Sonntag, 5. Februar 2006

PARALIPOMENA ZU DEN PROPHETEN-KARIKATUREN

1) LANGE LEITUNG oder BOTSCHAFTER DES GLAUBENS?

Erst jetzt kommt es mir in den Sinn, dass von 40 angefragten Karikaturisten ausgerechnet zwölf ihre Zeichnungen eingeschickt haben. Die zwölf Apostel?

Und, wenn man so will und je nach Standpunkt, ist sogar ein Judas dabei: Lars Refns Zeichnung, wo ein Schüler namens "Mohamed" den Satz (auf persisch) an eine Schultafel schreibt: "Die Redakteure von Jyllands-Posten sind eine Bande reaktionärer Provokateure" wird jedenfalls in dem Blog "Face of Muhammed" in dieser Weise gesehen ("We think Lars Refn is a coward ...").

Auf jeden Fall ist diese Zeichnung aus meiner Sicht die intellektuell anspruchsvollste, weil man sie in doppelter Weise interpretieren kann. Das Original zeigt lediglich den Text an der Tafel, keine englische und/oder dänische Übersetzung.
Der deutschsprachige Wikipedia-Eintrag "Das Gesicht Mohammeds" beschreibt die Darstellung wie folgt:
"Der Karikaturist Lars Refn brachte sogar eine versteckte Botschaft auf seiner Zeichnung unter: Die Karikatur zeigt einen südländisch aussehenden Schüler mit der Unterschrift „Mohammed Valbyskole 7A“. Er steht vor einer Tafel, auf der in Persisch geschrieben steht: „Die Redaktion von Jyllands-Posten ist eine Bande reaktionärer Provokateure“. Es ist unklar, ob sich die Redaktion der Bedeutung des Tafel-Textes bewusst war, als sie die Zeichnung abdruckte."
Diese Information ist interessant, aber unvollständig.
Aus dem englischen Eintrag u. d. T. "Jyllands-Posten Muhammad cartoons controversy" erfährt der Leser nämlich ergänzend, dass "On his shirt is written 'Fremtiden' (the future) ".

Damit lässt sich die Zeichnung sowohl als eine Aussage des Karikaturisten über die Karikaturenaktion der Zeitung verstehen, als auch als eine Aussage über eine hypothetische Zukunft, in welcher islamische Schüler in Dänemark in der Sprache ihres Heimatlandes (bzw. der Heimat ihrer Eltern usw.) unterrichtet werden, also im Sinne der "Überfremdungsthematik".

In dieser Weise muss sie zweifellos ein (dänischsprachiger) Leser verstehen, der den Sinn der Worte an der Tafel nicht kennt. Gemeint sind sie aber wohl als Kritik an der Aktion der Zeitung Jyllands-Posten.


2) SELBSTREFERENZIELL

Dies ist die Zeit, da es wichtig wäre, Antworten zu wissen auf die Frage: "Was ist Identität?" Wie sie z. B. in meinem Eintrag vom 14.11.05 u. d. T. "UNSYSTEMATISCHE FRAGEN UND NOTIZEN ZUR BILDUNG (UND ZUM ZERFALL) VON GESELLSCHAFT(EN) oder KANN MAN SOZIALE DYNAMIK(EN) ABSTRAKT BESCHREIBEN UND VERSTEHEN?" anhand konkreter historischer Beispiele aufgeworfen wird.


3) VOM WERT DER KLOWÄNDE

Jean-Remy von Matt hat die Weblogs als "Die Klowände des Internets" geschmäht (Jens Scholz, Blog-Eintrag vom 19.06.06; die URL http://www.jensscholz.com/2006_01_01_archive.htm. wird als "Direktlink" unter dem Text genannt – aus meiner Sicht eine etwas eigenartige Vorstellung von "direkt".)

Jedenfalls: in einer weltweiten Kommunikationserregung wie im vorliegenden Falle zeigen sie ihren Wert. Bei Technorati und Google-Blogsuche werden ihre Inhalt in kürzester Zeit erfasst und sind aufrufbar.

Teils werden Meinungen geäußert, was einen interessanten Überblick einerseits und andererseits wertvolle Anregungen und Ergänzungen für die Entwicklung einer eigenen Perspektive gibt.

Teils werden Meldungen und Meinungsäußerungen in klassischen Medien verlinkt; mal stärker kommentierend oder referierend einzelne Meldungen und Meinungen, teils listenmäßige Linksammlungen. War für mich äußerst hilfreich, um mir einen Einblick ("Überblick" wäre gelogen) in die Debatte zu verschaffen und vor allem wichtige Informationen zu finden.

Und dann gibt es da noch die Blogs, wo man Informationen findet, die es woanders nicht gibt. In Nullkommanichts erstellt irgend jemand einen Blog "Face of Muhammed", wo man nicht nur die Karikaturen sehen kann – was nun einmal nötig ist, wenn man mitreden will -, sondern auch Links zu einer Blogliste findet, zu einem "Mohamed Image Archive" mit historischen Darstellungen des Propheten (auch aus moslemischen Ländern)und zu einer Webseite, die zur Unterstützung Dänemarks auffordert.


4) GOOGLE, GOOGLE – WARUM HAST DU UNS VERLASSEN?

In "Mikesweb" äußert der Blog-Autor den Verdacht, dass die Google-Bildsuche die Mohammed-Karikaturen zensiert hat. Tatsächlich scheint das zuzutreffen: vgl. Suchbegriffe "Propheten-Karikaturen", "Mohammed-Karikaturen", "Mohammed-Zeichnungen", "Muhammad caricatures", "Muhammad-drawings" oder auch "Muhammad cartoons" (unter diesem Stichwort wird immerhin eine, und sogar die fragwürdigste, der Karikaturen gezeigt, nämlich der Prophet mit dem 'Bomben-Turban').
Eine Informationszensur durch Google mag in China unvermeidlich sein. Auch bei uns will ich nicht von vornherein ausschließen, dass es in Einzelfällen gewichtige Gründe für eine solche geben könnte. Im vorliegenden Zusammenhang ist sie allerdings unerträglich und sollte uns Veranlassung geben, heftig zu protestieren. Oder sollte nur die zeitverzögerte Indexierung der Grund sein, dass bislang die anderen Karikaturen nicht zu sehen sind?


5) WOW, WOW, WIKI!

Die Wikipedia-Autoren haben blitzartig und mit (speziell in der englischsprachigen Version) außerordentlich umfassenden Informationen reagiert (engl.; dt.). Hut ab vor Leuten (und, nicht zu vergessen: Dank an diese!), die solche Dokumentationen in kürzester Zeit zusammenstellen können!

Braucht es da noch meiner Meinungsäußerung? Vielleicht zumindest zu einem bei uns im Westen meist arg unterbelichteten Punkt doch noch, nämlich zu:


6) DIE GROSSMUTTER IN ONKEL TOMS HÜTTE

Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht alle der 12 Karikaturen aus der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten".

Besonders verstehe ich nicht die genaue Aussage jener Zeichnung, auf welcher der Prophet im Vordergrund mit einem Krummsäbel herumfuchtelt und im Hintergrund zwei verschleierte Frauen verängstigt dreinschauen.
Soll das heißen: "Die unterdrückten Moslemfrauen sind gegen die Radikalen"?

Wenn wir uns im Westen da mal nicht täuschen!

Männer machen (meist) die Kriege. Aber Frauen stehen nicht selten dahinter.
Ich erinnere mich daran, die Rezension eines Buches gelesen zu haben (Titel habe ich vergessen; vermutlich gibt es aber auch mehrere Studien zu diesem Thema) über Deutschlands Frauen im Dritten Reich. Fazit darin: "Fanatischer als die Männer!"

Und wer die isländische Saga vom Weisen Njal, oder Brennur-Njal, gelesen hat, weiß, welche verhängnisvolle Rolle dessen Frau Bergthora darin spielt.

Ich erinnere mich auch an Fernsehbilder, auf denen Frauen nicht nur um ihre toten Söhne weinten, sondern rachedürstend die Fäuste schüttelten.

Es ist natürlich lediglich ein "anecdotal evidence" für ansteigenden Islamismus, aber ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck, dass man mehr (moslemische) Frauen mit Kopftüchern auf Deutschlands Straßen sieht. Dass diese Frauen (von Einzelfällen abgesehen) von ihren Männern oder Vätern zum Kopftuchtragen gezwungen worden wären, glaube ich nicht.
Dass es eine Demonstration ist, glaube ich schon. Fragt sich, ob (nur) Demonstration für den Islam, oder (auch) gegen – ich will nicht sagen "die Christen", sondern – und das fände ich noch schlimmer – gegen die säkulare Gesellschaft.
Ich bezweifle, dass sich die Masse der islamischen Frauen so unterdrückt fühlt, wie wir uns das vorstellen, oder wie wir glauben (oder gar fordern), dass sie sich fühlen müssten oder sollten.

Nevertheless: Männer machen (meistenteils noch heute) die Geschichte (denjenigen Teil, der, früher zumindest, die Geschichtsbücher beherrschte: die "Haupt- und Staatsaktionen").
Unsere Identität bestimmen, und machen in diesem Sinne "unsere Kultur", aber wohl eher die Frauen.
Treten Sie in den Zeugenstand, Frau Bozena Nemcova (Tschechische Patriotin des 19. Jh. und Verfasserin des Romans "Die Großmutter") und Frau Harriet Elizabeth Beecher Stowe!

Nachtrag vom 27.04.07: Dass Frauen nicht unbedingt für Emanzipation kämpfen müssen, zeigt auch der Artikel "Weibliche Gotteskrieger im Anmarsch" von Joachim Hoelzgen im Spiegel Online vom 26.04.07. Einleitend heißt es darin:
"6500 Koranschülerinnen in schwarzen Burkas verängstigen die Bewohner der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Die Studentinnen einer großen, radikalislamischen Moschee wachen über die Sitten - und drohen sogar Selbstmordanschläge an."

Textstand vom 24.07.2007
Gesamtübersicht der Blog-Einträge auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm

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