist er eher weniger informativ, weil relativ kurz; notieren will ich hier aber die Angabe zur Stromproduktion im Verhältnis zur ägyptischen Gesamtleistung:
"79 Prozent des damaligen Strombedarfs ließen sich fortan mit einem Schlag durch Wasserkraft erzeugen, heute sind es noch neun Prozent."

Noch mehr Informationen als der (für einen Lexikon-Eintrag schon nicht schlechte) oben verlinkte deutschsprachige Wikipedia-Eintrag bringt das englischsprachige Pendant unter "Aswan Dam", wo allerdings die deutsche Beteiligung in der Planungsphase unerwähnt bleibt (Wikipidia deutsch: "Zunächst war der Damm von westlichen Ingenieuren der Firmen Hochtief in Essen und von der Rheinstahl Union Brückenbau AG geplant worden"). Weiterführende Links gibt es bei beiden.

M. A. ABU-ZEID & F. Z. EL-SHIBINI, "Fum Ismailiya Canal Shoubra El-Khima, Box 74, Cairo, Egypt" (wer immer das sein mag und mit welcher Autorität auch immer ausgestattet; immerhin wurde das Dokument von dem US-amerikanischen "Coastal Institute" publiziert) schreiben, allerdings schon im Jahr 1997 in der Zusammenfassung (abstract) eines 11-seitigen Aufsatzes (meine Hervorhebung):
"Egypt’s High Aswan Dam"
"History tells us that Egypt’s fertile land is the gift of the Nile. However, for the first time in history, full control of the Nile water was achieved in 1970 after the construction of the High Aswan Dam (HAD) ["High" wohl zur Unterscheidung zu dem alten britischen Kleinen Assuandam]. The HAD is a multipurpose project for sustainable irrigation development, hydropower, navigation improvement etc. Different schools of thought appeared before and after the HAD project - optimistic, pessimistic and neutral. However, the anticipated benefits and side-effects have provided clear and obvious facts in response to the different ideas after more than 25 years of operation. The HAD saved Egypt twice during the project’s life (a) from a dangerous flood series which occurred in the late 1970s, and (b) from severe droughts in the mid-1980s. As with other large projects, some side-effects have occurred, as anticipated, but the benefits far exceed these side-effects. There is no doubt that the HAD is the cornerstone for Egypt’s sustainable agricultural plans and many other developments. In this paper documented facts are given relevant to HAD water allocations for the sake of the welfare of Egypt’s future generations. These will include the realized true benefits and side-effects of the HAD."

Die offizielle Jubelseite der ägyptischen Regierung, deren Text zu "Aswan High Dam, Project of the 20th Century " negative Auswirkungen nicht leugnet, sondern gar nicht erst anspricht, kann man bestenfalls beim Berühren mit der Kneifzange als Informationsquelle verwerten.

Im Manager-Magazin vom 08.01.10 figuriert der See in einem dpa-Bericht von Simone Spohr als Geheimtipp für Kulturreisende; auch wird zu einer Landkarte und einigen Fotos verlinkt. Ich referiere das hier nur der Vollständigkeit halber; denn die touristische Perspektive liegt zwar jenseits meiner Argumentationslinie im vorliegenden Blott, sie bei Gelegenheit einzunehmen ist aber keineswegs illegitim: "Ägypten-Kreuzfahrten. Pharaonen und Ingenieure":
"Die Weiten der Wüste und die Geheimnisse der Pharaonen locken viele Urlauber nach Ägypten. Wer den Massenauftrieb meiden, aber auf spektakuläre Natur und Kulturdenkmäler nicht verzichten möchte, sollte eine Kreuzfahrt auf dem Nasser-Stausee in Erwägung ziehen."

Die Sendung (vom 08.01.10 aus der Reihe "Kalenderblatt"; der Reihentitel müsste eventuelle Hörer- bzw. Lesererwartungen an eine hohe Analysetiefe des Textes vornherein dämpfen) "165 Milliarden Kubikmeter Wasser. Vor 50 Jahren: In Ägypten beginnen die Bauarbeiten am Assuan-Staudamm" von Irene Meichsner im Deuschlandradio erinnert auch an deutsche Planungsbeteiligung: "Otto Kirschmer vom Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Universität Darmstadt war an der Planung des gigantischen Bauwerks maßgeblich beteiligt."




Textstand vom 15.01.2010. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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1 Kommentar:

  1. Wie bereits beim Zeit Online Bericht kommentiert waren die negativen Folgen praktisch alle bei Baubeginn bekannt und die Bedeutung des Nilschlamms für die Bodenfruchtbarkeit wird weithin überschätzt. Die Versalzung der Böden sollte mit Drainage ausgeglichen werden, was aber erst mit Verzögerung geschah. Es wäre interessant die landwirtschaftliche Produktion des heutigen Ägypten zu erfassen und mit den Werten von vor 25 Jahren zu vergleichen.
    Eine Diplomarbeit des FB Agrarwirtschaft in Witzenhausen liefert jede Menge Informationen und Literaturhinweise zum Stand der Folgen des Damms im Jahr 1986.

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