Aber verdammt gut ist die Pizza aus dem Holzofen dort allemal. So haben wir unseren spontanen Beschluss kein bisschen bereut, "for old langsyne", d. h. in Erinnerung an alte Tage (bzw. Nächte) in Sachsenhausen wieder einmal eine Pizza beim Pizza Petro zu essen. Hunger hatten wir genug, nachdem wir zuvor die Ausstellung "Felix Nussbaum und die Moderne" im Jüdischen Museum besichtigt hatten.
Doch wartete bei Pizza Petro Geistesfutter auf mich.
Und damit meine ich nicht das Sachsenhäuser (Werbe-)Blättchen, das dort auslag, sondern eine mir bis dahin völlig unbekannte Wochenzeitung: "Die Neue Epoche", Nr. 10, 2. Jahrgang, 10.03. – 16.03.2006. Ein etwas merkwürdiger Name, aber ein sehr seriöses Layout: der Titel in coolem Hellblau gehalten, darüber "DIE NEUE WOCHENZEITUNG – UNABHÄNGIG UND ÜBERREGIONAL". Zwei oder drei Exemplare lagen dort, der Verkaufspreis mit Paketschreiber geschwärzt, also: "Darf man die mitnehmen?". "Ja."
Das ganze Design der Titelseite wirkt irgendwie vertraut. Wo hat man eine ähnlich gestaltete Zeitung oder Zeitschrift gesehen? Bei der "Weltwoche"? Nein: dort ist zwar der Titel in Blau gehalten, aber das sonstige Erscheinungsbild ist deutlich anders.
[Immerhin beschert mir aber der Besuch der Weltwoche-Webseite eine Rezension bzw. Zusammenfassung des Buches "Verbrechen als Markt – Zur Ökonomie der Halbwelt und der Unterwelt" von Valentin N. J. Landmann, deren Lektüre ich – ohne Zusammenhang zur vorliegenden Thematik - meinen Besuchern ans Herz legen möchte.]
Als ungewöhnlich fällt bei "Die Neue Epoche" zunächst unter dem Titel ein Zusatz auf: "Epoch Times International". Wenn ein großer ausländischer Verlag die deutsche Version einer im Ausland längst eingeführten (Wochen-)Zeitung herausgebracht hätte (oder ein deutscher Verlag eine Lizenzausgabe, wie im Falle der "Financial Times Deutschland"), hätte man doch in den Zeitungen etwas davon gelesen und Werbung dafür gesehen?
Die Themen jedenfalls sind "normal", also das, was uns derzeit bewegt: "Wer CO² sät, wird Sturm ernten", "Verd.i weitet Streiks im öffentlichen Dienst aus", "Chirac ruft vor saudiarabischem Parlament zur Toleranz auf", "Annan will UNO reformieren" und – zum derzeitigen Angstthema Vogelgrippe – "Chinese stirbt an H5N1 ohne Direktkontakt mit Geflügel".
Die Spalte "Aus dem Inhalt" auf der linken Seite wirkt von der Aufmachung und den Themen her ebenso seriös-vertraut wie das sonstige Layout: "Deutschland im Ausverkauf. Eigentum verpflichtet ...", ein Kommentar von Silke Jelkic, ein Artikel zur Kunst über den Maler Ludwig von Hofmann-Zeitz usw. werden dort angekündigt. Humor haben die Redakteure offenbar auch: ein Artikel über zunehmende Rückenprobleme bei Kindern trägt den Titel "Ein Volk von Sitzenbleibern". Heutzutage etwas ungewöhnlich eine Fortsetzungsserie (hier Teil 2) u. d. T. "Geheimagent gesteht". Beim Anblick eines 'Zählers" unten rechts reibt man sich allerdings verwundert die Augen: "Seit dem Erscheinen der 'Neun Kommentare über die Kommunistische Partei' sind 8.680.464 Personen aus der KPC ausgetreten". Das ist denn doch etwas ungewöhnlich, dass eine deutsche (Wochen-)Zeitung triumphierende Frontberichte über den Anhängerverlust der Kommunistischen Partei Chinas liefert.
Das Impressum wird nicht versteckt: Auf S. 1 wird deutlich darauf verwiesen, und auf S. 4 kann man lesen, dass die Zeitschrift von dem "Epochtimes Europe Zeitungsverlag GmbH" herausgegeben wird. Der sitzt – noch ein "Beweis" für seriösen Journalismus, in Hamburg. Ungewöhnlich allerdings ist das Erscheinen weiter Ausgaben in der Ländermischung "Argentinien, Australien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Hongkong, Japan, Kanada, Russland, Süd-Korea, Ukraine, USA."
Jedoch: Die Themenseiten "Welt", "Europa", "Deutschland" (2 Seiten) und "Wirtschaft" sind als solche voll 'im grünen Bereich'; genau das, was man eben von einem deutschen Presseorgan erwartet. Auch inhaltlich keine Auffälligkeiten, etwas umweltbewegt, vielleicht etwas links: aber ein marxistisches Blatt ist es auf keinen Fall.
Dass vor der "Unterhaltung" eine Themenseite "China" eingeschaltet ist, fällt zunächst auch nicht weiter auf. Das Land ist allemal eine Sonderseite wert, wartet es doch mit phantastischen wirtschaftlichen Zuwachsraten auf. Auch das "Handelsblatt" (dessen Online-Version ich - wie natürlich auch diejenige der Bild-Zeitung - in der Mittagspause zu lesen pflege) widmet dieser kommenden Weltmacht mehr und mehr Informationsartikel, manchmal auch kritische Berichte und Kommentare (z. B. "Bürgerrechte in China. Wie zu Zeiten der Kaiser" oder die sehr pointierte Meinungsäußerung des Chefredakteurs Bernd Ziesemer "Das hässliche China").
[Sowohl die westlichen Regierungen wie zweifellos auch die chinesische Führung sind sich der rechtsstaatlichen Defizite in China durchaus bewusst; vgl. in diesem Zusammenhang z. B. das Papier "Rechtszusammenarbeit im Kontext der europäisch-chinesischen Beziehungen" von Prof. Nicole Schulte-Kulkmann. Aber auch der "Rechtsexport" ist nicht unbedingt unproblematisch: Stichwort "Rechtsimperialismus".]
Weiter im Text der "Neue[n] Epoche": "Gesundheit", "Sport", "Umwelt" ["Günstige Energie aus Gülle reduziert Tomatenpreis"], "Reise" ["Eine Reise zu alten kulturellen Wurzeln des Abendlandes. Teil 2"], "Gesundheit": eine mehr oder weniger 'stinknormale" Wochenzeitung scheint das zu sein. Die Aufsätze tragen zwar keine Züge von intellektueller Brillanz (wie – vielleicht – einige in der "Zeit"), halten sich aber auf normalem bürgerlichen Niveau. Vor "Vermischtes", "Kultur" und "Wissen" ist dann noch eine Seite "Menschen und Meinungen" eingeschaltet: auch nichts Ungewöhnliches, würde nicht hier "Das Geständnis eines chinesischen Geheimagenten, 2. Teil" präsentiert, das auch sprachlich-inhaltlich etwas merkwürdig daher kommt. Doch kann der aufmerksame Leser bei der Lektüre erahnen, woher der Wind weht:
"Später wurde ich versetzt, um das Internet und Falun Gong zu überwachen".
"Am Anfang verstand ich die Falun Gong-Praktizierenden nicht und wusste nicht, was sie eigentlich machen ...".
"Durch so eine Gelegenheit bekam ich über das Internet Kenntnis vom Zhuan Falun (das Hauptwerk von Falun Gong) und von den 'Neun Kommentaren über die Kommunistische Partei' ".
[Hervorhebungen jeweils von mir]
Um die "Meditationsbewegung", wie sie selbst genannt werden möchten, bzw. um den Kult oder die Sekte, wie sie von Kritikern genannt werden (wobei die zumindest nach außen losen Organisationsstrukturen auf den ersten Blick gegen einen Sektencharakter zu sprechen scheinen) "Falun Gong" oder, wie sie auch genannt wird, "Falun Dafa" geht es also hier, bzw. genauer: um eine sehr geschickte Sympathiewerbung für diese quasi-religiöse Bewegung, vor der die chinesische Regierung und die Kommunistische Partei Chinas sich offenbar fürchten. Wenn nicht das Geständnis des chinesischen Geheimagenten stilistisch so naiv gehalten wäre ("Ich entschied mich, ein guter Mensch zu werden und mich selbst ganz neu zu orientieren": bei derartigen Formulierungen könnte man sich auch sehr gut "Bekehrungserlebnisse" von hartnäckigen "Volksfeinden" in der Zeit der Kulturrevolution vorstellen), wäre die Sache fast perfekt gemacht.
Ingo Heinemann hat wohl nicht Unrecht, wenn er auf seiner Webseite "Infos über Sekten, Kulte und den Psychomarkt AGPF - Aktion für Geistige und Psychische Freiheit Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e.V., Bonn " zum Thema "Falun gong" titelt:
"Der Falun-Kult Falun Gong, Falun Dafa und Li Hongzhi: Mehr Politik als Meditation Der Falun-Kult fordert die chinesische Regierung heraus. Hat der Falun-Kult unter dem Deckmantel von Spiritualität ein weltweites Netzwerk von Unterstützern aufgezogen? Dienen provozierte Menschenrechtsverletzungen als Schutzschild?"
und u. a. die Frage nach den Geldquellen aufwirft:
"Geldquellen zweifelhaft.
Zuletzt ist also ein Zeitungskonzern entstanden. Nach der englischen und chinesischen Zeitung wurde Ende 2004 und Anfang 2005 auch eine deutsche und eine französische Zeitung gegründet, die französische mit dem beziehungsreichen Namen 'La Grande Époque'. Zur Finanzierung heißt es, die deutsche Ausgabe sei 'aus Eigenmitteln finanziert' (http://www.dieneueepoche.com/, 'Wir über uns'). Gleichzeitig wurden neue Websites aufgebaut.
Spätestens jetzt stellt sich die Frage, woher diese 'Eigenmittel' stammen. Es wird der Eindruck erweckt, als beruhe das konspirative Verhalten auf der Verfolgung durch die chinesische Regierung.
Andere Erklärungen sind durchaus denkbar."
Nun fragt der ungeduldige Leser aber zu Recht, was das alles mit Außerirdischen zu tun hat.
Dazu Auszüge aus einem "Interview with Li Hongzhi" (Time Magazine Asia, May 10, 1999),
URL http://www.cesnur.org/testi/falun_010.htm
TIME: Why does chaos reign now?Li: Of course there is not just one reason. The biggest cause of society's change today is that people no longer believe in orthodox religion. They go to church, but they no longer believe in God. They feel free to do anything. The second reason is that since the beginning of this century, aliens have begun to invade the human mind and its ideology and culture.
TIME: Where do they come from?Li: The aliens come from other planets. The names that I use for these planets are different . Some are from dimensions that human beings have not yet discovered. The key is how they have corrupted mankind. Everyone knows that from the beginning until now, there has never been a development of culture like today. Although it has been several thousand years, it has never been like now.
The aliens have introduced modern machinery like computers and airplanes. They started by teaching mankind about modern science, so people believe more and more science, and spiritually, they are controlled. Everyone thinks that scientists invent on their own when in fact their inspiration is manipulated by the aliens. In terms of culture and spirit, they already control man. Mankind cannot live without science.
The ultimate purpose is to replace humans. If cloning human beings succeeds, the aliens can officially replace humans. Why does a corpse lie dead, even though it is the same as a living body? The difference is the soul, which is the life of the body. If people reproduce a human person, the gods in heaven will not give its body a human soul. The aliens will take that opportunity to replace the human soul and by doing so they will enter earth and become earthlings.
..............
TIME: How do you see the future?
Li: Future human society is quite terrifying. If aliens are not to replace human beings, society will destroy itself on its own [Zusatz von mir: Letzteres ist freilich in der Tat vorstellbar]. Industry is creating invisible air pollution. The microparticles in the air harm human beings. The abnormality in the climate today is caused by that [Zusatz im Interviewtext: pollution], and it cannot be remedied by humans alone. The drinking water is polluted. No matter how we try to purify it, it cannot return to its original purity. Modern science cannot determine the extent of the damage. The food we eat is the product of fertilized soil. The meat we eat is affected. I can foresee a future when human limbs become deformed, the body's joints won't move and internal organs will become dysfunctional. Modern science hasn't realized this yet.
At the beginning you asked why I did such things. I only tell practitioners, but not the public because they cannot comprehend it. I am trying to save those people who can return to a high level and to a high moral level. Modern science does not understand this, so governments can do nothing. The only person in the entire world who knows this is myself alone. [Der Meister leidet nicht gerade an mangelndem Selbstbewusstsein. B. B.]
I am not against the public knowing, but I am teaching practitioners. Even though the public knows, it cannot do anything about it. People can't free themselves from science and from their concepts. I am not against science. I am only telling mankind the truth. I drive a car. I also live in the environment. Don't believe that I am against science. But I know that modern science is destroying mankind. Aliens have already constructed a layer of cells in human beings. The development of computers dictates this layer of body cells to control human culture and spirituality and in the end to replace human beings.
[Hervorhebungen von mir]
---------------------------------------------
The Blessings From Dafa (http://www.falundafa.org/book/eng/jw_74.htm)
The ten years of Fa-rectification have recreated the cosmos, have saved countless sentient beings from degeneration and annihilation, and have established the immeasurable colossal firmament’s all-encompassing and eternal Fa-principles and immeasurable wisdom. This is a blessing for sentient beings, and it is the mighty virtue of the Dafa disciples.
Master has spread Dafa for ten years. Even in the human world, predestinations have been greatly changed. The comet catastrophe predestined in history is no more, the third world war has been averted, and the peril in 1999 from the cycle of formation-stasis-degeneration-destruction of Heaven and Earth will never recur. The Fa-rectification of the human world is on the verge of arriving. The world’s sentient beings will [Zusatz im Original: strive to] repay the saving grace of Dafa and Dafa disciples. How wonderful. Wonderful. Truly wonderful!
Li HongzhiMay 19, 2002
(Translator's Note: The translation is subject to improvement to be closer to the original text. Latest update: July 16, 2002)
[Hervorhebungen von mir]
Genaueres (oder sagen wir mal vorsichtiger: "mehr") über die "Fa-rectification" kann man in einer Rede des Meisters Li Hongzhi vom 15.02.2003 nachlesen.
---------------------------------------------
Hier einige kommentierte Links:
- Einige kritische Aufsätze in der "Netzeitung".
- Wikipedia deutsch
- Wikipedia englisch
Über den Gründer und geistigen Führer Li Hongzhi:
- Wikipedia deutsch
- Wikipedia englisch
Der Artikel "A Chinese Battle on U.S. Soil. Persecuted Group's Campaign Catches Politicians in the Middle" von Sarah Lubman in der San Jose Mercury News vom 23.12.2001 zeigt, wie naiv sich manche (amerikanischen) (Lokal-)Politiker für die Ziele der Falun Gong einspannen lassen. (Wir Deutschen haben ja selbst erlebt, dass US-Senatoren sich bemüßigt fühlten, "Religionsfreiheit" für die Scientology-Sekte in Deutschland zu fordern.)
Umfangreiche Links zu Texten über die Bewegung gibt es z. B. hier bei dem "RICK A. ROSS INSTITUTE FOR THE STUDY OF DESTRUCTIVE CULTS, CONTROVERSIAL GROUPS AND MOVEMENTS".
Gestern (11.3.06) waren auch hier bei einem Institut namens "CESNUR" eine umfangreiche Linksammlung eingestellt, heute sind aber die Seiten dieses Instituts (nur vorübergehend?) nicht zugänglich. Das "CESNUR" wird übrigens im "Apologetics Index" wiederum selbst kritisiert. (In diesem Index gibt es unter dem Titel "Falun Gong, Falun Dafa, Falungong" ebenfalls Informationen und Links.)
Die chinesische Regierung wehrt sich: einerseits mit mehr sachlichen Darstellungen, andererseits mit hübschen Horror-Stories (von denen einige schon deshalb durchaus wahr sein mögen, weil derartige Bewegungen naturgemäß auf ohnehin schon problematische Persönlichkeiten eine besondere Anziehungskraft ausüben) (hier einige 'Stories' in Englisch).
Unter dem Titel "The True Nature of the Falun Gong" formuliert ein gewisser Samuel Luo eine ausfürliche Kritik der Bewegung und ihres geistigen Oberhauptes (ich habe im Wesentlichen nur die "Closing Remarks" gelesen).
Der Text ist seinerseits eine Reaktion auf das Papier "
Ancient Wisdom for Modern Predicaments: The Truth, Deceit, and Issues Surrounding Falun Gong ", das den "point of views of two practitioners in Falun Gong" darstellt.
----------------------------------------------
Meine eigene Einstellung zu Falun Gong dürfte aus der obigen Darstellung hinreichend transparent geworden sein.
Indes drängt es mich meine Meinung zu sagen (wozu sonst blogge ich schließlich?) zur Menschenrechtsfrage in China.
Vorausgeschickt sei, dass ich zwar eine positive Beziehung zur chinesischen Küche (und zur Keramik) habe, aber weder Import- oder Exportgeschäfte mit den Chinesen betreibe noch überhaupt nähere Kenntnisse des Landes habe.
[Und das, obwohl ich doch schon in frühen Kindesjahren – mehrfach - die Bücher "Im Reiche des Goldenen Drachen" und "Durch die Höhlen und Schluchten des Wu-Tai-Shan" von Otfried von Hanstein verschlungen habe, der vermutlich ebenso "viel" von China kannte wie Karl May vom Wilden Westen ;-) ]
Nach allem, was man über die Entwicklung in China liest, kann ich die Leistung der dortigen Führung (und natürlich der Menschen) jedenfalls hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung nur bewundern. Ein solches Reich auf den (bzw. dem) Weg eines langdauernden Aufstiegs zu lenken (und nicht, wie in Jelzins Russland, die Reichtümer des Volkes von einer unheiligen Allianz beutelustigen Barone des organisierten Verbrechens mit intellektuellen westlichen Abenteurern ausplündern zu lassen) erfordert – auch wenn ich vor solchen großartigen Begriffen sonst eher zurück schrecke – eine außergewöhnliche WEISHEIT. Dass da auf den unteren, mittleren und vermutlich sogar hohen Ebenen der Partei eine Menge Selbst-Bediener ihr korruptes Werk treiben, kann nicht verwundern. Auf Dauer wird das und die fehlende bzw. nicht funktionierende juristische Kontrolle auch mehr und mehr zu einer Belastung der Entwicklung werden. Ebenso ist ein größeres Maß an Freiheit wiederum Voraussetzung für die Möglichkeit einer selbstbewussten und unabhängigen Justiz.
Ich glaube aber, dass man der Sicht und der Handlungsweise der chinesischen Führung nicht gerecht wird, wenn man sie allein oder auch nur in erster Linie als Machterhaltung der Kommunistischen Partei Chinas im Sinne eines Selbstzwecks (oder zum Zwecke der Selbstbedienung) versteht. Da scheinen mir doch Welten zwischen einer Diktatur wie derjenigen von Saddam Hussein (oder der nordkoreanischen) und der Diktatur der KP in China zu liegen.
Die chinesische Führung denkt und handelt patriotisch; sie hat durchaus das Wohl des Landes, und keinesfalls nur oder hauptsächlich das Wohl der Partei im Blick.
Trotzdem brodeln soziale (und offenbar auch religiöse Konflikte, die man wohl nicht völlig auf eine materielle Ebene 'herunterbrechen' kann) in diesem riesigen Reich unter jenem durchaus auch gewalttätigen Deckel, welchen die Partei mehr bzw. heute im Vergleich zu früher schon deutlich weniger fest noch draufhält.
Was geschehen würde, wenn der Deckel weggenommen wird (oder wegfliegt) kann man im Irak beobachten, wo ebenfalls schlaue West-Boys einen hinderlichen Stein auf dem Weg zur Demokratisierung des Nahen Ostens umstoßen zu können glaubten, und anschließend eine Domino-Demokratisierung freiheitsbeglückter Volksmassen erwarteten.
Die chinesische Führung kann sicherlich besser als wir einschätzen, was dort passieren würde, wenn sie den Deckel allzu schnell allzu weit anheben würde. Gleiche oder ähnliche zentrifugale Kräfte, wie sie schon früher in der uralten Geschichte der chinesischen Zivilisation die politische Einheit immer wieder gesprengt haben, würden sich entfalten.
(Zwischenfrage: was waren z. B. die Menschenrechte zu Mafia-Hoch-Zeiten auf Sizilien wert? Das Recht der Opfer, an die Verbrecher zu zahlen, und das Recht der Mafia, durch Zahlungen an die Richter das Straf-Recht außer Kraft zu setzen!)
Historische Aschevölker wie wir, bei denen nix mehr brodelt, können sich nicht vorstellen, dass es anderswo anders sein könnte. Und glauben, ihre Rezepte und ihre Rechtskultur einfach so auf andere übertragen oder sie denen sogar aufdrängen zu können. Ganz so naiv sollten wir den politischen Kräften in fernen Ländern nicht gegenüber treten.
Wir sollten aber andererseits, nicht zuletzt auch im Interesse der Stabilität des chinesischen Staates selbst, einen fairen und verständnisvollen Rechtsdialog mit der dortigen Führung nicht scheuen.
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Nachtrag vom 16.03.06
Das ganze Design der Titelseite wirkt irgendwie vertraut. Wo hat man eine ähnlich gestaltete Zeitung oder Zeitschrift gesehen? Bei der "Weltwoche"? Nein: dort ist zwar der Titel in Blau gehalten, aber das sonstige Erscheinungsbild ist deutlich anders.
[Immerhin beschert mir aber der Besuch der Weltwoche-Webseite eine Rezension bzw. Zusammenfassung des Buches "Verbrechen als Markt – Zur Ökonomie der Halbwelt und der Unterwelt" von Valentin N. J. Landmann, deren Lektüre ich – ohne Zusammenhang zur vorliegenden Thematik - meinen Besuchern ans Herz legen möchte.]
Als ungewöhnlich fällt bei "Die Neue Epoche" zunächst unter dem Titel ein Zusatz auf: "Epoch Times International". Wenn ein großer ausländischer Verlag die deutsche Version einer im Ausland längst eingeführten (Wochen-)Zeitung herausgebracht hätte (oder ein deutscher Verlag eine Lizenzausgabe, wie im Falle der "Financial Times Deutschland"), hätte man doch in den Zeitungen etwas davon gelesen und Werbung dafür gesehen?
Die Themen jedenfalls sind "normal", also das, was uns derzeit bewegt: "Wer CO² sät, wird Sturm ernten", "Verd.i weitet Streiks im öffentlichen Dienst aus", "Chirac ruft vor saudiarabischem Parlament zur Toleranz auf", "Annan will UNO reformieren" und – zum derzeitigen Angstthema Vogelgrippe – "Chinese stirbt an H5N1 ohne Direktkontakt mit Geflügel".
Die Spalte "Aus dem Inhalt" auf der linken Seite wirkt von der Aufmachung und den Themen her ebenso seriös-vertraut wie das sonstige Layout: "Deutschland im Ausverkauf. Eigentum verpflichtet ...", ein Kommentar von Silke Jelkic, ein Artikel zur Kunst über den Maler Ludwig von Hofmann-Zeitz usw. werden dort angekündigt. Humor haben die Redakteure offenbar auch: ein Artikel über zunehmende Rückenprobleme bei Kindern trägt den Titel "Ein Volk von Sitzenbleibern". Heutzutage etwas ungewöhnlich eine Fortsetzungsserie (hier Teil 2) u. d. T. "Geheimagent gesteht". Beim Anblick eines 'Zählers" unten rechts reibt man sich allerdings verwundert die Augen: "Seit dem Erscheinen der 'Neun Kommentare über die Kommunistische Partei' sind 8.680.464 Personen aus der KPC ausgetreten". Das ist denn doch etwas ungewöhnlich, dass eine deutsche (Wochen-)Zeitung triumphierende Frontberichte über den Anhängerverlust der Kommunistischen Partei Chinas liefert.
Das Impressum wird nicht versteckt: Auf S. 1 wird deutlich darauf verwiesen, und auf S. 4 kann man lesen, dass die Zeitschrift von dem "Epochtimes Europe Zeitungsverlag GmbH" herausgegeben wird. Der sitzt – noch ein "Beweis" für seriösen Journalismus, in Hamburg. Ungewöhnlich allerdings ist das Erscheinen weiter Ausgaben in der Ländermischung "Argentinien, Australien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Hongkong, Japan, Kanada, Russland, Süd-Korea, Ukraine, USA."
Jedoch: Die Themenseiten "Welt", "Europa", "Deutschland" (2 Seiten) und "Wirtschaft" sind als solche voll 'im grünen Bereich'; genau das, was man eben von einem deutschen Presseorgan erwartet. Auch inhaltlich keine Auffälligkeiten, etwas umweltbewegt, vielleicht etwas links: aber ein marxistisches Blatt ist es auf keinen Fall.
Dass vor der "Unterhaltung" eine Themenseite "China" eingeschaltet ist, fällt zunächst auch nicht weiter auf. Das Land ist allemal eine Sonderseite wert, wartet es doch mit phantastischen wirtschaftlichen Zuwachsraten auf. Auch das "Handelsblatt" (dessen Online-Version ich - wie natürlich auch diejenige der Bild-Zeitung - in der Mittagspause zu lesen pflege) widmet dieser kommenden Weltmacht mehr und mehr Informationsartikel, manchmal auch kritische Berichte und Kommentare (z. B. "Bürgerrechte in China. Wie zu Zeiten der Kaiser" oder die sehr pointierte Meinungsäußerung des Chefredakteurs Bernd Ziesemer "Das hässliche China").
[Sowohl die westlichen Regierungen wie zweifellos auch die chinesische Führung sind sich der rechtsstaatlichen Defizite in China durchaus bewusst; vgl. in diesem Zusammenhang z. B. das Papier "Rechtszusammenarbeit im Kontext der europäisch-chinesischen Beziehungen" von Prof. Nicole Schulte-Kulkmann. Aber auch der "Rechtsexport" ist nicht unbedingt unproblematisch: Stichwort "Rechtsimperialismus".]
Weiter im Text der "Neue[n] Epoche": "Gesundheit", "Sport", "Umwelt" ["Günstige Energie aus Gülle reduziert Tomatenpreis"], "Reise" ["Eine Reise zu alten kulturellen Wurzeln des Abendlandes. Teil 2"], "Gesundheit": eine mehr oder weniger 'stinknormale" Wochenzeitung scheint das zu sein. Die Aufsätze tragen zwar keine Züge von intellektueller Brillanz (wie – vielleicht – einige in der "Zeit"), halten sich aber auf normalem bürgerlichen Niveau. Vor "Vermischtes", "Kultur" und "Wissen" ist dann noch eine Seite "Menschen und Meinungen" eingeschaltet: auch nichts Ungewöhnliches, würde nicht hier "Das Geständnis eines chinesischen Geheimagenten, 2. Teil" präsentiert, das auch sprachlich-inhaltlich etwas merkwürdig daher kommt. Doch kann der aufmerksame Leser bei der Lektüre erahnen, woher der Wind weht:
"Später wurde ich versetzt, um das Internet und Falun Gong zu überwachen".
"Am Anfang verstand ich die Falun Gong-Praktizierenden nicht und wusste nicht, was sie eigentlich machen ...".
"Durch so eine Gelegenheit bekam ich über das Internet Kenntnis vom Zhuan Falun (das Hauptwerk von Falun Gong) und von den 'Neun Kommentaren über die Kommunistische Partei' ".
[Hervorhebungen jeweils von mir]
Um die "Meditationsbewegung", wie sie selbst genannt werden möchten, bzw. um den Kult oder die Sekte, wie sie von Kritikern genannt werden (wobei die zumindest nach außen losen Organisationsstrukturen auf den ersten Blick gegen einen Sektencharakter zu sprechen scheinen) "Falun Gong" oder, wie sie auch genannt wird, "Falun Dafa" geht es also hier, bzw. genauer: um eine sehr geschickte Sympathiewerbung für diese quasi-religiöse Bewegung, vor der die chinesische Regierung und die Kommunistische Partei Chinas sich offenbar fürchten. Wenn nicht das Geständnis des chinesischen Geheimagenten stilistisch so naiv gehalten wäre ("Ich entschied mich, ein guter Mensch zu werden und mich selbst ganz neu zu orientieren": bei derartigen Formulierungen könnte man sich auch sehr gut "Bekehrungserlebnisse" von hartnäckigen "Volksfeinden" in der Zeit der Kulturrevolution vorstellen), wäre die Sache fast perfekt gemacht.
Ingo Heinemann hat wohl nicht Unrecht, wenn er auf seiner Webseite "Infos über Sekten, Kulte und den Psychomarkt AGPF - Aktion für Geistige und Psychische Freiheit Bundesverband Sekten- und Psychomarktberatung e.V., Bonn " zum Thema "Falun gong" titelt:
"Der Falun-Kult Falun Gong, Falun Dafa und Li Hongzhi: Mehr Politik als Meditation Der Falun-Kult fordert die chinesische Regierung heraus. Hat der Falun-Kult unter dem Deckmantel von Spiritualität ein weltweites Netzwerk von Unterstützern aufgezogen? Dienen provozierte Menschenrechtsverletzungen als Schutzschild?"
und u. a. die Frage nach den Geldquellen aufwirft:
"Geldquellen zweifelhaft.
Zuletzt ist also ein Zeitungskonzern entstanden. Nach der englischen und chinesischen Zeitung wurde Ende 2004 und Anfang 2005 auch eine deutsche und eine französische Zeitung gegründet, die französische mit dem beziehungsreichen Namen 'La Grande Époque'. Zur Finanzierung heißt es, die deutsche Ausgabe sei 'aus Eigenmitteln finanziert' (http://www.dieneueepoche.com/, 'Wir über uns'). Gleichzeitig wurden neue Websites aufgebaut.
Spätestens jetzt stellt sich die Frage, woher diese 'Eigenmittel' stammen. Es wird der Eindruck erweckt, als beruhe das konspirative Verhalten auf der Verfolgung durch die chinesische Regierung.
Andere Erklärungen sind durchaus denkbar."
Nun fragt der ungeduldige Leser aber zu Recht, was das alles mit Außerirdischen zu tun hat.
Dazu Auszüge aus einem "Interview with Li Hongzhi" (Time Magazine Asia, May 10, 1999),
URL http://www.cesnur.org/testi/falun_010.htm
TIME: Why does chaos reign now?Li: Of course there is not just one reason. The biggest cause of society's change today is that people no longer believe in orthodox religion. They go to church, but they no longer believe in God. They feel free to do anything. The second reason is that since the beginning of this century, aliens have begun to invade the human mind and its ideology and culture.
TIME: Where do they come from?Li: The aliens come from other planets. The names that I use for these planets are different . Some are from dimensions that human beings have not yet discovered. The key is how they have corrupted mankind. Everyone knows that from the beginning until now, there has never been a development of culture like today. Although it has been several thousand years, it has never been like now.
The aliens have introduced modern machinery like computers and airplanes. They started by teaching mankind about modern science, so people believe more and more science, and spiritually, they are controlled. Everyone thinks that scientists invent on their own when in fact their inspiration is manipulated by the aliens. In terms of culture and spirit, they already control man. Mankind cannot live without science.
The ultimate purpose is to replace humans. If cloning human beings succeeds, the aliens can officially replace humans. Why does a corpse lie dead, even though it is the same as a living body? The difference is the soul, which is the life of the body. If people reproduce a human person, the gods in heaven will not give its body a human soul. The aliens will take that opportunity to replace the human soul and by doing so they will enter earth and become earthlings.
..............
TIME: How do you see the future?
Li: Future human society is quite terrifying. If aliens are not to replace human beings, society will destroy itself on its own [Zusatz von mir: Letzteres ist freilich in der Tat vorstellbar]. Industry is creating invisible air pollution. The microparticles in the air harm human beings. The abnormality in the climate today is caused by that [Zusatz im Interviewtext: pollution], and it cannot be remedied by humans alone. The drinking water is polluted. No matter how we try to purify it, it cannot return to its original purity. Modern science cannot determine the extent of the damage. The food we eat is the product of fertilized soil. The meat we eat is affected. I can foresee a future when human limbs become deformed, the body's joints won't move and internal organs will become dysfunctional. Modern science hasn't realized this yet.
At the beginning you asked why I did such things. I only tell practitioners, but not the public because they cannot comprehend it. I am trying to save those people who can return to a high level and to a high moral level. Modern science does not understand this, so governments can do nothing. The only person in the entire world who knows this is myself alone. [Der Meister leidet nicht gerade an mangelndem Selbstbewusstsein. B. B.]
I am not against the public knowing, but I am teaching practitioners. Even though the public knows, it cannot do anything about it. People can't free themselves from science and from their concepts. I am not against science. I am only telling mankind the truth. I drive a car. I also live in the environment. Don't believe that I am against science. But I know that modern science is destroying mankind. Aliens have already constructed a layer of cells in human beings. The development of computers dictates this layer of body cells to control human culture and spirituality and in the end to replace human beings.
[Hervorhebungen von mir]
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The Blessings From Dafa (http://www.falundafa.org/book/eng/jw_74.htm)
The ten years of Fa-rectification have recreated the cosmos, have saved countless sentient beings from degeneration and annihilation, and have established the immeasurable colossal firmament’s all-encompassing and eternal Fa-principles and immeasurable wisdom. This is a blessing for sentient beings, and it is the mighty virtue of the Dafa disciples.
Master has spread Dafa for ten years. Even in the human world, predestinations have been greatly changed. The comet catastrophe predestined in history is no more, the third world war has been averted, and the peril in 1999 from the cycle of formation-stasis-degeneration-destruction of Heaven and Earth will never recur. The Fa-rectification of the human world is on the verge of arriving. The world’s sentient beings will [Zusatz im Original: strive to] repay the saving grace of Dafa and Dafa disciples. How wonderful. Wonderful. Truly wonderful!
Li HongzhiMay 19, 2002
(Translator's Note: The translation is subject to improvement to be closer to the original text. Latest update: July 16, 2002)
[Hervorhebungen von mir]
Genaueres (oder sagen wir mal vorsichtiger: "mehr") über die "Fa-rectification" kann man in einer Rede des Meisters Li Hongzhi vom 15.02.2003 nachlesen.
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Hier einige kommentierte Links:
- Einige kritische Aufsätze in der "Netzeitung".
- Wikipedia deutsch
- Wikipedia englisch
Über den Gründer und geistigen Führer Li Hongzhi:
- Wikipedia deutsch
- Wikipedia englisch
Der Artikel "A Chinese Battle on U.S. Soil. Persecuted Group's Campaign Catches Politicians in the Middle" von Sarah Lubman in der San Jose Mercury News vom 23.12.2001 zeigt, wie naiv sich manche (amerikanischen) (Lokal-)Politiker für die Ziele der Falun Gong einspannen lassen. (Wir Deutschen haben ja selbst erlebt, dass US-Senatoren sich bemüßigt fühlten, "Religionsfreiheit" für die Scientology-Sekte in Deutschland zu fordern.)
Umfangreiche Links zu Texten über die Bewegung gibt es z. B. hier bei dem "RICK A. ROSS INSTITUTE FOR THE STUDY OF DESTRUCTIVE CULTS, CONTROVERSIAL GROUPS AND MOVEMENTS".
Gestern (11.3.06) waren auch hier bei einem Institut namens "CESNUR" eine umfangreiche Linksammlung eingestellt, heute sind aber die Seiten dieses Instituts (nur vorübergehend?) nicht zugänglich. Das "CESNUR" wird übrigens im "Apologetics Index" wiederum selbst kritisiert. (In diesem Index gibt es unter dem Titel "Falun Gong, Falun Dafa, Falungong" ebenfalls Informationen und Links.)
Die chinesische Regierung wehrt sich: einerseits mit mehr sachlichen Darstellungen, andererseits mit hübschen Horror-Stories (von denen einige schon deshalb durchaus wahr sein mögen, weil derartige Bewegungen naturgemäß auf ohnehin schon problematische Persönlichkeiten eine besondere Anziehungskraft ausüben) (hier einige 'Stories' in Englisch).
Unter dem Titel "The True Nature of the Falun Gong" formuliert ein gewisser Samuel Luo eine ausfürliche Kritik der Bewegung und ihres geistigen Oberhauptes (ich habe im Wesentlichen nur die "Closing Remarks" gelesen).
Der Text ist seinerseits eine Reaktion auf das Papier "
Ancient Wisdom for Modern Predicaments: The Truth, Deceit, and Issues Surrounding Falun Gong ", das den "point of views of two practitioners in Falun Gong" darstellt.
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Meine eigene Einstellung zu Falun Gong dürfte aus der obigen Darstellung hinreichend transparent geworden sein.
Indes drängt es mich meine Meinung zu sagen (wozu sonst blogge ich schließlich?) zur Menschenrechtsfrage in China.
Vorausgeschickt sei, dass ich zwar eine positive Beziehung zur chinesischen Küche (und zur Keramik) habe, aber weder Import- oder Exportgeschäfte mit den Chinesen betreibe noch überhaupt nähere Kenntnisse des Landes habe.
[Und das, obwohl ich doch schon in frühen Kindesjahren – mehrfach - die Bücher "Im Reiche des Goldenen Drachen" und "Durch die Höhlen und Schluchten des Wu-Tai-Shan" von Otfried von Hanstein verschlungen habe, der vermutlich ebenso "viel" von China kannte wie Karl May vom Wilden Westen ;-) ]
Nach allem, was man über die Entwicklung in China liest, kann ich die Leistung der dortigen Führung (und natürlich der Menschen) jedenfalls hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung nur bewundern. Ein solches Reich auf den (bzw. dem) Weg eines langdauernden Aufstiegs zu lenken (und nicht, wie in Jelzins Russland, die Reichtümer des Volkes von einer unheiligen Allianz beutelustigen Barone des organisierten Verbrechens mit intellektuellen westlichen Abenteurern ausplündern zu lassen) erfordert – auch wenn ich vor solchen großartigen Begriffen sonst eher zurück schrecke – eine außergewöhnliche WEISHEIT. Dass da auf den unteren, mittleren und vermutlich sogar hohen Ebenen der Partei eine Menge Selbst-Bediener ihr korruptes Werk treiben, kann nicht verwundern. Auf Dauer wird das und die fehlende bzw. nicht funktionierende juristische Kontrolle auch mehr und mehr zu einer Belastung der Entwicklung werden. Ebenso ist ein größeres Maß an Freiheit wiederum Voraussetzung für die Möglichkeit einer selbstbewussten und unabhängigen Justiz.
Ich glaube aber, dass man der Sicht und der Handlungsweise der chinesischen Führung nicht gerecht wird, wenn man sie allein oder auch nur in erster Linie als Machterhaltung der Kommunistischen Partei Chinas im Sinne eines Selbstzwecks (oder zum Zwecke der Selbstbedienung) versteht. Da scheinen mir doch Welten zwischen einer Diktatur wie derjenigen von Saddam Hussein (oder der nordkoreanischen) und der Diktatur der KP in China zu liegen.
Die chinesische Führung denkt und handelt patriotisch; sie hat durchaus das Wohl des Landes, und keinesfalls nur oder hauptsächlich das Wohl der Partei im Blick.
Trotzdem brodeln soziale (und offenbar auch religiöse Konflikte, die man wohl nicht völlig auf eine materielle Ebene 'herunterbrechen' kann) in diesem riesigen Reich unter jenem durchaus auch gewalttätigen Deckel, welchen die Partei mehr bzw. heute im Vergleich zu früher schon deutlich weniger fest noch draufhält.
Was geschehen würde, wenn der Deckel weggenommen wird (oder wegfliegt) kann man im Irak beobachten, wo ebenfalls schlaue West-Boys einen hinderlichen Stein auf dem Weg zur Demokratisierung des Nahen Ostens umstoßen zu können glaubten, und anschließend eine Domino-Demokratisierung freiheitsbeglückter Volksmassen erwarteten.
Die chinesische Führung kann sicherlich besser als wir einschätzen, was dort passieren würde, wenn sie den Deckel allzu schnell allzu weit anheben würde. Gleiche oder ähnliche zentrifugale Kräfte, wie sie schon früher in der uralten Geschichte der chinesischen Zivilisation die politische Einheit immer wieder gesprengt haben, würden sich entfalten.
(Zwischenfrage: was waren z. B. die Menschenrechte zu Mafia-Hoch-Zeiten auf Sizilien wert? Das Recht der Opfer, an die Verbrecher zu zahlen, und das Recht der Mafia, durch Zahlungen an die Richter das Straf-Recht außer Kraft zu setzen!)
Historische Aschevölker wie wir, bei denen nix mehr brodelt, können sich nicht vorstellen, dass es anderswo anders sein könnte. Und glauben, ihre Rezepte und ihre Rechtskultur einfach so auf andere übertragen oder sie denen sogar aufdrängen zu können. Ganz so naiv sollten wir den politischen Kräften in fernen Ländern nicht gegenüber treten.
Wir sollten aber andererseits, nicht zuletzt auch im Interesse der Stabilität des chinesischen Staates selbst, einen fairen und verständnisvollen Rechtsdialog mit der dortigen Führung nicht scheuen.
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Nachtrag vom 16.03.06
I love the way "Google" translates the title of this blog-entry:
"As me the extraterrestial ones with the Pizzaessen got".
Und "Sekten" heißen dort "sparkling wines": na dann aber ganz schnell beitreten!
Wie nennen wir diese Übersetzungstechnik? Richtig: "konsequenten Pluralismus"!
Nachtrag 17.03.06
"As me the extraterrestial ones with the Pizzaessen got".
Und "Sekten" heißen dort "sparkling wines": na dann aber ganz schnell beitreten!
Wie nennen wir diese Übersetzungstechnik? Richtig: "konsequenten Pluralismus"!
Nachtrag 17.03.06
Die chinesische Führung setzt sich mit ähnlichen Argumenten gegen US-Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen zur Wehr, wie ich sie oben dargestellt habe:
"Die Führung in Peking sagt, die chinesische Definition von Menschenrechten weiche von der des Westens ab. 1,3 Milliarden Menschen mit Nahrung, Kleidung und Wohnraum zu versorgen wiege mehr als individuelle, bürgerliche Freiheiten. „Wir missbilligen Länder, die sich in die inneren Angelegenheit anderer Länder einmischen“, sagte Außenminister Li Zhaoxing" berichtet eine Handelsblatt-Meldung vom 09.03.06 u. d. T. "China kontert US-Menschenrechtsvorwürfe".
Sicherlich sollte man Regierungsäußerungen von totalitären Regimen kritisch sehen. Andererseits wird ein Argument aber nicht dadurch falsch, dass es von einer solchen Regierung vorgetragen wird. Größere innere Unruhen dürften die Wirtschaftsentwicklung erheblich behindern, stoppen oder gar zurück werfen. Andererseits kann eine Gesellschaft mit obrigkeitlich verordneter Friedhofsruhe auf die Dauer aber wohl nicht ihre wirtschaftliche Dynamik aufrecht erhalten und am Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben.
Nachtrag 23.3.06
"Die Führung in Peking sagt, die chinesische Definition von Menschenrechten weiche von der des Westens ab. 1,3 Milliarden Menschen mit Nahrung, Kleidung und Wohnraum zu versorgen wiege mehr als individuelle, bürgerliche Freiheiten. „Wir missbilligen Länder, die sich in die inneren Angelegenheit anderer Länder einmischen“, sagte Außenminister Li Zhaoxing" berichtet eine Handelsblatt-Meldung vom 09.03.06 u. d. T. "China kontert US-Menschenrechtsvorwürfe".
Sicherlich sollte man Regierungsäußerungen von totalitären Regimen kritisch sehen. Andererseits wird ein Argument aber nicht dadurch falsch, dass es von einer solchen Regierung vorgetragen wird. Größere innere Unruhen dürften die Wirtschaftsentwicklung erheblich behindern, stoppen oder gar zurück werfen. Andererseits kann eine Gesellschaft mit obrigkeitlich verordneter Friedhofsruhe auf die Dauer aber wohl nicht ihre wirtschaftliche Dynamik aufrecht erhalten und am Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben.
Nachtrag 23.3.06
Zum Patriotismus bzw. Nationalismus der Chinesen bzw. in China vgl. auch den Handelsblatt-Artikel vom 17.02.06 "China zelebriert sein Wir-Gefühl".
Nachtrag vom 18.11.2006
Umsonst? Ich fürchte: ja!
(Heute in Fulda im Einkaufszentrum Centhof am Bahnhof gesehen)
Nachtrag vom 18.11.2006
Umsonst? Ich fürchte: ja!
(Heute in Fulda im Einkaufszentrum Centhof am Bahnhof gesehen)
Textstand vom 16.06.2023
Ich möchte dich kurz auf etwas aufmerksam machen worüber ich auch schon mit Ingo Heinemann gesprochen habe.
AntwortenLöschenNähmlich: Wenn der Grund warum die Falun Gong Anhänger in China zu hunderttausenden in Arbeitslager etc. kommen (und das hat selbst Herr Heinemann nicht bestritten) Darin besteht, das die KP es als gefährliche Psycho-Sekte hinstellt,
Warum stellst du dann Falun Gong auch so dar, und verbreitest es als wahr weiter, obwohl du Falun Gong gar nicht selbst kennst?
Sincerely
Manuel Hörth
Herausgeber des Buches "Die Verfolgung Von Falun Gong"
Hallo Herr Hörth,
AntwortenLöschenzunächst einmal freue ich mich immer über interessierte Besucher und Kommentatoren meines Weblog.
Dass ich der Falun Gong Bewegung kritisch gegenüber stehe, will ich gewiss nicht leugnen.
Rätselhaft ist mir allerdings, welche meiner Bemerkungen bei Ihnen den Eindruck erweckt haben könnten, dass ich diese Bewegung als "gefährliche Psycho-Sekte" hinstelle?
Canabbaia
Nein... IHRE Bemerkungen zu Falun Gong meine ich ja gar nicht...
AntwortenLöschenDas ist ja auch genau der Punkt... Ihr Blogeintrag über Falun Gong stützt sich auf den wenn man es so will "Blogeintrag" von Ingo Heinemann.
Ingo Heinemann hat wiederrum lediglich Informationen von Dritten gesammelt, welche ihrerseits wiederum auf Informationen von Dritten oder auf Angaben der KP basieren.
Lange Rede kurzer Sinn... Da es nuneinmal plausibel zu klingen scheint wenn jemand sagt das es sich bei einer Gruppe mit Glaubensinhalten die einen Fremd sind, um gefährliche Verrückte, oder um eine Sekte handelt, wird es von vielen weitergegeben ohne das sie diese Behauptungen durch eigene Beobachtung stützen könnten. Vielleicht denken manche: "Na und, selbst wenn Falun Gong nicht so schlimm ist wie es angedeutet wird, so kann ich auch ohne es selbst angesehen zu haben schon sagen das es eine Sekte ist, schließlich habe ich mir ja die Webseiten alle angesehen und bei Sekten warne ich lieber überdeutlich, als zu undeutlich".
Der Meinung wäre ich zwar auch, allerdings kommt hier ein weiterer Faktor hinzu: die Verfolgung.
Egal woher Sie gehört haben Falun Gong sei eine Sekte, Sie werden keinerlei derartige Berichte von vor 1999 (dem Beginn der Verfolgung finden). Ich will damit nicht sagen das dies beweise das die Gerüchte über Falun Gong von der KP absichtlich in die Welt gesetzt wurden um die Verfolgung zu rechtfertigen. Ich will damit nur sagen das nachdem man von Dritten gehört hat das Falun Gong eine gefährliche, oder zumindest fragwürdige Sekte sei, es bei vielen Menschen bewirkt das sie:
a.) es nicht mehr für nötig halten sich ihre eigene, unabhängige Meinung über Falun Gong zu bilden
b.) sie die Verfolgung ignorieren
Ich wollte bloß das Sie mal darüber nachdenken... nichts weiter.