In seiner Ausgabe vom März 2007 veröffentlichte das britische Magazin "Prospect" die gesellschaftlich-politischen Zukunftsprognosen von 100 seiner Autoren ("Prospect contributors").
"We asked 100 writers and thinkers to answer the following question: Left and right defined the 20th century. What's next? The pessimism of their responses is striking: almost nobody expects the world to get better in the coming decades, and many think it will get worse" heißt es einleitend auf der ersten (Autoren von "A" - "D") von vier Webseiten, auf welche die Antworten verteilt sind (Nr. 2 = "E" - "I"; Nr. 3 = "J" - "M" und Nr. 4 = "N" - "Y").
Der Fragestellung zum Trotz ließen sich die meisten Befragten in ihren Überlegungen nicht auf die Konfrontation links-rechts einengen.
Was den Pessimismus angeht, habe ich in den Antworten davon deutlich weniger wahrgenommen, als die Herausgeber suggerieren. Das ist natürlich eine Frage der Zählung; Menschen, die lediglich keine signifikante Verbesserung für die Zukunft erwarten, sehe ich nicht als Pessimisten, sondern würde sie sogar zu den Optimisten rechnen. Die allermeisten Antworten gehen zwar in der Tat nicht von einem rosigen Zukunftsbild aus, beschreiben allerdings erwartete Probleme, deren Bewältigung die Autoren als ergebnisoffen ansehen. Nun hatte die Menschheit schon immer Probleme, die es zu lösen galt. Die Annahme, dass solche auch in Zukunft auftauchen werden, halte ich nicht per se für pessimistisch, sondern schlicht für realistisch.
Nach meiner Auszählung stehen 20 (ziemlich) eindeutigen Pessimisten 12 (ziemlich) eindeutige Optimisten gegenüber. Es ist natürlich auch ein Resultat der insoweit unspezifischen Fragestellung, dass die Befragten nicht eindeutiger den Kategorien Pessimisten und Optimisten zugeordnet werden können; insoweit hätte man schon fragen müssen, ob (und in welcher Weise) eine Verbesserung oder Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Menschheit erwartet wird.
Optimisten: Michael Axworthy, former civil servant // Robin Banerji, journalist // Cheryll Barron, writer // Don Berry, journalist // David Brooks, journalist // Douglas Carswell, politician // Mark Cousins, film critic // Diane Coyle, economist // Anthony Giddens, sociologist // Susan Greenberg, journalist // Alan Johnson, political writer // Richard Layard, economist.
Pessimisten: Lisa Appignanesi, writer // Philip Bobbitt, political writer // Dave Clements, policy analyst // Harvey Cole, businessman // David Cox, writer and broadcaster // William Davies, policy analyst // Geoff Dench, sociologist // Ronald Dore, economist // Duncan Fallowell, writer // John Gray, philosopher // Eric Hobsbawm, historian // Gerald Holtham, economist
// Pervez Hoodbhoy, scientist // Josef Joffe, editor, “Die Zeit” // Tobias Jones, writer // Mark Leonard, political writer // James Lovelock, environmentalist // Lisa Randall, scientist // Jonathan Rée, philosopher // Erik Tarloff, writer // David Walker, journalist
Jenseits der Auszählung von utilitaristischen Fortschritts- oder Rückschrittsprognosen ist vielleicht die Frage nach den von den Autoren hauptsächlich angesprochenen Problem- oder Themenfeldern von Interesse, als da waren:
- Kollektivismus vs. Individualismus,
- Kirchturmperspektive ("parochialism") vs. globales Denken ("globalism")
- Obskurantismus vs. Vernunft (nur von wenigen Befragten angesprochen, aber sehr wichtig nach meiner eigenen Meinung) sowie
- Natur und Umwelt. Dieses Themenfeld war für meinen "Geschmack" relativ dünn besetzt (was allerdings auch an der Fragestellung liegen könnte, die mehr auf eine gesellschaftliche oder gar parteipolitische Konstellation hinausläuft). Innerhalb dieses Bereiches war aus meiner Perspektive das Problem der Ressourcenerschöpfung wiederum deutlich unterrepräsentiert; man merkt, dass derzeit die Debatte um die anthropogene Klimaänderung, ihre Folgen und ihre mögliche (teilweise) Vermeidbarkeit auf dem Proszenium der öffentlichen Debatte steht.
Die nachfolgenden Debattenbeiträge erscheinen mir persönlich besonders wichtig oder interessant; aus diesem Grunde möchte ich sie hier in meinem "Textarchiv" aufheben. Die Auswahl ist absolut nicht repräsentativ; deshalb die dringende Empfehlng an diejenigen meiner Leserinnen und Leser, die einschlägig interessiert sind, sich die Original-Webseiten des "Prospect" anzusehen.
Probleme mit dem Copyright gibt es hoffentlich nicht; schließlich handelt es sich ja ohnehin um kurze Texte, bei denen eine Extraktion einzelner Sätze oder gar nur Satzteile den Sinn verfälschen müsste.
In 20 Jahren (wenn ich dann noch lebe) wird es interessant sein, die Prognosen mit der Wirklichkeit zu vergleichen (die Nummerierung habe ich selbst für Referenzzwecke eingefügt; im Original sind die Beiträge alphabetisch nach Autoren sortiert). [Zufällig stelle ich fest, dass z. B. auch in einem Blog namens "Carson's Post" der Blogmaster einige Antworten reproduziert hat.]
1) Don Berry, ein pensionierter britischer Journalist, früher bei der Sunday Times, dem Daily Telegraph und dem Evening Standard tätig gewesen (und offenbar nicht mit diesem D. B. aus der Wikipedia identisch), antwortete wie folgt:
"We need a planet-saving alternative to democracy. Mankind is set on exhausting the planet’s resources. Voters in rich nations will not want to give anything up; voters (or dictators) in developing nations will seek what the rich have. Since democracies must reflect what majorities want, they cannot stop this process. (Dictatorships won’t care.) Science will not rise to the challenge. Old ideas about philosopher-kings and benign dictatorships may be revived. Completely new ideas may emerge. Either way, democracy as we know it will not survive the century." [Hervorhebungen von mir]
Bemerkenswert erscheint mir die kompromisslose Fixierung auf die Umwelt- und zwar ganz speziell die Ressourcenproblematik. Dass allerdings diese durch Weisheit zu lösen wäre, glaube ich eher weniger. [Vgl. auch meine skeptischen Bemerkungen zu der Idee von Prof. Dr. Manfred Pohl, "Weise" als Gesetzgeber und Regierende in Deutschland einzusetzen, in meinem Blog-Eintrag "Das Ende des Wei(s)sen Mannes. Polit-Plädoyer ohne Leidenschaft"]
2) Auch Geoff Dench, Soziologe, rückt die Umweltfrage in den Vordergrund und hier insbesondere auch die zu erwartende Ressourcenverknappung :
"The environmental crises which loom in the 21st century—not just because of climate change but also the timebombs of population growth and resource depletion—will see a revival of “centre vs periphery” issues, in place of right vs left. On one hand we will see the development of technology strengthening cosmopolitan tendencies, in particular through the growing supranational organisation of science and the accreditation of scientific expertise. But on the other, there will be a resurgence of nationalism around politics, asserting the collective ownership of natural resources rather than individual rights in productive property.
Overall we could see a return to an international order not unlike that under European feudalism. Hierarchies of political units devoted to husbanding their
own(ed) lands would look to the new church—“universalist science,” probably in alliance with a number of re-oriented faith groups including Christianity and Buddhism—to secure the legitimacy and authority of their regimes, as protectors of the planet. Most political processes, both at global level and within smaller units, would be conducted by experts. And most political conflict would be between expert cosmopolitans, geared to the interests of larger communities, and locals. Democracy would be weak, as the causes supported by the largest numbers of individuals would often not be those in the best interests of the planet." [Hervorhebungen von mir]
Auch hier also Skepsis gegenüber der Demokratie. Aber ob die Experten die besseren "Manager" für unsere Staaten sind - und ob sich die "best interests of the planet" überhaupt verlässlich identifizieren lassen?
[Dench hat u. a. das Buch "Lost horizons" verfasst, über welches der "Guardian" schreibt: "In a controversial new book, Geoff Dench and Kate Gavron argue that Britain's liberal welfare system has marginalised the white working class and helped fuel years of racial conflict." Im "NewStatesman" hat Dench seine diesbezüglichen Ideen in einem Essay "The white working class see newcomers leapfrogging over them to join the national elite" zusammengefasst. Aus Zeitmangel habe ich weder die Rezension noch seinen Essay gelesen.]
3 Knallhart ist der Schriftsteller Duncan Fallowell [endlich mal einer, der zur Ehre eines Wikipedia-Eintrages erhoben wurde] auf der 2. Webseite der Umfrage:
"All future politics will be about survival, pure and simple. The mass migration from the hot to temperate regions has already begun. The battle between generosity and self-interest will be increasingly subject to collective panic attacks. Fear is already everywhere."
Seine Zukunftsperspektive, insbesondere den von mir hervorgehobenen Teil, halte auch ich für leider sehr realistisch.
4) Eric Hobsbawm ist nicht einfach ein "ein englischer Historiker und Sozialwissenschaftler mit englisch-österreichisch-jüdischen Wurzeln" (so der Text in der deutschsprachigen Wikipedia), sondern, wie man dem einschlägigen Wikipedia-Stichwort entnehmen kann, "a British Marxist historian and author. Hobsbawm was a long-standing member of the now defunct Communist Party of Great Britain and the associated Communist Party Historians Group." Da überrascht seine Skepsis gegenüber der Demokratie weniger als der Umstand, dass auch er der Umweltfrage einen zentralen Platz einzuräumen scheint (das interpretiere ich aus seiner Kritik am "unlimited economic growth"; explizit sagt er es -hier jedenfalls- nicht). Als weitere, auch in meinen Augen recht große Gefahr bringt er den Irrationalismus ins Spiel:
"None of the major problems facing humanity in the 21st century can be solved by the principles that still dominate the developed countries of the west: unlimited economic growth and technical progress, the ideal of individual autonomy, freedom of choice, electoral democracy. As is evident in the case of the environmental crisis, facing these problems will require in practice regulation by institutions, in theory a revision of both the current political rhetoric and even the more reputable intellectual constructions of liberalism. The question is can this be done within the framework of the rationalist, secularist and civilised tradition of the Enlightenment. As for left vs right, it will plainly remain central in an era which is increasing the gap between haves and have-nots. However, today the danger is that this struggle is being subsumed in the irrationalist mobilisations of ethnic or religious or other group identity." [Hervorhebungen von mir]
5) Eine eigentümlich und im Text unerklärte Volte vom schwärzesten Pessimismus zum fröhlichen Happy-End-Glück schlägt auf der gleichen S. 2 Pervez Hoodbhoy, ein pakistanischer Nuklearphysiker:
"Global and national politics will turn simple and Hobbesian in 50-70 years. In the interim, energy hunger will drive the US and European countries to squeeze out, and steal, the last drops of oil from under Muslim sands. As bridges between Islam and the west collapse, expect global civil war and triumphant neo-Talibanic movements circling the globe. Should a few western capitals be levelled, Muslim capitals will be randomly nuked in retaliation. The old planetary order is condemned to die. But the human spirit may yet prevail, and a new and better one may emerge." [Hervorhebungen von mir]
Seinen Pessimismus teile ich; worauf er seine Hoffnung stützt, ist mir rätselhaft.
6) Als absoluten "Ausreißer" will ich Nicholas Humphrey, Kognitionswissenschaftler und auch er ein Wikipedia-Würdiger, nicht unerwähnt lassen, der allen Ernstes an eine Renaissance der Religion glaubt (ich eigentlich nicht, Oswald Spenglers "Zweiter Religiosität" zum Trotz. Was ich mir allerdings gut vorstellen kann, ist eine weite Verbreitung magischer Praktiken à la Regengott, wenn uns die Rohstoffe ausgehen sollten). Text (immer noch S. 2):
"How can anyone doubt that the faultline is going to be religion? On one side there will be those who continue to appeal for their political and moral values to what they understand to be God’s will. On the other there will be the atheists, agnostics and scientific materialists, who see human lives as being under human control, subject only to the relatively negotiable constraints of our evolved psychology. What makes the outcome uncertain is that our evolved psychology almost certainly leans us towards religion, as an essential defence against the terror of death and meaninglessness." [Hier habe ich hervorgehoben, was mir eher unzutreffend erscheint.]
7) Eine ganz eigenständige und originelle Meinung, deren Inhalt auch ich ein hohes Gewicht beimesse (meinen Blog-Täg "Obskurantismus" müsste ich eigentlich an sehr viel mehr von meinen Eintragungen dranhängen), äußert Pico Iyer, ein wiederum wikiwürdiger "British-born essayist and novelist":
"The battle between left and right has long been eclipsed by the much more urgent debate between future and past—between, on one hand, those who hold, as the old have always done, that wisdom lies in tradition, community, continuity, and on the other, those who are convinced that transformation lies just around the corner, in whatever we come up with tomorrow. It is this division, between tenses more than civilisations, that has already put Europe in a different camp from America, and linked Syria, or even France, say, to Venezuela. It is this overarching conflict that has left China and Japan not sure which direction they're moving in. And it is this contest that has not just set technology against the claims of religion, but asked all of us how much we will listen to Silicon Valley, and how much to Jerusalem. The conflict between old and new is far deeper and graver than just the dialogue between the Islamic world and the secular west. What will divide and therefore define the century now dawning is the quarrel between those who are committed to change and those who root themselves in the changeless."
Hier wiederum markieren die Hervorhebungen meine ganz besondere Zustimmung.
8) Auf Webseite drei sind wir mit dem Schriftsteller Tobias Jones dabei:
"Rural versus urban. This century’s great division will be less political than geographical: cities will, for the first time in centuries, begin to shrink, causing great tensions in rural locations having to accommodate large numbers of “evacuees.”
In 2007 the world’s urban population was increasing by 60m human souls a year. But after 2020, the trend is drastically reversed. Energy scarcities, food shortages and the dangers of viruses and terrorism mean that Britain’s urban animals start to flee towards the countryside. The years of scarcity are felt not only in Britain but across the globe: acutely urbanised countries like Japan and Korea see violent battles to secure for city refugees ownership of food-producing, mineral-cradling earth. Redistribution of land, rather than wealth, becomes a focus point of global politics. Raw materials—fuels, metals and stones—reassume their worth, becoming themselves the means of exchange. Ancient land uses—farming, mining, hunting and coppicing—will be “modernised” to put them at the heart of a new, simpler economy. This “modernisation,” this departure from “the authenticity of nature,” becomes a flashpoint between the two mindsets.
There is much debate regarding the mysticism of a person’s attachment to their land, and from that debate a new kind of nationalism emerges. The rural will become eulogised again, partly because of a shift in aesthetic tastes, but also because of the countryside’s new-found political and demographic clout. The rural vote is the engine of the century’s dominant political force: the Conservationists. The party was the result of a merger between the Tories and the Greens, a final folding in on itself of the long-forgotten left-right spectrum." [Hier habe ich hervorgehoben, was mir bemerkenswert zu sein schien, auch wenn ich die Auffasungen nicht in allen Einzelheiten teile.]
[Im übrigen ist mir der Autor schon per se als (kritischer) Italophiler sympathisch, der ich ja auch bin. Jones hat ein Buch u. d. T. "The Dark Heart of Italy: Travels Through Time and Space Across Italy" verfasst; Rezensionen z. B. hier und da.]
9) Michael Lind, ein politischer Schriftsteller, dem ich bereits im Zusammenhang mit der Debatte über das Mearsheimer-Walt-Papier über die Israel Lobby in den USA begegnet war (er hatte die Debatte quasi zusammenfassend in einem sehr dichten und intelligenten Essay vorweggenommen), verortet die gesellschaftlich-politische Bruchlinie der Zukunft zwischen der lokalen und der globalen Dimension bzw. Perspektive der Akteure:
"Patria vs Plutopia. This is the conflict that is already replacing the left vs right debate as the deepest ideological divide in modern societies. Patria: suburban, decentralised, nationalist, melting pot, predominantly native-born, working class and middle class, democratic. Plutopia: urban, centralised, cosmopolitan, multicultural, largely foreign-born, inegalitarian, plutocratic.
Globalisation empowers economic and cultural capitals like New York and London to become city-states like Singapore. Unlike in the past, the glittering, vertical cities of the Plutopian archipelago will be able to obtain most of their consumers, most of their labour and, even, perhaps, most of their inhabitants from countries other than their own. Meanwhile, the majority of citizens in the leafy, horizontal homelands of Patria, employed in domestic service sector jobs that have no connection to the global economy, will commute from suburban dwellings to suburban work sites, and will seldom if ever go downtown. “One country, two systems,” will soon describe most societies. One by one, the issues confronting modern democracies—immigration, trade, multiculturalism, taxation, national security, even affordable housing—are breaking off and floating away from the old left-right axes and aligning themselves like magnetised iron filings along the new Patria-Plutopia divide. The war between Patria and Plutopia is already under way. Because each side needs the other, let us hope it ends in a treaty."
[Außer Kontext: Hier findet man seinen gleichfalls interessanten Artikel: "How Neoconservatives Conquered Washington – and Launched a War" vom 10.04.2003.]
10) Etwas überrascht hat mich, dass James Lovelock, als berühmter Vater der berühmten (bei vielen wohl auch berüchtigten) "Gaia-Hypothese" (deren Erkenntniswert ich freilich bezweifle, weil sie mir zu sehr im Hinblick auf menschliche Wünsche gestrickt wirkt) natürlich auch in der deutschsprachigen Wikipedia gewürdigt, allein die globale Erwärmung in den Fokus seiner Befürchtungen für die Zukunft rückt, nicht auch die Ressourcenverknappung (noch S. 3):
"The coming division will be between those who see a future life in the Arctic or on oases and islands, and those who would rather stay put. Those who do stay and can remember life in Britain during the second world war will find global heating, when it starts to hurt, quite familiar. “Don’t you know there’s a climate change on?” will be the put- down to every request for an air conditioner, and Dad’s “green” army will service their windmills; left and right will be in storage for the duration."
11) Obskurantismus gegen Aufklärung wiederum hält Iain McLean, Politikwissenschaftler, für das gesellschaftliche Schlachtfeld der Zukunft:
"Faith versus science will dominate the 21st century. Science preserves the sceptical values of the Enlightenment. Unquestioning faith attacks them. The enemies of science are not confined to religious believers, and not all religious believers are enemies of science. But faith can be absolutist; science can only be relativist. Enemies of science can be trivial (food faddists and snake-oil salesmen) or serious (climate-change deniers and obstructers of stem cell research and therapy). There are signs that, in the capitalist democracies, absolutist religious believers are becoming more strident even as they become less numerous. On same-sex civil rights and (probably) stem cell research, Enlightenment values are triumphing. But they may be at risk, under the guise of multiculturalism, in other areas of public policy." [Hervorhebungen von mir)
Seine Befürchtungen teile ich voll und ganz; seine Hoffnung, dass die Werte der Aufklärung etwa bei der Stammzellenforschung letztlich triumphieren werden, leite ich -weit weniger hoffnungsfroh- in Gottes Ohr weiter.
(Hier seine ausführliche Bio- und Bibliographie; dort eine Übersicht seiner "Papers and Websites"; ein Wikipedia-Eintrag fehlt derzeit noch.)
Wir schreiten nun voran, liebe Lesergemeinde, zur vierten und letzten Webseite der Umfrageantworten.
12) Dort treffen wir Donald Sasson, Historiker ("Professor of Comparative European History"; anstelle des -noch?- fehlenden Wikipedia-Stichwortes informieren wir uns über ihn auf seiner Mitarbeiter-Webseite der "Queen Mary University of London" [was'n das für'ne Uni? Katholisch?]) Die "links-rechts"-Fragestellung wischt er souverän (und auch nach meinem Dafürhalten berechtigt) vom Tisch:
"Left and right are vague markers which stand for different things at different times. Their vagueness allows them to survive and adapt to a changing environment. The boundaries between “left” and “right” may appear grey and unclear today, but they always were. Pro-market liberals and traditional Christian conservatives once sided with social democrats and communists against fascism. Churchill and Stalin fought on the same side. From the 1950 to 1970s, one-nation Tories and Old Labour were in favour of full employment. All the main European parties are in favour of economic growth and against racism and xenophobia. The EU was the creation of conservatives, to be defended later by Eurocommunists and social democrats of various hues.
The question assumes that “issues” exist outside a determined historical context, whereas it is the context that makes the issue “left” or “right,” the way the policies are implemented, defended, presented, and so on. Climate change, for instance, can be tackled, if at all, from a variety of perspectives: a neoliberal one (include external costs in prices and price out of the market the great unwashed); or an authoritarian “fascist-racist” perspective (allocate resources on the basis of ethnicity); or a communist one (introduce strict rationing and make everyone equally miserable). Guessing the future is a harmless game. To play it properly you need to know what is going on — and for this, and that’s the tricky bit, you need to ask the right questions."
[Sassoons Essay über die Mona Lisa wäre vielleicht lesenswert - wenn man Zeit hätte. Originell vermutlich auch sein "Interview" mit Karl Marx; das gibt es im Volltext aber nur für "Prospect"-Abonnenten.]
13) Der Schriftsteller Erik Tarloff stellt die fortdauernde und nach seiner Befürchtung zukünftig intensivierte Auseinandersetzung zwischen Rationalität und Obskurantismus (Aberglauben) in den Mittelpunkt seiner Zukunftsprognose und zeigt sich anthropologisch pessimistisch (siehe den von mir hervorgehobenen Teil):
"My fear is that we are facing another round in the recurrent conflict between rationality and superstition (represented at the present time by religious fundamentalism). Some version of this conflict is never entirely absent from human history, but there are periods when rationality is under especially ferocious and sustained assault, and it looks to me as if we are entering such a period now. And since deep down I suspect that rationality and civility are contrary to our natural instincts, I find it hard to be sanguine about the outcome when these antagonistic impulses are pitted against one another."
[Hier die Liste der Beiträge von Tarloff in der Zeitschrift "Prospect". Eine Biographie konnte ich auf die Schnelle im Internet nur -im Text etwas versteckt- hier bei Amazon finden; er ist ein amerikanischer Schriftsteller und Verfasser der Bücher "Die Verlockung" (Orig.: "Face-Time") und "Der Mann, der das schmutzige Buch schrieb" (Orig.: "The Man Who Wrote the Book") (Schade übrigens, dass Amazon nicht jeweils auch die Originaltitel angibt!)]
14) David Walker, Journalist, erwartet für die Zukunft eine Stärkung der Staatsmacht sowie auch eine Wiederbelebung des Patriotismus. Da er aufgrund der antizipierten Lebensbedingungen im weiteren Verlauf des Jahrhunderts eine Stärkung des Staates prognostiziert und vom "kratzenden [rasselnden, röchelnden?] Atem des Liberalismus" spricht sowie das Vordringen eines "Hobbesschen Realismus" gegenüber einer pluralistischen Gesellschaft nach den Vorstellungen von John Locke, muss man ihn wohl unter die Pessimisten einreihen.
"I don’t see the 21st century erasing the old line between those who put their faith in collective action through the state and small-state individualists. Parse it how you like, the state/anti-state split runs public vs private, super-ego vs id, responsibility vs right, us vs me, altruism vs selfishness, the future vs the present: it’s fundamental. Patriotism (set to revive) will need a state to give it shape; only states will defeat terror. When people say no more to society’s fissures, when turbo-capitalism needs rescuing from its contradictions, it has to be the state. As Lockean pluralism gives way to Hobbesian realism, as survival comes to depend on collaboration, the only agency in town is the state. State and anti-state pre-dated socialism, shaped (but wasn’t exhausted) by left/right, and judging by the emerging empirical conditions of life in this century will outlast the rasping breaths of liberalism." [Hervorhebungen von mir]
Als Ressourcenpessimist erwarte naturgemäß auch ich, dass sich das Menschenleben in Zukunft wieder in Richtung "nasty, brutish and short" entwickeln wird und der Kampf um die Durchsetzung eigener Interessen sich wieder mehr und mehr von der nicht-(direkt)physischen Ebene der Geld-Wirtschaft auf die Ebene direkter physischer Auseinandersetzungen verlagern wird.
[In der Wikipedia laufen viele "David Walker" herum, aber ein Journalist ist nicht darunter. Ich vermute mal, dass es sich hier um diesen -britischen- Herausgeber des "Guardian's PUBLIC magazine" handelt. In einem Artikel "Labour and the Press" auf der Webseite der traditionsreichen linksintellektuellen "Fabian Society" fordert er im Ergebnis für Großbritannien eine Kontrolle der Presse, mit ihren vorwiegend rechtsgerichteten (konservativen) Eigentümern: "Labour has a history of being reluctant to develop policies to control the British media and has consequently become a victim of it, a pattern set to continue if New Labour continues to pander to predominantly right wing proprietors."]
15) Die 4. Seite erweist sich überhaupt als eine besonders fruchtbare Fundgrube für (rein subjektiv betrachtet) interessante Prognosen.
Auch Francis Wheen, britischer Schriftsteller und Journalist, sieht das Erbe der Aufklärung von den Mächten der intellektuellen Finsternis belagert, und zwar gewissermaßen von einer Koalition der Irrationalismen, deren einziger gemeinsammer Nenner der Hass auf die Vernunft ist:
"The new struggle is between the best of the Enlightenment legacy (rationalism, scientific empiricism, separation of church and state) on the one hand and, on the other, various forms of obscurantism and value-free relativism, often disguised as “anti-imperialism” or “anti-universalism” to give profoundly reactionary attitudes an alluringly radical veneer. Some things really are (or ought to be) universal, from freedom of speech to the value of pi, but in the current climate even these can be presented as western impositions. What makes this battle so serious is the array of forces ganging up on the Enlightenment version of modernity — pre-modernists and postmodernists, new age progressives and Old Testament-style fundamentalists. They have little in common but the one big thing—their visceral hatred of reason." [Hervorhebungen von mir]
16) Etwas überraschend ist (zumindest aus deutscher Perspektive mit ihrer starken Präsenz der demographischen Krise in der öffentlichen Debatte), dass nur wenige Befragte so wie hier der (konservative) britische Politiker David Willetts die Alterung der Gesellschaft als Hauptproblem der Zukunft ansieht (wobei er allerdings auch das Integrationsproblem der Immigranten nicht ausblendet):
"We used to think of Britain as being divided by class. Increasingly we worry about a society divided by conflicts of culture and identity. But there is another division, just as significant, which can shape the political agenda of the future. We are living in a society increasingly divided by age. We, the baby boomers, are failing to ensure the younger generation enjoy the wealth and opportunities we have enjoyed. Buying your first flat and building up some savings is a distant prospect. For many, the big events of life—such as forming a family—get delayed, although the aspiration is as strong as ever. The crucial concept of sustainability applies beyond even the environment to the fundamental challenge of ensuring fairness across the generations."
17) Zu guter Letzt bringt Emily Young, Bildhauerin, einen Konfliktherd ein, der nach meinem Gefühl bei den Antworten ebenfalls "unterrepräsentiert" ist (damit meine ich nicht seine "objektiven" Wichtigkeit -die setze auch ich nicht sehr hoch an-, sondern seine Stellung in der öffentlichen -oder zumindest in der veröffentlichten- Debatte): den Nord-Süd-Auseinandersetzung:
"Perhaps in this 21st century, the big question will be the relationship between the global north and the south in the face of the transformations mankind has wrought on the earth through industrialisation, between those who will have some control over their lives, who can survive the metamorphosis, and those who have virtually no control, and who will be its victims. For those with money and choices, life could be very good, with progress in technology and medical care leaping forward. But millions of people will live and die miserably as refugees, dependent on handouts, as their habitats degrade. Perhaps we shall come to think with one mind in the face of such distress, or perhaps not. As ever, power will rest with those who control resources: will they think globally, or be careless and forgetful? The threat of war will be high; global unity, compassion and imagination will be, are already, essential."
Wir verlassen die Vorausschau aber nicht, ohne noch eine allerletzte Schürfprobe von der dritten Prognosen-Webseite des "Prospectus" mitzunehmen.
18) Hier finden wir einen der wenigen befragten Deutschen (2 oder 3?), eine prominente Figur in der bundesdeutschen Meinungsmacherschaft: Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitschrift "Die Zeit". Den treibt die Horror-Vision einer globalen Auseinandersetzung zwischen Islam und Abendland um, wie sie von dem Kulturen-Konflikt-Theoretiker Samuel Phillips Huntington in seinem "Kampf [Zusammenprall, Zusammenstoß] der Kulturen (Clash of Civilisations)" befürchtet wird:
"Samuel Huntington was right: “Islam has bloody borders,” and those borders are not just those of Gaza, south Lebanon, Chechnya or Kashmir. They are also within Islam (see Iraq) and the west—in the inner and outer cities of Paris, Amsterdam, London, Berlin and Rome. And western liberalism is trapped in its own sacred traditions: how to integrate, assimilate or fight the enemy within while remembering our horrifying history of colonialism and racism and honouring our liberal values." [Hervorhebung von mir]
Das ist insoweit eine recht vereinzelte Position unter den Stellungnahmen, als sie spezifisch (und massiv) auf den Islamismus abzielt (der von anderen Befragten nur als eine der Gefährdungen aus der Richtung 'Aberglaube', 'religiöser Fundamentalismus' und 'Obskurantismus' erwähnt oder -mutmaßlich- mitgedacht wird).
Ein Link im Artikel in der englischsprachigen Wikipedia über Josef Joffe führte mich zu seinem Artikel "A World Without Israel". Ich will diesen Aufsatz (der ursprünglich am 11.03.2005 in dem renommierten Magazin "Foreign Policy" veröffentlicht wurde und hier von dem massiv pro-zionistischen Internet-Medium "FrontPage Magazine" recycelt wurde) nicht im Detail analysieren; jedenfalls sehe ich ihn im Ergebnis als einen Versuch an, durch den (an sich natürlich berechtigten) Hinweis auf andere Probleme des und mit dem Islam Kritik an der intransigenten Haltung Israels in der Palästinafrage abzuwenden. Trotz gewisser Kautelen (Zitat: "None of this is to argue in favor of Israel’s continued occupation of the West Bank and Gaza, nor to excuse the cruel hardship it imposes on the Palestinians, which is pernicious, even for Israel’s own soul. But as this analysis suggests, the real source of Arab angst is the West as a palpable symbol of misery and an irresistible target of what noted Middle East scholar Fouad Ajami has called “Arab rage.” The puzzle is why so many Westerners, like those who signed the Cairo Declaration, believe otherwise") muss man die Position Joffes wohl als dezidiert pro-zionistisch verstehen.
Nun halte zwar auch ich die Islamisten nicht für harmlose Waisenknaben [wobei ich allerdings eine größere Gefahr in einer "friedlichen" Aushöhlung unserer gesellschaftlichen (Werte-)Konstitution von innen als in terroristischen Anschlägen sehe]. Und ich teile die Meinung von Joffe, dass unser Staat sich gegen Bedrohungen nicht als Nachtwächterstaat gerieren sollte.
Trotzdem glaube ich nicht, dass der Konflikt zwischen "dem Westen" und "dem Islam" die 'Hauptkampfline' der Zukunft sein wird und sehe Joffes diesbezügliche Befürchtungen mehr von seinem publizistischen Engagement für Israel als von einer korrekten Realitätswahrnehmung hergeleitet.
Bereits an anderen Stellen habe ich davor gewarnt, uns vor irgendwelche fremden Interessenkarren spannen zu lassen (vgl. z. B. meine Blog-Einträge "Propheten-Karikaturen und Palästinenserfrage" und "MORAL'S OWN COUNTRY oder LASSET UNS EINANDER BRÜDERLICHE HÜTER SEIN!" sowie meine Webseite "Drusenreich 5" mit der Analyse "IN THE MACCHIA OF SPECIAL INTERESTS – A WELL OF CLEAR-CUT ANALYSIS?" zur US-Debatte über die amerikanische "Israel Lobby"). Diese Warnung möchte ich als eines meiner "zeterum censeos" hier wiederholen.
Textstand vom 31.08.2007. Auf meiner Webseite
http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm
finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge.
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