Dazu muss man natürlich irgendwo erfahren können, welche Tarifverträge denn überhaupt für allgemein verbindlich erklärt wurden. Auch daran hat Vater Staat gedacht; auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales findet man (manchmal etwas mühsam, weil die des öfteren ihre Web-Adressen ändern) eine pdf-Datei mit dem Titel "Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge". Dieses Verzeichnis bietet aber lediglich eine (nach Branchen und Bundesländern geordnete) Übersicht der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge. Die Verträge selbst sind dort weder gespeichert, noch wird zu ihnen verlinkt.
Wie man an die Verträge kommt, erfährt der Leser in den Vorbemerkungen unter der Überschrift "Bezugsmöglichkeit allgemeinverbindlicher Tarifverträge": "Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für die ein Tarifvertrag aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung verbindlich ist, sowie deren beauftragte Interessenvertreter (z.B. Rechtsanwälte, Steuerberater) können nach § 9 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Tarifvertragsgesetzes – DVOzTVG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Januar 1989 (BGBl. I S. 76) von einer der Tarifvertragsparteien eine Abschrift des Tarifvertrages gegen Erstattung der Selbstkosten (das sind die Papier- und Vervielfältigungs- oder Druckkosten sowie das Übersendungsporto) verlangen. Nach § 8 Tarifvertragsgesetz sind die tarifgebundenen Arbeitgeber verpflichtet, die für ihren Betrieb maßgebenden Tarifverträge an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen. Diese Verpflichtung haben auch Arbeitgeber, für die der Tarifvertrag infolge der Allgemeinverbindlicherklärung verbindlich ist (§ 9 Abs. 2 DVOzTVG). Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales werden Tarifvertragstexte nicht abgegeben oder im Internet veröffentlicht."
In meinen Augen ist es eine Frechheit, dass der Staat nicht dafür sorgt, dass diese Tarifverträge auch online verfügbar sind.
Er muss sie ja nicht selber publizieren. In der Regel werden Tarifverträge dann für allgemeinverbindlich erklärt, wenn Arbeitnehmerseite und Arbeitgeberseite das beantragen, also ein gemeinsames Interesse daran haben, dass der Staat ihre Privatverträge zum "Gesetz" erhebt. Da wäre es angemessen, wenn der Staat die Online-Veröffentlichung dieser Verträge durch beide Seiten verbindlich vorschreibt und zur Voraussetzung für deren Wirksamkeit macht. Nur dann, wenn die Allgemeinverbindlichkeit gegen den Willen einer oder - rein hypothetisch - beider Vertragsparteien erklärt wird, müsste der Staat selbst für die Veröffentlichung sorgen.
Es ist kafkaesk, wenn die Bürger im Internetzeitalter "Gesetze" bei irgend einer Stelle (deren Anschrift aus dem Verzeichnis ebenfalls nicht ersichtlich ist) mit der Schneckenpost anfordern müssen - ob mit oder ohne "Selbstkostenpreis". Der Bund, aber auch die Länder, stellen die 'richtigen' Gesetze selbstverständlich online.
Also Politiker bzw. Bürokraten: bewegt euch und zwingt die Interessengruppen, ihr staatlich sanktioniertes Privatrecht gefälligst im Internet zu publizieren!
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