Irgendwo las ich etwas über Luhmann und die Begriffe "Inklusion" und "Exklusion" (konkret: hier); ein Text allerdings, welcher mich, für sich genommen, nicht grad vom intellektuellen Hocker in die Höhe reißt.
Ein anderer wollte, dass ich endlich was lerne aus der Geschichte; dass freilich die Globalisierung des 20. Jahrhunderts im hellenistischen System der alexandrinischen Diadochenstaaten präfiguriert sei, erscheint mir denn doch etwas allzu naiv. Oder ein allzusehr ideologisch präfiguriertes Gedankenschlecht (von "Gedankengut" möchte ich da wirklich nicht sprechen).
Und dann war da noch die Debatte zur Frage "Türkei in EU?" und die kulturelle Identitätsdebatte allgemein.
Wenn man sich wirklich selbstkritisch fragt: was weiß man denn, auf einer abstrakten Ebene, über soziale Gebilde?
Gut, wir wissen, dass schon auf der Ebene von Firmen, sogar innerhalb eines Staates, Zusammenschlüsse scheitern können: weil, wie man zu sagen pflegt, die unterschiedlichen "Firmenkulturen" nicht zu einander passen.
Was man auch weiß (oder wenigstens wissen könnte) ist, dass vor dem Kapital alle Menschen gleich sind.
Die "Zurichtung" des Menschen durch das Kapital, wie man in der linken Szene zu sagen pflegt, hat eine durchaus positive moralische Perspektive. Die Anti-Diskriminierung von Frauen und fremden Rassen wird, glaube ich, auf der politischen Ebene weitaus mehr vom realen Interesse des Realkapitals an der Verwertbarmachung von möglichst viel Humankapital getrieben, als von moralischen Überlegungen.
So kommen Moral und Interesse zusammen, und auf diese Weise kann das Kapital sich sogar seine menschenfreundlichen Gegner dienstbar machen, in temporären Interessenkoalitionen. (Das immerhin kann man aus der – in diesem Fall US-amerikanischen – Geschichte lernen, dass Sklaven nicht einfach deshalb freie Menschen werden, weil so was Ähnliches in irgendeinem Verfassungspapier drin steht.)
Wie in anderer Weise auch die Religion für Kapitalinteressen nicht nur bei der mentalen Zu- oder Abrichtung von Nutzen sein kann (was freilich für die Kapitalinteressen nicht immer ganz risikolos ist, denn manchmal entfaltet die Religiosität auch ganz anders gerichtete Kräfte), sondern auch bei der Humankapitalproduktion.
Insofern sehe ich es auch nicht als einen Zufall an (freilich auch nicht als Ergebnis irgendeiner Verschwörung), dass die katholische Kirche und die christlichen Fundamentalisten in den USA die Geburtenkontrolle bekämpfen.
Je mehr Humankapital vorhanden ist, um so größer wird die Nachfrage nach Realkapital. Und umgekehrt: weniger Humankapital, geringere Nachfrage nach, also sinkender Wert des, Realkapitals.
Aber hier bin ich ein wenig abgekommen von jenen Fragen, die nicht so unmittelbar interessensoziologisch zu beantworten und nicht primär wirtschaftlich orientiert sind.
Ganz unvermittelt stelle ich also in den Raum, was ich mir völlig unsystematisch bis jetzt dazu notiert habe:
Was ist "innen", was ist "außen"?
Ist ein Vergleich sinnvoll: innerer Zusammenhalt entspricht Magnetkraft in der Natur, äußerer Zusammenhalt einem Zaun? (Kein optimaler Vergleich, noch mal prüfen!) Der Zaun als eine Art Gewalt?
Auf jeden Fall deckt sich "innen" und "außen" wohl nicht mit "Gemeinschaft" und "Gesellschaft".
Auf welche Weise ist, was wir als "innen" wahrnehmen, zu einem "innen" geworden, d. h. auf welche Weise wird welcher Ausschnitt aus der Menschheit (auf den verschiedensten Ebenen: von der Ehe zum Verein über die Firma bis hin zum Staat) zu einer Gruppe/Gesellschaft?
- Könnte es Sinn machen, "inneres Zusammenwachsen" und "äußere Zusammenfügung" zu unterscheiden?
- Beispiel für (äußere) Zusammenfügung (auf der politischen Ebene): Habsburger-Monarchie, bzw. die mittelalterlichen Fürstentümer usw. überhaupt. (Dynastische Heiraten, Kriege, Kauf, Tausch, Erbfälle.)
(Mit derartigen Beispielen ist allerdings ein Ebenenwechsel verbunden; fraglich, ob man die staatliche Ebene mit anderen Ebenen so einfach in einen Topf werfen kann.)
Wann und wodurch (und inwieweit / mit welcher "Erfassungstiefe") wird eine äußere zu einem inneren Zusammenwachsen?
- Beispiele für (inneres) Zusammenwachsen: Italien 1860/1870, Deutsches Reich 1871 (Eigentlich wurde in beiden Fällen von jeweils einem Staatsmann zusammengefügt, was allerdings kulturell zusammengehörte und zusammenwachsen wollte, Letzterer Wunsch vielleicht in Deutschland stärker ausgeprägt als in Italien.)
- Element(e), das/die eine solche Gruppierung (Staat) zusammenhalten: historisch die Person des Herrschers. Heute: Sprache, Regierung, Geschichte, Gesetze usw. (aber auch früher schon ganz oder teilweise).
- In diesem Zusammenhang das Problem konkurrierender Zugehörigkeit, z. B. Böhmen – Habsburgermonarchie. Stichwort "Böhmischer Landespatriotismus" gegen Wiener Zentralismus. Andererseits innerhalb von Böhmen: Deutsche – Tschechen. Österreichisch-ungarische Doppelmonarchie: Unterdrückung der Deutschen im ungarischen Reichsteil (Burgenland).
Noch mal zu Böhmen: Politische vs. sprachliche Zuordnung (andere signifikante kulturelle Unterschiede gab es doch wohl nicht, jedenfalls gleiche Religion!)
- Zusammenwachsen ex ante (Deutschland, Italien jeweils um 1870) und ex post (Spanien? Russland?)
"Theudisk": "zur theoda (Stamm) gehörig": Seit ca. 700, Begriff wohl in Nordfrankreich aufgekommen (Cambrai): Abgrenzung gegen andere Stämme. Immerhin: schon 786 wurde mit dem Begriff "theodisca lingua" die Sprache als einigendes Band der germanischen Stämme des Reiches Karls des Großen hervorgehoben. (dtv-Brockhaus, 1966)
Nach "Meyers Konversationslexikon" von 1889 leitet sich der Begriff aber vom "gotischen Substantiv thluda (althochd. dlota, 'Volk') ab und bedeutet daher ursprünglich s. v. w. volkstümlich, dem Volk angehörig, teils im Gegensatz zu dem, was bei einzelnen Stämmen vorkommt, teils zu dem Fremden, Ausländischen (zunächst Lateinischen und Welschen), so in Bezug auf Sitte, Leute etc., namentlich aber auf die Sprache. Im 10. Jahrhd.., als. die deutschen Herzogtümer und Völker zu einem Reich vereinigt blieben, wurde dann das altdeutsche dlutlsc (latinisiert theodiscus) zum Volksnamen."
Hermann Paul u. a., Deutsches Wörterbuch, 9. Auflage (1992): "zunächst auf sprachliche, später (830) und seltener auf politische Verhältnisse bezogen".
Wieder dtv 1966: "Im 9. Jh. erstarkte dieses an die Muttersprache anknüpfende Gemeinbewusstsein zur Grundlage für ein eigenständiges bewusstes Volksleben der sich seit dem 10. Jh. als diutisk-deutsche begreifenden Stämme der Franken, Sachsen, Baiern, Alemannen, Thüringer, Friesen. [Der Bedeutungswandel von der sprachlichen zur politischen Ebene soll sich in der Gegend von Mainz vollzogen haben: interessant, weil eben dort später der Buchdruck erfunden wurde!] Im letzten Drittel des 9. Jh. meint das Wort diutisk-deutsch geradezu 'die einigen Stämme', und zum Jahre 919 sprechen die Salzburger Annalen vom 'regnum teutonicorum', von 'Königtum der Deutschen' ". Schade, ist etwas zu früh, um zu behaupten, dass die Ungarn uns zu Deutschen gemacht hätten (933 Schlacht an der Unstrut, 955 Schlacht auf dem Lechfeld) – das bleibt im kollektiven Gedächtnis. Die Romzüge aber doch wohl noch mehr.
Aber über die Identitätenbildung der Völker im frühmittelalterlichen Europa machen sich zum Glück schon kompetentere Personen als ich Gedanken: Unter dem Titel "Wittgensteinprojekt" erforscht das "Institut für Mittelalterforschung" der "Österreichischen Akademie der Wissenschaften" die Bildung (oder die Entstehung oder das Heranreifen) der "Ethnische[n] Identitäten im frühmittelalterlichen Europa"
Die Belgier? Langjährige Spanisch-Habsburgische Regierung, katholisch: aber 2 Sprachen. Weshalb sind die eigentlich von den Niederlanden abgefallen? '1830 kam es zum Aufstand' liest man. Was aber waren die tieferen Gründe, quasi die historische Notwendigkeit für diese Ereignisse, vor allem für den Erfolg des Aufstands? (Auch in den Niederlanden gibt es einen starken katholischen Bevölkerungsanteil. Die Religion kann es also nicht gewesen sein. Historische "Bruchlinie" der spanischen Herrschaft? Erklären solche Vorstellungen etwas, oder reifizieren sie nur vorgefasste Urteile? Was hält das sprachlich getrennte Land zusammen, was hat damals Flamen (insbesondere diese!) und Wallonen bewogen, sich trotz aller Unterschiede gemeinsam gegen die Niederlande zu erheben? (Unterstützung/Vorbereitung von außen: Frankreich?)
Hat die äußere – spanisch-habsburgische – Zusammenfügung zu einem inneren Zusammenwachsen geführt? Andererseits: da war doch vorher schon was: Burgund / Karl der Kühne & Co.?
Oder ist Belgien noch eine (im historischen Sinne) "tektonisch aktive" Zone? Zumindest die Flamen scheinen mit der Zusammenfügung - jedenfalls in ihrer gegenwärtigen konkreten Ausprägung - nicht sonderlich glücklich zu sein. (Vgl. dazu den Handelsblatt-Bericht vom 12.12.05 u. d. T. "Wegen Sezessionswunsch gefeuert"; Untertitel: „Manifest für ein unabhängiges Flandern in Europa“- http://www.handelsblatt.com/pshb?fn=tt&sfn=go&id=1155086).
Schweiz – gut, die haben eine jahrhundertelange politische Zusammengehörigkeit (teilweise aber wohl auch als unterworfene Gebiete: Kanton Bern?), haben sich aber dennoch im religiös gefärbten "Sonderbundskrieg" 1847 untereinander in die Haare gekriegt – und schnell wieder vertragen. (War ja auch nur ein kleines, ziemlich unblutiges Krieglein.)
Andererseits: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Das könnte man insbesondere auch vom Verhältnis zwischen Preußen und Österreich sagen: 1866 verfeindet, 1871 Österreich neutral, 1914 Waffenbrüder. Oder von Großbritannien und den USA (bzw. den amerikanischen Nordstaaten): 1812 Washington in Brand geschossen, in den 1860er schon wieder gute Freunde. Und dann 1914 ff. und 1939 ff. sowieso; aber da gab es auch eine starke Interessenidentität.
Die Schweiz – um darauf zurück zu kommen - hatte ihre lange gemeinsame Geschichte, äußere Feinde oder doch potentielle äußere Bedrohungen, und ihren Gründungsmythos: Wilhelm Tell.
Hat der eine gleich wichtige Rolle gespielt wie St. Markus für Venedig? Vgl. Reinhard Lebe: "Als Markus nach Venedig kam".
Henne-Ei-Problem: wird der Zusammenhalt durch den Heiligenkult / die historische Legende gefördert, oder verstärkt er sie, oder ist er nur ein Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls?
Funktion/Bedeutung der Symbole ganz allgemein?
Gemeinsame Sprache, gemeinsame Interessen: ideal für Zusammenhalt zwischen Staaten. Aber das betrifft Bündnisse zwischen Staaten, hat nichts mehr mit dem zu tun, was ich eigentlich untersuchen wollte: den Binnenzusammenhalt (bzw. ggf. auch den Zerfall – oder die Zerlegung) und überhaupt das Werden und Vergehen von "binnen" und "buten".
Griechen (Antike): Kampf bis aufs Messer, trotzdem Gefühl der Zusammengehörigkeit und Abgrenzung gegenüber Barbaren.
Welche Bedeutung hat Kultur, insbesondere Kulturgefälle, für eine (Nicht-)Integration? Die Elsass-Lothringer sind gute Franzosen geworden, die Slawen in Mittel- und Ostdeutschland gute Deutsche (hier aber Unterschied: germanische Einwanderung nach Osten; im Falle Frankreichs wohl nur bzw. hauptsächlich kulturelle "Überwanderung"). In Böhmen scheint sich die Germanisierung dagegen weitgehend nur auf die deutschen Siedlungsgebiete erstreckt zu haben. Worin lag die Kraft der Tschechen im Vergleich zu den Slawen in Ostdeutschland? Mineralische Ressourcen? Technologischer Gleichstand? "Vitalität" – wie zu definieren? Oder lag es daran, dass in Mittel- und Ostdeutschland die deutschen Siedler überall "einsickerten", die Tschechen dagegen ihr Kerngebiet behielten? Nicht zu unterschätzen vermutlich: Prag (Karl der IV: vom Geist des französischen Zentralismus geprägt).
Religion: Hussismus als Ausdruck von ex ante bestehenden nationaler Unterschieden, oder nur ex post Verstärkung derselben?
Könnte es erkenntnisfördernd wirken, wenn man den Begriff "Einwanderung" als Oberbegriff untergliedert in "Überwanderung" (Deutsche in Ostdeutschland im Hochmittelalter), "Unterwanderung" (aktuell durch Spanischsprechende in USA mit der evtl. Folge eines "Umkippens" der anglophonen Dominanz?) und "Zuwanderung" – Nebeneinanderleben (Böhmen, Siebenbürgen, Deutsche in geschlossenen Siedlungsgebieten in Russland?)?
Und "kulturelle Überwanderung" – Römer? Frankophonie in Elsass-Lothringen?
Islam(isten): Verschiedene Staaten; (großenteils:) eine Sprache (arabisch); gemeinsame Religion ist aber anscheinend das wesentlichere Abgrenzungskriterium gegenüber dem Rest der Welt (den "Barbaren"?).
Gibt es in der Geschichte "Aschevölker" und "Hotspots" (Nordirland, Baskenland, Balkan)? Und was macht die einen friedlich (oder, von einem so zu sagen "vulkanistischen" Standpunkt gesprochen: was lässt sie erstarren), und was hält die anderen heiß?
Rückwirkung rein äußerer Grenzziehungen auf innere Identität: willkürliche Grenzen der Kolonialmächte in Afrika? Identitätsfindung des Bundesstaates Hessen: Hessentag.
Warum Zersplitterung der spanischsprachigen Länder Südamerikas? Wodurch kam es dort gerade zu den jeweils konkreten Grenzen der einzelnen Länder?
Was macht die Identität einer Gesellschaft aus? Gibt es verschiedene / konkurrierende "Innenen" (der Begriff als substantivierter Plural von "innen" gedacht)? Der Staat als Hülle eines "Innen", dass seinerseits aus weiteren Sub- und Sub-Sub- ...systemen von weiteren "Innenen" besteht?
Bringt es Erkenntnisgewinn (bzw. ist es überhaupt zulässig) den Begriff Identität(en) mit innen / Innenen gleich setzen?
Wenn ja: auf welche Weise wird eine davon (oder ggf. eine ganz andere, von außen aufgezwungene Identität – Stichwort z. B. "cuius regio ejus religio") Identität zur beherrschenden?
Wenn nein: wie ist das Verhältnis von (sozialem) "innen" zu (mentaler) Identität? (Haben wir es auch hier mit einem dynamischen Spannungsverhältnis zu tun?)
Auf welchen Ebenen gibt es "Gesellschaft(en)" oder präziser: "macht es Sinn, von 'Gesellschaft' zu sprechen?".
Zentrales Problem: die Dynamik innerhalb von Gesellschaft(en). Handelt es sich um ein chaotisches System oder lässt sich die Entwicklungsrichtung vorausbestimmen (und gezielt beeinflussen) (Kulturzyklentheorien usw.; "aus der Geschichte lernen")? Kampf bzw. Spannungsverhältnis zwischen historischen und "logischen" (sprachlichen, kulturellen) Grenzen (auf der politischen Ebene).
Kann auch ein geographischer Raum durch frühere Bewohner in der Weise historisch vorgeprägt werden, dass seine Grenzen (mehr oder weniger) für spätere, die keine bewusste Verbindung mehr zu den Vorgängern haben, bedeutsam werden? [Rheingrenze (ungefähr) der Römer? Etrusker / Toskana?]
Wenn ja: über welche Mechanismen kann eine 'Tradition' ohne direkte Weitergabe (= Tradition im eigentlichen Sinne) übermittelt werden (Bauwerke: reicht das aus? Oder gibt es eine irgendwie geartete "unterschwellige" Tradition, z. B. volkstümliche Überlieferung, die lediglich für uns nicht sichtbar wird, weil sie sich nicht auf der Ebene der Hochkultur = Schriftkultur abspielt?
Noch mal auf der politischen Ebene: Stadtstaat (mit "Kolonialreich") vs. Staat im modernen Sinne. Stadtstaaten nicht nur in der Antike, sondern auch noch in Italien: Venedig, Florenz (Mailand wohl weniger: Überformung durch dynastisches Element).
Stadtstaat vom Kern her (mehr oder weniger gewaltsam?) definiert und zusammen gehalten. Moderner Staat eher von den Grenzen her definiert.
Trifft das immer im gleichen Maße zu? Deutschland ohne Berlin – kein Problem. Was aber wäre Frankreich ohne Paris?
Stadtstaat Siena gegen Stadtstaat Florenz: Dieser erbitterte (und zumindest uns doch von vornherein aussichtslos erscheinende) Kampf gegen die Einbeziehung in den Medici-Staat (die Sienesen vom ca. 1560 müssen dass wie eine Eingemeindung empfunden haben). Campanilismo?
Merkwürdige Gebilde/Bildungen "außer der Reihe", außerhalb des sonst Üblichen:
Ostrom – zumindest in der späteren Zeit – wesentlich durch die Hauptstadt geprägt? (Aber: Reichsgebiet deckte sich zunächst großenteils mit der hellenistisch geprägten oder wesentlich hellenistisch beeinflussten Welt!) ("Kraftort" Konstantinopel?)
Nachtrag 02.11.07:
Zum Thema "Identität" ein Hinweis auf folgende derzeit schon recht ergiebige Wikipedia-Einträge:
- "Identität"
- "Kulturelle Identität"
- "Theorie der sozialen Identität"
- "Identitätsbewusstsein" (der Text ist gegenwärtig mit gut -2- Druckseiten noch etwas knapp; z. B. das Kapitel mit der viel versprechenden Überschrift "Entstehung von Identitätsbewusstsein politischer Einheiten" wäre sicherlich ausbaufähig und -würdig.)
Vgl. im übrigen auch die Stichworte in der Kategorie "Soziale Gruppe".
Nachträge 21.12.07
Einige weitere Links zum Thema Entstehung von Ethnien usw.:
- kontingent, weil sie nicht notwendig in der jeweils konkreten Form hätten entstehen müssen, sondern auch in anderer Form hätten entstanden sein können (z. B. hätten in der Zeit der Völkerwanderung andere Völker oder Völkernamen auftreten können, wenn sich die marodierenden Barbaren (Germanen usw.) in anderen Konstellationen (z. B. um andere große Heerführer als die, die damals tatsächlich in Erscheinung getreten sind) geschart hätten.
- Konstrukt, weil von "Gründungsmythen" (und anderen Mythen) die Rede ist, um welche sich dann Völker gebildet haben sollen.
Freilich erscheinen mir derartige Vorstellungen nicht unproblematisch. Bei "Konstrukt" denkt man (auch wenn nicht der Begriff direkt verwendet wird, aber Aussagen gemacht werden, die sich mit diesem Begriff fassen lassen) an etwas Künstliches, an einen (mehr oder weniger genialen) Konstrukteur, der irgend ein Artefakt zusammenbastelt.
Nun war zwar z. B. die "Königinhofer Handschrift" (eine wahrscheinlich von Vaclav Hanka 1817 gefälschte "Sammlung" von Liedern in alttschechischer Sprache) sicherlich ein Konstrukt und wurde zweifellos zum Zwecke einer Stärkung der nationalen Kräfte (in diesem Falle der Tschechen) geschrieben. (Und ebenso kurz darauf vom gleichen Autor die "Grünberger Handschrift"). Sie dürften auch eine wichtige Rolle in der Tschechischen Nationalen Wiedergeburt gespielt haben, und sogar heute noch verteidigen manche ihre Echtheit. Trotzdem war -in diesem Falle in Gestalt der Sprache- schon vorher ein wesentliches (oder vermutlich: das wesentliche) Substrat vorhanden, auf welchem dann derartige "Konstrukte" aufsetzen konnten. Italien gäbe es auch ohne Dante; Deutschland auch ohne Goethe und Luther.
Aber wenn man alle Dichter und Denker wegnähme, welche ihre jeweiligen Sprachen im Laufe langer Zeiträume geformt haben, würden unsere modernen Staaten heute vielleicht nicht, bzw. nicht in dieser Form, existieren.
Mit anderen Worten: Völker und Nationen sind natürlich "Konstrukte" in der Weise, dass es sie ohne intellektuelles Wirken nicht gäbe. Aber sie sind keine "Konstrukte" im Sinne einer Wortbedeutung, die sich irgendwelche großen Geister in einsamer Schreibstube oder versammelt in konspirativen Kammern vorstellt, welche 'beschlossen haben, ein Volk / eine Nation zu machen'.
Letztlich hilft uns also der Begriff "(kontingentes) Konstrukt", oder eine anders formulierte Abstraktion gleichen Inhalts, nicht weiter. Man muss einfach schauen, was im jeweiligen konkreten Falle der Fall war. Das ist für die Völkerwanderungszeit in der Spätantike etwas schwierig, weil die Schriftquellen nicht sehr reichhaltig sind und außerdem meist einseitig die römische Sicht wiedergeben.
Nachtrag 04.03.08:
"IDENTITY IN WORLD HISTORY: A POSTMODERN PERSPECTIVE" By: Wurgaft, Lewis D., History & Theory, 00182656, 1995, Vol. 34, Issue 2. (Der Titel klingt viel versprechend im Zusammenhang mit dem vorliegend behandelten Thema; ich habe den Aufsatz aber noch nicht gelesen.)
Nachtrag 30.04.09
Nicht sehr tief schürfend scheint mir eine "Studie zur deutschen Identität" der Universität Hohenheim zu sein, über die Parvin Sadigh auf ZEIT ONLINE vom 30.4.2009 unter dem Titel "Werkeln am Nationalbewusstsein" berichtet:
"Eine Studie belegt: Wir sind wieder gerne deutsch. Und dabei sehr pragmatisch. Zu unserem Wesen gehört es offenbar, etwas zusammenzubasteln, auch die eigene Identität."
Griechen (Antike): Kampf bis aufs Messer, trotzdem Gefühl der Zusammengehörigkeit und Abgrenzung gegenüber Barbaren.
Welche Bedeutung hat Kultur, insbesondere Kulturgefälle, für eine (Nicht-)Integration? Die Elsass-Lothringer sind gute Franzosen geworden, die Slawen in Mittel- und Ostdeutschland gute Deutsche (hier aber Unterschied: germanische Einwanderung nach Osten; im Falle Frankreichs wohl nur bzw. hauptsächlich kulturelle "Überwanderung"). In Böhmen scheint sich die Germanisierung dagegen weitgehend nur auf die deutschen Siedlungsgebiete erstreckt zu haben. Worin lag die Kraft der Tschechen im Vergleich zu den Slawen in Ostdeutschland? Mineralische Ressourcen? Technologischer Gleichstand? "Vitalität" – wie zu definieren? Oder lag es daran, dass in Mittel- und Ostdeutschland die deutschen Siedler überall "einsickerten", die Tschechen dagegen ihr Kerngebiet behielten? Nicht zu unterschätzen vermutlich: Prag (Karl der IV: vom Geist des französischen Zentralismus geprägt).
Religion: Hussismus als Ausdruck von ex ante bestehenden nationaler Unterschieden, oder nur ex post Verstärkung derselben?
Könnte es erkenntnisfördernd wirken, wenn man den Begriff "Einwanderung" als Oberbegriff untergliedert in "Überwanderung" (Deutsche in Ostdeutschland im Hochmittelalter), "Unterwanderung" (aktuell durch Spanischsprechende in USA mit der evtl. Folge eines "Umkippens" der anglophonen Dominanz?) und "Zuwanderung" – Nebeneinanderleben (Böhmen, Siebenbürgen, Deutsche in geschlossenen Siedlungsgebieten in Russland?)?
Und "kulturelle Überwanderung" – Römer? Frankophonie in Elsass-Lothringen?
Islam(isten): Verschiedene Staaten; (großenteils:) eine Sprache (arabisch); gemeinsame Religion ist aber anscheinend das wesentlichere Abgrenzungskriterium gegenüber dem Rest der Welt (den "Barbaren"?).
Gibt es in der Geschichte "Aschevölker" und "Hotspots" (Nordirland, Baskenland, Balkan)? Und was macht die einen friedlich (oder, von einem so zu sagen "vulkanistischen" Standpunkt gesprochen: was lässt sie erstarren), und was hält die anderen heiß?
Rückwirkung rein äußerer Grenzziehungen auf innere Identität: willkürliche Grenzen der Kolonialmächte in Afrika? Identitätsfindung des Bundesstaates Hessen: Hessentag.
Warum Zersplitterung der spanischsprachigen Länder Südamerikas? Wodurch kam es dort gerade zu den jeweils konkreten Grenzen der einzelnen Länder?
Was macht die Identität einer Gesellschaft aus? Gibt es verschiedene / konkurrierende "Innenen" (der Begriff als substantivierter Plural von "innen" gedacht)? Der Staat als Hülle eines "Innen", dass seinerseits aus weiteren Sub- und Sub-Sub- ...systemen von weiteren "Innenen" besteht?
Bringt es Erkenntnisgewinn (bzw. ist es überhaupt zulässig) den Begriff Identität(en) mit innen / Innenen gleich setzen?
Wenn ja: auf welche Weise wird eine davon (oder ggf. eine ganz andere, von außen aufgezwungene Identität – Stichwort z. B. "cuius regio ejus religio") Identität zur beherrschenden?
Wenn nein: wie ist das Verhältnis von (sozialem) "innen" zu (mentaler) Identität? (Haben wir es auch hier mit einem dynamischen Spannungsverhältnis zu tun?)
Auf welchen Ebenen gibt es "Gesellschaft(en)" oder präziser: "macht es Sinn, von 'Gesellschaft' zu sprechen?".
Zentrales Problem: die Dynamik innerhalb von Gesellschaft(en). Handelt es sich um ein chaotisches System oder lässt sich die Entwicklungsrichtung vorausbestimmen (und gezielt beeinflussen) (Kulturzyklentheorien usw.; "aus der Geschichte lernen")? Kampf bzw. Spannungsverhältnis zwischen historischen und "logischen" (sprachlichen, kulturellen) Grenzen (auf der politischen Ebene).
Kann auch ein geographischer Raum durch frühere Bewohner in der Weise historisch vorgeprägt werden, dass seine Grenzen (mehr oder weniger) für spätere, die keine bewusste Verbindung mehr zu den Vorgängern haben, bedeutsam werden? [Rheingrenze (ungefähr) der Römer? Etrusker / Toskana?]
Wenn ja: über welche Mechanismen kann eine 'Tradition' ohne direkte Weitergabe (= Tradition im eigentlichen Sinne) übermittelt werden (Bauwerke: reicht das aus? Oder gibt es eine irgendwie geartete "unterschwellige" Tradition, z. B. volkstümliche Überlieferung, die lediglich für uns nicht sichtbar wird, weil sie sich nicht auf der Ebene der Hochkultur = Schriftkultur abspielt?
Noch mal auf der politischen Ebene: Stadtstaat (mit "Kolonialreich") vs. Staat im modernen Sinne. Stadtstaaten nicht nur in der Antike, sondern auch noch in Italien: Venedig, Florenz (Mailand wohl weniger: Überformung durch dynastisches Element).
Stadtstaat vom Kern her (mehr oder weniger gewaltsam?) definiert und zusammen gehalten. Moderner Staat eher von den Grenzen her definiert.
Trifft das immer im gleichen Maße zu? Deutschland ohne Berlin – kein Problem. Was aber wäre Frankreich ohne Paris?
Stadtstaat Siena gegen Stadtstaat Florenz: Dieser erbitterte (und zumindest uns doch von vornherein aussichtslos erscheinende) Kampf gegen die Einbeziehung in den Medici-Staat (die Sienesen vom ca. 1560 müssen dass wie eine Eingemeindung empfunden haben). Campanilismo?
Merkwürdige Gebilde/Bildungen "außer der Reihe", außerhalb des sonst Üblichen:
- Judentum: Erhalt der kulturellen Identität trotz größter Belastungen und trotz Diaspora über 2.000 Jahre. Assimilation vs. Zionismus: wo stände das Judentum heute (assimilativ) ohne die Verfolgung in der Nazi-Zeit?
- Sinti + Roma: was macht deren "Identitätskern" (wenn man einen solchen Begriff verwenden kann) aus? Was grenzt sie (oder wie grenzen sie sich?) ab oder aus?
- Byzanz: Tradition, Überlegenheitsgefühl (das alte der Griechen über die Barbaren plus das Römische über den Rest der Welt); Religion.
Ostrom – zumindest in der späteren Zeit – wesentlich durch die Hauptstadt geprägt? (Aber: Reichsgebiet deckte sich zunächst großenteils mit der hellenistisch geprägten oder wesentlich hellenistisch beeinflussten Welt!) ("Kraftort" Konstantinopel?)
- Rom / Byzanz: Wieso ging der weströmische Staat unter und lebte der oströmische weiter? Überlegenheit der (griechischen) kulturellen Vorprägung (umfassendere Prägung aller Lebensgebiete bzw. des Denkens) gegenüber einer schwerpunktmäßig militärisch-bürokratischen Prägung der Westhälfte?
Nachtrag 02.11.07:
Zum Thema "Identität" ein Hinweis auf folgende derzeit schon recht ergiebige Wikipedia-Einträge:
- "Identität"
- "Kulturelle Identität"
- "Theorie der sozialen Identität"
- "Identitätsbewusstsein" (der Text ist gegenwärtig mit gut -2- Druckseiten noch etwas knapp; z. B. das Kapitel mit der viel versprechenden Überschrift "Entstehung von Identitätsbewusstsein politischer Einheiten" wäre sicherlich ausbaufähig und -würdig.)
Vgl. im übrigen auch die Stichworte in der Kategorie "Soziale Gruppe".
Nachträge 21.12.07
Einige weitere Links zum Thema Entstehung von Ethnien usw.:
- Wikipedia deutsch: "Ethnogenese" (ausführlich, gut);
- Wikipedia englisch: "Ethnic group"; "Ethnogenesis" (recht interessant); "Imagined communities".
- kontingent, weil sie nicht notwendig in der jeweils konkreten Form hätten entstehen müssen, sondern auch in anderer Form hätten entstanden sein können (z. B. hätten in der Zeit der Völkerwanderung andere Völker oder Völkernamen auftreten können, wenn sich die marodierenden Barbaren (Germanen usw.) in anderen Konstellationen (z. B. um andere große Heerführer als die, die damals tatsächlich in Erscheinung getreten sind) geschart hätten.
- Konstrukt, weil von "Gründungsmythen" (und anderen Mythen) die Rede ist, um welche sich dann Völker gebildet haben sollen.
Freilich erscheinen mir derartige Vorstellungen nicht unproblematisch. Bei "Konstrukt" denkt man (auch wenn nicht der Begriff direkt verwendet wird, aber Aussagen gemacht werden, die sich mit diesem Begriff fassen lassen) an etwas Künstliches, an einen (mehr oder weniger genialen) Konstrukteur, der irgend ein Artefakt zusammenbastelt.
Nun war zwar z. B. die "Königinhofer Handschrift" (eine wahrscheinlich von Vaclav Hanka 1817 gefälschte "Sammlung" von Liedern in alttschechischer Sprache) sicherlich ein Konstrukt und wurde zweifellos zum Zwecke einer Stärkung der nationalen Kräfte (in diesem Falle der Tschechen) geschrieben. (Und ebenso kurz darauf vom gleichen Autor die "Grünberger Handschrift"). Sie dürften auch eine wichtige Rolle in der Tschechischen Nationalen Wiedergeburt gespielt haben, und sogar heute noch verteidigen manche ihre Echtheit. Trotzdem war -in diesem Falle in Gestalt der Sprache- schon vorher ein wesentliches (oder vermutlich: das wesentliche) Substrat vorhanden, auf welchem dann derartige "Konstrukte" aufsetzen konnten. Italien gäbe es auch ohne Dante; Deutschland auch ohne Goethe und Luther.
Aber wenn man alle Dichter und Denker wegnähme, welche ihre jeweiligen Sprachen im Laufe langer Zeiträume geformt haben, würden unsere modernen Staaten heute vielleicht nicht, bzw. nicht in dieser Form, existieren.
Mit anderen Worten: Völker und Nationen sind natürlich "Konstrukte" in der Weise, dass es sie ohne intellektuelles Wirken nicht gäbe. Aber sie sind keine "Konstrukte" im Sinne einer Wortbedeutung, die sich irgendwelche großen Geister in einsamer Schreibstube oder versammelt in konspirativen Kammern vorstellt, welche 'beschlossen haben, ein Volk / eine Nation zu machen'.
Letztlich hilft uns also der Begriff "(kontingentes) Konstrukt", oder eine anders formulierte Abstraktion gleichen Inhalts, nicht weiter. Man muss einfach schauen, was im jeweiligen konkreten Falle der Fall war. Das ist für die Völkerwanderungszeit in der Spätantike etwas schwierig, weil die Schriftquellen nicht sehr reichhaltig sind und außerdem meist einseitig die römische Sicht wiedergeben.
Nachtrag 04.03.08:
"IDENTITY IN WORLD HISTORY: A POSTMODERN PERSPECTIVE" By: Wurgaft, Lewis D., History & Theory, 00182656, 1995, Vol. 34, Issue 2. (Der Titel klingt viel versprechend im Zusammenhang mit dem vorliegend behandelten Thema; ich habe den Aufsatz aber noch nicht gelesen.)
Nachtrag 30.04.09
Nicht sehr tief schürfend scheint mir eine "Studie zur deutschen Identität" der Universität Hohenheim zu sein, über die Parvin Sadigh auf ZEIT ONLINE vom 30.4.2009 unter dem Titel "Werkeln am Nationalbewusstsein" berichtet:
"Eine Studie belegt: Wir sind wieder gerne deutsch. Und dabei sehr pragmatisch. Zu unserem Wesen gehört es offenbar, etwas zusammenzubasteln, auch die eigene Identität."
Textstand vom 29.07.2019
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