Sonntag, 4. April 2010

Welche Ziele (Hintergedanken - hidden agenda?) verfolgt die Financial Times Deutschland (FTD) i. S. Griechenland-Bailout?


Die Meinungsäußerungen der FTD-Mitarbeiter zur Politik der deutschen Bundesregierung waren fast durchgängig kritisch (vgl. "Griechenland-Bailout: Ein Dank-Blott für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel".
Einzige Ausnahme die ich mitbekommen habe (oder an die ich mich erinnern kann) war der Leitartikel (ohne Autorenangabe) "Berlin, bitte hart bleiben" vom 18.03.2009:
"Deutschland darf sich nicht vom Ultimatum Griechenlands zu Hilfszusagen drängen lassen. Den IWF zu Hilfe zu rufen, schadet nicht. Nötig wäre aber zu regeln, wie bei künftigen Notfällen Hilfe geleistet werden soll."
Ansonsten war die Tonlage bei Peter Ehrlich, Thomas Fricke, Wolfgang Münchau und Lucas Zeise durchgängig für eine rasche Hilfe für Griechenland.
Da fragt man sich natürlich, welche Motive dahinter stecken.

Denn die Gegenargumente, insbesondere Bedenken, den Sanierungsdruck von der griechischen Regierung zu nehmen, und, mehr noch, das "Dammbruch-Argument" (d. h. die Annahme, dass eine komfortable Hilfe für Griechenland früher oder später Hilfsverlangen auch anderer Staaten - Portugal usw. - nach sich ziehen würden, die man dann nicht abweisen könnte) liegen ja auf der Hand und sind den Kommentatoren der Financial Times Deutschland gewiss nicht entgangen.

Bei Wolfgang Münchau hatte ich zunächst vermutet, dass er die Interessen der Finanzwirtschaft protegiert. Er ist Eigentümer ("Owner at" erfahren wir auf der Webseite Linkedin) der Brüsseler Denkfabrik (Think Tank) Eurointelligence Advisers Ltd., und eine solches privates Forschungsinstitut ist natürlich auf Zahlungen der Privatwirtschaft (für Studien, allgemeine Informationen - oder eben für Meinungsmache) angewiesen.

Aber dass die (beinahe) ganze FTD-Redaktion sozusagen gekauft ist, wäre doch eine allzu kühne Annahme.

Andererseits sehe ich aber eine Diskrepanz zwischen den vorgebrachten Argumenten und ihrem realen Gehalt, und so etwas lässt auf verborgene Absichten schließen.
Die erste (leichte) Frage wäre die nach den Diskrepanzen:

- Mitleid mit Griechenland?
Dass solche Emotionen die Meinungsäußerungen von Wirtschaftsjournalisten dominieren, will ich nicht hoffen und halte ich auch für extrem unwahrscheinlich.

- Sorge um den Euro?
Der Binnenwert des Euro würde von einer Griechenland-Insolvenz nicht tangiert. Der Außenwert würde vielleicht zunächst noch etwas fallen, doch dürfte eine solche Konstellation kaum lange anhalten. ROBIN BLACKBURN hat in seinem Aufsatz "FINANCE AND THE FOURTH DIMENSION" (2006) die Interessenlage der Spekulanten vorzüglich auf den Punkt gebracht:
"In order to cash out their bets the arbitrageurs need ‘events’. A placid market with nothing happening and no volatility is bad for the hedge funds and for those on the ‘risk arb’ desks."
Die Trader brauchen also "events", Ereignisse, die zu einem Auf und Ab der Kurse führen. Schon aus diesem Grunde würde der Euro nicht lange im Keller bleiben (wobei ein Euro-Kursverfall bei einer Griechenland-Insolvenz noch keineswegs ausgemacht ist, denn wie es in dem o. a. 'hart bleiben'-Leitartikel so zutreffend heißt, reagieren "Die Märkte ... auf die Überschuldung einzelner Euro-Staaten [vielmehr] deshalb nervös, weil die EU-Strategie so diffus ist.").

- Sorge um den Zusammenhalt der Eurozone?
Griechenland wird ganz gewiss auch im Falle eines Staatsbankrotts nicht austreten. Es hat in der Währungsunion gut gelebt und wäre außerhalb und mit einer eigenen Währung eine leichte Beute der Spekulation.


Weitaus schwieriger ist die Suche nach möglichen Motiven. Diesen kommt man vielleicht näher wenn man sich vorstellt, wie sich die Dinge voraussichtlich entwickeln würden, wenn Deutschland und die anderen relativ soliden Staaten der Eurozone die Südsünder großzügig heraushauen würden (mit Krediten natürlich, nicht mit Geschenken, aber dass solche Kredite eines Tages zu Geschenken umgewandelt werden müssten, erscheint mir keineswegs unwahrscheinlich).
Die Schulden Deutschlands (die anderen Bailout-Helfer sind hier jeweils mitzudenken, weil für sie dasselbe gilt) würden steigen; das Rating würde sich verschlechtern. Unsere Situation würde sich derjenigen in den USA und in Großbritannien annähern, die angesichts ihrer exorbitant hohen Staatsverschuldung (Japan muss man hier wohl außen vor lassen; dessen Verschuldung ist ohnehin schon jenseits von Gut und Böse und es ist wohl nur ganz besonderen Umständen zu verdanken, dass die Finanzmärkte dieses Land noch nicht massiv attackiert haben) ein starkes Interesse daran haben dürften, ihre Schulden wegzuinflationieren.

Der Westen würde also schuldenmäßig endlich im Gleichschritt marschieren. Dem entsprechend hegen die Bailout-Advokaten wahrscheinlich die geheime Hoffnung, dass dann auch die EZB im gleichen Takt mit der Fed und der britischen Notenbank marschieren müsste, d. h. Staatsschulden aufkaufen, "monetarisieren": also Geld drucken und im Ergebnis inflationieren. Für bereits bestehende Schulden würde eine Inflation dem Staat die Tilgung erleichtern, weil seine Einnahmen nominal wachsen würden, seine alten Verbindlichkeiten nicht.
Für die Zukunft ließe sich ein solches Spiel mit den Anleihekäufern allerdings kaum wiederholen; diese würden die Ausgabe von inflationsindexierten Anleihen 'verlangen', d. h. sie würden keine anderen mehr kaufen.

Wenn es der FTD-Redaktion um eine Inflationierung und/oder die Einführung einer Inflationssteuer zu Gunsten des Fiskus* gehen sollte, so wäre das nicht per se verwerflich; die Motive dafür können durchaus ehrenwert sein.
[* Eine Inflation muss nicht zwangsläufig in allen Bereichen zu einer Inflationssteuer führen. Zu Korrekturmöglichkeiten - die natürlich dann unerwünscht sein müssen, wenn man die Geldbesitzer besteuern will - vgl. z. B. die freilich schon 'asymmetrischen' Überlegungen von Oliver Blanchard u. a. in dem Arbeitspapier des Internationalen Währungsfonds "Rethinking Macroeconomic Policy" vom Februar 2010 (meine Hervorhebungen):
"Achieving low inflation through central bank independence has been a historic accomplishment, especially in several emerging markets. Thus, answering these questions implies carefully revisiting the list of benefits and costs of inflation. The inflation tax is clearly distortionary, but so are the other, alternative, taxes. Many of the distortions from inflation come from a tax system that is not inflation neutral, for example, from nominal tax brackets or from the deductibility of nominal interest payments. These could be corrected, allowing for a higher optimal inflation rate. If higher inflation is associated with higher inflation volatility, indexed bonds can protect investors from inflation risk. Other distortions, such as the lower holdings of real money balances and a greater dispersion of relative prices, are more difficult to correct (the empirical evidence is, however, that their effects on output are difficult to discern, so long as inflation remains in the single digits). Perhaps more important is the risk that higher inflation rates may induce changes in the structure of the economy (such as the widespread use of wage indexation) that magnify inflation shocks and reduce the effectiveness of policy action. But the question remains whether these costs are outweighed by the potential benefits in terms of avoiding the zero interest rate bound."]

Das Ziel einer Inflationierung könnte z. B. ein teilweises Weginflationieren von Kapitalakkumulationen bei den Geldbesitzern sein, was ich grundsätzlich durchaus für gerechtfertigt hielte und was mir sympathisch wäre - soweit die Inflation diejenigen trifft, die ihr Geld gar nicht mehr ausgeben können. Aber natürlich zehrt eine Geldentwertung auch an den Kleckerbeträgen der Kleinsparer, die Riester-Rentner in Deutschland und z. B. in dem USA insbesondere diejenigen Rentenversicherten, die eine Altersrentenversicherung nach dem sog. "defined-contribution"-Modell haben (wo die Beiträge feststehen, nicht aber die Erträge; Gegensatz dazu: "defined-benefit pension schemes" mit fest vereinbarten Auszahlungen).
Vielleicht bin ich ja zu ängstlich, vielleicht haben mir intellektuelle Interessenvertreter der Kapitalbesitzer die Inflationsfurcht nur aufgeschwätzt? Gerne würde ich Gegenargumente hören, aber im Moment fürchte ich, dass die Reichen am Ende in einer Inflation wenn nicht ungeschoren bleiben dann zumindest besser wegkommen als der Kleine Mann. Das Argumentationsmuster dafür deutet sich ja schon bei dem IWF-Inflationisten Oliver Blanchard an: Für Anleger Inflationsschutz durch indexierte Anleihen (bei denen also die Zinserträge, vielleicht sogar auch der Einlösungsbetrag, an die Inflationsentwicklung gekoppelt sind); vor inflationsindexierten Löhnen (die in der Tat inflationstreibend wirken würden) warnt er dagegen.
Und natürlich würden die großen Kapitaleigentümer ihr Geld in Sachwerten anlegen, während ich mir für das kleine Guthaben auf meinem Girokonto kein Grundstück kaufen kann.

Ich bin also skeptisch - gegen die Inflation, und gegen jene geldpolitische Zielsetzung, die ich hinter den FTD-Kommentaren zum Thema Länderbailout in der Eurozone wittere.

Sehr viel lieber wäre es mir die großen Geldbesitzer direkt zu besteuern, u. a. z. B. auch über eine Kapitalverkehrssteuer. (Vgl. z. B. meinen Blott "Die Ökonomie der Artos-Phagen: Warum eine eigentumsbasierte Geldwirtschaft (im Basismodell) nicht dauerhaft funktionieren kann").
Allerdings bin ich mir natürlich auch darüber im Klaren, dass solche Steuern leichter zu umgehen sind als eine "inflation tax". Über diese enthält der "FRBSF [Federal Reserve Bank San Francisco] Economic Letter 97-27" vom 19.09.1997 u. d. T. "What is the Optimal Rate of Inflation?" einige interessante Informationen und Überlegungen (meine Hervorhebungen):
"When the government pays for goods and services with newly printed money, it increases the money supply, which raises the price level, and the increase in the price level diminishes the real value of pre-existing money held by the public. Thus, inflation works like a tax on people who hold money: the newly printed money enables the government to buy goods and services at the expense of everyone who held pre-exisiting money balances, which fall in real value as a consequence of the increase in the price level. Revenue raised in this manner is called "seignorage." .....
Other factors might further increase the optimal rate of inflation. For example, the underground economy uses cash intensively and is difficult to reach with other tax instruments. [Die Schattenwirtschaft ist ja gerade auch in Griechenland weit verbreitet.] Some additional inflation might be desirable as a tax on activity in this sector. Similarly, much of the stock of U.S. currency is held abroad, and it might be desirable to collect seignorage from foreigners." [Besonders bei der Idee, den Ausländern Steuern für ihre Dummheit abzuknöpfen, Dollars als Zahlungsmittel akzeptiert zu haben, sollten wir - und sollten Japan, China und die Ölförderländer - die Ohren spitzen. Ganz besonders hinhören sollten jene deutschen Traumtänzer, welche da glauben, durch Auslandsinvestitionen die deutschen Altersrenten im Wege des Kapitaldeckungsverfahrens sichern zu können.]


Nachtrag 09.01.11
In den USA ist das Schwungrad der Inflation schon angerollt: vgl. z. B. den ntv-Bericht "Versteckte Inflation quält USA" von Lars Halter vom 04.01.2011.


Textstand vom 16.06.2023

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