Montag, 8. März 2010

Theo Waigel: „Europa braucht keinen eigenen Währungsfonds“ (Handelsblatt-Interview 8.3.2010)


Recht hat er, der Theo, wenn er in dem heutigen Handelsblatt-Interview auf die Frage: "Sollte man in Europa einen eigenen Währungsfonds aufbauen, um künftig in solchen Krisenfällen eingreifen zu können?" antwortet:
"Waigel: Nein. Warum ist Europa mit seinen Ländern dann Mitglied im Internationalen Währungsfonds, wenn dann nur noch Ländern in Latein- und Südamerika oder in Afrika und Asien geholfen wird? Europa braucht keinen eigenen Währungsfonds. In Notfällen ist der IWF die richtige Adresse – und dabei sollte es auch bleiben."
[Auch sonst ist das Interview lesenswert, weil Theo Waigel auch die schwarz-gelbe (Hornissen-)Koalition nicht schont:
"HB: Fehlt der Koalition der Mut, die Grausamkeiten beim Namen zu nennen?
Waigel: Franz Müntefering hat sich getraut, die notwendige Entscheidung zur Rente mit 67 zu treffen, auch wenn es seine SPD fast zerrissen hätte. Jetzt wird leider versucht, das wieder zurückzunehmen, obwohl das eine für den Erhalt der sozialen Sicherungssysteme unabdingbare Maßnahme ist. Um ehrlich zu sein, macht es mir Sorgen, dass wir nicht mehr in der Lage sind, solche Entscheidungen notfalls gegen ein zeitweiliges Stimmungsbarometer durchzusetzen.
"]

Auch Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), hat sich dezidiert gegen einen EWF ausgesprochen ("Eurozone: EZB lehnt EU-Währungsfonds strikt ab", Handelsblatt 8.3.2010):
"Ein Währungsfonds wäre der Start eines europäischen Finanzausgleichs, der "sehr teuer werden könnte." Länder mit "finanzpolitischem Schlendrian" würden ihr Verhalten nicht ändern, warnt Stark. Er befürchtet, dass sogar "die öffentliche Akzeptanz des Euros und der Europäischen Union unterminiert würden".

Zwar erfahren wir in dem Artikel auch:
"... dass [nach Regierungsangaben] ein EWF ein mittelfristiges Projekt ist. "Der Vorschlag des Ministers zum Europäischen Währungsfonds ist durch die Griechenland-Krise ausgelöst, dient aber nicht zur Lösung dieser aktuellen Krise", sagte der Sprecher Schäubles."

Während an den Schwüren unserer Regierung, Griechenland nicht mit deutschen Steuergeldern helfen zu wollen, doch erhebliche Zweifel angebracht erscheinen, glaube ich Wolfgang Schäuble, dass der Währungsfonds tatsächlich nicht zur Behebung der aktuellen Krise gedacht ist.
Dennoch meine ich, dass mit einem solchen Projekt Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen werden. Selbst wenn der Fonds keine Stützungsgelder auszahlen müsste, würde er eine weitere kostspielige bürokratische Struktur darstellen, einen Versorgungsposten für überflüssige und unnütze Volkswirte. Wozu haben wir den Internationalen Währungsfonds?

Einwände, dass bei einem Eingreifen des IWF in der Eurozone Länder wie die USA und China hier mitreden könnten, halte ich für überzogen. Natürlich können sie dann - indirekt - bei der Haushaltssanierung derjenigen Länder mitbestimmen, die wieder auf die Beine kommen sollen. Aber dass sie die Wirtschaftspolitik der Eurozone oder gar die Geldpolitik der EZB mitbestimmen könnten, scheint mir weit hergeholt.
Und zu den Befürchtungen der Politiker, ein Eingreifen des IWF könnte als Schwäche ausgelegt werden: der Euro wird sich schon wieder berappeln; momentan liegt er immerhin noch über der Kaufkraftparität des US Dollar. Wenn erst einmal eine Staatspleite durch ist, ist die Ungewissheit aus dem Markt raus. Das würde - scheinbar erstaunlich - wahrscheinlich dem Euro sogar Auftrieb geben (obwohl wir uns das für unsere Exportindustrie nicht wünschen sollten).

Also: meine Positionierung klar gegen einen Europäischen Währungsfonds, und klar für ein Eingreifen des Internationalen Währungsfonds bei Griechenland und ggf. anderen europäischen Pleitekandidaten.


Belgien, im Wettrennen um die höchste Staatsverschuldung nach Italien und Griechenland in der Eurozone immerhin an 3. Stelle (mit 89,6% am 31.12.08; was aber in 2009 auf 95,7% gesteigert werden konnte) wittert angesichts von Schäubles Fonds-Vorschlägen Morgenluft.
"Belgischer Regierungschef fordert Europäische Schuldenagentur" titelte die (trotz des hochtrabenden Titels etwas obskure) "International Business Times" am 05.03.2009 in ihrem Vorabbericht über einen Artikel der Financial Times Deutschland (FTD). Der Artikel selbst erschien am 7.3.10 in der FTD unter dem hübschen Titel "Gemeinsame Schulden für Europa". Ganz unverblümt schielt darin der belgische Premierminister Yves Leterme nach dem Geld der noch nicht ganz so hoch verschuldeten Länder der Eurozone (Hervorhebung von mir):
"Ich schlage vor, ..... ein gemeinsames Finanzministerium oder eine Europäische Schuldenagentur für die Euro-Zone zu gründen.
Diese Agentur, kurz als EDA bezeichnet (von der englischen European Debt Agency), sollte eine Einrichtung der EU sein, die sich um die Ausgabe und Verwaltung der Regierungsschulden der Euro-Zone kümmert. Die EDA würde den Finanzministern der Euro-Gruppe unterstehen. Die Europäische Investitionsbank könnte als Sekretariat der Agentur auftreten. Die EDA würde die bestehenden Schuldtitel übernehmen und neue herausgeben, sofern der Ecofin-Rat für Wirtschaft und Finanzen und die Euro-Gruppe zustimmen. Diese Mittel würden dann auf die Mitgliedsstaaten übertragen.
Was die bestehenden Schulden betrifft, würde die EDA Unterschiede zwischen den Schuldnern machen: Die Mitgliedsstaaten würden auch künftig unterschiedliche Zinssätze zahlen, die ihrem Kreditrating entsprechen. Neue Schuldtitel würden dagegen einem einheitlichen Zinssatz unterliegen. Wenn alte Schuldtitel auslaufen und durch neue ersetzt werden, würden die einzelnen Staatsschulden der Euro-Zone zu einer einheitlichen Schuld werden - was unterstellt, dass jeder Mitgliedsstaat stillschweigend die Schulden aller anderen garantiert.
"
Nachtigall, ick hör dir nicht etwa trapsen: ick hör dir hellauf jubilieren!
P. S. Zu Brüssel als Verbrecherparadies vgl. den FTD-Bericht "Beamte als Kriminellen-Opfer. In Brüssels Europaviertel boomt das Verbrechen" vom 12.03.10. Das macht Laune, mit denen und den Griechen in einem Boot zu sitzen!


In Sachen Rentenfinanzierung etwa schwimmt Prof. Dr. Hans-Werner Sinn zwar definitiv auf dem falschen Dampfer; dafür habe ich ihn meinem "Rentenreich" unter der Überschrift "Sinn substituiert die Konjunktion: rettet er die Renten durch ökonomische Akzeleration" auch heftig kritisiert.

Aber wenigstens ist er ein Mensch, der seine Überzeugungen konsequent und mit Nachdruck vertritt. So z. B. in Sachen Griechenland / Weltwährungsfonds (und implizit wohl auch gegen einen eigenständigen Europäischen Währungsfonds) am 5.3.2010 in der Wirtschaftswoche in einem Kommentar der Reihe "Denkfabrik" u. d. T. "Ifo-Chef Sinn: IWF sollte sich um Griechenland kümmern":
"Griechenland braucht in diesem Jahr 50 Milliarden Euro allein für den Ersatz auslaufender Altschulden – und noch einmal 30 Milliarden Euro für das geplante Defizit. .....
Dank der Verschuldung konnten die Lohnkosten der Staatsbediensteten von 1999 bis 2008 um 62 Prozent schneller als im Durchschnitt der Euro-Zone steigen, die Sparquote auf den niedrigsten Wert der Euro-Zone sinken, die Sozialleistungen um 74 Prozent schneller als die Wirtschaftskraft anwachsen und die Renten nach nur 15 Beitragsjahren auf unglaubliche 111 Prozent des Nettolohns der Beitragszahler steigen. In Deutschland muss man mindestens 35 Jahre arbeiten, um auf 61 Prozent zu kommen. Was in Griechenland geschah, hat wenig mit der Weltwirtschaftskrise zu tun.
..... Die EU zur Entschuldung Griechenlands einzuschalten wäre ein fundamentaler Paradigmenwechsel ... . Wenn die jetzige EU erst einmal das Mandat erhält, Vermögen in Europa umzuverteilen, dann wird es kein Halten mehr geben. Da die gefährdeten Staaten, zu denen neben Griechenland auch Portugal, Spanien, Irland, Belgien und Italien gehören, bei EU-Entscheidungen mit abstimmen, sind massive Vermögensverluste für Deutschland programmiert. Deutschland wird jetzt schon von der griechischen Regierung unter Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg erpresst. Man wolle das Thema der Reparationszahlungen noch zurückstellen, bis man sich der Solidarität der EU sicher sei, bekundete der stellvertretende Außenminister Droutsas im „Handelsblatt“.
Man darf nicht vergessen, dass Deutschland schon heute von jedem von der EU ausgegebenen Euro 20 Cent bezahlt, aber nur elf Cent zurückerhält. Solange sich die EU auf allokative Aufgaben beschränkte, war das hinnehmbar. Bei der Umverteilung von Vermögen hört der Spaß indes auf. Unser Wirtschaftssystem hat schon durch die Umverteilung zugunsten der neuen Bundesländer einen Knacks erhalten. An einem europäischen Finanzausgleich würde es zerbrechen. .....
Wenn es schon deutsches Geld zu verteilen gibt, dann sollte Deutschland auch allein darüber entscheiden. Noch sinnvoller wäre freilich die Einschaltung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Mittel wurden kürzlich auf eine Billion Dollar aufgestockt; davon steht die Hälfte für Länder mit Währungskrisen zur Verfügung. ... Anders als es die EU je könnte, setzt er einen strikten Sparkurs durch und zahlt sein Geld nur in Tranchen nach dem Erfolg der Sparanstrengungen.
Wenn die Hilfe des IWF die Eitelkeiten der EU-Politiker verletzt, ist das deren Problem. Die Sachargumente wiegen schwerer. Das Geld für die Griechenland-Hilfe ist eingezahlt, und es ist nicht einzusehen, warum man ein zweites Mal zahlen sollte. ...
was immer Griechenland an Soforthilfe erhält, das Geld wird nicht reichen. Es tut sich ein Fass ohne Boden auf. Das zentrale Problem des Landes liegt in seinem gigantischen Leistungsbilanzdefizit von zuletzt knapp 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, etwa 33 Milliarden Euro pro Jahr
"
und schließlich noch einmal die eindringliche Warnung:
"Die Verluste der deutschen Banken wären ein Klacks im Vergleich zu den Lasten eines europäischen Finanzausgleichs."
Ich stimme ihm in Sachen Griechenland-Bailout jedenfalls insoweit zu, als ich
a) keine deutschen Steuergelder, weder direkt noch indirekt (auch nicht als explizite oder implizite Bürgschaften -"Gemeinschaftsanleihen"- gen Süden wandern sehen möchte (dagegen kämpfe ich ja schon länger) und
b) ebenfalls erhebliche Zweifel an der Sanierungsfähigkeit des Landes habe.
Ob Griechenland allerdings mit einem Austritt aus der Eurozone besser bedient ist, scheint mir eher zweifelhaft. Aktuell jedenfalls wären die Kreditzinsen für das Land wahrscheinlich doppelt so hoch, wenn nicht die Märkte den Eindruck (bzw. hoffentlich: die Illusion!) hätten, dass die "reichen" Eurozonenländer im Notfalle einspringen.
Dass die deutsche Politik sich gegen eine "Einmischung" des IWF sträubt, verstehe auch ich nicht; insoweit Dank an Prof. Dr. Sinn für seine knallharte Kritik an der "Eitelkeit" unserer Regierungspolitiker.


Textstand vom 16.06.2023

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