Dienstag, 24. Januar 2012

Ist es nur Borniertheit, oder hat es schon Methode? Was ist das für ein Deutschland, wo man Nachrichten über bedrohliche Streiks und Straßenblockaden in Italien nur in den Deutsche Mittelstands Nachrichten liest?


Wussten Sie, dass in Italien die Fernfahrer die Straßen blockieren? Nein?
Dann lesen Sie nicht die Deutsche Mittelstands Nachrichten (DMN). Das ist zwar kein "Blatt" mit einem Korrespondentennetz, und allzu viele journalistische Mitarbeiter stehen sicherlich nicht hinter dieser Webseite. Man mixt dort einige Agenturnachrichten zusammen, Informationen aus (angelsächsischen) Wirtschaftsmedien und Wirtschaftsblogs und der ausländischen Presse der Krisenstaaten () usw. Das Ganze wird auch ziemlich sensationalistisch aufgemacht; ein Ersatz für die Lektüre von WELT, FAZ usw. sind die DMN also ganz gewiss nicht.

Trotzdem: Wenn man am Ball bleiben will über die neusten Entwicklungen der Staatsschuldenkrise in der Eurozone, sollte man die Deutsche Mittelstands Nachrichten in die Favoritenleiste seines Browsers aufnehmen.  Denn dort findet man nicht selten Meldungen, welche die "großen" Medien erst später, oder, wenn gleichzeitig, nur versteckt bringen. (So z. B. gestern "Merkel gibt nach: 250 Milliarden zusätzlich für Euro-Rettung?", wobei dieser - wichtige und inhaltlich im Wesentlichen leider wohl zutreffende - Artikel die widersprüchlichen Behauptungen enthält: "Das Konzept [für eine Erhöhung der Hilfsgelder], durch das unter Umständen eine weitere Abstimmung im Deutschen Bundestag vermieden werden könnte..." und "[Angela Merkel] ... möchte im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für die zusätzlichen 250 Milliarden Euro bekommen".)

Momentan sieht es ganz so aus, als ob die Italiener die Griechen machen. Die DMN haben darüber berichtet
Weil man auf den Webseiten von FAZ, WELT oder Spiegel, aber sogar in der Wirtschaftspresse - Handelsblatt, Financial Times Deutschland - (jedenfalls online) nichts darüber liest, ist man zunächst geneigt, das für Sensationsmache zu halten. Aber auf der Webseite der Nachrichtenagentur Reuters gab es am 23.01.2012 immerhin einen kurzen Bericht u. d. T. "Straßenblockaden in Italien ausgeweitet - Protest gegen Reformen" (meine Hervorhebung):
"Von Gioia Tauro im Süden bis Turin im Norden blockierten Fernfahrer am Montag die Straßen, während in Städten wie Rom ein Taxi-Streik erneut Flughäfen und Bahnhöfe traf. Während die Lastwagenfahrer unter anderem eine Deckelung der Versicherungsbeiträge fordern, wandten sich die Taxifahrer gegen die Vergabe zusätzlicher Lizenzen. ...... Innenministerin Annamaria Cancellieri sagte dem Sender RAI, die Regierung verfolge die Proteste aufmerksam. "Wir können nicht ausschließen, dass diese Unzufriedenheit zu einer anderen Form von Protesten führt", sagte sie offenbar in Anspielung auf die Furcht, die Aktionen könnten außer Kontrolle geraten."

Ansonsten muss man schon auf die Webseite "Eurotransport" gehen, um auf einer deutschen Webseite etwas mehr Details zu erfahren: "Streik: Lkw-Fahrer blockieren Mautstellen" (24.01.12): "Hunderte Lkw-Fahrer stellten ihre Fahrzeuge etwa auf den Autobahnen von Neapel nach Reggio Calabria im Süden oder zwischen Mailand und Venedig im Norden vor Mautstationen quer. Das führte dort zu längeren Autoschlangen. Die Protestmaßnahmen weiteten sich damit von Sizilien aufs Festland aus."

Weitaus informativer [wenn auch mit dem Ausdruck "Frächterprotest" für uns Deutsche ziemlich exotisch klingend] ist jedoch der Bericht "Frächterprotest legt Italien lahm - Streik bis Freitag verlängert" des österreichischen "Wirtschaftsblatt" von heute:
"Ein Frächterprotest, der in den vergangenen Tagen lediglich Sizilien betroffen hatte, legt Italien lahm und sorgt für chaotische Zustände. Spontan organisierte Frächter blockierten auch am Dienstag wichtige Knotenpunkte auf dem Autobahnnetz von Norden bis Süden, indem sie ihre Fahrzeuge vor Mautstationen quer stellten. Dabei kam es zu erheblichen Problemen bei der Versorgung von Treibstoff und Lebensmitteln. Die Fernfahrer wollen bis Freitag streiken. Mit ihrer Aktion protestierten die Frächter gegen hohe Benzinpreise, zunehmende Mautgebühren und Versicherungsbeiträge.  ..... Der Zugang zu mehreren Häfen wurde gesperrt. Wegen Problemen bei der Lieferung von Material wurde die Produktion in einigen Werken des Autobauers Fiat in Turin lahmgelegt. Der Protest sorgte auch für Probleme bei der Lieferung von Lebensmittelprodukten und wurde vom größten Frächterverband CNA-Fita kritisiert, der die spontan organisierte Aktion nicht genehmigt hatte [immerhin: insofern besteht doch noch ein Unterschied zu Griechenland, wo es ja gerade die Gewerkschaften sind, die gegen jegliche Änderungen agitieren und ihren eigenen Staat nach Kräften in den Abgrund zu streiken versuchen]. In der vergangenen Woche hatten die Frächter bereits das Transportsystem auf Sizilien zum Erliegen gebracht."
(S. a. den weiteren Artikel "Italien streikt, Ministerin warnt ....." vom gleichen Datum.)

Immerhin bekämpft die neue italienische Regierung die Steuerhinterziehung nachdrücklicher als das Berlusconi-Regime das getan hatte. Der einschlägige heutige WELT-Bericht von Paul Badde "Schuldenland. Mario Monti nimmt sich Italiens Steuermuffel vor" lässt zwar Skepsis durchblicken ("Wie viele es von den ehrlichen Steuerzahlern unter Italiens Wählern gibt, sei dahingestellt"); aber es gibt wohl doch nicht nur auf der Ebene regierungsamtlicher Deklarationen (die es auch in Griechenland gibt, ohne dass dort ein entschlossenes Handeln folge würde), sondern auch in der Gesellschaft Ansätze für ein Umdenken. Der Schlussabsatz dieses Artikels informiert auch beiläufig über die Fernfahrer-Blockaden:
"Teile der italienischen Gesellschaft aber haben in den letzten Tagen mit wilden Streiks gegen den neuen Kurs bei Liberalisierungen protestiert und der Regierung einmal mehr jene Instrumente gezeigt, mit denen hier schon so manches Kabinett zu Fall gebracht wurde."

Ansonsten berichtet die österreichische Presse weit ausführlicher (bzw. überhaupt!) als die (bzw. im Gegensatz zur) deutsche(n). So z. B. heute "Die Presse" aus Wien unter dem Titel "Frächterprotest: EU macht Druck auf Italiens Regierung":
"Mit Behinderungen und Blockaden an Dutzenden Mautstellen und Autobahnabschnitten protestieren die Transportunternehmer gegen hohe Treibstoffpreise, Versicherungskosten und gestiegene Mautgebühren. Sie sind auch dagegen, den Transportbereich für mehr Wettbewerb zu öffnen, wie es die Regierung von Mario Monti plant. Angekündigt hatten sie auch, ihre Aktion noch bis Freitag fortsetzen zu wollen. An einigen Stellen entspannte sich die Lage aber schon am Dienstag. An diesem zweiten Tag der Blockaden von Autobahnen und anderen Straßen im Land durch Lastwagen zeigten sich erste Auswirkungen des Ausstands auf die Versorgung. So musste in fünf Fiat-Werken die Produktion wegen Lieferengpässen zunächst für zwei Schichten eingestellt werden."

Eine Meldung der deutschen Webseite Osthessen-News ist eher kurios: "Wegen Spritmangel Verhandlung ausgesetzt: Prozess gegen Italiener vertagt" (der Angeklagte konnte nicht aus Sizilien anreisen).

Die italienischen Medien sind natürlich voll mit einschlägigen Berichten. Bei einer Durchsicht der Schlagzeilen auf der italienischen Nachrichtenseite von Google News *(mit den kombinierten Suchbegriffen blocco + tir) gewinne ich (soweit meine recht beschränkten Italienischkenntnisse reichen) noch nicht das Gefühl eines bevorstehenden Chaos in Italien.
Allerdings titelt eine Meldung der (katholischen) Nachrichtenagentur Asca von heute bereits: "Sciopero Tir: Cia, governo rimuova blocchi. Agricoltura al collasso". Die Regierung geht also gegen die Blockaden vor, aber für die Landwirtschaft [und damit zweifellos auch für die aktuelle Versorgung in Deutschland mit italienischen Agrarprodukten!] haben sie schon gravierende Auswirkungen. Ob wirklich deshalb die Gefahr eines "Kollaps" steht, sei dahingestellt; der italienische Bauernverband jedenfalls malt ein solches Risiko an die Wand:
"Questo prolungato sciopero degli autotrasportatori sta rischiando davvero di portare l'agricoltura al collasso, senza contare le conseguenze sui consumatori che oggi pagano il doppio del prezzo per comprare un chilo di zucchine''. Lo afferma la Confederazione italiana agricoltori."

Dass die deutschen Mainstream-Medien über diesen wilden Fernfahrerstreik nicht berichten, ist doppelt ärgerlich. Denn zum einen sind wir dadurch ja als Konsumenten italienischer Landwirtschaftsprodukte sehr unmittelbar betroffen. Vor allem aber zeichnet sich hier die Möglichkeit ab, dass es auch in Italien einen sehr massiven Widerstand gegen die Konsolidierungspolitik und die Deregulierungen der Regierung geben könnte. Eventuelle europäische Kredite aus (großenteils) deutschen Steuermitteln für Italien könnten deshalb ebenso verloren sein, wie es unsere "Kredite" an Griechenland de facto schon sind. Deshalb ist es wichtig, den inneritalienischen gesellschaftlichen Widerstand im Auge zu behalten (und selbstverständlich NICHT den unverschämten Erpressungsversuchen des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti für eine Erhöhung des europäischen Rettungsfonds nachzugeben!).

Fazit jedenfalls: die deutsche Presse pennt, wenn es um eine angemessene Berichterstattung über unsere kapitalistischen Brudervölker in der Eurozone geht. (Nicht ganz freilich die Wirtschaftswoche: die sieht, mit überzeugender Begründung, wo Gerhard Bläske in Frankreich den nächsten Wackelkandidaten in der europäischen Staatsschuldenkrise identifiziert: "Muss Merkel jetzt auch Frankreich retten?" v. 23.1. und das Interview "Nicolas Baverez: "Frankreichs Wirtschaft ist im freien Fall" vom gleichen Tag.)

[*Auch ansonsten ist der Blick in die italienischen Nachrichten interessant; natürlich steht wieder im Vordergrund, dass Italien die Konsolidierung alleine nicht schafft und mehr - europäisches - Geld braucht: was die zusätzlichen 250 Milliarden immer wahrscheinlicher macht. Hier wird die Meinung von einem Mitarbeiter des internationalen Währungsfonds geäußert, dessen Präsidentin Christine Lagarde als Vertreterin französischer und südeuropäischer Staats- und angelsächsischer Finanzinteressen ja ohnehin einen weiteren Raubzug gegen die deutschen Steuerzahler predigt und plant.]

Nicht direkt zum Titel-Thema, aber doch ein (wie bei diesem Autor immer) wesentlicher Beitrag zur Schuldenkrise in der Eurozone ist der heutige FAZ-Kommentar "Illusionskünstler" von Holger Steltzner. Der stellt zunächst eine nahe liegende Frage, auf die Monti und Lagarde aus unguten Gründen keine Antwort geben (bzw. die sie gar nicht erst stellen):
"Warum muss eigentlich der „ewige“ Euro-Krisenfonds aufgestockt werden, wenn Griechen, Iren, Portugiesen, Spanier und Italiener so hart sparen und reformieren, wie immer wieder behauptet wird? ..... Wieso braucht man mehr Volumen, wenn die Mittel des vorübergehenden Krisenfonds EFSF nicht abgerufen sind und auch der Währungsfonds weiter Kredite vergeben kann?"
Spezifisch beantwortet Steltzner die Frage anhand der griechischen Reformrenitenz; sein Text macht aber deutlich, dass auch andere Länder - weniger offenkundig - ihre Hausaufgaben nicht wirklich machen (wollen):
"..... die Finanzminister der Geberländer wollen ihren Steuerzahlern die Verluste am liebsten verschweigen. Dabei wissen alle: Zusätzliche Hilfen für Athen sind unvermeidbar, solange der Austritt Griechenlands aus der Währungsunion keine politische Option ist. Das nutzt Athen aus. Hellas und auch andere Krisenländer leben noch immer über ihre Verhältnisse, geben deutlich mehr aus, als sie erwirtschaften, obwohl sie eigentlich Überschüsse brauchten. Im Jahr drei nach Ausbruch der Schuldenkrise muss man zweifeln, ob Griechenland in der Währungsunion überhaupt wettbewerbsfähig werden will. Die Eliten in Athen scheinen nicht gewillt zu sein, die eigenen Pfründen abzuschaffen sowie Korruption und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Die EU zahlt ja auch dann, wenn Griechenland nicht liefert."


Nachtrag 25.01.2012
Na endlich, wenigstens die ZEIT berichtet, am 24.10.2012 um 18.30 h, u. d. T. "Fernfahrerstreik. Italien protestiert, die Mafia macht mit ".




ceterum censeo

Der Wundbrand zerfrisst das alte Europa,
weil es zu feige ist ein krankes Glied zu amputieren!

POPULISTISCHES MANIFEST
(für die Rettung von ? Billionen Steuereuronen!):
Ein Gespenst geht um in Deutschland - das Gespenst einer europäischen Transferunion und Haftungsunion.
Im Herzland des alten Europa haben sich die Finanzinteressen mit sämtlichen Parteien des Bundestages zu einer unheiligen Hatz auf die Geldbörsen des Volkes verbündet:
·        Die Schwarzen Wendehälse (die unserem Bundesadler den Hals zum Pleitegeier wenden werden),
·        Die Roten Schafsnasen (vertrauensvoll-gutgläubig, wie wir Proletarier halt sind),
·        Die Grünen Postmaterialisten (Entmaterialisierer unserer Steuergelder wie unserer Wirtschaftskraft),
·        Die machtbesoffenen Blauen (gelb vor Feigheit und griechisch vor Klientelismus), und selbstverständlich auch
·        Die Blutroten (welch letztere die Steuergroschen unserer Witwen, Waisen und Arbeiter gerne auflagenlos, also in noch größerer Menge, gen Süden senden möchten).
Wo ist die Opposition im Volke, die nicht von unseren Regierenden wie von deren scheinoppositionellen Komplizen als Stammtischschwätzer verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, welche sich der Verschleuderung der dem Volke abgepressten Tribute an die europäischen Verschwendungsbrüder wie an die unersättlichen Finanzmärkte widersetzt hätte?
Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor:
Das Volk wird von fast keinem einzigen Politiker als Macht anerkannt.
Es ist hohe Zeit, dass wir, das Volk, unsere Anschauungsweise, den Zweck unserer Besteuerung und unsere Tendenzen gegen die fortgesetzte Ausplünderung durch das Finanzkapital bzw. durch die Bewohner anderer Länder und durch seine/deren politische Helfershelfer vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen von dem grenzenlosen Langmut der Deutschen den Zorn des Volkes selbst entgegenstellen.


Textstand vom 16.06.2023

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