Freitag, 22. Januar 2010

Staatsschulden, Staatspleiten, Überschuldung Griechenland: Der Bailout-Beobachter


In diesem Blott möchte ich Äußerungen von Personen (in alphabetischer Reihenfolge) zu der Frage sammeln, ob wir Griechenland bei der Begleichung seiner Schulden helfen sollten oder nicht.

Nach meinem Eindruck werden deutsche Steuergelder früher oder später gen Süden wandern; nicht direkt natürlich, sondern so kaschiert, dass die dummen Holzmichel nicht allzusehr aufbegehren. Das wahrscheinliche Szenario, das man verschiedentlich liest (bzw., anders formuliert: auf das unsere Regierung - die sich auch z. B. auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik als skrupelloses Raubgesindel decouvriert - die Öffentlichkeit vorbereitet) ist eine europäische Gemeinschaftsanleihe, bei der die Länder solidarisch haften. Also auch Deutschland für griechische Schulden.

Deutschland wird dabei doppelt gebeutelt werden:
- Die Anleihezinsen werden höher sein als für eine rein deutsche Staatsanleihe und
- Nie und nimmer zahlen uns die 'armen' Griechen das ganze Geld zurück.

Interessanter Weise ist die deutsche Journaille zwar nicht sonderlich glücklich über diese Situation, aber bei fast allen Artikeln, die ich gelesen habe (Gegenbeispiele sind mir hochwillkommen!) kommen diese Schreiberlinge nach mehr oder weniger gewundenen wurmartigen Krümmungen auf die hehre Paradestraße der europäischen Solidarität, der Verantwortung für den Euro, für Griechenland, für den lieben Gott und für den ganzen Rest der Welt.
Die vorgebrachten Befürchtungen, die als Begründung für deutsche Nibelungen(Schatz)-(Un)Treue, sind größtenteils diffus: "Chaos", "Crash", Unruhe oder Unordnung auf den Märkten (die sowieso keine Ordnung haben), Schwäche der Währung, eine "Auseinanderdriften" der Währungsunion usw.

Konkret genannte Angstgründe sind meist falsch. Ziemlich einheitlich widersprechen Ökonomen dem Geraune, dass Griechenland motiviert wäre, die Eurozone bei einer Staatspleite zu verlassen. (Und selbst wenn es so wäre: so what? Unser Schaden würde es kaum sein; der Euro würde vielleicht fallen - kurzzeitig. Das hat positive Auswirkungen für die Ausfuhrpreise und negative für die Importpreise. Ohnehin soll ja der Euro aktuell gegenüber dem Dollar auf der Basis der Kaufkraftparität überbewertet sein. Aber auch wenn Heiner Flassbeck meint "Finanzmärkte sind dumm": gar so blöd sind die Spekulanten nun auch wieder nicht, dass sie den Euro abstrafen würden, wenn ein bankrottes Land die Währungsunion verlassen sollte.)


Nachfolgend aber nun Ross und Reiter. Momentan enthält, was sich im Laufe der Zeit vielleicht zu einer Art "watchlist" erweitern wird, Meinungen von Theoretikern und Praktikern der Finanzmärkte; später folgen vielleicht auch Politiker und Kommentatoren.
Zugleich soll der vorliegende Text aber auch als eine Argumentensammlung dienen; im Rückblick wird man dann in einigen Fällen nachverfolgen können, wer mit welcher Einschätzung ins Schwarze getroffen hat oder nicht.
(Hervorhebungen in den nachfolgenden Zitaten jeweils von mir.)


Norbert Barthle MdB, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, steht momentan (bei diesem Nachtrag vom 29.01.10) ganz am Anfang meiner Liste: hoffentlich ein gutes Omen!
Er hatte (bereits am 09.12.2009) anlässlich der Herabstufung von Griechenland durch eine Ratingagentur eine Presseerklärung (auch hier) mit einer klaren Positionierung gegen eine finanzielle Unterstützung Griechenlands veröffentlicht. Auszüge:
"Griechenland muss klar sein, dass die bail-out-Klausel keine Staatshilfen von Seiten der EU oder einzelner Mitgliedsstaaten zulässt. Die vereinbarte bail-out-Klausel gilt auch ohne Wenn und Aber für den Fall Griechenland. Solche Hilfen würden nur die griechischen Bemühungen zur Konsolidierung abschwächen und wären ein schlechtes Vorbild für andere Staaten, die ebenfalls erhebliche Schwierigkeiten mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien haben. Es wäre den Steuerzahlen nicht zu vermitteln, dass sie neben den eigenen Lasten aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nun auch noch die Lasten für die europäischen Sünderstaaten schultern sollten. Und das ohne jegliche wirtschafts- und finanzpoltischen Gegenleistungen der betroffenen Staaten. Die Bundesregierung muss nun eine klare Position beziehen."
Lieber Herr Barthle, denken Sie dran, wenn die Regierung weich wird: Der Mensch vergisst, das Netz nie!


Heribert Dieter ist Experte für Finanzkrisen der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erfahren wir im Handelsblatt vom 27.01.2010 zu dem Interview "Staatsbankrott: „Lösungen werden sehr schmerzhaft sein“". Dieter hat insbesondere zur argentinischen Staatsinsolvenz von 2002 geforscht und festgestellt, dass jedenfalls in diesem Falle die Folgen für die argentinische Wirtschaft eher positiv waren. Da mögen aber Sonderfaktoren mitgespielt haben (er berichtet über die Rückkehr von einheimischem Fluchtkapital; aus Griechenland wird das heimische Kapital wohl nicht geflohen sein, da ja das Land zur Eurozone gehört). Dennoch empfiehlt er (bravo!), Griechenland nicht zu subventionieren, sondern es in die (von ihm - ebenso wie von mir - für wahrscheinlich gehaltene) Insolvenz zu entlassen:
"Die Empfehlung für Griechenland kann nur sein, dass das Land in den Staatsbankrott entlassen wird. Es müssen auch Abschreibungen durch die Investoren eingefordert werden. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, einem Land wie Griechenland, das mit Manipulation in die Eurozone gerutscht ist und sich als nicht zukunftsfähig erwiesen hat, was den Staatshaushalt anbelangt, ohne gravierende Eigenbeteiligung der Investoren entlässt. Das heißt: Staatsbankrott. .....
Vielleicht schafft es die griechische Regierung auch, die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Aber nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand ist das eher unwahrscheinlich. Was ich aber aus meiner Forschungsarbeit zu anderen Finanzkrisen gelernt habe: Ein Konkurs ist nicht das Ende. Wird der Fall Argentinien zum Vergleich herangezogen, zeigt sich, dass der Staatsbankrott eher die Entwicklung der argentinischen Wirtschaft gestärkt als geschwächt hat
."
Von der Panikmache anderer Autoren in Bezug auf nachteilige Folgen für die Eurozone oder den Euro hält er offenbar nichts; allerdings wird diese Frage in dem Interview nicht angesprochen.


Endlich: Joachim Dreykluft sagt in seinem FTD-Kommentar "Angst vor Staatspleiten. Das Gute an der Euro-Panik" vom 05.02.10 genau das, was ich schon seit langem unermüdlich wiederhole: Der Dollarraum bricht nicht wegen der kalifornischen Schuldenkrise auseinander, und ein Fall des Euro auf 1,20 Dollar ist keine Katastrophe, sondern ein Segen, jedenfalls für die deutsche Exportindustrie. Auszüge (meine Hervorhebungen):
"Portugal und Griechenland sind keineswegs pleite. Die Schulden wurden in der Vergangenheit immer bedient, und es spricht aus heutiger Sicht auch nichts konkret dafür, dass dies anders werden könnte. .....
Kalifornien dagegen musste bereits im vergangenen Sommer Schuldscheine statt Barem ausgeben. Fällt im März der Bargeldbestand Kaliforniens unter die Marke von 2,5 Mrd. $, was wahrscheinlich ist, wird Kalifornien seinen Gläubigern wieder selbstbedrucktes Papier statt Dollar -noten anbieten. 2009 gab es Einschnitte im Staatsbudget von 30 Mrd. $, dieses Jahr werden es mindestens 8, vielleicht sogar bis zu 15 Mrd. $ sein, die Gouverneur Arnold Schwarzenegger einsparen muss. Das alles bei einem Gesamtbudget von 82,9 Mrd. $. Washington, davon gehen die meisten Beobachter aus, wird nicht einspringen.
Dennoch ist von einem Auseinanderbrechen des Dollar-Raums keine Rede. Zu absurd wäre die Vorstellung, Kalifornien müsse aus der amerikanischen Währungsunion austreten und eine eigene Devise einführen. .....
Der Vergleich zwischen Kalifornien und den südeuropäischen Ländern zeigt, dass es beim aktuellen Euro-Verfall gar nicht so sehr um konkrete Schulden geht, sondern um Vertrauen. Anders gesagt: Der Euro-Raum hat seine Schuldensorgenkinder, der Dollar-Raum ebenfalls. Der Unterschied liegt in der unterschiedlich langen Historie der Währungsräume, ... .
Die deutsche Exportindustrie sollte den griechischen Lügenbolden außerdem zutiefst dankbar sein. Denn sie haben einen dauerhaften Anstieg des Euro über 1,60 $ verhindert und die Währung in für sie wieder viel komfortablere Regionen gebracht.
Deshalb zum Schluss folgendes Wunschszenario: Die Euro-Zone bricht nicht auseinander, die anderen Euro-Länder springen Griechenland aber auch nicht bei, und die daraus entstehende Unsicherheit lässt den Euro weiter auf, sagen wir mal, 1,20 $ abrutschen.
.


Hans Georg Fabritius ist Bundesbank-Vorstandsmitglied. In dem Handelsblatt-Artikel "Bundesbank-Warnung: „Deutschland steht das Wasser bis zum Hals“" vom 20.01.2010 wird seine Ablehnung eines Griechenland-Bailouts so dargestellt:
"Mit Blick auf das hochverschuldete Griechenland warnte Bundesbanker Fabritius vor gefährlichen Nebenwirkungen einer gemeinsamen europäischen Rettung des Pleitestaats für die Stabilität des Euro. „Gelingt es dort nicht, die Haushaltsprobleme rasch in den Griff zu bekommen, wird die Diskussion um einen europäischen Bail-out an Vehemenz gewinnen und schließlich eine Eigendynamik entfalten. Der am Ende resultierende Präzedenzfall würde aber die Legitimation des Euro in den übrigen Ländern massiv beschädigen und so an den Grundfesten der Währungsunion rütteln“, sagte das Bundesbank-Vorstandsmitglied."


Heiner Flassbeck, Wirtschaftswissenschaftler und im vergangenen Jahrhundert kurzzeitig deutscher Staatssekretär unter dem Finanzminister Oskar Lafontaine, gegenwärtig in Genf "Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD)" (Wikipedia), ist mir von seiner gesellschaftlichen Positionierung her ja durchaus sympathisch. Den einen oder anderen Artikel, den er auf seiner Webseite publiziert hat, würde ich wahrscheinlich auch unterschreiben (derzeit bin ich noch bei der Lektüre; "Die unendliche Leistungsträgerlüge" fand ich jedenfalls beim Überfliegen überzeugend).
Dass Flassbeck allerdings viel klüger wäre als die Mainstream-Ökonomen, deren Mythen, jedenfalls in Sachen Rentenfinanzierung, ich auf meiner Webseite "Rentenreich" recht detailliert dechiffriert hatte, wage ich zu bezweifeln.
Denn er positioniert sich in Sachen Griechenland als Weiner Flassbeck, indem er, vermutlich aus Mitglied mit den armen Griechen, aber mit einer abenteuerlichen Begründungskonstruktion, deutsche Steuergelder skrupellos im Süden verschwinden lassen will.
"EU-Sorgenkind. Die griechische Krise hat deutsche Wurzeln"
und
"Staatsbankrott in Griechenland. Kauft Feta und Olivenöl!"
Wegen der Einzelheiten seiner Position und meiner Kritik verweise ich auf den diesbezüglichen Eintrag im Blott "Stark, Jürgen! Einer trotzt dem Erpresserpack der Finanzmärkte - und lehnt einen Griechenland-Bailout ab!".


Bert Flossbach ist Vermögensverwalter. Ich würde ihm mein Geld anvertrauen, weil er sich in dem Handelsblatt-Interview Die Gelddruckmaschine läuft weiter (21.01.10) knallhart gegen einen Griechenland-Bailout ausspricht:
F.: "Griechenland ist ein kleiner, isolierter Brandherd. Das ist ein griechisches Problem und ein Problem der Leute, die griechische Staatsanleihen haben. Möglicherweise gibt es einen Staatsbankrott in Form eines Moratoriums, so dass mal zwei Jahre keine Zinsen bezahlt werden oder die Rückzahlung der Anleihe um ein Jahr verschoben wird.
[HB:] So weit werden es die anderen Euroländer vermutlich nicht kommen lassen.
[F.:] Das Schlimmste, was passieren kann, wäre eine Rettungsaktion für Griechenland. Das würde Moral Hazard kreieren. Andere Staaten wie Portugal könnten sich dann darauf berufen, dass Griechenland geholfen wurde. Gleichzeitig würde die Kreditwürdigkeit der bislang noch starken Staaten wie Deutschland leiden. Ich hoffe, die Politiker kommen nicht einmal auf die Idee, einzelne Euroländer künstlich am Leben zu halten. Die Griechen müssen sehen, wie sie klar kommen.
"
Das dürfte die Einstellung einer ganzen Reihe von Finanzmarktakteuren widerspiegeln (jedenfalls aus den Reihen derjenigen, die keine Griechenland-Anleihen in ihrem Portefeuille haben). In abgeschwächter Form lesen wir das ja auch unten bei Thomas Mayer als Wiedergabe von Fondsmanager-Meinungen.


Die Kolumne des FTD-Chefökonomen Thomas Fricke, "Ehrenrettung für Griechenland" vom 05.02.09 wollen wir nicht unterschlagen, auch wenn sie der "conventional wisdom" über das Griechenland-Problem weitgehend diametral entgegen steht. Auszüge:
"... der Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) empfiehlt gleich mal durchweg sinkende Löhne. Hau ruck. Mit Gewissenhaftigkeit hat das ähnlich viel zu tun wie das Tricksen der Zahlenmeister aus Athen. Dabei spricht viel dafür, dass die Krise allein durch griechische Mentalitätsmängel kaum erklärbar ist. ...
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gaben griechische Staatseinrichtungen bis zum Eintreffen der Finanzschockwellen 2007 weniger Geld aus als die deutschen. Die Staatsquote war niedriger, nicht höher. Sie ist im vergangenen Jahrzehnt sogar gefallen.
Wenn das Staatsdefizit dennoch hoch blieb, lag das eher daran, dass zugleich die Einnahmenquote des Staates sank - ein Befund, der es in sich hat. Immerhin hat ja jene EU-Kommission, die sich jetzt über hohe Defizite so entrüstet, jahrelang auch auf sinkende Steuern gedrungen. Das befolgten die Griechen genauso wie einst Hans Eichel, und beiden brachte es Schulden ein. Mit dem Unterschied, dass Deutschland in seiner Panik die Mehrwertsteuer um drei Punkte erhöhte, was wiederum zur Dauerkonsumkrise beitrug - auch nicht schön.
... stiegen die Lohnstückkosten [in Griechenland] in den drei Jahren bis 2007 auch nicht schneller als in den USA, wo das Plus historisch eher moderat blieb. Sonst wären Griechenlands Exporte seit 1993 sicher nicht um real 150 Prozent gestiegen. Und die Zahl der Jobs wäre von 1998 bis 2007 nicht jedes Jahr um 1,3 Prozent gestiegen - bei angeblich überteuerten Arbeitskräften. Die griechische Arbeitslosigkeit fiel zwischen 2000 und Mitte 2008 um 40 Prozent, die strukturell bedingte Quote laut OECD seit 2005 um immerhin einen halben Punkt - und damit etwa so stark wie im Land der gelobten Agenda 2010. .....
Mindestens ein Drittel des Verlusts an Wettbewerbsfähigkeit kommt daher, dass der Euro für griechische Exporteure seit 2000 um fast 15 Prozent teurer geworden ist. Das liegt wiederum liegt eher am Scheitern der EZB, die Währung nach außen auf ökonomisch sinnvollem Niveau zu halten. Je nach Schätzung sind europäische Waren allein wechselkursbedingt im Dollar-Raum um ein Drittel überteuert.
Zu einem negativen Saldo gehören auch immer zwei Seiten: zum Beispiel eine deutsche, deren Protagonisten jahrelang alles darangesetzt haben, die eigene Wirtschaft durch Reform und Verzicht wettbewerbsfähiger als andere zu machen. .....
Eine solche Krise lässt sich weder durch plumpe Klischees noch durch Kontrollorgien gegen griechische Regierende beheben. Dazu gehört mehr: eine EU-Kommission, die aufhört, einen angeblich tollen Steuersenkungswettlauf zu predigen, den am Ende keiner bezahlen kann; eine Notenbank, die ihren Job auch darin sieht, überteuerte Wechselkurse zu verhindern; oder eine Bundesregierung, die aufhört, Moralapostel zu spielen, und stattdessen das naive Modell aufgibt, Deutschland via sinkende eigene Ansprüche auf Kosten anderer sanieren zu wollen.
Und, natürlich, Finanzmarktjongleure, die sich einen anderen Job suchen sollten, bevor sie den Kontakt zur Wirklichkeit komplett verlieren und das nächste Land in den Ruin spekulieren
."
Also teilweise das Flassbeck-Modell: Deutschland war's, das die armen Griechen ruiniert hat, nicht der südliche Schlendrian. Immerhin: die deutsche Industrie hat trotz des überhöhten Euro-Kurses exportiert. Da muss denn doch wohl etwas mehr im Argen liegen, als jene Daten, die Fricke im Visier hat. Oder ist Deutschland etwa auch an den 5-jährigen Zahlungsrückständen der staatlichen griechischen Krankenhäuser schuld, über die Rybak (s. u.) berichtet?


Daniel Gros ist "Director" der Brüsseler Denkfabrik "Centre for European Policy Studies". Unter der Überschrift "Greek burdens ensure some Pigs won't fly" (hier wohl identisch in der englischen Financial Times) äußert er sich am 01.02.2010 äußerst skeptisch [also realistisch!] über den Nutzen, bzw. überhaupt die Möglichkeit, eines Bail-outs für Griechenland (meine Hervorhebungen):
"In determining the sustainability of public debt one should not look only, perhaps not even mainly, at today’s fiscal accounts, but at the resource balance for the entire country. .....
The Pigs consist of two quite different groups, with Greece and Portugal in the weakest position because of their lack of domestic savings. The gross national savings rates of these two countries – private and state combined – are at record lows: Greece a mere 7.2% of gross domestic product, Portugal 10.2%. By contrast, the average for the euro area is about 20%. Ireland and Spain, at 17 and 19%, are much closer to the euro area average than to Greece and Portugal. This implies that Spain and Ireland will be able to finance government deficits from their national savings now that housing investment has crashed and no longer absorbs such a large chunk of savings. Greece and Portugal are unique in their reliance on foreign capital to such a large extent. .....
... neither Greece nor Portugal have been able to finance even a minimum level of net investment from domestic sources. Greece is unique in the eurozone in that its net national savings have been negative for almost a decade, reaching minus 5.1% of GDP in 2008 (only Portugal did worse). By contrast, the euro area average is (plus) 6% of GDP. Even the Baltic states, which relied on foreign capital to finance a construction binge, are in a better position with net savings safely in positive territory. Such low levels of domestic savings have two implications: A fiscal adjustment alone does not solve the problem, and a bail-out would be costly.
A fiscal adjustment that is not reflected in an increase in the national savings rate would simply transfer the problem from the government to the private sector. A cut in the fiscal deficit would simply result in more private debt. Banks would see non-performing loans accumulate, and in the end they would have to be bailed out by the government. Adjustment requires belt tightening by the entire economy. To set Greece and Portugal on a sustainable economic path requires an increase in savings; put simply, it needs a cut in consumption of about 10% of GDP. .....
... a bail-out of a country makes sense only if all stakeholders contribute. Saving a country that is consuming too much makes sense only if the entire body politic accepts that more than a fiscal adjustment is required. Deep cuts in private sector wages and consumption are needed before any outsider should even consider stepping forward
."
Doch selbst dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt wären, hätte ich null Verständnis für eine Verschickung deutscher Steuergelder in griechische Gierschlünde.
Die taz, deren Artikel "Griechische Staatsfinanzen. Blut, Schweiß und Tränen" vom 04.02.10 ich den Hinweis auf die Kurzstudie von Gros verdanke, zitiert ihn ergänzend wie folgt (meine Hervorhebungen):
"... das Problem ist die Bevölkerung. Den Menschen fehlt jedes Bewusstsein dafür, wie ernst die Lage ist," sagte Gros der taz. Die Krise müsse sich noch deutlich verschärfen, bevor die Regierung Papandreou eine Chance habe, ihren Sparkurs innenpolitisch durchzusetzen. "Die Sozialpartner müssen merken, dass es ernst ist." Eine Finanzspritze der anderen Euroländer, wie sie derzeit häufig gefordert wird, lehnt Gros ab. Sie würde nach seiner Überzeugung den Reformwillen der Athener Regierung sofort wieder zunichte machen. (Nicht nur nach seiner Überzeugung!)Einen Generalstreik und daraus folgenden Staatsbankrott hält Gros für möglich"
[Für Portugal, wo die Situation womöglich noch schlimmer ist, das wir (und die Kapitalmärkte?) aber kaum im Fokus haben, werden die Konsequenzen aus den im Aufsatz von Daniel Gros gebotenen Informationen in dem Blog "Janela na Web" in einem Interview mit einem gewissen Jorge Nascimento Rodrigues diskutiert.


Ottmar Issing, erster Chefvolkswirt der EZB und jetzt Leiter des "Center for Financial Studies" in Frankfurt, hat den (nach meinem bisherigen Überblick) ultimativen Anti-Bailout-Artikel verfasst: in der FAZ. Als "Zentralorgan der parasitären Bourgeoisie" habe ich die FAZ gelegentlich gescholten, aber sie erscheint mir in Sachen Griechenland-Bailout als die einzige deutsche Zeitung, die konsequent DEUTSCHE (und nicht Kapitalmarkt- oder gar griechische) Interessen vertritt). Dafür dann auch mal großes (staunendes) Lob! Ich bin ja lernfähig ;-).
"Die Europäische Währungsunion am Scheideweg" lautet der Kommentartitel (vom 29.01.2010). Auszüge (meine Hervorhebungen):
"Die wichtigsten oder die am häufigsten vorgetragenen [Argumente für eine finanzielle Unterstützung Griechenlands] sind folgende:
- Wenn der griechische Staat insolvent wird, hat dies negative Folgen auch für alle anderen. Anleger erleiden Verluste, Banken müssen Abschreibungen auf ihre Anlagen vornehmen.
- Sobald Griechenland "zu Fall gebracht" ist, werden sich die Finanzmärkte auf den nächsten "Kandidaten" stürzen. Eine Kettenreaktion dieser Art würde die Währungsunion in ihren Grundfesten erschüttern und am Ende selbst ihre Existenz gefährden.
- Als letzter Ausweg könnte Griechenland den Austritt aus der Währungsunion erwägen.
- Kandidaten aus dem Kreis der EU-Länder, die noch nicht der Währungsunion angehören, werden von einem Beitritt abgeschreckt, die Währungsunion verliert an Attraktivität.
- Der Euro wird von diesen Vorgängen geschwächt.
Diese Argumente sind ökonomisch mehr als fragwürdig und politisch äußerst riskant. Es ist richtig: Griechenland steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Finanzmarktkrise und deren Folgen haben die Situation erschwert, sind aber nicht der Hauptgrund für die Misere. Das Land hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, seinen rasch steigenden Konsum - staatlich wie privat - auf Pump finanziert. .....
Hilfen von außen hätten nur einen Sinn, wenn sie den Anpassungs- und Sparprozess unterstützen, aber nicht unterminieren. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie unter strikten, sanktionsbewehrten Auflagen gewährt würden. Für diese Aufgabe kommt im Grunde nur der Internationale Währungsfonds (IWF) in Frage. Das Argument, hier sei die "europäische Solidarität" gefordert, enthält politischen Sprengstoff. Bei den erforderlichen Auflagen geht es schließlich um von "außen" auferlegte Vorschriften für höhere Steuern und schmerzliche Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, Einschränkungen bei Löhnen, Gehältern und Pensionen in Griechenland. .....
Nach den bisherigen Erfahrungen ist es höchst fraglich, ob europäische Institutionen (die Kommission?) überhaupt die politische Kraft aufbrächten, die notwendigen harten Konditionen zu erlassen und gegebenenfalls wirksame Sanktionen zu verhängen. Aber einmal angenommen, die Finanzpolitik Griechenlands würde unter die Kuratel europäischer Anweisungen gestellt, wäre das politische Risiko für den Zusammenhalt der Gemeinschaft kaum zu überschätzen. Kann man erwarten, dass die Finanzierung der Hilfe für Griechenland bei den Bürgern anderer Länder, die letztlich dafür aufkommen müssten, die Begeisterung für "Europa" fördert? Anzunehmen ist dagegen, dass der Hinweis auf die umfangreichen Einschränkungen, die auf europäische Auflagen zurückzuführen sind, zu heftigen Reaktionen in Griechenland führen würden.
Das Argument "europäische Solidarität für Griechenland" steht in krassem Widerspruch zu einem zentralen konstitutiven Element der Europäischen Währungsunion. Mit dem Beitritt zur Währungsunion verliert ein Land seine Souveränität in der Geldpolitik. ... In der Finanzpolitik gelten die Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Ansonsten bleiben die Staaten souverän - in den allgemeinen Grenzen, die die Mitgliedschaft in der EU setzt.
Das unverzichtbare Pendant zur nationalen Souveränität in der Finanzpolitik ist die "No-bail-out"-Klausel. ... Die EU und auch die Währungsunion verkörpern nun einmal keinen Staat.
Dieses Prinzip lässt keine Kompromisse zu. Wird hier eine Ausnahme gemacht, gibt es kein Halten mehr. Die oben erwähnte Befürchtung, die Insolvenz Griechenlands könnte eine Kettenreaktion auslösen, würde in ganz anderem Sinne zur Gewissheit. .....
Wie kann die irische Regierung ihre Politik [der Konsolidierung ohne äußere Hilfe] durchhalten, wenn es woanders dank der Hilfe der Gemeinschaft leichter geht? Kann die Gemeinschaft wollen, dass durch falsch verstandene Solidarität gegenüber einem Land die mit gewaltiger Anstrengung an anderer Stelle eingeschlagene Politik durch "europäische" Initiativen unterminiert wird? Ist die No-bail-out-Klausel erst einmal verletzt, brechen alle Dämme. Die griechische Krankheit breitet sich aus.
Vor diesem Hintergrund wirkt der Einwand, der Euro würde durch das Ausbleiben solidarischer Hilfe geschwächt, geradezu grotesk. Nichts würde den Euro mehr schwächen und die Reputation der Währungsunion als eine Gemeinschaft stabilen Geldes mehr untergraben als ein derart eklatanter Verstoß gegen das Gebot finanzpolitischer Disziplin. .....
Finanzielle öffentliche Leistungen welcher Art auch immer stehen unter dem Vorbehalt der parlamentarischen Zustimmung und Kontrolle. Diese Hürde etwa über eine Gemeinschaftsanleihe (oder andere "Innovationen") umgehen zu wollen verstößt gegen dieses Prinzip. Die Absicht, sozusagen durch die Hintertür einer falsch verstandenen Solidarität Elemente europäischer Staatlichkeit kreieren zu wollen, läuft auf ein politisch gefährliches Spiel hinaus. Es ist kaum zu vermuten, dass die Bürger in Deutschland oder anderswo freiwillig einem Transfer von Steuergeldern nach Griechenland zustimmen würden.
Im Übrigen lehrt die Erfahrung, dass auch die Empfänger solcher Unterstützung dadurch keineswegs "europafreundlicher" gestimmt würden. Im Zweifel würde die Hilfe immer als zu gering angesehen, jede Art von Einmischung von außen würde die Stimmung sogar ins Gegenteil verkehren. .....
Was als Aktion unter dem Motto "Europäische Solidarität" startet, würde mit großer Wahrscheinlichkeit in die entgegengesetzte Richtung wirken. Das Misstrauen der Bürger würde durch finanziell teure Maßnahmen, die noch nicht einmal den beabsichtigten Zweck erreichen, verstärkt.
"


Thomas Mayer, neuer Chefvolkswirt der Deutschen Bank, hat der WELT ein Interview gegeben (veröffentlicht am 21.01.09), in dem es u. a. auch um einen möglichen Griechenland-Bailout geht. Die Überschrift verzerrt den Inhalt total: "Ökonom der Deutschen Bank warnt vor Euro-Crash".
Mayer nimmt das Wort "Crash" nur einmal in den Mund, und das ohne den geringsten Zusammenhang mit der griechischen Haushaltskrise:
"Mit dem billigen Geld füttern wir eine transatlantische, neue Preisblase über mehrere Anlageklassen. Wenn es dann noch mal kracht, haben wir in der Tat einen finalen Crash und unser Pulver bereits verschossen."
"Zusammenbruch" ist ein deutsches Wort für Crash; auch dieses verwendet Mayer nur einmal, und tatsächlich bezogen auf Griechenland, allerdings nicht den Kurs des Euro (auf den sich der Begriff "Crash" in der Überschrift ja eigentlich nur beziehen kann), sondern auf den Zusammenhalt der Eurozone (ob sich die unpräzis formulierte Frage darauf oder eher auf den Eurokurs bezog, muss offen bleiben; vielleicht hat hier der betreffende Interviewer - von insgesamt dreien: Jörg Eigendorf, Florian Hassel und Tobias Kaiser - ja auch nur so dahergeplappert, ohne sich selbst tiefere Gedanken über den Sinn seiner Frage zu machen):
"WELT ONLINE: Nehmen wir an, Griechenland wird zahlungsunfähig, danach geraten Länder wie Irland, Portugal, Spanien, Italien in Not – bricht der Euro dann zusammen?
Mayer: Zusammenbruch muss man definieren. Werden Griechenland oder andere Problemländer die Euro-Zone selbst verlassen? Kaum – warum sollten sie diesen Schutzschirm verlassen?
"
Mitnichten behauptet Mayer aber, dass der Euro "crashen" wird; er fordert zunächst einmal eine Präzisierung der Fragestellung: "Zusammenbruch muss man definieren". Und verneint einen Zusammenbruch - der Eurozone.
Allerdings sagt er:
"Die Situation ist ernster als jemals in den ersten zehn Jahren nach Einführung des Euro. Der Fall Griechenland spielt eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung."
Was heißt 'ernste Situation'? Dass wir Griechenland finanziell unterstützen müssen? Mayer lässt (wie ein cleverer Politiker) diese Frage letztlich offen; in der Summe muss man seine Äußerungen (leider) wohl so interpretieren: Hilfe ja, aber mit strengen Auflagen.
Hier die aus meiner Sicht einschlägigen Passagen:
"Wir können die Griechen durch EU- oder bilaterale Hilfe raushauen.
Dann ist das Problem kurzfristig gelöst. Griechenland bleibt der Staatsbankrott erspart, uns ein Beben auf dem europäischen Anleihenmarkt. Auf der anderen Seite würde ein Land ausgekauft, das nicht reif für die Euro-Zone war, gemauschelt hat, um trotzdem reinzukommen, und seitdem nichts gelernt hat, wie die erneut falschen Zahlen von 2008 und 2009 beweisen. Deshalb hat der Fall Griechenland schon exemplarische Bedeutung. .....
Weder die Europäische Zentralbank noch die EU-Kommission, noch sonst jemand in der EU kann die Griechen nun zwingen, im Ausgleich für Hilfe notwendige Reformen durchzuführen. Doch ohne bindende Verpflichtungen sagen andere Problemländer: Warum sollen wir den Gürtel enger schnallen, wenn die Griechen auch so rausgehauen werden? Dann könnten etwa die Iren, die im Moment durchgreifend ihren Haushalt sanieren und nicht etwa vor drastischen Gehaltskürzungen zurückschrecken, damit aufhören und sagen: Unsere Verluste zahlt ohnehin die EU.
WELT ONLINE: ... Finanzminister Wolfgang Schäuble hat kürzlich gesagt: Der IWF hat in Griechenland nichts verloren. Wenn wir den IWF in die Euro-Zone hineinlassen, werden wir an den Devisenmärkten brutal abgestraft, und der Euro fällt.
Mayer: Das erstaunt mich. Ich habe von großen Hedgefonds-Managern gehört: Der Euro und damit auch deutsche Rentenpapiere werden schwach, wenn Griechenland einen Bailout ohne feste Bedingungen bekommt. Denn dann sagen sich die Anleger: Jetzt sind wir auf der Schiene, die zur Weichwährung Euro führt. Die Fondsmanager sagten auch: Wenn Griechenland hart behandelt wird und so einschneidend vorgehen muss wie Irland, ist das gut für den Euro und für die Deutschen und ihre Anleihen.
"
Im übrigen hat Mayer noch einige bemerkenswerte Ausführungen zum Thema "Weginflationieren der Staatsschulden" gemacht, die aber nicht in den vorliegenden Zusammenhang gehören; vielleicht werde ich in meinem "Artos-Phagen"-Blott (zum Thema "monetärer Vampirismus") darauf eingehen.


Wolfgang Münchau fährt in der Financial Times Deutschland (FTD) eine regelrechte Kampagne. Das begann spätestens am 03.02.2009 mit seinem Kommentar "Das nächste Spekulationsopfer". Nur noch die Einleitung ist gratis online, der Rest kostenpflichtig:
"In den angelsächsischen Ländern fragen die Investoren mittlerweile nicht mehr, ob die Europäische Währungsunion zusammenbricht. Ihre Frage ist vielmehr: Wann ist es soweit?"
Ich habe seine Kommentare nicht regelmäßig verfolgt (und mache mir jetzt nicht die Mühe, sie systematisch zu sichten); jedenfalls ging es am 15.12.2009 weiter mit "Europa braucht Bailout-Regel": Vordergründig hübsche Pläne, wie wir zukünftig einer Inanspruchnahme für anderer Länder Schulden entgehen; hintergründig aber, da es gegenwärtig noch keine solche Regel gibt, die Aufforderung, Griechenland zu helfen. Am Anfang gehen uns seine Ausführungen runter wie Öl:
"Entweder wir überlassen die Griechen sich selbst und riskieren, dass die Krise auf andere Staaten überschwappt. Oder wir helfen. Dann wüsste jeder, dass man den Stabilitätspakt ungestraft verletzen kann. Egal, wie man sich entscheidet: Wir verlieren, Griechenland gewinnt."
Aber dann kommt der Pferdefuß:
"Der Schutzschirm gilt für alle Länder, gegen die kein Strafverfahren des Stabilitätspakts läuft. Er hätte für Griechenland im Februar gegolten, gilt auch jetzt noch, aber möglicherweise nicht mehr im nächsten Jahr, wenn die EU ein Strafverfahren gegen Griechenland eröffnen sollte."
Ob ein Strafverfahren eröffnet würde, ist sehr fraglich. Für mich lautet Münchaus Botschaft: Jetzt müssen wir Griechenland helfen.
Aber wieso eigentlich? Welche schrecklichen Gefahren drohen uns, selbst wenn (was das Land aus Eigeninteresse nicht tun wird) das politisch offenbar hoffnungslos unreife Griechenland die Eurozone, oder gar (bzw.: oder besser auch gleich!) die EU verlässt? Die Finanzmärkte müssten die Rest-EU hochstufen, dank noch größerer Stabilität, und wir bräuchten keine deutschen Steuergelder mehr gen Süden zu senden, die schon ohne Bailout (über die EU) im Massen nach Griechenland abwandern. (Vgl. dazu den FTD-Artikel "EU streitet über gerechte Strafe für Griechenland" vom 19.01.10 (meine Hervorhebung): "... sogenannte Kohäsionsfonds ... . Mit diesem Fonds fördert die EU ärmere Regionen. Griechenland ist in der EU größter Profiteur dieses Topfes. 2008 flossen 4,7 Mrd. Euro in das Land.")

Am 26.01.10 hat Münchau, der in dem Brüsseler Think-Tank "Eurointelligence" tätig ist, unter "Griechenland ist überall" noch einmal nachgelegt. Dazu nachfolgend mein Kommentar, der in der FTD wohl nicht veröffentlicht werden wird.:
"Münchau legt ein Brikett nach, zu seiner Dezember-Offensive u. d. T. "Europa braucht Bailout-Regel".
Mit Engelszungen redet er uns hübsche Pläne für Automatismen ein, die letztlich dann doch wieder ausgehöhlt würden: Hauptsache, wir garantieren für Griechenlands Schulden.
Diffuse Ängste schürt er, wenn er davor warnt, dass der Euro-Raum vielleicht auseinander oder uns um die Ohren fliegt.
"Auseinander" fliegt die Eurozone ganz sicher nicht; allenfalls fliegen einige Länder raus! Und warum nicht? Wieso sollte uns der Euro-Raum so viel wert sein, dass wir unsere eigene finanzielle (relative) Solidität aufs Spiel setzen, um irgendwelche Marodistans mitzufinanzieren?
Nein, wir dürfen den Griechen keine Auflagen machen, und schon gar nicht uns in deren Staatshaushalt einmischen (die EU nicht, und wir Deutschen aus historischen Gründen erst Recht nicht).
Wenn die Griechen politisch zu infantil sind, ist kein Platz in einem vereinten Europa für sie; die rechte Kur für politische Unkultur ist nicht ein fremdländischer Staatskommissar, sondern die Knute der Finanzmärkte.
Ich halte Münchau für einen hochintelligenten Lobbyisten der Kapitalmarktinteressen: er unterbreitet scheinbar vernünftige Vorschläge, um (und nur darum geht es momentan!) Deutschland (wie natürlich auch die anderen europäischen Länder) in eine Verantwortlichkeitsfalle zu locken.
Die Finanzmärkte haben hohe Zinsen für griechische Anleihen kassiert, die Anleihekäufer haben sich, wenn sie klug waren, über Credit Default Swaps abgesichert: die Finanzmärkte haben gut verdient und sie haben der Gesellschaft ihr effizientes Funktionieren versprochen.
Dann lasst sie mal selber sehen, wie sie aus der Griechenland-Nummer wieder rauskommen; ökonomisch zwingende Gründe für einen Bailout gibt es für UNS nicht - für die Anleihebesitzer natürlich schon.
Wenn unsere Engelskanzlerin auch nur einen müden Euro, direkt oder auf irgendwelchen Schleichwegen indirekt, nach Griechenland gibt (zusätzlich zu jenen Milliarden, die über den EU-Umweg ohnehin schon seit Jahrzehnten dort versickern), dann soll der Teufel sie für diese Veruntreuung deutscher Steuergelder holen!
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Andrzej Rybak berichtet am 4.2.10 für die Financial Times Deutschland in einem langen Artikel "Agenda. Griechische Pein" über die Stimmung der Bevölkerung. Überdurchschnittlich tief eindringend erscheint mir der Bericht nicht; aber neben allerlei allgemein Bekanntem und vielem, was sich auf andere Ebenen bezieht (z. B. Enttäuschung Europas über die Griechen) zeichnet er doch ein wohl zutreffendes Bild von allgemeiner Verantwortungslosigkeit; deshalb nachfolgend einige Zitate. Was immer ich über die Verhaltensweisen und die Einstellungen der Griechen gegenüber ihrem Staat und seinen Organen lese erinnert mich an das, was ich über Süditalien gelesen habe (vgl. meinen Blott "NIKLAS LUHMANN, DER ITALIENISCHE MEZZOGIORNO ..." sowie meine Webseite "Italienreich / Leseliste"). Es ist ganz offenkundig die gleiche Mentalität: eine infantile, je nach Lage weinerliche oder freche Anspruchshaltung, die sich zweifellos auch auf deren Einstellung gegen die anderen Mitgliedsländer der EU überträgt: Die da oben müssen was tun, der Staat soll was tun, die anderen sollen uns helfen. "Wir"? Wir sind doch nur die kleinen Leute, wir betrügen den Staat doch nur im kleinen Rahmen (sagt niemand, denken aber zweifellos die allermeisten).
Charakteristisch für die Dreistigkeit der Griechen scheint mir zu sein, was der Forenteilnehmer "von ein Grieche" in der taz-Diskussionsreihe "Streit der Woche" zum Thema "Soll Griechenland gerettet werden?" schreibt:
"Wir haben geglaubt dass in einer wirklichen Europaischen Union die Mitgliedsstaaten sich gegenseitig helfen ... . Wir brauchen keine EU die nur fur die Banken sorgt."
Dass die EU schon jetzt jährlich knapp 5 Milliarden nach Griechenland pumpt, zählt für den Kommentator (den man sicherlich als typisch für die griechische Einstellung nehmen darf) nicht als Hilfe: Das ist ja schon fest gebucht. Die interessiert nur, was sie noch zusätzlich aus den Dummköpfen im Norden rauskitzeln können. "Wir brauchen Hilfe ("gegenseitige Hilfe" ist ein spaßiges Angebot der Bettler an die Angebettelten!), also muss irgend jemand uns Geld rüberschaufeln" - das ist ganz offenkundig die Einstellung nicht nur hinter diesem Beitrag, sondern der griechischen Öffentlichkeit überhaupt (auch der - allerdings wenigen - anderen Forenbeiträge, die ich von Diskussionsteilnehmern gelesen habe, welche sich als Griechen outen). Keine Spur von Selbstkritik; stattdessen paart sich offenbar eine selbstgerechte Arroganz mit beharrlicher Realitätsverweigerung. Wie auch die versprochenen Zitate aus dem Bericht von Rybak verdeutlichen:
"... viele Griechen wollen immer noch nicht wahrhaben, dass sich etwas ändern muss. Und glauben auch nicht, dass sich etwas ändern wird. ... ..
Wer in diesen Tagen nach Griechenland reist, wird aber kein Volk antreffen, das das Ausmaß der Krise voll begriffen hat. Sicher, es gibt Demos und Wut auf den Straßen. Das Land wirkt zerrissen, die Menschen aufgewühlt. Doch dass sich etwas ändern muss, wollen viele nicht wahrhaben. .....
... kaum einer bereit ist, Einschnitte bei sich zu akzeptieren. ...
Das ist das Problem des Landes: Es fehlt der Glaube, dass sich etwas ändern wird. Das Land ist nicht nur finanziell marode.
Irgendwie hat sich Griechenland eingegraben, eingenistet in dem scheinbaren Wohlstand. ...
"Unsere Probleme sind kein Folge der globalen Finanzkrise", sagt die ehemalige Ministerin und sozialistische Parlamentsabgeordnete Vasso Papandreou. "Sie sind hausgemacht." ...
Die Schattenwirtschaft. Sie ist Griechenlands Rettung und Fluch. Sie hilft, private Krisen zu meistern, raubt aber dem Staat das Fundament. Rund 30 Prozent des BIPs werden hier schätzungsweise erwirtschaftet. Ärzte und Rechtsanwälte, Ladenbesitzer und Handwerker, Baufirmen und Landwirte - sie alle hinterziehen Steuern. Die Hälfte der Nachtklubs fährt offiziell Verluste ein, ein Viertel meldet Einnahmen von 15.000 Euro an, was weniger ist als die deklarierten Einkommen der Angestellten. Ähnlich sieht es in der Gastronomie und im Hotelgewerbe aus. ...
Die Korruption zerfrisst die Gesellschaft, den Staat. ... "Die meisten Griechen finden so etwas schlecht, akzeptieren es dennoch beinah klaglos". .....
Vor fünf Jahren etwa haben staatliche Krankenhäuser die Zahlungen an ihre Lieferanten fast komplett eingestellt. Nun belaufen sich die Rückstände auf 6,2 Mrd. Euro, davon fallen 2,7 Mrd. Euro allein in diesem Jahr an. ...
Früher wurden die Lieferanten nach spätestens zwei Jahren bezahlt. Inzwischen sind es fünf. ......
In den Einkaufszentren drängen sich Tausende Griechen auf der Suche nach Geschenken.
"Sieht so ein krisengeschütteltes Land aus?", fragt Maria Palopoulou, die Sporwartin. Dann zeigt sie aber auf Müllberge, die sich ein Paar Straßen weiter gen Himmel türmen, weil die Müllabfuhr wegen geplanter Kürzungen streikt. "Das ist Griechenland, eine tolle Fassade, doch innerlich völlig verrottet."
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Eine solche Mentalität kann (wenn überhaupt, dann:) allenfalls durch eine Konfrontation mit der Realität gebrochen werden; ganz sicher nicht, indem wir den Flaschenkindern weitere Schnuller reinschieben. Und ebenso wenig, indem wir die Zuchtmeister spielen. Erst wenn die Flasche leer ist werden die da unten merken, dass der Rest der Welt nicht aus Flaschen besteht, welche sie sich die nach Bedarf abgreifen können. Die allerbeste Hilfe, die wir den Griechen geben können, ist es, ihnen den Rücken zuzuwenden: Griechen und die Kapitalmärkte jammern - und niemand hört hin! Warum müssen wir immer springen, warum muss sich die EU in die Interna ihrer souveränen Mitgliedsstaaten so sehr reinhängen? Hat man je gehört, dass Washington den Kaliforniern Vorschriften für ihre Haushaltsführung macht?


Jürgen Stark, Chefvolkswirt und Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB / ECB), hatte sich schon früher gegen einen Bailout stark gemacht. Er tut das nun erneut in einem Interview mit der Welt am Sonntag vom 24.01.2010 u. d. T. "Griechenland wird nachbessern müssen". Hier die einschlägigen Textpassagen:
"Stark: In einer Währungsunion muss ein Land auf andere Art seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern. Länder wie Griechenland müssen deshalb nicht nur ihr Defizit in den Griff bekommen, sondern brauchen eine grundlegende Umorientierung ihrer Wirtschaftspolitik.
Welt am Sonntag: Was meinen Sie damit konkret?
Stark: Wer ständig Defizite produziert, lebt über seine Verhältnisse. [Ist das auch als implizite Kritik an den USA zu verstehen?] Das lässt sich nur ändern, wenn man den Gürtel enger schnallt und die Volkswirtschaft wieder wettbewerbsfähiger macht. Manche Länder haben das geschafft, indem sie sogar einen Rückgang der Löhne erlaubt haben. Für Volkswirtschaften in einer schwierigen Lage gibt es dazu keine Alternative.
Welt am Sonntag: Damit fordern Sie eine Sparpolitik, wie sie einst Reichskanzler Brüning am Ende der Weimarer Republik umzusetzen versuchte.
Stark: Ich halte den Vergleich nicht für statthaft. Das war ein ganz anderes Umfeld. Es gibt Länder, denen erfolgreich eine Anpassung in der Währungsunion gelungen ist, Deutschland zum Beispiel kurz nach der Jahrtausendwende. Auch in Irland hat es jüngst fundamentale Korrekturen gegeben. Ich vertraue auf den Gruppendruck in der Währungsunion, der die Länder zu den richtigen Reformen zwingen wird.
Welt am Sonntag: Hätte man nicht schon bei Gründung der Eurozone einen Europäischen Währungsfonds bilden müssen, der angeschlagenen Ländern hilft, sie aber auch an die Kandare nimmt?
Stark: Die Währungsunion beruht auf einer klaren Geschäftsgrundlage, an die man die heutige Politikergeneration erinnern muss. Kein Land der Währungsunion haftet für die Schulden eines anderen Landes.
Welt am Sonntag: Sie wollen im Notfall auch nicht den IWF zu Hilfe holen?
Stark: Das würde bedeuten, dass Länder außerhalb des Eurogebietes darüber mitbestimmen, welche Politik innerhalb des Eurogebietes gemacht werden muss. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.
Welt am Sonntag: Bleibt nur die Rettung eines Mitgliedslandes durch die anderen Länder der Eurozone.
Stark: Das schließt der Maastrichter Vertrag aus.
Welt am Sonntag: An den Märkten glaubt das keiner. Es ist doch unvorstellbar, dass die EU eine Pleite wie die von Lehman auf Staatsebene zulassen würde.
Stark: Es geht hier nicht um Staatspleiten, sondern darum, dass die betroffenen Länder ihre Hausaufgaben erledigen.

Welt am Sonntag: Aber wie wollen Sie die Staaten dazu zwingen, zu sparen?
Stark: Wir müssen sie nicht zwingen. Wer nicht spart, bekommt zunehmend Schwierigkeiten, über den Markt die notwendigen Mittel zu erträglichen Konditionen zu erhalten. Im Übrigen zwingt der Stabilitäts- und Wachstumspakt zu Disziplin. Griechenland hat gerade sein Stabilitätsprogramm vorgelegt. Es wird jetzt im Detail von der EU-Kommission und dem Finanzministerrat geprüft werden.
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Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Fraktion, fordert nunmehr ebenso wie einige (deutsche!) rote und grüne Abgeordnete im Europaparlament die Auflage von Euro-Bonds. Dies erfahren wir in dem Handelsblatt-Bericht "EU-Liberale: Kritik an Auflagen für Griechenland" vom 05.02.10:
Die Euro-Länder hätten sich viel früher um die Krise in Griechenland kümmern müssen, sagte der Chef der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt. Die nun geforderten Reformen kämen zu spät und griffen zu kurz, da die Vertrauenskrise bereits auf die Eurozone übergegriffen habe. Gestern kam der Euro unter Druck; zudem gerieten Spanien und Portugal an den Bondmärkten in Bedrängnis.
Der EU-Sondergipfel am 11. Februar müsse sich mit der Krise befassen und Hilfen für Griechenland auf den Weg bringen, forderte Verhofstadt. Eine Möglichkeit sei die Ausgabe von Eurobonds. Für Finanzhilfen sprachen sich auch die Sozialdemokraten aus. Parteichef Poul Nyrup Rasmussen sprach von einer "Notlage"."
Dass sich die Sozis der roten Regierung in Athen verbunden fühlen, ist zwar (insbesondere wenn es sich um Deutsche handelt, wie den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion Martin Schulz) ärgerlich, aber immerhin noch ideologiepolitisch nachvollziehbar. Was aber hat die Liberalen gebissen, unsere Steuern gen Süden zu senden? Hat da jemand eine Spende vom Bankenverband kassiert, wie bei uns die FDP eine Großspende vom Großhotelier?


Norbert WALTER ist aus härterem Holz als der tendenziell eher politisch stromlinienförmige o. a. Thomas Mayer. Im Mayer-Interview bewertet die WELT den Ende 2009 in Pension gegangenen alten Chefvolkswirt der Deutschen Bank so: "Chefvolkswirt ... ein Posten, in dem sich sein Vorgänger, der schillernde Norbert Walter, zu einem der bekanntesten Wirtschaftskommentatoren entwickelt hat."
Nachfolgend die Passagen des Interviews "Wir werden eine ungemütlichere Gesellschaft sein", ebenfalls aus der WELT (vom 26.12.09; Interviewer Jörg Eigendorf und Martin Greive):
"Welt am Sonntag: Glauben Sie, dass auch unsere angeschlagenen Euro-Nachbarn wie Griechenland ihre Probleme in den Griff bekommen werden?
Walter: Ich finde, dass wir uns zu sehr um das kleine Land kümmern.
Welt am Sonntag: Die Probleme und Unruhen dort könnten den Euro gefährden.
Walter: Griechenland hat andere Formen des Protests. Nur weil es dort ein bisschen laut wird, heißt das nicht gleich, dass das ganze Land untergeht. Den Griechen kann geholfen werden.
Welt am Sonntag: Wie denn?
Walter: Wir werden es sicherlich noch öfter erleben, dass Länder auf Hilfe von außen angewiesen sind.
Welt am Sonntag: Und wer soll die Zeche zahlen? Die anderen Euroländer?
Walter: Nein,
ich bin mir sicher, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) Mitgliedern der Eurozone unter die Arme greifen wird.
Welt am Sonntag: Aber genau das will doch niemand. Bundesbank-Präsident Axel Weber hat das mehrfach betont.
Walter: Mir wäre auch lieber, wir würden mit Ländern wie Griechenland wie unter Freunden Tacheles reden, und die würden dann hören. Aber das klappt nicht.
Welt am Sonntag: Man könnte doch einen Eurozonen-Währungsfonds aufbauen, um nicht gleich den IWF reinholen zu müssen.
Walter: Nein, es ist leichter, einen Dritten mit dieser heiklen Aufgabe zu betrauen, als eine Nachbarschaft damit zu belasten.
Welt am Sonntag: Ein solches Eingreifen des IWF würde zu einem enormen Vertrauensverlust in den Euro an den Kapitalmärkten führen.
Walter: Der Kapitalmarkt war als Indikator für Kreditwürdigkeit in der Vergangenheit nicht so effektiv wie ursprünglich erwartet. Auch ich irrte, als ich dachte, der Kapitalmarkt könne hoch verschuldete Staaten über deutlich höhere Zinsen zur Vernunft zwingen. Genau das Gegenteil ist passiert. Die Zinsen haben sich in der Eurozone immer weiter angeglichen.
Welt am Sonntag: Wird der Euro bei all den Problemen nicht zur Weichwährung werden?
Walter: Ist die D-Mark zur Weichwährung geworden, weil Länder wie das Saarland und Bremen schwach waren? Nein, ist sie nicht.
Welt am Sonntag: Ja, aber auch nur, weil am Ende der Bund einspringen würde. Eine solche Garantie wollen wir gerade für Griechenland nicht geben.
Walter: Da haben Sie einen Punkt. Aber dafür gibt es ja den IWF.
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[Nachtrag 24.01.10: Kurios: Am 22.01.10 wurde das Interview u. d. T. "XXXX" auf den Politikseiten (das obigen auf den Wirtschaftsseiten) der WELT-Internet-Auftritts publiziert bzw. repliziert!]


Textstand vom 16.06.2023

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