Samstag, 24. Februar 2007

Heute ist das Museumsufer in Frankfurt verhext

Hans Baldung Grien hat sie losgelassen. Die Hexen. In Frankfurt. Im Städel-Museum. Die lassen, als echte Wetterhexen, den Regen los. Auf breughelianische Flohmarkt-Figuren und auf uns. Wir sind schon jenen Dämonen entronnen, welche das Skulpturen-Museum Liebieghaus, ebenfalls am Museumsufer gelegen, derzeit noch auf die Frankfurter loslässt.


"Charakterköpfe" von Franz Xaver Messerschmidt sind dort ausgestellt.

(Drei andere Grimassen-Gesichter sind hier online zu bewundern.)

















Dazu die Werbe-Postkarte:
















Dieser Bildhauer war zeitweise ein recht erfolgreicher Künstler in Wien, hatte Aufträge aus den höheren und höchsten Schichten der Gesellschaft und war Lehrer (wenn auch nicht ordentlicher Professor) an der Kunstakademie.

Ein gewisser Norbert Schmitt hat sich nicht nur intensiv mit Messerschmidt beschäftigt (das haben, wie wir bei dem insoweit ebenfalls verdienstvollen Theodor Schmid erfahren können, zahlreiche andere auch schon getan), sondern macht dankenswerter Weise die gewonnenen Informationen auch im Weltnetz zugänglich.

Wir erfahren bei ihm, dass aus Berichten über einen Rom-Aufenthalt Messerschmidts erstmalig problematische Züge von dessen Persönlichkeit ans Licht kommen (wobei wir allerdings nicht wissen können, ob dieser Aufenthalt die Ursache für die Störungen oder für seine Verstörung war, oder ob wir lediglich aus diesem Anlass erstmalig etwas darüber erfahren). Schmitt schreibt:

"Nackte Körper.
Bis zu seinem Romaufenthalt erscheint Messerschmidts Biographie als eine aufstrebende Linie in wohldosierten Schritten vom Handwerkersohn zum geschätzten Bildhauer am Wiener Hof. Sein Leben vollzieht sich im Einklang mit seiner Umgebung, er ist talentiert und hat das Glück, zur rechten Zeit auf Förderer zu treffen, die ihm wohlgesonnen sind und ihn unterstützen. Die Berichte aus Rom lassen dagegen zum ersten mal auf Störungen in seinem Verhältnis zur Umwelt schließen. ... seine sonderbare Denkungsart und gar zu eigensinniges Betragen im Umgange mit anderen machte ihm Rom bald unangenehm. Füßli S. 22. Im leichtlebigen Rom, inmitten der prallen Nacktheit der antiken Skulpturen und des ungehemmten Umgangs seiner Künstlerkollegen untereinander und mit ihren Liebschaften zeigt er sich introvertiert, asketisch, abweisend. Gegen eine ihn provozierende Umwelt scheint er krampfhaft bemüht, seine Integrität zu bewahren."

[Frei nach Goethe könnte man - mit anderer Bedeutung - Messerschmidt sagen lassen: "Ich bin, seit ich aus Rom zurückgekehrt bin, eigentlich nachher nie wieder froh geworden".]

Probleme mit seiner Kunst und/oder mit seinen Klienten hatte Messerschmidt allerdings nach seiner Rückkehr aus Rom nach Wien zunächst nicht. Schmitt fährt fort:

"Büsten und Gewänder
Zurück in Wien, geht er mit großen Schritten auf den Gipfel seiner Karriere zu. Aufträge von der Kaiserin und von der Herzogin von Savoyen führt er mit Bravour aus. Er ist anerkannt und ohne Konkurrenten. Er wird Substitutsprofessor mit der Anwartschaft auf die Professur seines ehemaligen Lehrers Schletterer."


Fest steht offenbar, dass Messerschmidt um 1770 herum erkrankt war. Schmitt deutet die Möglichkeit einer Bleivergiftung an (wobei ich allerdings nicht weiß, ob daraus psychische Störungen in der hier aufgetretenen Art resultieren können):
"Blei
1769/70 ist das erste mal von einer Krankheit die Rede. In den vergangenen zwei Jahren hat er solche Unmengen von Blei verarbeitet, daß es ein Wunder ist, daß er noch nicht an einer Bleivergiftung zu Grunde gegangen ist."


Auf jeden Fall kam es zu einem Knick in seiner Karriere. Wir lesen darüber bei Schmitt:
"Haus Ungargasse 5
M. kauft Anfang 1771 ein Haus in der Ungargasse und richtet eine Werkstatt ein, beschäftigt Gehilfen und bildet Lehrlinge aus. In dem Haus lebt er allein und sexuell enthaltsam. Aus manchen Daten läßt sich auf Meserschmidts Homosexualität schließen, auch auf eine emotionale Beziehung zu einem Gehilfen. Von 1771 an gehen die Aufträge zurück. Nun beginnt sein gesellschaftlicher Absturz, der sich innerhalb von drei Jahren vollziehen wird bis zu seinem gänzlichen Ruin und dem Verkauf des Hauses."


Wegen seiner Erkrankung wurde die vakante und eigentlich Messerschmidt zustehende Stelle als ordentlicher Professor diesem dann doch nicht verliehen.

Lorenz Eitner (vgl. unten) stellt den Vorgang so dar:
"In 1769, he was appointed to an assistant professorship at the Academy, with the expectation of promotion to the chair of sculpture at the incumbent’s death. But when this occurred, in 1774, Messerschmidt was passed over, not because of intrigues against him, as he imagined, but because of a “confusion in the head” which he had suffered three years earlier and from which he still had not recovered sufficiently, according to a report to the Empress by the minister, Count Kaunitz, to qualify for the appointment. Refusing the pension which was offered him, he left Vienna ..." [Hervorhebung von mir]

Sehr neutral-distanziert (obwohl man ein Interesse an der marktmäßigen Aufwertung Messerschmidts hat) berichtet auch das Auktionshaus Sotheby's u. d. T. "RARE BUST BY MESSERSCHMIDT TO SHOW ITS FACE AT SOTHEBY'S" anlässlich des Auktionsangebots einer neu aufgetauchten Alabasterbüste über den kritischen Zeitraum im Leben des Künstlers:
"From 1765 Messerschmidt lodged in the home of physician and spiritual healer Franz Anton Mesmer (1734-1815), from whom the word 'mesmerised' derives. Mesmer was involved in hypnotic cures to relieve patients of their often psychologically-induced disorders. His methods inspired Messerschmidt to explore ideas about the human psyche, and in 1770 he began the character heads series. The impetus for him focusing all his energy on the series undoubtedly came when he was passed over as head of the Imperial Academy in 1774, at a time when his behaviour was supposedly becoming more and more eccentric. The Academicians granted him a stipend and Messerschmidt left Vienna.
Free from the constraints of the court and court patronage and disillusioned with society, he settled in Pressburg (now Bratislava) in 1776. Here Messerschmidt was to devote the rest of his life, with the exception of a few commissions, to his beloved heads. Using himself as the model, he is recorded as having spent hours in front of the mirror pulling and stretching his face to create different shapes and expressions, to the point of obsession. Indeed, the gallery owner Christian von Mechl noted in 1780 that: 'Perpetual grimacing had ravaged his features.' It was his own convulsive features that Messerschmidt captured so brilliantly in a range of materials. His bizarre behaviour resulted in him living his final years as a recluse."


Norbert Schmitt (Abschnitt "Wenzel Fürst Kaunitz") nimmt eine Kausalverkettung an von der Kunstpolitik der damaligen Kaiserlichen Regierung in Wien (dem dort maßgeblichen Fürst Kaunitz sei der Bildhauer zu bodenständig und zu ungebildet gewesen sei und deshalb habe man ihn bei der Auftragsvergabe nicht mehr berücksichtigt) zu einem psychischen Zusammenbruch Messerschmidts.
Über die Erkrankung berichtet Schmitt (Abschnitt "Geister"), dass Messerschmidt an Verfolgungswahn gelitten und sogar seinen Studenten habe ermorden wollen.

Glücklicher Weise erlaubt es uns die Zitatenseite bei Theodor Schmid, hier "ad fontes", d. h. den Ereignissen um die Nicht-Berufung zum ordentlichen Professor an der Wiener Kunstakademie auf den Grund zu gehen.

Auszug aus dem «Protokoll der X. ordentlichen Ratsversammlung der k.k. Akademie der vereinigten bildenden Künste» vom 20.10.1774:
«... Die ... Wahl eines Professors der Bildhauerey ist auf drey Subjekte mit einer gleichen Anzahl von 11 Stimmen, jedoch mit dem Unterschiede ausgefallen, daß nach dem selben Hochenauer am ersten, Müller am zweyten und Beyer am dritten Orte unterthänigst vorgeschlagen wird. Bei welcher Gelegenheit jedoch der akademische Rath es für seine Pflicht ansieht, in Ansehen Messerschmidts seine ehrerbietige Vorstellung zu machen.
Dieser Künstler hat bereits seit dem 1769 Jahre durch beykommendes Dekret eine Anwartschaft, die ihm bey gegenwärtiger Eröffnung der Professur ein vorzügliches Recht dazu ertheilt, dessen er nach dem diesseitigen unterthänigsten Ermessen nicht wohl entsetzt werden könnte, es wäre dann, daß seine zweydeutige Gesundheit ihn derselben unfähig machte.
Diese zweydeutige Gesundheit selbst aber ist eine Folge des Elendes und der betrübten Umstände, worinnen er sich aus Mangel des Unterhalts befunden hat.
Die anwesenden Künstler könnten ihm dessen ungeachtet das Zeugnis einer vorzüglichen Geschicklichkeit nicht versagen, vielleicht auch würde seine zuweilen irrescheinende Vernunft durch eine glückliche Lage vollkommen hergestellt werden.
Sollte jedoch irgend ein Bedenken obwalten, ihn zu der Professur selbst gelangen zu lassen, so empfiehlt der akademische Rath demselben dennoch dem mächtigen Schutze des hohen Protektorats, ob dasselbe vielleicht gnädig bewogen werden dürfte, für diesen unglücklichen und geschickten Mann bey ihro Majestät einzuschreiten, damit ihm ein kleiner Gehalt von etwa 200 Gulden mit dem Titel eines Hofstatuarius huldvoll ertheilt, auch an das kaiserl. königl. Hofbauamt, und wo sonst die Hofarbeiten bestimmt werden, der Auftrag erlassen würde, demselben vor anderen Beschäftigung zuzutheilen
[Hervorhebung von mir]

Kaunitz berichtete auf dieser Grundlage (und weiterer, mündlich erhaltener Auskünfte?) am 05.12.1774 an die Kaiserin Maria Theresia:
"Es ist aber in Ansehung dieses Mannes das wichtige Bedenken, daß er seit drey Jahren, es sey wegen seines Nothstandes, oder aus einer natürlichen Disposition einige Verwürrung im Kopfe hat wahrnehmen laßen, welche, ob sie schon sich seitdem gelegt hat, und ihm wieder, wie vorher, zu arbeiten erlaubet, dennoch von Zeit zu Zeit sich in einer noch nicht vollkommen gesunden Einbildung äußert.
Ich bedauere zwar die Umstände dieses sonst geschikten Mannes, und wünsche daß sie durch eine glücklichere Lage sich bessern mögen; kan jedoch EUER MAJST. niemals einrathen, einen Mann für die Akademische Jugend zum Lehrer vorzuschlagen, der von derselben bey jeder Veranlaßung den Vorwurf eines einmal verrükten, und noch nicht ganz heitern Kopfes zu leiden hätte; der alle übrigen Professores und Direktores für seine Feinde hält, noch immer seltsame Grillen in der Einbildung hat, und also niemals vollkommen ruhig seyn kan.
Die Akademie hat mit diesem ihrer Mitglieder Mitleiden, als welchem die vorbemerkte Ursache, eben da er seine Umstände durch die Einrükung in das Profeßorsamt verbessern könnte, im Wege steht. Sie bittet daher nach Inhalt des Protokolls EUER MAJST. allerunterthänigst, sich seines unglüklichen Schicksals in Gnaden zu erbarmen, und ihm Messerschmidt eine Pension von ein Paar Hundert Gulden großmüthigst zu ertheilen, auch demselben zu seiner Beschäftigung einige Arbeit von dem Hofbauamt verschaffen zu laßen, als zu deren Exequierung er auch dermalen geschikter, als zum Lehramte ist. Mit welcher Fürbitte auch ich die Meinige in tiefester Ehrfurcht vereinige."


Der Sachverhalt liegt also völlig eindeutig auf dem Tisch: Die Akademie selbst war einhellig der Meinung, dass Messerschmidt zwar ein guter Künstler, aber als akademischer Lehrer ungeeignet war.

Ein solcher relativ banaler Sachverhalt passt jedoch nicht in die Klischees unserer Kunst-Kaste. Verrückt und doch nicht verrückt, ein guter Bildhauer, aber ein bischen neben der Rolle?
Nein, das ist dem Kunstbetrieb zu wenig. Der zieht für solche Fälle die Vincent-van-Gogh-Schublade auf, und holt sein Klischee vom progressiven Künstler raus, der seiner Zeit (mehr oder weniger) weit voraus war und deshalb von seinen dummen Zeitgenossen nicht verstanden und also sozial geächtet wurde.
Dass so etwas historisch zweifelsohne vorgekommen ist, rechtfertigt indes noch lange nicht im Umkehrschluss die Annahme (oder die Strategie), jeden in irgend einer Weise interessanten Künstler, der einen sozialen Abstieg erlitt oder dem der Aufstieg in die 1. Liga verwehrt blieb, weil er verhaltensmäßig unangepasst war, als Heros der Kunst gegen das Banausentum zu glorifizieren.

Genau das tut z. B. Herb Ranharter in seinem Aufsatz "Art in Vienna: Franz Xaver Messerschmidt: Sculptor, Artist".
"FXM's struggle appears to be timeless and fundamental; it still plays itself out vividly and relentlessly today. In today's academic art industry money is usually sparse and much of what is available comes from donations. What is not earned becomes the political clout of the successful fund raisers. Fierce power plays among the functionaries of the art institutions ensue. Few in this setting speak their mind and criticism is the supreme threat to officials and affiliate artists alike. Order will be maintained by channeling funds to maintain the status quo. What was true in the days of FXM is true today: 'you might break the establishment, but will not reform it.' There is a price attached to being creative; you will not be greeted with open arms when you propose that the entrenched ways are not the way to do things. It is true that those who afford art should have a say in the appearance of the product, and they do. However, to dictate what is art is to anihilate art; leaving mere craft."
Und stellt schließlich Franz Xaver Messerschmidt noch in einen gewaltigen weltgeschichtlichen Zusammenhang:
" 'The dreamers ride against the men of action' (Leonard Cohen), against the party line, against all convention. When Akenaten committed heresy in ancient Egypt by refusing to conceptualize his unusual features some 4000 years ago (the similarities in artistic expression are inescapable) he was soon ousted and retroactively erased, fiercely scraped away. History shows many such examples. It took the Vienna Secession movement in 1900 to put a major dent into the strangle hold of the Vienna Academy and still, to this day it is an elite institution of significant power."

Der Pressetext [hier in anderer Version für Leute, die -wie ich- Probleme mit pdf-Dateien haben] zur Ausstellung im Skulpturenmuseum Liebieghaus in Frankfurt am Main ist, was die Darstellung oder auch nur Andeutung von Kausalzusammenhängen angeht, ausgesprochen wirr (boshafte Menschen könnten auf die Idee kommen, dass die intensive Beschäftigung mit den Kopf-Stücken sich negativ auf die Formulierungsfähigkeit ausgewirkt hat), und ganz besonders gilt das für die nachfolgend von mir durch Fettdruck hervorgehobenen beiden Sätze:
"Die Gründe für die gescheiterte akademische Laufbahn scheinen, den Schriftstücken des Staatskanzlers Kaunitz von 1774 nach zu urteilen, in einer Erkrankung des Künstlers – 'seiner zweydeutigen Gesundheit', 'einer Verwürrung im Kopfe' – zu liegen. Ob es jedoch tatsächlich eine schwerwiegende psychische Krankheit war, die Messerschmidt zeitweise arbeitsunfähig machte, ist bis heute nicht nachgewiesen. Es wäre auch durchaus denkbar, dass seine zeitweise angegriffene Gesundheit als Mittel diente, den nonkonformen Künstler zu pathologisieren und auszuschließen. Gleichzeitig entstand ein Auftragsvakuum, das auch dadurch bedingt war, dass die wichtigsten Förderer und Auftraggeber zwischen 1770 und 1772 starben."
Hier wird zunächst einmal eingeräumt, dass Messerschmidts Gesundheit zeitweise angegriffen war. Es wird sogar als wahrscheinlich bezeichnet, dass die Berufung zum ordentlichen Professor an gesundheitlichen Problem scheiterte.
Dann wird die Untersuchung dieser Frage tatsächlich verlassen, während aber gleichzeitig durch das Bindwort "jedoch" grammatikalisch eine Fortführung vorgespiegelt wird. Von einer Unfähigkeit zu arbeiten ist nämlich im Zusammenhang mit der Berufungsverweigerung weder in dem o. a. Dokument der Akademie noch von Kaunitz die Rede. Im Gegenteil attestieren beide Messerschmidt die Fähigkeit, weiterhin als Bildhauer tätig zu sein. Sie haben nur Zweifel daran, ob er zum einen als Lehrer geeignet ist, und zum anderen ob die zwischenzeitlich eingetretene Verbesserung seines Gesundheitszustandes auch dauerhaft sein wird.
Das Auftragsvakuum wird anschließend beziehungslos neben Messerschmidts Probleme mit seiner Gesundheit einerseits und der Akademie andererseits in den Raum gestellt, obwohl doch ein Zusammenhang zwischen seiner nachlassenden Wertschätzung als Künstler und dem Ausbruch seiner (vermutlich schon vorher latenten) psychischen Probleme nahe liegt (wenn auch vermutlich nicht nachweisbar ist).
Die Presseerklärung verwischt, was wovon die Folge gewesen und wovon und auf welche Weise der Künstler ausgeschlossen worden sein soll: vom Lehramt (das erst 1774 frei wurde und somit neu zu vergeben war) oder von den Aufträgen (schon früher, aber das Auftragsvakuum wird ja lediglich auf den Tod der wichtigsten Förderer und Auftraggeber zurück geführt). Welche Personen oder Kräfte sollen bzw. könnten überhaupt Messerschmidt "pathologisiert" haben und was ist hier überhaupt mit dem Begriff gemeint: "krank gemacht" oder "als krank abgestempelt" (obwohl in Wirklichkeit nicht krank)?

Der Text für's Volk weiß es schon (scheinbar) genauer:
"In den 1770er Jahren jedoch erfuhr seine viel versprechende Karriere, wohl aufgrund einer Kollegenintrige, einen schmerzhaften Bruch."
[Hervorhebung von mir]
"Scheinbar" sage ich deshalb, weil auch an dieser Stelle nicht klar wird, ob die Intrige (zunächst) zur Nichtberücksichtigung bei der staatlichen Auftragsvergabe geführt haben soll (die Pressemitteilung spricht dagegen, weil sie keinerlei Zusammenhang zu einer Intrige auch nur andeutet), oder ob sie nach Meinung des/der Textverfasser/s/in darin bestand, Messerschmidt seine Professorenstelle zu verweigern (dagegen spricht nach meiner o. a. Darstellung und sogar laut der Pressemitteilung selbst -mit der Wortwahl "scheint"- der Anschein der dokumentarischen Quellen). [Eine gewisse Vernebelung der Fakten zum Zwecke der Uminterpretation ist halt nicht nur bei der Interessenwahrung im Bäderwesen -Stichworte "Hoffmann, Salzloch" - zu finden.]

Ausschließen kann man natürlich nicht, dass es Widerstände gegen die neuartige klassizistische Kunstauffassung gegeben hat. Wenn diese sich darin äußern, dass die potentiellen Auftraggeber andere Künstler bevorzugen, und/oder die anderen Ordinarien an der Kunstakademie den Neuerer nicht als Kollegen dulden wollen, dann ist für den Sachverhalt als solchen der Begriff "Intrige" schon verfehlt. Ein Ringen um den richtigen Weg ist normal, und nicht jeder, der vom eingetretenen Pfad abweicht, geht per se schon in die richtige Richtung.
Äußerst kühn ist allerdings die Hypothese, dass sich sämtliche anderen Kollegen zu einer "Intrige" vereinigen (denn dass müsste man annehmen, da nicht eine einzige Wahlstimme auf M. entfiel - oder stand er ggf. gar nicht zur Wahl?), um Messerschmidt von der Professur auszuschließen. Unmöglich wäre das zwar nicht, aber der Grad der Spekulation, der zu einer solchen Annahme erforderlich ist, erinnert mich doch sehr stark an alle möglichen Verschwörungstheorien, wie sie z. B. im Zusammenhang mit "9/11", dem Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11.09.2001, kursieren.

Der Bericht von Friedrich Nicolai bringt klar zum Ausdruck, dass Messerschmidt selbst der Meinung war, Opfer einer Intrige geworden zu sein:
"Alle Akademien sind Sammelplätze der Zänkereyen und kleinen Intriguen. Zu Wien war es außerdem von jeher Mode gewesen, daß die Künstler und die angesetzten Lehrer sich vor den Direktoren und dem akademischen Rathe tief hatten bücken und ganz von denselben abhängen müssen. Dieß war nun freylich keine Sache für einen Mann wie Messerschmidt, der keinen Künstler weiter als nach dem Grade seiner Geschicklichkeit schätzte. Er beklagte sich gegen mich sehr über viele Chikanen und Ungerechtigkeiten, die man ihm bewiesen hätte. Ich lasse dies dahin gestellt seyn." [Hervorhebung von mir]

Das ist psychologisch verständlich. Psychologisch verständlich ist zwar auch, dass der Kunstbetrieb den kleinsten gedanklichen Furz zu nutzen versucht (bzw. zu nutzen versteht), um einen großen geistigen Luftballon damit aufzublasen. Schließlich ist es für alle Beteiligten allemal befriedigender, wenn sie das Gefühl haben, sich in den Dienst eines verkannten Genies zu stellen, als wenn sie sich eingestehen müssten, dass sie sich mit einem zwar historisch interessanten und durchaus wissenswerten Phänomen beschäftigen, dass aber der künstlerische Weg Messerschmidts in seinen letzten Jahren ihn nicht zu neuen Ufern, sondern in eine evolutionäre Sackgasse geführt hat. Dem Ringen um Erkenntnis ist solche Voreingenommenheit allerdings weniger dienlich. (Leser meiner Blog-Einträge wissen aber schon aus anderen Zusammenhängen, dass dem Kunst-Konsument gelegentlich manches untergejubelt wird.)

Ein Könner war Messerschmidt ganz gewiss, und und tatsächlich hat er auch in seinen letzten Jahren noch beindruckende Porträtbüsten (z. B. 1782 von Márton György Kovachich) geschaffen. Ich vermag aber nicht zu erkennen, und finde auch nirgends dargestellt, dass er irgendwelche technischen oder (nach der nicht nur von ihm vollzogenen Wendung vom Rokoko zum Klassizismus) stilistischen Innovationen in seinen Pressburger Jahren entwickelt habe. Künstlerisch war er zweifellos auf der Höhe seiner Zeit; inwiefern er ihr aber voraus gewesen wäre, ist für mich nicht nachvollziehbar. Meine laienhafte Meinung mag man als unmaßgeblich abtun; wenn aber jemand behaupten wollte, die Entwicklung der Plastik hätte ohne die Kopf-Stücke Messerschmidts (oder, umgekehrt, im Falle seiner Berufung zur Professur) einen anderen Verlauf genommen, dann müsste er oder sie das schon sehr detailliert nachweisen.
Zwar erfährt man (online z. B. im Text von Sotheby's), dass sich einige moderne Künstler für die Porträtbüsten interessiert haben:
"The appeal to a modern audience today can be seen by the artists that Messerschmidt's works have influenced and continue to influence today. 1906 saw a photographic series of Messerschmidt's character heads by Viennese photographer Joseph Wlha. Other artists include Egon Schiele (Self Portrait Photographs,1914), Francis Bacon (Head IV, Screaming Pope,1949, which has been linked to The Yawner, no.16 in the series), Arnulf Rainer (Overdrawings of Franz Xaver Messerschmidt, 1975-76), Franz West (Anruf an Arnulf), Claes Oldenburg (Symbolic Self Portrait with Equals,1969) and Bruce Nauman (Ten Heads Circle, 1990)."
[Nicht uninteressant in diesem Zusammenhang ist diese Webseite, auf der in einem größeren Rahmen anderer Porträts auch eine von Messerschmidts Büsten abgebildet erscheint.]
Dass er sie zu einzelnen Werken inspiriert hat, bedeutet aber keineswegs, dass sein Vorbild in Technik oder Stil ihren künstlerischen Weg geprägt habe.
Auch wenn ich die Literatur über Messerschmidt, und davon insbesondere auch den aktuellen Ausstellungskatalog, nicht kenne, bin ich gleichwohl sicher, dass sich kein Fachmann dazu versteigen würde, so etwas explizit zu behaupten.
Gleichwohl werden solche Gedanken in den Raum gesetzt, um in den Köpfen des Publikums herum zu wabern. Ehrfürchtig staunend soll es vor einer verkannten Größe der Kunstgeschichte stehen und selbst alle möglichen Schlüsse ziehen, die der Fachmann nie formulieren würde.
Insofern behandelt man heute das staunende Ausstellungspublikum wie dumme Jahrmarkt-Gaffer.
Früher war man schon einmal weiter. Im Wien der Biedermeierzeit, um 1840, waren die phantastischen Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt zur Publikumsbelustigung ausgestellt - im Wiener Prater! Gewiss: damit tut man ihm einen Schimpf an, den er nicht verdient hat. Aber dass man ihn nun zum Opfer künstlerischer Rückständigkeit, Borniertheit oder Kleinkariertheit hochstilisiert, haben das Publikum und der Respekt vor der historischen Wahrheit ebenso wenig verdient.

Franz Xaver Messerschmidt war sicherlich ein hervorragender Bildhauer, aber kein unverstandenes Genie. Auch als Professor an der Wiener Kunstakademie wäre kein Michelangelo aus ihm geworden. Und dass der Louvre 3,7 Mio. Euro für eine der Porträtbüsten (hier ein Bild) hingeblättert hat, und dem französischen Steuerzahler patriotischer Stolz auf den Erwerb eingeredet wird ("L’achat de cette œuvre, illustration fascinante des recherches du siècle des Lumières vers la caractérisation systématique des physionomies et des expressions, constitue un enrichissement considérable pour le Louvre à l’égal du Museum of Fine Arts de Boston et du Victoria & Albert Museum de Londres" rechtfertigt die französische Regierung hier den Ankauf), sagt mehr über die Koventionen des Kunstmarktes, die Besitzgier der Kunst-Konservatoren und den Kapitalüberfluss in unserem Wirtschaftssystem aus, als über irgendeinen dem Werk innewohnenden objektiven Wert.

Die Kunstschreiber(innen) der Pressemedien halten sich teils bedeckt, teils lassen sie sich als Helfer(innen) bei der subtilen Fakten-Frottage für's Publikum einspannen (und vereinigen diese widersprüchlichen Positionen, ebenso wie die Pressemitteilung des Liebieghauses, sogar im gleichen Text):

Konstanze Crüwell macht in der FAZ unter der Überschrift "Die Gesichtsverhandlung" einen "bewunderten 'Hogarth der Plastik'" aus Messerschmidt. Ob sie selbst an eine "Intrige" glaubt oder eine solche für realistisch hält, lässt sie offen. Jedoch stellt sie die Position von Nicolai verfälschend dar, wenn sie behauptet: "Friedrich Nicolai hatte 1781 eine andere Erklärung parat: Messerschmidt sei das Opfer einer Intrige geworden". (Wie oben zitiert, referiert Nicolai dies nur als Substrat aus den Angaben von Messerschmidt selbst und hält ihn deutlich erkennbar in Wirklichkeit für ein Opfer seiner Lebenseinstellung und Lebensumstände.)

Brigitte Borchhardt-Birbaumer dagegen ordnet in der Wiener Zeitung u. d. T. "Spiritismus neben radikaler Aufklärung" das Spätwerk von Messerschmidt kurz aber sehr treffend ein, wenn sie sagt: "Viele Legenden und Vorurteile begleiteten Franz Xaver Messerschmidt (1736–1783) schon zu Lebzeiten. Die Köpfe geben aber vor allem sein zeitlich bedingtes wissenschaftliches Interesse und eine kraftvolle Portion Eigensinn preis." [Hervorhebung von mir]

Dem gegenüber glaubt Ursula Wöll in der "taz" ("Wahnsinnsköpfe") schon positiv behaupten zu dürfen, dass die "Verwürrung im Kopfe" "ein infames Verdikt [seitens des Fürsten Kaunitz war], das zäh weiterlebte ...".

Voll auf Linie ist zunächst Janina Kalle ("Mienenspiele. Die phantastischen Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt") [der Aufsatz wurde anscheinend aus der Antiquitäten Zeitung Ausgabe 1 / 2007 in den "Marktplatz Weltkunst" der Zeitschrift "Die Zeit" übernommen]:
"Im Rahmen der Frankfurter Ausstellung wird erstmals ausführlich dargelegt, dass der Vorwurf der Verrücktheit wohl vor allem das Ergebnis einer Intrige an der Wiener Kunstakademie war." (S. 2) [Hervorhebung von mir]
Wenig später bewertet sie allerdings den Sachverhalt ganz anders, ohne jegliche Bezugnahme auf "Intrigen":
"Die Antipathie gegen das Kunstverständnis des schwäbischen Bildhauers, ein harter Konkurrenzkampf um die begehrten Stellen und wohl auch sein cholerisches Temperament führten dazu, dass ihm Kaunitz 1774 die erwähnte 'Verwirrung' zusprach, durch die er nicht zum Lehrer, sprich Vorbild der Jugend, tauglich sei." (S. 4; der Konkurrenzkampf ist zwar denkbar, aber wohl kaum explizit aktenkundig.) [Hervorhebung von mir]


Aus den letzten Jahren Messerschmidts ist anscheinend nicht allzu viel an tiefer gehenden Informationen über sein Leben und insbesondere sein Denken überliefert.
Unser Urteil wird daher weitgehend von dem bestimmt, was der Aufklärer Friedrich Nicolai, der Messerschmidt in Pressburg besucht hatte, über diesen berichtet hat. Dass auch davon ein wenig online ist, verdanken wir der oben schon erwähnten umfangreichen (bei mir im Browser 16 Druckseiten) Sammlung von Zitaten, die Theodor Schmid, Buchhändler und Verleger, ins Internet eingestellt hat. Dort entnehmen wir den Ausführungen von Nicolai, dass Messerschmidt nicht ganz richtig im Kopf gewesen sei:

"Messerschmidt war ein Mann von feurigen Leidenschaften, und hatte dabey einen großen Hang zur Einsamkeit. Er war unfähig jemanden unrecht zu thun, aber erlittenes Unrecht empfand er sehr tief. Dadurch ward sein Charakter versauert, ob er sich gleich sonst in seinem frölichen Muthe nicht stören ließ.
Er lebte ganz für seine Kunst. Er war in allen Kenntnissen, die nicht zu derselben gehören, sehr unwissend, ob er gleich Fähigkeit hatte mehrere Kenntnisse zu erlangen und sehr lehrbegierig war. Er gerieth in Wien unter eine Gesellschaft von Leuten, die sich geheimer Kenntnisse, des Umgangs mit den unsichtbaren Geistern, und der Herrschaft über die Natur rühmen. Diese Art von Leuten ist in ganz Europa und besonders in Deutschland sehr zahlreich; sie verkrüppeln den Verstand unsäglich vieler Menschen. (...) Aber wenn diese unsinnigen Ideen auf einen guten Kopf würken, der ihre groteske Anlagen mit seiner natürlichen Scharfsinnigkeit ausbildet, so kommen of die sonderbarsten fructus ingenii in umbra sapientiae ludentis heraus, wovon ich mehrere auffallende Beispiele anführen könnte. (...)
Die allermeisten Menschen, wenn sie einen Mann in Messerschmidts Lage sehen, halten ihn entweder für einen außerordernlichen Menschen, oder erklären ihn geradezu für einen Narren, der keiner weitern Aufmerksamkeit werth sey. Ich aber glaube, es sey mit den Krankheiten des Geistes, wie mit den Krankheiten des Körpers: daß nemlich durch derselben genaue Kenntniß die wahre Beschaffenheit der Kräfte, die im Menschen liegen, und ihre eigentliche Wirkungen gar sehr erörtert werden können. (...)
Ich versuchte also auch von dem guten Messerschmidt zu erforschen, wie die Ideen in seinem Kopfe eigentlich zusammen hingen. Er drückte sich zwar etwas zurückhaltend und nicht ganz deutlich aus, wie er denn auch von dem was er dabey dachte, meistens sehr undeutliche Begriffe haben mochte. Indessen brachte ich ongefähr folgendes heraus. Daß es Geister ..... wären, die ihn besonders des Nachts so sehr schreckten und plagten, setzte er als ein unumstößliches Axiom voraus; und den würde er für seinen Feind gehalten haben, der es in seiner Gegenwart im geringsten hätte bezweifeln wollen. Nun setzte er hinzu: Er habe lange nicht begreifen können, daß er, der beständig so keusch gelebt, von den Geistern so viel Peinigung hätte erdulden müssen [Anm.: Welche traurige Folgen ununterbrochene Enthaltsamkeit haben kann, wenn sie mit schwärmerischer Anstrengung der Imagination verknüpft ist, kann man aus einem kleinen aber in seiner Art wichtigen Traktate sehen (...). Eben so war es auch mit Messerschmidt beschaffen.], da sie doch, der (schwärmerischen) Theorie zufolge, eben deswegen einen sehr angenehmen Umgang mit ihm hätten pflegen sollen. Mit einemmal aber sey es ihm eingefallen, und nun habe er der Sache nachgedacht, und das ganze System in aller Vollkommenheit erfunden, wie er, und schlechterdings jedermann, Herr über die Geister werden könnte. Der gute Mann kam auf den sehr wahren Satz: daß alle Dinge in der Welt ihre bestimmten Verhältnisse haben und daß alle Wirkungen ihren Ursachen entsprechen. Er trug ihn nur etwas unbestimmt und schielden [d. h.??] etwa folgendermaßen vor: Es werde alles in der Welt durch die proportionen regiert, und wer diejenigen Proportionen an sich erwecke, welche der proportion des andern entsprächen oder ihr überlegen wären, müsse Wirkungen hervorbringen, welche der Wirkung des andern entsprechen, oder ihr überlegen seyn müßten. Aus diesem halbverstandenen Satze, vermischt mit seinen thörichten Ideen von Geistern und mit seinen Kunstkenntnissen, brachte er ein scharfsinnig scheinendes System voll Unsinns mit Methode verknüpft zu Stande, welches er nach Art aller Leute, bey denen die Einbildungskraft mit dem Verstande davon läuft, für untrüglich hielt. (...)"


Sehr stark auf Nicolai greift auch der bereits oben zitierte Aufsatz "The Artist Estranged" von Lorenz Eitner (aus dem Buch "The Grand Eccentrics", edited by Thomas B Hess and John Ashbery, Collier Books, 1971) zurück, den wir wiederum nur deshalb online lesen können, weil John Coulthart ihn in seinem Blog publiziert hat. Lorenz Eitner bemüht sich um eine ausgewogene Beurteilung ohne Vorurteile:
"Messerschmidt was neither in tune with his time, nor entirely alienated from it. His artistic personality was injured, but not debilitated, by sickness; the conflict within him irritated his imagination and concentrated his energies: it was the fortunate flaw which raised his later above his earlier works and above those of his more ordinary contemporaries. Seen purely from the point of view of style and execution, the famous heads show no signs of abnormality, unless their perfect finish and Messerschmidt’s deliberate choice of hard and polished materials is to be considered as perverse or obsessive. The execution is never spontaneous; even the weirdest heads are elegantly cut in marble or exquisitely cast in shining metal. Throughout the entire series, Messerschmidt’s technical mastery never falters. This steadiness, this constant assurance and concentration prove that in the midst of his delusions he retained control of all his conscious resources, never falling into incoherence, rambling, or vacant embroidering. While in some details, especially of hair and skin, traces of Rococo vivacity linger, distantly recalling Messerschmidt’s earlier, sumptuous court portraiture, the general treatment of the heads is bare, hard and Spartan; seen at a distance, they remind one of the compact strength and severity of Roman portraits. They express a deliberate reaction against baroque opulence and prove Messerschmidt to have been a pioneer of the Neo-Classical movement. Set against the background of the general history of style in their time, his bizarre heads do not appear as freaks, but as the work of a progressive and cosmopolitan artist, aware of the issues of his day. It is noteworthy that those heads of the series which are the most advanced stylistically are also the most fantastic, while the relatively “normal” ones are treated in a more conservative manner. What gives to all of them a peculiar intensity - quite apart from their obvious strangeness - is the way in which Messerschmidt has been able to combine representation with rigid stylisation, expression with abstract pattern, and preserve, at the same time, both the anatomical structure and the character of portrait. To bring these divergent elements into harmony was the work of a powerful artistic intelligence." [Hervorhebung von mir]

Schon 1920 hatte sich eine Erica Tietze-Conrat deutlich euphorischer geäußert:
«Es ist ein tragischer Witz, daß wir den einzigen Einblick in des Künstlers geistiges Leben nur durch die Brille jenes seichten Aufklärers haben, der die Seelennöte des einsam Schaffenden im letzten Grunde als die natürlichen Folgen seiner sitzenden Lebensweise ansah. Und gerne sehen wir in den schrullenhaften Worten, die Nicolai uns als des Meisters geheimnisvolles Bekenntnis weitergibt, ein launiges Abblitzen des lästigen Interviewers.»

Für einen Roman wäre zweifellos die Idee ein geeigneter Vorwurf, dass Messerschmidt sich über Nicoalai lustig gemacht habe. Aber Messerschmidt tritt ansonsten in seinen Beziehungen zur Umwelt nicht als sonderlich lustiger Bursche mit einer Präferenz für intellektuelle Spielereien in Erscheinung, und dass er Nicolai zu seinem eigenen Schaden einen Streich gespielt haben sollte, ist eine gänzlich unrealistische Vorstellung. Denn ganz sicher wollte er als Mensch und Künstler ernst genommen werden und hätte sich nicht selber der Lächerlichkeit preisgegeben. Messerschmidt, das muss man einfach akzeptieren, hatte einen Spleen (der seine künstlerischen Fähigkeiten vielleicht nicht beeinträchtigt, aber auch nicht gefördert hat). Ein Weiser, der sich über Nicolai (und uns) lustig gemacht hätte, war er nicht.

Mich haben übrigens Messerschmidts Charakter-Köpfe herzlich kalt gelassen. Auf künstlerisch aufgeschlossenere Gemüter als meines können sie aber ausgesprochen abstoßend wirken (vergleichbar der Wirkung, welche die Villa Palagonia in Bagheria bei Palermo auf Johann Wolfang von Goethe hatte; -der Text seiner Beschreibung auch hier- ).



Es wäre eigentlich noch über zwei weitere Ausstellungen zu berichten, im Städelschen Kunstinstitut. Wenn man 7,- € Eintritt im Liebighaus bezahlt hat, kostet der Städel-Besuch nur noch 3,- €; dieses Kombi-Angebot haben wir genutzt und die große und imposante Kunstausstellung "Gärten. Ordnung, Inspiration, Glück" angeschaut.

Glück hatten wir in der Tat, denn am selben Tage wurde die (kleine) Ausstellung "Hexenlust und Sündenfall. Die seltsamen Phantasien des Hans Baldung Grien" eröffnet (mehr darüber siehe auch hier und dort). Diese Ausstellung ist in sehr informativer Weise um das Bild der Wetterhexen aus dem eigenen Bestand des Städel herum komponiert.
(Zahlreiche Abbildung von Werken des Baldung Grien findet man in den "Wikimedia Commons", wobei auch das Gemälde mit den Wetterhexen in hoher Auflösung heruntergeladen werden kann.)
Was mir persönlich auffiel ist die Tatsache, dass die "Hexen" individuelle Gesichter haben - im Gegensatz zu den Frauengestalten auf zahlreichen anderen Bildern von Baldung (vgl. z. B. dieses Mädchenbildnis mit Tod und Schlange). Ich frage mich, was das zu bedeuten hat: zum einen konkret im Zusammenhang mit diesem Bild, zum anderen aber allgemeiner zum Thema "Frauenporträt" in der kunsthistorischen bzw. gesellschaftlichen Entwicklung überhaupt. In jener Zeit hat ja z. B. auch Albrecht Dürer (im Gegensatz etwa zu Botticelli) sehr individuelle Frauengesichter gemalt (darunter die "Venezianerin", eines meiner persönlichen Lieblingsbilder überhaupt).
In den nachfolgenden Kunstepochen, speziell im Barock, erscheinen die Gesichter dann wieder relativ gleichförmig und maskenhaft.

P. S.: Da soll mir noch einer was gegen die Zeitung für die Sportsfreunde aller Schichte und Stände sagen! "Bild" bespricht Kunstausstellungen! Allerdings: die weitaus größte Komponente des ganzen Artikels in "Bild Frankfurt" vom 26.02.07 ist natürlich die Reproduktion des Gemäldes der zwei Hexen. Zweitgrößtes Layout-Element ist die Überschrift "Die Nackte Lust", dann der Untertitel (oben drüber): "Im Mittelalter ging es ganz schön rund. Das beweist die Gemälde-Ausstellung 'Hexenlust und Sündenfall' im Städel."



Textstand vom 26.02.2007. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
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