Freitag, 6. Juli 2007

Schatzfund im Bayerischen Wald!


Die Straße "Goldwäscherweg" in Zwiesel erinnert noch daran, dass im Mittelalter aus den Flüssen im Bayerischen Wald (Bayerwald) Gold ausgewaschen wurde (geologische und andere Informationen darüber auf dieser Internet-Seite).

 
Noch heute sind die Spuren der mittelalterlichen Goldgewinnung in der Landschaft sichtbar: Abraumhaufen entlang der Flüsse, wie auf dieser Informationstafel des Nationalpark Bayerischer Wald erläutert.

Auch heute werden, als Freizeitbeschäftigung für Touristen, noch Kurse für das Aussieben von Gold aus dem Flussand angeboten. Freilich haben die Goldsucher des Mittelalters ganze Arbeit geleistet und nicht viel für uns übrig gelassen. In ihrem Vortrag zur Gästebegrüßung begründete die Mitarbeiterin der Fremdenverkehrsinformation Zwiesel die für Goldwasch-Events erhobene Gebühr (6,- €, wenn ich mich recht erinnere) scherzhaft damit, dass man ja schließlich das Gold erst vergraben müsse, damit die suchenden Reisegäste etwas finden können.

So kann es nicht überraschen, dass ich meinen Schatzfund (oder genauer: meine beiden Schatzfunde; ich hatte nämlich doppelt Glück) nicht im wilden Wald gemacht habe, sondern mitten auf belebten Plätzen: auf einem Flohmarkt in Zwiesel, und dann noch auf einem Flohmarkt, der in dem hübschen Ort Frauenau bei dem dortigen "Glasstraßenfest" abgehalten wurde.

Freilich werden meine Schätze in Deutschland nicht sonderlich geschätzt (und nur aus diesem Grund konnte ich überhaupt fündig werden, sonst wären mir findige Händler sicherlich zuvor gekommen). Es handelt sich nämlich um Keramik. Aber nicht irgenwelche blaue Westerwälder Salzglasur (die sicherlich auch schön ist), sondern um original italienische Majolika aus der Stadt Deruta in Umbrien.

Ich selbst war noch nie in Deruta (oder einer anderen für die Herstellung solcher Fayencen berühmten Stadt, wie etwa Faenza in der Emilia-Romagna, Caltagirone auf Sizilien usw.), aber für die Italiener ist das offenbar ein recht populärer Einkaufsort (so wie normale Deutsche im Bayerischen Wald gern Glas einkaufen - außer gewissen Leuten, die ausgerechnet dort nach Majolika suchen).
[Erstaunlich, dass unter dem Stichwort "Maiolica" in der italienischsprachigen Wikipedia derzeit - 06.07.2007 - nur ein "abbozzo", ein "stub", ein Kurzeintrag (der übrigens auch in der deutschsprachigen Wikipedia als "stub" bezeichnet wird) zu finden ist; unter dem Zwischentitel "artigianato" findet man etwas mehr bei "Deruta"; Bilder von andersartig bemalter Majolica gibt es z. B. unter "Faenza", die gleichen im deutschsprachigen Eintrag; der deutsche Eintrag für "Deruta" ist ausgesprochen dürftig; es überrascht mich immer wieder, dass die Touristikmanager allerorten das weltweite Werbepotential von Wikipedia-Einträgen offenbar noch nicht entdeckt haben. Ausführlicher, allerdings ebenfalls ohne Abbildungen von Majolika, ist der englischsprachige Eintrag für Deruta.]

Im Reiseführer "Umbrien" der Reihe "Edition Erde", Autor Ekkehart Rotter, heißt es dazu (in der 1. Auflage von 1994, S. 168:
"Deruta lässt keine Zweifel daran, dass es die 'Città della Majolica' schlechthin ist, wo ... seit 1290 die nun in alle Welt [Anm.: aber kaum nach Deutschland!] exportierte glasierte und handbemalte Terrakotta hergestellt wird. Noch vor der Ortseinfahrt laden ausgedehnte Schaufensterfronten zum Kauf der bunten ... Pracht an Krügen, Vasen, Übertöpfen und Tellern ein. ... Auch oben im alten Städtchen kann man sich noch mit Majolika-Mitbringseln eindecken."
Der Baedeker-Reiseführer für Umbrien widmet dem Thema "Majolika" sogar ein doppelseitiges "Baedeker-Special" (S. 116/117 in der mir vorliegenden 1. Auflage von 1995). U. a. lesen wir dort:
"Ihre Blütezeit erlebte die Deruta-Keramik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als auch erstmalig eine Vorliebe für bestimmte Farben (klares Orangengeld, helles Zitronengelb, Purpurbraun und kräftiges Blau) feststellbar sind."
Besonders diese im Zusammenklang warmen Farben sind es, die mir persönlich an der Majolika besonders gefallen; bzw. bei monochromen - meist wohl blauen - Stücken auch die Dekorationen (speziell Arabesken). Die Beschränkung auf eine bestimmte Farbpalette ist (oder war zumindest in der Blütezeit der Produktion) allerdings auch technisch bedingt, weil nicht alle färbenden Mineralien den hohen Brenntemperaturen Stand hielten.
In der Ortsbeschreibung für Deruta heißt es im Baedeker:
"Das im Tibertal nur wenige Kilometer südlich von Perugia gelegene Städtchen ist beinahe schon zum Inbegriff für die umbrische Keramik geworden, wenngleich die Herstellung von Majolika auch in anderen umbrischen Städten wie etwa Gubbio oder Orvieto eine lange Tradition hat. Nirgend sonst allerdings ist die herausragende Stellung der Keramik auch im Ortsbild so offenkundig: Gleich hinter der Abfahrt von der Superstrada E7 reihen sich die Neubauten der Keramikfabriken aneinander, nicht zu übersehen schon allein wegen der Präsentation ihrer Waren direkt an der Hauptstraße. ... Die kleinen Geschäfte der Kunsthandwerker, die vor allem mit den traditionellen Mustern und Formen der Deruta-Keramik arbeiten, findet man dagegen im alten Ortskern oben auf dem Hügel."

Historisch ist Deruta vor allem für seinen Lüsterdekor bekannt (Beispiele bietet das Angebot von Luigi Boccini), der mir freilich nicht zusagt (wahrscheinlich habe ich zu viel Lüsterdekore auf Woolworth-Keramik gesehen). (Auf dieser Webseite finden evtl. interessierte Leser + Leserinnen sehr ausführliche Informationen über die Geschichte der Majolika in Deruta -am Ende des Artikels auf "Deruta Città della Ceramica" klicken-, allerdings auf Italienisch: hier eine weitere Herstellerseite mit online-Fotos.)



25 cm im Durchmesser misst diese als Wanddekoration gedachte Schale mit einem "Raffaellesco" genannten Dekor (dort findet man eine etwas ausführlichere und genauere Definition, ebenfalls auf Englisch). Hier hatte ich die Wandschale nach dem Erwerb (für 2,- €) auf dem Zwieseler Flohmarkt in den Großen Regen gestellt und dort fotografiert (nicht in den himmlischen Regen, sondern in jenen komplizierten Fluss, der in Zwiesel durch Vereinigung mit dem "Kleinen Regen" zum "Schwarzen Regen" mutiert, bevor er in Pulling zwischen Bad Kötzting und Blaibach durch die Aufnahme des "Weißen Regen" zum reinen "Regen" wird).

Gleich am folgenden Tag fand ein weiterer Flohmarkt statt: beim Glasstraßenfest in Frauenau. Dort kamen ein im gleichen Stil bemalter Teller von ca. 21 cm Durchmesser und eine Untertasse mit ca. 16,5 cm hinzu - für zusammen 3,50 € (mein PC oder die Internet-Verbindung mag ausgerechnet jetzt wieder mal keine Bilder hochladen; vielleicht klappt es späer).

Auf zahlreichen anderen Flohmärkten hatte ich keine oder allenfalls kleine und wenig schöne Majolikaobjekte gesehen; um so überraschter, und hoch erfreut, war ich natürlich, so zu sagen im "hintersten Bayerischen Wald" gleich doppelt (bzw. drei-fach) fündig zu werden. Das sind natürlich keine Kunstwerke, aber doch saubere und liebevolle Manu-Fakte: Handbemalt und, wie es die Majolika-Technik erfordert, mehrfach gebrannt.

Im englischen Sprachraum ist die Farbenfeindlichkeit (oder Farbenfurcht) weniger ausgeprägt als in Deutschland; dort werden deshalb Informationen über Majolika und Majolika-Gegenstände weitaus häufiger angeboten als in Deutschland. Weitere Bilder im Stil der jetzt von mir erstandenen Objekte findet man in der Google-Bildsuche mit der Eingabe "majolica raffaellesco".

Webseiten haben zahlreiche italienische (und vermutlich auch spanische, portugiesische und mexikanische) Majolika-Hersteller, z. B. "Sette Angeli" speziell für Deruta-Keramik, die "Umbria Ceramics", die -auf englisch- die verschiedenen traditionellen Designs erklärt. (Es scheint sich um eine amerikanische oder englische Firmazu handeln; jedenfalls wurde sie von Jeff and Kate McQueen geführt. Mittlerweile ist sie geschlossen; danke, dass man den Informationsteil trotzdem -vorerst?- im Netz lässt!)
Naturgemäß gibt es auch Informationen und (erstaunlich wenige) Links im "Deruta-Net" (wohl ein kommerzielles Portal).
Schöne Stücke zeigt auch die Fa. "Tuscan Decor" (aus Las Vegas!). Gleichfalls eine amerikanische Firma ist "Higuera Imports". "Deruta Imports" führt den Ortsnamen sogar als Markenbezeichnung.
Die Webseite "virtualitalia" bringt eine relativ ausführliche Einführung mit historischen, geographischen und stilistischen Informationen sowie einer Reihe von Links.
Nicht nur über die Geschichte der Majolikaherstellung informiert die Seite "Gutenberg Scribes", sondern enthält auch zwei Lektionen für Leute, die selbst Majolika bemalen wollen.

Das Nonplusultra an geschichtlichem Hintergrundwissen vermittelt wohl die Webseite von Anita Kovacevic aus Toronto ("This site investigates Renaissance Italian maiolica as a material culture study by using methodological models in order to discover the role of maiolica within Renaissance society, culture and ritual. The gender implications, and religious and superstitious iconography of these objects are also considered, as related to the artistic ideals and values of the Renaissance"). (Auch eine umfangreiche Bibliographie ist dort eingestellt.)

Ein umfangreiches Buch über Majolika kann man sogar online (auf Englisch oder Italienisch) lesen, nämlich den von Fausto Berti verfassten Katalog "Capolavori della maiolica rinascimentale" zu einer gleichnamigen Ausstellung (engl.: "Masterpieces of Renaissance ceramics Montelupo 'fabbrica' di Firenze 1400-1630") im Jahre 2002 in Florenz. Ob da wirklich durchgängig oder auch nur überwiegend "Meisterwerke" ausgestellt wurden, lasse ich mal dahingestellt; der Ort Montelupo war eher für seinen volkstümlichen (d. h. auch weniger kostspieligen) Dekor bekannt. Der 328 Seiten umfassende Begleitkatalog scheint jedenfalls auch ganz allgemein umfangreiche Informationen über die italienische Majolikageschichte zu bieten.

Sogar ein zeitgenössisches Buch über die Herstellung von Majolika:
CIPRIANO PICCOLPASSO, "LI TRE LIBRI DELL'ARTE DEL VASAIO" ist online verfügbar - aber das ist wohl mehr für Wissenschaftler von Nutzen. (Über den Autor vgl. den umfangreichen Artikel "Picol Passo and the Art of Maiolica" von Damon Moon.)


Weitere Hinweise und zahlreiche (meist kommentierte) Links (von denen allerdings manche überholt sein mögen; aus Zeitmangel ist mir eine ständige Pflege dieser Seiten leider nicht möglich) finden interessierte Websurferinnen und Websurfer auch auf drei Webseiten des Blog-Meisters:

- Der Seite "Majolikareich" mit einer thematischen Einführung und den Unterseiten

- "Majolikareich: Bibliothek" (keine erschöpfende Literaturliste, sondern hauptsächlich ein kommentierte Verzeichnis von Büchern, die ich selbst besitze oder kenne) und

- "Majolikareich: Linksammlung" - der Titel ist selbsterklärend.


Nachtrag vom 07.07.2006:
Nachdem nun das Hochladen der Bilder wieder funktioniert, hier ein Foto der Rückseite der Wandschale (mit Signatur des Malers / der Malerin) .....
 
..... sowie hier ein Foto der Rückseite der Wandschale (mit Signatur des Malers / der Malerin), eine Aufnahme des Tellers und der Untertasse, und schließlich noch der -gleichfalls signierten- Rückseiten dieser beiden:


 
Einen anderen Schatzfund, in der Stadt Regen, habe ich leider nicht als solchen erkannt - vgl. dazu mein Eintrag "Buddha im Bayerwald".

Nachdem ich meine Niederschriften der Urlaubserlebnisse und Reflexionen über unseren Urlaub 2007 in Zwiesel im Bayerischen Wald bzw. über unser Urlaubsgebiet mittlerweile auf mehrere Einträge verteilen musste und nun langsam Gefahr laufe, selbst die Übersicht zu verlieren, habe ich eine Liste der einschlägigen Beiträge erstellt unter dem Titel:
"Bayerischer Wald: Übersicht meiner Blog-Einträge über unseren Urlaub in Zwiesel".


Nachtrag vom 02.10.2007:
Ein wunderbarer cooler Kontrast zu den (vorwiegend) warmen Farbtönen der Majolia-Palette sind türkische Keramiken (Halbfayencen) aus Iznik, ebenfalls aus dem 16. Jh. (allerdings aus dem späten, wo in Italien die Majolika-Kunst -und vermutlich auch die Majolika-Begeisterung- ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte).
Ein wunderschönes Buch darüber wird derzeit verramscht (bei der Kunst-Buchhandlung König, z. B. in der Filiale im Gebäude der Frankfurter Kleinmarkthalle):
"Osmanische Keramik aus Iznik" von Walter B. Denny, in der deutschen Ausgabe erschienen 2005 im Hirmer-Verlag München. 34,95 € (statt ursprünglich 59,- Euro) sind zwar auch kein Betrag, den unsereiner aus der Portokasse bezahlt; aber für solch ein herrliches Buch (Atlasformat, Leinen, 239 S. mit teils ganz- bzw. doppelseitigen Farbabbildungen von hervorragender Qualität) wahrhaftig nicht zu viel verlangt. (Hier eine Rezension von Michael Buddeberg auf den Webseiten der Preetorius-Stiftung.)

Textstand vom 10.06.2013

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen