Samstag, 29. August 2009

Google feiert Michael Jacksons Geburtstag (29.08.1958). Nicht in den USA (Google.com), aber für einen großen Teil der Welt ist er noch gut genug


Und wenn er nicht gestorben wäre (am 25.06.2009), wäre er heute 51 Jahre alt geworden: Michael Jackson, "King of Pop", geboren am 29.08.1958.

Google ehrt ihn deshalb heute mit einem veränderten Firmenlogo (wie zuletzt zur 400jährigen Wiederkehr der Erfindung des Teleskops durch Galilei). Fährt man mit dem Cursor über das Logo, erscheint der Text "Geburtstag von Michael Jackson", und ein Mausklick ruft den Suchbegriff Michael Jackson auf (hier das Wikipedia-Stichwort).


So jedenfalls in Deutschland, aber auch in zahlreichen anderen Ländern der Welt (z. B. China, Großbritannien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Niederlande, Russland, Spanien, Türkei .....).


Allerdings: auf einer ganzen Reihe von anderen lokalen Google-Suchseiten fehlt das Michael-Jackson-Logo. Zum Beispiel in Polen, Tschechien, Frankreich und auf den frankophonen Seiten für Belgien und die Schweiz, wo es jedoch auf den flämisch- bzw. deutschprachigen Versionen erscheint.
Vor allem aber erscheint es auf der Mutterseite von Google nicht, also NICHT IN DEN USA!


Dort hatten die Vorwürfe der sexuellen Belästigung von Kindern (Knaben) Michael Jacksons Ansehen stark in Mitleidenschaft gezogen.

Aber für den Rest der Welt ist ein in Amerika längst abgetakelter Künstler offenbar noch allemal gut genug.

Was sagt uns das über Google?

Und was sagt mir das über meine Mitbürger? Michaels Fans werden den Vorwürfen keinen Glauben schenken, wonach er ein Kinderschänder gewesen sein soll. Oder es ist ihnen gleichgültig.

Tatsächlich war z. B. im antiken Griechenland die Päderastie (hier der Wikipedia-Eintrag) gesellschaftlich durchaus akzeptiert (zumindest in Kreisen der Intellektuellen; das muss nicht heißen, dass sie es auch in der breiten Bevölkerung war).

Man muss auch der aktuellen Welle der Pädophilen-Verfolgung (Pädophilie ist die geschlechtliche Neigung zu Kindern, Päderastie die sexuelle Neigung speziell zu Jungen) nicht unkritisch gegenüber stehen. Als Beispiel für eine m. E. berechtigte kritische Distanz verweise ich auf den den Bericht "Justizirrtum. Inquisitoren des guten Willens" von Sabine Rückert in DIE ZEIT, 11.01.2007 Nr. 03:
"Wegen eines erfundenen Missbrauchs mussten zwei Männer ins Gefängnis. Die Justizirrtümer enthüllen die Ideologie eines fehlgelaufenen Feminismus. .....
Die wahnhafte Fixierung auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erfasste in den neunziger Jahren die gesamte Gesellschaft, .....
Die Gepflogenheit, überall Kindesmissbrauch zu wittern, ihn mit großer Entschlossenheit aufzudecken und das Aufgedeckte strafrechtlich zu verfolgen, war in den achtziger Jahren in den Vereinigten Staaten zu einer regelrechten Zwangsvorstellung geworden und bald nach Europa herübergeschwappt. .....
Auch in Deutschland wurde der Kreuzzug gegen den Missbrauch geführt. Wer beruflich mit Kindern zu tun hatte, lebte gefährlich. Er stand im permanenten Verdacht, sich an ihnen zu vergreifen
."
Die Frage muss erlaubt sein, aus welchem Grund sich unsere Gesellschaft heftiger über die im Verhältnis eher wenigen Fälle von Kindesmissbrauch echauffiert, während gleichzeitig die Organisierte Kriminalität sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet ausbreiten kann (vgl. z. B. den Zeit-Artikel "Organisiertes Verbrechen. Die Mafiosi von nebenan" von Petra Reski | © DIE ZEIT, 13.08.2009 Nr. 34:
"Vor zwei Jahren richtete die italienische Mafia in Duisburg ein Blutbad an – eine Art Betriebsunfall. Gewöhnlich agieren die Clans unauffällig, ihre Geschäfte betreiben sie in ganz Deutschland. Und die Polizei ist machtlos."
Ausführlicher dürfte der Bericht "Organisiertes Verbrechen. Italienische Mafia wird in Deutschland heimisch" sein, der aber vollständig nur in der Druckausgabe erschienen ist.)

Gleichwohl denke ich, dass man Michael Jackson als Künstler anerkennen und respektieren kann, seine menschlichen Defizite (selbst wenn sie in Problem seiner eigenen Kindheit begründet gewesen sein mögen) aber nicht allzu großzügig übersehen sollte. Einen Kult um seine Person zu treiben, wie das Google mit dieser Ehrung tut, halte ich für überzogen und unangebracht. Hier dürfen wir tun, was ich in anderen Zusammenhängen gelegentlich vehement kritisiere: von Amerika lernen, die USA kopieren.


Nachtrag 04.09.2009
Zur Ehre meiner Mitbürger (und umgekehrt zur größeren Schande für die Suchmaschine Google, die einen Hype um etwas gemacht hat, was die Menschen objektiv ohnehin nicht betrifft, was aber offenbar auch subjektiv gar nicht so viele Menschen hier interessiert) trage ich nach, dass bisher noch niemand mit einer Sucheingabe mit dem Stichwort Michael Jackson in diesen Blott gekommen ist.


Nachtrag 15.03.2010
Interessant, wie unterschiedlich man ein Thema anfassen kann. Der Wiener (Wissenschaftler und) Blogger Alexander Schatten schreibt in seinem Blog "(an)sichten" unter dem 09.07.2009 im Eintrag "Michael Jackson und die Macht des Gemeinsamen" über die (sage ich mal unspezifisch:) Jackson-Sache u. a.:
"Der Mensch sehnt sich nach Bestätigung und Geborgenheit. Da wir aber nicht mehr in der Kleingruppe rund ums Feuer sitzen, übernehmen moderne Medien und Kommunikationstechnologien diese Rolle. Wenn Millionen Menschen sich über MJ "informieren" oder entsprechende Tweets loslassen, interessiert sie nicht wirklich MJ sondern das Gemeinschaftserlebnis. .....
Die Inhalte die "Fernsehen", Radio, Magazine oder "Soziale Netzwerke" übermitteln, das ist meine Theorie, dienen häufig nur als Klebstoff für Gemeinschaft, als gemeinsame Wellenlänge. Man kann sie als "Trägerwelle" der Gruppendynamik sehen, als Trägerwelle die alle möglichen persönlichen Beziehungen transportiert. Und es gilt hier dasselbe wie (technisch betrachtet) bei Funk oder Radio: wir sind nicht an der Trägerwille (100MHz) interessiert, sondern an der darüber transportieren Information.
Die eigentlichen Inhalte (Michael Jackson) in diesen Beispielen sind für die Beteiligten reichlich irrelevant. Die Tatsache, dass es gemeinsame Inhalte sind, und dass jeder "Beteiligte" das Gefühl hat an einem großen Ereignis teilzunehmen ist aber bedeutsam. Wir bedienen uns der Inhalte um über etwas zu sprechen, etwas gemeinsam zu haben, etwas zu teilen, was uns nicht wirklich interessiert, dabei aber unsere Gemeinsamkeit darzustellen und uns auch unserer Zusammengehörigkeit zu versichern. Diese Inhalte sind also die Trägerwelle modernen sozialer Interaktion.
"
Da ist wohl was dran. Sogar ich habe einige Minuten vor dem Bildschirm gestanden, damals im Hauptbahnhof in Karlsruhe, als Lady Di beerdigt wurde.
Das aber vielleicht hauptsächlich deshalb, weil der Zuges noch nicht fuhr.


Textstand vom 16.06.2023

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